Grüner Klub im Parlament Wien, 22. Dezember 2004

1017 Wien-Parlament

 

 

 

 

Grüne Dokumente Ö-Konvent

 

Zusammengestellt von Dr Marlies Meyer und Charlotte Ullah

 

 

 

 

 

 

 

Die „Grünen Dokumente Ö-Konvent“ sind eine Sammlung der Ausgangspositionen zum Österreichkonvent und der in den Ausschüssen und im Präsidium schriftlich deponierten Positionen bzw Textvorschläge. Zu ausgewählten Themen wurde in Factsheets die geltende Rechtslage und die Positionierungen aller Fraktionen zum Thema dargestellt. Die Sammlung wird laufend ergänzt. In jedem Dokument ist das Datum der Erstellung bzw Vorlage vermerkt.

 

 

Grüne Mitglieder des Konvents sind:

 

Abg z NR Dr Eva Glawischnig      Präsidium

 

Abg z EP Dr Eva Lichtenberger   Ausschüsse

Staatsaufgaben und Staatsziele (1)

  Demokratische Kontrollen (8)

 

LAbg MMag Dr Madeleine Petrovic   Ausschüsse

       Staatliche Institutionen (3)

Kompetenzen (5)

Finanzverfassung (10)

 

Abg z NR Mag Terezija Stoisits   Ausschüsse

   Grundrechte (4)

  Gerichtsbarkeit und Rechtsschutz (9)

 


 

 

 

Inhaltsverzeichnis

 

A. Positionen. 3

1.  Zentrale Positionen. 3

1.1.           Positionen (erste) zum Österreichkonvent 030630  3

1.2.           Positionen (zentrale) zum Österreichkonvent 031010  4

2.  In den Ausschüssen  9

2.1.1.              Ausschuss 01 Staatsziel Behinderte  9

2.1.2.              Ausschuss 01 Staatsziel Minderheiten  9

2.1.3.              Ausschuss 01 Staatsziel Umweltschutz  9

2.2.1.              Ausschuss 02 Demokratisierung der Außenpolitik  10

2.3.1.              Ausschuss 03 Wahlrecht, Bundesrat etc  17

2.4.1.              Ausschuss 04 Grundrecht Gesundheit/Umwelt 20

2.4.2.              Ausschuss 04 Grundrecht Gleichbehandlung  20

2.4.3.              Ausschuss 04 Grundrecht Volksgruppen  22

2.4.4.              Ausschuss 04 Soziale Grundrechte  22

2.5.1.              Ausschuss 05 Kompetenzen Bund-Länder 24

2.5.2.              Ausschuss 05 Kompetenzverteilung Bund-Länder 26

2.5.3.              Ausschuss 05 Arrondierung Umweltkompetenzen  28

2.5.4.              Ausschuss 05 Kompetenzen Gesundheit 32

2.5.5.              Ausschuss 05 Stellungnahme zu Vorschlag Schnizer 33

2.6.1.              Ausschuss 06 Partizipation  35

2.6.2.              Ausschuss 06 Textvorschlag Partizipationsprinzip  44

2.8.1.              Ausschuss 08 Informationsrecht 45

2.8.2.              Ausschuss 08 Kontrollrechte in Gemeinden  46

2.8.3.              Ausschuss 08 Offenlegung Politikervermögen  47

2.8.4.              Ausschuss 08 Umweltanwaltschaften  49

2.8.5.              Ausschuss 08 Grüne Textvorschläge  50

2.8.6.              Ausschuss 08 TV Wirtschaftliche Unvereinbarkeiten  53

2.9.1.              Ausschuss 09 Rechte von NGO und Anwaltschaften  57

2.9.2.              Ausschuss 09 Verfassungsbeschwerde und Anfechtungsbefugnisse  59

2.9.3.              Ausschuss 09 Organstreitverfahren  61

2.9.4.              Ausschuss 09 Staatshaftung  63

2.10.1.              Ausschuss 10 Finanzverfassung, Haushaltsrecht 66

2.10.2.              Ausschuss 10 Gender Budgeting  71

2.10.3.              Ausschuss 10 Gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht 73

2.10.4.              Ausschuss 10 Transfers  74

3.  Im Präsidium.. 77

3.1.              Präsidium Kompetenzen  77

3.2.              Präsidium Weisungsfreie Organe  78

3.3.              Präsidium Sicherheitspolitik  79

3.4.              Präsidium Gemeinde  80

3.5.              Präsidium TV Offenlegung Parteispenden  88

3.6.              Präsidium TV Einkommensberichte  88

3.7.              Präsidium TV Weisungsfreistellung und Ausgliederung  91

3.8.              Präsidium TV Verfassungsgerichtshofbeschwerde und Anfechtungsbefugnisse  94

3.9.              Präsidium TV Österreich für atomfreie EU  94

3.10.              Präsidium TV zum dritten A2-Bericht (Substanzsicherung, etc) 95

3.11.              Präsidium Vorstellungen zum Endbericht 96

B. Factsheets. 97

1.     Das Amt des Bundespräsidenten/der Bundespräsidentin  97

2.     Der Bundesrat 99

3.       Direkte Demokratie  101

4.     Die Gemeinden  103

 

 


A. Positionen

1.        Zentrale Positionen

1.1.    Positionen (erste) zum Österreichkonvent 030630

Grüne Positionen zum Österreichkonvent

aus Anlass der bevorstehenden konstituierenden Sitzung am 30. Juni 2003

 

Die Konventkonstruktion: Auslagerung der Aufgabe Verfassungsreform

 

Die Grünen begrüßen grundsätzlich die Einsetzung eines Österreich-Konvents, hätten jedoch einem Organ auf der Grundlage der parlamentarischen Geschäftsordnung (Enquete-Kommission) den Vorzug gegeben gegenüber der jetzt gewählten Konstruktion eines Organs sui generis. Nach Ansicht der Grünen hätte primär das Parlament als Verfassungsgesetzgeber eine Verfassungsreform auszuarbeiten. Die sich aus der Sonderkonstruktion ergebende Gestaltungsfreiheit in der Zusammensetzung wurde viel zu wenig zugunsten der Zivilgesellschaft genutzt, vielmehr widerspiegelt sie althergebrachte politische Machtverhältnisse: eine starke Vertretung der Regierung, der Länder und der Sozialpartner, keine VertreterInnen von NGO (der andernorts viel gelobten Bürgergesellschaft), der tatsächliche Anteil an MandatarInnen der Bundesgesetzgebung (NR und BR) liegt bei 15 Prozent. Der große Anteil an ExpertInnen ist positiv zu werten (siehe näher im Anhang).

 

Die Grünen sind mit einem Sitz und somit mit einer Stimme im Präsidium vertreten und mit drei weiteren Mitgliedern im Konvent. Wir verstehen uns einerseits als Aufpasserinnen in diesem Prozess, andererseits werden wir gewisse Themen (siehe nächste Seite) aktiv einbringen.

 

Gefahren des Konvents: Der schnelle und billige Staat

 

Unsere demokratischen Spielregeln dürfen nicht dem Sparstift zum Opfer fallen.

Aufgrund des Gründungspapiers, des Koalitionsübereinkommens und sonstiger Äußerungen wird besondere Achtsamkeit hinsichtlich folgender Entwicklungen angebracht sein:

 

·                Festschreiben eines “Schlanken Staats” in der Verfassung

·                Abbau demokratischer und rechtsstaatlicher Standards unter dem Blickwinkel des Kostenarguments und einer “raschen Entscheidung”

·                Aufweichung des Legalitätsprinzip (mehr Macht der Verwaltung, weil Gesetze nicht mehr so präzise sein müssen)

·                Verankerung des Mehrheitswahlrechts

·                Aufwertung des Bundesrates durch absolutes Vetorecht auch bei einfachen Gesetzen

·                Verkleinerung des Nationalrats

 

Wenn das vereinbarte Konsensprinzip beachtet wird, hat jedes Mitglied des Konvents, die Möglichkeit,  ihm nicht einsichtige Lösungen abzulehnen und damit zu verhindern, dass sie in den Endbericht, den neuen Verfassungstext, aufgenommen werden. Das “verordnete” Eilzugstempo und die unterschiedliche infrastrukturelle Ausstattung der Konventsmitglieder schaffen jedoch eine Schieflage zuungunsten der Oppositionsparteien.

 

Chancen im Konvent

 

Die Grünen werden sich vor allem um eine Verbesserung

 

·                von Grundrechten ( zB Aufnahme eines Grundrechts auf gesunde Umwelt, eines Grundrechts auf Grundsicherung, Ausbau des Gleichbehandlungs-grundrechts, ua um Gender Mainstreaming zu sicherzustellen),

·                des Rechtsschutzes und der BürgerInnenrechte gegenüber der Verwaltung – Bürgerbeteiligung (zB Entlastung des Verwaltungsgerichtshofes durch echte Landesverwaltungsgerichte, transparente Verwaltung, Staatshaftung bei Säumigkeit),

·                der politischen Minderheitenrechte (zB Einsetzung von Untersuchungsausschüssen durch die parl. Minderheit, Mindeststandards für die Länder in der Bundesverfassung – Stichwort 10 Prozent-Klausel in Kärnten),

·                der direktdemokratischen Instrumente (zB kein Verfall des Volksbegehrens mit Ende der Legislaturperiode) und

·                der Rahmenbedingungen für einen einheitlichen Umweltschutz auf hohem Niveau in Österreich (zB Grundsatzgesetzgebung des Bundes für Naturschutz, Bundesgesetzgebungskompetenz für Tierschutz, Kompetenzgrundlage für ein Einheitliches Anlagenrecht des Bundes,  Informations- und Kontrollrechte des Bundesgesetzgebers gegenüber der Landesverwaltung im Fall der Abschaffung der mittelbaren Bundesverwaltung)

 

einsetzen.

 

 

 

1.2.    Positionen (zentrale) zum Österreichkonvent 031010

Entwurf für ein Grünes Positionspapier zum Österreichkonvent

Vorgelegt am EBV, 10. 10.2003

Glawischnig, Meyer, Ehrnhöfer,

Das Papier beinhaltet Eckpfeiler und ist daher natürlich nicht abschließend.

 

Demokratie ist das beständige Bemühen, die Ausübung von Macht nur auf der Grundlage und in den Schranken der Gewaltenteilung und der Grundrechte zu dulden. Die Gesellschaft muss um Demokratie kämpfen, wenn sie sie bewahren will, muss sie erneuern, wenn sie sie stärken will. Der Neoliberalismus sieht den Staat als bloße Behinderung des Marktes und betreibt unter dem Deckmantel der “Abschlankung” den Umbau dieses Staates – vom Garanten einer sozialen und ökologischen Verträglichkeit zum reinen Sicherheitsstaat.[1]

 

Der Staat hat im Verständnis der Grünen die Aufgabe, humane gesellschaftliche Rahmenbedingungen zu garantieren. Der neoliberalen Forderung nach dem Rückzug des Staates aus seinen sozialen und kulturellen Aufgaben erteilen die Grünen eine klare und deutliche Absage. Dem gleichzeitig erschallenden Ruf nach einem starken Staat, wenn es um polizeiliche Befugnisse, militärische Aufrüstung oder Perfektionierung von Überwachung und Kontrolle der BürgerInnen geht, treten die Grünen entschieden entgegen.

 

In Österreich hat Demokratie keine Tradition – weil sie nur eine kurze Geschichte hat: Von einer Minderheit erkämpft, scheint sie der Mehrheit der Bevölkerung nach dem Zerfall der Monarchie bzw. dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus quasi “von selbst” entstanden zu sein. Deshalb ist das politische System Österreichs geprägt von einem tiefen Misstrauen gegenüber dem/r BürgerIn als politisches Subjekt. Der Bürger und die Bürgerin sind hierzulande nur formal der Souverän, zwischen den Wahlterminen gelten sie lediglich als KonsumentInnen. So erscheinen in Österreich die Parlamente als Vollzugsorgane der Regierungen – wie auch die gesamte mediale Öffentlichkeit nicht als Ort der Debatte, sondern bloß des Kommentars erscheint und die politische Auseinandersetzung als reiner Parteienstreit.[2]  Wir Grünen fühlen uns als Partei der Zivilgesellschaft verpflichtet und wollen eine Stärkung der Parlamente als verfassungs- und gesetzgebende Instanz. Darüber hinaus hat der Staat Raum für demokratische Prozesse zu schaffen, die nicht nur auf der Ebene der Stellvertretung (Parlament), sondern unter Einbeziehung der Zivilgesellschaft stattfinden sollen.

 

Die Bausteine einer Grünen Verfassungsreform bauen auf den Säulen Demokratisierung, Kontrolle, Partizipation, soziale und ökologische Sicherheit, Gleichheit und Rechtsschutz auf. Eine neues Verhältnis zwischen Bund, Ländern und Gemeinden soll nicht nur den Anforderungen der europäischen Integration auf Basis der neuen EU-Verfassung, sondern auch den Erfordernissen eines modernen Bundesstaates entsprechen. 

 

1. Demokratisierung

 

Ziel der Grünen ist es, durch das Wahlrecht Demokratisierungsprozesse voranzutreiben und eine möglichst umfassende Partizipation der in Österreich lebenden und daher von politischen Entscheidungen betroffenen Personen an der politischen Willensbildung zu erreichen.

 

·         Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre zu verweisen (Antrag 116/A, XXI. GP).

·         Stärkung des Prinzips des Verhältniswahlrechts durch verfassungsrechtliche Absicherung einer (max) 4%-Klausel in Bund und Ländern.

·         Wahlrecht (auf kommunaler Ebene) für MigrantInnen aller Staatsangehörigkeiten.

·         Briefwahl/e-voting

 

“Demokratie wagen” bedeutet, einen Ausbau direktdemokratischer Instrumente zu wagen.

 

 

In der Verfassungswirklichkeit sind die Parteien Träger der politischen Willensbildung und Gestaltung. Die Grünen bekennen sich zur öffentlichen Parteienfinanzierung. Die zusätzliche Finanzierung durch Kleinspenden ist zu befürworten, bei Großspenden besteht die Gefahr politischer Einflussnahme, sodass diese zumindest transparent gemacht werden müssen Die StaatsbürgerInnen haben ein Anrecht darauf zu wissen, von wem die Parteien Geld erhalten. Durch die Beschränkung der Wahlwerbekosten wird verhindert, dass der politische Wettbewerb zugunsten finanzstarker Parteien verzerrt wird und Wahlkämpfe immer teurer werden.

 

 

Zum Amt des/r BundespräsidentIn

 

Österreich wurde 1918/20 als parlamentarische Republik eingerichtet. 1929 erfolgte die Umwandlung in eine "Präsidentschaftsdemokratie". Diese Umwandlung wurde lediglich in der Staatenpraxis nicht nachvollzogen. Sie käme dem freiheitlichen Konzept einer "Dritten Republik" (die dadurch gekennzeichnet ist, dass sie Führungsfunktionen der Regierung gegenüber parlamentarischen Vertretungskörpern aufwertet) nahe. Das Amt des/r österreichischen BundespräsidentenIn stellt somit eine tickende "staatsrechtliche Zeitbombe" dar: Es wäre jederzeit möglich, dass ein Bundespräsident seine verfassungsrechtlichen Kompetenzen wahrnimmt und seine Stellung (gerade in Krisenzeiten) zu einer autoritären Führungsfunktion ausbaut. Zu hinterfragen ist daher insbesondere “totes Verfassungsrecht” wie zB das Recht zur Auflösung des Nationalrates, die Ernennung des Bundeskanzlers, die Einberufung des Nationalrates zu Tagungen und die Privilegierung des Bundespräsidenten hinsichtlich seiner rechtlichen Verantwortung mit dem Ziel der Stärkung der Stellung des gewählten Kollegialorgans Nationalrat gegenüber dem monokratischen Organ BundespräsidentIn:

2. Kontrolle

 

Die politischen Kontrollrechte stellen nach wie vor auf einen nicht existenten Gegensatz von Parlament und Regierung ab. Die Kontrolle wird jedoch ausschließlich von den parlamentarischen Minderheiten wahrgenommen. Dem ist Rechnung zu tragen.

 

 

Die Bundesverfassung sollte bestimmte Mindestkontrollstandards etablieren, die von den Bundesländern zu beachten sind, aber auch überschritten werden können.

 

 

Die politische und finanzielle Kontrolle muss auch über Dienstleistungen, die von Dritten im öffentlichen Interesse erbracht werden, gegeben sein.

 

 

Das Parlament sollte vermehrt an bedeutsamen Fragen der Vollziehung mitwirken.

 

 

Aufgrund der schon weit gediehenen Verländerung des Vollzugs ist ein bundeseinheitlicher Standard durch eine weisungsfreie Bundes-Umweltanwaltschaft sicherzustellen, die in Kooperation mit den Bürgerinitiativen, den NGO und den Landesumweltanwaltschaften tätig wird.

 

3. Partizipation

 

Voraussetzung jeder Beteiligung an staatlichen Entscheidungen ist die Information. Wir wollen einen transparenten Staat.

 

4. Soziale und ökologische Sicherheit

 

Der Staat ist für die soziale Sicherheit verantwortlich. Neben institutionellen Garantien kommt den Grundrechten hier eine besondere Bedeutung zu.

 

 

Der Staat ist für die ökologische Sicherheit verantwortlich. Neben institutionellen Garantien kommt den Grundrechten hier eine besondere Bedeutung zu.

 

5. Gleichheit

 

Der liberale Ansatz, die Gleichheit aller vor dem Gesetz zu gebieten, greift zu kurz. Er führt dazu, dass Benachteiligungen nicht verstärkt werden, aber trägt zu wenig zu ihrer Beseitigung bei. Der Gleichheitsgrundsatz muss so gestaltet sein, dass Gleichheit durch das Gesetz zu fördern ist.

 

6. Rechtsschutz

 

Der Rechtsschutz in Verwaltungsangelegenheiten ist derzeit nur am Papier voll gewährleistet. Die Unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern sind nicht immer unabhängig im materiellen Sinne ausgestaltet. Der Verwaltungsgerichtshof ist so überlastet, dass manche Verfahren mitunter bis zu vier, fünf Jahre dauern.

 

 

Die Beachtung der Grundrechte durch die ordentlichen Gerichte lässt zu wünschen übrig. Fußt eine Entscheidung auf verfassungswidrigem Gesetz, so kann der Betroffene eine Vorlage des Gesetzes an den Verfassungsgerichtshof nicht erzwingen. Im Unterschied zum Verwaltungsweg, wo der Betroffene den verfassungswidrigen Bescheid direkt beim VfGH bekämpfen kann, dann ein Gerichtsurteil nicht beim Verfassungsgerichtshof wegen verfassungsrechtlicher Bedenken bekämpft werden. Wie die Rechtssprechung des Menschenrechtsgerichtshofes in Straßburg zeigt (zB zum Begriff der Lebensgemeinschaft), dass es sehr wohl Gerichtsurteile gibt, die nicht grundrechtskonform sind. Zu beachten ist dabei auch, dass viele Angelegenheiten, die vormals Verwaltungsangelegenheiten sind, von Gerichten entschieden werden (zB Sozialgerichtsbarkeit und Karenzgeld).

 

 

Der Beitritt zur Europäischen Union hat Österreich Normen beschert, die über dem Verfassungsrecht stehen. Der Europäische Gerichtshof kann von Einzelnen, die von staatlichen Entscheidungen in Umsetzung der EU-Richtlinien betroffen sind, nicht angerufen werden.

Neues Verhältnis Bund – Länder - Gemeinden

 

Österreich ist ein Bundesstaat und soll ein Bundesstaat bleiben. Gleichwohl ist aufgrund des Beitritts zur Europäischen Union eine neue Arbeitsteilung zwischen den Gebietskörperschaften angesagt. Es ist erneut ein Anlauf zu unternehmen, den nicht mehr zeitgerechten Kompetenzkatalog zu adaptieren, damit auf die neuen Problemlagen mit überschaubaren Regelungen reagiert werden kann.

 

 

Wenn die Gesetzgebungskompetenzen des Bundes ausgeweitet werden, so ist die Mitwirkung der Landtage an der Bundesgesetzgebung zu stärken:

 

 

Davon unabhängig ist die Institution Bundesrat einer Überprüfung zu unterziehen. Der Bundesrat sollte die Länderinteressen bei der Bundesgesetzgebung wahrnehmen. Sollte es nicht gelingen, eine Konstruktion zu finden, die den Bundesrat zu einem eigenständigen politischen Faktor macht – ohne die Unregierbarkeit der Republik herbeizuführen –, so wäre eine Abschaffung der Institution die einzig sinnvolle und ehrliche Option. Eine bloße Aufwertung via generelles absolutes Vetorecht ohne grundlegende Reform lehnen die Grünen jedenfalls ab. Bei jeder Reform ist auf eine strikte Trennung von Exekutive und Legislative zu achten.

 

 

Die Gemeinden sind als bürgernächste Institutionen aufzuwerten, wobei auch die Gefahr der Interessenskollisionen aufgrund dieser Bürgernähe zu beachten ist.

Finanzausgleich

 

Aufgaben- , Ausgaben und Finanzierungsverantwortung in der Finanzverfassung klaffen derzeit auseinander (Beispiel LandeslehrerInnen). Die österreichischen Bundesländer verfügen – verglichen mit anderen Gliedstaaten eines Bundesstaates- kaum über die Möglichkeit eigene Steuern einzuheben. Die Ertragsanteile an bestimmten Bundesabgaben werden zur Zeit nach dem abgestuften Bevölkerungsschlüssel verteilt. Dieser ist zu pauschal. Die verschiedenen Aufgabenstellungen, die unterschiedlichen Wirkungen und die unterschiedlichen Kosten der Leistungserstellung je Einheit lassen sich heute nicht mehr mit einer einzigen Maßgröße abbilden 

 

·                Steuerhoheit für die Länder in Bereichen in denen dies mit einem bundesweit einheitlichen Wirtschaftsraum vereinbar ist und kein innerösterreichischer “Standortwettbewerb” ausgelöst wird;

·                Stärkung der Finanzkraft der Gemeinden – Reform des Verteilschlüssels des Finanzausgleichs

 

 


 

2.    In den Ausschüssen

2.1.1.    Ausschuss 01 Staatsziel Behinderte

Vorschlag Lichtenberger/Leutner zu Staatsziel betr. behinderter Menschen/21. Jänner 2004

 

Die Republik (Bund, Länder und Gemeinden) ist verpflichtet, die Gleichstellung von behinderten und nicht behinderten Menschen in allen Bereichen des täglichen Lebens zu gewährleisten. Sie sorgt für die gerichtliche Durchsetzung von Vorschriften zum Schutz behinderter Menschen.

 

 

 

2.1.2.    Ausschuss 01 Staatsziel Minderheiten

 

Abg. Dr. Eva Lichtenberger/Staatsziel Minderheiten 27. Jänner 2004

 

Statt „Die Republik (Bund, Länder und Gemeinden) bekennt sich zu ihrer gewachsenen sprachlichen und kulturellen Vielfalt, die in den autochthonen Volksgruppen zum Ausdruck kommt. Sprache und Kultur, Bestand und Erhaltung dieser Volksgruppen sind zu achten, zu sichern und zu fördern.“

 

soll es heißen:

 

„Der Republik Österreich bekennt sich zu ihrer gewachsenen sprachlichen und kulturellen Vielfalt. Diese Vielfalt ist zu achten, zu bewahren, zu fördern und zu schützen.“

 

 

 

2.1.3.    Ausschuss 01 Staatsziel Umweltschutz

 

Diskussionsvorschlag Lichtenberger zu Staatsziel Umweltschutz 12. Jänner 2004

 

(1)            Der Staat schützt die Umwelt. Er bewahrt Mensch, Tier, Pflanze und ökologische Systeme vor vermeidbaren nachteiligen Einwirkungen und verbessert ihre Lebensgrundlagen und Bedingungen. Die Nutzung natürlicher Ressourcen ist auf ein dauernd aufrecht erhaltbares Niveau zu beschränken.

(2)            Maßnahmen entsprechen den Grundsätzen der Vorsorge und Vorbeugung und dem Grundsatz, Umweltbeeinträchtigungen mit Vorrang an ihrem Ursprung zu bekämpfen. Die Kosten der Vermeidung und Beseitigung von Beeinträchtigungen tragen die Verursacher und Verursacherinnen.

(3)            Der Staat bezieht die Öffentlichkeit effektiv in die Umweltpolitik ein, indem er ihr Informations- und Beteiligungsrechte und das Recht auf gerichtliche Durchsetzung von Vorschriften zum Schutz der Umwelt einräumt. Der Bund und die Länder richten Umweltanwaltschaften zur unabhängigen Wahrung der Umweltschutzvorschriften ein.

(4)            Bund, Länder und Gemeinden sichern den freien Zugang zur Natur, insbesondere zu Bergen, Seen und Flüssen und sonstigen landschaftlichen Schönheiten. Trinkwasserreserven und diesbezügliche Nutzungsrechte verbleiben im öffentlichen Eigentum.

 

Begründung:

 

Folgende Personen/Institutionen haben im Zuge der Konventsberatungen Textvorschläge zum Staatsziel Umweltschutz vorgelegt:

Umweltdachverband, Raschauer, AK, Aubauer (unter Bezugnahme auf Pernthaler), Merli.

 

Abs 1 legt eine Schutzpflicht fest. Eine enge Interpretation des Umweltschutzes wird verunmöglicht, der Ressourcenschutz und die Verbesserung der Umwelt ausdrücklich aufgetragen. Der letzte Satz ist Ausdruck des Nachhaltigkeitsprinzips und entspricht dem Vorschlag Aubauer.

Abs 2 entspricht Art 174 Abs 2 zweiter Satz EGV. Der Maßnahmenbegriff ist umfassend hoheitlich und privatwirtschaftlich zu verstehen. Das Verursacherprinzip ist konkretisiert wie in Art 74 Abs 2 der Schweizer Verfassung.

Abs 3 erster Satz entspricht den Vorgaben der Aarhus-Konvention, das Wort „effektiv“ ist im Sinne Art 9 Abs 4 der Konvention zu verstehen: Die Verfahren sollen fair, gerecht, zügig und erschwinglich sein. Die Umweltanwaltschaften werden im Sinne einer Institutionengarantie erwähnt.

Abs 4 ist an Art 141 Bayrische Verfassung (Freier Zugang zu Naturschönheiten) angelehnt, beinhaltet aber auch ein Veräußerungsverbot für öffentliche Trinkwasserreserven. Davon unberührt bleiben die Trinkwasservorkommen, die derzeit in privater Hand stehen.

 

Die Frage der „Inkorporierung“ des AtomBVG und des aktuellen Volksbegehrenstextes zum AtomBVG wäre in Absprache mit Ausschuss 2 zu entscheiden.

 

 

 

2.2.1.    Ausschuss 02 Demokratisierung der Außenpolitik

 

Dr. Franz Leidenmühler

Gutachten und Textvorschläge

vorgelegt von Marlies Meyer im Ausschuss 2 Wien, 11. Oktober 2004

 

Zur Reform des Art. 50 B-VG

Gegen eine weitere Entdemokratisierung der Außenpolitik

Stellungnahme

 

Inhaltsübersicht

 

            Aufgabenstellung

I. Ausgangssituation: Der Status quo

a) Art. 50 B-VG idgF.

b) Würdigung

II.          Der Änderungsvorschlag

a) Der Vorschlag v. 8. Juli 2004

aa) Regelungsbedarf

bb) Der Vorschlag

b) Würdigung

aa) Kritik 1: Weitere Entdemokratisierung der Außenpolitik

bb) Kritik 2: Legistische Ausgestaltung

III. Zwischenergebnis

IV. Zum Vorschlag des Vorbehalts eines Genehmigungs- bzw. Zustimmungsrechts durch den Nationalrat bzw. Bundesrat

            a) Der Ergänzungsvorschlag

            b) Würdigung

V. Lösungsvorschlag

            a) Vorschlag

            b) Kommentierung

 

Aufgabenstellung

 

Im Zuge der Beratungen des Ausschuss II “Legistische Strukturfragen“ des Österreich-Konvents wird erwogen, Art. 50 B-VG zu ergänzen, um dieserart die Problematik der in multilateralen völkerrechtlichen Verträgen fallweise vorgesehenen vereinfachten Vertragsänderungsverfahren einer befriedigenden verfassungsrechtlichen Lösung zuzuführen. Im Auftrag des Grünen Klubs im Parlament soll im folgenden eine Würdigung des vorläufigen Beratungsergebnisses vorgenommen werden. Insbesondere ist die vorgeschlagene Lösung dabei im Lichte der Wahrung der parlamentarischen Mitwirkungs- und Informationsrechte zu beleuchten.

 

I. Ausgangssituation: Der Status quo

 

a) Art. 50 B-VG idgF.

 

Gemäß Art. 50 Abs. 1 B-VG bedarf der Abschluss politischer, gesetzändernder oder gesetzesergänzender völkerrechtlicher Verträge der vorangehenden Genehmigung durch den Nationalrat. Zu den letzten beiden Gruppen gehören auch die völkerrechtlichen Verträge verfassungsändernden oder verfassungsergänzenden Inhalts.[3]

Soweit ein genehmigungspflichtiger völkerrechtlicher Vertrag Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Länder regelt, bedarf er überdies der Zustimmung des Bundesrates.

 

b) Würdigung

 

Art. 50 B-VG ist zwar mit “Mitwirkung des Nationalrates und des Bundesrates an der Vollziehung des Bundes“ betitelt, bei der Genehmigung gesetz- bzw. verfassungsergänzender und -ändernder völkerrechtlicher Verträge handelt es sich jedoch materiell um legislative Tätigkeit, schließlich haben verfassungsändernde völkerrechtliche Verträge den Rang und die daran geknüpften Rechtswirkungen von Bundesverfassungsgesetzen und gesetzändernde völkerrechtliche Verträge den Rang von einfachen Bundesgesetzen, also etwa auch Gesetzescharakter iSv. Art. 18 Abs. 1 und 2 B-VG.[4]

Diesem legislativen Charakter des Abschlusses von Staatsverträgen korreliert aber nach dem System des B-VG keine entsprechende umfassende Kompetenz des Parlamentes bei der Erzeugung dieser Normen. Nationalrat und Bundesrat sind an der Erzeugung von Rechtsnormen der Rechtssatzform “völkerrechtlicher Vertrag“ nicht kreativ – etwa schon an der Vorbereitung und Aushandlung – beteiligt, sondern nur sanktionierend. Der in Art. 50 Abs. 1 B-VG verwendete Begriff der “Genehmigung“ als Bedingung des Eintritts der rechtlichen Verbindlichkeit bestimmter völkerrechtlicher Verträge macht deutlich, dass das Parlament einen ihm vorgelegten völkerrechtlichen Vertrag nur entweder insgesamt ablehnen oder dessen Abschluss mit oder ohne Erfüllungsvorbehalt genehmigen kann. Die Einflussnahme auf den Inhalt eines solchen Vertrages ist nicht möglich. Vielmehr kommen Nationalrat und Bundesrat erst am Endpunkt einer mitunter umfangreichen außenpolitischen Aktivität der Bundesregierung zum Zug, sofern sich diese in einem Vertrag konkretisiert hat, und auch dann nur ohne gestalterische Einflussmöglichkeit.

Diese nicht sehr umfangreiche Ausgestaltung der Kompetenzen des österreichischen Nationalrates und Bundesrates, wie im übrigen diejenigen vieler Parlamente anderer Staaten im Zusammenhang mit dem Abschluss völkerrechtlicher Verträge, ist historisch darauf zurückzuführen, dass die Außenpolitik traditionell die Prärogative des Monarchen war. Zwar brachte die mit der zunehmenden Demokratisierung verbundene Aufwertung der Parlamente insgesamt auch eine Reduktion der Allmacht der Monarchen bei der Gestaltung der Außenpolitik ihrer Staaten – so enthielten schon Verfassungen des 19. Jhdts. das Modell der parlamentarischen Genehmigung der vom Monarchen geschlossenen völkerrechtlichen Verträge –, doch hat sich daran im Grunde genommen bis heute nichts mehr geändert.[5]

Neben dieser bloßen Genehmigungs- bzw. Ablehnungskompetenz im Zusammenhang mit dem Abschluss völkerrechtlicher Verträge ist auch die Möglichkeit der Einflussnahme auf das Wirken der Bundesregierung in Internationalen Organisationen begrenzt. So unterliegt etwa das Abstimmungsverhalten von Regierungsvertretern in den Organen der Internationalen Organisationen keiner Kontrolle durch das Parlament, wenn dies nicht gesondert gesetzlich verankert wurde.

So hat etwa gemäß Art. 23 e B-VG das zuständige Mitglied der Bundesregierung den Nationalrat und den Bundesrat unverzüglich über alle Vorhaben im Rahmen der EU zu unterrichten und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Im Zuge einer solchen Stellungnahme können sowohl der Nationalrat als auch der Bundesrat dem jeweiligen Mitglied der Bundesregierung auch Vorgaben für das Abstimmungsverhalten erteilen, von denen nur unter zwingenden Umständen abgewichen werden darf, worüber aber unverzüglich Bericht zu erstatten ist. Damit hat das Parlament immerhin im Rahmen der EU-Politik die Möglichkeit, auch gestalterisch zu intervenieren.

 

In vielen Fällen gewährleistet aber lediglich das so genannte “Misstrauensvotum“ gemäß Art. 74 Abs. 1 B-VG den Zusammenhalt zwischen den Zielvorstellungen der Mehrheit der Abgeordneten im Nationalrat und der Tätigkeit der Bundesregierung im außenpolitischen Bereich. Ansonsten bleibt der eigentliche Souverän im parlamentarisch-demokratischen System, die Bürgerinnen und Bürger, vertreten durch die Abgeordneten, ungehört.

 

Diesen wie dargelegt ohnehin schon sehr schwach ausgestalteten Mitwirkungsmöglichkeiten des Parlaments droht nunmehr eine weitere Verschlechterung durch den vorliegenden Änderungsvorschlag.

 

II. Der Änderungsvorschlag

 

a) Der Vorschlag v. 8. Juli 2004[6]

 

aa) Regelungsbedarf

 

Zahlreiche multilaterale völkerrechtliche Verträge enthalten neben einem ordentlichen Vertragsänderungsverfahren auch ein so genanntes vereinfachtes Vertragsänderungsverfahren, wonach durch schlichten Beschluss der Organe oder der Vertragspartner Teile des Vertrages abgeändert werden können.

Sieht ein solches vereinfachtes Vertragsänderungsverfahren einen Mehrheitsbeschluss vor – besteht also keine Blockademöglichkeit durch Österreich – so wird dies von der österreichischen Praxis als durch Art. 9 Abs. 2 B-VG abgedeckte Übertragung von Hoheitsrechten angesehen[7] und auf eine Genehmigung des Vertrags im Verfassungsrang verzichtet. Kann ein solcher Beschluss aufgrund eines Einstimmigkeitserfordernisses aber von Österreich blockiert werden, so wird eine Verfassungsbestimmung bei Genehmigung des Vertrages für erforderlich erachtet, um vom Erfordernis der parlamentarischen Genehmigung künftiger (vereinfachter) Vertragsänderungen, die aus Zeitgründen nicht möglich ist, zu dispensieren.[8]

Nach Überzeugung der Mitglieder des Ausschuss II sollte eine neue Bundesverfassung für die vereinfachten Vertragsänderungsverfahren hinreichend Spielraum lassen. Da im Hinblick auf die mögliche Verankerung eines Inkorporationsgebots in der neuen Verfassung künftig Verfassungsbestimmungen im Zusammenhang mit völkerrechtlichen Verträgen möglichst zu vermeiden sind, schlägt der Ausschuss II eine generell-abstrakte Lösung durch Ergänzung der Bestimmungen über die parlamentarische Genehmigung von Staatsverträgen in Art. 50 B-VG vor.

 

bb) Der Vorschlag

 

Die vom Ausschuss II vorgeschlagene Ergänzung des Art. 50 B-VG um einen Abs. 2 a lautet:

 

Soweit ein Staatsvertrag zu seiner Änderung ermächtigt, bedarf eine derartige Änderung keiner Genehmigung nach Abs. 1“.

 

b) Würdigung

 

aa) Kritik 1: Weitere Entdemokratisierung der Außenpolitik

 

Hintergrund der Rechte des Nationalrates bzw. des Bundesrates aufgrund von Art. 50 B-VG ist, zu verhindern, dass auf einem Umwege – nämlich durch die Schaffung von neuem Recht im Wege eines völkerrechtlichen Vertrages – die Rechtslage verändert und dieserart das Gesetzgebungsmonopol des Nationalrates als der gewählten Volksvertretung ausgehöhlt wird.[9]

Der vorliegende Änderungsvorschlag verleiht dagegen der Bundesregierung mit dem Argument der “Schaffung von Spielraum [...] für vereinfachende Instrumente, die im Rahmen des international Üblichen liegen“[10] im Bereich der vereinfachten Vertragsänderungsverfahren einen gänzlich unbegrenzten Freiraum.

Sofern nicht speziell verankert, ist – wie ausgeführt – eine rechtlich geregelte Einflussnahme des Parlaments auf die Willensbildung im Vorfeld nicht möglich, und nach dem vorliegenden Text soll nun auch das Erfordernis der Genehmigung ohne Möglichkeit einer Einzelfallprüfung entfallen.

Damit wäre für weite Bereiche eine verbindliche Einflussnahme das Nationalrates und des Bundesrates auf die Erzeugung von in Österreich geltenden Rechtsnormen nicht mehr möglich, ja nicht einmal eine Unterrichtung der beiden Organe über in vereinfachten Verfahren vorgenommene Vertragsänderungen ist im Vorschlag vorgesehen.

 

Nach derzeit geltender Verfassungsrechtslage entscheidet sich der Nationalrat in jedem Einzelfall mit qualifizierter Mehrheit[11] – sozusagen in einem bewussten Akt durch den Erlass einer Verfassungsbestimmung – für den Verzicht auf sein Genehmigungserfordernis im Falle vereinfachter Vertragsänderungsverfahren. Damit ist es einer qualifizierten Minderheit (1/3 + 1) der Abgeordneten möglich, zu verhindern, dass sich das Parlament seiner Gesetzgebungshoheit, niedergeschlagen im Genehmigungserfordernis, partiell begibt.

Der vorliegende Vorschlag dagegen sieht einen generellen Genehmigungsverzicht durch den Nationalrat und auch den Bundesrat vor. Eine Entscheidung im Einzelfall käme dem Parlament nicht mehr zu. Wollte der Nationalrat im Falle einer Realisierung dieser Verfassungsänderung künftig seine Gesetzgebungshoheit wahren, bliebe ihm nur die generelle Nichtgenehmigung eines völkerrechtlichen Vertrages, der ein vereinfachtes Vertragsänderungsverfahren enthält. Einer qualifizierten Minderheit wäre es dann aber nicht mehr möglich, auf die Vorgehensweise Einfluss zu nehmen.

 

Durch diesen generell-abstrakten Verzicht auf das Genehmigungserfordernis im Falle vereinfachter Vertragsänderungsverfahren würden sich der Nationalrat und der Bundesrat der Rechtsnormerzeugungshoheit in möglicherweise ganz zentralen Bereichen begeben, wie folgende Beispiele zeigen sollen.

 

So wäre etwa nach derzeit in Geltung stehendem Gemeinschaftsrecht der Übergang der EU zu einem Verteidigungsbündnis in einem vereinfachten Vertragsänderungsverfahren zu beschließen (vgl. Art. 17 Abs. 1 EUV).

Und nach dem – noch nicht in Geltung stehenden – künftigen Verfassungsvertrag für eine Europäische Union könnten überhaupt alle Änderungen “betreffend die internen Politikbereiche der Union“ in einem vereinfachten Vertragsänderungsverfahren beschlossen werden (vgl. Art. IV-7b Verfassungsvertrag). Diese in einem solchen vereinfachten Verfahren zu ändernden Bereiche des Teil III Titel III des Verfassungsvertrages sind beispielsweise sämtliche Vertragsbestimmungen über den Binnenmarkt (Grundfreiheiten, Wettbewerbsrecht, Steuerliche Vorschriften), die Wirtschafts- und Währungspolitik, sowie eine Reihe anderer Politiken wie etwa Beschäftigung, Landwirtschaft, Umwelt oder Energie, und nicht zuletzt die Bestimmungen über die justitielle und polizeiliche Zusammenarbeit.

Zwar enthalten sowohl Art. 17 EUV als auch Art. IV-7b des Verfassungsvertrages einen Hinweis auf die Zustimmung der Mitgliedstaaten im Einklang mit ihren jeweiligen Verfassungsbestimmungen – doch sähen gerade diese nach der Ergänzung um den vorgeschlagenen Art. 50 Abs. 2 a B-VG keine Einbindung des Nationalrates und des Bundesrates mehr vor!

Auch die im Ausschuss II erwogene lex specialis im B-VG für künftige Änderungen der Verträge über die Europäische Union[12] würde nach der derzeit vorliegenden Formulierung für die im vereinfachten Verfahren vorgenommenen Vertragsänderungen keine Anwendung finden. In der Textierung des Ausschussberichts werden durch den betreffenden Artikel zwar Art. 50 Abs. 2 und 3 für nicht anwendbar erklärt,[13] es fehlt aber ein diesbezüglicher Ausschluss für Art. 50 Abs. 2 a. Wird ein solcher nicht ergänzt, so fände die Regelung über den Entfall der Genehmigung vereinfachter Vertragsänderungen auch im Bereich der die EU begründenden Verträge Anwendung.

Eine weiteres Beispiel für eine weittragende Möglichkeit der Vertragsänderung in einem vereinfachten Verfahren soll aus dem Bereich der WTO entnommen werden. Gemäß Art. X Abs. 8 WTO-Übereinkommen 1994 können durch schlichten (konsensuellen[14]) Beschluss der Ministerkonferenz die Vorschriften über das Streitbeilegungsverfahren geändert werden.

 

Alleine diese Beispiele lassen den völligen Verzicht auf die parlamentarische Genehmigung von in vereinfachten Verfahren herbeizuführenden Änderungen völkerrechtlicher Verträge im Hinblick auf die erforderliche Wahrung der Gesetzgebungshoheit von Nationalrat und Bundesrat inakzeptabel erscheinen.

 

bb) Kritik 2: Legistische Ausgestaltung

 

Neben einer materiellen Kritik des Änderungsvorschlages im Lichte der Wahrung der parlamentarischen Mitwirkungsrechte ist hinsichtlich seiner legistischen Ausgestaltung noch eine – sicherlich nicht in der Intention der Verfasser liegende – vom Wortlaut des Änderungsvorschlages aber mit umfasste Auslegungsalternative aufzuzeigen, die zu geradezu dramatischen Konsequenzen führt.

Der Wortlaut der von Ausschuss II vorgelegten Formulierung (“Soweit ein Staatsvertrag zu seiner Änderung ermächtigt“) erfasst nämlich nicht nur die so genannten vereinfachten Vertragsänderungsverfahren, sondern sämtliche Änderungsverfahren, mithin auch die ordentlichen, die in völkerrechtlichen Verträgen vorgesehen sind.

So wäre etwa auch das derzeit geltende allgemeine Vertragsänderungsverfahren des EU-Vertrages (Art. 48 EUV) ein Anwendungsfall für den Art. 50 Abs. 2 a B-VG in der vorgelegten Fassung, da auch durch diese Bestimmung in dem dort vorgesehenen Verfahren ein “Staatsvertrag zu seiner Änderung ermächtigt“. Selbst der Hinweis in Art. 48 EUV auf das Erfordernis der Ratifizierung durch die Vertragsstaaten “gemäß ihren verfassungsrechtlichen Vorschriften“ würde nicht zum Erfordernis einer Genehmigung durch den Nationalrat führen, da eben die österreichischen verfassungsrechtlichen Vorschriften (in concreto Art. 50 Abs. 2 a B-VG) diese ausschließen.

Aus diesem Grunde bedarf der vorgelegte Änderungsvorschlag einer sprachlichen Präzisierung, um tatsächlich nur die so genannten vereinfachten Vertragsänderungsverfahren zu erfassen.

 

Vorschlag:

 

Soweit ein Staatsvertrag zu seiner Änderung in einem vereinfachten Verfahren ermächtigt, bedarf eine derartige Änderung keiner Genehmigung nach Abs. 1“.

 

 

III. Zwischenergebnis

 

Das derzeit in Geltung stehende Erfordernis der “Genehmigung“ völkerrechtlicher Verträge durch den Nationalrat beziehungsweise der möglicherweise – mit qualifizierter Mehrheit – vorgenommene Verzicht auf eine solche Genehmigung im Falle eines in einem bestimmten Vertrag vorgesehenen vereinfachten Vertragsänderungsverfahrens stellen ein demokratiepolitisches Minimum an parlamentarischer Mitwirkung an der Herbeiführung der innerstaatlichen rechtlichen Verbindlichkeit völkerrechtlichen Vertragsrechts dar.

Eine darüber hinausgehende verfassungsrechtliche generell-abstrakte Präsumption eines Verzichts der gesetzgebenden Organe auf die nach der geltenden Rechtslage im Falle vereinfachter Vertragsänderungsverfahren zumindest mögliche Herbeiführung einer dem Einzelfall adäquaten Lösung, stellte eine Konterkarierung demokratisch getragener Außenpolitik dar.

 

IV.                  Zum Vorschlag des Vorbehalts eines Genehmigungs- bzw. Zustimmungsrechts

durch den Nationalrat bzw. Bundesrat

 

a) Der Ergänzungsvorschlag

 

Nach dem Ergänzungsvorschlag einiger Mitglieder des Ausschuss II[15] könnte zur Wahrung der parlamentarischen Mitwirkungsrechte die Änderung so ausgestaltet werden, dass sich Nationalrat und Bundesrat im Einzelfall ihr Genehmigungsrecht auch im Falle von Änderungen völkerrechtlicher Verträge in einem vereinfachten Verfahren vorbehalten können.

