Rede vor dem Österreich-Konvent (www.konvent.gv.at),
Parlament, Wien
(15.12.2003)
Dr. Helmut GRAUPNER (www.graupner.at)
Präsident des Rechtskomitees LAMBDA (www.RKLambda.at)
Im Jahre 1787 hat Josef II. die Todesstrafe für homosexuelle
Kontakte aufgehoben. Österreich war damit der erste Staat der Welt, der diesen
Schritt gesetzt hat. Aber auch Josef II. konnte sich nicht durchringen,
gleichgeschlechtliche Beziehungen zu entkriminalisieren, wie dies zwei Jahre
danach durch die Französische Revolution und in deren Gefolge in immer weiteren
Teilen Europas der Fall war. Österreich fiel in diesem Bereich vom
fortschrittlichsten Staat der Welt zurück in einen der rückständigsten.[1]
Hatte Josef II. die Strafe auf maximal ein Monat Haft reduziert,
wurden die Strafen von seinen Nachfolgern wieder massiv erhöht. Noch bis 1971
waren gleichgeschlechtliche Kontakte mit schwerem Kerker von mindestens einem
halben Jahr bis zu fünf Jahren bedroht. Und auch nach Aufhebung des
Totalverbots hat Österreich diskriminierende Sonderstrafbestimmungen beibehalten,
von denen die letzte, § 209 Strafgesetzbuch (StGB), erst im Vorjahr aufgehoben
worden ist. In den 21 Jahren seines Bestehens sind allein diesem
antihomosexuellen Strafgesetz, seit 1971, nahezu 2.000 homo- und bisexuelle
Männer zum Opfer gefallen.[2]
§ 209 ist auch nicht ersatzlos aufgehoben worden. Seine Ersatzbestimmung,
§ 207b StGB, unterscheidet zwar vom Wortlaut her nicht mehr auf Grund sexueller
Orientierung, wird aber unverhältnismäßig oft gegen gleichgeschlechtliche
Kontakte angewendet. Zwischen 50 und 100% aller neu eingeleiteten
Gerichtsverfahren nach dieser Bestimmung betreffen homosexuelle Beziehungen.[3]
Das europäische Parlament hat deshalb Österreich erst kürzlich aufgefordert,
diese Diskriminierung in der Vollziehung des § 207b zu beenden.[4]
Gleichgeschlechtlich l(i)ebende Menschen sind, wie es die
Parlamentarische Versammlung des Europarates so treffend formulierte, Opfer
jahrhundertealter Vorurteile.[5]
Homo- und bisexuelle Frauen und Männer gehörten auch zu den Hauptzielgruppen
der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Abertausende von ihnen mussten in
den Konzentrationslagern wegen ihrer sexuellen Orientierung ihr Leben lassen.
Die Zweite Republik setzte die Verfolgung fort; freilich mit anderen Mitteln:
mit Strafverfolgung, Kerker und, oft genug damit verbunden, der Vernichtung der
bürgerlichen Existenz.
