Österreichische Juristenkommission (Hg.)

Der Österreich-Konvent. Zwischenbilanz und Perspektiven

(Kritik und Fortschritt im Rechtsstaat Band 24)

Wien-Graz: Neuer Wissenschaftlicher Verlag 2004

 

Dieser Band dokumentiert die Vorträge und Diskussionen der Frühjahrstagung 2004 der österreichischen Juristenkommission, die von 20. bis 22. Mai 2004 in Weißenbach am Attersee stattgefunden hat. Angeschlossen ist die wörtliche Wiedergabe einer Podiumsdiskussion unter dem Titel „Österreich-Konvent – Jahrhundertchance oder Totgeburt“ mit Ulrike Baumgartner-Gabitzer (ÖVP), Dieter Böhmdorfer (BM für Justiz, FPÖ), Peter Gerlich (Universität Wien), Eva Glawischnig (Grüne), Peter Kostelka (SPÖ) und Alfred Payrleitner (Journalist); Diskussionsleitung: Ronald Barazon (Salzburger Nachrichten). Zum Zeitpunkt der Tagung hatten beinahe alle Ausschüsse des Konvents ihre ersten Berichte vorgelegt. In einer entscheidenden Phase der Konventsarbeit sollte daher eine Zwischenbilanz gezogen und eine vertiefte juristische Auseinandersetzung mit den ersten Ergebnissen begonnen werden. In der Tradition der Tagungen der Juristenkommission wird angestrebt, mit dem Themenschwerpunkt einen kritischen Beitrag zu den politischen Entscheidungen über Reformthemen und Reformoptionen im Österreich-Konvent zu leisten.

 

 

Eröffnungssitzung

 

Begrüßung und Einführung in die Thematik durch Gerhart Holzinger.

Präsentation der Standpunkte von Rechtsanwaltskammertag (Gerhard Benn-Ibler), Richtervereinigung (Barbara Helige) und Vereinigung österreichischer Staatsanwälte (Wolfgang Swoboda) sowie des BM für Justiz, Dieter Böhmdorfer zum Österreich-Konvent.

 

1. Arbeitssitzung (Österreich-Konvent allgemein)

 

Ludwig Adamovich: Zu den Eigengesetzlichkeiten von Verfassungsreformen

Im Zentrum des Beitrags steht der Rückblick auf vorangegangene Reformvorhaben. Daraus lassen sich Thesen ableiten, die für die Arbeit des Österreich-Konvents von Bedeutung sind: Die Tendenz, zu ehrgeizige Pläne zu machen und dann halbherzige Lösungen zu formulieren, das Ignorieren von älteren Reformansätzen und – aktuell – die Überschätzung der ökonomischen Aspekte von Verfassungsreformen.

 

Maria Berger: Der Europäische und der Österreichische Konvent

Die Autorin vergleicht Organisation, Arbeit und Inhalte der beiden Konvente. Sie tut dies aufgrund ihrer persönlichen Eindrücke und Erfahrungen und angesichts der Tatsache, dass regelmäßig darauf hingewiesen wird, wie die Einsetzung des Österreich-Konvents vom Erfolg der Europäischen Konvente inspiriert war.

 

Edith Goldeband: Der Österreich-Konvent – Zwischenbilanz und Perspektiven

Die Geschäftsführerin des Büros des Österreich-Konvents zieht eine Zwischenbilanz des „Unter-nehmens Österreich-Konvent“. Dabei geht sie ausführlich auf die Organisation des Konvents ein und präsentiert statistisches Material. Hinsichtlich des Arbeitsprozesses gibt sie einen Überblick über Arbeitsweise und Perspektiven des Konvents.
2. Arbeitssitzung (Bundesstaat und Verwaltung)

 

Ewald Wiederin: Bundesstaat neu

Aufbauend auf eine umfassende Auseinandersetzung mit den zentralen Elementen der österreichi-schen Bundesstaatlichkeit wird gefragt, welche Veränderungen sich – wenn überhaupt – in den Diskussionen des Österreich-Konvents abzeichnen. Auf der Basis von Bundesstaatstheorie und Verfassungsgeschichte werden die Besonderheiten österreichischer Bundesstaatlichkeit heraus-gearbeitet. Kernthesen sind der Rechtfertigungsbedarf des Bundesstaates und der föderalistische Zuschnitt bei zentralistischer Ausgestaltung als Merkmal des österreichischen Bundesstaates. Bei grundsätzlicher Einigkeit über die Defizite des derzeitigen bundesstaatlichen Modells zeigen bereits die Mandate der Fachausschüsse des Konvents, dass sich an den grundsätzlichen Strukturen und Schwächen des Bundesstaates nicht viel ändern kann. Allerdings finden sich in den Vorschlägen zur Neuordnung der Kompetenzverteilung starke Tendenzen hin zu Flexibilisierung und zur Verteilung von Funktionen anstelle von Aufgaben. Eine Befassung mit der Zukunft des österreichischen Föderalismus kann sich aber nicht auf das Problem der Kompetenzverteilung beschränken. Fragen der Vollziehung und des Rechtsschutzes (Landessverwaltungsgerichte) müssen ebenso eingehend behandelt werden.

 

Anna Maria Hochhauser: Bundesstaat neu

Die Generalsekretär-Stellvertreterin der Wirtschaftskammer Österreich fasst in ihrem Beitrag die Standpunkte der Wirtschaftskammer zu Staats- und Verwaltungsreform im Allgemeinen und zur Reform des Bundesstaates und des Finanzausgleiches im Besonderen zusammen. Dazu wird das Kompetenzverteilungsmodell der Wirtschaftskammer vorgestellt und erläutert.