 

Art. 50 Abs. 2 a B-VG sollte demnach lauten:

 

Soweit ein Staatsvertrag zu seiner Änderung [in einem vereinfachten Verfahren] ermächtigt, bedarf eine derartige Änderung keiner Genehmigung nach Abs. 1 [, es sei denn, dass sich der Nationalrat oder der Bundesrat dies vorbehält]“.

 

b) Würdigung

 

Ein solcher Vorbehalt sollte nach der Auffassung seiner Protagonisten ähnlichen Regeln unterliegen wie ein Erfüllungsvorbehalt nach Art. 50 Abs. 2 B-VG.[16] Damit wäre die Intention dieses Vorschlags, dass im Falle eines entsprechenden Vorbehalts durch den Nationalrat oder Bundesrat die im Zuge des vereinfachten Vertragsänderungsverfahrens beschlossenen Änderungen unabhängig von ihrem völkerrechtlichen Inkrafttreten grundsätzlich zunächst keinerlei innerstaatlichen Rechtswirkungen hätten. Erst nach Genehmigung durch den Nationalrat käme den Änderungen Wirkung im innerstaatlichen Bereich zu.

Was sich Nationalrat und Bundesrat vorbehalten können sollen, wäre also ein Genehmigungsrecht im Nachhinein.

Diese hinter dem Ergänzungsvorschlag stehende Intention findet aber keine Entsprechung in der vorgeschlagenen Textierung:

Nach dem Wortlaut des Ergänzungsvorschlags soll es dem Nationalrat bzw. dem Bundesrat offenstehen, sich “eine Genehmigung nach Abs. 1” (arg.: die Verwendung von “dies” im Ergänzungstext verweist auf den ersten Satzteil) vorzubehalten.

Diese Genehmigung nach Art. 50 Abs. 1 B-VG hat aber dem Abschluss des völkerrechtlichen Vertrages voranzugehen, also vor dem Eingehen der völkerrechtlichen Verpflichtung zu erfolgen, um eine Völkerrechtsverletzung im Falle der Nichtgenehmigung zu vermeiden.

Ein entsprechendes Genehmigungsrecht im Ergänzungsvorschlag wäre daher als ein Recht zur Genehmigung von Vertragsänderungen ebenfalls vor Beschlussfassung des Organs bzw. der Gesamtheit der Mitgliedstaaten eines multilateralen Vertrages, der die Kompetenz zur Vertragsrevision im vereinfachten Verfahren übertragen wurde, zu verstehen – und nicht als ein Genehmigungsrecht im Nachhinein, wie von den Verfassern des Ergänzungsvorschlags wohl intendiert.

 

Das entscheidende Problem dieses Ergänzungsvorschlags liegt jedoch im Bereich jener vereinfachten Vertragsänderungsverfahren, die eine Entscheidung durch Mehrheitsbeschluss vorsehen.

Eine Genehmigung wäre in diesem Falle technisch regelmäßig nur im Nachhinein möglich, im Falle der Versagung der Genehmigung wäre aber durch Österreich bereits eine völkerrechtliche Bindung eingegangen worden, deren Umsetzung in die innerstaatliche Rechtsordnung dann jedoch unterbliebe. Denn dann stellte sich die Frage nach den Konsequenzen eines allfälligen Unterbleibens der innerstaatlichen Genehmigung von völkerrechtlich bereits in Kraft getretenen Änderungen. Aus diesem Grunde wurde zu Recht von der überwiegenden Ansicht im Ausschuss II die vom Ergänzungsvorschlag angestrebte Wahrung der parlamentarischen Genehmigungsbefugnisse in jenen Konstellationen als problematisch erachtet, in denen eine Vertragsänderung durch Mehrheitsbeschluss erfolgen und daher auch ohne Zustimmung Österreichs zustande kommen kann.[17]

 

V. Lösungsvorschlag

 

a) Vorschlag

 

Basierend auf den dargelegten Erwägungen wird nunmehr ein eigener Vorschlag für eine Ergänzung des Art. 50 B-VG um zwei neue Absätze vorgelegt:

 

Art. 50 Abs. 2 a

“Soweit ein Staatsvertrag zu seiner Änderung in einem vereinfachten Verfahren ermächtigt, bedarf eine derartige Änderung keiner Genehmigung nach Abs. 1, es sei denn, dass sich der Nationalrat oder der Bundesrat dies vorbehält. Ein solcher Vorbehalt ist nicht möglich bei Staatsverträgen, die zu ihrer Änderung in einem vereinfachten Verfahren durch Mehrheitsbeschluss ermächtigen.”

 

Abs. 2 b

“Das zuständige Mitglied der Bundesregierung hat den Nationalrat und den Bundesrat unverzüglich über alle Vorhaben zu Änderungen von Staatsverträgen gemäß Abs. 2 a zu unterrichten und ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.”

 

b) Kommentierung

 

Falls sich der Nationalrat und/oder der Bundesrat die Genehmigung einer in einem vereinfachten Verfahren, das Einstimmigkeit vorsieht, herbeigeführten Vertragsänderung vorbehalten, so kann daraus keine Diskrepanz zwischen völkerrechtlicher Verpflichtung und innerstaatlicher Umsetzung resultieren. Da eine solche Genehmigung gemäß Art. 50 Abs. 1 B-VG vor der österreichischen Zustimmung im vereinfachten Verfahren zu erfolgen hat, wird eine völkerrechtliche Verpflichtung ohne entsprechende Genehmigung gar nicht eingegangen.

Bei vereinfachten Vertragsänderungsverfahren dagegen, die einen Mehrheitsbeschluss vorsehen, soll nach hier präsentiertem Vorschlag kein Genehmigungsvorbehalt möglich sein. Eine Genehmigung wäre in diesem Falle regelmäßig ohnehin nur im Nachhinein möglich – und daher keine Genehmigung iSd Art. 50 Abs. 1 –, zudem bestünde die Gefahr einer Diskrepanz zwischen völkerrechtlicher Verpflichtung und innerstaatlicher Umsetzung im Falle der Nichtgenehmigung, wie auch schon von Mitgliedern des Ausschusses II festgestellt wurde.[18]

Haben der Nationalrat bzw. der Bundesrat Bedenken aufgrund der Tragweite von in vereinfachten Vertragsänderungsverfahren mit Mehrheitsentscheidung möglicherweise herbeigeführten Weiterentwicklungen des Vertrags, so bleibt nur der Nichtabschluss des betreffenden völkerrechtlichen Vertrags.

Durch die in Art. 50 Abs. 2 b vorgesehene Informationspflicht wird schließlich sichergestellt, dass Nationalrat und Bundesrat über Vorhaben zu Vertragsänderungen im vereinfachten Verfahren sowohl im Falle der vorgesehenen Einstimmigkeit als auch des Mehrheitsbeschlusses unterrichtet werden und, falls nicht in ersterem Falle ohnehin die Genehmigung vorbehalten wurde, zumindest Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten.

 

 

 

2.3.1.    Ausschuss 03 Wahlrecht, Bundesrat etc

 

Mag. Dr. Madeleine Petrovic

Klubobfrau der Grünen im NÖ Landtag    Wien, am 26. September 2003

 

Grüne Arbeitsunterlage für den Konventausschuss Nr.3

 

Für die weitere Arbeit im Ausschuss werden die grünen Positionen anhand des Mandats fürs Erste wie folgt umrissen:

 

I) Bund

1)              Legislative

a)              Nationalrat

bb) Wahlen zum Nationalrat

 

Ziel der Grünen ist es, durch das Wahlrecht Demokratisierungsprozesse voranzutreiben und eine möglichst umfassende Partizipation der in Österreich lebenden und daher von politischen Entscheidungen betroffenen Personen an der politischen Willensbildung zu erreichen. In diesem Zusammenhang ist auf die Gesetzesinitiative zur Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre zu verweisen (Antrag 116/A, XXI. GP).

 

Stärkung des Prinzips des Verhältniswahlrechts durch verfassungsrechtliche Absicherung einer (max) 4%-Klausel in Bund und Ländern.

 

Grüne Position zur Briefwahl: Zustimmung zur Briefwahl nur nach einer ausführlichen Diskussion über notwendige begleitende Maßnahmen sowie der bestmöglichen Verhinderung von Missbrauch und Schutz der verfassungsmäßigen Prinzipien der geheimen und persönlichen Wahl.

 

cc) Organisation

 

Zur Hebung des Frauenanteils im Nationalrat soll die Möglichkeit der Zurücklegung eines Mandats aus Anlass der Geburt eines Kindes bis zu einem Zeitraum von 6 Monaten geschaffen werden. Die Regelung soll auch für Väter gelten. Näheres siehe im Initiativantrag Petrovic et al zur Änderung von Art 56 B-VG vom 26. 4. 1995, Nr. 236/A.

 

b)              Bundesrat

 

Der Bundesrat sollte die Länderinteressen bei der Bundesgesetzgebung wahrnehmen. Sollte es nicht gelingen, eine Konstruktion zu finden, die den Bundesrat zu einem eigenständigen politischen Faktor macht – ohne die Unregierbarkeit der Republik herbeizuführen –, so wäre eine Abschaffung der Institution die einzig sinnvolle und ehrliche Option. Eine bloße Aufwertung via generelles absolutes Vetorecht ohne grundlegende Reform lehnen die Grünen jedenfalls ab. Bei jeder Reform ist auf eine strikte Trennung von Exekutive und Legislative zu achten.

 

Die Grünen erstatten hiefür folgenden Vorschlag:

 

Der Bundesrat (neu) setzt sich aus Landtagsabgeordneten zusammen. Die Aufteilung der Bundesratssitze auf Länder und Parteien erfolgt wie bisher nach dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit. Um die politische Repräsentativität des Organs zu erhöhen soll die Anzahl der Bundesratssitze erhöht werden (Erhöhung der Bürgerzahl gemäß Art 34 B-VG). Es gilt das freie Mandat. Der Bundesrat (neu) tagt nur zu Grundsatzthemen (Verfassungsgesetze, die Länderinteressen wesentlich berühren) und hat hier – wie bisher – das absolute Vetorecht. Die Mitwirkung an einfachen Bundesgesetzen erfolgt durch ein Gesetzesinitiativ- und Stellungnahmerecht der Landtage. Zusätzlich dient der Bundesrat (neu) der (unverbindlichen) länderübergreifenden Akkordierung von Landtagsangelegenheiten (Landesgesetzgebung etc).

 

Eine Alternative wäre auch:

 

Direktwahl der Bundesräte aufgrund einer Persönlichkeitswahl, innere Gliederung nach Ländern. Ergänzung der bisher nachgeschalteten Mitwirkung an der Bundesgesetzgebung durch vorgeschaltete Stellungnahmerechte zu Grundsatzthemen.

 

c)              Weg der Bundesgesetzgebung

 

Die Positionen zu den direktdemokratischen Instrumenten werden in Ausschuss 8, Demokratische Kontrollen, eingebracht.

 

2)              Exekutive

 

a)              Bundespräsident

 

Stärkung der Stellung des gewählten Kollegialorgans Nationalrat gegenüber dem monokratischen Organ Bundespräsident: zu hinterfragen wäre insbesondere “totes Verfassungsrecht” wie zB das Recht zur Auflösung des Nationalrates, die Ernennung des Bundeskanzlers, die Einberufung des Nationalrates zu Tagungen und die Privilegierung des Bundespräsidenten hinsichtlich seiner rechtlichen Verantwortung.

 

b)              Bundesregierung –

 

II) Länder

 

1)              Legislative/Landtage

 

Zu untersuchen wäre das unterschiedliche Verhältnis von Mandaten zur Bevölkerungszahl (Wahlzahl) in den Bundesländern. Allfällige Schlussfolgerungen wären nach der Erhebung zu ziehen.

 

2)              Exekutive/Landesregierung

 

Übergang zum Majorzprinzip bei gleichzeitigem Ausbau der Minderheitenrechte im Landtag.

 

III) Gemeinden

 

1)              bundesverfassungsgesetzliche Regelungen über die kommunale Selbstverwaltung

 

Die Stellung der Gemeinden als bürgernächste Gebietskörperschaft sollte ausgebaut werden.

 

Wahlrecht (auf kommunaler Ebene) für MigrantInnen aller Staatsangehörigkeiten, siehe Antrag 112/A, XXII. GP.

 

2)              Gemeindeverbände

 

insbesondere

 

a)              “Aktivierung” des Art 120 B-VG (Gebietsgemeinden)?

 

Die Ebene der Bezirksverwaltungsbehörden ist die einzige Ebene staatlicher Verwaltung, die über keine "parlamentarische" Legitimation verfügt! Schon der Verfassungsgesetzgeber der ersten Republik hat eine Lösung dieses Problems versprochen.

 

Eine Aufarbeitung entsprechender historischer Initiativen und Prüfung auf ihre Umsetzbarkeit wäre erforderlich.

 

IV) Bund, Länder und Gemeinden gemeinsam betreffende Fragen

 

3)              Neue Formen der Kooperation zwischen Bund, Ländern und Gemeinden

 

a)              Art 15a B-VG – Vereinbarung – self executing?

 

Die spezielle Transformation von Gliedstaatsverträgen gewährleistet den Einfluss des Gesetzgebers auf die Norm sowie bietet den betroffenen BürgerInnen Publizität und Rechtsschutz (indirekte Bekämpfbarkeit der Norm). Aus diesem Blickwinkel sollten Gliedstaatsverträge nicht self executing sein. Würde man Gliedstaatsverträge als eigene Rechtsquelle im Sinne von  Staatsverträgen nach Art 50 B-VG geschaffen, so bliebe noch immer das Problem, dass bei Ratifikation von innerstaatlichen Verträgen keine inhaltlichen Änderungen durch die Parlamente vorgenommen werden könnten. Dieser weiteren Schwächung der Parlamente kann nichts abgewonnen werden.

 

Vielmehr sollte die Notwendigkeit zum Abschluss von Verträgen zur Lösung von Problemen durch Neuordnung der Kompetenztatbestände und neue Instrumente für das  Zusammenwirken der Gesetzgebungsorgane von Bund und Ländern gemildert werden.

 

V) Verfassungsautonomie

 

Insbesondere

 

a)              bundesverfassungsgesetzliche Vorgaben für die Länder

 

Wahlen: Wie schon unter Punkt Wahlen zum Nationalrat erwähnt, sollte verfassungsrechtlich sichergestellt werden, dass Wahlparteien, die 4% der Stimmen erhalten, jedenfalls im Gesetzgebungsorgan vertreten sind. Dem einfachen Gesetzgeber sollte natürlich die Festlegung eines geringeren Prozentsatzes unbenommen bleiben. Diese Regelung sollte auch für die Länder gelten.

 

Eine allfällige Änderung der bundesverfassungsrechtlichen Vorgaben wird auch in Zusammenhang mit den Antrags- und Interpellationsrechten von parlamentarischen Minderheiten bzw den direktdemokratischen Instrumenten zu überlegen sein. Diesbezügliche Vorstellungen werden im Ausschuss 8 eingebracht werden.

 

VI) Verhältnis zwischen Gesetzgebung und Vollziehung (Legalitätsprinzip, EU-Rechtssetzung)

 

Insbesondere

 

a)              Neuformulierung des Artikel 18 B-VG?

b)              Erfordernis der gesetzlichen Umsetzung von EU-Richtlinien?

 

Von einer Lockerung des Legalitätsprinzips halten die Grünen nichts, da es Ausdruck des demokratischen und des rechtsstaatlichen Prinzips ist. Staatliches Handeln muss für die Betroffenen vorhersehbar und notfalls auch einklagbar sein, dies ist bei bloßen Zielbestimmungen nur schwer möglich. Die generellen Normsetzungen des Staates sollen einer öffentlichen Diskussion unterliegen, was nur durch eine Beschlussfassung in den Parlamenten gewährleistet ist. Statt einer Lockerung des Legalitätsprinzips wäre über eine quasi Verschärfung des Legalitätsprinzips in der Art zu diskutieren, dass die Untätigkeit der Behörde eher als jetzt Haftungskonsequenzen nach sich zieht. Völlig inakzeptabel ist auch der Vorschlag, dass EU-Richtlinien im Verordnungswege durch die Verwaltung umgesetzt werden. Schon allein aus dem Grund, da sich immer die Frage stellt, ob bloß der europäische Minimalkonsens für Österreich maßgeblich sein soll oder vielmehr die nationalen Spielräume (zB zugunsten eines hohen Umweltschutzniveaus) genützt werden sollten.

 

VII) Mitwirkung österreichischer Organe an der Ernennung von Mitgliedern von Organen der Europäischen Union (Art 23 c B-VG)

 

Die Mitwirkung des Nationalrates an Akten Österreichs im Rahmen der europäischen Union sollte an die geänderte EU-Rechtslage angepasst werden. Mitwirkungsrechte nach diesem Vorbild sollten auch in anderen Bereichen der Außenpolitik und internationaler Organisationen geschaffen werden.

 

 


 

2.4.1.    Ausschuss 04 Grundrecht Gesundheit/Umwelt

 

Abg z NR Dr Terezija Stoisits          12.12.2003

 

Grundrecht auf Gesundheit

 

Grüner Entwurf

 

Artikel 1

 

(1) Jeder Mensch hat das Recht auf Achtung seiner Gesundheit.

 

(2) Bei einer Gefahrdung oder Beeinträchtigung der Gesundheit durch staatlich geregeltes Handeln steht den Betroffenen ein Recht auf Einhaltung der zum Schutz der Gesundheit erlassenen generellen Normen zu. Jeder Mensch hat das Recht, dies in einem Verfahren durchzusetzen.

 

(3) Das Grundrecht auf Gesundheit umfasst das Recht der Betroffenen auf ein Tätigwerden des Verordnungsgebers, ist eine Gefährdung oder Beeinträchtigung der Gesundheit schwerwiegend, auch das Recht auf ein Tätigwerden des säumigen Gesetzgebers.

 

Artikel 2

 

Eine Gesundheitsanwaltschaft hat das Recht, bei Verstößen gegen das Grundrecht auf Gesundheit wie die Betroffenen Beschwerde zu erheben. Die Einrichtung, die näheren Rechte und Pflichten der Gesundheitsanwaltschaft sind in einem besonderen Gesetz zu regeln.

 

Artikel 3

 

Der Staat hat die Pflicht, Mittel für die weitere Erforschung der Ursachen - Wirkungszusammenhänge im Bereich der Umweltmedizin bereitzustellen.

 

 

 

2.4.2.    Ausschuss 04 Grundrecht Gleichbehandlung

 

Stoisits        16. Februar 2004

Gleichheit A3

 

Grüner Vorschlag:

 

Artikel X1: Gleichheit vor dem Gesetz

 

Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.

 

Artikel X2. Nichtdiskriminierung

(1) Jede Form von Diskriminierung, zum Beispiel wegen der Geburt, des Geschlechts, der sexuellen Orientierung, der Rasse, der Hautfarbe, der genetischen Merkmale, einer Behinderung, des Alters, der ethnischen oder sozialen Herkunft, der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit, der Sprache, der Religion, der Weltanschauung, der politischen oder sonstigen Anschauung, des Vermögens oder der sozialen Stellung, ist verboten.

 

Artikel X3

Gleichheit von Männern und Frauen

(1) Bund, Länder, Gemeinden und alle sonstigen Selbstverwaltungskörper verpflichten sich zur tatsächlichen Gleichstellung von Frauen und Männern, zur Erreichung der Geschlechterparität in allen Bereichen sowie zu Maßnahmen zur Förderung der tatsächlichen Gleichstellung. Zur Erfüllung dieser Verpflichtungen haben die Gebietskörperschaften und Selbstverwaltungskörper die Auswirkungen ihrer Tätigkeiten auf Frauen einerseits und Männer andererseits bei jeder ihrer Maßnahmen, insbesondere im Bereich der Gesetzgebung und Vollziehung, und als Träger von Privatrechten iSd [Artikel 17 B-VG], zu überprüfen (Geschlechterverträglichkeitsprüfung).

 

(2) Jede Frau hat das Recht auf tatsächliche Gleichstellung. Im Falle bestehender Ungleichheiten hat jede Frau ein Recht auf Förder- und Ausgleichsmaßnahmen.

 

(3) Zur wirksameren Wahrnehmung der Interessen an der Beseitigung bestehender Ungleichheiten und zur Durchführung von Förder- und Ausgleichsmaßnahmen sind Möglichkeiten einer wirksamen Rechtsdurchsetzung, einschließlich der Anrufung des Verfassungsgerichtshofes, auch für Verbände, Vereinigungen und Einrichtungen, deren Wirkungskreis sich auch auf die Herbeiführung der Geschlechtergleichheit bezieht, vorzusehen.

 

(4) Amtsbezeichnungen sind in der Form zu verwendenn, die das Geschlecht des Amtsinhabers oder der Amtsinhaberin zum Ausdruck bringt. Gleiches gilt für Titel, akademische Grade und Berufsbezeichnungen.

 

Artikel X4.

Der Staat ergreift geeignete Maßnahmen zur Beseitigung bestehender Diskriminierungen und zur Vorbeugung weiterer Diskriminierungen.

 

Artikel Z1. (1) Menschen mit Behinderung haben Anspruch auf Maßnahmen, die tatsächliche Benachteiligungen beseitigen und die volle Entfaltung ihrer Persönlichkeit durch Ausbildung, Arbeit und Teilnahme am politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Leben der Gemeinschaft ermöglichen.

(2) Hörbehinderte Menschen (Gehörlose, Ertaubte und Schwerhörige) und sprachbehinderte Menschen haben das Recht, die Gebärdensprache oder lautsprachbegleitende Gebärden zu verwenden.

 

Artikel Z2. 

Variante 1:

(1) Kinder haben Anspruch auf Schutz und Fürsorge für ihr Wohlergehen und auf bestmögliche individuelle Entfaltung. Sie können ihre Meinung frei äußern. Ihre Meinung wird in den Angelegenheiten, die sie betreffen, in einer ihrem Alter und ihrem Reifegrad entsprechenden Weise berücksichtigt.

(2) Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere Misshandlungen sind verboten.

(3) Kinderarbeit ist verboten.

(4) Der Staat achtet den Anspruch auf regelmäßige persönliche Beziehungen und direkte Kontakte zu beiden Elternteilen, es sei denn, dies steht dem Wohl des Kindes entgegen.

(5) Bei allen Kinder betreffenden Maßnahmen öffentlicher oder privater Einrichtungen muss das Wohl des Kindes im Vordergrund stehen.

 

Variante 2:

Übernahme des Übereinkommens über die Rechte des Kindes in die österreichische Rechtsordnung im Verfassungs- bzw. Gesetzesrang.

(siehe Beilage)

 

Artikel Z3. Ältere Menschen haben Anspruch auf ein würdiges und unabhängiges Leben, auf Teilnahme am sozialen und kulturellen Leben und auf Pflege.

 

 


 

2.4.3.    Ausschuss 04 Grundrecht Volksgruppen

 

Terezija Stoisits Wien, 30.1.2004

Synopse: Verfassungsrechtlicher Volksgruppenschutz

 

Textvorschlag

Art x: Minderheitenschutzartikel

 

(1) Jeder Mensch hat einen Anspruch auf Achtung seiner Sprache und Kultur. Die Volksgruppen und ihre Angehörigen haben einen Anspruch auf besondere Förderung und Sicherung ihres Bestandes, ihrer Sprache und ihrer Kultur. Das Bekenntnis zu einer Volksgruppe ist frei. Keinem Angehörigen einer Volksgruppe darf durch die Ausübung oder Nichtausübung der ihm zustehenden Rechte ein Nachteil erwachsen.

 

(2) Die Volksgruppen und ihre Angehörigen haben Anspruch auf Kindergartenerziehung und Schulunterricht in öffentlichen Pflichtschulen in der jeweiligen Volksgruppensprache in ihrem Siedlungsgebiet und außerhalb dieses bei einem nachhaltigen Bedarf. Weiters haben sie einen Anspruch auf eine verhältnismäßige Anzahl von öffentlichen höheren Schulen und auf Einrichtung einer eigenen Schulaufsicht. Die Volksgruppen haben ergänzend einen Anspruch auf angemessene Förderung von privaten Kindergärten und Privatschulen, die der Pflege ihrer Sprache und Kultur dienen.

 

(3) Die Volksgruppen und ihre Angehörigen haben im gemischtsprachigen Gebiet einen Anspruch auf Gebrauch der jeweiligen Volksgruppensprache als zusätzliche Amtssprache im Verkehr mit Verwaltungsbehörden und Gerichten sowie im öffentlichen Leben; außerhalb dieses Gebietes haben sie Anspruch auf angemessene Erleichterungen zum Gebrauch der jeweiligen Volksgruppensprache. Die zusätzliche Amtssprache kann im gemischtsprachigen Gebiet von jeder Person gebraucht werden. Die Volksgruppen haben im gemischtsprachigen Gebiet einen Anspruch auf zweisprachige topographische Bezeichnungen und Aufschriften.

 

(4) Die Volksgruppen haben einen Anspruch auf einen angemessenen Anteil an öffentlichen Mitteln als finanzielle Volksgruppenförderung aus dem Budget des Bundes sowie aus den Budgets der Länder und Gemeinden, in denen sich gemischtsprachige Gebiete befinden.

 

(5) Vereinigungen oder Vertretungskörper, die ihrem rechtlichem Zweck nach Volksgruppeninteressen vertreten und für die betreffende Volksgruppe repräsentativ sind, haben das Recht die auf diesen Artikel gegründeten Rechte der betreffenden Volksgruppe vor Gerichten und Verwaltungsbehörden geltend zu machen. Die Rechte der Angehörigen der Volksgruppen bleiben davon unberührt.

 

 

 

2.4.4.    Ausschuss 04 Soziale Grundrechte

Entwurf

eines Kataloges für

soziale, wirtschaftliche und kulturelle Rechte

 

vorgelegt von den Grünen

im Ausschuss 4 (Grundrechte) des Österreich-Konvents     am 27. April 2004

 

Artikel 1. (1) Jeder Mensch hat das Recht auf materielle und infrastrukturelle Grundversorgung.

(2) Der Staat hat die Pflicht, Armut zu bekämpfen.

 

Artikel 2. (1) Jeder Mensch hat das Recht auf soziale Sicherheit.

(2) Der Staat gewährleistet dieses Recht durch Einrichtung öffentlicher sozialer Sicherungssysteme.

 

Artikel 3.  Jeder Mensch hat das Recht auf Schutz der Gesundheit, also auf Schutz vor Gesundheitsbeeinträchtigungen und auf Gesundheitsversorgung.

 

Artikel 4. Jeder Mensch hat ein Recht auf gesunde Lebensmittel und gesunde Lebensumstände.

 

Artikel 5.  Jeder Mensch hat das Recht auf Wohnen.

 

Artikel 6. (1) Jeder Mensch hat das Recht auf Arbeit zu menschenwürdigen, sicheren, gesunden und gerechten Bedingungen.

(2) Der Staat gewährleistet dieses Recht, indem er sicherstellt:

1. ein angemessenes und gleiches Entgelt für gleichwertige Arbeit;

2. angemessene Beschränkungen der Arbeitszeit, einschließlich Erholungszeiten;

3. angemessene Arbeitsruhe, insbesondere auch an Sonn- und gesetzlichen Feiertagen;

4. Jahresurlaub in einer Dauer, die der gesellschaftlichen Entwicklung angemessen ist;

5. berufliche Aus- und Weiterbildung;

6. Schutz vor unangemessener Inanspruchnahme der Arbeitskraft;

7. besonderer Schutz von Jugendlichen und von Schwangeren und Müttern sowie Vätern am Arbeitsplatz, soweit erforderlich auch durch  Beschäftigungsverbote, sowie durch einen wirksamen Schutz vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses während eines angemessenen Zeitraums vor und nach der Geburt;

8. Fortzahlung des Arbeitsentgelts für angemessene Zeit bei Verhinderung an der Arbeitsleistung aus wichtigen Gründen;

9. Schutz vor ungerechtfertigter Beendigung oder Unterbrechung des Arbeitsverhältnisses;

10. Schutz vor herabwürdigender Behandlung, Diskriminierung und Belästigung am Arbeitsplatz.

(3) Jeder Mensch hat Anspruch auf unentgeltliche Arbeitsvermittlung, Berufsberatung , auf Maßnahmen zur beruflichen und sozialen Wiedereingliederung sowie auf sonstige Maßnahmen der Arbeitsmarktpolitik.

(4) ArbeitnehmerInnen haben das Recht auf Vertretung ihrer Interessen gegenüber der ArbeitgeberIn. Eine angemessene Mitbestimmung in personellen, wirtschaftlichen und sozialen Angelegenheiten ist gewährleistet.. Gewählte VertreterInnen sind vor Benachteiligungen wegen Ausübung dieses Rechts wirksam zu schützen.

 

Artikel 7. (1) Unselbständige und Selbständige haben das Recht, sich freiwillig zur Vertretung ihrer Interessen zusammenzuschließen und Vereinigungen zu bilden.

(2) Sie können kollektive Maßnahmen zur Durchsetzung der Interessen ihrer Mitglieder ergreifen.

(3) Solche Vereinigungen und gesetzliche Interessensvertretungen haben das Recht, im Rahmen der Gesetze alle Angelegenheiten der Arbeitswelt durch Kollektivvertrag verbindlich zu regeln.

 

Artikel 8. (1) Jeder Mensch hat das Recht auf Vereinbarkeit von Beruf und Familie.

(2) Der Staat gewährleistet dieses Recht, indem er sicherstellt:

1. eine den Bedürfnissen von Müttern, Vätern sowie Kindern entsprechende Gestaltung der Arbeitsbedingungen;

2. einen Anspruch auf angemessene Elternkarenz, Pflegeurlaub und Sterbekarenz einschließlich eines wirksamen Schutzes vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses;

3. ein dem Bedarf entsprechendes Angebot an Kinderbetreuung sowie Alten- und Krankenpflege.

4. einen angemessenen Ausgleich für ein wegen der Betreuung entfallendes Erwerbseinkommen und eine Unterstützung bei der Tragung der Familienlasten.

 

Artikel 9. (1) Jeder Mensch hat das Recht auf Bildung.

(2) Der Staat gewährleistet dieses Recht durch Einrichtung öffentlicher Kindergärten, Schulen, Universitäten und Fachhochschulen und durch finanzielle Unterstützung solcher Institutionen in freier und gemeinnütziger Trägerschaft sowie von Bildungsanstalten.

(3) Der Staat hat den Zugang zur Bildung unabhängig vom Einkommen zu gewährleisten, eine kostenfreie Erstausbildung ist sicherzustellen. Der Besuch öffentlicher Schulen ist unentgeltlich.

(4) Jede Person hat das Recht, unter Achtung der demokratischen Grundsätze und der Menschenrechte nach eigenen pädagogischen Überzeugungen und Zielvorstellungen Privatschulen zu errichten und zu betreiben sowie häuslichen Unterricht zu erteilen.

 

Artikel 10. (1) Jeder Mensch hat Anspruch auf Zugang zu Infrastruktur und sonstigen Leistungen von allgemeinem Interesse.

(2) Der Staat gewährleistet dieses Recht, indem er die Leistungen selbst erbringt oder die Erbringung durch Private zu gleichen und fairen Bedingungen, in angemessener Qualität und zu erschwinglichen Preisen sicherstellt.

 

Artikel 11. (1) Jeder Mensch hat Anspruch auf Schutz als KonsumentIn.

(2) Der Staat gewährleistet dieses Recht, indem er die Information, die Sicherheit, die Gesundheit und die legitimen wirtschaftlichen Interessen der Konsumenten durch wirksame Maßnahmen schützt.

 

Artikel 12 . (1) Wer sich in einem Grundrecht verletzt erachtet, hat das Recht auf wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz.

(2) Der Verfassungsgerichtshof stellt auf Antrag eines/einer Betroffenen oder einer Einrichtung nach Abs. 4 fest, ob der Bundes- oder Landesverordnungsgeber oder bei schwerwiegenden Verstößen der Bundes- oder Landesgesetzgeber untätig geblieben ist.

(3) Wer durch rechtswidriges Verhalten (Handeln oder Unterlassen) in Ausübung der Gesetzgebung und Vollziehung der Gesetze Schaden erleidet, hat Anspruch auf Entschädigung nach den Bestimmungen des bürgerlichen Rechts.

(4) Einrichtungen, die nach ihrem rechtlichen Zweck zum Schutz von Grundrechten oder zur Vertretung grundrechtlich geschützter Interessen berufen sind, ist das Recht einzuräumen, gegen behauptete Verletzungen der betreffenden Grundrechte Beschwerde einzulegen. Näheres bestimmt das Gesetz.

 

 

 

2.5.1.    Ausschuss 05 Kompetenzen Bund-Länder

Mag. Dr. Madeleine Petrovic

Klubobfrau der Grünen im NÖ Landtag    Wien, 25. November 2003

 

Arbeitsunterlage zu Ausschuss 5

 

Frage 1: In welcher Weise soll die Rechtssetzung im dritten Kompetenzbereich (zwischen Bund und Ländern geteilte Gesetzgebung) erfolgen, nach welchen Kriterien soll die Inanspruchnahme der Kompetenz erfolgen?

 

Grundsätzlich sollte bereits in der aktuellen Verfassungsreform klargestellt werden, welche Aufgaben der Bund wahrnehmen und regeln muss und welche den Ländern zukommen (sogenannte exklusive Zuständigkeiten). Dies ist im Sinne einer klaren politischen Verantwortlichkeit und der Rechtssicherheit. Der Begriff der geteilten Gesetzgebung ist nur bedingt zutreffend, da auch die exklusiven Gesetzgebungsakte von Bund und Ländern im realen Lebenssachverhalt so ineinander greifen, dass es sich letztlich auch hier um geteilte Zuständigkeiten handelt (zB Raumordnung (L) und Gewerberecht (B)). Insofern stellt sich die Frage, ob nicht mit zwei sogenannten exklusiven Zuständigkeiten (B, L) und einer Bedarfsklausel des Bundes das Auslangen zu finden wäre.

 

Ansonsten ist den Auffassungen zuzustimmen, dass es sich hier in erster Linie um eine Auffangbestimmung für zukünftige völlig unerwartete Problembereiche handeln sollte, die man nicht mehr als Weiterentwicklung exklusiver Zuständigkeiten deuten kann. Zumal auch noch nicht die Vollzugszuständigkeit in diesem Bereich diskutiert wurde. Weiters ist der Auffassung zuzustimmen, dass die Grundsatzgesetzgebung (resp. Rahmengesetzgebung) schwerfällig ist und gerade vor dem Hintergrund der europäischen Rechtssetzung als hypertroph anzusehen ist. Es stellt sich die Frage, ob dieser Typus noch notwendig ist, wenn einerseits eine Bedarfsgesetzgebungskompetenz des Bundes sich sowohl auf Grundsätze resp. Mindeststandards als auch auf Teilaspekte einer Aufgabe beziehen kann.

 

Sofern man an der dritten Säule festhält, sollte gelten, dass die Gesetzgebungszuständigkeit den Ländern zukommt, solange bzw soweit der Bund nicht bundesgesetzliche Regelungen erlässt (subjektiver Bedarf). Wegen der Unbestimmtheit der Begriffe wäre die Voraussetzung eines objektiven Bedarfs (zB zur Herstellung gleichwertiger Lebens- und Wirtschaftsverhältnisse, zum Schutz des ökologischen Gleichgewichts oder im gesamtstaatlichen Interesse) zweite Option. Um den Länderinteressen Rechnung zu tragen, wäre bei der ersten Option ein Zustimmungserfordernis der Ländermehrheit erwägenswert.

 

Vorgeschlagene Materien neben der Generalklausel:

 

 

2. In welcher Weise sollen die Länder im dritten Kompetenzbereich an der Gesetzgebung des Bundes mitwirken?

 

Wichtig erscheint mir, dass die Bundesländer eine reale Chance zur inhaltlichen Ausgestaltung des Bundesgesetzes erhalten – die Frage, wer die Norm erlässt sollte in den Hintergrund treten. Den Bund müsste daher die Pflicht treffen, ein derartiges Vorhaben anzukündigen und den Landesregierungen und Landtagen sollte – neben dem Bund - das Gesetzesinitiativrecht zustehen. Es würde dann der freien Entscheidung der Ausschüsse obliegen, welchen Gesetzesvorschlag sie zum Ausgangspunkt ihrer Verhandlungen machen. Den LänderinitiatorInnen müsste ein Teilnahmerecht an den Ausschussverhandlungen eingeräumt werden.

 

3. Welche Materien/Aufgabenfelder sollen der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz des Bundes, welche der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz der Länder zugeordnet werden?

 

Im folgenden wird nur auf ausgewählte Materien eingegangen. Wichtig wäre in allen Fällen, legistisch Vorsorge zu treffen, dass vom Versteinerungsprinzip abgegangen wird, somit eine Fortentwicklung des Aufgabenbereichs und seiner Instrumente möglich ist.

 

Bund

Länder

Koordination der Länderraumordnungen und der Fachplanungen des Bundes[19] (sowie Wahrnehmung der Raumordnung im Rahmen der Europäischen Union)

Raumordnung

Koordination des Naturschutzes (sowie Wahrnehmung der Raumordnung im Rahmen der Europäischen Union)

Naturschutz

Energiewesen[20]

 

Abfallwirtschaft

 

Wasserwirtschaft[21]

 

Mineralwirtschaft

 

Forstwirtschaft

 

Verkehrswesen zu Land, Luft und Wasser mit Ausnahme der Landesstraßen

 

Tierschutz

 

Genehmigung und Kontrolle gesundheits- und umweltbeeinträchtigender Anlagen[22]

 

Schutz des Menschen und der Umwelt insbesondere des Klimas, der Luft, des Wassers, des Bodens[23].

 

Umweltinformation[24]

 

Dokumentenzugang[25]

 

 

Baurecht

 

Zu beachten wären auch noch die Ergebnisse aus dem Ausschuss 10 (Finanzverfassung - Landeseinnahmen) und 9 (Gerichtsbarkeit-Landesverwaltungsgerichtsbarkeit).

 

 

 

2.5.2.    Ausschuss 05 Kompetenzverteilung Bund-Länder

 

Mag. Dr. Madeleine Petrovic

Klubobfrau der Grünen im NÖ Landtag    Wien, am 9. Oktober 2003

 

Grüne Arbeitsunterlage für den Konventausschuss Nr. 5

 

Folgende Themen und Probleme, wie im Mandat angesprochen, erscheinen mir fürs Erste besonders wichtig:

 

  1. Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern

 

Aus ökologischer Sicht:

 

Die Kompetenztatbestände des Bundes hinken noch immer den tatsächlichen Erfordernissen hinterher, da der Kompetenzkatalog von 1925 bisher unzureichend adaptiert wurde. Die Problemlage wird durch die Umsetzungserfordernisse aus den EU-Richtlinien und die einer strikten Versteinerung anhängenden Judikatur verschärft. Bundeseinheitliche Standards bei emissions- und immissionsseitigen Maßnahmen sowie einheitliche Instanzen liegen im Sinne des Umweltschutzes und der Rechtssicherheit sowie Gleichbehandlung der Betroffenen. Insbesondere gilt es auch, sogenannte Weder-Noch-Materien einer Lösung zuzuführen.

 

In diesem Sinne besteht noch Handlungsbedarf bei:

 

 

 

Wobei grundsätzliche Regelungen getroffen werden sollten, damit der Gesetzgeber einer intrasystematischen Weiterentwicklung der Materien jedenfalls Rechnung tragen kann.

 

Aus Sicht der Sozial- und Gleichbehandlungspolitik:

 

Bundeseinheitliche Standards (im Wege von Bundesrahmengesetzen) sind auch hinsichtlich folgender Materien erwünscht:

 

 

Zum Ausgleich sollten die Landtage verstärkte Mitwirkungsrechte an der Bundesgesetzgebung wie zB durch ein Gesetzesinitiativrecht zum Nationalrat und ein Stellungnahmerecht zu Regierungsvorlagen oder Anträgen von Abgeordneten des Nationalrats erhalten. Im übrigen siehe die Arbeitsunterlage zu Ausschuss 5.

 

  1. Neue Rechtssetzungsinstrumente

 

Soweit im Ausschuss 3 bereits Position bezogen wurde, wird dies hier wiedergegeben:

 

Zielgesetzgebung und Legalitätsprinzip:

 

Von einer Lockerung des Legalitätsprinzips halten die Grünen nichts, da es Ausdruck des demokratischen und des rechtsstaatlichen Prinzips ist. Staatliches Handeln muss für die Betroffenen vorhersehbar und notfalls auch einklagbar sein, dies ist bei bloßen Zielbestimmungen nur schwer möglich. Die generellen Normsetzungen des Staates sollen einer öffentlichen Diskussion unterliegen, was nur durch eine Beschlussfassung in den Parlamenten gewährleistet ist. Statt einer Lockerung des Legalitätsprinzips wäre über eine quasi Verschärfung des Legalitätsprinzips in der Art zu diskutieren, dass die Untätigkeit der Behörde eher als jetzt Haftungskonsequenzen nach sich zieht. Völlig inakzeptabel ist auch der Vorschlag, dass EU-Richtlinien im Verordnungswege durch die Verwaltung umgesetzt werden. Schon allein aus dem Grund, da sich immer die Frage stellt, ob bloß der europäische Minimalkonsens für Österreich maßgeblich sein soll oder vielmehr die nationalen Spielräume (zB zugunsten eines hohen Umweltschutzniveaus) genützt werden sollten.

 

Unmittelbare Anwendung von Vereinbarungen nach Art 15a B-VG:

 

Die spezielle Transformation von Gliedstaatsverträgen gewährleistet den Einfluss des Gesetzgebers auf die Norm sowie bietet den betroffenen BürgerInnen Publizität und Rechtsschutz (indirekte Bekämpfbarkeit der Norm). Aus diesem Blickwinkel sollten Gliedstaatsverträge nicht self executing sein. Würde man Gliedstaatsverträge als eigene Rechtsquelle im Sinne von  Staatsverträgen nach Art 50 B-VG geschaffen, so bliebe noch immer das Problem, dass bei Ratifikation von innerstaatlichen Verträgen keine inhaltlichen Änderungen durch die Parlamente vorgenommen werden könnten. Dieser weiteren Schwächung der Parlamente kann nichts abgewonnen werden.

 

Vielmehr sollte die Notwendigkeit zum Abschluss von Verträgen zur Lösung von Problemen durch Neuordnung der Kompetenztatbestände und neue Instrumente für das  Zusammenwirken der Gesetzgebungsorgane von Bund und Ländern gemildert werden.

 

  1. Weitere Themen

 

Mitwirkung des NR, BR und der Landtage auf EU-Ebene sowie im transnationalen Rahmen:

 

Die Mitwirkung des Nationalrates und der Landtage an Akten Österreichs im Rahmen der europäischen Union sollte an die geänderte EU-Rechtslage angepasst werden. Mitwirkungsrechte nach diesem Vorbild sollten auch in anderen Bereichen der Außenpolitik und internationaler Organisationen  (WTO, IWF, UNO) geschaffen werden.

 

Instrumente gegen die Säumigkeit des Bundes oder eines Landes bei innerstaatlicher Umsetzung von EU-Recht:

 

Das Recht und die Pflicht zur Ersatzvornahme des Bundes im Sinne Art 23 d Abs 5 B-VG sollte bereits zu einem früheren Zeitpunkt eintreten. Aufgrund der Langwierigkeit der Vertragsverletzungsverfahren ist es nicht sinnvoll, die Verurteilung Österreichs durch den EuGH abwarten zu müssen.

 

Wer die Vertragsverletzungsverfahren im Umweltbereich beobachtet, wird jedoch auch oft eine säumige bzw unzureichende Umsetzung der Richtlinien durch den Bund feststellen müssen. Um der feststellbaren Hinhaltetaktik bei Umsetzung von EU-Recht zu begegnen, sollten die einschlägigen Berichte der Kommission zur Umsetzung von EU-Recht automatisch Gegenstand des EU-Hauptausschusses bzw des Äquivalents in den Landtagen sein. Außerdem sollte es Jahresberichte der Bundes- und Landesregierungen an die Landtage und den Nationalrat zum Stand der Vertragsverletzungsverfahren geben. Welche dahingehenden Verfassungsregelungen vorzusehen wären, müsste geprüft werden.

 

 

 

2.5.3.    Ausschuss 05 Arrondierung Umweltkompetenzen

 

 

Abg. Dr. Mag. Madeleine Petrovic

Arbeitsunterlage für den Ausschuss 5

Wien, 9. Juli 2004

 

 

Vorläufiger Vorschlag für die Arrondierung von ausgewählten Kompetenztatbeständen im Sinne des ergänzenden Mandats

 

 

Das ergänzende Mandat fordert eine Zusammenfassung der Kompetenztatbestände auf rund 60 Tatbestände. Da die bisherigen grünen Vorschläge (insbes vom November 2003) nicht von einer derart radikalen Arrondierung ausgingen, wird ein neuer Versuch unternommen, die Regelungsbedürfnisse noch weiter zu abstrahieren. Die folgende Arrondierung unterscheidet sich gegenüber der Bußjäger`schen Systematisierung dadurch, dass die Arrondierung nicht an den Grenzen der geltenden Kompetenzverteilung Halt macht. Gegenüber dem WKÖ-Vorschlag ist der Umweltschutztatbestand stärker ausgebaut, die WKÖ arrondiert in erster Linie den Wirtschaftstatbestand. Im Unterschied zu Wiederin und WKÖ werden auch die Erfordernisse einer minimalen Bundeskompetenz bei Naturschutz und Raumordnung mitgedacht.  Auch wurde versucht, die Verfassungsbestimmungen/Kompetenzdeckungsklauseln gleich einzuordnen.