Nach der heute ständigen Rechtsprechung des Europäischen
Gerichtshofs für Menschenrechte ist die sexuelle Selbstbestimmung ein zentrales
Schutzgut der Europäischen Menschenrechtskonvention[6]
und Diskriminierung auf Grund sexueller Orientierung inakzeptabel.[7]
Der Gerichtshof erachtet solche Diskriminierung als ebenso
schwerwiegend wie Diskriminierung
auf Grund des Geschlechts, der Religion, der Rasse, Hautfarbe oder der
ethnischen Herkunft[8] und verlangt
für die Rechtfertigung von Differenzierungen auf Grund der sexuellen
Orientierung dementsprechend besonders schwerwiegende Gründe.[9]
Unterschiedliche Regelungen für gleichgeschlechtliche
Lebenssachverhalte einerseits und verschiedengeschlechtliche andererseits
müssen für die Erfüllung eines legitimen Zieles notwendig sein, bloße
Plausibilität, Vernünftigkeit, Sachlichkeit oder die bloße Eignung das Ziel zu
erreichen, genügen nicht. Unterscheidungen sind, wie bei Geschlecht, der
Religion, der Rasse, Hautfarbe und ethnischer Herkunft nur zulässig, wenn diese
Unterscheidungen wirklich notwendig sind.[10]
Vorurteile einer heterosexuellen Mehrheit gegenüber einer
homosexuellen Minderheiten können, wie der Gerichtshof wiederholt festgestellt
hat, ebensowenig eine ausreichende Begründung für Eingriffe in die Rechte homo-
und bisexueller Menschen bieten, wie ähnlich negative Einstellungen gegenüber
Menschen anderer Rasse, Herkunft oder Hautfarbe.[11]
Der Gerichtshof betonte dabei, dass der Gesellschaft auch ein gewisses Maß an
Unannehmlichkeiten zuzumuten ist, um dem Einzelnen ein Leben in Würde und im
Einklang mit seiner sexuellen Identität zu ermöglichen.[12]
Die Aufhebung sämtlicher diskriminierender Bestimmungen ist
mittlerweile eine Voraussetzung für die Aufnahme neuer Mitglieder in den
Europarat[13] und in die
Europäische Union[14], und die
Parlamentarische Versammlung des Europarates hat Diskriminierung auf Grund
sexueller Orientierung wiederholt als „besonders abscheulich“ und als „eine der
abscheulichsten Formen von Diskriminierung“ verurteilt.[15]
Die österreichische Verfassung hingegen kennt bis heute keine
Bestimmung, die es dem Staat ausdrücklich verbietet, auf Grundlage der
sexuellen Orientierung zu diskriminieren. Privaten werden jedoch – durch die
geplanten Gleichbehandlungsgesetze[16]
- ab nächstem Jahr solche Diskriminierungen per Gesetz verboten sein.
Auch in die Diskriminierungsverbote der Bundesverfassung sollte
daher „sexuelle Orientierung“ als geschützte Kategorie aufgenommen werden. So
wie dies bereits in Art. 13 des EG-Vertrages und in Art. 21 der
EU-Grundrechtecharta der Fall ist.
Das sollte schon aus Gründen der Glaubwürdigkeit erfolgen. Damit
sich die Staatsgewalt nicht erlaubt, was sie den Rechtsunterworfenen verbietet.
Aber nicht zuletzt auch aus Verantwortung vor der eigenen unehrenvollen
Geschichte von Verfolgung und Unterdrückung.
[1] Zur historischen Entwicklung siehe ausführlich Helmut Graupner, Sexualität,
Jugendschutz und Menschenrechte:
Über das Recht von Kindern und Jugendlichen auf sexuelle
Selbstbestimmung (Frankfurt/M., Peter Lang, 1997a); Helmut Graupner,
"Von 'Widernatürlicher Unzucht' zu 'Sexueller Orientierung':
Homosexualität und Recht" in Hey, Pallier & Roth (eds.), Que(e)rdenken:
Weibliche/männliche Homosexualität und Wissenschaft (Innsbruck,
Studienverlag, 1997b).
[2] Siehe im Detail Helmut Graupner, Homosexualität & Strafrecht
in Österreich, (Rechtskomitee LAMBDA, Wien, 2002), www.RKLambda.at (Publikationen).
[3] Justizminister Dr. Dieter Böhmdorfer, Parlamentarische
Anfragebeantwortung, 02.09.2003, XXII. GP-NR 660/AB; Justizminister Dr.
Dieter Böhmdorfer, Parlamentarische Anfragebeantwortung, 03.04.2003,
XXII. GP-NR 21/AB;
[4] Europäisches Parlament, Entschließung zur
Lage der Grundrechte in der Europäischen Union (2002), 04.09.2003 (par. 79)
[5] Parlamentarische Versammlung des Europarates, Empfehlung 924
(1981) (par. 3)
[6] L. & V. v. Austria (39392/98, 39829/98), judg.
09.01.2003, par. 36 (« most intimate aspect of private life »); S.L.
v. Austria (45330/99), judg. 09.01.2003, par. 29 (« most intimate
aspect of private life »); Dudgeon vs. UK (7525/76),
judg. 22.10.1981, par. 41,
52; Norris vs. Ireland (10581/83), judg. 26.10.1988
(par. 35ff); Modinos vs. Cyprus (15070/89),
judg. 22.04.1993 (par.