 

Gerhart Wielinger: Verwaltung neu – Überlegungen im Zusammenhang mit der Tätigkeit des Ausschusses 6 des Österreich-Konvents

Aus der Sicht eines leitenden Verwaltungsbeamten wird hier ein Bericht über die Arbeit im Ausschuss 6 gegeben und zugleich eine kritische Auseinandersetzung mit den Forderungen nach Verwaltungs-reformen unternommen. Leitende These dafür ist das mangelnde Wissen um die Wirklichkeit der Verwaltung in Interessensvertretungen und unter Politikern. Insoweit kommt dem Österreich-Konvent aber eine wichtige Funktion als Lernprozess zu.

 

Werner Wutscher: Verwaltung neu – Zugleich eine Analyse der Arbeiten des Ausschusses 6 im Österreich-Konvent

Da jeder Verwaltungsreformprozess vom Bemühen um ein neues Verwaltungsverständnis getragen ist, wird diese Analyse in einen weiteren verwaltungswissenschaftlichen Kontext gestellt. Angesichts der Veränderungen für die öffentliche Verwaltung durch EU-Beitritt und moderne Technologien muss die traditionelle Deutung der Verwaltung als Rechtsfunktion erweitert werden. Zunächst werden die bestehenden verfassungsrechtlichen Schranken einer Verwaltungsreform erörtert. Daran schließt eine Diskussion von Reformen der Verwaltungsorganisation und der Verwaltungsinstrumente an. Diese Punkte werden jeweils um eine Bezugnahme auf die Konventsberatungen und die einfachgesetzlich umsetzbaren Reformvorschläge ergänzt.


3. Arbeitssitzung (Gerichtsbarkeit und Rechtsschutz)

 

Otto Oberhammer: Justizverfassung neu – Zum Vorschlag, einen
„Rat der Gerichtsbarkeit“ einzurichten

Der Vorschlag der Richtervereinigung, in Österreich einen „Rat der Gerichtsbarkeit“ zu schaffen, wird im Lichte internationaler Erfahrungen und verfassungsrechtlicher Vorgaben kritisch analysiert und zurückgewiesen. Konkret wird der Vorschlag in Hinblick auf das Prinzip der Gewaltenteilung, auf das Verhältnis von richterlichem zu nicht-richterlichem Personal, Grundsätzen des Haushaltsrecht und die Stellung oberster Organe im B-VG geprüft.

 

Gero Debusmann: „Justizverfassung neu“: „Die Entfesselung der Dritten Gewalt –
Der Geist aus der Flasche“

Der Präsident des Oberlandesgerichts Hamm/Nordrhein-Westfalen setzt sich aus deutscher Sicht mit dem Vorschlag, in Österreich einen Rat der Gerichtsbarkeit einzurichten, auseinander. Ein derartiges Kollegialorgan existiert in Deutschland nicht, seine Einrichtung wurde aber diskutiert und letztlich abgelehnt. Um diese Ablehnung verstehen zu können, wird zunächst der Aufbau der deutschen Justizverwaltung erläutert. Die Bedenken gegen einen „Rat der Gerichtsbarkeit“ gründen in verfassungsrechtlichen und rechtspolitischen Überlegungen, insbesondere zu Unabhängigkeit und Selbstverwaltung der Justiz. Abschließend wird – ebenfalls aus deutscher Sicht – auf andere Reformvorschläge im Österreich-Konvent, welche die Justiz betreffen, eingegangen.

 

Alfred J. Noll: Rechtsschutz neu?

Der Autor versucht eine erste – kursorische – Auseinandersetzung mit dem Bericht des Ausschuss 9 – Rechtsschutz, Gerichtsbarkeit.[1] Zunächst wird nach der grundsätzlichen Bedeutung von Rechts-schutz gefragt. Dieser erste Befund wird einerseits mit der personellen und materiellen Situation der Justiz in Österreich und andererseits mit gesellschaftlichen und rechtlichen Entwicklungen – Stichwort: Entstaatlichung – konfrontiert. Vor diesem Hintergrund scheinen die Ideale des klassi-schen liberalen Rechtsschutzgedankens fragwürdig. Das leitet über zur konkreten Behandlung des Ausschussergebnisses, das gerade in Hinblick auf aktuelle Entwicklungen, z. B. den kommissarischen Rechtsschutz, defizitär erscheint.

 

Franz Merli: Rechtsschutz neu: Die Verwaltungsgerichte

Der Ausschuss 9 hat in seinem Bericht vorgeschlagen, eine dem VwGH vorgeschaltete Verwaltungs-gerichtsbarkeit erster Instanz in Bund und Ländern einzurichten. Dieser Beitrag stellt die erste umfassende Auseinandersetzung mit diesen Vorschlägen dar. Der Autor erläutert das Modell der reformatorischen Entscheidungsbefugnis im Bescheidprüfungsverfahren und thematisiert anschließend Problemfelder, die sich bei der Wahrnehmung von Gestaltungsbefugnissen sowie grob unzureichende verwaltungsbehördliche Erledigungen ergeben. Sodann wird gefragt, wie sich die gewünschte Verfahrensbeschleunigung einstellen kann. Abschließend wird auf Kontrollgegenstände, Klagearten und Urteilsaussprüche eingegangen.

 



[1] Eine längere Fassung ist zeitgleich als Buch erschienen; siehe Alfred J. Noll: „Rechtsschutz neu“ im Österreich-Konvent? Wien: Czernin Verlag 2004.