 

Um einen aussagekräftigen und problemadäquaten Katalog zu erhalten, müssten freilich nicht nur die bestehenden Kompetenzen den neuen Tatbeständen zugeordnet werden, sondern auch die derzeit bestehenden Gesetze bzw die bestehenden und neu zu schaffenden Regelungsinhalte unter dem jeweiligen Tatbeständen erläuternd aufgelistet werden. Insbesondere beim TB Energiewesen und hinsichtlich der Regelungsbedürfnisse eines Einheitlichen Umweltanlagenrechts, einer Strategischen UVP  sowie der Öffentlichkeitsbeteiligung (Aarhus-Konvention) wären noch Ergänzungen vorzunehmen.

 

 

 

Umweltschutz und Umweltwirtschaften

 

 

Art. 10 Abs. 1 Z 12

Luftreinhaltung, unbeschadet der Zuständigkeit der Länder für Heizungsanlagen;

Art. 11 Abs. 5

Festlegung einheitlicher Emissionsgrenzwerte für Luftschadstoffe;

Art. 10 Abs. 1 Z 12

Maßnahmen zur Abwehr von gefährlichen Belastungen der Umwelt, die durch Überschreitung von Immissionsgrenzwerten entstehen;

Art. 10 Abs. 1 Z 9

Umweltverträglichkeitsprüfung für Vorhaben in diesen Angelegenheiten, bei denen mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist und für welche die Verwaltungsvorschriften eine Trassenfestlegung durch Verordnung vorsehen;

Art. 11 Abs. 1 Z 7

Umweltverträglichkeitsprüfung für Vorhaben, bei denen mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist;

Art. 11 Abs. 7

Die Einrichtung, die Aufgaben und das Verfahren des unabhängigen Umweltsenates;

Art. 11 Abs. 1 Z 7

Genehmigung von Vorhaben, bei denen mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist;

Art. 11 Abs. 6

Bürgerbeteiligungsverfahren für bundesgesetzlich zu bestimmende Vorhaben, die Beteiligung an den einem Bürgerbeteiligungsverfahren nachfolgenden Verwaltungsverfahren und die Berücksichtigung der Ergebnisse des Bürgerbeteiligungsverfahrens bei der Erteilung der für die betroffenen Vorhaben erforderlichen Genehmigungen;

Art 10 Abs 1 Zif 12

Gentechnikrecht (aus Gesundheitsschutz....)

Art 10 Abs 1 Zif 12

Chemikalienrecht (aus Gesundheitswesen)

Art. 10 Abs. 1 Z 12

Ernährungswesen einschließlich der Nahrungsmittelkontrolle;

Art 15 Abs 1

Bodenschutz

Art 15 Abs 1

Lärmschutz

 

Anlagenrecht, Strategische UVP und Umweltinformation aus folgenden Tatbeständen:

Art 10 Abs 1 Zif 9

Verkehrswesen bezüglich der Eisenbahnen und der Luftfahrt sowie der Schifffahrt, soweit diese nicht unter Art 11 fällt

Art. 10 Abs. 1 Z 9

Angelegenheiten der wegen ihrer Bedeutung für den Durchzugsverkehr durch Bundesgesetz als Bundesstraßen erklärten Straßenzüge außer der Straßenpolizei;

Art. 10 Abs. 1 Z 8

Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie;

 

Art. 10 Abs. 1 Z 10

Wasserrecht;

Art. 10 Abs. 1 Z 10

Regulierung und Instandhaltung der Gewässer zum Zwecke der unschädlichen Ableitung der Hochfluten oder zum Zwecke der Schiffahrt und Flößerei;

Art. 10 Abs. 1 Z 10

Wildbachverbauung;

Art. 10 Abs. 1 Z 10

Bau und Instandhaltung von Wasserstraßen;

Art. 10 Abs. 1 Z 10

Forstwesen einschließlich des Triftwesens;

Art. 10 Abs. 1 Z 12

Abfallwirtschaft hinsichtlich gefährlicher Abfälle,

Art. 10 Abs. 1 Z 12

Abfallwirtschaft hinsichtlich nicht-gefährlicher Abfälle soweit ein Bedürfnis nach Erlassung einheitlicher Vorschriften vorhanden ist;

Art 10 Abs 1 Zif 10

Bergwesen

BG über eine nachhaltige Abfallwirtschaft (Abfallwirtschaftsgesetz 2002 - AWG 2002)

2002/

102

§ 38 Abs 1

 

Verfahrens- und Zuständigkeitskonzentration im Genehmigungs- und Anzeigeverfahren nach AWG

A05

A06

 

BG über eine nachhaltige Abfallwirtschaft (Abfallwirtschaftsgesetz 2002 - AWG 2002)

2002/

102

§ 38 Abs 2

 

Anwendung bautechnischer Bestim-mungen im Genehmigungs- und Anzeigeverfahren; Entfall baubehördl Bewilligungspflicht

A05

A06

 

 

Energiewesen

 

Art. 10 Abs. 1 Z 10

Normalisierung und Typisierung elektrischer Anlagen und Einrichtungen, Sicherheitsmaßnahmen auf diesem Gebiete;

 

Art. 10 Abs. 1 Z 10

Starkstromwegerecht, soweit sich die Leitungsanlage auf zwei oder mehrere Länder erstreckt;

 

102

vfb

BG v 21. Oktober 1982 über die Haltung von Notstandsreserven an Erdöl und Erdölprodukten und über Meldepflichten zur Sicherung der Energieversor-gung (Erdöl-Bevorratungs- und Meldegesetz 1982)

1982/

546

Art I

1984/266
1987/652
1988/339
1992/383
1995/835
1996/792
1998/179
2001/150

Kompetenzdeckungsklausel/befristet

A05

 

99

vfb

BG v 21. Oktober 1982 über Lenkungsmaßnahmen zur Sicherung der Energie-versorgung (Energielenkungsgesetz 1982)

1982/

545

Art I Abs 1

1984/267 1988/336 1992/382 1995/834 1996/791
1998/178 2001/149

Kompetenzdeckungs-klausel und mittelbare Bundesverwaltung mit bundesunmittelbarem Einschlag

A05

 

235

vfb

BG über die Transparenz von Preisen für Erdöl, Mineralöl-erzeugnisse, Gas, Strom und Arzneimittel sowie der Preis-auszeichnungsvorschriften (Preistransparenzgesetz)

1992/

761

Art I Abs 1

 

Kompetenzdeckungs-klausel und unmittelbare Bundesverwaltung

A05

 

245

vfb

BG über Sicherheitsmaßnahmen, Normalisierung und Typisierung auf dem Gebiete der Elektrotechnik (Elektrotechnikgesetz 1992 - ETG 1992)

1993/

106

§ 8 Abs 1

 

energiesparsamer Betrieb elektr Anlagen oder Betriebsmittel

A05

 

246

vfb

BG über Sicherheitsmaßnahmen, Normalisierung und Typisierung auf dem Gebiete der Elektrotechnik (Elektrotechnikgesetz 1992 - ETG 1992)

1993/

106

§ 8 Abs 4

 

Grenzwerte-Verordnung

A05

 

342

vfb

BG, mit dem die Organisation auf dem Gebiet der Elektrizitätswirtschaft neu geregelt wird (Elektrizitätswirtschafts- und -organisationsgesetz – ElWOG)

1998/

143

§ 1

2000/121
2002/149

Kompetenzdeckungsklausel und unmittelbare Bundesverwaltung/
preisechtliche Bestimmungen, Energietransit

A05

 

344

vfb

BG, mit dem die Organisation auf dem Gebiet der Elektrizitätswirtschaft neu geregelt wird (Elektrizitätswirtschafts- und -organisationsgesetz – ElWOG)

1998/

143

§ 12 Abs 3

2000/121

Weiterleitung von die Errichtung von Stromerzeugungsanlagen verweigernden Bescheiden sowohl im Landes- als auch im Bundesbereich an BM zwecks zentraler Meldung an  die Kommission

A05

 

353

vfb

BG, mit dem die Organisation auf dem Gebiet der Elektrizitätswirtschaft neu geregelt wird (Elektrizitätswirtschafts- und -organisationsgesetz – ElWOG)

1998/

143

§ 66b

2002/149

zeitlicher Anwendungsbereich von SystemnutzungstarifV, Nichtanwendung auf Individualnaträge

A05

 

359

vfb

BG über Transparenz bei der Stellenbesetzung im staatsnahen Unternehmensbereich (Stellenbesetzungsgesetz)

1998/

26

§ 8

 

Ermächtigung für die Landesgesetzgebung zu gleichartigen Regelungen über Vertragsschablonen

A05

 

369

vfb

BG über den Schutz personenbezogener Daten (Datenschutzgesetz 2000 - DSG 2000)

1999/

165

Art 1 § 2

 

Gesetzgebungs- und Vollzugszuständigkeit

A05

 

390

vfb

BG über die Aufgaben der Regulierungsbehörden im Elektrizitäts- und Erdgasbereich und die Errichtung der Energie-Control GmbH und der Energie- Control Kommission (Energie-Regulierungsbehördengesetz - E-RBG)

2000/

121

§ 1

2002/148

Kompetenzdeckungsklausel und unmittelbare Bundesverwaltung

A05

 

424

vfb

BG, mit dem Neuregelungen auf dem Gebiet der Elektrizitätserzeugung aus erneuerbaren Energieträgern und auf dem Gebiet der Kraft-Wärme-Kopplung erlassen werden (Ökostromgesetz)

2002/

149

§ 1

 

Kompetenzdeckungsklausel und Vollziehung durch in diesem BG vorgesehene Einrichtungen

A05

 

350

vfb

BG, mit dem die Organisation auf dem Gebiet der Elektrizitätswirtschaft neu geregelt wird (Elektrizitätswirtschafts- und -organisationsgesetz – ElWOG)

1998/

143

§ 61

2000/121

Berichtspflicht der Landeregierungen über Funtionieren des Elektrizitiätsmarktes an BM

A05

A06

Befassung von A06 angesichts der Berichtspflicht

 

 

Tierschutz

 

Art. 11 Abs. 1 Z 8

Tierschutz mit Ausnahme der Ausübung der Jagd- oder der Fischerei

 

 

Koordination des Naturschutzes (neben „Naturschutz“)

 

Art 15 Abs 1

Teilaspekt Naturschutz

 

 

Koordination der Raumordnung (neben „Raumordnung“)

 

Art 15 Abs 1

Teilaspekt Raumordnung

 

 


 

 

2.5.4.    Ausschuss 05 Kompetenzen Gesundheit

 

Abg. Dr. Mag. Madeleine Petrovic

Arbeitsunterlage für den Ausschuss 5

Wien, 15. Juli 2004

 

Gesundheitskompetenzen

 

Nach Rücksprache mit dem grünen Gesundheitssprecher im Parlament, Abg. a.o. Univ.-Prof. Dr. Grünewald darf ich folgende Notwendigkeiten aus unserer Sicht deponieren:

 

Das österreichische Gesundheitswesen ist charakterisiert durch eine starke Aufsplit­terung von Kompetenzen und Verantwortung. Dies zeigt sich insbesondere auch in der unterschiedlichen Finanzierungszuständigkeit für die einzelnen Bereiche des  Gesundheitssystems. Die bestehende Kompetenzverteilung im Gesundheitswesen verhindert Synergien und damit eine entscheidende Verbesserung der Effizienz. Daraus resultiert neben einer vermeidbaren und mit erheblichen Aufwand einher­gehenden Verwaltungsaufblähung eine Gesetzesflut, die ihrerseits eine entspre­chende Orientierung erschwert und somit eine Rechtsunsicherheit bedingt. Schwer argumentierbar ist insbesondere die unterschiedliche Kompetenzlage im Rahmen der Krankenversorgung und der Pflege. Eine Folge davon ist, dass viele Sozialleistungen letztlich quasi fachfremd den Krankenkassen übertragen werden, was dem Wunsch nach Kostenwahrheit entgegenläuft.

 

Bundeseinheitliche Regelungen der Leistungsangebotsplanung im Gesundheits­wesen fehlen ebenso wie klare verbindliche Vorgaben für eine effiziente bundes­einheitliche Qualitätssicherung. Statt eines einheitlichen PatientInnenrechts hat jedes Bundesland separat mit dem Bund eine PatientInnencharta vereinbart, auf deren Umsetzung bzw. Einhaltung seitens der PatientInnen keine Rechtsanspruch besteht.

 

All das bisher dargelegte und nicht zuletzt auch die Existenz von zehn Krankenan­staltengesetze unterstreichen die Nachteile eines überzogenen föderalen Systems. Die damit einhergehenden mangelnde Regelungskompetenz des Parlaments und des zuständigen Ministeriums erlaubt keine nachhaltige Planung und Steuerung des Gesundheitswesens und lässt die Festlegung von gesundheitspolitischen Zielen und Strategien zur Zielerreichung nicht zu.

 

Das Argument der (topographischen) Bürgernähe geht ins Leere, wenn nicht gleich­zeitig eine ausreichende Entscheidungsqualität (Sachkenntnis) sichergestellt ist. Die Übertragung von Kompetenzen auf Länder und Bezirkshauptmannschaften ist viel­fach lediglich eine Kostenverschiebung nach unten und führt unter Umständen sogar zu einer Kostensteigerung. Fachkompetenz und Personalressourcen müssen auf diesen Ebenen erst mühsam aufgebaut werden und tragen sicher nicht zur Verein­heitlichung der Entscheidungsfindung bei.

 

Daher darf keine Verlagerung weiterer Kompetenzen zu den Ländern erfolgen und müssen darüber hinaus folgende Angelegenheiten zumindest hinsichtlich der Gesetzgebung in die Zuständigkeit des Bundes fallen (Verankerung in Art 10 oder Art. 11 B-VG sowie Streichung aus Art.  12 B-VG):

 

¢                  Vorgaben hinsichtlich der Qualität für alle Bereich des Gesundheitswesen ein­schließlich der Festlegung von Qualitätsstandards

 

¢                  Regelung der überregionalen Planung des gesamten Gesundheitswesens sowie Planungsvorgaben (Leistungsangebotsplanung)

 

¢                  Die Festlegung von Finanzierungsmodellen für alle Bereiche des Gesundheits­wesens

 

¢                  Regelung von PatientInnenrechten

 

¢                  Vorgaben für die Dokumentation im gesamten Gesundheitswesen einschließlich des Aufbaus und der Verwaltung von einheitlichen gesundheitspolitischen Daten­banken und Statistiken als Entscheidungsgrundlage

 

 

 

2.5.5.    Ausschuss 05 Stellungnahme zu Vorschlag Schnizer

 

Madeleine Petrovic    Wien, am 21. Oktober 2004

 

A 5 Gesetzgebungskompetenzen

Stellungnahme zum Diskussionsvorschlag Schnizer idF 14.10.2004

 

Die Stellungnahme erfolgt entsprechend den bisherigen grünen Schwerpunktsetzungen (Umwelt, Energie, Tierschutz, Raumordnung, Naturschutz, Gesundheit, Kindergartenwesen, Sozialhilfe).

 

1. Umweltschutz

 

Der Umwelttatbestand (für den Bund) ist dem grünem Vorschlag sehr ähnlich. Unterschiede ergeben sich neben der anderen Bezeichnung durch eine leicht differierende Zuordnung alter Kompetenztatbestände. Die Grünen Vorstellungen (siehe auch Arbeitsunterlage vom 9. Juli 2004) gehen über den Schnizer-Vorschlag in folgenden Punkten hinaus:

 

„Gesundheitsmaterien“

Art 10 Abs 1 Zif 12

Gentechnikrecht (aus Gesundheitsschutz....)

Art 10 Abs 1 Zif 12

Chemikalienrecht (aus Gesundheitswesen)

Art 10 Abs 1 Zif 12

Strahlenschutzrecht (aus Gesundheitswesen)

 

Gentechnik-, Chemikalien- und Strahlenschutzrecht wären nach dem Schnizer-Vorschlag Bundeskompetenz, jedoch unter dem TB Gesundheitswesen in der 3. Säule. Es besteht jedoch kein Zweifel, dass diese Materien dem Umweltschutz zuzuordnen sind (siehe auch BMG). Ihre kompetenzrechtliche Verankerung im Gesundheitswesen ist lediglich darauf zurückzuführen, dass sich der Umweltschutz aus dem Gesundheitswesen heraus entwickelt hat. Die Schaffung eines umfassenden TB sollte endlich Anlass sein, diese veralteten Zuordnungen aufzuheben.

 

Immissionsschutz

Art 15 Abs 1

Bodenschutz

Art 15 Abs 1

Lärmschutz

Art. 10 Abs. 1 Z 12

Maßnahmen zur Abwehr von gefährlichen Belastungen der Umwelt, die durch Überschreitung von Immissionsgrenzwerten entstehen;

 

Diese Tatbestände werden im Landesbereich belassen, Bodenschutz als exklusive Landesmaterie und Lärmschutz unerwähnt als Annexmaterie von Bund und Land. Wie auch im Luftreinhaltungsbereich entwickelt sich jedoch auch in diesen Bereich ein umfassender Immissionsschutz heraus (siehe Umgebungslärm-RL) und ist im Sinne einer Gleichbehandlung der Emittenten und eines einheitlichen Immissionsstandards eine Bundeskompetenz wünschenswert. Hinsichtlich des Lärmschutzes wird auch auf die Entschließung des Nationalrats verwiesen, dass sich der Konvent dieser Problematik annehmen soll. Die bestehende Bundeskompetenz zum medienübergreifenden Immissionsschutz wird auch nicht erwähnt.

 

Genehmigung von Anlagen, Umweltinformation, Strategische Umweltprüfung

 

Anlagenrecht, Strategische UVP und Umweltinformation aus folgenden Tatbeständen:

Art 10 Abs 1 Zif 9

Verkehrswesen bezüglich der Eisenbahnen und der Luftfahrt sowie der Schifffahrt, soweit diese nicht unter Art 11 fällt

Art. 10 Abs. 1 Z 9

Angelegenheiten der wegen ihrer Bedeutung für den Durchzugsverkehr durch Bundesgesetz als Bundesstraßen erklärten Straßenzüge außer der Straßenpolizei;

Art. 10 Abs. 1 Z 8

Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie;

BG über eine nachhaltige Abfallwirtschaft (Abfallwirtschaftsgesetz 2002 - AWG 2002)

2002/

102

§ 38 Abs 1

 

Verfahrens- und Zuständigkeitskonzentration im Genehmigungs- und Anzeigeverfahren nach AWG

A05

A06

 

BG über eine nachhaltige Abfallwirtschaft (Abfallwirtschaftsgesetz 2002 - AWG 2002)

2002/

102

§ 38 Abs 2

 

Anwendung bautechnischer Bestimmungen im Genehmigungs- und Anzeigeverfahren; Entfall baubehördl Bewilligungspflicht

A05

A06

 

 

Der Schnizer-Vorschlag nennt die Genehmigung von Anlagen als Bundeskompetenz, filtert jedoch die alten Bundeszuständigkeiten nicht heraus. Erwähnt werden lediglich die UVP-Tatbestände. Dies führt zu Unklarheit. Um diese Unklarheit restlos zu beseitigen müssten auch aus den bestehenden Landeskompetenzen die anlagenrechtlichen Teile herausgefiltert werden. Wie schon im vorletzten Ausschuss dargelegt, verfolgen die Grünen ein Mischmodell von materieller Gesetzgebungskompetenz des Bundes und Mitanwendung landesrechtlicher Materien. Nach Ansicht der Grünen sollte der TB Umweltschutz auch die Umweltinformation und die Strategische Umweltprüfung erfassen.

 

Ernährungswesen

Art. 10 Abs. 1 Z 12

Ernährungswesen einschließlich der Nahrungsmittelkontrolle;

 

Für die Miterfassung des Ernährungswesens spricht der große Zusammenhang zwischen Umwelt und Lebensmittelkette. Das was der Umwelt schadet, schadet meist auch den KonsumentInnen. Der Anspruch umwelt- und tiergerecht erzeugte Lebensmittel zu erhalten, ist bei den KonsumentInnen in den letzten Jahren sehr gestiegen. Eine gemeinsame Steuerung macht also Sinn. Im Schnizer-Vorschlag wird das Ernährungswesen hingegen dem TB Gesundheitswesen zugeordnet (freilich auch hier mit der Konsequenz einer Bundeszuständigkeit).

 

Der Schnizervorschlag erfasst zusätzlich auch den Tierschutz, das ist sinnvoll und würde auch der Vorgangsweise beim Staatsziel Umweltschutz entsprechen.

 

2. Energiewesen

 

Der Schnizer-Vorschlag listet die Kompetenzdeckungsklauseln (Verfassungsbestimmungen im Energiebereich nicht auf). Dies wäre zur Klarstellung, dass neben den von ihm erwähnten Bereichen Elektrizität (Art 10 und 12), Starkstromwegerecht (Art 10) und „Gasleitungsrecht“ jedenfalls auch die Bereiche

·                „Sicherung der Energieversorgung“,

·                „Elektrotechnik“,

·                „Elektrizitätswirtschaftsorganisation“,

·                „Regulierung im Energiebereich“

·                „Kraft-Wärme-Kopplung“ und

·                „Erneuerbare Energieträger“

·                „Energieeffizienz“

erfasst sind.

Darüber hinaus wäre ein umfassenderer Ansatz über Erfassung aller Energieträger (erneuerbare, Fernwärme, Gas, Öl und Kohle) hinsichtlich Produktion, Organisation und Verteilung inkl. Planungsmaßnahmen) nach wie vor verfolgenswert (siehe Antrag Langthaler Nr. 493/A vom 26. Feber 1993).

 

3. Koordination der Raumordnung und des Naturschutzes

 

Diese von den Grünen vorgeschlagene Kompetenz für den Bund fehlt.

 

4. Gesundheitswesen

 

Das Gesundheitswesen wandert in die dritte Säule. Bisher beim Bund bestehende Kompetenzen bleiben bei ihm, weitere können nur mit qualifizierter Zustimmung des Bundesrates geschaffen werden. Die bestehende Zersplitterung wird also de facto prolongiert.

 

5. Kindergartenwesen und Sozialhilfe

 

Beide Bereiche werden der dritten Säule zugeordnet, damit besteht zumindest theoretisch die Möglichkeit einer Grundsatzgesetzgebung (?) des Bundes. In der exklusiven Säule des Bundes findet sich eine Kompetenz „Soziale Sicherheit“.

 

Abschließend: Im Vergleich mit den Vorschlägen Bußjäger und WKÖ trägt jedoch der Vorschlag Schnizer (resp Wiederin) den Vorstellungen der Grünen am ehesten Rechnung. Der Bußjäger-Vorschlag gibt sogar bestehende Bundesumweltmaterien in die 3. Säule. Die WKÖ unterstellt die Umweltmaterien vorrangig dem TB „Wirtschaftliche Angelegenheiten“.

 

 

 

 

2.6.1.    Ausschuss 06 Partizipation

 

Grüner Klub

im Parlament

 

Wien, 17. Juni 2004

 

Arbeitspapier zur „Reform der Verwaltung“ – Partizipation der Bürgerinnen und Bürger im Rahmen des Österreichkonvents

 

 

Themenstellung aus dem Mandat des Ausschusses 6

 

Das dem Ausschuss 6 zugewiesene Mandat umfasst auch den Themenbereich der Partizipation im Bereich der Verwaltung:

 

Auszug aus dem Mandat des Ausschusses 6:

 

„Vollzugskompetenzen und Strukturen der Organe der Verwaltung in Bund, Ländern und Gemeinden, insbesondere auch unter dem Gesichtspunkt (...) der Bürgerinnen- und Bürgernähe (insbesondere Partizipation).“

 

„II. Instrumente der Verwaltungsführung insbesondere durch integratives Gesamtkonzept (Methoden des New Public Managements)

Folgende Themen sind zu beraten:

...

5. Partizipation der Bürgerinnen und Bürger“.

 

In Ergänzung des Mandats soll der Ausschuss unter anderem einen Vorschlag zur Frage ausarbeiten, ob ein Effizienz- bzw Effektivitätsgebot verfassungsrechtlich verankert werden soll. Dieser Vorschlag soll auf den bereits vorgelegtem Textvorschlag für ein erweitertes verfassungsrechtliches Effizienzgebot aufbauen und unter anderem den Punkt Partizipation berücksichtigen.

 

I.          Vorbemerkungen

 

Als Mitglied der Europäischen Union steht Österreich aktuell inmitten eines internationalen und europaweiten Trends zu einem intensiveren Einsatz von Instrumenten der Öffentlichkeitsbeteiligung. (Vgl Überblick unter Pkt II)

 

Diese Entwicklung ist aktiv mitzuvollziehen und umzusetzen. An den Verwaltungsreformprozess wird - auch auf Grund dieser europäischen Entwicklungen - die Forderung nach stärkerer Bürgerbeteiligung (Partizipation) und Transparenz des Verwaltungshandelns gerichtet.

 

Funktionen

 

Partizipation in Bezug auf die Verwaltung soll vielfältige Funktionen erfüllen. Die rechtspolitische Diskussion darüber kann mit den folgenden Schlagworten umrissen werden:

 

-          Stärkung der demokratischen Legitimation der Verwaltung,

-          Rückbindung des Verwaltungshandelns an Wertungen und Präferenzen der Gesellschaft;

-          Sicherung von Transparenz und Akzeptanz verwaltungsbehördlicher Maßnahmen,

-          Verringerung von Informationsdefiziten staatlicher Entscheidungsträger,

-          Ermöglichung von effektiver Kontrolle und (vorverlagertem) Grundrechtsschutz.

 

In der rechtswissenschaftlichen Diskussion werden - wegen ihrer unterschiedlichen demokratietheoretischen und verfassungsdogmatischen  Bedeutung - prinzipiell drei Formen der Bürgermitwirkung an der Ausübung der Staatsgewalt unterschieden, wenngleich die Übergänge als fließend anerkannt werden:

[Vgl Pernthaler, Raumordnung und Verfassung, 341ff; in Bezug auf die Parteistellung Mayer, Bürgerbeteiligung zwischen Rechtstaat und Demokratie 44f; die beide die Unterscheidung zwischen Rechtsschutz und demokratischer Mitwirkung (politischer Teilhabe) betonen]

 

§         Plebiszitäre Rechte

§         Rechtstaatliche Parteirechte

§         Informations-, Mitwirkungs- und Kontrollbefugnisse wie insbesondere:

-          Anhörungs- und Begutachtungsrechte

-          Auskunftsrechte,

-          Einbindung der Bürger in Verwaltungsverfahren betreffend umweltrelevante Vorhaben („Bürgerbeteiligungsverfahren) insbesondere durch Öffnung der Parteistellung für Initiativgruppen und nichtstaatliche Organisationen Verbandsklagebefugnisse zur Durchsetzung („halb- “) öffentlicher Interessen.

 

Breites Spektrum an Formen

 

Vor dem Hintergrund der unterschiedlichen Aufgabenfelder und Handlungsformen der Verwaltung weisen Intensität und Ausgestaltung der Bürgerbeteiligung demnach ein breites Spektrum auf, das wie folgt illustriert werden kann:

 

-          Einräumung von Parteistellung und Klagebefugnissen an Einzelne und Verbände

-          Gewährleistung von Informationsrechten

-          Einbindung der Öffentlichkeit in die Vorbereitung von Politikprogrammen, Verordnungsentwürfen, Regierungsvorlagen

-          Erarbeitung von Standards der Konsultation und Information der Öffentlichkeit

-          Nutzung neuer Informations- und Kommunikationstechnologien

(zB Internetkonsultation)

-          Anerkennung und Förderung von Verbänden

-          Kapazitätsbildung durch Schulung der für Partizipationsprozesse erforderlichen Management- und Kommunikationsqualitäten in der Verwaltung

 

Individuelle Interessen – Allgemeininteressen

 

Die rechtspolitische Diskussion um Partizipation umfasst nicht allein Maßnahmen zur Geltendmachung konkreter individueller Rechte. Den Bürgerinnen und Bürgern sollen insbesondere auch Informations- und Beteiligungsrechte eröffnet werden, die weniger einem spezifisch individuellem Interesse, sondern stärker der Geltendmachung von Allgemeininteressen dienen. Die bürgerschaftliche Beteiligung im Dienst überindividueller Interessen wird besonders in jenen Bereichen diskutiert und verwirklicht, in denen individuelle und öffentliche Interessen verschwimmen, wie zB im Verbraucherschutz oder in der präventiven Umweltvorsorge.

 

Direkte Beteiligung und Beteiligung durch Verbände

 

Die verschiedenen Formen der Partizipation beziehen sich in vielfältiger Weise auf  „den Bürger“:

 

Die bürgerschaftliche Beteiligung kann sich unmittelbar auf Einzelne beziehen (Rechtsunterworfene, Staats- oder Unionsbürger).

 

Bürgerinnen und Bürger werden aber auch als Mitglieder der organisierten Zivilgesellschaft adressiert.

Mit dem Begriff Zivilgesellschaft werden in der EU-Terminologie insbesondere „Sozialpartner“, Berufsverbände, Nichtregierungsorganisationen, Kirchen, sonstige Organisationen über die sich Bürger am öffentlichen Leben beteiligen, erfasst.

 

 

II.          Entwicklungen international und insbesondere auf EU-Ebene

 

Ø       Partizipation und Transparenz sind als Leitmotiv der Verwaltung („good governance“) auf EU Ebene etabliert.

 

Ø       Die EU wirkt mit zahlreichen Rechtsakten als „Motor“ für:

-          Informationsfreiheit

-          transparente Konsultationsprozesse 

-          Beteiligung der Öffentlichkeit bei Genehmigungsverfahren

-          Beteiligung der Öffentlichkeit an der Erstellung von Plänen und Programmen

-          Erweiterung der Klagemöglichkeiten Einzelner

-          Verankerung von Verbandsklagebefugnissen

 

Überblick:

 

§         Der Vertrag von Maastricht hat Transparenz und Bürgernähe gleichsam als Verfassungsprinzip der EU verankert: Art 1 EU-V („Entscheidungen möglichst offen und möglichst bürgernah“).

 

§         Der Entwurf für die Verfassung Europas (Art 46) etabliert den „Grundsatz der partizipativen Demokratie“ der die Organe der Union ua zum offenen und regelmäßigen Dialog mit den repräsentativen Verbänden und mit der Zivilgesellschaft verpflichtet.  Der „Grundsatz der Transparenz der Arbeit der Organe der EU“ (Art 49) soll eine verantwortungsvolle Verwaltung fördern und die Beteiligung der Zivilgesellschaft sicherstellen.

 

§         Das Recht auf eine gute Verwaltung (Art 41 der EU-Grundrechtscharta) umfasst Anhörungs-, Informations- und Amtshaftungsansprüche Einzelner gegenüber den Organen der Gemeinschaft.

 

§         Ein allgemeines Recht auf Zugang zu Dokumenten der Organe der EU etabliert Art 42 der EU-Grundrechtscharta, sowie 255 EG-Vertrag iVm der VO 1049/2001.

 

§         Offenheit und Partizipation als Grundsätze guten Regierens: Mit dem Weißbuch „Europäisches Regieren“ (COM(2001) 428 vom Juli 2001 hat die Kommission Vorschläge für die Reform des „Europäischen Regierens“ vorgelegt. Das Weißbuch fordert eine bessere Einbindung der Bürger und größere Transparenz bei der Gestaltung der EU-Politik um die demokratische Legitimität der EU zu stärken. Die Einbindung der Zivilgesellschaft wird besonders hervorgehoben.

 

Ein Bericht über die Umsetzung des Weißbuchs (COM (2002)715, der von mehreren Mitteilungen begleitet wird, zeigt den Stand des Reformprozesses. Zu den Ergebnissen zählt ua die Festlegung von Mindeststandards für die Konsultation betroffener Parteien durch die Kommission (COM (2002) 704). Diese Standards gelten (Selbstverpflichtung) ab 2003 für alle wichtigen Rechtsetzungsinitiativen auf EU-Ebene.

 

Zahlreiche weitere Rechtsakte der EU – insbesondere im Bereich der Umweltpolitik – sind durch den Einsatz von umfangreichen Planungspflichten und Geboten der Öffentlichkeitsbeteiligung gekennzeichnet. So zB: die Wasserrahmenrichtlinie; die RL über die Strategische Umweltprüfung oder die Emissionshandelsrichtlinie. Solche Ziel- und prozessorientierte Vorgaben und Partizipationsgebote müssen (auch) von der österreichischen Verwaltung effektiv umgesetzt werden können.

 

Ø       Auf internationaler Ebene hat die Aarhus-Konvention der UN-ECE die Informations- und Mitwirkungsrechte der Öffentlichkeit für den Bereich der Umweltpolitik deutlich gestärkt.

 

Überblick:

§         Die Aarhus-Konvention wurde im Juni 1998 ua von Österreich sowie von der EU unterzeichnet und ist im Oktober 2001 in Kraft getreten.

 

Mit der Aarhus Konvention verpflichten sich die Vertragsstaaten ihren Bürgern sowie NGOs und Bürgerinitiativen in folgenden Bereichen Rechte einzuräumen:

 

-     Zugang zu Umweltinformationen/Acces to Information

-     Öffentlichkeitsbeteiligung bei bestimmten Genehmigungsverfahren und bei der Ausarbeitung von Plänen, Programmen und Politiken/„Public Participation in Environmental Decision-Making“

-     „Access to Justice“/Klagerechte zur wirksamen Durchsetzung der Informations- und Beteiligungsrechte und bei Umweltrechtsverstößen von Behörden oder Privaten .

 

§         Die EU hat mit der Umsetzung der Konvention durch Richtlinien und Verordnungen begonnen. Damit ist auch Österreich zu einem Ausbau der Transparenz und Öffentlichkeitsbeteiligung und nicht zuletzt auch zur Einführung von Verbandsklagebefugnissen verpflichtet:

 

-     Umweltinformationsrichtlinie 2003/4/EG:

Informationszugang und antragsunabhängige aktive Informationspolitik

-     Richtlinie über die Öffentlichkeitsbeteiligung 2003/35/EG:

Konsultation und (Verbands-)Klagebefugnisse in Genehmigungsverfahren (UVP- und IPPC-Anlagen) und bei der Erstellung bestimmter Pläne und Programme.

-     Vorschlag für eine Richtlinie über den Zugang zu Gerichten in Umweltangelegenheiten (KOM (2003) 624):

Klagebefugnisse für Private und Verbände

-     Auch für die EU-Organe wurden  Rechtsakte zur Umsetzung der Aarhus-Konvention erlassen: VO 1040/2001; VO-Entwurf (KOM 2003) 622.

 

Ø       Auf EU-Ebene werden neue Steuerungsformen gefördert, deren Anforderungen an die Partizipation zu prüfen sind

 

§         Vgl für die Umweltpolitik die Mitteilungen der EU-Kommission über Umweltvereinbarungen. [ KOM (1996) 561 und KOM (2002) 412 ].  Die Kommission spricht sich insbesondere auch für eine stärkere Verrechtlichung dieses Instrumentariums aus. Wenn im Zuge dieser Entwicklung in Österreich die Einführung des  „öffentlich-rechtlichen Vertrags“ überlegt werden soll, müssen in diesem Zusammenhang  auch daraus resultierende Anforderungen in Bezug auf Öffentlichkeitsbeteiligung und Transparenz geprüft werden.

 

III.          Verfassungsrechtliche Reformaspekte

 

1.          Verankerung einer „Partizipationsbestimmung“ in der Verfassung

 

Reformbedarf?

 

Betonung des Stellenwerts der Partizipation

 

In Anbetracht des hohen Stellenwerts der Bürgerbeteiligung für eine „gute Verwaltung“ sollte über eine ausdrückliche Verankerung der Partizipation in einer Bestimmung der Verfassung diskutiert werden. Eine partizipative Verwaltungskultur kann gewiss nicht allein durch die Verfassung sichergestellt werden, sondern bedarf einfachgesetzlicher Maßnahmen sowie informeller Standards. Eine Bestimmung in der Verfassung, die den Stellenwert der Partizipation in der Verwaltung hervorhebt, könnte jedoch ein Bekenntnis des Staates darstellen, die Bereitschaft der Bürger zu Eigenverantwortung und zum Einsatz für Allgemeinbelange - als Einzelne und als Mitglieder der „organisierten Zivilgesellschaft - grundsätzlich nutzen zu wollen und als Grundsatz des Staatshandelns zu beachten.

 

Ergänzung des Effizienzgebots

 

Diskussionsbedarf nach einer „Partizipationsbestimmung“ in der Verfassung ist insbesondere auch im Zusammenhang mit dem Vorschlag entstanden, ein erweitertes Effizienzgebot in der Verfassung festzuschreiben. Durch die Verankerung einer „Partizipationsbestimmung“ in der Verfassung könnte der Stellenwert der Öffentlichkeitsbeteiligung als Ziel des Staatshandelns betont werden und so der Gefahr entgegengetreten werden, dass Effizienz der Verwaltung einerseits und Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger andererseits gegeneinander „ausgespielt“ werden. Eine „Partizipationsbestimmung“ könnte daher auch als Ergänzung eines erweiterten verfassungsgesetzlichen Effizienzgebots zweckmäßig sein.

 

Zum Vorschlag für ein Effizienzgebot wurde festgehalten, dass damit keine Ausrichtung der Zielvorgaben (Effektivität, Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit, Zweckmäßigkeit) auf ein bestimmtes Ziel vorgegeben sei (vgl Punkt X des Berichts des Ausschuss 6). Selbst wenn man dem grundsätzlich zustimmt, so ist doch andererseits nicht zu übersehen, dass Bürgerbeteiligung häufig primär als effizienzmindernder Faktor wahrgenommen wird und nicht als ein – möglichst effizient zu verfolgendes - Ziel bei der Verfolgung materieller Zielvorgaben durch Gesetzgeber und Verwaltung.

 

Einordnung in den Verfassungstext

 

Die Einordnung einer „Partizipatonsbestimmung“ im Verfassungstext könnte an folgenden Stellen geprüft werden:

 

§         Im Zusammenhang mit der Positivierung eines neu formulierten Effizienzgebots

§         Im Zusammenhang mit den Bestimmungen über die Auskunftspflicht

dh jeweils im Bereich des Art 20 B-VG im Rahmen der allgemeinen Bestimmungen des B-VG

§         Als Element eines Staatszielkatalogs in der Verfassung

§         Sektoriell beschränkt auf den Umweltbereich als Teil eines erweiterten Staatsziels Umweltschutz (vgl Textvorschläge Variante 2 und 3 zum Staatsziel Umweltschutz im Bericht des Ausschusses 1)

 

Textvorschläge für die Verankerung der Partizipation im Zusammenhang mit dem Vorschlag für ein erweitertes Effizienzprinzip

 

Ausgangspunkt - Textvorschlag des Ausschusses 6 zum Effizienzprinzip:

 

„Alle Organe des Bundes, der Länder und Gemeinden haben ein hohes Maß an Wirksamkeit anzustreben und sind verpflichtet, im Interesse der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit zu handeln. Sie sind weiters im Rahmen ihres gesetzmäßigen Wirkungsbereiches zur wechselseitigen Hilfeleistung verpflichtet (Amtshilfe).“

 

 

Variante 1

„Alle Organe des Bundes, der Länder und Gemeinden haben ein hohes Maß an Wirksamkeit, Transparenz und Öffentlichkeitsbeteiligung anzustreben. Sie sind verpflichtet, im Interesse der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit zu handeln. Sie sind weiters im Rahmen ihres gesetzmäßigen Wirkungsbereiches zur wechselseitigen Hilfeleistung verpflichtet (Amtshilfe).“

 

Variante 2:

„Alle Organe des Bundes, der Länder und Gemeinden haben ein hohes Maß an Wirksamkeit anzustreben. Sie sind verpflichtet, im Interesse der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit zu handeln und die Grundsätze der Transparenz und Öffentlichkeitsbeteiligung zu beachten. Sie sind weiters im Rahmen ihres gesetzmäßigen Wirkungsbereiches zur wechselseitigen Hilfeleistung verpflichtet (Amtshilfe).“

 

Variante 3:

„Alle Organe des Bundes, der Länder und Gemeinden haben ein hohes Maß an Wirksamkeit anzustreben und sind verpflichtet, im Interesse der Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit zu handeln. Sie sind weiters im Rahmen ihres gesetzmäßigen Wirkungsbereiches zur wechselseitigen Hilfeleistung verpflichtet (Amtshilfe).

 

Der Staat bezieht die Öffentlichkeit in geeigneter Weise in die Tätigkeit der Verwaltung ein, indem er ihr Informations- und Beteiligungsrechte und das Recht auf gerichtliche Durchsetzung von Rechtsvorschriften einräumt.“

 

Diskussionsbedarf

 

Die Verankerung einer „Partizipationsbestimmung“ wirft grundsätzlich die Fragen auf,

wer Adressat einer solchen Bestimmung ist, welche Form und Intensität der Mitwirkung erfasst sein soll, und wie es um die Justiziabilität einer solchen Bestimmung bestellt ist.

 

Dazu einige Anmerkungen, insbesondere im Zusammenhang mit dem Vorschlag, Partizipation in Verbindung mit dem Effizienzprinzip zu verankern:

 

Adressatenkreis des Effizienzprinzips sind nach der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung Gesetzgeber und Verwaltung. Auch eine „Partizipationsbestimmung“ sollte sich jedenfalls zunächst an den Gesetzgeber wenden.

 

Der Vorschlag für ein erweitertes Effizienzprinzip im Bericht des Ausschusses 6 bedient sich der Wendung „Organe des Bundes, der Länder und der Gemeinden“. Damit werden nach dem Wortlaut offenbar auch Gesetzgebungsorgane erfasst. Die Bezugnahme auf die Amtshilfe könnte andererseits darauf hindeuten, dass nur die Vollziehung gebunden werden soll.  Klarzustellen wäre auch, inwieweit dem Vorschlag zum Effizienzprinzip ein funktioneller Organbegriff zu Grunde liegt, der auch Selbstverwaltungskörper, Beliehene und Ausgegliederte erfasst.

 

Die Justiziabilität des Effizienzgebots beschränkt sich nach herrschender Ansicht auf eine bloße „Vertretbarkeitskontrolle“ durch den  Verfassungsgerichtshof. Letztlich wird dem Gesetzgeber auch mit einer „Partizipationsbestimmung“ lediglich ein weiter, konkretisierungsbedürftiger Rahmen gezogen werden.

 

Es sollte jedenfalls durch eine möglichst weite Formulierung („Öffentlichkeitsbeteiligung“) dem Umstand Rechnung getragen werden, dass verschiedene Bereiche der Verwaltung unterschiedlich intensive Partizipationserfordernisse aufweisen, denen jeweils durch den Gesetzgeber bzw durch die Verwaltung sachgerecht zu begegnen ist. Auch die Erfassung sowohl direkter als auch mittelbarer Partizipationsformen (zB Beteiligung von Initiativgruppen), sollte durch eine möglichst weite Formulierung sichergestellt werden.

 

Partizipation in der Verwaltung ist auf dem Boden der geltenden Verfassung im übrigen in mehrfacher Hinsicht ein Verfassungsthema. Die Funktion und der Stellenwert einer „Partizipationsbestimmung“ müssten insbesondere auch in Bezug auf das Legalitätsprinzip erörtert werden und mit Blick auf die Grundrechte betrachtet werden.

 

Legalitätsprinzip und Partizipation

 

Subjektive Rechte

 

Das Legalitätsprinzip gebietet, dass es subjektive, einklagbare Rechte geben muß. Der Einzelne soll nicht bloß Objekt der Verwaltung sein, sondern seine wesentlichen Interessen in einem geregelten Verfahren als durchsetzbare Rechtspositionen verteidigen können. Rechtsstaatliche Parteistellung - als eine Form der Partizipation am Verwaltungshandeln - hat insoweit die Funktion des Schutzes subjektiver Rechte. Zum Schutz welcher Interessen zwingend subjektive Rechte einzuräumen sind, ergibt sich vor allem aus der Grundrechtsordnung.

[Vgl dazu zB Rill, B-VG-Kommentar, Art 18; Korinek/Holoubek, Privatwirtschaftsverwaltung, 63f]. Zur Stärkung der Partizipationsbefugnisse durch die Grundrechte siehe unten.

 

Eine „Partizipationsbestimmung“ in der Verfassung soll rechtstaatliche Mindesterfordernisse jedenfalls nicht zurückdrängen. Zu überlegen ist, ob eine „Partizipationsbestimmung“ darüber hinaus auch - im Sinn einer ausdrücklichen „Zweifelsregelung“ - als Verpflichtung des Gesetzgebers zur „großzügigen“ Einräumung subjektiver Rechte wirken könnte.

 

Breitere Öffentlichkeitsbeteiligung

 

Die Forderung nach Partizipation in der Verwaltung erschöpft sich nicht in der Einräumung von Parteienrechten zum Schutz subjektiver Rechte. Unter dem Stichwort Bürgerbeteiligung wird vor allem eine breitere Beteiligung der Öffentlichkeit  am Verwaltungshandeln gefordert, die dazu beitragen soll :

 

-          die demokratische Legitimation von Verwaltungsentscheidungen zu erhöhen  und

-          den Schutz sogenannter diffuser Interessen und die Sicherung der Einhaltung des objektiven Rechts zu stärken.

 

Zur Diskussion stehen hier vor allem:

 

-          die Erweiterung des Modells des individuellen Rechtsschutzes durch eine „Öffnung“ der Parteistellung, insbesondere  durch die Einräumung von Parteienrechten und Beschwerdebefugnissen für Initiativgruppen und Verbände sowie

-          die Schaffung von Anhörungs- und Begutachtungsrechten.