17ff); Laskey, Brown &
Jaggard sv. UK (21627/93;
21826/93; 21974/93) 19.02.1997, par. 36; Lustig-Prean & Beckett
vs. UK (31417/96; 32377/96) (par. 82), 27.09. 1999;
Smith & Grady vs. UK (33985/96; 33986/96),
judg. 27.09.1999 (par. 90); A.D.T. vs. UK (35765/97), judg.
31.07.2000 (par. 21ff); Fretté vs. France (36515/97), judg. 26.02.2002 (par. 32); European Commission of Human
Rights: Sutherland vs. UK 1997 (25185/94), dec. 01.07.1997 (par. 57:
"most intimate aspect of effected individuals 'private life'", also
par. 36: "private life (which includes his sexual life)"
[7] Salgueiro da Silva Mouta vs. Portugal (33290/96),
judg. 21.12.1999
(par. 36)
[8] Lustig-Prean & Beckett vs. UK
(31417/96; 32377/96), judg. 27.09.
1999
(par. 90); Smith & Grady vs. UK (33985/96;
33986/96), judg. 27.09.1999 (par. 97); Salgueiro da Silva Mouta vs. Portugal (33290/96), judg. 21.12.1999 (par. 36); L. &
V. v. Austria (39392/98, 39829/98), judg. 09.01.2003 (par. 45, 52); S.L.
v. Austria (45330/99), judg. 09.01.2003 (par. 37, 44); Karner vs.
Austria, appl. 40016/98 (par. 37);
[9] L. & V. v. Austria (39392/98, 39829/98), judg. 09.01.2003 (par. 45); S.L. v. Austria (45330/99),
judg. 09.01.2003 (par.
37)
[10] Karner
vs. Austria, appl. 40016/98 (par. 41)
[11] Lustig-Prean & Beckett vs. UK (31417/96;
32377/96), judg. 27.09. 1999
(par. 90); Smith & Grady vs. UK (33985/96;
33986/96), judg. 27.09.1999 (par. 97);
L. & V. v. Austria (39392/98, 39829/98), judg. 09.01.2003 (par. 52); S.L.
v. Austria (45330/99), judg. 09.01.2003 (par. 44)
[12] Christine Goodwin vs. UK (28957/95), judg. 11.07.2002 [GC] (par. 91); I. vs. UK (25680/94),
judg. 11.07.2002 [GC] (par. 71)
[13] Parliamentary Assembly of the Council of Europe: Written Declaration No. 227, Febr.
1993; Halonen-Resolution (Order 488 [1993]); Opinion No. 176 (1993); Opinion
221 (2000); http://assembly.coe.int
[13] Opinion 216
(2000); Rec. 1474 (2000) (par. 7) ; In September 2001 the Committee of
Ministers of the Council of Europe assured the Assembly “that it will
continue to follow the issue of discrimination based on sexual orientation with
close attention” (Doc 9217, 21.09.2001).
[14] European Parliament: Urgency Resolution on the Rights of Lesbians
and Gays in the European Union (B4-0824, 0852/98; par. J), 17.09.1998;
Resolution on the Respect of Human Rights within the European Union in 1997
((A4-0468/98; par. 10), 17.12.1998; Resolution on the Respect of Human Rights
within the European Union in 1998/99 (A5-0050/00; par. 76, 77), 16.03.2000; http://www.europarl.eu.int/plenary/default_en.htm
[15] Opinion 216
(2000); Rec. 1474 (2000) (par. 7) ; Im September 2001 hat das Ministerkomitee
des Europarates der Versammlung versichert “that it will continue to follow
the issue of discrimination based on sexual orientation with close attention”
(Doc 9217, 21.09.2001).
[16] Regierungsvorlage betreffend Bundesgesetz,
mit dem das Bundes-Gleichbehandlungsgesetz geändert wird (285 Blg., XII.
GP-NR); Regierugnsvorlage betreffend Bundesgesetz, mit dem ein Bundesgesetz über die
Gleichbehandlung (Gleichbehandlungsgesetz - GlBG) erlassen und das Bundesgesetz
über die Gleichbehandlung von Frau und Mann im Arbeitsleben (Gleichbehandlungsgesetz)
geändert werden (307
Blg., XII. GP-NR)