 

Vor allem die Frage der „Öffnung“ der Parteistellung hat in der Staatsrechtslehre zu Diskussionen geführt, ob und inwieweit damit notwendig eine Beeinträchtigung der Legalität des Verwaltungshandelns zu befürchten ist.

 

Das Spannungsverhältnis zwischen Legalitätsprinzip und Demokratisierung der Verwaltung wurde in Österreich - „Kelsen/Merkl´schen Demokratiemodell  - zunächst im Zusammenhang mit der Forderung nach einer Demokratisierung der Verwaltungsorganisation im Bereich der Bezirksverwaltungsbehörden diskutiert. [kritisch zur herrschenden Einschätzung der Kelsen-Merkl´schen Konzeption Öhlinger/Matzka, Demokratie und Verwaltung als verfassungsrechtliches Problem, ÖZPW 1975, 445].

 

Mit Blick auf das Legalitätsprinzip wird aber schon derzeit jedenfalls anerkannt:

 

-          dass Partizipation als Kompensation für eine schwache gesetzliche Determinierung des Verwaltungshandelns in verschiedenen Regelungsbereichen erhöhte Bedeutung haben kann.

 

Dies gilt insbesondere für den Bereich der Planung, aber auch im Bereich von Ermessen und unbestimmten Gesetzesbegriffen.

[vgl zB Pernthaler, Raumplanung und Verfassung (1990), 468ff; Mayer, Bürgerbeteiligung zwischen Rechtsstaat und Demokratie (1988) 46; Walter, Partizipation an Verwaltungsentscheidungen (1973) 157f].

 

-          dass dem B-VG nicht zu entnehmen ist, dass es nur einen Rechtsschutz für subjektive Rechte geben darf, sondern dass es Rechtsschutzeinrichtungen auch für die Sicherung der Wahrung des objektiven Rechts geben darf. [vgl dazu zB Mayer, Bürgerbeteiligung zwischen Rechtsstaat und Demokratie (1988) 42ff]

 

Für die Beschwerdelegitimation vor dem Verfassungsgerichtshof hat der VfGH jüngst in einem Prüfbeschluss allerdings verfassungsrechtliche Grenzen des Schutzes der objektiven Rechtmäßigkeit aufgezeigt. Dazu unten.

 

Im Zusammenhang mit der Verankerung einer „Partizipationsbestimmung“ wäre vor allem die Wirkung einer solchen Bestimmung für die Interdependenz von Rechtsstaatlichkeit und Demokratie zu diskutieren. Eine „Partizipationsbestimmung“ darf weder die Gesetzmäßigkeit in der Verwaltung noch den individuellen Rechtsschutz beeinträchtigen. Sie könnte aber möglicherweise als ausdrückliche Verpflichtung wirken, die demokratische Legitimation der Verwaltung in Bereichen „verdünnter“ Legalität durch adäquate Maßnahmen der Partizipation zu stärken. Sie könnte weiters als Verpflichtung verstanden werden, die Parteistellung im Verwaltungsverfahren in sachgerechter Weise zur Sicherung der Einhaltung des objektiven Rechts zu öffnen. Zu fragen ist schließlich, ob und inwieweit eine „Partizipationsbestimmung“ Wirkungen auf die Umgestaltung des Organisationsrechts (organisatorische Demokratisierung der Verwaltung) erzeugt und inwieweit dies wünschenswert ist.

 

Grundrechte und Partizipation

 

Eine „Partizipationsbestimmung“ und ihr Stellenwert ist weiters auch im Zusammenhang mit den Grundrechten zu sehen.  Partizipation ist in mehrfacher Hinsicht grundrechtsrelevant. Insbesondere folgende Aspekte können hervorgehoben werden:

 

-          Grundrechtliche Verbürgungen (zB ein Recht auf Informationszugang) können die Möglichkeiten aktiver Bürgerbeteiligung stärken.

 

-          Der Gesetzgeber kann weiters in Erfüllung grundrechtlicher Gewährleistungspflichten gehalten sein, Bürgern subjektive Rechte einzuräumen und sie zum Schutz ihrer Rechte an Verfahren zu beteiligen.

 

-          In besonderen Konstellationen können aus grundrechtlichen Schutzpflichten auch Anforderungen an die Ausgestaltung verfahrensrechtlicher Regelungen - „Grundrechtssicherung durch Verfahren“ – resultieren.  [vgl Holoubek, Gewährleistungspflichten (1996) 328ff)].

 

-          Im Zusammenhang mit sozialen Grundrechten gewinnen schließlich kollektive Rechtschutzmechanismen besondere Bedeutung.

 

Es bedürfte jeweils gesonderter Untersuchung, inwieweit die im Konvent diskutierten Vorschläge für einen Grundrechtskatalog eine Stärkung der Informations- und Mitwirkungsrechte der Öffentlichkeit bewirken.

 

2.          Transparenz der Verwaltung als essentielle Voraussetzung für Partizipation

 

Vorbemerkungen

 

Transparenz des Verwaltungshandelns und der Zugang zu Informationen sind essentielle Voraussetzungen für eine aktive Rolle der Bürgerinnen und Bürger in einem demokratischen Gemeinwesen.

 

In der EU besteht eine starke Tendenz zu Transparenz und Informationsfreiheit.

 

Moderne Technologien ermöglichen es der Verwaltung, Auskunft und Informationszugang ressourcenschonend zu gewähren.

 

Reformaspekte

 

Aus dem Blickwinkel der Transparenz und Partizipation sind vor allem folgende Anliegen für die verfassungsrechtliche Reformdiskussion hervorzuheben:

 

§    Unterordnung der Amtsverschwiegenheit unter Informationszugang und Auskunftspflicht

§    Subjektiv einklagbare Rechte auf Auskunft und Informationszugang

§    Auskunftspflicht- und Recht auf Zugang zu Dokumenten

§    Aktive Informationspflichten der Verwaltung

§    Möglichste Reduktion der Amtsverschwiegenheit. Verpflichtung des Gesetzgebers, die Bereiche, in denen Erfordernisse zur Einschränkungen der Informationsfreiheit bestehen möglichst eng zu umschreiben.

§    Möglichkeit der Erfassung  ausgegliederter Rechtsträger bzw Erbringer von Dienstleistungen im allgemeinen öffentlichen Interesse

 

Zu den bisher vorgelegten Vorschlägen

 

Ausschuss 8

 

Die Neugestaltung der Bestimmungen zu Amtsverschwiegenheit und Auskunftspflicht und die Unzulänglichkeiten der geltenden Verfassungslage wurde im Ausschuss 8 auf der Grundlage umfassender Thesenpapiere diskutiert. Das Ergebnis der Beratungen des Ausschusses 8 hält in vielen der oben angesprochenen Aspekte einen Konsens zur Gestaltung der B-VG-Bestimmungen fest.

 

Ausschuss 6

 

Auch der Bericht des Ausschusses 6 bringt zum Ausdruck, dass die Unterordnung der Amtsverschwiegenheit unter die Auskunftspflicht in der Verfassung derzeit nicht hinreichend deutlich zum Ausdruck kommt.

 

Die im Bericht abgebildeten Textvorschläge umfassen auch ein einklagbares Recht auf Erteilung von Auskunft und Zugang zu Dokumenten (Textvorschlag C).

 

Einige weitere zentrale Reformaspekte werden in den abgebildeten Textvorschlägen (A und B) noch nicht aufgegriffen. Das betrifft insbesondere folgende Fragen:

 

§    Auskunftspflicht- und Recht auf Zugang zu Dokumenten

Textvorschlag A und B sehen jeweils nur Auskunftspflicht vor

 

§    Möglichste Reduktion der Amtsverschwiegenheit

Textvorschlag A sieht weitgehende Pflicht zur Verschwiegenheit vor und verpflichtet den Gesetzgeber nicht zur möglichst engen Umschreibung der Ausnahmen

 

§    Möglichkeit der Erfassung ausgegliederter Rechtsträger bzw Erbringer von Dienstleistungen im allgemeinen öffentlichen Interesse

Textvorschläge A und B treffen jedenfalls keine Klarstellung in Bezug auf nicht hoheitliche Aufgaben

 

3.          Verbandsklagebefugnisse

 

Aktueller Bedarf nach Schaffung von Verbandsklagebefugnissen

 

Die UN-ECE Konvention von Aarhus und die Rechtsakte der EU zur Umsetzung der Aarhus-Konvention erfordern, dass Nichtregierungsorganisationen im Umweltbereich Parteistellung und Beschwerdebefugnis vor Gerichten eingeräumt wird.

 

Mit der Pflicht zur Umsetzung der Richtlinie über Öffentlichkeitsbeteiligung besteht für Österreich bereits aktueller Bedarf nach Einführung einer Verbandsklagebefugnis für NGOs in bestimmten Anlagengenehmigungsverfahren.

(RL 2003/35/EG. Frist: 25.6.2005;  UVP-pflichtige Anlagen, IPPC-Anlagen).

 

Auch für den Schutz sozialer Grundrechte deren Schutzbereich kollektive Rechtsgüter umfasst, sind Rechtschutzinstrumente wie die Verbandsklage besonders bedeutsam.

 

Ausgangslage

 

Das österreichische Rechtsschutzsystem ist zentral auf den Schutz individueller subjektiver Rechte zugeschnitten. „Kollektiver Rechtsschutz“, zB durch die Einräumung von Parteistellung und Klagebefugnisse an Verbände, ist die Ausnahme (zB im Verbraucherschutz- oder Wettbewerbsrecht). Vorschriften, die der präventiven Gefahrenvorsorge dienen, wie zB Emissionsgrenzwerte, werden von der Rechtsprechung nicht als individuell einklagbare subjektive Rechte angesehen.

 

Die österreichische Rechtsordnung ähnelt hier insgesamt dem deutschen Rechtssystem. In zahlreichen Mitgliedstaaten der EU aber auch in Rechtsordnungen außerhalb Europas ist die Situation demgegenüber weniger restriktiv. 

 

Vielfach wird in anderen Rechtsordnungen ein weit gefasstes Interesse des Einzelnen als ausreichend für den Zugang zu gerichtlichem Rechtschutz angesehen. Vereinzelt ist sogar die Popularklage vorgesehen (vgl für den Umweltbereich Portugal). Zudem wird - allgemein bzw speziell im Umweltbereich – Verbänden ein Klagerecht eingeräumt (Vgl dazu die Ergebnisse der „Acces-Studie“ der Kommission; für die neuen Mitgliedstaaten zB Polen).

 

Reformbedarf auf Verfassungsebene

 

Die Entwicklungen zur Verbandsklage auf EU-Ebene erfordern jedenfalls ein Tätigwerden des Gesetzgebers. Die Verankerung von Verbandsklagebefugnissen könnte zudem auch Reformen auf Verfassungsebene (insbesondere in Bezug auf Art 131, Art 139, Art 140, Art 144 B-VG)  erforderlich machen:

 

Es wäre zu prüfen, inwieweit sichergestellt ist, dass der einfache Gesetzgeber Verbänden höchstgerichtlich durchsetzbare Rechtsansprüche und Anfechtungsbefugnisse einräumen kann und welche Änderungen der Verfassung gegebenenfalls erforderlich sind, um dies im erforderlichen Umfang zu gewährleisten.

 

Vor allem die Anforderungen an die Beschwerdelegitimation vor dem VfGH nach Art 144 B-VG könnten hier Grenzen setzen. Anlass zur Diskussion darüber gibt ein Prüfbeschluss des VfGH zum Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz.

 

Prüfbeschluss B 456, 457/03; B 462/03 vom 27. November 2003: Der VfGH geht darin vorläufig davon aus, dass es dem einfachen Gesetzgeber verwehrt ist, staatlichen Organen zur Wahrung der objektiven Gesetzmäßigkeit oder zur Durchsetzung der von ihnen wahrzunehmenden öffentlichen Interessen die Befugnis zur VfGH-Beschwerde zu verleihen. Dies auch dann, wenn diese Befugnisse vom einfachen Gesetzgeber als subjektives Recht bezeichnet werden. Die Bedenken des VfGH gründen wesentlich darauf, dass nach seiner Ansicht Organe eines Rechtsträgers (wie im Beschwerdefall zB der Umweltanwalt) mangels eigener Interessenssphäre nicht in ihren Rechten verletzt werden können. Die Bedenken des VfGH sind daher nicht ohne weiteres auf Beschwerdebefugnisse für Verbände übertragbar. Aber: Auch die Interessen von Verbänden an der Einhaltung von Rechtsvorschriften könnten vom VfGH - ähnlich wie die Interessen des Umweltanwalts - als bloß objektive und nicht „echte“ subjektive Interessen qualifiziert werden.

 

 

 

2.6.2.    Ausschuss 06 Textvorschlag Partizipationsprinzip

 

Marlies Meyer Wien, am 11. Oktober 2004

 

Vorschlag für ein erweitertes Effizienzgebot

Textvorschlag an den Ausschuss 6

 

„Alle Organe des Bundes, der Länder und Gemeinden sind zu Sparsamkeit, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit verpflichtet, haben transparent zu handeln und grundsätzlich die Öffentlichkeit zu beteiligen. Weiters haben sie ein hohes Maß an Wirksamkeit anzustreben und sind im Rahmen ihres gesetzmäßigen Wirkungsbereichs zur wechselseitigen Hilfeleistung verpflichtet (Amtshilfe).“

 

 

Begründung

 

Der Textvorschlag ergänzt den bereits von anderer Seite eingebrachten Textvorschlag für ein erweitertes Effizienz- bzw Effektivitätsgebot um die Verpflichtung, transparent zu handeln und grundsätzlich die Öffentlichkeit zu beteiligen. Im folgenden wird nur auf diese Ergänzung eingegangen ansonsten auf die Begründung des anderen Textvorschlags verwiesen.

 

Durch die Positivierung der von den Prüfungskriterien des Rechnungshofes (Art 126 b Abs 5, 127 Abs 1 und Art 127 a Abs 1 B-VG) ausgehenden Judikatur zum Effizienzgebot sowie durch Ansiedlung „rund um Art 20“ wird das Effizienzgebot besonders aufgewertet. Deshalb ist es notwendig, die Grundsätze der Transparenz und Partizipation, die selten eigenständige Zwecke sind und die in einem starken Spannungsverhältnis zu den wirtschaftlichen Grundsätzen stehen (zumindest in einer kurzfristigen Betrachtung), auf gleicher Ebene zu positivieren. Zu verweisen ist auf das Weißbuch „Europäisches Regieren“ (KOM (2001)428) welches folgende fünf Grundsätze guten Regierens gleichrangig formuliert: Offenheit, Partizipation, Verantwortlichkeit, Effektivität und Kohärenz. Die vorgeschlagene Ergänzung ist auch im Lichte des Art I 46 der EU-Verfassung, dem Grundsatz der partizipativen Demokratie, ausgestaltet als ständiger Dialog der EU-Organe mit der Zivilgesellschaft, sowie des Art I 49, Transparenz der Arbeit der Organe der Union,  zu  sehen. Die europäische Union wirkt in zahlreichen Rechtsakten als Motor für Informationszugang, transparente Konsultationsprozesse, Beteiligung an Verfahren und Politiken, Klagemöglichkeiten Einzelner und von Verbänden (zB RL 2003/35, RL 2000/60, KOM (2002) 704). Auf internationaler Ebene ist insbesondere auf die Aarhus-Konvention der UN-ECE zu verweisen.

 

Das Transparenz- und Partizipationsgebot richtet sich an Gesetzgebung und Vollziehung. Der Gesetzgeber ist insbesondere angesprochen, wenn durch Maßnahmen der Transparenz und Partizipation Rechte Dritter tangiert werden oder wenn der Öffentlichkeit Rechte darauf eingeräumt werden sollen. Ansonsten gelten die Grundsätze als direkte Handlungsanleitungen der Verwaltung.

 

Transparenz: Das Transparenzgebot steht unter dem Vorbehalt des Art 10 Abs 2 MRK, geht jedoch über das Auskunftsrecht (siehe dazu den Vorschlag in Ausschuss 8) hinaus, weil es eine aktive Informationspflicht und -politik der Organe inkludiert.  Staatliches Handeln muss auch nachvollziehbar sein.

 

Partizipation: Die Beteiligung ist ein weiter Begriff, der sowohl eine „Anhörung“ (in schriftlicher und mündlicher Form) als auch die rechtswirksame Beteiligung im Wege der Parteistellung in Verwaltungsverfahren umfassen kann (in diesem Fall setzt dies natürlich zwingend eine gesetzliche Regelung voraus).

 

Öffentlichkeit: Mit Öffentlichkeit ist die Zivilgesellschaft gemeint, die dem Staat als jedermann oder jede Frau  sowie in organisierter Form gegenübertritt.

 

Justiziabilität/Sachlichkeitsgebot/Rechtsstaatlichkeit: Die Transparenz- und Partizipations-grundsätze sollen so wie die Wirtschaftlichkeitsgrundsätze justiziabel sein. Sie stehen unter dem Vorbehalt des Sachlichkeitsgebots und der Rechtsstaatlichkeit. Mit welcher Intensität sie verwirklicht werden müssen, hängt von der Art der Materie, dies heißt dem Interesse der Öffentlichkeit an der Materie, der Konfliktträchtigkeit sowie dem Determinierungsgrad der Materie und damit dem Legitimationsbedarf des Staates sowie der Sensibilität der Daten, ab.

 

Sollte es in Zusammenhang mit der Ausgliederungsfrage zu einvernehmlichen Textvorschlägen kommen, wäre der Verwaltungsbegriff in Art 22 allenfalls entsprechend zu adaptieren.

 

 

 

2.8.1.    Ausschuss 08 Informationsrecht

 

Abg. Dr. Eva Lichtenberger Wien, 15. November 2004

 

Textvorschlag zur Neuregelung von Art 20 Abs 3 und 4 B-VG (Amtsverschwiegenheit):

 

Jede Person hat ein Recht auf Auskunftserteilung sowie Zugang zu den Dokumenten öffentlicher Einrichtungen und von anderen Rechträgern, die vom Staat mit der Erfüllung öffentlicher Aufgaben betraut sind, hinsichtlich dieser Aufgaben. Dieses Recht kann durch Gesetz Einschränkungen unterworfen werden wie sie in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen Sicherheit, der territorialen Unversehrtheit oder der öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und der Verbrechensverhütung, des Schutzes der Gesundheit und Moral, des Schutzes des guten Rufes oder der Rechte anderer unentbehrlich sind, um die Verbreitung von vertraulichen Nachrichten zu verhindern oder das Ansehen und die Unparteilichkeit der Rechtssprechung zu gewährleisten.

 

 

 

2.8.2.    Ausschuss 08 Kontrollrechte in Gemeinden

 

Abg. Dr. Eva Lichtenberger

Arbeitsunterlage für den Auschuss 8

Wien, am 27. 2. 2004

 

 

Kontrollrechte der Gemeinden

 

Ich möchte folgende Inhalte in der Bundesverfassung anregen:

 

  1. Aufgabenvorbehalt für das Organ Gemeinderat

 

Die Aufgaben des Gemeinderates sind nur indirekt und sporadisch geregelt (Art 117 Abs 4 B-VG: „Wenn der Gemeindeanvorschlag oder der Gemeinderechnungsabschluss behandelt wird, darf die Öffentlichkeit nicht ausgeschlossen werden.“ Art Art 117 Abs 6 B-VG: „ Der Bürgermeister wird vom Gemeinderat gewählt. In der Landesverfassung kann vorgesehen werden, dass die zur Gemeinderatswahl Berechtigten den Bürgermeister wählen.)

 

Zur Absicherung des demokratischen Prinzips sollte bereits in der Bundesverfassung eine Mindestaufgabenliste des Organ Gemeinderats (im Verhältnis zum Gemeindevorstand, dem Bürgermeister und anderer bestellter Organe) definiert werden. Über den Umfang der Liste wäre zu diskutieren.

 

  1. Mindestkontrollrechte

 

Rechtslage: Art 118 Abs 5 B-VG: „Der Bürgermeister, die Mitglieder des Gemeindevorstandes (Stadtrates, Stadtsenates) und allenfalls bestellte andere Organe der Gemeinde sind für die Erfüllung ihrer dem eigenen Wirkungsbereich der Gemeinde zugehörigen Aufgaben dem Gemeinderat verantwortlich.“

 

Die Mitwirkungsrechte und Kontrollrechte der einzelnen Mitglieder im Gemeinderat sind äußerst unterschiedlich ausgestattet. In der Praxis bestehen Defizite insbesondere bei:

 

 

Die Kontrollinstrumente stehen insgesamt recht unterschiedlich zur Verfügung, insbesondere ist auf das zT fehlende Misstrauensvotum gg über Bürgermeister zu verweisen.

 

Die Bundesverfassung sollte ein bestimmtes Mindestniveau an Mitwirkung und Kontrolle sicherstellen, dem Landesgesetzgeber die Ausgestaltung überlassen bleiben. Art 118 Abs 5 B-VG sollte daher entsprechend konkretisiert werden.

 

  1. Öffentlichkeit der Gemeinderatssitzungen

 

Nach geltender Verfasssungsrechtslage ist die Öffentlichkeit nur für den Gemeindevoranschlag und den Gemeinderechnungsabschluss garantiert.

 

Es sollte analog zu den Regelungen für den Nationalrat (Art 32 B-VG), Bundesrat (Art 37 Abs 3 B-VG) und den Landtag (Art 96 Abs 2 B-VG) auch für den Gemeinderat das Prinzip der Öffentlichkeit mit der Möglichkeit, Ausnahmen für einzelne Tagesordnungspunkte zu beschließen, wenn dies zum Schutz der in Art 10 Abs 2 MRK genannten Interessen notwendig ist, verankert werden.

 

  1. Ersatzmitgliedschaft im Gemeinderat

 

Die ca 40.000 Mitglieder der österreichischen Gemeindevertretungen üben diese Funktion ehrenamtlich – neben der Berufstätigkeit - aus. Es sollte daher zumindest Standard sein, dass sich Mitglieder des Gemeinderats vertreten lassen können. Beispielhaft wäre hier die Regelung der OÖ Gemeindeordnung anzuführen. Die Bundesverfassung sollte diese Ersatz(Vertretungs)regelung garantieren.

 

§ 33. Wahlen in Ausschüsse

(1)Der Gemeinderat hat die Mitglieder (Ersatzmitglieder) der Ausschüsse zu wählen. Auch Ersatzmitglieder des Gemeinderates können zu Mitgliedern von Ausschüssen gewählt werden; im Übrigen sind für die Wahl der Mitglieder (Ersatzmitglieder) der Ausschüsse die Bestimmungen über die Wahl der Mitglieder des Gemeindevorstands sinngemäß anzuwenden, sofern der Gemeinderat nicht einstimmig einen anderen Wahlvorgang beschließt.

 

§ 47 Anwesenheitspflicht

(1) Die Mitglieder des Gemeinderates haben an den Sitzungen des Gemeinderates teilzunehmen. Mitglieder des Gemeinderates, die am Erscheinen zu einer Sitzung verhindert sind, haben den Bürgermeister unter Mitteilung des Grundes der Verhinderung davon unverzüglich zu benachrichtigen. Der Bürgermeister hat in diesem Fall sofort Ersatzmitglieder einzuberufen. Hiebei kann von den Vorschriften des § 45 Abs. 3 insoweit abgegangen werden, als es zur rechtzeitigen Verständigung der Ersatzmitglieder erforderlich ist. 

 

  1. Gemeindeaufsicht

 

Die Aufsichtsbeschwerde Dritter bei der Aufsichtsbehörde ist in der Praxis aus bekannten Gründen meist wirkungslos.

 

Eine Ergänzung von Art 119 a Abs 4 B-VG („Die Gemeinde ist berechtigt, sich über jedwede Angelegenheit der Gemeinde zu unterrichten. Die Gemeinde ist verpflichtet, die von der Aufsichtsbehörde im einzelnen Fall verlangten Auskünfte zu erteilen und Prüfungen an Ort und Stelle vornehmen zu lassen.“) wäre wünschenswert: „Beschwerden Einzelner hat die Aufsichtsbehörde nachzugehen und über das Ergebnis der Überprüfung und allfälliger Aufsichtsmaßnahmen dem Beschwerdeführer/der Beschwerdeführerin schriftlich zu berichten.“

 

  1. Rechtszug im eigenen Wirkungsbereich

 

Statt der Vorstellung nach Art 118 a B-VG an die Landesregierung sollte der Rechtszug an den Unabhängigen Verwaltungssenat bzw  das Landesverwaltungsgericht eröffnet werden. Auch der Gemeinde sollte  jedoch gegen Entscheidungen des UVS die Beschwerde an den VwGH offen stehen.

 

 

 

2.8.3.    Ausschuss 08 Offenlegung Politikervermögen

 

Dr. Eva Lichtenberger Wien, 18. Februar 2004

 

§ 2 Unvereinbarkeitsgesetz

Vorschlag für Offenlegung

(angelehnt an das Schweizer Gesetz über die Bundesversammlung, Art 11 und die deutsche Regelung)

 

 

„Die im § 1 bezeichneten Personen haben bei Amtsantritt sowie jeweils bei Jahresbeginn dem Präsidenten/der Präsidentin des Nationalrates schriftlich

 

a)       ihre beruflichen Tätigkeiten,

b)       ihre Tätigkeiten in Aufsichtsräten, Beiräten, Körperschaften, Stiftungen u.ä.,

c)       ihre Beratungstätigkeiten- und Lehrtätigkeiten,

d)       leitende oder beratende Tätigkeiten in Interessensgruppen und

e)       Vereinbarungen über Tätigkeiten oder Vermögensvorteile nach Beendigung der Funktion oder des Mandats

 

bekannt zu geben. Darüber hinaus haben die in § 1 bezeichneten Personen dem Präsidenten/der Präsidentin des Nationalrates jährlich Spenden und sonstige Zuwendungen, deren Endbegünstigte sie sind, bekannt zu geben. Spenden sind sowohl Geldspenden als auch Sachspenden, Überlassungen von Arbeitskräften oder Sachen, zur Verfügung Stellen von Dienstleistungen, Übernahme von Werbeaufwendungen und ähnliches.

 

Der Präsident/die Präsidentin des Nationalrates veröffentlicht diese Informationen in geeigneter Form im Amtsblatt der Wiener Zeitung und auf der Homepage des Parlaments. Spenden eines Spenders/einer Spenderin, die in Summe das Monatsgehalt des/der Empfänger/in überschreiten, müssen unter Angabe des Spenders/der Spenderin und des Betrags angeführt werden, alle übrigen summarisch ausgewiesen werden.“

 

 


 

2.8.4.    Ausschuss 08 Umweltanwaltschaften

 

Abg. Dr. Eva Lichtenberger

Arbeitsunterlage Ausschuss 8 Wien, am 27. 2. 2004

 

Bundes- und Landesumweltanwaltschaften

 

  1. Bundesumweltanwaltschaft

 

Für den Fall, dass die mittelbare Bundesverwaltung aufgelassen werden sollte, rege ich die Einrichtung einer Bundesumweltanwaltschaft zur Wahrung eines gesetzmäßigen und einheitlichen Vollzugs an. Die bereits vorgelegten Textvorschläge sehen folgende Elemente vor:

 

 

  1. Landesumweltanwaltschaften

 

Aufgrund der zentralen Aufgaben, die Bundesgesetze bereits den Umweltanwaltschaften der Länder nach dem Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz, dem Abfallwirtschaftsgesetz und dem Umweltmanagementgesetz übertragen haben, muss meines Erachtens von Verfassungs wegen garantiert sein:

 

 

Dies ist derzeit keineswegs der Fall.

 

Kärnten hat einen Naturschutzbeirat, daher keine ständige Einrichtung. Den Vorsitz hat der Landesrat für Naturschutz inne, er ist also kein von der Behörde (Landesregierung) unabhängiges Organ. Die Zuständigkeit für Umweltangelegenheiten, auch in den Bundesverfahren, wird vom Land Kärnten bestritten (anderer Ansicht BMLFUW).

 

In Tirol, Vorarlberg und Kärnten ist die Weisungsfreiheit nicht gegeben.

 

Die Ausstattung stellte sich zum Herbst 2002 wie folgt dar:

 

Die personelle Ausstattung (inkl Leitung und Sekretariat) der UA pendelt zwischen 11 (Wien und OÖ) und 2 (Vlbg) Personen. Dazwischen liegen NÖ (10), Stmk (7), Sbg (6), Tirol (4) und Bgld (3). Die Vlbg Anwaltschaft muss ohne juristische Fachkraft auskommen. Die übrigen Anwaltschaften können keineswegs alle notwendigen Sachverständigenfelder (wie zB Umwelttechnik, Biologie, Umweltmedizin, Kulturtechnik, Raumplanung) durch eigenes Personal abdecken.

 

 


 

2.8.5.    Ausschuss 08 Grüne Textvorschläge

 

Dr Eva Lichtenberger Wien, April 2004

 

Grüne Textvorschläge[26] im Ausschuss 8

 

Für den Anhang zum Ausschussbericht 8 werden folgende grüne Textvorschläge eingebracht:

 

Artikel 20 Abs 3: Recht auf Auskunft und Dokumentenzugang

 

(3) Jede Person hat ein Recht auf Auskunftserteilung sowie Zugang zu den Dokumenten öffentlicher Einrichtungen. Dieses Recht kann durch Gesetz Einschränkungen unterworfen werden wie sie in einer demokratischen Gesellschaft im Interesse der nationalen Sicherheit, der territorialen Unversehrtheit oder der öffentlichen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und der Verbrechensverhütung, des Schutzes der Gesundheit und Moral, des Schutzes des guten Rufes oder der Rechte anderer unentbehrlich sind, um die Verbreitung von vertraulichen Nachrichten zu verhindern oder das Ansehen und die Unparteilichkeit der Rechtssprechung zu gewährleisten.

 

 

Artikel 41 Abs 2: Erweiterung des Volksbegehrens (Bund) auf Staatsverträgen, Angelegenheiten der Europäischen Union und der Vollziehung; zwingende Stellungnahme des NR zu VB

 

(2) Jeder von 100 000 Stimmberechtigten oder von je einem Sechstel der Stimmberechtigten dreier Länder gestellte Antrag (Volksbegehren) ist von der Bundeswahlbehörde dem Nationalrat zur Behandlung vorzulegen. Stimmberechtigt bei Volksbegehren ist, wer am letzten Tag des Eintragungszeitraums das Wahlrecht zum Nationalrat besitzt und in einer Gemeinde des Bundesgebietes den Hauptwohnsitz hat. Das Volksbegehren muss eine Angelegenheit der Bundesgesetzgebung, der Bundesvollziehung, der Mitwirkung des Nationalrates an Vorhaben der Europäischen Union (Art 23 e) oder die Genehmigung von Staatsverträgen (Art 50) betreffen. Die Teilnahme an Volksbegehren im Ausland ist zu ermöglichen. Das Bundesgesetz über die Geschäftsordnung des Nationalrates hat vorzusehen, dass dieser eine Debatte über jedes Volksbegehren durchzuführen hat. Erfolgt nach Schluss dieser Debatte kein dem Volksbegehren entsprechender Beschluss über ein Bundesgesetz oder fasst der Nationalrat keine entsprechende Entschließung nach Art 52 Abs 1 oder eine entsprechende Stellungnahme nach Art 23 e Abs 2, so hat der Nationalrat über das Volksbegehren selbst abzustimmen.

 

 

Artikel 43 Abs 2: Vetoreferendum

 

(2) Ein Gesetzesbeschluss des Nationalrates ist auch dann einer Volksabstimmung zu unterziehen, wenn 100.000 Stimmberechtigte dies innerhalb von acht Wochen nach Fassung des Gesetzesbeschlusses verlangen.

 

 

Artikel 49b: Volksinitiative auf Volksbefragung und Erweiterung auf Vollziehung

 

(1) Eine Volksbefragung kann nur Angelegenheiten der Bundesgesetzgebung oder der Bundesvollziehung betreffen, die von grundsätzlicher und gesamtösterreichischer Bedeutung sind. Sie hat stattzufinden, sofern der Nationalrat dies auf Grund eines Antrages seiner Mitglieder oder der Bundesregierung nach Vorberatung im Hauptausschuss beschließt. Eine Volksbefragung ist auch durchzuführen, wenn dies von 100.000 Stimmberechtigten verlangt wird. Wahlen sowie sonstige Angelegenheiten, über die ein Gericht zu entscheiden hat, können nicht Gegenstand einer Volksbefragung sein.

 

 

Artikel 52 Abs 3: Klarstellung zur Reichweite des parlamentarischen Fragerechts/Grenzen des Entschlagungsrechts

 

(3) Fragerechte gemäß Abs 1 und 2 bestehen hinsichtlich aller Gegenstände der Vollziehung des Bundes. Dazu gehören alle Regierungsakte, alle Angelegenheiten der behördlichen Verwaltung, der Verwaltung als Trägers von Privatrechten sowie der in Abs 1 genannten Unternehmungen. Widerspricht die Erteilung einer gewünschten Auskunft dem Recht auf Datenschutz oder auf Achtung des Privat- und Familienlebens wegen der gegebenen Öffentlichkeit der Auskunft oder ist die Beantwortung unmöglich, so hat der Befragte die unterlassene Beantwortung zu begründen.

 

 

Artikel 52c: Kontrollausschuss für öffentliche Unternehmen

 

(1) Zur Kontrolle von Unternehmen, an denen der Bund mindestens 25% der Anteile besitzt oder die der Bund durch finanzielle, wirtschaftliche oder organisatorische Maßnahmen beherrscht, wählt der zuständige Ausschuss des Nationalrates einen ständigen Unterausschuss. Dem Unterausschuss muss mindestens ein Mitglied jeder im Hauptausschuss des Nationalrates vertretenen Partei angehören. Der Unterausschuss ist unter Angabe des Untersuchungsgegenstandes einzuberufen, wenn dies ein Drittel der Mitglieder verlangt.

 

(2) Der ständige Unterausschuss ist befugt, von den Vorstandsmitgliedern sowie vom Präsidenten bzw. von der Präsidentin des Aufsichtsrates der in Abs.1 genannten Unternehmen Auskünfte über die Geschäftsführung und die Lage dieser Unternehmen sowie die im Vorstand oder Aufsichtsrat gefassten Beschlüsse zu verlangen. Die Vorstandsmitglieder und der Präsident bzw. die Präsidentin des Aufsichtsrates solcher Unternehmen sind verpflichtet, dem ständigen Unterausschuss unbeschränkt Auskünfte zu erteilen. Die Berichterstattung hat den Grundsätzen einer gewissenhaften und getreuen Rechenschaft zu entsprechen.

 

(3) Die Mitglieder des Unterausschusses haben über von den Auskunftspersonen als vertraulich bezeichnete Angaben Stillschweigen zu bewahren, sofern nicht das öffentliche Interesse eine Offenlegung von Tatsachen rechtfertigt. Im Fall einer ungerechtfertigten Offenlegung von vertraulichen Angaben haften die Mitglieder des Unterausschusses dem Unternehmen nach § 84 AktG. Als vertraulich dürfen von den Auskunftspersonen nur jene Angaben bezeichnet werden, bei denen nach vernünftiger kaufmännischer Beurteilung dem Unternehmen oder einem verbundenen Unternehmen bei Bekanntwerden ein erheblicher Nachteil zugefügt würde.

 

 

Artikel 98 Abs 5: Politische Kontrolle durch Landtage, Minderheitenrechte

 

(5) Die Landtage sind befugt, die Geschäftsführung der von ihnen gewählten Landesregierungen zu überprüfen, deren Mitglieder über alle Gegenstände der Vollziehung, insbesondere auch über Gegenstände der mittelbaren Bundesvollziehung, zu befragen und alle einschlägigen Auskünfte zu verlangen. Diese Rechte kommen jedenfalls auch Mitgliedern von Minderheitsfraktionen zu. Die Landtage sind außerdem befugt, die Landesregierung und ihre Mitglieder im Wege von Entschließungen zu einem bestimmten Verwaltungshandeln anzuhalten.

 

 

Volksbefragung der Länder in Angelegenheiten der mittelbaren Bundesverwaltung

 

Art xy. Durch Landesverfassungsgesetz kann eine Volksbefragung in Angelegenheiten der mittelbaren Bundesverwaltung im Bereich des Landes vorgesehen werden, wenn sie auf Verlangen einer bestimmten Anzahl von Stimmberechtigten durchzuführen ist.

 

Erläuterungen:

 

Die Bundesverfassung führt im Detail nur die direktdemokratischen Instrumente auf Bundesebene aus. Alle diese Instrumente sind bundesweit durchzuführen. Sie können daher nicht für regionale Problemlagen eingesetzt werden, welche gerade im Vollzugsbereich auftreten können. Auf der anderen Seite ist es auch den Ländern verwehrt, in Angelegenheiten der mittelbaren Bundesverwaltung direktdemokratische Instrumente vorzusehen. Der Textvorschlag soll dies ändern, wenn der entsprechende Vollzugsakt durch ein Landesorgan zu setzen ist („im Bereich des Landes“). Beispiel: Erlassung einer Sanierungsverordnung nach dem Immissionsschutzgesetz-Luft für ein belastetes Gebiet. Entsprechend dem Textauftrag wurde dies nur für Volksbefragungen vorgesehen. Damit das Instrument nicht in der Konfrontation von Bundes- und Landesinteressen benützt wird, soll es ausschließlich auf Initiative der Wahlberechtigten (Stimmberechtigten) stattfinden.

 

 

Artikel 99 Abs 3: Effektiver Rechtsschutz bei landesrechtlichen direktdemokratischen Instrumenten

 

(3) Die Landesverfassung hat auch Bestimmungen zu enthalten, die jener über Volksbegehren, Volksabstimmungen und Volksbefragungen vergleichbar sind. Sie kann auch in Angelegenheiten der mittelbaren Bundesverwaltung Volksbegehren an den Landeshauptmann oder die Landeshauptfrau vorsehen. Ein effektiver Rechtsschutz ist sicherzustellen.

 

 

Artikel 117 Abs 4 und Abs 9: Gemeinderat: Öffentlichkeit der Sitzungen, Kontrollrechte, Minderheitenrechte

 

(4) Die Sitzungen des Gemeinderates sind öffentlich, sofern der Gemeinderat nicht ausnahmsweise anderes beschließt. Solche Ausnahmen sind nur aus den in Art 20 Abs 3 genannten Gründen zulässig. Wenn der Gemeindevoranschlag, der Gemeinderechnungsabschluss oder ein Bericht des Rechnungshofes behandelt wird, darf die Öffentlichkeit jedenfalls nicht ausgeschlossen werden.“

 

(9) Die das Gemeinderecht regelnden Landesgesetze (Artikel 115 Abs 2) haben in einer dem Artikel 52 vergleichbaren Weise Kontrollrechte des Gemeinderates gegenüber dem Gemeindevorstand (Stadtrat) und dem Bürgermeister zu enthalten. Dabei ist sicherzustellen, dass diese Rechte jedenfalls auch Minderheitsfraktionen im Gemeinderat zustehen.

 

 

Art 118 Abs 5 B-VG (Abberufung des Bürgermeisters) wird folgender [letzter] Satz angefügt:

 

„Der Gemeinderat kann mit einem Misstrauensvotum den Bürgermeister abberufen.“

 

Erläuterungen:

 

Durch die Ermächtigung des Landesverfassungsgesetzgebers, die Bürgermeisterdirektwahl einzuführen (Art 117 Abs 6 B-VG), sollten die anderen bundesverfassungsrechtlichen Grundsätze der Gemeindeorganisation, insbesondere das ihnen zugrunde liegende parlamentarisch-demokratische Organisationssystem (Art 117 Abs 2 bis 5 iVm Art 118 Abs 5 B-VG; vgl VfSlg 13.500/1993), an sich nicht weiter verändert werden. Im Initiativantrag 617/A (II-11330 BlgNR XVIII. GP) hieß es ausdrücklich, dass „im übrigen am verfassungsrechtlichen Verhältnis zwischen Bürgermeister und den anderen Organen nichts geändert werden [soll]“. Auch der Verfassungsausschuss ging ausdrücklich davon aus, dass zB mittelbare Änderungen der verfassungsrechtlichen Ausnahmen für die Amtsverschwiegenheit – sogar entgegen ihrem Wortlaut (nämlich nur: „... für die von einem allgemeinen Vertretungskörper bestellten Funktionäre ...“; vgl Art 20 Abs 3 letzter Satz B-VG) – ausgeschlossen wurden (1642 BlgNR XVIII. GP).

 

Dessen ungeachtet wurde jedoch der zentrale Grundsatz, wonach alle Organe der Gemeinde dem Gemeinderat verantwortlich sind (Art 118 Abs 5 B-VG), ausgehöhlt, weil im Zuge der Einführung der Bürgermeisterdirektwahl in den Gemeindeorganisationsgesetzen auch die Bestimmungen über das Misstrauensvotum neu geregelt wurden, sodass der Gemeinderat den Bürgermeister regelmäßig nur gemeinsam mit dem Willen des Gemeindevolks (Beschluss des Gemeinderates [Misstrauensausspruch] in Verbindung mit nachfolgender obligatorischer Volksabstimmung) abberufen kann. Teilweise ist in diesem Zusammenhang vorgesehen, dass bei Bestätigung des Bürgermeisters in der Volksabstimmung, der Gemeinderat ex lege als aufgelöst gilt. In Verbindung mit weiteren materiellen Ermächtigungen in den Gemeindeorganisationsgesetzen, wonach der Bürgermeister aus eigener Initiative Beschlüsse des Gemeinderates einer Volksbefragung oder Volksabstimmung unterziehen kann (und dadurch – zB Tir, Bgld, Sbg – ein Regieren gegen den Gemeinderat ermöglicht wird), ist eine erste Tendenz zu erkennen, dass in den Gemeindeorganisationsgesetzen ein Umbau der historischen „Gemeinderatverfassung“ hin zu einer „Bürgermeisterverfassung“ in der Gemeindeorganisation stattfindet.

 

Die Frage, ob Art 117 Abs 6 B-VG den Art 118 Abs 5 B-VG inhaltlich verändert habe, wurde im Erk VfSlg 15.302/1998 zur sbg GdO (und zum sbg StR) – entgegen den angeführten parlamentarischen Materialien – ausdrücklich bejaht. Der VfGH führte darin aus, dass sich aus dem demokratischen Bauprinzip die Verantwortlichkeit aller durch Volkswahl berufenen Organe gegenüber dem Volk ableiten lässt:

„Wenn nun für die Gemeindeorganisation ein duales, auf zwei voneinander unabhängigen Säulen beruhendes System geschaffen wird, indem sowohl der Bürgermeister als auch der Gemeinderat unmittelbar gewählt werden und daher der Bürgermeister mit dem Gemeinderat nicht mehr in dieser engen Weise wie bisher verbunden ist, so sind sowohl der Bürgermeister als auch der Gemeinderat unmittelbar dem Volk verantwortlich. Wird die Geltendmachung der Verantwortlichkeit des Bürgermeisters überhaupt geregelt und soll die Initiative dafür vom Gemeinderat ausgehen, so ist aufgrund der Verantwortlichkeit des Gemeinderates gegenüber dem Volk die Auflösung des Gemeinderates die Folge, wenn offensichtlich der Wille des Volkes und der Wille des Gemeinderates auseinanderklaffen. So gesehen sind die angefochtenen Bestimmungen im Licht eines veränderten Art 118 Abs 5 B-VG nicht nur zulässig, sondern erscheint die ex-lege-Auflösung des Gemeinderates aus Gründen des demokratischen Prinzips zumindest verfassungsrechtlich nahe liegend, wenn nicht sogar geboten!“

Die vorgeschlagene Ergänzung des Art 118 Abs 5 B-VG soll die Stellung des Gemeinderates wieder stärken und schließt die ursprünglich nicht beabsichtigte mittelbare inhaltliche Veränderung des Art 118 Abs 5 B-VG durch Art 117 Abs 6 B-VG ausdrücklich wieder aus.

 

 

Art 148r: Einrichtung von weisungsfreien Umweltanwaltschaften

 

Durch Landesgesetz sind Landesumweltanwaltschaften zum Schutz der Umwelt einzurichten. Diese Landesumweltanwaltschaften sind weisungsfrei. Sie sind so auszustatten, dass sie den gesetzlich auferlegten Aufgaben nachkommen können.

 

 

 

2.8.6.    Ausschuss 08 TV Wirtschaftliche Unvereinbarkeiten

 

Dr. Eva Lichtenberger

Textvorschlag im Ausschuss 8 Wien, 16. November 2004

 

Vorschlag für die Gestaltung eines Verfassungsartikels zum

Themenkreis „wirtschaftliche Unvereinbarkeit“

(Univ.-Prof. Dr. Andreas Janko)

 

I. Textvorschlag

 

Jener Verfassungsartikel, der dem Bund die Kompetenz zur Erlassung des Unvereinbarkeitsgesetzes überträgt, dessen wesentliche Eckpunkte vorzeichnet und Sanktionsmechanismen so­wie Rechtsschutzinstrumente für betroffene öffentliche Funktionäre/Funktionärinnen grundlegt, sollte meines Erachtens wie folgt lauten:

 

Art. xxx. Wirtschaftliche Unvereinbarkeit

 

(1) Die Erlassung von gesetzlichen Bestimmungen in Angelegenheiten der wirtschaft­lichen Unvereinbarkeit von öffentlichen Funktionären/Funktionärinnen (Unvereinbarkeitsgesetz) steht dem Bund zu. Die Lan­des­gesetzgebung ist ermächtigt, für öffentliche Funktionäre/Funktionärinnen der Länder und Gemeinden weitergehende Regelungen zu treffen.

 

(2) Die im Abs. 1 genannten Bestimmungen können vom Nationalrat nur in Anwesenheit von min­destens der Hälfte der Mitglieder und mit einer Mehrheit von mindestens zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen beschlossen werden.

 

(3) Das Unvereinbarkeitsgesetz hat jedenfalls zu enthalten:

 

1. für den Bundespräsidenten/die Bundespräsidentin, die Mitglieder der Bundesregierung und der Landesregierungen, die Mitglieder des Nationalrates, des Bundesrates und der Landtage sowie den Präsidenten/die Präsidentin des Rechnungshofes und die Mitglieder der Volksanwaltschaft: die Pflicht zur jährlichen Offenlegung aller Einkünfte, Zuwendungen und sonstigen vermögenswerten Vorteile sowie aller leitenden oder beratenden Tätigkeiten in Interessengruppen, Unternehmungen oder sonstigen Organisationen einschließlich der Veröffentlichung der betreffenden Berichte;

 

2. für den Bundespräsidenten/die Bundespräsidentin sowie die Mitglieder der Bundesregierung und der Landesregierungen: das Verbot der Ausübung eines Berufes mit Erwerbsabsicht;

 

3. für die Mitglieder der Bundesregierung und der Landesregierungen:

 

a) die Pflicht, jedes zweite Jahr sowie innerhalb von drei Monaten nach Amtsantritt und nach Ausscheiden aus ihrem Amt ihre Vermögensverhältnisse (Liegenschaften, Kapitalvermögen, Unternehmungen und Unternehmensbeteiligungen, Verbindlichkeiten) offen zu legen;

 

b) die Pflicht zur jährlichen Offenlegung aller öffentlichen Aufträge, die im Einflussbereich des von ihnen geleiteten Ressorts an Unternehmungen mit mindestens 10%iger Beteiligung des jeweiligen Funktionärs/der jeweiligen Funktionärin erteilt wurden.

 

(4) Die Überwachung der Einhaltung des Unvereinbarkeitsgesetzes durch die von ihm erfassten öffentlichen Funktionäre/Funktionärinnen einschließlich der Entge­gen­nahme der in diesem Gesetz vorgesehenen Berichte und der Anordnung ihrer Veröffentlichung obliegt dem jeweils in Betracht kommenden allgemeinen Ver­tretungskörper oder seinem zur Wahrnehmung der Angelegenheiten der wirtschaftlichen Unvereinbarkeit berufenen Ausschuss. Diesem kann die Befugnis eingeräumt werden, unter Bedachtnahme auf die vom Gesetzgeber verfolgten Ziele generelle oder individuelle Ausnahmen von den im Unvereinbarkeitsgesetz festgelegten Geboten und Verboten zu erteilen. Für einen derartigen Beschluss ist das Anwesenheits- und Beschlussquorum nach Abs 2 vorzusehen.

 

(5) Öffentliche Funktionäre/Funktio­närinnen, die durch einen Rechtsakt des in Abs. 4 genannten Gremiums in ihren Rechten verletzt zu sein behaupten, können gegen diesen Rechtsakt Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof erheben.

 

(6) Über Meinungsverschiedenheiten in Bezug auf die Einhaltung der im Unvereinbarkeitsgesetz festgelegten Gebote und Verbote entscheidet aufgrund eines Antrags von mindestens einem Fünftel der Mitglieder des in Abs. 4 genannten Gremiums der Verfassungsgerichtshof. Im Falle der Feststellung einer nicht bloß geringfügigen Gesetzesverletzung hat der Verfassungsgerichtshof neben der Feststellung der Rechtswidrigkeit auf Verlust des Amtes oder des Mandates zu erkennen.

 

II. Erläuterungen

 

Das Bundes-Verfassungsgesetz in seiner derzeit geltenden Fassung beschränkt sich in puncto „wirtschaftliche Unvereinbarkeit“ darauf, dem Bund in seinem Art. 19 Abs. 2 die Kompetenz zur Erlassung diesbezüglicher Bestimmungen auch in Bezug auf jene öffentlichen Funktionäre/Funk­tio­närinnen zuzuerkennen, die aus organisationsrechtlicher Sicht nicht dem Einflussbereich des Bundes unterliegen. Überlagert werden diese verfassungsrechtlichen Vorgaben allerdings insoweit, als ein erheblicher Teil des zur Durchführung des Art. 19 Abs. 2 B-VG erlassenen Unvereinbarkeitsgesetzes 1983 BGBl 330 (Wv) idgF selbst im Verfassungsrang erlassen wurde, insbesondere um grundrechtlichen Bedenken von vornherein den Boden zu entziehen.

 

Um die damit einhergehende Zersplitterung des Unvereinbarkeits-Verfassungsrechts zu beseitigen, sollen in Hinkunft alle erforderlichen verfassungsrechtlichen Anordnungen zum Thema „wirtschaftliche Unvereinbarkeit“ direkt im Text der neuen Bundesverfassung verankert werden. Das Unvereinbarkeitsgesetz wird demgemäß zur Gänze im Rang eines einfachen Bundesgesetzes stehen und vollinhaltlich der Überprüfung durch den Verfassungsgerichtshof unterliegen. Da das für einfache Bundesgesetze an sich vorgesehene Mehrheitserfordernis von mehr als der Hälfte der anwesenden Abgeordneten des Nationalrates angesichts der strukturbedingten parteipolitischen Identität von Nationalratsmehrheit und Bundesregierung die vom Unvereinbarkeitsrecht primär betroffenen Regierungsmitglieder de facto in die Lage versetzen würde, sich ihren Wünschen adäquate Inkompatibilitätstatbestände beschließen zu lassen, ordnet Abs. 2 des vorliegenden Entwurfes jedoch an, dass die gegenständlichen Bestimmungen im Nationalrat der Anwesenheit von min­destens der Hälfte seiner Mitglieder sowie einer Mehrheit von mindestens zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen bedürfen.

 

In kompetenzrechtlicher Hinsicht behält Abs. 1 des vorliegenden Entwurfes das bis dato in Art. 19 Abs. 2 B-VG enthaltene Konzept einer Kompetenzkonzentration beim Bund grundsätzlich bei; als Basis für die Auslegung des neuen Kompetenztatbestandes „Angelegenheiten der wirtschaftlichen Unvereinbarkeit von öffentlichen Funktionären/Funktionärinnen“ ist (neben Abs. 3) das Unvereinbarkeitsgesetz 1983 in seiner derzeit geltenden Fassung heranzuziehen. Der Handlungsspielraum der Länder wird allerdings insofern erweitert, als sie – in Anlehnung an die derzeit in § 2 Abs. 5 Unvereinbarkeitsgesetz 1983 enthaltene, dort aber bloß auf das Berufsverbot beschränkte Ermächtigung – generell die Befugnis zuerkannt erhalten, die einschlägigen Anordnungen des Bundes durch weitergehende Regelungen zu verschärfen. Für den Fall, dass der Bund für bestimmte Gruppen öffentlicher Funktionäre/Funk­tionärinnen der Länder und/oder Gemeinden im Unvereinbarkeitsgesetz keine Beschränkungen verfügt, resultiert daraus eine völlig eigenständige Regelungskompetenz der Länder.

 

Abs. 3 des vorliegenden Entwurfes unternimmt den Versuch, bestimmte Mindestinhalte des neuen Unvereinbarkeitsgesetzes in personeller und sachlicher Hinsicht zu definieren, die vom Ausführungsgesetz bei sonstiger Verfassungswidrigkeit nicht unterschritten werden dürfen. Neben dem schon derzeit in § 2 Unvereinbarkeitsgesetz 1983 festgelegten Berufsverbot und der in § 3a leg. cit. enthaltenen Pflicht zur Vermögensdeklaration finden sich zum einen Beschränkungen in Bezug auf öffentliche Aufträge an Unternehmungen mit signifikanter Beteiligung einzelner Regierungsmitglieder; im Gegensatz zu § 3 Unvereinbarkeitsgesetz 1983 wird die Erteilung derartiger Aufträge jedoch nicht grundsätzlich verboten, sondern – unter Bedachtnahme auf die mittlerweile geschaffenen vergaberechtlichen Kontrollmechanismen – durch eine weniger grundrechtsintensive Offenlegungspflicht ersetzt. Zum anderen enthält Abs. 3 eine neue, umfassende Pflicht zur jährlichen Offenlegung aller Einkünfte, Zuwendungen und sonstigen vermögenswerten Vorteile sowie aller leitenden oder beratenden Tätigkeiten in Interessengruppen, Unterneh­mungen oder sonstigen Organisationen einschließlich der Veröffentlichung der betreffenden Berichte. Durch diese Berichte, die die Offenlegungspflicht nach § 9 BezBegrBVG, nicht aber die Berichte gemäß Art. 121 Abs. 4 B-VG (und einer allfälligen Nachfolgeregelung des § 8 BezBegrBVG) obsolet machen, soll die interessierte, zur demokratischen Willensbildung berufene Öffentlichkeit ein verlässliches Bild darüber erhalten, zu welchen Personen und Institutionen die offenlegungspflichtigen Funktionäre/Funktio­närinnen nähere Kontakte unterhalten, die möglicher Weise (finanzielle) Abhängigkeiten begründen.

 

Die verfassungsrechtliche Skizzierung von Mindestinhalten hindert den Bundesgesetzgeber natürlich keineswegs, bei Erlassung des Unvereinbarkeitsgesetzes über den gerade geschil­derten Rahmen hinauszugehen. Denkbar scheint – unter Beachtung der sonstigen verfassungsrechtlichen und gemeinschaftsrechtlichen Schranken – sowohl die Einbeziehung von öf­fentlichen Funktionären/Funktionärinnen, die in Abs. 3 nicht genannt werden (z.B. von Richtern der Höchstgerichte oder von Funktionären/Funk­tionä­rin­nen auf Ge­meinde­ebene), als auch die Festschreibung zusätzlicher, weitergehender Beschränkungen.

 

Gleichsam als Nebeneffekt wird durch die verfassungsgesetzliche Festschreibung bestimmter Unvereinbarkeitstatbestände klargestellt, dass der Verfassungsgesetzgeber grundsätzlich von deren Vereinbarkeit mit den übrigen Bestimmungen der Bundesverfassung, insbesondere auch mit dem neu zu schaffenden Grundrechtskatalog, ausgegangen ist. Im Hinblick auf den Grundsatz der „doppelten Bedingtheit“ genereller Rechtsakte wird der Ausführungsgesetzgeber jedoch auch im Bereich der verfassungsgesetzlich ausdrücklich genannten Beschränkungen darauf zu achten haben, dass seine Regeln nicht mit Gemeinschaftsrecht in Widerspruch geraten. Andernfalls würde er mit seinen Anordnungen ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich beim Europäischen Gerichtshof in Luxemburg provozieren, Staatshaftungsansprüche geschädigter öffentlicher Funktionäre/Funktionärinnen begründen oder allenfalls so­gar eine unmittelbare Überlagerung der festgelegten Schranken im Wege des so genannten „An­wendungsvorranges“ riskieren.

 

Wenn vor diesem Hintergrund behauptet werden sollte, dass die in Abs. 3 Z. 1 des vorliegenden Entwurfes vorgesehene Offenlegungspflicht, vor allem im Hinblick auf die darin vorgesehene Veröffentlichung der einlangenden Berichte, im Unvereinbarkeitsgesetz nicht realisiert werden könnte, ohne die soeben geschilderten Folgen auszulösen, ist dem Folgendes entgegenzuhalten: Es trifft zwar zu, dass der Europäische Gerichtshof in seinem – auf österreichischen Anlassfällen beruhenden – Urteil C-465/00, C‑138/01 und C-139/01 vom 20.5.2003 (Rechtssache Rechnungshof gegen Österreichischer Rundfunk ua) aus der Datenschutz-Richt­linie der Europäischen Union (Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr vom 24.10.1995, ABl L 281 vom 23.11.1995 S 31) eine mehr oder weniger umfassende Geltung des (datenschutzrechtlich relevanten Teils von) Art. 8 EMRK als unmittelbar anwendbares Gemeinschaftsrecht abgeleitet hat, die selbst der nationale Verfassungsgesetzgeber zu beachten hat. Während jedoch die Pflicht zur Veröffentlichung von Einkommensdaten gemäß dem verfahrensgegenständlichen § 8 BezBegrBVG weder notwendig noch angemessen war, um das von dieser Bestimmung verfolgte Ziel einer sparsamen und sachgerechten Verwendung öffentlicher Mittel bei der Bezügegestaltung sicherzustellen, und daher vom Verfassungsgerichtshof auf Grundlage der zitierten EuGH-Ent­schei­dung als nicht anwendbar qualifiziert wurde (vgl insbesondere VfGH 28.11.2003, KR 1/00), stellt sich die Ausgangslage im Zusammenhang mit der Frage einer Neugestaltung unvereinbarkeitsrechtlicher Berichtspflichten völlig anders da. Zum einen wird durch die in Abs. 3 Z. 1 enthaltene Regelung nicht in die Rechtssphäre irgendwelcher Privatpersonen eingegriffen, sondern in jene der Inhaber öffentlicher Ämter, die von vorn­herein mehr im Lichte der Öffentlichkeit stehen und daher in dieser Beziehung als weniger schutzwürdig gelten (vgl. dazu die „public figures“-Judikatur des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in Straßburg). Zum anderen verfolgt die gegenständliche Anordnung aber auch ein ganz anderes Ziel: Die Wahlberechtigten sollen über die (finanziellen) Verbindungen und Abhängigkeiten der unmittelbar oder mittelbar demokratisch legitimierten Funktionäre/Funktionärinnen in Kenntnis gesetzt werden, um auf dieser Basis ihre demokratischen Rechte sachgerecht ausüben zu können. Um dieses – in einem demokratischen Staatswesen zweifellos im öffentlichen Interesse liegende – Ziel erreichen zu können, ist eine namentliche Veröffentlichung der einschlägigen Daten unausweichlich; zu behaupten, sie wäre im Sinne der angesprochenen EuGH-Judikatur nicht notwendig und angemessen und daher richtlinienwidrig, verbietet sich vor diesem Hintergrund von selbst.

 

Zu beachten ist freilich, dass die in Abs. 3 Z. 1 vorgesehenen Berichte nach der gewählten umfassenden Formulierung regelmäßig auch Informationen enthalten müssten, die keine Aussagen über allfällige Abhängigkeiten der Berichtspflichtigen enthalten und daher für die Öffentlichkeit nicht von rechtlichem Interesse sind. Um daraus resultierende Konflikte mit dem Gemeinschaftsrecht zu vermeiden und auch im Zusammenhang mit anderen Beschränkungen, wie etwa dem Berufsverbot, zu verhindern, dass die gesetzliche Regelung über das legitime Ziel hinausschießt, sieht Abs. 4 des vorliegenden Entwurfes vor, dass im Unvereinbarkeitsgesetz dem zur Überwachung der Einhaltung dieses Gesetzes zuständigen allgemeinen Vertretungskörper oder seinem zur Wahrnehmung der Angelegenheiten der wirtschaftlichen Unvereinbarkeit berufenen Ausschuss die Befugnis eingeräumt werden kann, generelle oder individuelle Ausnahmen von den Geboten und Verboten dieses Gesetzes zu erteilen. Hiefür ist konsequenterweise dasselbe Anwesenheits- und Beschlussquorum wie für die Beschlussfassung des Unvereinbarkeitsgesetzes vorzusehen. An welchen inhaltlichen Kriterien die Entscheidung im Einzelnen auszurichten ist, sollte im Unvereinbarkeitsgesetz näher determiniert werden. Letzteres gilt nicht zuletzt im Hinblick darauf, dass Abs. 5 und 6 des vorliegenden Entwurfes den Verfassungsgerichtshof dazu berufen, über die Einhaltung der Vorschriften des Unvereinbarkeitsgesetzes zu wachen.

 

Zum einen kann der Gerichtshof – im Gegensatz zur bisher geltenden Rechtslage – von öffentlichen Funktionären/Funktionärinnen angerufen werden, wenn sich diese durch Rechtsakte des sie kontrollierenden Gremiums in ihren Rechten verletzt erachten (Abs. 5). Eine verfassungsrechtliche Fixierung dieses Rechtsweges ist nicht nur nötig, um den Rechtsschutz in Angelegenheiten der wirtschaftlichen Unvereinbarkeit beim Verfassungsgerichtshof zu konzentrieren. Sie ist auch deshalb geboten, weil allgemeinen Vertretungskörpern und ihren Ausschüssen angesichts ihrer Stellung als Organe der Staatsfunktion Gesetzgebung nach geltendem Recht jene Handlungsformen – wie Verordnung, Bescheid und dgl – nicht zur Verfügung stehen, deren sich Verwaltungsorgane bedienen müssen und an die der Rechtsschutz durch die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts, auch bei Eingriffen in verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte, anknüpft. Selbst die Datenschutzkommission ist gemäß § 1 Abs. 5 DSG 2000 zur Überprüfung des Verhaltens von Gesetzgebungsorganen nicht zuständig. Mit der vorgeschlagenen Sonderkompetenz des Verfassungsgerichtshofes wird diese Lücke im Rechtsschutz geschlossen.

 

Zum anderen wird mit der vorgeschlagenen Regelung umgekehrt auch dem Vorwurf Rechnung getragen, dass das Unvereinbarkeitsgesetz 1983 kein hinreichendes Sanktionsinstrumentarium zur Ahndung von Verstößen gegen seine eigenen Vorgaben bereithält. Dem Verfassungsgerichtshof wird zu diesem Zweck die Befugnis erteilt, über Meinungsverschiedenheiten in Bezug auf die Einhaltung der im Unvereinbarkeitsgesetz festgelegten Gebote und Verbote zu entscheiden (Abs. 6). Eingedenk der – bereits weiter oben angesprochenen – strukturbedingten parteipolitischen Identität von Parlamentsmehrheit und Regierung wäre es freilich kontraproduktiv, die Anrufung des Gerichtshofes der Mehrheit des in Abs. 4 genannten Überwachungsgremiums zu überlassen. Zu einem effektiven Kontrollinstrument kann das vorgeschlagene höchstgerichtliche Verfahren nur werden, wenn man seine Einleitung in die Hände der parlamentarischen Opposition legt, der nach der österreichischen Verfassungswirklichkeit die Wahrnehmung der Überwachungsfunktion obliegt. Als erforderliches Quorum ist im vorliegenden Entwurf eine Minderheit von einem Fünftel der Mitglieder des jeweils zuständigen Gremiums vorgesehen. Die Rechtsfolgen entsprechen jenen der staatsrechtlichen Anklage gemäß dem derzeit in Geltung stehenden Art. 142 B-VG.

 

 

 

2.9.1.    Ausschuss 09 Rechte von NGO und Anwaltschaften

 

Mag. Terezija Stoisits 4. Juni 2004

Arbeitsunterlage für den Ausschuss 9

 

Erweiterung des Kreises der Anfechtungsbefugten

 

Aufgrund der im Konventshearing formulierten Anliegen, des Prüfungsbeschlusses des Verfassungsgerichtshofes vom 27. 11. 2003 zu § 24 Abs 3 UVP-G, des Ausschussberichts 4 und darüber hinaus gehender Überlegungen wird die Erweiterung des Kreises der Beschwerde- und Anfechtungsbefugten um Amtsorgane und Verbände (iwS) in Art 139 und 144 B-VG, bei der Säumnisbeschwerde nach Art 132 B-VG sowie bei neu angedachten Rechtschutzinstrumenten wie der Urteilsbeschwerde, dem Subsidiarantrag etc angeregt. Zweckmäßig könnte auch eine bloße Ermächtigung an den einfachen Gesetzgeber sein, derartige Beschwerde- und Anfechtungsbefugnisse einzuräumen (siehe schon jetzt Art 131 Abs 2 B-VG).

 

Die Problematik wird im folgenden anhand der Beschwerde- und Anfechtungsbefugnisse beim Verfassungsgerichtshof in Zusammenhang mit Amtsorganen, Verbänden bzw Bürgerinitiativen zur Wahrung des objektiven Umweltschutzrechts dargestellt. Inwiefern vergleichbare Aussagen zu ähnlichen Einrichtungen in anderen Verwaltungsbereichen in bezug auf das geltende Recht zu treffen wären, bedürfte einer eigenen Untersuchung.

 

Anders als Art 129 a Abs 1 Zif 3 B-VG betreffend die Unabhängigen Verwaltungssenate und Art 131 Abs  2 B-VG betreffend den Verwaltungsgerichtshof ermächtigt die Bundesverfassung den einfachen Gesetzgeber (Bund bzw Land) nicht, den Rechtsweg zum Verfassungsgerichtshof über die in der Verfassung genannten Fälle hinaus noch weiteren Personen bzw Institutionen einzuräumen. Eine Bescheidbeschwerde steht gemäß Art 144 Abs 1 dem „Beschwerdeführer“ zu, der „in seinen Rechten“ verletzt zu sein behauptet.

 

Gemäß Prüfbeschluss B 456, 457/03, B 462/03 vom 27. November 2003 hegt der Verfassungsgerichtshof hinsichtlich § 24 Abs 3 Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz, mit welchem ua Umweltanwaltschaften im Feststellungsverfahren über die UVP-Pflicht von Verkehrsvorhaben Parteistellung mit dem Recht zur Erhebung der Beschwerde an den Verfassungs- und Verwaltungsgerichtshof eingeräumt wird, Bedenken. Diese Norm könne nicht auf Art 144 Abs 1 B-VG gestützt werden, weil die Umweltanwaltschaft keine „echte(n)“ subjektiven Interessen habe. Die Umweltanwaltschaft nehme nur formal „Rechte“ wahr, inhaltlich gesehen handle es sich aber um „Kompetenzen“. Es sei daher zu prüfen, ob eine verfassungsrechtlich unzulässige Ausweitung der Beschwerdelegitimation gegeben sei. Bedroht ist damit auch das Beschwerderecht der Umweltanwaltschaft an den Verfassungsgerichtshof im eigentlichen UVP-Bescheid-Verfahren (dieses wäre zB bedeutsam für die indirekte Bekämpfung einer präjudiziellen gesetzwidrigen Standortausweisung für eine umweltrelevante Anlage).

 

Sofern der VfGH diese Frage mit Ja beantworten sollte, würde sich die Notwendigkeit ergeben, entweder dem einfachen Gesetzgeber generell eine Befugnis zur Ausweitung der Beschwerdeberechtigten über den Kreis der „echt“ subjektiv Betroffenen hinaus einzuräumen oder unmittelbar bestimmten Amtsorganen zur Wahrung der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung diese Befugnis einzuräumen.  Andernfalls würde es zu einer Verschlechterung des Umweltschutzstandards kommen. Eine derartige Erweiterung ist auch aufgrund der UN-ECE Konvention von Aarhus und den Rechtsakten zur Umsetzung der Aarhus-Konvention, welche Nichtregierungsorganisationen Parteistellung und Beschwerdebefugnissen vor Gerichten einräumt, allenfalls erforderlich. Folgt man nämlich der Argumentation des Verfassungsgerichtshofes, so machen auch Umweltschutzorganisationen in Verfahren zur Genehmigung von umweltrelevanten Anlagen allenfalls nicht „ihre“ Rechte geltend sondern nehmen öffentliche Interessen wahr. Kann für lokale Bürgerinitiativen, denen aufgrund § 19 Abs 3 UVP-G ebenfalls die Parteistellung und das Beschwerderecht an die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts zukommt, ins Treffen geführt werden, dass es sich lediglich um eine Sammlung auch subjektiv Betroffener handelt, so ist die Betroffenheit bei national oder international organisierten NGO wesentlich loser und stünde die schon aufgrund der Richtlinie 2003/35/EG mit Frist 25. 6. 2005 einzuräumende Verbandsbeschwerde unter dem Fallbeil der Verfassungswidrigkeit. Im Lichte der weiter zu erwartenden Richtlinie über den Zugang zu Gerichten (siehe KOM (2003) 624) wird auch die Ausweitung der Säumnisbeschwerde nach Art 132 B-VG zu erwägen sein. Der einfache Gesetzgeber sollte jedenfalls den vollen Spielraum haben, im Geiste der Aarhuskonvention lokale und nationale NGO zu befähigen, gegen Umweltverletzungen rechtswirksam vorgehen zu können.

 

Weiters ist noch auf die Befugnis von Bürgerinitiativen, Umweltanwaltschaften, von wasserwirtschaftlichen Planungsorganen ua einzugehen, Verordnungen, welche aufgrund des Bundesstraßengesetzes erlassen wurden und für die eine UVP durchgeführt wurde, beim Verfassungsgerichtshof anzufechten (konkrete Normenkontrolle gemäß der Verfassungsbestimmung § 24 Abs 11 UVP-G). Aufgrund der in Aussicht genommenen weitgehenden Konzentration des Verfassungsrechts in einer Verfassungsurkunde wäre § 24 Abs 11 UVP-G in Art 139 B-VG zu integrieren. Auch hier bietet sich eine allgemeine Ermächtigung an den einfachen Gesetzgeber an, diese Anfechtungsbefugnis Amtsorganen und Verbänden (lokalen und anderen) einzuräumen. Im Textvorschlag für die Einführung des Subsidiarantrags des Auschussberichts 9 werden diese bestehenden Anfechtungsbefugnisse hingegen ausdrücklich nicht berücksichtigt (siehe auch Positionspapier der Umweltanwälte Österreichs zum Österreich-Konvent, S 6 vom 25. Mai 2004).

 

Im Rahmen des Hearings im Konvent wurde auch vom Österreichischen Frauenring zur Durchsetzung des Gleichheitsgrundsatzes und von der Österreichischen Liga der Menschenrechte zur Durchsetzung der Menschenrechte zugunsten benachteiligter, gefährdeter und sozial schwacher Personengruppen eine Verbandsbeschwerde (siehe jeweils Positionspapiere unter konvent.gv.at) gefordert. Im Bericht des Ausschusses 4 wird in Zusammenhang mit den sozialen Grundrechten (S 51) und der Rundfunkfreiheit sowie den Rechten der Volksgruppen (S 59) auf die Notwendigkeit kollektiver Rechtsdurchsetzung hingewiesen. In diesen Fällen steht die stellvertretende Wahrnehmung subjektiver Interessen respective die Wahrnehmung kollektiver/diffuser Interessen zur Diskussion. Insgesamt betrachtet ergeben sich mehrere mögliche Regelungsorte für derartige Beschwerde- und Anfechtungsbefugnisse: zB bei den Grundrechten, bei den Gerichtshöfen öffentlichen Rechts und sofern Anwaltschaften des öffentlichen Rechts oder Verbände (organisierte Öffentlichkeit, Zivilgesellschaft) als solche in der Verfassung verankert werden, dort.

 

 


 

2.9.2.    Ausschuss 09 Verfassungsbeschwerde und Anfechtungs­befugnisse

 

Johannes SCHNIZER/Terezija STOISITS   14. September 2004

 

Textvorschläge zur Einführung einer „Verfassungsbeschwerde“ und zur Erweiterung der Anfechtungslegitimation

 

Vorbemerkung: Der Textvorschlag geht von der Einführung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz in der Form aus, wie sie derzeit im Ausschuss 9 akkordiert ist.

 

 

Art. 89 B-VG lautet:

 

Art. 89. (1) Die Prüfung der Gültigkeit gehörig kundgemachter Verordnungen, Wiederverlautbarungen, Gesetze und Staatsverträge steht den Gerichten nicht zu, soweit in diesem Artikel nicht anderes bestimmt ist.

 

(2) Hat ein Gericht aus dem Grund der Gesetzwidrigkeit Bedenken gegen die Anwendung einer Verordnung, so hat es beim Verfassungsgerichtshof einen Antrag auf Aufhebung der betroffenen Rechtsvorschrift zu stellen. Gleiches gilt, wenn ein Gericht Bedenken gegen die Anwendung eines Gesetzes aus dem Grund der Verfassungswidrigkeit hat.

 

(3) Ist die vom Gericht anzuwendende Rechtsvorschrift bereits außer Kraft getreten, so hat der Antrag des Gerichts an den Verfassungsgerichtshof die Feststellung zu begehren, dass die Rechtsvorschrift gesetz- oder verfassungswidrig war.

 

(4) Abs. 2 erster Satz und Abs. 3 gelten für Kundmachungen über die Wiederverlautbarung, Abs. 2 und Abs. 3 nach Maßgabe des Art. 140a für Staatsverträge sinngemäß.

 

(5) Durch Bundesgesetz wird geregelt, welche Wirkungen der Antrag des Gerichts für das bei ihm anhängige Verfahren hat.

 

Anmerkungen:

 

Die vorgeschlagene Neufassung des Art. 89 B-VG verfolgt den Zweck, im Interesse einer Steigerung der faktischen Effizienz des Rechtsschutzes die Befugnis zur Anfechtung von Gesetzen auf alle Gerichte (auch erstinstanzliche Gerichte sowie Verwaltungsgerichte des Bundes und der Länder) auszudehnen. Ansonsten werden im Interesse einer besseren Lesbarkeit des Verfassungstextes kleinere sprachliche Änderungen vorgeschlagen, die jedoch keine Änderung des normativen Gehalts der Bestimmung bewirken.  

 

 

 

In Art. 139 Abs. 1 B-VG wird wird folgender dritter Satz eingefügt:

 

Durch Bundes- oder Landesgesetz können weitere Fälle vorgesehen werden,  in denen der Verfassungsgerichtshof über die Gesetzwidrigkeit von Verordnungen auf Antrag von Amtsorganen und Organisationen erkennt.   

 

Anmerkung:

 

Mit diesem Text wird eine verfassungsrechtliche Ermächtigung des jeweils zuständigen Bundes- bzw Landesgesetzgebers geschaffen, den Kreis der Anfechtungsberechtigten in Art. 139 Abs. 1 B-VG zu erweitern. Seine systematische Einordnung in Art. 139 Abs 1. B‑VG (vor dem Individualantrag) soll klarstellen, dass es sich dabei um einen Fall der abstrakten Normenkontrolle handelt. Der Begriff der Amtsorgane umfasst insbesondere jene auf Gesetz beruhenden Einrichtungen, denen spezifische Rechtsschutzaufgaben übertragen sind (zB Umweltanwaltschaften, Gleichbehandlungskommissionen, etc). Mit dem Begriff der Organisationen sollen außerhalb der Verwaltung stehende Personengruppen und Institutionen erfasst werden, die öffentliche Interessen oder stellvertretend für Andere subjektive Interessen wahrnehmen.

 

 

 

  

In Art. 140 Abs. 1 B-VG wird folgender vierter Satz eingefügt:

 

(1a) Durch Bundes- oder Landesgesetz können weitere Fälle vorgesehen werden,, in denen der Verfassungsgerichtshof über die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auf Antrag von Amtsorganen und Organisationen erkennt.   

 

Anmerkung:

 

Mit diesem Text wird eine verfassungsrechtliche Ermächtigung des jeweils zuständigen Bundes- bzw Landesgesetzgebers geschaffen, den Kreis der Anfechtungsberechtigten in Art. 140 Abs. 1 B-VG zu erweitern. Seine systematische Einordnung in Art. 140 Abs 1. B‑VG (vor dem Individualantrag) soll klarstellen, dass es sich dabei um einen Fall der abstrakten Normenkontrolle handelt. Der Begriff der Amtsorgane umfasst insbesondere jene auf Gesetz beruhenden Einrichtungen, denen spezifische Rechtsschutzaufgaben übertragen sind (zB Umweltanwaltschaften, Gleichbehandlungskommissionen, etc). Mit dem Begriff der Organisationen sollen außerhalb der Verwaltung stehende Personengruppen und Institutionen erfasst werden, die öffentliche Interessen oder stellvertretend für Andere subjektive Interessen wahrnehmen.

 

 

 

Art. 144 B-VG lautet:

 

Art. 144 Abs. (1) Der Verfassungsgerichtshof erkennt über Beschwerden gegen Entscheidungen von Gerichten, soweit der Beschwerdeführer durch die Entscheidung in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht oder wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung, einer gesetzwidrigen Kundmachung über die Wiederverlautbarung eines Gesetzes (Staatsvertrages), eines verfassungswidrigen Gesetzes oder eines rechtswidrigen Staatsvertrages in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet. Die Beschwerde kann erst nach Erschöpfung des Instanzenzuges erhoben werden, wobei die Ergreifung außerordentlicher Rechtsbehelfe nicht erforderlich ist. Der Verfassungsgerichtshof hat bei seiner Entscheidung den Inhalt der Rechtsvorschriften zu Grunde zu legen, den das Gericht angenommen hat.

(2) Zur Beschwerdeführung vor dem Verfassungsgerichtshof nach Abs. 1 sind auch Amtsorgane und Organisationen berechtigt, soferne ihnen im Verwaltungs- bzw. Gerichtsverfahren Parteistellung zugekommen ist.

 

(3) Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde bis zur Verhandlung durch Beschluss ablehnen, wenn sie im Lichte der bisherigen Rechtsprechung keine hinreichende Aussicht auf Erfolg hat. Die Ablehnung der Behandlung ist jedoch unzulässig, wenn die erhobenen Bedenken betreffend die Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung, einer gesetzwidrigen Kundmachung über die Wiederverlautbarung eines Gesetzes (Staatsvertrages), eines verfassungswidrigen Gesetzes oder eines rechtswidrigen Staatsvertrages vom Beschwerdeführer spätestens im Verfahren vor den Gerichten  zweiter Instanz bzw. vor den Verwaltungsgerichten des Bundes oder der Länder  geltend gemacht wurden.

 

Anmerkungen:

 

Der vorgeschlagene Text geht davon aus, dass es zur Einführung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz kommt, in der sämtliche „Art 133 Z 4 B‑VG“-Behörden aufgehen.

 

Abs. 1 sieht vor, dass gegen die Entscheidung von Gerichten (einschließlich des Obersten Gerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes) eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof wegen Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte und wegen der Verletzung in Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm möglich sein soll. Im Sinne einer Stärkung der Effektivität des Grundrechtsschutzes wird dem Verfassungsgerichtshof damit die Zuständigkeit eingeräumt, über behauptete Grundrechtsverletzungen durch gerichtliche Entscheidungen zu urteilen. Zudem wird den Parteien eines gerichtlichen Verfahrens die Möglichkeit gegeben, ihre Bedenken ob der Rechtmäßigkeit von die Gerichtsentscheidung tragenden generellen Normen auch dann an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen, wenn das Gericht von seinem Anfechtungsrecht keinen Gebrauch gemacht hat. Der Textvorschlag beinhaltet somit Elemente der in Diskussion stehenden „Gesetzesbeschwerde“, geht aber hinsichtlich des Rechtsschutzes in Bezug auf verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte darüber hinaus. 

 

Hinsichtlich der Beschwerdelegitimation ist festzuhalten, dass die Verfassungsbeschwerde gegen jede Entscheidung der im ordentlichen Instanzenzug erreichbaren obersten Instanz zulässig ist. Eines außerordentlichen Rechtsmittels an den Obersten Gerichtshof bedarf es daher ebenso wenig wie einer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision an den Verwaltungsgerichtshof.

 

 

Mit der vorgeschlagenen Verpflichtung des Verfassungsgerichtshofes, seiner Entscheidung jenen Inhalt der angewendeten Rechtsvorschriften zu Grunde zu legen, den das Gericht angenommen hat, soll bundesverfassungsgesetzlich klargestellt werden, dass in aller Regel dem Obersten Gerichtshof bzw. dem Verwaltungsgerichtshof – und nicht dem Verfassungsgerichtshof – die Befugnis zukommt, letzt verbindlich über den normativen Gehalt der vom Verfassungsgerichtshof zu prüfenden unterverfassungsgesetzlichen Rechtsvorschriften zu entscheiden.

 

Abs. 2 erweitert den Kreis der Beschwerdelegitimierten auf Amtsorganeund Organisationen, soferne ihnen in dem der Verfassungsgerichtshofbeschwerde vorausgegangenen Verwaltungs- bzw. Gerichtsverfahren Parteistellung zugekommen ist. Diese Ergänzung ist deshalb notwendig, weil ein Beschwerderecht verfassungspolitisch unabhängig davon wünschenswert erscheint, ob sie im Sinne der bisherigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs in ihren Rechten verletzt sein können.

 

Abs. 3 räumt dem Verfassungsgerichtshof zur Vermeidung seiner Überlastung ein Ablehnungsrecht ein. Dieses soll jedoch dann nicht greifen, wenn der Beschwerdeführer seine Bedenken ob der Rechtmäßigkeit der generellen Norm spätestens im Verfahren vor dem Gericht zweiter Instanz bzw. vor dem Landesverwaltungsgericht geltend gemacht hat. Damit soll ein Anreiz zur raschen Rüge allfälliger Normbedenken gegeben und gleichzeitig ein bewusstes Hintanhalten von Normbedenken zum Zwecke der Prozessverschleppung unattraktiv gemacht werden.

 

Im Textvorschlag nicht enthalten ist die nach der derzeit in Geltung stehenden Verfassungsrechtslage bestehende Möglichkeit des Verfassungsgerichtshofes, die Behandlung einer Beschwerde auch dann abzulehnen, wenn „von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist“. Dieses Ablehnungsrecht stellte auf die unterschiedlichen Prüfungsmaßstäbe in den Verfahren vor dem Verfassungs- bzw. dem Verwaltungsgerichtshof ab, die mit der Abschaffung der Art. 144 B‑VG-Beschwerde in ihrer derzeitigen Form hinfällig ist. Nunmehr sind vom Verfassungsgerichtshof auch jene Grundrechtsverletzungen aufzugreifen, die auch eine Verletzung einfachgesetzlich gewährleisteter Rechte in sich schließen.

 

 

 

2.9.3.    Ausschuss 09 Organstreitverfahren

 

Vorschlag von Terezija STOISITS Wien, 21. September 2004

 

Textvorschlag zur Einführung eines „Organstreitverfahrens“ zwischen Parlament und Bundesregierung

 

Art. 55a B-VG lautet:

 

Art. 55a ( 1) Entstehen zwischen Mitgliedern des Nationalrats oder des Bundesrats und einem Bundesminister oder der Bundesregierung Meinungsverschiedenheiten über die Auslegung der gesetzlichen Bestimmungen, die die Kontrollrechte des Nationalrates oder des Bundesrates gegenüber dem betreffenden Bundesminister oder der Bundesregierung regeln, so entscheidet der Verfassungsgerichtshof auf Antrag von  jener Anzahl von Mitgliedern des Nationalrates oder des Bundesrates, die zur Ausübung des strittigen Kontrollrechtes gesetzlich berechtigt ist.

 

(2) Nähere Bestimmungen trifft das Verfassungsgerichtshofgesetz.  

 

(3) Durch Landesverfassungsgesetz kann eine dem Abs. 1 entsprechende Regelung betreffend Meinungsverschiedenheiten  über die Auslegung der gesetzlichen Bestimmungen, die die Kontrollrechte des Landtages gegenüber der Landesregierung und ihren einzelnen Mitgliedern  regeln, getroffen werden.

 

 

Anmerkungen:

 

Die Kontrollrechte des demokratisch legitimierten Parlaments gegenüber der Bundesregierung bilden einen Eckpfeiler des demokratisch-rechtsstaatlichen Verfassungsgefüges der Republik Österreich. Da in der Staatspraxis die jeweilige Regierung regelmäßig von der Mehrheit der Abgeordneten unterstützt wird kommen im parlamentarischen Alltag unter dem Gesichtspunkt der Gewährleistung einer möglichst effektiven und umfangreichen Kontrolle insbesondere auch jenen auch von einer (allenfalls qualifizierten) Minderheit von Abgeordneten ausübbaren Kontrollrechten entscheidende Bedeutung zu. Um den Schutz der verfassungsmäßigen Rechte des Parlaments und der einzelnen Abgeordneten im politischen Alltag nachhaltig zu sichern bzw. optimieren, ist es nach Auffassung der Antragsteller/innen notwendig, in Weiterentwicklung des bundesverfassungsgesetzlich verankerten Rechtsschutzsystems den Verfassungsgerichtshof zur Entscheidung von  Meinungsverschiedenheiten zwischen Mitgliedern des Nationalrats oder des Bundesrats und einem Bundesminister oder der Bundesregierung über die Auslegung der gesetzlichen Bestimmungen zu berufen, die die Kontrollrechte des Nationalrates oder des Bundesrates gegenüber dem betreffenden Bundesminister oder der Bundesregierung regeln.

 

Mit dem vorgeschlagenen Abs. 1 soll daher – in Anlehnung der hinsichtlich Rechnungshof und Volksanwaltschaft bereits bestehenden Möglichkeiten – eine bundesverfassungsgesetzliche Grundlage dafür geschaffen werden, die vorstehend näher umschriebenen Fälle von Meinungsverschiedenheiten einer verbindlichen Klärung durch den Verfassungsgerichtshof zuzuführen. Gegenstand des verfassungsgerichtlichen Verfahrens soll freilich nicht nur die Frage der formalen Zuständigkeit, sondern auch die inhaltlichen Dimension des streitgegenständlichen Kontrollrechtes sein. Unter „Kontrollrecht“ im Sinne der vorgeschlagenen verfassungsgesetzlichen Regelung werden in verfassungssystematischer Interpretation all jene bundesverfassungsmäßig verankerten Rechte zu verstehen sein, die den Mitgliedern des Nationalrates und des Bundesrates eine Überprüfung der Tätigkeit der Bundesregierung ermöglichen. Zu den Kontrollrechten im Sinne dieses Artikels zählen auch die Instrumente, die die Einhaltung des Unvereinbarkeitsrechts gewährleisten sollen.

 

Im Sinne einer Stärkung der parlamentarischen Opposition soll das Recht zur Antragstellung bereits jener Anzahl von Mitgliedern des Nationalrates bzw. Mitgliedern des Bundesrates, die zur Ausübung des strittigen Kontrollrechts gesetzlich ermächtigt ist, zukommen. Mit seinem Erkenntnis stellt der Verfassungsgerichtshof fest, ob eine Verletzung des Kontrollrechtes durch einen Bundesminister/eine Bundesministerin oder durch die Bundesregierung erfolgt ist.

 

Abs. 2 sieht im Interesse der Rechtsklarheit vor, dass die erforderlichen ausführungsgesetzlichen Regelungen im Verfassungsgerichtshofgesetz zu treffen sind. Dabei wird insbesondere Vorsorge für eine möglichst rasche Entscheidung durch den Verfassungsgerichtshof zu treffen sowie eine Frist für die Stellung eines Antrages zu regeln sein.

 

Abs. 3 ermächtigt die Landesverfassungsgesetzgeber dazu, für den Bereich des jeweiligen Landes entsprechende Regelungen zu treffen.

 

 


 

2.9.4.    Ausschuss 09 Staatshaftung

 

Vorschlag von Terezija STOISITS Wien, 8. Oktober 2004

eingebracht im Ausschuss 9 des Österreich Konvents

 

Formulierungsvorschlag Staatshaftung

 

(1) Bund und Länder haften für den Schaden, den der Gesetzgeber durch eine Verletzung Europäischen Gemeinschaftsrechts1) oder verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte2) wem immer zugefügt hat. Die Haftung umfasst auch Schäden, die auf rechtswidriger Säumnis beruhen.3) Die Entscheidung über den Rechtsverstoß ist dem Verfassungsgerichtshof vorbehalten.4)

 

(2) Ebenso haftet der Bund für den Schaden, der durch ein gegen Europäisches Gemeinschaftsrecht verstoßendes höchstgerichtliches Erkenntnis wem immer zugefügt wurde.5) Zur Entscheidung ist der Verfassungsgerichtshof zuständig.6) Dieser ist verpflichtet, entscheidungserhebliche Rechtsfragen des Europäischen Gemeinschaftsrechts dem Europäischen Gerichtshof vorzulegen (Art 234 EGV).7)

 

(3) Die Haftung nach Abs. 1 und 2 setzt eine qualifizierte8) Rechtswidrigkeit voraus.9)

 

(4) Die näheren Bestimmungen zu den Abs. 1 bis 4 werden durch Bundesgesetz getroffen.10) Darin können auch Regressansprüche gegenüber den schädigenden Organwaltern vorgesehen werden, so weit ihnen Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit zur Last fällt.11)

 

(5) Auf dem Gebiet des Umweltrechts ist der Verfassungsgerichtshof zuständig, Säumnis des Gesetz- und Verordnungsgebers bei der Umsetzung von europäischen Richtlinien, von Staatszielen12) sowie von verfassungs- und einfachgesetzlichen Pflichten13) mit Erkenntnis festzustellen. Zur Anrufung des Verfassungsgerichtshofes in solchen Angelegenheiten hat der  zuständige Bundes- oder Landesgesetzgeber14 Verbände zu ermächtigen.15) Kommt es in solchen Angelegenheiten zu einem Haftungsverfahren, so sind die Gerichte an die Feststellung des Verfassungsgerichtshofs gebunden.16)

Erläuterungen

 

1) Die „Staatshaftung“ (Haftung der EU-Mitgliedstaaten für das gemeinschaftsrechtswidrige Verhalten ihrer Organe) ist ein Rechtsinstitut, das zwar nicht im EGV verankert ist, aber nach der Judikatur des Europäischen Gerichtshofes unmittelbar auf Europarecht beruht (zur Judikatur und Literatur vgl Kucsko-Stadlmayer, Art 288 EGV in Mayer [Hrsg], Kommentar zu EU- und EG-Vertrag, 2004). So weit es dabei um die Haftung für hoheitliches Verwaltungshandeln geht, ist es von der Amtshaftung erfasst (Art 23 B-VG) und bedarf daher keiner positivrechtlichen Regelung. So weit sich diese Staatshaftung aber auch auf Rechtsverstöße des Gesetzgebers (sog. „legislatives Unrecht“) erstreckt, war sie dem österrei-chischen Verfassungsrecht bisher fremd. Es gibt daher keine innerstaatlichen Verfassungs-normen, die eine Entscheidungszuständigkeit für solche Ansprüche regeln; der Verfassungsgerichtshof hat seine diesbezügliche Kompetenz auf seine Subsidiärzuständigkeit gemäß Art 137 B-VG gestützt. Gründe der Rechtssicherheit lassen es daher zweckmäßig erscheinen, diese Haftung im Verfassungstext zu verankern.

 

Die Art der Rechtswidrigkeit muss im Verfassungstext nicht näher eingegrenzt werden. Daran zu erinnern ist, dass der EuGH nur Verstöße gegen Normen für relevant erachtet, die „die Verleihung eines Rechts“ an den Geschädigten beinhalten oder dies zumindest bezwecken. Dies entspricht dem aus der Amtshaftungsjudikatur bekannten Kriterium des „Schutzzwecks der Norm“ (Kucsko-Stadlmayer Rz 81). Eine diesbezügliche Einschränkung kann daher der einfache Gesetzgeber vorsehen.

 

2) Da im Rahmen der „Staatshaftung“ die Gebietskörperschaften auch für legislatives Unrecht haften, gebietet es der Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit, diese Haftung auch auf Verstöße des Gesetzgebers gegen innerstaatliches Verfassungsrecht auszudehnen. Dem Sinn dieses Haftungsinstitutes gemäß sollte es dabei darauf ankommen, ob die verletzte Norm einen Individualrechtsschutz bezweckt. Systemkonform zum geltenden Rechtsschutzinstrumen-tarium sollte sie somit auf Grundrechtsverletzungen konzentriert werden. Dies wäre auch insofern sinnvoll, als im Bereich der Amtshaftung eine ganz ähnliche Einschränkung auf Verletzungen des „Schutzzwecks der Norm“ besteht (vgl oben 1). Gehaftet würde so etwa auch für alle Verstöße gegen den Gleichheitssatz, nicht jedoch etwa für Verletzungen der Kompetenzverteilung, des Legalitätsprinzips oder der Vorschriften über das Gesetzgebungs-verfahren. Vor allem wäre von einer solchen Haftung auch die Verletzung grundrechtlicher Schutzpflichten erfasst, die bisher in Österreich nicht durchsetzbar waren. Damit wäre eine wichtige Rechtsschutzlücke beseitigt.

 

3) Dies stellt klar, dass in Zukunft nicht nur verfassungswidrige Gesetzgebung, sondern auch die qualifizierte Untätigkeit des Gesetzgebers zur Haftung führen soll. Dass die Säumnis „rechtswidrig“ ist, setzt voraus, dass eine Handlungspflicht bestand. In der Regel sind Verfassungsnormen zwar Ermächtigungsnormen; in bestimmten Fällen können sie aber auch Handlungspflichten enthalten (zB grundrechtliche Schutzpflichten; oben 2).

 

4) Die Frage, ob der Gesetzgeber – auch nur durch qualifizierte Untätigkeit – gegen Europäisches Gemeinschaftsrecht oder gegen Verfassungsrecht verstoßen hat, sollte in beiden Fällen vom Verfassungsgerichtshof entschieden werden. Dies entspricht auch dem derzeit bestehenden Monopol des Verfassungsgerichtshofes auf dem Gebiet der Gesetzesprüfung (vgl Art 140 iVm Art 89 B-VG). Es geht bei der Prüfung dieses Rechtsverstoßes auch nicht um zivilrechtliche Fragestellungen, wie sie von den ordentlichen Gerichten entschieden werden. Diese sollen nur zur Entscheidung über den Schadenersatzanspruch selbst berufen werden. Der einfache Gesetzgeber wird das Verfahren nach Gesichtspunkten der Raschheit, Zweckmäßigkeit und Effektivität der Rechtsdurchsetzung zu regeln haben.

 

5) Nach der Judikatur des EuGH erstreckt sich die Staatshaftung auch auf Erkenntnisse der Höchstgerichte. Dem österreichischen Amtshaftungsrecht war eine solche Haftung bisher fremd; die Höchstgerichte sollten in jedem Fall endgültig zu entscheiden haben (§ 2 Abs 3 AHG). Die Einschränkung findet sich in Art 23 B-VG nicht; hier würde grundsätzlich daher auch eine einfachgesetzliche Adaption genügen. Es kommt jedoch nicht in Frage, durch eine bloße Aufhebung von § 2 Abs 3 AHG die drei Höchstgerichte der Zuständigkeit der Landesgerichte (als Amtshaftungsgerichte) zu unterwerfen. Die Haftung sollte daher ausdrücklich verfassungsrechtlich geregelt werden.

 

6) Für die Entscheidung über die Haftung aus höchstgerichtlichen Erkenntnissen kommt im geltenden Verfassungssystem am ehesten der Verfassungsgerichtshof in Betracht. Hält man sich die vom EuGH entwickelten strengen Haftungsvoraussetzungen vor Augen, so wird eine solche Haftung kaum je aktuell werden: Die qualifizierte Rechtswidrigkeit, die der EuGH verlangt, werden Entscheidungen von Höchstgerichten kaum jemals aufweisen. Beweisfragen oder die genuin zivilrechtlichen Probleme der Schadensbemessung, wie sie bei der Amtshaftung die Regel sind, werden daher in solchen Verfahren gar nicht auftreten.

 

7) Art 234 EGV verpflichtet die letztinstanzlichen Gerichte der Mitgliedstaaten, damit aber auch den Verfassungsgerichtshof, entscheidungserhebliche Auslegungsfragen des Europäi-schen Gemeinschaftsrechts dem EuGH zur Vorabentscheidung vorzulegen. Diese Vorlage-pflicht greift insbesondere auch dann, wenn der VfGH in die Lage kommt, über ein eigenes Erkenntnis zu entscheiden. Dies wird zwar nicht sehr häufig der Fall sein: Da der VfGH im Verfahren nach Art 144 B-VG auch im Hinblick auf die Anwendung des Gemeinschafts-rechts nur eine Grobprüfung vornimmt, ist er selten mit entscheidungserheblichen Ausle-gungsfragen des Gemeinschaftsrechts konfrontiert. Die Verankerung dieser Vorlagepflicht im Verfassungstext stellt aber klar, dass der VfGH hier in der entscheidenden Frage des Rechtsverstoßes nicht als Richter in eigener Sache tätig werden kann.

 

8) Nach der Judikatur des EuGH ist nicht „schuldhaftes“ Verhalten notwendig, die Rechtswidrigkeit muss jedoch als hinreichend „qualifiziert“ einzustufen sein. Dies liegt bei „offenkundigen und erheblichen“ Verstößen, also im Ergebnis bei eindeutiger Überschreitung von Ermessensspielräumen vor. Die gemeinschaftsrechtlichen und die innerstaatlichen Begriffe sind jedoch nicht ganz deckungsgleich (Kucsko-Stadlmayer Rz 82 ff), sodass der vom EuGH in stRspr verwendete und dort näher ausdifferenzierte Begriff in die österreichische Bundesverfassung aufgenommen werden sollte.

 

9) Sicherlich fragt sich, ob dasselbe Kriterium auch für verfassungswidrige Gesetze heranzuziehen ist oder ob dort – in Analogie zum Amtshaftungsrecht – schuldhaftes Verhalten vorauszusetzen wäre. Da eine „Schuld“ bestimmter Personen aber im Bereich der Gesetzgebung nur schwer festzustellen sein wird, empfiehlt es sich eher, auch hier, das rein objektive Kriterium der Offenkundigkeit und Erheblichkeit des Normverstoßes vorauszusetzen. Im Ergebnis dient es dazu, den rechtspolitischen Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers zu wahren und die Haftung auf eindeutige, objektiv feststellbare Überschreitungen dieses Spielraums einzugrenzen.

 

10) Um eine Zersplitterung der Regelungen auf Bundes- und Landesrecht zu vermeiden, sollte die Zuständigkeit für Ausführungsregelungen beim Bundesgesetzgeber konzentriert werden. Dies entspricht auch der geltenden Rechtslage im Amtshaftungsrecht (Art 23 Abs 4 B-VG).

 

In diesen bundesgesetzlichen Ausführungsregelungen sind – unter Beachtung der Judikatur des EuGH – der Umfang des zu ersetzenden Schadens (materiell/immateriell), die Haftungsvoraussetzungen im Einzelnen (zB Kausalität), allfällige Gründe für den Haftungsausschluss (zB Verjährung, Unterlassung der Schadensminderungspflicht) und das Verfahren zur Durchsetzung von Ansprüchen näher zu regeln. Auch das Effektivitätsgebot und das Diskriminierungsverbot des Europäischen Gemeinschaftsrechts sind dabei zu beachten.

 

11) Regressansprüche bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit sind auch im geltenden Amtshaftungsrecht vorgesehen (Art 23 Abs 2 B-VG). Diese Einschränkung dient dem Schutz schuldiger Organwalter, die bei leichter Fahrlässigkeit keine Ersatzpflicht treffen soll.

 

12) Auch aus Staatszielen können – je nach ihrer inhaltlichen Gestaltung – Pflichten erwachsen, die den Gesetzgeber zu aktivem Tätigwerden anhalten. Nach geltendem Verfassungsrecht ist es jedoch in keiner Weise möglich, die Befolgung solcher Pflichten zu erzwingen; auch völlige Untätigkeit des Gesetzgebers bleibt sanktionslos. Selbst vor dem Hintergrund einer Haftung für legislatives Unrecht (vgl oben Abs 1) könnte die Durchsetzbarkeit von Staatszielen fraglich sein, weil 1. Staatsziele keine subjektiven Rechte begründen, sie daher „nur“ die Allgemeinheit schützen, 2. Schäden bestimmter Personen in solchen Fällen meist schwer bis gar nicht nachweisbar sind, und 3. oft nur schwer konkretisierbare immaterielle Schäden erwachsen. Das klassische (Amts-)Haftungsrecht erscheint zur Sanktionierung solchen „legislativen Unrechts“ nicht geeignet. Es sollte daher ein Surrogat geschaffen werden, das zumindest eine rechtlich bindende Feststellung solcher Rechtswidrigkeit ermöglicht.

 

Die Beschränkung auf das Umweltrecht erscheint sinnvoll, weil in diesem Bereich das Versagen des klassischen Haftungsinstrumentariums (mangels der Individualisierbarkeit eines Kreises besonders betroffener Personen und der Nachweisbarkeit vermögenswerter Schäden) besonders spürbar ist. Der Begriff „Umweltrecht“ ist weit zu verstehen und kann vom Bundesgesetzgeber näher bestimmt werden.

 

Auch die rechtswidrige Nichtumsetzung von Richtlinien des europäischen Umweltrechts soll zu einem Säumniserkenntnis führen können. In diesem Fall gilt Abs 2 letzter Satz des Textvorschlags.

 

13) Auch die Verletzung von verfassungs- und einfachgesetzlichen Pflichten ohne subjektivrechtlichen Gehalt sollte im Umweltrecht zu einer Feststellung der Rechtwidrigkeit führen können. Selbst die eindeutig rechtswidrige Untätigkeit des Verordnungsgebers ist nach geltendem Amtshaftungsrecht sanktionslos, wenn nicht bestimmten Personen ein Vermögensschaden entstanden ist. Nach dem hier vorgelegten Text ist die Feststellung des Verfassungsgerichtshofes von der Behauptung eines Schadens völlig unabhängig.

 

Alternativ könnte die in Abs 5 vorgeschlagene Befugnis des VfGH auch vom Bereich des Umweltrechts gelöst und auf alle Rechtsgebiete erstreckt werden. Die Formulierung in Abs 5 erster Satz müsste dann lauten: Der Verfassungsgerichtshof ist zuständig, Säumnis ...“ Die Bestimmung bekäme dann allerdings – ja nachdem, welche Staatsziele normiert werden – einen uU sehr weiten Anwendungsbereich. Es wäre dann zumindest notwendig, diese Kompetenz des VfGH bei der Formulierung der jeweiligen Staatsziele mit zu bedenken. Auch die undeterminierte Ermächtigung des einfachen Gesetzgebers, die Klagsbefugnis von „Verbänden“ vorzusehen, wäre in diesem Fall unzweckmäßig und könnte zu Missbräuchen führen.

 

14) Da das Umweltrecht im weiteren Sinne auch das Naturschutzrecht umfasst, soll – je nach der Zuständigkeit zur gesetzlichen Regelung – auch der Landesgesetzgeber Verbänden die Beschwerdelegitimation einräumen können.

 

15) Der Nachweis eines Schadens, wie er im System des Amtshaftungsrecht notwendig ist, soll für dieses Feststellungsverfahren gerade keine Voraussetzung sein (vgl 13). Zur Anrufung des Verfassungsgerichtshofes sollen daher auch Verbände ermächtigt werden können. Dem österreichischen Recht ist das neue Institut der „Verbandsklage“ etwa schon aus dem Konsumentenschutzrecht bekannt; sie könnte auf das Umweltrecht erstreckt werden. Unter Verbänden sind Vereinigungen, Organisationen und Gruppen der interessierten Öffentlichkeit im Sinne der Aarhus-Konvention und der RL 2003/35/EG zu verstehen. Die konkrete Formulierung der Voraussetzungen für eine Beschwerdelegitimation obliegt dem einfachen Gesetzgeber.

 

16) Auch in solchen Fällen ist es denkbar, dass es letztlich zu einem Haftungsverfahren kommt (Amtshaftung nach Art 23 B-VG oder Haftung für legislatives Unrecht nach obigem Abs 1). In solchen Haftungsverfahren soll die Feststellung des VfGH bindende Wirkung haben.

 

 

 

2.10.1.    Ausschuss 10 Finanzverfassung, Haushaltsrecht

 

MMag. Dr. Madeleine Petrovic

Arbeitsunterlage für den Ausschuss 10 Wien, am 4. März 2004

 

Grundsätzliche Stellungnahme zum Mandat des Ausschusses 10

 

Vorbehaltlich weiterer Vorbringen im Laufe der Ausschussberatungen darf ich folgende grundsätzliche Stellungnahme vorab abgeben: Eine neue Finanzverfassung sollte sich vorrangig auf die Grundsätze und Prinzipen beschränken, die Detailregelungen sollen im Finanzausgleichsgesetz bzw. in anderen einfachgesetzlichen Bestimmungen erfolgen. Nachfolgend werden einige Anforderungen an eine neue Finanzverfassung dargestellt, die vorrangig auf methodische Reformperspektiven für den Finanzausgleich in Österreich abzielen. Darüber hinaus werden Forderungen zum Stabilitätspakt, zum allgemeinen wirtschaftlichen Gleichgewicht sowie zu Gender Budgeting Aspekten formuliert.

Verstärkte Zielorientierung des Finanzausgleichs

In der Finanzausgleichspolitik der letzten Jahrzehnte sind nur wenige explizite Ziele und Strategien formuliert worden. Lediglich fiskalische und verteilungspolitische finanzwirtschaftliche Ziele spielten in der österreichischen Finanzausgleichspolitik eine Rolle. Das oberste Ziel dürfte darin bestanden haben, die steuer- und budgetpolitisch erforderlichen Maßnahmen des Bundes so in das Gefüge der föderalistischen Finanzordnung einzubauen, dass die gegebene Mittelverteilung zwischen den einzelnen staatlichen Ebenen zumindest auf mittlere Sicht so wenig wie möglich gestört wird. Das wohl wichtigste fiskalische Ziel war die Herstellung horizontaler Umverteilung bzw. eine verbesserte Finanzmittelverteilung  finanzschwächerer Länder und Gemeinden. Damit wurde - ausgehend von der Fiktion der Einheitsgemeinde - vorrangig dem „Ausgleichsprinzip“ zur Erreichung einheitlicher Lebensbedingungen Rechnung getragen. Dies führte dazu, dass u.a. die Bemühungen zur Stärkung der eigenen Steuereinnahmen durch Länder und Gemeinden weitgehend unterblieben bzw. wegen der Kompensationseffekte nicht ausreichend „belohnt“ wurden. Die Verfolgung des „Ausgleichsprinzips“ hat in den letzten Jahren u.a. zu einer Umleitung von Abgabenerträgen von den Städten zu einnahmenschwächeren Gemeinden geführt. Die damit verbundene Schwächung der Städte als Zentren der Wertschöpfung kann bei Fortdauer zu einer empfindlichen Schwächung Österreichs im internationalen Standortwettbewerb führen.

Durch die einseitige Ausrichtung auf das „Ausgleichsprinzip“ wurde einerseits das Ziel der Autonomie der nachgeordneten Gebietskörperschaften verletzt, andererseits kamen andere Ziele und Strategien der Finanzausgleichspolitik, insbesondere allokationspolitische (Effizienz, Wachstum) und stabilitätspolitische (Konjunkturstabilisierung) zu kurz. Damit wurden die sich im Zuge der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung verändernden Gewichte einzelner öffentlicher Aufgaben und die unterschiedlichen Belastungen einzelner Aufgabenträger sowie eine akkordierte Konjunktursteuerung durch Bund, Länder und Gemeinden weitgehend ausgeblendet. Auch die Verknüpfung des Finanzausgleichs mit wichtigen europäischen Zielen – die etwa in der Lissabon-Strategie verankert wurden - und dem Ziel nachhaltigen Wirtschaftens bleibt ausgeklammert.

Daraus lässt sich als Forderung ableiten:

Der Finanzausgleich als zentrales Instrument zur Sicherung der Finanzausstattung der Gebietskörperschaften ist verstärkt auf wichtige wirtschafts-, sozial- und umweltpolitische Zielsetzungen auszulegen. Eine Ausrichtung daran hat für die Verteilung der eigenen Abgaben, der gemeinschaftlichen Ertragsanteile und der Transfers zur Folge, dass neben dem „Ausgleichsprinzip“ auch das „Aufkommensprinzip“ und das „Bedarfsprinzip“ in einem den Zielsetzungen entsprechenden „mix“ zum Tragen kommen sollen. Einer verstärkten Zielorientierung müssten konsequenterweise auch periodische Evaluierungen bezüglich der Zielerreichung sowie des Herausfindens bester Lösungen dienen.

Mehr Transparenz und bessere Informationen über die Wirkungsweise des Finanzausgleichs

Das historisch gewachsene System des österreichischen Finanzausgleichs ist sehr kompliziert geworden und entbehrt in vielen Fällen einer systematischen Grundkonzeption. Die Wirkungsweisen des Finanzausgleichs mit seinen vielen Subsystemen (FAG 2001, „landesinterne“ Finanzausgleichssysteme, spezifische Finanzierungsregelungen einzelner Aufgabenbereiche) sind heute kaum mehr durchschaubar. Ein viele Details umfassendes Abgabenteilungssystem wird durch ein komplexes Transfersystem ergänzt. Eine Vereinfachung des Finanzausgleichsystems ist daher eine wesentliche Voraussetzung für eine Verstärkung der Zielorientierung und für eine Diskussion über die Wirkungsweisen.

Dabei ist kritisch fest zu halten, dass für Teilbereiche des Finanzausgleichssystems unzureichende Daten vorliegen (z.B. Informationen über Landesförderungen, Beitragsleistungen der Gemeinden an das Land). Die Gebarungsübersichten der Statistik Austria sind lückenhaft - was u.a. eine Folge der zahlreichen Ausgliederungen ist -, und der Informationsgehalt hat gegenüber früheren Jahren abgenommen. Ein weiteres Problem ist die Zeitnähe der Daten der Gebarungsstatistik. So ist es nicht möglich, sich für jede einzelne Gebietskörperschaft eine zeitnahe Darstellung über die finanzielle Lage und andere wichtige Parameter (wie z.B. Steuereinnahmen aus eigenen Abgaben bzw. aus Ertragsanteilen, freie Finanzspitze, Investitionen etc.) zu verschaffen.

Daraus ergeben sich die Forderungen,

 

·            dass die Lücken der Gebarungsstatistik beseitigt werden bzw. der Informationsgehalt ausgeweitet wird und 

 

·            dass vor Beginn der Finanzausgleichsverhandlungen nicht zuletzt im Sinne von „Good Governance“ zur Verbesserung der Steuerung des Finanzausgleichs aussagekräftige Daten einschließlich der Auswirkungen der einzelnen Instrumente des Finanzausgleichs öffentlich zugänglich aufgelegt werden. Um die Akzeptanz der Datenbasis sicherzustellen, werden in die Erarbeitung neben den Finanzausgleichspartnern auch VertreterInnen aus Wissenschaft und Forschung einbezogen.

 

Abbau der vermischten Trägerschaften/Finanzierungen öffentlicher Aufgaben

Ein weiterer wesentlicher Reformaspekt betrifft die Frage, ob für den Finanzausgleich das Trennsystem oder das Verbundprinzip gelten soll. In Österreich hat sich ein umfangreiches Mischsystem der Verteilung der Zuständigkeiten von Aufgaben, der Steuerhoheiten, aber auch der ergänzenden Finanzausgleichsregelungen herausgebildet. Hinsichtlich der Abgabenteilung dominiert das Verbundsystem gegenüber dem Trennsystem. Insbesondere die Länder finanzieren sich nur marginal aus eigenen Abgaben. Die Vermischungen und Verflechtungen bestehen zwischen dem Bund und den Ländern (z.B. Landeslehrer) genauso wie zwischen den Ländern und Gemeinden (z.B. Sozialhilfe), aber auch zwischen allen drei staatlichen Ebenen (z.B. Siedlungswasserwirtschaft, Krankenanstalten). In einigen Fällen bestehen Trägerschaft und gemeinsame Finanzierung nebeneinander (Krankenanstalten). Häufig kommt es zu Mehrfachförderungen (Siedlungswasser-wirtschaft). Die vielfachen Kofinanzierungen haben zu einem unüberschaubaren „Transferchaos“ insbesondere im Verhältnis zwischen Land und Gemeinden geführt. Diese vermischten Trägerschaften haben sich tendenziell aus wirtschaftlicher Sicht als ineffizient erwiesen (Setzen ökonomisch falscher Anreize mit hohen Folgekosten, Tendenzen zu Überangeboten, Parallelstrukturen, etc.). Bei der Entflechtung von Aufgaben ist auch die europäische Ebene zu berücksichtigen.

Da sich die Finanzverfassung auf den Finanzausgleich im weiteren Sinn bezieht - d.h. sie regelt die Aufgaben, Ausgaben und Einnahmen öffentlicher Aufgabenträger - lässt sich als Forderung eine Neuordnung der Kompetenzverteilung zwischen den Gebietskörperschaften und deren Finanzierung ableiten. Der Abbau der verbundenen Aufgabenerfüllung und der Mischfinanzierungen sollte nach klaren Prinzipien erfolgen:

 

·            Das Zusammenführen der Einnahmen- und Ausgabenverantwortung auf einer staatlichen Ebene ist eine der Möglichkeiten zur Steigerung der Effizienz öffentlicher Aufgabenerfüllung.

 

·            Eine andere Möglichkeit der Entflechtung und der Effizienzsteigerung besteht in der Trennung von strategischen und operativen Aspekten der Aufgabenerfüllung. Dabei könnte der Grundsatz gelten, dass diejenige Gebietskörperschaft, die die Grundlagen und Rahmenbedingungen der Aufgabenerfüllung  - also die strategischen Ziele - vorgibt, für die Basisfinanzierung aufkommt.  Wegen der Anreizorientierung sollte die Basisfinanzierung internationalen Gepflogenheiten folgend vorzugsweise auf der Grundlage von Normkosten (Fallpauschalen) erfolgen. Das Modell einer Trennung von strategischen und operativen Aspekten hätte den Vorteil einer zentralen Steuerung, wobei in die operativen Details der Aufgabenerfüllung und die Restfinanzierung die jeweils nachgeordnete Gebietskörperschaft eingebunden wird.

 

·            Entflechtungen sind auch im Finanzierungsbereich notwendig, weil die Kofinanzierungen zu einem unüberschaubaren „Transferchaos“ insbesondere im Verhältnis zwischen Land und Gemeinden geführt haben. Der Abbau des „Zuschuss-Dschungels“ kann durch die Reduktion von Kostenübernahmen und Kostentragungsbestimmungen erfolgen.

 

·            Um den Grundsätzen der „Accountability“ und der Autonomie der Gebietskörperschaften verstärkt Rechnung zu tragen, sollte das Verbundsystem im Rahmen der Abgabenteilung zugunsten des Trennprinzips zurück gedrängt werden. Eine Stärkung dieses Prinzips sieht z.B. der „Neue Finanzausgleich“ in der Schweiz vor. Die Reformen in Finnland gehen ebenfalls in diese Richtung. Die Verstärkung der eigenen Steuerhoheit der Länder und Gemeinden lässt sich auf verschiedene Arten erreichen: durch Übertragung von Abgaben auf die Ebene der Länder bzw. Gemeinden (z.B. Grunderwerbsteuer, motorbezogene Versicherungssteuer, Bodenwertabgabe) oder durch die Einführung von Stamm- und Zuschlagsabgaben (z.B. bei der Einkommen- und Körperschaftsteuer). Um die negativen Auswirkungen eines regionalen Steuerwettbewerbs gering zu halten und die Einheitlichkeit des Wirtschaftsraumes nicht zu gefährden, können Bandbreitenmodelle Anwendung finden.

 

·            Für die Mittelverteilung der gemeinschaftlichen Ertragsanteile sollte in Hinkunft neben anderen Kriterien der Grundsatz der Aufgabenorientierung als Verteilungskriterium herangezogen werden.

 

Aus der ökonomischen Forderung nach einer Einheit von Aufgabe/Kompetenz zur Aufgabenerledigung/Finanzierung der Aufgaben folgt, dass über die neue Kompetenzverteilung, nicht isoliert entschieden werden kann. Eine enge Kooperation zwischen dem Ausschuss 5 und dem Ausschuss 10 des Österreich-Konvents wäre daher dringend geboten. Der Ausschuss 5 hat nun bereits einen Bericht gelegt, der allerdings noch keinen neuen Kompetenzkatalog enthält. Sollte der Ausschuss 5 nicht ohnehin nochmals befasst werden, so wäre auf andere Art und Weise eine gemeinsame Behandlung von Aufgaben/Kompetenz-Verteilung und Aufgabenerledigung/Finanzierung der Aufgaben sicherzustellen.

Verbesserte Steuerung des Mitteleinsatzes

Generell schlagen die Grünen vor, den Finanzausgleich stärker unter Steuerungsgesichtspunkten auszurichten. Ein großes Manko der heutigen Finanzverfassung ist darin zu sehen, dass sie keinerlei Anreize für die Stellen von Bund, Ländern sowie Gemeinden und Städte enthält, nach modernen Managementmethoden zu arbeiten – soweit dies mit den rechtstaatlichen und demokratischen Prinzipien vereinbar ist.. Wichtige Strategien aus dem Instrumentenkoffer von Public Management wie z.B. die Vorgabe von Zielen, die Ermittlung von Leistungen und Kosten oder Evaluierungen von Maßnahmen und Programmen fehlen heute noch weitgehend.

Daraus lässt sich die Forderung ableiten, dass Grundprinzipen aus dem Public Management und dem Good Governance in die Finanzverfassung zu integrieren sind. Einige davon wurden bereits angesprochen:

 

·            Trennung von strategischen und operativen Aspekten der Aufgabenerfüllung

 

·            Evaluierungen der Zeilerreichung vor Ablauf der Finanzausgleichsperiode

 

·            Verbesserung der Datenbasis

 

Dazu kommen weiters:

·            die Verknüpfung von Finanzierungsregelungen mit Ergebniskennzahlen (Leistungs- und Kostenkennzahlen), d.h. der Übergang von einer input- zu einer outputorientierten Betrachtungsweise

 

·            fördern von Best Practises und von Benchmarking; Wettbewerb und Vergleiche zwischen/innerhalb von Gebietskörperschaften können dazu beitragen, die Ausgabenintensität der Aufgabenerfüllung durch Nützen der betriebswirtschaftlichen Größenvorteile zu reduzieren

 

·            Förderung der interkommunalen/regionalen Zusammenarbeit

 

Finanzverfassung und Stabilitätspakte

Wenn der Finanzausgleich in Zukunft verstärkt auf die Erreichung mittelfristiger wirtschafts- und finanzpolitischer Ziele ausgerichtet wird, dann bedarf es eines adäquaten finanzpolitischen Pakts zwischen den Gebietskörperschaften sowie einer Verstärkung der Koordination der Fiskalpolitik. Das bedeutet zweierlei: Entsprechende Grundsätze des neu zu konzipierenden innerösterreichischen Stabilitätspakts sollen in der Finanzverfassung ebenso verankert werden wie eine neuformulierte Staatszielbestimmung zum allgemeinen wirtschaftlichen Gleichgewicht (Art. 13 Abs. 2 B-VG). Von einer Verankerung ausgeglichener öffentlicher Haushalte über den Konjunkturzyklus sollte jedoch abgesehen werden, weil diese Zielsetzung ohnehin schon im „Code of Conduct“ zum europäischen Stabilitäts- und Wachstumspakt ihren Niederschlag findet. Das wichtigere Argument liegt allerdings darin, dass derzeit durch die Europäische Kommission ernsthafte Überlegungen zu einer Neuformulierung des Stabilitäts- und Wachstumspakts im Gange sind, weil er sich als prozyklisch wirkend herausgestellt hat und seine Nagelprobe im nunmehr länger anhaltenden Konjunkturabschwung nicht bestanden hat. Die Überlegungen gehen u.a. in Richtung einer Erhöhung der Flexibilität - etwa durch die Nichteinrechnung öffentlicher Investitionen in den gesamtstaatlichen Finanzierungssaldo.

Daraus lässt sich die Forderung ableiten, dass die „goldene Regel“ auch im innerösterreichischen Stabilitätspakt ihren Niederschlag finden soll. Sie steht im Einklang mit den Zielen der Lissabon-Strategie, die die Bedeutung der Budgetstrukturen insbesondere im Hinblick auf Zukunftsinvestitionen betont. Damit würde ein stärkerer Bezug zu Wachstum und ökologischen und sozialen Zielsetzungen sowie zu den Europäischen Zielen der Finanzpolitik hergestellt werden.

Die derzeitige Staatszielbestimmung im Art. 13 (2) B-VG  („Bund, Länder und Gemeinden haben bei ihrer Haushaltsführung die Sicherstellung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts anzustreben.“) ist weitgehend totes Recht geblieben. Das liegt vor allem daran, dass diese Bestimmung offensichtlich den kleinsten gemeinsamen Nenner darstellt, der im Zuge der Reform des Bundeshaushaltsrechts Mitte der achtziger Jahre erzielbar war. 

Daraus kann jedoch nicht geschlossen werden, dass eine solche Staatszielbestimmung bedeutungslos wäre. Ebenso wenig ist sie durch die fiskalischen Konvergenzkriterien der Maastrichter Verträge und den Stabilitäts- und Wachstumspakt (Vertrag von Amsterdam) obsolet geworden, da die nationalen Haushalte innerhalb des EU-Rahmens weiterhin autonom agieren. Der Koordination der öffentlichen Haushalte im Rahmen der makroökonomischen Stabilisierungspolitik kommt daher erhöhte Bedeutung zu.

Daraus lässt sich die Forderung nach einer Neuformulierung der Staatszielbestimmung ableiten. Darin sollten die Bedeutung der Fiskalpolitik als Instrument zur Erreichung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts[27] und die Notwendigkeit zur Koordinierung der Gebietskörperschaften im Hinblick auf diese Zielerreichung unter verstärktem Einsatz mittelfristiger Budgetplanung verfassungsrechtlich fest geschrieben  werden. Das Staatsziel gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht wurde im Ausschuss 1 bereits diskutiert, jedoch kein Konsens erzielt. Der Ausschuss 1 hat vielmehr auf die weitere Behandlung im Ausschuss 10 verwiesen.

 

Haushaltsrecht und Gender Budgeting

Basierend auf Forderungen der internationalen Frauenbewegung werden zunehmend geschlechtergerechte Budgets („Engendering Budgets“) gefordert. Im Vertragsentwurf über eine Verfassung für Europa  ist die Förderung der Gleichstellung von Frauen und Männern als ein Ziel der Union verankert (Art. 3 Abs. 3). Auch in Österreich haben sich diesbezügliche Initiativen  entwickelt. Ein grundlegendes Ziel von Engendering Budget-Initiativen  ist es, die Prioritätensetzung von öffentlichen Einnahmen und Ausgaben sichtbar zu machen und darauf im Sinne einer gender und sozial ausgewogenen Ausrichtung Einfluss zu nehmen.

Bei der Gender Budgetanalyse werden die Auswirkungen der Budgets für Frauen im Vergleich zu dem für Männer identifiziert. Es handelt sich aber dabei nicht um separate Budgets für Frauen, es geht vielmehr um eine Erweiterung der traditionellen Budgeterstellung um die Gender Perspektive. Es wird grundsätzlich darauf abgestellt, öffentliche Einnahmen und Ausgaben aus der Gender Perspektive zu analysieren.

Der Gesamtansatz des Gender Budgeting geht jedoch über eine geschlechterspezifische Wirkungsanalyse weit hinaus. Im Rahmen eines umfassenden Gender Budgeting werden mehrere Aspekte als wichtig angesehen:

 

·            die inhaltliche Gestaltung der Budgets,

 

·            die Erreichung eines transparenten Prozesses der Budgeterstellung und

 

·            ein partizipativer Prozess mit dem Ziel der Einflussnahme auf budgetäre Prioritäten.

 

 

Mit dem Ziel, die Budgeterstellung transparenter und partizipativer zu gestalten, kommt das breitere Anliegen der Frauen deutlich zum Ausdruck: Gender Budgets werden als ein Instrument für gesellschaftspolitische Veränderungen verstanden.

Daraus lässt sich die Forderung ableiten, dass

 

·            die Budgeterstellung den Grundsätzen des Good Governance (Transparenz, Partizipation) Rechnung tragen soll

 

·            das Gender Budgeting in den Zielen der Haushaltsführung verankert werden soll und dass

 

·            analog zu den finanziellen Auswirkungen neuer rechtsetzender Maßnahmen (§ 14 Bundeshaushaltsgesetz) zu jedem/r Gesetzesentwurf/Verordnung/Vereinbarung gemäß Art. 15a B-VG geschlechterspezifische Wirkungsanalysen anzuschließen sind.

 

Diese Grundsätze sind auf die Haushalte aller Gebietskörperschaften anzuwenden.

 

Literatur

Bauer, H. et al., Die Statutartstädte im Finanzausgleich. Aspekte der Transferwirtschaft, Kosten der Bezirksverwaltung, Wien 2003.

Bauer, H./Rossmann, B., Wirtschafts- und finanzpolitische Reformpotenziale des Finanzausgleichs , in: KDZ, Wien 2001.

Bauer, H.: Methodische Reformperspektiven für Österreichs Finanzausgleich, in: Rossmann, B. (Hrsg.), 2002, S. 93 –100.

BEIGEWUM, Frauen macht Budgets – Staatsfinanzen aus der Geschlechterperspektive, Wien 2002.

Bröthaler, J./Sieber, L./Schönbäck, W./Maimer, A./Bauer, H., Aufgabenorientierte Gemeindefinanzierung in Österreich, Wien 2002.

Finanzausgleich 2001 – Handbuch für die Praxis, Österreichischer Gemeindebund und Österreichischer Städtebund in Zusammenarbeit mit dem Österreichischen Sparkassenverband und dem KDZ, Wien 2001.

Frey, R.L., Reformperspektiven in der Schweiz – Der neue Finanzausgleich, in: Rossmann, B. (Hrsg.), S. 77-91.

Lehner, G., Aufgabenorientierter Finanzausgleich, Wien 2003.

Rossmann, B. (Hrsg.):. Finanzausgleich – Herausforderungen und Reformperspektiven: Tagung der Kammer für Arbeiter und Angestellte für Wien, Reihe Wirtschaftswissenschaftliche Tagungen der Arbeiterkammer Wien; Bd. 6,  Wien 2002.

Thöni, E.: Der Stellenwert des Finanzausgleichs: Reformdruck, Problemdarstellung und internationale Perspektiven, in: Rossmann, B. (Hrsg.), 2002, S. 93 –100.

 

 

 

2.10.2.    Ausschuss 10 Gender Budgeting

 

Dr Elisabeth Klatzer als beigezogene Expertin des Ausschusses 10

vorgelegt im Ausschuss 10 am 12. Mai 2004

 

Verankerung von Gender Budgeting in der Finanzverfassung

Textvorschläge

 

Änderung des Artikel 7 Absatz 2 B-VG:

Bund, Länder und Gemeinden verpflichten sich zur tatsächlichen Gleichstellung von Frauen und Männern, zur Erreichung der Geschlechterparität in allen Bereichen sowie zu Maßnahmen zur Förderung der tatsächlichen Gleichstellung. In Erfüllung dieser Verpflichtungen haben die Gebietskörperschaften und Selbstverwaltungskörper die Auswirkungen ihrer Tätigkeiten auf Frauen einerseits und Männer andererseits bei jeder ihrer Maßnahmen, insbesondere im Bereich der Gesetzgebung, Vollziehung und Haushaltsführung, und als Träger von Privatrechten iSd [Artikel 17 B-VG], zu überprüfen (Gleichstellungsverträglichkeitsprüfung) und geeignete Maßnahmen zur Beseitigung bestehender Ungleichheiten zu ergreifen.

 

Ergänzung des Artikel 13 Absatz 2 B-VG:

Bund, Länder und Gemeinden haben bei ihrer Haushaltsführung die Sicherstellung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichtes und die tatsächliche Gleichstellung von Frauen und Männern anzustreben.

 

Ergänzung des Artikel 51 B-VG Absatz 3:

Das Bundesfinanzgesetz hat als Anlagen den Voranschlag …sowie weitere für die Haushaltsführung wesentliche Grundlagen, insbesondere auch solche, die der Förderung der tatsächlichen Gleichstellung von Frauen und Männern dienen, zu enthalten. [...]

 

Ergänzung des Artikel 51 B-VG Absatz 6:

Die näheren Bestimmungen über die Erstellung des Bundesfinanzgesetzes und über die Haushaltsführung des Bundes sind nach einheitlichen Grundsätzen durch Bundesgesetz zu treffen. In diesem sind insbesondere die Erstellung des Haushaltes unter dem Gesichtspunkt der Förderung der tatsächlichen Gleichstellung von Frauen und Männern, die Vorgangsweise bei Eingehen und Umwandlung von Verbindlichkeiten [...] zu regeln.

 

Ergänzung des Artikel 51a Absatz 1 B-VG:

Der Bundesminister für Finanzen hat dafür zu sorgen, dass bei der Haushaltsführung zuerst die zur Erfüllung fälliger Verpflichtungen erforderlichen Ausgaben und sodann die übrigen vorgesehenen Ausgaben, diese jedoch nur nach Maßgabe der jeweils zur Verfügung stehenden Einnahmen, unter Beachtung der Grundsätze der Sparsamkeit, Förderung der tatsächlichen Gleichstellung von Frauen und Männern, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit geleistet werden.

 

Neuer Artikel 51d B-VG:

Die in den Artikeln 51 und 51a genannten Grundsätze über die Erstellung des Bundesfinanzgesetzes und über die Haushaltsführung gelten sinngemäß für Länder und Gemeinden.

 

Ergänzung des Artikel 126b Absatz 5 B-VG:

Die Überprüfung des Rechnungshofes hat sich auf die ziffernmäßige Richtigkeit, die Übereinstimmung mit den bestehenden Vorschriften, ferner auf die Sparsamkeit, Förderung der tatsächlichen Gleichstellung von Frauen und Männern, Wirtschaftlichkeit und Zweckmäßigkeit zu erstrecken.

 

Analog wären die Artikel 127 Absatz 1 und Artikel 127a Absatz 1 betreffend Länder und Gemeinden anzupassen.

 

Neuer Artikel im B-VG:

Bund, Länder und Gemeinden haben in ihrem Wirkungsbereich alle statistischen Daten soweit machbar nach Geschlecht aufgeschlüsselt darzustellen.

 

Konkrete Anknüpfungspunkte wären auch

Bedarfszuweisungen (§§ 22, 23 FAG)

bzw. Zweckzuschüsse (§ 24 FAG),

 

Beispielsweise könnten Zweckzuschüsse für die Förderung der tatsächlichen Gleichstellung von Frauen und Männern vorgesehen werden.

Die Bedarfszuweisungen könnten an das Erfordernis der Erstellung des Haushaltes unter Gesichtspunkten der Förderung der tatsächlichen Gleichstellung von Frauen und Männern gebunden werden.

 

Darüber hinaus wären weitere Bestimmungen auf einfachgesetzlicher Ebene, u.a. im BHG vorzusehen.

 

So wäre vorzusehen, dass analog zu den finanziellen Auswirkungen neuer rechtsetzender Maßnahmen (§ 14  BHG) zu jedem Gesetzesentwurf, jeder Verordnung und jeder Vereinbarung gemäß Art. 15a B-VG eine Überprüfung der Auswirkungen ihrer Tätigkeiten auf Frauen und Männer sowie Erläuterungen darüber, wie die Maßnahme zur Förderung der tatsächlichen Gleichstellung von Frauen und Männern beiträgt (Gleichstellungsverträglichkeitsprüfung), anzuschließen wären. Diese Grundsätze sind auch auf die Haushalte aller Gebietskörperschaften anzuwenden.

 

 


 

2.10.3.    Ausschuss 10 Gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht

 

Dr Madeleine Petrovic vorgelegt im Juni 2004

 

Artikel 13 Abs. 2 B-VG

 

Vorbemerkung:

Nachfolgend wird der Versuch einer Neuformulierung des Artikels 13 Abs. 2 B-VG gemacht. Aufgrund des in den nächsten Wochen zu erwartenden Erkenntnisses des EuGH zum Stabilitäts- und Wachstumspakt der EU und aufgrund der zu erwartenden Revision desselben sollte die endgültige Formulierung von Verfassungsbestimmungen zum Artikel 13 Abs. 2 allfällige Neuerungen berücksichtigen.

 

Art. X  Gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht

Bund, Länder und Gemeinden verpflichten sich zur Finanzpolitik als Mittel zur Sicherstellung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts und zur tatsächlichen Gleichstellung von Frauen und Männern. Diesen Erfordernissen ist durch Maßnahmen Rechnung zu tragen, die zu einem ausgewogenen Verhältnis zwischen Wirtschaftswachstum, der Teilnahme am Erwerbsleben, der Stabilität des Preisniveaus, der Verteilungsgerechtigkeit, insbesondere zwischen den Geschlechtern und Generationen, und dem Schutz der Umwelt beitragen.

Bund, Länder und Gemeinden koordinieren im Rahmen der Erstellung und des Vollzugs ihrer Haushalte ihre finanz- und wirtschaftspolitischen Maßnahmen im Hinblick auf diese Zielsetzungen. Die dafür erforderlichen Daten sind rechtzeitig zur Verfügung zu stellen.

Bund, Länder und Gemeinden sorgen dafür, dass die Verschuldung im Verhältnis zur wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit unter Berücksichtigung der europarechtlichen Grundsätze mittelfristig stabil bleibt. Die Umsetzung erfolgt auf kooperativer Basis. Eine Neuverschuldung bis zum Ausmaß der öffentlichen Investitionen ist zulässig. Die nachhaltige Entwicklung der jeweiligen Haushalte ist dabei zu gewährleisten.

Die jährlichen Ausgaben werden im Rahmen einer mittelfristigen Budgetplanung unter Berücksichtigung der jeweiligen Finanzlage festgelegt.

 

Erläuterung:

Der erste Absatz enthält einerseits einen Hinweis auf die Bedeutung der öffentlichen Haushalte als Instrument Erreichung eines gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts. Andererseits wird in Anlehnung an H. Kramer[28] und § 2 Abs 2 BHG eine Definition des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts versucht. Die Verpflichtung zur Beachtung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts sollte nach Ansicht Kramers so formuliert sein, dass die simultane Optimierung von wirtschaftlicher Entwicklung, Teilnahme am Erwerbsleben, Stabilität des Preisniveaus, sozialem Ausgleich und Umweltschutz unter den gegebenen wirtschaftlichen Beschränkungen Prinzip der Politik ist. Zusätzlich wird auf den Aspekt der  Geschlechtergerechtigkeit hingewiesen.

Im zweiten Absatz wird auf die Notwendigkeit zur Koordination hingewiesen, weil sich die Zielsetzungen auf den Gesamtstaat beziehen und eine entsprechende Koordination der wirtschafts- und finanzpolitischen Instrumente wesentlich zur Erreichung der Zielsetzungen beitragen kann. Eine wichtige Voraussetzung im Rahmen der finanzpolitischen Koordination kommt der Bereitstellung der Daten durch die Gebietskörperschaften zu. Sie erleichtern nicht nur die Koordination für die Erstellung der Haushalte, sie bilden in der Folge auch die Grundlage für Evaluationen von Maßnahmen und Programmen.

Absatz drei formuliert in Anlehnung an schweizerische Diskussionen eine Schuldenbremse, deren konkrete Ausgestaltung der einfachgesetzlichen Ebene vorbehalten bleibt. Hier geht es nur darum, die grundlegenden Prinzipien zu regeln. Dabei wird zunächst fest gehalten, dass die Verschuldung der jeweiligen Gebietskörperschaften mittelfristig den Anforderungen einer nachhaltigen Entwicklung zu genügen hat. Durch diese Schuldenbremse ist gewährleistet, dass der budgetäre Handlungsspielraum durch die Zinsenbelastung nicht zu stark eingeschränkt wird, gleichzeitig wird dem Aspekt einer fairen Verteilung der Lasten über die Generationen Rechnung getragen.

Der Begriff der Schuldenquote findet als relevante Zielgröße für die Beurteilung der Verschuldung Eingang in die Verfassung. Eine exakte Ausgestaltung des Begriffes wird jedoch nicht vorgenommen. Hinsichtlich der Schuldenquote wird auf die europarechtlichen Vorgaben im EU-Vertrag hingewiesen. Die nähere Umsetzung dieses Grundsatzes erfolgt durch gemeinsame Vereinbarungen zwischen den Gebietskörperschaften im innerösterreichischen Stabilitätspakt, dh auf kooperativer Basis. Verankert wird auch die „goldene Regel“ des deutschen Grundgesetzes, die eine Neuverschuldung bis zum Ausmaß der öffentlichen Investitionen zulässt. Dabei ist davon auszugehen, dass neben Infrastrukturinvestitionen auch Investitionen in geistiges Kapital zu verstehen sind. Auch H. Kramer[29] hat sich für die „goldene Regel“ und deren Erweiterung ausgesprochen. Die nähere Ausgestaltung der „golden rule“ - insbesondere im Hinblick auf die Abgrenzung öffentlicher Investitionen -  bleibt einer einfachgesetzlichen Regelung vorbehalten.

In Absatz 4 wird dafür Sorge getragen, dass die Steuerung über die Ausgabenseite erfolgt, womit die Ausgaben von den konjunkturell schwankenden Einnahmen entkoppelt werden. Die Regelbindung der Budgetpolitik erfolgt somit nicht mehr über den Finanzierungssaldo, sondern über die  Ausgabenseite. In einer Reihe von Ländern wurden mit der Abkehr vom Defizitziel und dem Übergang zu Ausgabenzielen erfolgreiche Konsolidierungen bzw. die Stabilisierung des Wachstums erreicht (Niederlande, USA: Omnibus Budget Reconciliation Act aus dem Jahr 1990). Eine Fiskalregel, die an der Ausgabenseite anknüpft, ist antizyklisch ausgerichtet und vermeidet somit die Tendenz zu prozyklischer Fiskalpolitik, wie sie im Stabilitäts- und Wachstumspakt der EU angelegt ist. Das Instrument der Schuldenbremse verhindert somit ein prozyklisches Verhalten und leistet einen wichtigen Beitrag für eine antizyklische Politik.

Bei der Festlegung der Ausgaben ist im Rahmen einer vorgesehenen mittelfristigen Budgetplanung die Situation des Finanzhaushaltes zu berücksichtigen, der sich – wie in Absatz drei vorgesehen - an der Schuldenquote orientiert.

 

Formulierungsvorschlag zu V) Regelung des Finanzausgleichs

Demgegenüber wird die Ansicht vertreten, dass die einseitige Ausrichtung auf das „Ausgleichsprinzip“ einerseits das Ziel der Autonomie der Gebietskörperschaften verletzt, sowie andererseits andere Ziele der Finanzausgleichspolitik, insbesondere allokationspolitische (Effizienz, Wachstum) und stabilitätspolitische (Konjunkturstabilisierung) zu kurz kommen. Damit wurden die sich im Zuge der wirtschaftlichen und sozialen Entwicklung verändernden Gewichte einzelner öffentlicher Aufgaben und die unterschiedlichen Belastungen einzelner Aufgabenträger sowie eine akkordierte Konjunktursteuerung durch Bund, Länder und Gemeinden weitgehend ausgeblendet. Auch die Verknüpfung des Finanzausgleichs mit wichtigen europäischen Zielen – die etwa in der Lissabon-Strategie verankert wurden - und dem Ziel nachhaltigen Wirtschaftens bleibt ausgeklammert.

Ein Finanzausgleich, der auch wachstums- und stabilitätspolitischen Zielen gerecht werden will, muss daher neben dem „Ausgleichsprinzip“ auch das „Aufkommensprinzip“ und das „Bedarfsprinzip“ in einem den Zielsetzungen entsprechenden „mix“ berücksichtigen. Ein Festhalten an einem strikten „Ausgleichsprinzip“ steht einem aufgabenorientierten Finanzausgleich entgegen. Die heutige komplexe und differenzierte Gesellschaft mit ihren vielfältigen Anforderungen an die öffentliche Hand und das sich daraus ergebende Aufgabenspektrum erfordert daher einen stärker aufgabenorientierten Finanzausgleich.

 

 

 

2.10.4.    Ausschuss 10 Transfers

 

Madeleine Petrovic

Textvorschlag für den Ausschuss 10

vorgelegt im November 2000

 

Finanzverfassungsrechtliche Grundsätze für eine Neuordnung von Transfers

Textvorschlag

(erstellt von Helfried Bauer und Bruno Rossmann am 16.11.2004)

 

§ 2. (1) Die Gebietskörperschaften tragen den Aufwand, der sich aus der Besorgung ihrer Aufgaben ergibt. Dabei ist eine Einheit zwischen der Verantwortung für eine Aufgabe, ihrer fachlichen Ausprägung und ihrer Finanzierung anzustreben.

(2) Nur aus wichtigen Gründen und nach Verhandlungen mit den betroffenen Gebietskörperschaften kann die zuständige Gesetzgebung eine von diesen Grundsätzen abweichende Regelung treffen.

 

§ 3. (1) Die Bundesgesetzgebung regelt die Verteilung der Besteuerungsrechte und Abgabenerträge zwischen dem Bund und den Ländern (Gemeinden). Die Landesgesetzgebung regelt die Verteilung der Besteuerungsrechte und Abgabenerträge hinsichtlich der Landes(Gemeinde)abgaben zwischen dem Land und den Gemeinden.

(2) Für die  Finanzierung von öffentlichen Aufgaben sind grundsätzlich Abgaben sowie nutzerbezogene Gebühren und Beiträge heranzuziehen. Ergänzend und selektiv kann die Bundesgesetzgebung den Ländern (Gemeinden), die Landesgesetzgebung den Gemeinden Transferzahlungen jeweils mit zeitlicher Befristung gewähren.

 

§ 4. (1) Die in den §§ 2 und 3 vorgesehene Regelung hat in Übereinstimmung mit der Verteilung der Lasten der öffentlichen Verwaltung zu erfolgen und darauf Bedacht zu nehmen, dass die Grenzen der Leistungsfähigkeit der beteiligten Gebietskörperschaften nicht überschritten werden.

(2) Der Bund hat mit den Ländern und Gemeinden, die Länder haben mit den Gemeinden vor der Regelung des Finanzausgleichs Verhandlungen zu führen. Ziel dieser Verhandlungen ist ein aufgabenorientierter Finanzausgleich.

 

§ 12. (1) Die Transferzahlungen zwischen den und innerhalb der Gebietskörperschaften gliedern sich nach ihren Aufgaben in:

  1. Transferzahlungen mit allokativen Zielen2.
  2. Transferzahlungen mit distributiven Zielen

(2) Transferzahlungen mit allokativen Zielen dienen der Förderung von positiven und der Vermeidung von negativen externen Effekten sowie der Schaffung von selektiven Anreizen für gesamtwirtschaftliche oder regionalpolitische Zielsetzungen. Sie müssen zweckgebunden sein. Die mit der Gewährung dieser Transferzahlungen verfolgten Ziele sind von der gewährenden Gebietskörperschaft im Gesetz sowie im Rahmen der interkommunalen und interregionalen Zusammenarbeit genau umschreibbar festzulegen.

(3) Transferzahlungen mit distributiven Zielen dienen der Erreichung finanzpolitischer Ziele, insbesondere der Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung des Gleichgewichts im Haushalt, und zur Deckung außergewöhnlicher Erfordernisse.

(4) Darüber hinaus kommt den Transferzahlungen mit distributiven Zielen eine Ausgleichsfunktion zu, mit dem Ziel Härten auszugleichen, die sich im Rahmen der Verteilung von Abgabenertragsanteilen oder sonstigen Regelungen der Finanzverfassung sowie des Finanzausgleichs ergeben. Diese Transferzahlungen sind zweckfrei zu gewähren.

(5) Die mit einer Transferzahlung verfolgte Zielerreichung ist regelmäßig, spätestens aber vor Ablauf der zeitlichen Befristung, zu überprüfen. Die gewährende Gebietskörperschaft hat die näheren Bestimmungen zur Überprüfung der Zielerreichung zu erlassen. Es ist ein umfassendes Transfer-Informationssystem einzurichten, das zeigen soll, wie die verschiedenen Zwecke und Zielerreichungsgrade ausgefallen sind.

(6) Nicht in die Kategorie von Transferzahlungen fallen Zahlungen zwischen den und innerhalb der Gebietskörperschaften, die der Verrechnung von erbrachten Diensten oder gelieferten Gütern dienen. 

 

§ 13. entfällt

 

 

Erläuterungen:

Ausgangslage

Die in der Praxis der österreichischen Finanzwirtschaft festzustellende große Zahl unterschiedlicher Transferzahlungen und das beachtliche Ausmaß der teils zweiseitigen Transferströme zwischen den Gebietskörperschaften innerhalb und außerhalb der Finanzausgleichsregelungen zeigen, dass die ursprünglichen Steuerungszwecke in den Hintergrund getreten sind.

So lässt sich aus der Studie von Bauer/Bröthaler/Schönbäck über „Die Gemeinden im Netz der intragovernmentalen Transferbeziehungen“ erkennen, dass Teile der intragovernmentalen Transfers

 

 

Kofinanzierungen laufender Aufgabenerfüllung oder von Investitionsprojekten bilden. Hierbei treten die Transfers in Konkurrenz zu anderen Finanzierungsformen, so über Steuern auf der einen und über Gebühren durch die Nutzer auf der anderen Seite.

Weiters ist zu erkennen, dass einige Transfers deshalb anfallen, weil von vornherein eine gemischte Trägerschaft von Aufgaben angelegt ist. Andere Transfers – insbesondere zwischen Gemeinden bzw. Gemeinden und Gemeindeverbänden - dienen der Abrechnung von Leistungen und Lieferungen.

Vielen Transfers kommen auch verteilungspolitische Funktionen zu, wobei meist die Umverteilung von Mitteln von finanzstarken zu finanzschwachen Gebietskörperschaften erfolgt.

Nur ein kleiner Teil der Transfers dient der Finanzierung von Programmen und spezifischen Vorhaben.

 

Neues Ordnungssystem für Transferzahlungen

Es gilt deshalb, die vorzufindenden Transfers darauf zu überprüfen, wie weit sie mit Prinzipien der öffentlichen Aufgabenerfüllung und des Finanzausgleichs verträglich sind, ob sie mit anderen Finanzierungsansätzen in Konkurrenz stehen, ob die angepeilten Programme und Zwecke zielkonform sind und ob die Vielzahl der Regelungen den Anforderungen an effizientes Verwaltungsmanagement genügen.

 

Zuerst gilt es nach dem Prinzip der Konnexität in der Finanzverfassung möglichst die Einheit zwischen der Verantwortung für eine Aufgabe, ihrer fachlichen Ausprägung und ihrer Finanzierung  herzustellen. Mehrere Träger von Aufgaben, Kofinanzierungen u.ä. verletzen das Konnexitätsprinzip, stören nachhaltig die Prinzipien der Accountability und der Transparenz und leisten Unwirtschaftlichkeiten Vorschub.

Zweitens wären die Möglichkeiten der Finanzierung von öffentlichen Aufgaben aus allgemeinen oder spezifischen Steuern und/oder von nutzerbezogenen Gebühren und Beiträgen auszuschöpfen.

Drittens müssen die Verteilung von Besteuerungsrechten einschließlich der Ermächtigung Gebühren einzuheben sowie die Verteilung von Ertragshoheiten beim Steuerverbund so gehandhabt werden, dass eine Finanzausstattung erzielt wird, die wesentlich dem Prinzip des Sachlichkeitsgebotes (§ 4 der Finanzverfassung) genügt.

Viertens müssen die wichtigen Funktionen von intragovernmentalen Transfers dadurch gewahrt bleiben, dass sie selektiv und ergänzend zu den anderen genannten Finanzierungsgesichtspunkten angewendet werden. Dabei sind allokative und distributive Aufgaben von Transfers zu unterscheiden.

Fünftens sollen Transfers, die der Verrechnung von erbrachten Diensten oder gelieferten Gütern dienen, als „interkommunale Leistungsvergütungen“ betrachtet und aus der funktionellen und statistischen Betrachtung von Transfers ausgeklammert bleiben.

 

Aufgaben von Transfers mit allokativen Zielen

Angesichts der vernetzten und verflochtenen Funktionen von Gebietskörperschaften in konkreten Territorien, sollen über Transfers zunächst und vor allem positive externe Effekte der Aufgabenerledigung im Rahmen der interkommunalen Zusammenarbeit (Nutzen  der economies of scale, Verteilen von Aufgabenschwerpunkten, Mindern der schädlichen Konkurrenz) gefördert und gesichert sowie negative externe Effekte möglichst reduziert werden (Transfers zur Abgeltung von externen Effekten). Es handelt sich hierbei meist um horizontale Transfers zwischen Gemeinden, auch solche zwischen Ländern (für Funktionen, die in grenznahen Räumen ausgeübt werden).

Auch vertikale Transfers  können den allokativen Zielen der externen Effekte dienen, in dem sie zeitlich begrenzt Auslöser- und Anreizfunktion für ansonsten unterbleibende Kooperationen zwischen den Gebietskörperschaften  schaffen.

Ergänzende vertikale Transfers mit allokativer Zielsetzung dienen der Anpassung des Verhaltens von nachgeordneten Gebietskörperschaften an nationale oder regionale Zielsetzungen.

Die Transfers mit allokativen Zwecken müssen zweckgebunden und über Ziele genau umschreibbar sein; an Hand von Indikatoren wird die Zielerreichung festgestellt werden müssen.

 

Aufgaben von Transfers mit distributiven Zielen

Solche Transfers sollten - soweit ersichtlich – nur zwei Aufgaben dienen. Zum einen sollen sie die Unterstützung der finanzpolitischen Steuerungsarbeit im föderalen Bundesstaat (Erreichen von finanzpolitischen Zielen – Stabilitätspakt, allfällige Konsolidierungsziele im regionalen Kontext, punktuelles Unterstützen bei außergewöhnlichen Ereignissen wie Naturkatastrophen) bewirken. Dies bedingt Zweckbindungen der Transfers und möglichst genaues Umschreiben der Ziele.

 

Die zweite Aufgabe besteht in der Verfolgung von verteilungspolitischen Zielen im Sinn politischer Werturteile über die Notwendigkeit, über das Ausmaß des Ausgleichs, über genaue Festlegungen von Begünstigten und Belasteten. „Transferkaskaden“ wären hierbei auszuschließen, da sie die Transparenz nachhaltig stören. Solche Transfers können nur zweckfrei gewährt werden; wegen der politischen Funktionalität wird vermutlich die Messbarkeit nur eingeschränkt möglich sein.

 

Transfer-Informationssystem

Ein umfassendes Transfer-Informationssystem soll zeigen, wie die verschiedenen Zwecke und Zielerreichungsgrade ausgefallen sind.

 

 

 

3.    Im Präsidium

3.1.    Präsidium Kompetenzen

 

Dr. Eva Glawischnig

 

Arbeitsunterlage für die Präsidiumssitzung am 28. Mai 2004

Textvorschläge betreffend Kompetenzverteilung

 

Im Lichte aller im Konvent eingenommen Positionierungen wird die Ausarbeitung folgenden Modells gewünscht:

 

Vorbemerkung: Neben dem vom Ausschuss genannten Zielsetzungen – Reduktion der Kompetenztypen, Flexibilisierung, Vereinfachung und Bedachtnahme auf EU-Kompetenzen – muss das neue  System auch Rechtssicherheit für die BürgerInnen und Handlungsfähigkeit der Politik sicherstellen.

 

1. Kompetenztatbestände

 

Die Kompetenztatbestände sind final zu definieren: Zusammenfassung der alten KTB zu abgerundeten KTB vor dem Hintergrund eines Zwei Säulenmodells und der EU-Rechtssetzung. Diese sind so zu formulieren, dass potentiell jeder neu auftauchende Regelungsbedarf jedenfalls einem Gesetzgebungskörper zuwächst. Eine Interpretation nach dem Versteinerungsprinzip ist auszuschließen. Zu den besonderen ökologischen und sozialen Erfordernissen siehe Arbeitsunterlagen Mag. Dr. Petrovic für den Ausschuss 5 vom Oktober und November 2003.

 

2. Struktur der Kompetenzverteilung:

 

Das Zwei Säulen-Modell ist weiterzuverfolgen:

 

  1. Säule – Gesetzgebungszuständigkeiten der Länder
  2. Säule – Gesetzgebungszuständigkeiten des Bundes mit Delegationsmöglichkeit an die Länder (mittelbarer bzw unmittelbarer Bundesvollzug)

Plus Bedarfsklausel des Bundes und Untermaßverbot in der Ländergesetzgebung.

 

Eine Einschränkung der Bedarfsklausel auf bestimmte Materien, wie dies im bisher diskutierten Drei Säulen-Modell vorgenommen wird, bringt nicht die notwendige Flexibilität. Eine konkurrierende Gesetzgebung steht diametral zum Gebot der Rechtssicherheit. Gemeinsame Zuständigkeiten ergeben sich einfach durch entsprechende Definition der Kompetenztatbestände zB Naturschutz (Länder) und Koordination des Naturschutzes (Bund), sodass keineswegs nur in der dritten Säule eine gemeinsame Zuständigkeit gegeben ist. Auch bei finalen Tatbeständen käme es zu Überschneidungen der Länder- und Bundesmaterien im tatsächlichen Lebenssachverhalt, sodass insgesamt von einer gemeinsamen Zuständigkeit von Bund und Ländern auszugehen ist. Dem ist durch entsprechende Verfahren Rechnung zu tragen.

 

Bedarfsklausel: Kommt keine Einigung im gemeinsamen NR/BR-Ausschuss (siehe unten) zustande,  so ist der Bedarf des Bundes nach dem Erfordernis zur Herstellung gleichwertiger Lebens- und Wirtschaftsverhältnisse, zum Schutz des ökologischen Gleichgewichts oder im gesamtstaatlichen Interesse zu beurteilen.

 

  1. Verfahren und neue Institutionen zur Koordination der Gesetzgebung

 

Mitwirkung der Länder an der Bundesgesetzgebung durch einen Bundesrat, der sich aus Landtagsabgeordneten zusammensetzt. Zur Beratung sind nur Materien vorzusehen, die wesentliche Auswirkungen auf die Länder haben, und zwar mit relativem Vetorecht, in eingeschränkten Bereichen mit absoluten Vetorecht. Vor Inanspruchnahme der Bedarfsklausel durch den Bund ist jedenfalls der gemeinsame BR/NR-Ausschuss zu befassen. Der Bundesrat dient des weiteren der Koordination der Landesgesetzgebung, jeder Landtag/jede Landesregierung kann Beratungsgegenstände zur empfehlenden Beschlussfassung herantragen. Des weiteren kommt den Landesregierungen bzw Landtagen ein Gesetzesinitiativrecht zum Nationalrat (also zu Bundesgesetzen) zu. In diesen Fällen sind die InitiatorInnen zur Beratung des Nationalrates beizuziehen. Den Landtagen kommt auch in Angelegenheiten der mittelbaren Bundesverwaltung das Interpellationsrecht resp. Entschließungsrecht an den LH (LReg.Mitglied) zu. Sowohl der Bund als auch die Länder können im Zuge eines Begutachtungsverfahrens im Fall positiver Kompetenzkonflikte die geplante Erlassung eines Gesetzes zum Thema des gemeinsamen BR/NR-Ausschusses machen, der eine Empfehlung abgeben kann (letztlich entscheidet der VfGH).

 

Kompetenzvereinbarungen werden abgelehnt, sie schieben Entscheidungen, die jetzt im Zuge des Konvents zu treffen sind, nur hinaus. Das Procedere ist viel zu langwierig.

 

Die Ersatzvornahme des Bundes bei defizitärer Umsetzung von EU-Recht durch die Länder sollte bereits 6 Monate nach Ablauf der Umsetzungsfrist möglich sein.

 

Wie in Ausschuss 9 bereits vorgebracht sollte die Haftung des Staates bei legislativem Unrecht insbesondere Untätigkeit des Gesetzgebers generell eingeführt werden und nicht bloß in Zusammenhang mit der Verletzung von EU-Recht.

 

Weitere Konkretisierungen wären im Laufe der Ausarbeitung zu besprechen.

 

 

 

3.2.    Präsidium Weisungsfreie Organe

 

Dr. Eva Glawischnig

Arbeitsunterlage für das Präsidium am 3. Juni 2004

 

Weisungsfreie Organe

Grüne Position

 

Derzeit können mit Verfassungsbestimmung oder Bundesverfassungsgesetz nach Belieben Organe weisungsfrei gestellt werden. Da der verfassungsrechtliche Wildwuchs beendet werden soll, stellt sich die Aufgabe, in der Verfassung den einfachen Gesetzgeber zur Einrichtung weisungsfreier Organe zu ermächtigen.

 

„Weisungsfreie Zonen“:

 

Weisungsfreie Organe sollten die Ausnahme darstellen und stellt sich daher die Frage, wie diese Ausnahmen definiert werden. Hiefür gibt es folgende Anknüpfungspunkte:

 

a)       Die Art der Tätigkeit des Organs, wie zB Sachverständigentätigkeit, Wahrung der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung bzw anwaltschaftliche Vertretung diffuser oder subjektiver Interessen (zB Umweltanwaltschaften, Gleichbehandlungsanwaltschaft, Rechtsschutzbeauftragter), sonstige Kontrolle der Verwaltung (finanzielle Kontrolle), Schieds- und Mediationstätigkeit, behördliche Entscheidungen.

b)       Den Verwaltungsbereich, in dem das Organ tätig ist, wie zB Datenschutz-, Dienst-, Gleichbehandlungs-, Umweltschutz-, Tierschutz-, Gesundheits- und Jugendrecht, Regulierung liberalisierter Märkte.

 

Eine Möglichkeit der Abgrenzung wäre auch a) aufgrund von EU-Recht zwingende Einrichtung des Organs und b) Kontrolle der Verwaltung (zum Schutz subjektiver oder diffuser Interessen). Die bisherigen Vorschläge der Ausschüsse 6 und 7 decken jedenfalls nicht alle bisherigen Anwendungsfälle ab (siehe dazu zB Positionspapier der Umweltanwaltschaften) und sind darüber hinaus nicht stringent.

 

Sonstige Voraussetzungen:

 

Da die Weisungsfreiheit in der Frage der Erledigung die parlamentarische Kontrolle durchbricht, sind kompensatorische Maßnahmen notwendig. Außerdem sind neben der Weisungsfreistellung andere Maßnahmen notwendig, um die Unabhängigkeit des Organs zu befördern. Verwaltungskontrollierende Organe befinden sich naturgemäß in einem gewissen Spannungsfeld zum Obersten Organ. Aus diesen Gründen sollte die Verfassung mit der Weisungsfreistellung der Organe bestimmte Vorsorgen betreffend

 

 

zwingend verbinden.

 

Auch in diesem Punkt sind die bisherigen Vorschläge unbefriedigend (zum Punkt Mindestausstattung siehe wieder Positionspapier der Umweltanwaltschaften).

 

 

 

3.3.    Präsidium Sicherheitspolitik

 

Dr. Eva Glawischnig Wien, 7. Oktober 2004

 

Vorlage im Präsidium des Ö-Konvents

Sicherheitspolitische Positionierung

 

1.              Die Grünen treten für die Aufhebung der allgemeinen Wehrpflicht in Art 9a Abs 3 B-VG ein, weil sich die militärische Bedrohung Österreichs in den vergangenen Jahren wesentlich reduziert hat. Aus diesem Grund wird eine Zwangsverpflichtung aller „männlichen österreichischen Staatsbürger“ nicht mehr  für gerechtfertigt erachtet.

Sofern Art 9 a Abs 3 B-VG aufrechterhalten wird, wäre er um das Recht auf Zivildienst im Sinne § 2 Abs 1 ZDG zu ergänzen (Art 9 a Abs 3 zweiter Satz [zwingender Ersatzdienst] könnte dementsprechend entfallen).

2.              Wie schon im Präsidium zum Ausdruck gebracht, sind wir für den Erhalt des Neutralitäts-BVG als Trabanten.

3.              Aktionen im Rahmen der GASP sind an einen entsprechenden Beschluss des Sicherheitsrats der UNO zu binden. Insofern befürworteten die Grünen schon den Textvorschlag von Dr. Specht in Ausschuss 1 zur Änderung des Art 23 f B-VG.

4.              Angesichts der unklaren Entwicklungen im Rahmen der europäischen Sicherheitspolitik ist bis auf weiteres die Beibehaltung der umfassenden Landesverteidigung gemäß Art 9a Abs 1 und 2 B-VG sinnvoll.

5.              Die Grünen bekundeten für den Vorschlag Wittmann „Staatsziel Friedenspolitik“ im Ausschuss 1 Sympathie. Nach näherer Prüfung wird folgende modifizierte Fassung vorgeschlagen:

„Die Republik Österreich bekennt sich zu einer aktiven Friedenspolitik auf der Grundlage der Neutralität. Das solidarische Zusammenwirken in der Europäischen Union und die Teilnahme an internationalen Einsätzen zur Herbeiführung von Frieden setzt entsprechende Beschlüsse des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen voraus. Für Österreich haben bei Operationen zur Konfliktverhütung, Friedenssicherung und zur Stärkung der internationalen Sicherheit zivile Mittel Vorrang.“

6.              Solange auf europäischer Ebene kein gemeinsames Verteidigungssystem verwirklicht ist, bleibt die Hauptaufgabe einer bewaffneten Streitmacht Österreichs die Landesverteidigung. Darauf ist auch bei einer allfälligen Integration des KSE-BVG in die Verfassungsurkunde Bedacht zu nehmen. Im übrigen sollten auch bei einer Regelung über die Entsendung von Einheiten und Einzelpersonen in das Ausland die obigen Grundsätze gelten.

 

 

 

3.4.    Präsidium Gemeinde

 

Eva Glawischnig Wien, 15. Oktober 2004

 

Textvorschläge zu einzelnen Bestimmungen des Gemeinderechtes

vorgelegt im Präsidium

 

Textvorschläge zu einzelnen Bestimmungen im Bereiche der Grundzüge des Gemeinderechts (Art 115 ff B-VG):

 

I. Mindestaufgaben des Gemeinderates

 

Textvariante 1:

Nach Art 118 Abs 4 B-VG wird ein Abs 4a und 4b eingefügt:

(4a) Der Gemeinderat fasst die Beschlüsse in den Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde.

(4b) Der Gemeinderat kann mit Verordnung einzelne Aufgaben zur Besorgung an andere Gemeindeorgane (Art 117 Abs 1) übertragen. Davon ausgenommen sind:

a) Angelegenheiten des Gemeindehaushaltes (Gemeindevoranschlag, Gemeinderechnungsabschluss);

b) Angelegenheiten der Privatwirtschaftsverwaltung, wenn diese jeweils im Einzelfall 10% des Gemeindevoranschlages oder eine Höhe von 100.000 € überschreiten;

c) die Wahl anderer Organe;

d) die Erlassung von Verordnungen.

Der Beschluss einer Übertragungsverordnung bedarf der Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder des Gemeinderats und einer Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen der anwesenden Mitglieder. Die Übertragungsverordnung tritt jedenfalls mit Ablauf der Funktionsperiode des Gemeinderates außer Kraft.

 

Textvariante 2:

Nach Art 118 Abs 4 B-VG wird ein Abs 4a und 4b eingefügt:

(4a) Der Gemeinderat fasst die Beschlüsse in den Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde, die nicht ausdrücklich durch Landes[verfassungs]gesetz anderen Gemeindeorganen zugewiesen sind.

(4b) Der Besorgung durch den Gemeinderat vorbehalten sind jedenfalls:

a) Angelegenheiten des Gemeindehaushaltes (Gemeindevoranschlag, Gemeinderechnungsabschluss);

b) Angelegenheiten der Privatwirtschaftsverwaltung, wenn diese jeweils im Einzelfall 10% des Gemeindevoranschlages oder eine Höhe von 100.000 € überschreiten;

c) die Wahl anderer Organe;

d) die Erlassung von Verordnungen.

 

Erläuterungen:

1. Den beiden Textvarianten liegt die Überlegung zugrunde, dass

- aus historischer Perspektive (und in Übereinstimmung mit gesamteuropäischen Entwicklungen) der Gemeinderat das beschließende Organ und der Bürgermeister (als Vorsitzender des Gemeindevorstandes) das vollziehende („exekutierende“) Organ (= Durchführung der Beschlüsse) bzw das die Gemeinde nach außen vertretende Organ (= Exekutivorgan) war;

- aktuell in den Bundesländern die Tendenz festzustellen ist, dass dieser Grundsatz in sein Gegenteil verkehrt wird. Die Verlagerung der Aufgabenbesorgung hin zu kleineren Kollegialorganen (Gemeindevorstand, Ausschüssen uä) oder monokratischen Organen (wie dem Bürgermeister) erfolgt zwar zum Teil aus verwaltungsreformatorischen Gründen (Aufgabenentlastung, Effizienzsteigerung) sowie der Aufwertung des Bürgermeisters nach Einführung der Bürgermeisterdirektwahl, zum Teil aber auch aus parteipolitischen Gründen (zB Ausschluss von politischen Parteien auf Grund anderer politischer Zusammensetzungen der Entlastungsorgane). Diese Tendenz wird weiter verschärft, wenn mit der formalen Aufwertung des Bürgermeisters im Zuge der Bürgermeisterdirektwahl schrittweise auch dessen materielle Aufwertung im Wege der Übertragung neuer Aufgaben einher geht, gleichzeitig aber (oft auch nur versteckt) die Stellung des Gemeinderates als oberstes Organ der Gemeinde rechtlich oder faktisch eingeschränkt wird (zB Einschränkungen bei der Weisungsmöglichkeit oder der Abberufung des Bürgermeisters aus seinem Amt);

- im Zuge des Verfassungskonvents eine Reform der Instanzenzüge beabsichtigt wird, mit der Folge, dass bei der Besorgung von behördlichen Aufgaben I. Instanz, die derzeit überwiegend dem Bürgermeister obliegt (zB Bauangelegenheiten), kein Instanzenzug innerhalb der Gemeinde an den Gemeinderat (Gemeindevorstand) mehr vorgesehen sein wird.

 

2. Vor diesem Hintergrund führt die Textvariante 1 die Aufgabenverteilung zurück zur Kernfunktion des Gemeinderates als beschließendes Organ und weist dem Gemeinderat eine Generalkompetenz zu (anstatt – wie bisher in den geltenden Gemeindeorganisationsgesetzen – einer bloßen subsidiären Generalkompetenz), schließt aber eine Aufgabenverteilung in der konkreten Gemeinde nach Maßgabe der Zweckmäßigkeit, Raschheit und Einfachheit nicht aus. Solche Möglichkeiten kennen auch die geltenden Gemeindeorganisationsgesetze für jene Ausgabenbereiche, die vom Landesgesetzgeber nicht anderen Gemeindeorganen verpflichtend zugewiesen worden sind. Die Textvariante 1 erweitert daher nicht nur die Aufgaben des Gemeinderates beträchtlich (Zuständigkeit für behördliche Aufgaben im Fall der Reduzierung des Instanzenzuges auf eine Instanz!), sondern auch die Autonomie der einzelnen Gemeinden bei der Aufgabenverteilung. Dessen ungeachtet sollen dem Gemeinderat aber wichtige Kompetenzen zwingend erhalten bleiben und von der Möglichkeit einer Delegierung ausgeschlossen sein.

Da auf Grund der Vielfalt der Gemeindeaufgaben und den beträchtlichen Unterschieden zwischen den Bundesländern eine Aufzählung nach Sachmaterien nicht möglich ist, erscheint neben dem bisherigen Vorbehalt des Gemeindehaushaltes (Art 117 Abs 4 B-VG) vor allem die Privatwirtschaftsverwaltung (ab einer bestimmten Höhe) sowie die Erlassung von generellen Regelungen (dh Verordnungen) wesentlich. Der Vorbehalt der Wahl anderer Organe dient der Klarstellung.

 

3. Der Textvariante 2 berücksichtigt, dass dem Landesgesetzgeber weiterhin ein Einfluss auf die Zuständigkeitsverteilung (und „materielle Stärke“ der Gemeindeorgane) erhalten bleiben soll, insbesondere für die dualen Gemeindeverwaltungssysteme (mit zwei Spitzenorganen, namentlich Gemeinderat und Bürgermeister). Diese Textvariante erscheint aber auch erforderlich, wenn ein innergemeindlicher Instanzenzug (vom Bürgermeister zum Gemeinderat) erhalten bleiben soll.

Auch in diesem Fall kann jedoch zumindest der Grundsatz der (General-) Zuständigkeit des Gemeinderates auf bundesverfassungsrechtlicher Ebene zum Ausdruck gebracht werden sowie – analog zur Ermächtigung der Einführung der Bürgermeisterwahl (Art 117 Abs 6 B-VG) – verstärkt werden, wenn abweichende Zuständigkeiten einer landesverfassungsrechtlichen Bestimmung bedürfen. In einer solchen landesverfassungsrechtlichen Bestimmung könnte folglich bundesländerspezifisch auch eine Delegierungsermächtigung des Gemeinderates (wie in Textvariante 1) vorgesehen werden.

 

II. Öffentlichkeit der Gemeinderatsitzungen

 

Art 117 Abs 4 B-VG lautet:

„Die Sitzungen des Gemeinderates sind öffentlich, ausgenommen es handelt sich um individuelle Verwaltungsverfahren. Der Ausschluss für einzelne Tagesordnungspunkte ist auf Beschluss des Gemeinderates in Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder und mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen aus den in Art 10 Abs 2 EMRK genannten Gründen zulässig. Wenn der Gemeindevoranschlag, der Gemeinderechnungsabschluss oder ein Bericht des Rechnungshofes behandelt wird, darf die Öffentlichkeit jedenfalls nicht ausgeschlossen werden.“

 

Erläuterungen:

Die einfachgesetzlichen Regelungen in den geltenden Gemeindeorganisationsgesetzen (siehe beiliegende ÜBERSICHT) sind dadurch gekennzeichnet, dass relativ eng gefasste, absolute Ausschlussverbote in Verbindung mit weit reichenden Ermächtigungen zum Ausschluss der Öffentlichkeit in allen übrigen Angelegenheiten (mangels Vorbehalten, Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe wie zB öffentliche Interessen, Gewährleistung der freien Beratung, besondere Gründe für die Vertraulichkeit etc) ohne Vorschreibung besonderer Präsenz- und Konsensquoren den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Öffentlichkeit beträchtlich aushöhlen können.

Aus diesem Grunde erscheint eine Konkretisierung der zulässigen Ausschlussgründe erforderlich. Sie kann in Abstimmung mit dem generellen Vorhaben des Verfassungskonvents zur Neuregelung der Amtsverschwiegenheit und somit in Übereinstimmung mit Art 20 Abs 3 B-VG [neu] durch einen Verweis auf die Gründe des Art 10 Abs 2 EMRK erfolgen. In diesem Zusammenhang sollte es weiterhin möglich sein, auch berechtigte Geheimhaltungsinteressen kommunaler Wirtschaftsbetriebe in Gemeinderatssitzungen ausreichend zu schützen (arg „Rechte anderer“). Um jedoch in sämtlichen Fällen die Bedeutung des Grundsatzes der Öffentlichkeit zu erhöhen, erscheint ein erhöhtes Konsensquorum gerechtfertigt.

Da der Gemeinderat jedoch auch normale behördliche Aufgaben als Verwaltungsorgan (zB Behörde erster Instanz, Berufungsbehörde) ausübt, erscheint eine Klarstellung hinsichtlich der individuellen Verwaltungsverfahren (nach dem AVG, AbgVwG uä) erforderlich. Da diese Angelegenheiten nach dem Rechtsstaatsprinzip keinen „freien“ Beschluss des Gemeinderates zulassen (Art 18 B-VG), sind sie auch nach geltender einfachgesetzlicher Rechtslage zwingend mit bloßer Parteien- und Beteiligtenöffentlichkeit durchzuführen.

Umgekehrt soll an den bisherigen absoluten Ausschlussverboten betreffend die Beratungen über den Gemeindehaushalt (Gemeindevoranschlag, Rechnungsabschluss) festgehalten werden. Sie sollen jedoch auf Grund des regelmäßig engen Zusammenhanges mit dem Gemeindehaushalt um jene Sitzungen erweitert werden, in denen Berichte der Landesrechnungshöfe beraten werden, soweit durch eine (nach den Konventsberatungen zu erwartende) Änderung der derzeitigen Rechtslage eine solche originäre Prüfzuständigkeit tatsächlich geschaffen werden sollte. Daraus ergibt sich eine Beratungspflicht für solche Landesrechnungshofberichte und die Notwendigkeit, diese Tatsache bereits bei der Erstellung der Rechnungshofberichte mit zu berücksichtigen.

 

III. Vertretungsregelung für Gemeinderäte

 

Art 117 Abs 3 B-VG wird als erster und zweiter Satz eingefügt:

„Die Mitglieder des Gemeinderates haben an den Sitzungen des Gemeinderates teilzunehmen. Im Fall der rechtzeitigen Bekanntgabe einer Verhinderung sind Ersatzmitglieder einzuberufen.“

 

Erläuterungen:

Die Anwesenheitspflicht der Gemeinderatsmitglieder steht in engem Zusammenhang mit den Beschlusserfordernissen des Gemeinderates (Art 117 Abs 3 B-VG – „einfache Mehrheit der in beschlussfähiger Anzahl anwesender Mitglieder“). Aus diesem Grund soll in dieser Bestimmung durch den ersten Satz der ohnedies in allen Gemeindeorganisationsgesetzen enthaltene Grundsatz aufgenommen werden, dass die Mitglieder des Gemeinderates zur Teilnahme an den Sitzungen verpflichtet sind. Der zweite Satz impliziert, dass eine Verhinderung keine Pflichtverletzung darstellt und sieht für den Fall der rechtzeitigen Bekanntgabe eine Vertretung durch ein Ersatzmitglied vor. Dem Umstand der rechtzeitigen Bekanntgabe kommt besondere Bedeutung zu, weil die Vertretungsregelung nicht überspannt werden darf, ansonsten durch kurzfristige Verhinderungen und der Unmöglichkeit, in einem zu kurzen Zeitraum ein Ersatzmitglied einzuberufen, die Abhaltung der Sitzung willentlich verhindert werden könnte.

 

IV. Gemeindeaufsicht/Aufsichtsbeschwerde

 

Nach Art 119a Abs 4 B-VG wird folgender [letzter] Satz angefügt:

„Bei Beschwerden über die Amtsführung von Gemeindeorganen (Aufsichtsbeschwerden) hat die Aufsichtsbehörde den Beschwerdeführer innerhalb von sechs Monaten über das Ergebnis der Untersuchungen, insbesondere die Rechtmäßigkeit der Amtsführung, schriftlich zu informieren.“

 

Erläuterungen:

Bezüglich Fragen der Rechtmäßigkeit der Gemeindevollziehung, für die kein unmittelbarer Rechtsweg für eine Überprüfung zur Verfügung steht, wenden sich Betroffene regelmäßig an die Aufsichtsbehörde in Form einer „Beschwerde“.

Das Instrument eines formellen („verrechtlichten“) Aufsichtsbeschwerdeverfahrens gibt es jedoch derzeit einfachgesetzlich nur nach § 84a Sbg GemO 1994. Danach kann von jedermann, insbesondere auch von den Gemeinderatsmitgliedern betreffend gemeindeinterner Vollzugsangelegenheiten, bei der Aufsichtsbehörde schriftlich eine Aufsichtsbeschwerde über die Amtsführung der Gemeindeorgane eingebracht werden. Die Aufsichtsbehörde hat von dem von der Aufsichtsbeschwerde betroffenen Organ eine schriftliche Stellungnahme einzuholen. Die Aufsichtsbehörde hat folglich zu beurteilen, ob das Gemeindeorgan durch sein Verhalten Gesetze oder Verordnungen verletzt hat. Über das Ergebnis der Untersuchung sind der Beschwerdeführer und das betroffene Organ schriftlich zu informieren. Die Erledigung einer Aufsichtsbeschwerde hat ohne Verzug, spätestens aber sechs Monate nach dem Einlangen bei der Aufsichtsbehörde zu erfolgen.

Auf Grund der bereits bestehenden Befugnisse der Aufsichtsbehörde gem Art 119a Abs 4 B-VG genügt es für die verpflichtende Einrichtung eines formellen Aufsichtsbeschwerdeverfahrens, jedenfalls eine Informationspflicht gegenüber den betreffenden Aufsichtsbeschwerdeführer vorzusehen. Dadurch kommt gleichzeitig zum Ausdruck, dass die Einbringung einer Aufsichtsbeschwerde betreffend die Amtsführung der Gemeindeorgane Ermittlungspflichten der Aufsichtsbehörde auslöst. Für die Bekanntgabe der Informationen (und ihre rechtliche Würdigung) erscheint der für Erledigungen von Verwaltungsbehörden übliche Zeitraum von 6 Monaten nahe liegend.

 

V. Abberufung des Bürgermeisters durch den Gemeinderat

 

Art 118 Abs 5 B-VG wird folgender [letzter] Satz angefügt:

„Der Gemeinderat kann mit einem Misstrauensvotum den Bürgermeister abberufen.“

 

Erläuterungen:

Durch die Ermächtigung des Landesverfassungsgesetzgebers, die Bürgermeisterdirektwahl einzuführen (Art 117 Abs 6 B-VG), sollten die anderen bundesverfassungsrechtlichen Grundsätze der Gemeindeorganisation, insbesondere das ihnen zugrunde liegende parlamentarisch-demokratische Organisationssystem (Art 117 Abs 2 bis 5 iVm Art 118 Abs 5 B-VG; vgl VfSlg 13.500/1993), an sich nicht weiter verändert werden. Im Initiativantrag 617/A (II-11330 BlgNR XVIII. GP) hieß es ausdrücklich, dass „im übrigen am verfassungsrechtlichen Verhältnis zwischen Bürgermeister und den anderen Organen nichts geändert werden [soll]“. Auch der Verfassungsausschuss ging ausdrücklich davon aus, dass zB mittelbare Änderungen der verfassungsrechtlichen Ausnahmen für die Amtsverschwiegenheit – sogar entgegen ihrem Wortlaut (nämlich nur: „... für die von einem allgemeinen Vertretungskörper bestellten Funktionäre ...“; vgl Art 20 Abs 3 letzter Satz B-VG) – ausgeschlossen wurden (1642 BlgNR XVIII. GP).

 

Dessen ungeachtet wurde jedoch der zentrale Grundsatz, wonach alle Organe der Gemeinde dem Gemeinderat verantwortlich sind (Art 118 Abs 5 B-VG), ausgehöhlt, weil im Zuge der Einführung der Bürgermeisterdirektwahl in den Gemeindeorganisationsgesetzen auch die Bestimmungen über das Misstrauensvotum neu geregelt wurden, sodass der Gemeinderat den Bürgermeister regelmäßig nur gemeinsam mit dem Willen des Gemeindevolks (Beschluss des Gemeinderates [Misstrauensausspruch] in Verbindung mit nachfolgender obligatorischer Volksabstimmung) abberufen kann. Teilweise ist in diesem Zusammenhang vorgesehen, dass bei Bestätigung des Bürgermeisters in der Volksabstimmung, der Gemeinderat ex lege als aufgelöst gilt. In Verbindung mit weiteren materiellen Ermächtigungen in den Gemeindeorganisationsgesetzen, wonach der Bürgermeister aus eigener Initiative Beschlüsse des Gemeinderates einer Volksbefragung oder Volksabstimmung unterziehen kann (und dadurch – zB Tir, Bgld, Sbg – ein Regieren gegen den Gemeinderat ermöglicht wird), ist eine erste Tendenz zu erkennen, dass in den Gemeindeorganisationsgesetzen ein Umbau der historischen „Gemeinderatverfassung“ hin zu einer „Bürgermeisterverfassung“ in der Gemeindeorganisation stattfindet.

 

Die Frage, ob Art 117 Abs 6 B-VG den Art 118 Abs 5 B-VG inhaltlich verändert habe, wurde im Erk VfSlg 15.302/1998 zur sbg GdO (und zum sbg StR) – entgegen den angeführten parlamentarischen Materialien – ausdrücklich bejaht. Der VfGH führte darin aus, dass sich aus dem demokratischen Bauprinzip die Verantwortlichkeit aller durch Volkswahl berufenen Organe gegenüber dem Volk ableiten lässt:

 

„Wenn nun für die Gemeindeorganisation ein duales, auf zwei voneinander unabhängigen Säulen beruhendes System geschaffen wird, indem sowohl der Bürgermeister als auch der Gemeinderat unmittelbar gewählt werden und daher der Bürgermeister mit dem Gemeinderat nicht mehr in dieser engen Weise wie bisher verbunden ist, so sind sowohl der Bürgermeister als auch der Gemeinderat unmittelbar dem Volk verantwortlich. Wird die Geltendmachung der Verantwortlichkeit des Bürgermeisters überhaupt geregelt und soll die Initiative dafür vom Gemeinderat ausgehen, so ist aufgrund der Verantwortlichkeit des Gemeinderates gegenüber dem Volk die Auflösung des Gemeinderates die Folge, wenn offensichtlich der Wille des Volkes und der Wille des Gemeinderates auseinanderklaffen. So gesehen sind die angefochtenen Bestimmungen im Licht eines veränderten Art 118 Abs 5 B-VG nicht nur zulässig, sondern erscheint die ex-lege-Auflösung des Gemeinderates aus Gründen des demokratischen Prinzips zumindest verfassungsrechtlich nahe liegend, wenn nicht sogar geboten!“

 

Die vorgeschlagene Ergänzung des Art 118 Abs 5 B-VG soll die Stellung des Gemeinderates wieder stärken und schließt die ursprünglich nicht beabsichtigte mittelbare inhaltliche Veränderung des Art 118 Abs 5 B-VG durch Art 117 Abs 6 B-VG ausdrücklich wieder aus.

 

Anlage:

 

Die Öffentlichkeit der Gemeinderatssitzungen

im Rechtsvergleich der Bundesländer

 

Die einzelnen Gemeindeordnungen (und regelmäßig gleich lautend die entsprechenden Stadtstatuten) enthalten folgende Bestimmungen zur Öffentlichkeit der Gemeinderatssitzungen:

 

1. Grundsatz der Öffentlichkeit

 

Sämtliche GemO sehen ausdrückliche Bestimmungen vor, die den Grundsatz der Öffentlichkeit der (Gemeinderats-) Sitzungen verankern.

Vorbehaltslos gilt dieser Grundsatz jedoch in sämtlichen Bundesländern nur in den verfassungsrechtlich ausdrücklich angeordneten Fällen (Art 117 Abs 4 B-VG) betreffend die Behandlung (Beratung) des

- Gemeindevoranschlags (Bgld, Krnt, Nö, Oö, Sbg, Stmk, Tir, Vlbg, WStV),

- Rechnungsabschlusses (Bgld, Krnt, Nö, Oö, Sbg, Stmk, Tir, Vlbg, WStV),

 

darüber hinaus bundesländerspezifisch auch noch in einzelnen weiteren Angelegenheiten, namentlich betreffend

- Wirtschaftspläne und Jahresabschlüsse der Gemeindeunternehmungen (Krnt),

- Wahlen der Gemeindeorgane (Nö, Stmk, Vlbg),

- Berichte des Prüfungsausschusses, (Nö),

- Gebarungsprüfungen der Aufsichtsbehörde (Vlbg),

- Rechnungshofberichte (Vlbg),

- konstituierende Sitzungen des Gemeinderates (Stmk),

- Sitzungen über Minderheitsberichte von Untersuchungskommissionen (WStV),

- Fragestunden, Aktuelle Stunden, dringende Initiativen, Debatten (WStV),

- Misstrauensanträge (Sbg)

- Ausschreibungen von Gemeindeabgaben (Tir), sowie

- Bezüge der Gemeindefunktionäre (Tir).

 

2. Ausschluss der Öffentlichkeit

 

2.1. Soweit für die betreffende Angelegenheiten kein ausdrückliches Ausschlussverbot besteht, kann die Öffentlichkeit der Gemeinderatssitzung in folgenden Angelegenheiten ausgeschlossen sein:

- in sämtlichen Angelegenheiten (Oö, Stmk, Tir, WStV),

- aus Gründen der öffentlichen Ordnung (Bgld, Krnt),

- aus sonstigen öffentlichen Interessen (Krnt),

- zur Gewährleistung der freien Beratung (Vlbg),

- aus besonderen Gründen für die Vertraulichkeit der Geschäftsbehandlung (sbg),

- im Interesse der Gebietskörperschaften (Vlbg),

- im Interesse der Parteien (Vlbg),

- Personalangelegenheiten (Krnt, Sbg, Stmk),

- Bescheide, individuelle hoheitliche Angelegenheiten (Bgld, Stmk), teilweise eingeschränkt auf die Wahrung des Amtsgeheimnisses oder Steuergeheimnisses (Nö)

- individuelle Abgabenangelegenheiten, Zahlungserleichterungen (Nö, Sbg, Stmk).

 

2.2. Der Ausschluss der Öffentlichkeit ist in diesen Fällen teilweise generell (ex lege) vorgesehen, namentlich für

- Bescheide, individuelle hoheitliche Angelegenheiten (Bgld, Stmk), teilweise eingeschränkt auf die Wahrung des Amtsgeheimnisses oder Steuergeheimnisses (Nö),

- individuelle Personalangelegenheiten (Krnt, Sbg, Stmk),

- individuelle Abgabenangelegenheiten (Sbg),

 

wobei sich diese Ausschlussgründe für die anderen Bundesländer überwiegend auch verfassungsunmittelbar ergeben (Art 20 Abs 3 B-VG).

 

2.3. In den übrigen Fällen erfordert der Ausschluss der Öffentlichkeit entweder eines Antrags

- des Vorsitzenden (Bgld, Krnt, Nö, Oö), und/oder

- eines Mitgliedes (Krnt, Sbg, Stmk, Tir, Vlbg),

- dreier Mitglieder (Bgld, Nö, Oö),

- wenigstens 13 Mitgliedern (WStV),

 

sowie kumulativ einer Beschlussfassung des Gemeinderates mit

- normalem Beschlussquorum (Bgld, Nö, Oö, Sbg, Stmk, Vlbg, WStV)

- erhöhtem Beschlussquorum (Krnt: 2/3; Tir: 2/3).

 

Teilweise kann auch der Bürgermeister anlässlich der Festlegung der Tagesordnung einen Gegenstand in die nichtöffentliche Sitzung verweisen. In diesen Fällen hat der Gemeinderat die Möglichkeit, mit Beschluss die Angelegenheit in die öffentliche Sitzung rückzuverweisen (Stmk, Vlbg).

 

2.4. Darüber hinaus kommt in allen GemO regelmäßig ein sitzungspolizeilicher Ausschluss der Öffentlichkeit (oder eines Teils davon) während laufender Sitzungen im Fall von Störungen in Betracht.

 

ANLAGE:

 

§ 44 Bgld GemO, LGBl 55/2003:

Öffentlichkeit

(1) Die Gemeinderatssitzungen sind öffentlich. Aus Gründen der öffentlichen Ordnung kann auf Antrag des Vorsitzenden oder dreier Mitglieder des Gemeinderats die Ausschließung der Öffentlichkeit beschlossen werden, nicht jedoch für Sitzungen, in denen der Gemeindevoranschlag oder der Rechnungsabschluss behandelt wird. Gegenstände, die die Erlassung von Bescheiden zum Inhalt haben, dürfen nur in einer nicht öffentlichen Sitzung behandelt werden. Die Sitzungen des Gemeindevorstands und der Ausschüsse sind nicht öffentlich.

(2) Sollten Zuhörer die Beratungen des Gemeinderats stören, so ist der Vorsitzende berechtigt, nach vorangegangener fruchtloser Ermahnung die Ruhestörer entfernen zu lassen.

 

§ 36 Krnt AGO, LGBl 66/1998:

Öffentlichkeit

(1) Die Sitzungen des Gemeinderates sind öffentlich, doch kann auf Antrag des Vorsitzenden oder eines Mitgliedes des Gemeinderates ohne Wechselrede der Ausschluß der Öffentlichkeit aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder aus sonstigen öffentlichen Interessen mit zwei Dritteln der Stimmen der in beschlußfähiger Anzahl Anwesenden beschlossen werden. Wird der Ausschluß der Öffentlichkeit beschlossen, so hat der Vorsitzende diesen Tagesordnungspunkt zur weiteren Behandlung in nichtöffentlicher Sitzung an das Ende der Tagesordnung - sind auch Personalangelegenheiten zu behandeln, vor diese Tagesordnungspunkte - zu reihen. § 35 Abs 5 ist in diesen Fällen nicht anzuwenden.

(2) Bei der Behandlung des Voranschlages und des Wirtschaftsplanes der Unternehmungen der Gemeinde, des Rechnungsabschlusses sowie des Jahresabschlusses der Unternehmungen darf die Öffentlichkeit nicht ausgeschlossen werden.

(3) Personalangelegenheiten sind in nichtöffentlicher Sitzung zu behandeln.

(4) Zu den öffentlichen Sitzungen hat jedermann nach Maßgabe des verfügbaren Raumes Zutritt. Die Zuhörer haben sich jeder Äußerung zu enthalten. Stören sie die Beratung, so hat der Vorsitzende sie nach ergebnisloser Mahnung aus dem Zuhörerraum entfernen oder überhaupt den Zuhörerraum räumen zu lassen. Die Verwendung von Film- oder Tonbandgeräten bedarf der Genehmigung des Gemeinderates.

(5) Im Sitzungssaal dürfen nur solche Personen Waffen tragen, die aufgrund ihres öffentlichen Dienstes dazu verpflichtet sind.

 

§ 47 NÖ GemO, LGBl 1000-3:

Öffentlichkeit

(1) Die Sitzungen des Gemeinderates sind öffentlich. Gegenstände, die die Erlassung individueller hoheitlicher Verwaltungsakte zum Inhalt haben, dürfen aus Gründen der Amtsverschwiegenheit oder des Steuergeheimnisses  nur  in  einer  nichtöffentlichen Sitzung

behandelt werden.

(2) Auf Antrag des Vorsitzenden oder von drei Mitgliedern des Gemeinderates kann die Öffentlichkeit durch Gemeinderatsbeschluß ausgeschlossen werden. Die Öffentlichkeit darf jedoch nicht ausgeschlossen werden, wenn der Gemeindevoranschlag oder der Rechnungsabschluß behandelt wird sowie bei der Wahl von Gemeindeorganen. Gleiches gilt für den Bericht des Prüfungsausschusses, soweit die Geheimhaltung nicht im Interesse einer Gebietskörperschaft oder der Parteien geboten ist. Über einen Antrag auf Ausschluß der Öffentlichkeit ist in nichtöffentlicher Sitzung zu verhandeln.

(3) Der Bürgermeister kann Gegenstände, ausgenommen die im Abs. 2 genannten, in eine nichtöffentliche Sitzung verweisen. In dieser nichtöffentlichen Sitzung kann jedoch der Gemeinderat die Rückverweisung des Gegenstandes zur Verhandlung in öffentlicher Sitzung beschließen. Über einen Antrag auf Ausschluß der Öffentlichkeit und Rückverweisung zur Verhandlung in öffentlicher Sitzung ist in nichtöffentlicher Sitzung zu verhandeln.

(4) Der Gemeinderat kann bei nichtöffentlichen Sitzungen außerdem die Vertraulichkeit  der  Beratung  und  Beschlussfassung beschließen.

(5) Der Gemeinderat kann für eine Gemeinderatssitzung oder für bestimmte Gegenstände der Tagesordnung die Verwendung von Geräten zur Bild- und/oder Schallaufzeichnung durch Zuhörer und Mitglieder des Gemeinderates untersagen.

(6) Den Beratungen können Sachverständige und Auskunftspersonen beigezogen  werden,  wenn  dies  der  Gemeinderat beschließt.

 

§ 53 oö GemO, LGBl 91/1990 idF 152/2001

Öffentlichkeit

(1) Die Sitzungen des Gemeinderates sind öffentlich. Die Öffentlichkeit besteht darin, daß jedermann nach Maßgabe des vorhandenen Platzes berechtigt ist, zuzuhören und sich Aufzeichnungen zu machen.

(2) Die Öffentlichkeit ist auszuschließen, wenn es vom Vorsitzenden oder von wenigstens drei Mitgliedern des Gemeinderates verlangt und vom Gemeinderat beschlossen wird. Wenn der Gemeindevoranschlag oder der Gemeinderechnungsabschluß behandelt werden, darf die Öffentlichkeit nicht ausgeschlossen werden.

(3) Die Beratung und die Beschlußfassung in nicht öffentlichen Sitzungen sind vertraulich; sie dürfen ausschließlich für amtliche Zwecke aufgezeichnet werden.

(4) Eine visuelle oder akustische Aufzeichnung der Sitzung ist zulässig. Der Gemeinderat kann mit Beschluss im Einzelfall Einschränkungen verfügen, wenn dies im Interesse eines geordneten Ablaufs der Sitzung geboten erscheint.

(5) Der Gemeinderat kann beschließen, dass vor oder nach der Gemeinderatssitzung eine Bürgerfragestunde abgehalten wird.

 

§ 28 Sbg GemO, LGBl 107/1994 idF 12/2004

Öffentlichkeit der Sitzungen

(1) Die Sitzungen der Gemeindevertretung sind öffentlich. Die Anberaumung der Sitzung ist gleichzeitig mit der Ladung der Gemeindevertreter unter Bekanntgabe der Tagesordnung durch Anschlag an der Gemeindetafel oder in ortsüblicher Weise kundzumachen.

(2) Die Öffentlichkeit kann durch Beschluß der Gemeindevertretung ausnahmsweise ausgeschlossen werden, wenn besondere Gründe vorliegen, die die Vertraulichkeit der Geschäftsbehandlung erfordern. Der Ausschluß der Öffentlichkeit ist für die Tagesordnungspunkte, die den Gemeindevoranschlag, die Jahresrechnung oder einen Mißtrauensantrag gemäß § 45 betreffen, bei sonstiger Rechtsunwirksamkeit (Nichtigkeit) der Beschlüsse unzulässig. Bei der Behandlung von individuellen Personal- und Abgabenangelegenheiten ist die Öffentlichkeit ausgeschlossen.

 

§ 59 Stmk GemO, LGBl 115/1967 idF 57/2002

Öffentlichkeit der Sitzungen

(1) Die Sitzungen des Gemeinderates sind öffentlich. Die Sitzungen des Gemeindevorstandes und der Ausschüsse sind nicht öffentlich.

(2) Bei der Einberufung zu einer Gemeinderatssitzung kann vom Bürgermeister der Ausschluß der Öffentlichkeit bei einem oder mehreren Tagesordnungspunkten bestimmt werden, sofern dies im Interesse der Gemeinde, einer anderen Gebietskörperschaft oder der Parteien geboten ist.

(3) In nicht öffentlicher Sitzung sind zu behandeln

1. individuelle Personalangelegenheiten und individuelle Zahlungserleichterungen und

2. alle Angelegenheiten, die sich auf den Gang oder die Erledigung eines Verwaltungsverfahrens beziehen.

(4) Die Öffentlichkeit darf jedenfalls nicht ausgeschlossen werden bei der Behandlung des Voranschlages und des Rechnungsabschlusses sowie bei Wahlen.

(5) Der Gemeinderat kann zu Beginn oder auch während einer Sitzung beschließen, einen oder mehrere Tagesordnungspunkte nicht öffentlich zu verhandeln oder eine Verfügung nach Abs. 2 aufzuheben.

(6) Der Gemeinderat kann bei Tagesordnungspunkten, die nicht öffentlich behandelt werden, außerdem die Vertraulichkeit der Beratung und Beschlußfassung beschließen. Dieses Recht steht auch dem Gemeindevorstand und den Ausschüssen zu. Wer diese Vertraulichkeit verletzt, kann vom Gemeinderat mit Zweidrittelmehrheit von der Teilnahme an den weiteren Sitzungen des Gemeinderates, des Gemeindevorstandes oder der Ausschüsse bis zu drei Monaten ausgeschlossen werden.

(7) Die Verwendung von Schallträgern zur Aufzeichnung der Sitzung ist zulässig. Film oder Videoaufnahmen können über Beschluß des Gemeinderates zeitlich begrenzt oder untersagt werden.

 

Konstituierende Sitzung des Gemeinderates

(…)

§ 20 (8) Die konstituierende Sitzung des Gemeinderates ist öffentlich; die

Ausschließung der Öffentlichkeit hat die Ungültigkeit der Wahlen zur

Folge.

 

§ 36 Tir GemO 2001, LGBl 36/2001

Öffentlichkeit

(1) Die Sitzungen des Gemeinderates sind öffentlich. Jedermann ist nach Maßgabe des vorhandenen Platzes berechtigt, zuzuhören und sich Aufzeichnungen zu machen. Fernseh- und Hörfunkaufnahmen und -übertragungen sowie Film- und Lichtbildaufnahmen sind nur mit Genehmigung des Bürgermeisters zulässig.

(2) Die Einberufung zu einer Sitzung des Gemeinderates ist gleichzeitig mit der Einladung der Mitglieder des Gemeinderates unter Bekanntgabe des Ortes, des Tages und der Uhrzeit des Sitzungsbeginnes sowie der Tagesordnung durch öffentlichen Anschlag nach § 60 Abs. 1 kundzumachen.

(3) In Ausnahmefällen ist die Öffentlichkeit von einer Sitzung für die Dauer der Beratung und Beschlussfassung über einen Verhandlungsgegenstand auszuschließen, wenn es der Gemeinderat mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der anwesenden Mitglieder beschließt. Bei der Beratung und Beschlussfassung über den Voranschlag und den Rechnungsabschluss der Gemeinde, über die Ausschreibung der Gemeindeabgaben und über die Bezüge der Gemeindefunktionäre darf die Öffentlichkeit nicht ausgeschlossen werden. Beschlüsse des Gemeinderates, die entgegen dieser Bestimmung gefasst werden, sind nichtig.

 

§ 46 vlbg GemG, LGBl 40/1985 idF 20/2004

Öffentlichkeit

(1) Die Sitzungen der Gemeindevertretung sind öffentlich. Den Sitzungen können erforderlichenfalls Sachverständige und  Auskunftspersonen mit beratender Stimme beigezogen werden. Diese Personen unterliegen der Amtsverschwiegenheit. Ton- und Bildaufnahmen bedürfen der Genehmigung der Gemeindevertretung.

(2) Der Bürgermeister kann bei Festsetzung der Tagesordnung Gegenstände ausnahmsweise in eine nichtöffentliche Sitzung verweisen, wenn die Geheimhaltung der Beratung oder Beschlussfassung im Interesse einer Gebietskörperschaft oder der Parteien geboten ist oder eine freie Beratung oder Beschlussfassung sonst nicht gewährleistet erscheint. In dieser nicht-öffentlichen Sitzung kann jedoch die Gemeindevertretung die Rückverweisung des Gegenstandes zur Verhandlung in öffentlicher Sitzung beschließen.

(3) Die Öffentlichkeit kann auch durch die Gemeindevertretung ausnahmsweise ausgeschlossen werden, wenn es sich um Angelegenheiten der im Abs. 2 bezeichneten Art handelt.

(4) Bei Behandlung des Voranschlages oder Rechnungsabschlusses der Gemeinde, des Berichtes über die Gebarungsprüfung gemäß § 90 und des Rechnungshofberichtes sowie bei der Wahl von Gemeindeorganen darf die Öffentlichkeit nicht ausgeschlossen werden.

(5) Anträge auf Rückverweisung zur Verhandlung in öffentlicher Sitzung und auf Ausschluss der Öffentlichkeit sowie Personalangelegenheiten sind in nichtöffentlicher Sitzung zu behandeln.

(6) Bei nichtöffentlichen Sitzungen ist die Beratung vertraulich. Die Gemeindevertretung kann außerdem die Vertraulichkeit der Beschlussfassung beschließen.

 

§ 22 WStV, LGBl 28/1968 idF 22/2003

Öffentlichkeit der Sitzungen, Verhandlungssprache, Verhalten der Zuhörer

(1) Die Sitzungen des Gemeinderates sind öffentlich. Die Verhandlungssprache ist die deutsche Sprache.

(2) Sitzungen des Gemeinderates mit Ausnahme jener, in denen der Gemeinderechnungsabschluss oder der Gemeindevoranschlag verhandelt werden, können über den von wenigstens 13 Mitgliedern gestellten Antrag, wenn sich die Mehrheit nach Entfernung der Zuhörer dafür ausspricht, auch nicht öffentlich abgehalten werden. Sitzungen des Gemeinderates über Verlangen im Sinne des § 21 Abs. 4, Sitzungen, in denen Berichte bzw. Minderheitsberichte von Untersuchungskommissionen oder Mitteilungen gemäß § 59e Abs. 3 behandelt werden, Fragestunden, Aktuelle Stunden und dringliche Initiativen sowie deren Debatten sind jedenfalls öffentlich abzuhalten. Auch der Bürgermeister kann Gegenstände mit Ausnahme der vorerwähnten in eine nicht öffentliche Sitzung verweisen. In dieser nicht öffentlichen Sitzung kann jedoch der Gemeinderat die Verweisung des Gegenstandes zur Verhandlung in öffentlicher Sitzung beschließen. Unter den gleichen Voraussetzungen können auch einzelne Geschäftsstücke nicht öffentlich verhandelt werden.

(3) Die Zuhörer haben sich jeder Äußerung zu enthalten.

(4) Wenn Zuhörer die Beratungen des Gemeinderates in irgendeiner Weise stören oder behindern, so hat der Vorsitzende nach vorausgegangener fruchtloser Mahnung zur Ordnung diese Zuhörer aus dem Sitzungssaal entfernen zu lassen.

 

 

 

3.5.    Präsidium TV Offenlegung Parteispenden

 

Vorschlag Eva Glawischnig im Präsidium Wien, am 15. November 2004

 

(5) Die politischen Parteien geben über Herkunft und Verwendung ihrer Mittel sowie über ihr Vermögen öffentlich Rechenschaft. Parteispenden sind in Höhe und mit Herkunft [Variante: ab einer gewissen Höhe unter Angabe ihrer Herkunft] offen zu legen.

 

 

 

3.6.    Präsidium TV Einkommensberichte

 

Dr. Eva Glawischnig

Gesetzesentwurf/Präsidium Wien, am 16. 11. 2004

 

Vorschlag für die Gestaltung eines Verfassungsartikels zum

Themenkreis „Einkommensberichte des Rechnungshofes“

(Univ.-Prof. Dr. Andreas Janko)

 

I. Textvorschlag

 

Jener Verfassungsartikel, der – als Ersatz für Art 121 Abs 4 B-VG und § 8 BezBegrBVG – künftig die Grundlage für Einkommensberichte des Rechnungshofes bildet, sollte im Abschnitt über die Gebarungskontrolle eingereiht werden und wie folgt lauten:

 

Art. xxx. Einkommensberichte

 

(1) Der Rechnungshof hat im Interesse der Gewährleistung einer sparsamen und sachgerechten Verwendung öffentlicher Mittel sowie der angemessenen Begrenzung von Bezügen und Ruhebezügen, die aus öffentlichen Mitteln finanziert werden, jedes zweite Kalenderjahr zu verfassen:

1. einen Bericht über die durchschnittlichen Bezüge und nicht auf gesetzlicher Grundlage beruhenden Ruhebezüge der Mitglieder des geschäftsführenden Organes, des Aufsichtsorganes und der sonstigen Beschäftigten jeder Unternehmung und sonstigen Einrichtung, die gemäß Art. xxx, xxx und xxx der Kontrolle des Rechnungshofes unterliegt;

2. einen Bericht über jene Personen, die von einem oder mehreren Rechtsträgern, die der Kontrolle des Rechnungshofes unterliegen, Bezüge oder Ruhebezüge erhalten haben, die einen durch Gesetz zu bestimmenden Betrag überschreiten;

3. einen nach Branchen, Berufsgruppen und Funktionen getrennten Bericht über die durchschnittlichen Bezüge und Ruhebezüge der gesamten Bevölkerung.

 

(2) Zu den Bezügen und Ruhebezügen zählen Geldleistungen, Sachleistungen und sonstige vermögenswerte Vorteile mit Ausnahme jener Leistungskomponenten, die dem Empfänger/der Empfängerin weder auf gesetzlicher noch auf ver­trag­licher Grundlage zustehen, sondern im Einzelfall von dessen/deren familiärer und persönlicher Situation abhängig sind.

 

(3) Die in Abs. 1 Z. 1 und 3 genannten Berichte sind dem Nationalrat, dem Bundesrat und den Landtagen zu übermitteln und danach zu veröffentlichen.

 

(4) Der in Abs. 1 Z. 2 genannte Bericht ist den zur Verhandlung der Berichte des Rechnungshofes zuständigen Ausschüssen des Nationalrates, des Bundesrates und der Landtage zu übermitteln und von diesen in vertraulicher Sitzung zu behandeln. Eine anonymisierte Version des Berichtes ist zu veröffentlichen.

 

 

II. Erläuterungen

 

Die österreichische Bundesverfassung sieht in ihrer derzeit geltenden Fassung Berichtspflichten des Rechnungshofes in Bezug auf die Gestaltung öffentlicher Einkommen an unterschiedlichen Stellen vor. Zum einen verpflichtet Art. 121 Abs. 4 B-VG den Rechnungshof dazu, bei Unternehmungen und Einrichtungen, die seiner Kontrolle unterliegen und für die eine Berichterstattungspflicht an den Nationalrat besteht, jedes zweite Jahr die durchschnittlichen Einkommen einschließlich aller Sozial- und Sachleistungen sowie zusätzliche Leistungen für Pensionen von Mitgliedern des Vorstandes und des Aufsichtsrates sowie aller Beschäftigten zu erheben und darüber dem Nationalrat zu berichten. Zum anderen beruft § 8 BezBegrBVG den Rechnungshof zur Berichterstattung über die – nach Branchen, Berufsgruppen und Funktionen getrennten – durchschnittlichen Einkommen der gesamten Bevölkerung sowie zur Auflistung all jener Personen, deren jährliche Bezüge und Ruhebezüge von Rechtsträgern, die der Kontrolle des Rechnungshofes unterliegen, einen bestimmten Grenzbetrag übersteigen.

 

Nach dem vorliegenden Entwurf sollen die Rechtsgrundlagen der angesprochenen Einkommensberichte in einem einzigen Verfassungsartikel zusammengefasst werden.

 

Abs. 1 Z. 1 entspricht dabei im Wesentlichen der derzeit in Art. 121 Abs. 4 B-VG verankerten Berichtspflicht des Rechnungshofes. Im Gegensatz zur geltenden Rechtslage fehlt allerdings die – sachlich kaum begründbare – generelle Beschränkung auf Unternehmungen und Einrichtungen, für die eine Berichterstattungspflicht an den Nationalrat besteht. Um Unklarheiten in Bezug auf den Anwendungsbereich der gegenständlichen Berichtspflicht, wie sie Art. 121 Abs. 4 B-VG in mancher Hinsicht aufwirft, zu begegnen, sollen in Abs. 1 Z. 1 jedoch jene Rechtsgrundlagen ausdrücklich genannt werden, aus denen sich die Prüfungskompetenz des Rechnungshofes ergeben muss, um die Berichtspflicht zu effektuieren. Besonderes Augenmerk wird bei dieser Abgrenzung auf die Frage nach einer Erfassung der (nach herrschender Meinung bisher erfassten) Sozialversicherungsträger, der (nach herrschender Meinung bisher nicht erfassten) gesetzlichen beruflichen Vertretungen sowie jener Unternehmungen und sonstigen Einrichtungen zu legen sein, die – wie derzeit etwa der ORF oder die Universitäten – durch (verfassungs-)gesetzliche Spezialregeln der Prüfungskompetenz des Rechnungshofes unterworfen werden. Dahingehende Vorschläge werden nachgereicht, wenn die neue Fassung des V. Hauptstücks des B-VG geklärt ist.

 

Abs. 1 Z. 2 und 3 orientieren sich grundsätzlich an den Vorgaben des derzeit in Geltung stehenden § 8 BezBegrBVG. Vorgesehen ist neuerlich eine namentliche Auflistung jener Personen, die von kontrollunterworfenen Rechtsträgern in einem Kalenderjahr Bezüge und/oder Ruhebezüge erhalten haben, die einen bestimmten, durch Gesetz festzulegenden Betrag überschreiten, sowie – als Vergleichsmaßstab für diese Angaben, aber auch für die im Bericht nach Abs. 1 Z. 1 enthaltenen Informationen – ein nach Branchen, Berufsgruppen und Funktionen getrennter Bericht über die durchschnittlichen Bezüge und Ruhebezüge der Gesamtbevölkerung.

 

Im Unterschied zu § 8 BezBegrBVG verfügt der vorliegende Entwurf allerdings einen sensibleren Umgang mit den im Bericht nach Abs. 1 Z. 2 enthaltenen personenbezogenen Daten. Während § 8 BezBegrBVG in Bezug auf die Auflistung der Bezieher größerer Einkommen aus öffentlichen Mitteln nicht nur eine Behandlung im Nationalrat, im Bundesrat und in den Landtagen vorsah, sondern nach herrschender Meinung auch eine anschließende Veröffentlichung anordnete, begnügt sich Abs. 4 des Entwurfes in dieser Hinsicht mit einer Übermittlung der Vollversion an die zur Verhandlung der Berichte des Rechnungshofes zuständigen Ausschüsse der genannten allgemeinen Vertretungskörper. Diese sollen den gegenständlichen Einkommensbericht in vertraulicher Sitzung beraten. Veröffentlicht wird im Anschluss daran bloß eine anonymisierte Version des Berichtes.

 

Mit dieser differenzierten Vorgehensweise soll jenen Bedenken Rechnung getragen werden, die in der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes sowie des österreichischen Verfassungsgerichtshofes gegen die geltende Fassung des § 8 BezBegrBVG ins Treffen geführt wurden und dem Rechnungshof die Erfüllung der ihm durch diese Bestimmung bundesverfassungsgesetzlich auferlegten Pflicht bislang unmöglich gemacht haben.

Gestützt auf die Vorgaben der Datenschutz-Richt­linie der Europäischen Union (Richtlinie 95/46/EG des Europäischen Parlaments und des Rates zum Schutz natürlicher Personen bei der Verarbeitung personenbezogener Daten und zum freien Datenverkehr vom 24.10.1995, ABl L 281 vom 23.11.1995 S 31) und den durch diese Norm verwiesenen (datenschutzrechtlich relevanten Teil von) Art. 8 EMRK hatte zunächst der Europäische Gerichtshof in seinem – auf österreichischen Anlassfällen beruhenden – Urteil C-465/00, C‑138/01 und C‑139/01 vom 20.5.2003 (Rechtssache Rechnungshof gegen Österreichischer Rundfunk ua) ausgesprochen, dass die namentliche Offenlegung der Jahreseinkommen von Beschäftigten kontrollunterworfener Rechtsträger nur insoweit zulässig ist, als sie „im Hinblick auf das vom Verfassungsgesetzgeber verfolgte Ziel der ordnungsgemäßen Verwaltung der öffentlichen Mittel notwendig und angemessen ist“. Soweit diese Voraussetzung nicht zutrifft, dürfe § 8 BezBegrBVG angesichts der unmittelbaren Anwendbarkeit der einschlägigen Richtlinienbestimmungen – trotz seines Verfassungsranges – von den nationalen Gerichten nicht angewendet und damit auch vom Rechnungshof nicht exekutiert werden.

 

Der österreichische Verfassungsgerichtshof nahm diese Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofes in mehreren Erkenntnissen (vgl. insbesondere den „leading case“ VfGH 28.11. 2003, KR 1/00, betreffend den ORF) zum Anlass, Anträge des Rechnungshofes auf Einschau in die Unterlagen kontrollunterworfener Rechtsträger zum Zweck der Einkommensbericht­erstattung gemäß § 8 BezBegrBVG als unbegründet abzuweisen. Da die im Fünften Hauptstück des B-VG differenziert ausgestalteten Berichtspflichten über die Ergebnisse der Gebarungsprüfung ausreichen, um eine ordnungsgemäße und effiziente Mittelverwendung sicherzustellen, sei „eine darüber hinausgehende namentliche Offenlegung  der Bezüge für das vom Europäischen Gerichtshof anerkannte Ziel nicht notwendig und angemessen“.

 

Die vorstehenden Ausführungen des Europäischen Gerichtshofes und des Verfassungsgerichtshofes beziehen sich freilich wohlgemerkt nur auf das (verfahrensgegenständliche) Problem der Veröffentlichung namentlicher Einkommensberichte. Weitergehende Schlussfolgerungen, etwa dahin, dass derartige Berichte auch den allgemeinen Vertretungskörpern nicht übermittelt werden dürften, waren damit, insbesondere auch von dem der österreichischen Bundesverfassung in besonderer Weise verpflichteten Verfassungsgerichtshof, offenbar nicht intendiert.

Auf der einen Seite trifft es zwar zu, dass die Weitergabe personenbezogener Einkommensdaten an die parlamentarischen Körperschaften einen Eingriff in das Recht der Betroffenen auf Geheimhaltung ihrer Daten bedeutet; dies umso mehr, als eine Beratung diesbezüglicher Berichte im Plenum der jeweiligen Körperschaft grundsätzlich öffentlich (und niemals vertraulich) erfolgt. Auf der anderen Seite gilt es jedoch zu bedenken, dass die allgemeinen Vertretungskörper ihre – nach dem österreichischen Verfassungskonzept für die Realisierung des demokratischen Grundprinzips unverzichtbare – Rolle als Kontrollinstanz gegenüber der nicht unmittelbar vom Volk legitimierten Exekutive nur dann effektiv wahrnehmen können, wenn sie über Missstände in diesem Bereich hinreichend informiert sind. Die Kenntnis der Identität von Einkommensbeziehern kann in dieser Hinsicht unverzichtbar sein, um entsprechenden Druck auf die jeweilige Regierung auszuüben; insbesondere die Überwachung der Folgen einer Kumulierung verschiedener Ämter scheint auf Basis der Informationen aus den „herkömmlichen“ Berichten des Rechnungshofes de facto nicht vorstellbar.

 

Abs. 4 des vorliegenden Entwurfes versucht, einen angemessenen Ausgleich zwischen beiden aufgezeigten Aspekten herzustellen. Durch die Beschränkung der namentlichen Nennung von Beziehern größerer Einkommen auf vertrauliche Sitzungen des Rechnungshofausschusses der jeweiligen parlamentarischen Körperschaft und den damit verbundenen Ausschluss der Öffentlichkeit wird das datenschutzrechtliche Ingerenzpotential der gegenständlichen Berichte erheblich reduziert. Gleichzeitig wird auf diese Weise sichergestellt, dass Vertreter aller Fraktionen des allgemeinen Vertretungskörpers jene Informationen erhalten, die sie zur Meinungsbildung im Zusammenhang mit der Wahrnehmung ihrer Kontrollaufgabe gegenüber der jeweiligen Regierung benötigen. Das Konzept entspricht in etwa jenem des § 12 Abs. 5 Rechnungshofgesetz 1948, der den Rechnungshof zwar gegenüber der Öffentlichkeit und damit auch im Zusammenhang mit Plenarsitzungen parlamentarischer Körperschaften zur Wahrung von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen geprüfter Unternehmungen verhält, die Beantwortung diesbezüglicher Anfragen im Rahmen vertraulicher Ausschusssitzungen jedoch keineswegs ausschließt, sofern ihnen Gebarungsrelevanz zukommt (vgl. dazu etwa die – nicht zuletzt auch vom Verfassungsgerichtshof in seinen Erkenntnissen zu § 8 BezBegrBVG bezogenen – Ausführungen von Hengstschläger, Die Geheimhaltungspflichten des Rech­nungs­hofes [1990] 80f).

 

Korrespondierend zur Senkung des datenschutzrechtlichen Ingerenzpotentials durch Ausschluss der Öffentlichkeit versucht der vorliegende Entwurf aber auch, durch eine modifizierte Umschreibung der in den Bericht aufzunehmenden Daten der Kritik von Europäischem Gerichtshof und Verfassungsgerichtshof an der geltenden Fassung des § 8 BezBegrBVG zu begegnen. Beide Gerichtshöfe hatten in ihren Entscheidungen moniert, dass die vom Rechnungshof anzuführenden Bezüge in unterschiedlichem Ausmaß von der familiären und persönlichen Situation der Bezügeempfänger abhängig sein können, und hierin ein Argument für die Annahme eines besonders schwerwiegenden Eingriffes in deren Rechtssphäre gesehen. Der Europäische Gerichtshof stellte dem (bei ihm um Vorabentscheidung anfragenden) Verfassungsgerichtshof sogar ausdrücklich die Frage, ob es zur Erreichung des Zwecks der Berichtspflicht „nicht ausreichend wäre, die Öffentlichkeit nur über die Bezüge und anderen geldwerten Vorteile zu unterrichten, auf die die Beschäftigten öffentlicher Einrichtungen auf vertraglicher oder statutarischer Grundlage Anspruch haben, ohne die Beträge anzugeben, die die jeweiligen Beschäftigten in einem bestimmten Jahr erhalten haben und die in unterschiedlichem Ausmaß von deren familiärer und persönlicher Situation abhängig sein können“, und ließ damit erkennen, dass er bei entsprechender Umschreibung der berichtspflichtigen Bezüge selbst eine Vereinbarkeit veröffentlichter Einkommensberichte mit der Datenschutz-Richtlinie der Europäischen Union nicht von vornherein für völlig ausgeschlossen hielt. Abs. 2 des vorliegenden Entwurfes nimmt unmittelbar auf diese Ausführungen der Gerichtshöfe Bezug und schließt Bezugsbestandteile der angesprochenen Art ausdrücklich aus der Berichtspflicht aus. Zusammen mit dem bereits dargelegten Ausschluss der Öffentlichkeit in Abs. 4 muss dies jedenfalls genügen, um einen Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht zu vermeiden.

 

 

 

3.7.    Präsidium TV Weisungsfreistellung und Ausgliederung

 

Von Dr Glawischnig unterstützter Vorschlag im Präsidium Wien, 15. November 2004

 

 

Dr. Peter Kostelka

 

Weisungsfreie Verwaltung und

Ausgliederung von Aufgaben der Verwaltung

 

Im Anschluss an die Diskussion des Themas „Weisungsbindung und weisungsfreie Verwaltung“ in der 33. Sitzung lege ich einen – auf einem Vorschlag von Prof. Holoubek basierenden – überarbeiteten Textvorschlag vor.

 

Im Zuge der Überarbeitung hat sich gezeigt, dass eine Regelung der Themen Weisungsfreistellung und Ausgliederung in einem Artikel nicht nur sinnvoll, sondern aufgrund des Zusammenspiels von Weisungsfreistellung einerseits und Weisungsbindung bei der Ausgliederung hoheitlicher Aufgaben andererseits unbedingt notwendig ist:

 

Nach der derzeitigen Fassung des Präsidiumstextes (Abs 2 Satz 1: „Für die Besorgung einzelner hoheitlicher Aufgaben durch ausgegliederte Rechtsträger gilt jedenfalls Art. 20 Abs. 1.“) ist nämlich die Weisungsfreistellung eines Ausgegliederten in Angelegenheiten der Hoheitsverwaltung selbst dann nicht möglich, wenn es sich um einen Bereich handelt, in dem weisungsfrei gestellt werden soll (es würde also zu einer „Rückverstaatlichung“ weiter bereits jetzt weisungsfrei vollzogener Bereiche kommen, insbesondere im Bereich der Daseinsvorsorge).

 

Der vorgeschlagene Artikel baut auf den im Präsidium beratenen Texten auf. Er hat folgende Struktur:

 

·            Abs. 1 regelt die obersten Verwaltungsorgane

 

·            Abs. 2 die Weisungsbindung der Verwaltung (geltender Art. 20 Abs. 1)

 

·            Abs. 3 die (teilweise) Weisungsfreistellung bestimmter Organe der Verwaltung

 

·            Abs. 4 die Grenzen der Ausgliederung hoheitlicher Vollzugsaufgaben

 

·            Abs. 5 die Ausgliederung nicht hoheitlicher Vollzugsaufgaben regelt.

 

Gegenüber den im Präsidium besprochenen Texten kommt es zu folgenden Änderungen:

 

·       eine adaptierte Umschreibung der weisungsfreien Bereiche (Abs. 3)

 

·       eine differenzierte Regelung über die parlamentarische Kontrolle (Abs. 3)

 

·       eine Klarstellung, dass die Möglichkeit zur Weisungsfreistellung nach Abs. 3 auch bei der Besorgung von Hoheitsaufgaben durch ausgegliederte Rechtsträger möglich ist (Abs. 4)

 

Textvorschlag:

 

(1) Zur Besorgung der Verwaltungsgeschäfte sind die obersten Verwaltungsorgane und die ihnen unterstellten Ämter und Rechtsträger berufen.

 

(2) Unter der Leitung der obersten Organe des Bundes und der Länder führen nach den Bestimmungen der Gesetze auf Zeit gewählte Organe oder ernannte berufsmäßige Organe die Verwaltung. Sie sind, soweit nicht verfassungsgesetzlich anderes bestimmt wird, an die Weisungen der ihnen vorgesetzten Organe gebunden und diesen für ihre amtliche Tätigkeit verantwortlich. Das nachgeordnete Organ kann die Befolgung einer Weisung ablehnen, wenn die Weisung entweder von einem unzuständigen Organ erteilt wurde oder die Befolgung gegen strafgesetzliche Vorschriften verstoßen würde.

 

(3) Durch Gesetz können

 

1.  Organe zur sachverständigen technischen und wirtschaftlichen Prüfung,

2.  Organe mit Rechtsschutz- und Kontrollfunktion zur Wahrung und Durchsetzung der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung,

3.  Organe mit Schieds-, Mediations- und Interessenvertretungsfunktion,

4.  Organe zur Durchsetzung und Sicherung des Wettbewerbs und von Dienstleistungen von allgemeinem Interesse,

5.  sonstige Organe, soweit dies auf Grund europarechtlicher Vorschriften geboten ist,

 

vom Leitungs- und Weisungszusammenhang gemäß Absatz 2 ausgenommen werden, wenn dies nach der Eigenart der ihnen gesetzlich übertragenen Aufgaben erforderlich ist. In diesem Fall hat das Gesetz die Voraussetzungen der Unabhängigkeit dieser Organe zu regeln und ihre angemessene demokratische und rechtsstaatliche Kontrolle sicherzustellen. Zu diesem Zweck kann das Gesetz dem zuständigen allgemeinen Vertretungskörper direkte Auskunfts- und Informationsrechte einräumen. Für Organe der Ziffern 4 und 5 kann das Gesetz eine, der Eigenart der diesen Organen gesetzlich übertragenen Aufgaben angemessene demokratische Steuerung und zu diesem Zweck begrenzte schriftliche Weisungsbefugnisse der zuständigen obersten Verwaltungsorgane vorsehen.

 

(4) Durch Gesetz können einzelne Aufgaben der hoheitlichen Vollziehung der Gesetze im Rahmen des Absatz 2 und des Absatz 3 auf physische oder juristische Personen übertragen werden.

 

(5) Bei der sonstigen Übertragung von Aufgaben der Vollziehung auf physische oder juristische Personen muss eine der Eigenart der übertragenen Aufgabe entsprechende staatliche Aufsicht, Leitung oder Steuerung gewahrt bleiben.“

 

Kurze Erläuterung:

Grundgedanke ist, dass der Gesetzgeber im Fall des Absatz 3 regeln muss, inwieweit der Leitungszusammenhang (zB im Hinblick auf Budget- und Personalhoheit) für „unabhängige Verwaltungsorgane“ beschränkt bzw beseitigt wird, er gleichzeitig aber auch regeln muss, wie – beispielsweise über Bestelldauer und begrenzte vorzeitige Abberufungsmöglichkeiten – diese Unabhängigkeit ausgestaltet und – zB über Aufsichtsrechte oder Berichts- und Informationspflichten gegenüber einem Parlament oder dem Gemeinderat – eine ausreichende demokratische Verantwortung des „unabhängigen Verwaltungsorgans“ gesichert ist. Organe der Ziffern 1 bis 3 sind wenn, dann vollständig weisungsfrei zu stellen, für Organe gemäß Ziffer 4 und 5 besteht die Möglichkeit, je nach Eigenart der ihnen übertragenen Aufgaben beschränkte und jedenfalls zwingend schriftliche Weisungsbefugnisse vorzusehen (beispielsweise strategische Ziel- oder Planungsvorgaben).

 

Die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für eine gesetzliche Einrichtung einer unabhängigen Verwaltungsbehörde sind dabei im Absatz 3 differenziert geregelt: Die Organe der Ziffern 1-3 (Organe zur sachverständigen technischen und wirtschaftlichen Prüfung, Organe zur Wahrung und Durchsetzung der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und Organe mit Schieds-, Mediations- und Interessenvertretungsfunktion) müssen, werden sie als unabhängige Organe eingerichtet, einer angemessenen demokratischen und rechtsstaatlichen Kontrolle unterworfen werden. Eine demokratische Steuerung ist für diese Organe nicht erforderlich bzw würde, wie insbesondere bei Rechtsschutzorganen, der Zielsetzung der Unabhängigkeit dieser Organe geradezu zuwiderlaufen. Organe zur Durchsetzung und Sicherung des Wettbewerbs und von Dienstleistungen von allgemeinem Interesse (Ziffer 4 und allenfalls Z 5) übernehmen demgegenüber auch Aufgaben der Verwaltungsführung. Hier ist über die Kontrolle hinaus auch eine angemessene demokratische Steuerung, also etwa sicherzustellen, dass die grundlegenden strategischen Entscheidungen weiterhin den obersten Verwaltungsorganen vorbehalten bleiben. Absatz 3 konstituiert damit insofern ein bewegliches System zwischen Eigenart der zu besorgenden Aufgaben des unabhängig gestellten Verwaltungsorgans gemäß Ziffer 4 (und allenfalls Ziffer 5) und der Art und Intensität, wie der Gesetzgeber eine angemessene demokratische und rechtsstaatliche Kontrolle und Steuerung sicherstellt.

 

Die Umschreibung der Organe, die weisungsfrei gestellt werden können, erfasst alle bisher durch Verfassungsbestimmung weisungsfrei gestellte Organe (siehe die Zusammenstellung der Ausschüsse 7 bzw. 9). In Hinblick auf die Organe mit Rechtsschutz- und Kontrollfunktion (Ziffer 2) ist darauf hinzuweisen, dass die Rechtsschutzbeauftragten nach dem Sicherheitspolizeigesetz und dem Militärbefugnisgesetz eine gesonderte Regelung (Anbindung an das Parlament) in der Verfassung erhalten sollen. Organe mit Interessensvertretungsfunktion (Ziffer 3) können auch Einzelpersonen sein, die zum stellvertretenden Schutz subjektiver Rechte eingerichtet sind (zB die „Kontaktfrau“ nach dem Gleichbehandlungsgesetz).

 

 


 

3.8.    Präsidium TV Verfassungsgerichtshofbeschwerde und Anfechtungsbefugnisse

 

Eva Glawischnig Im Präsidium am 13. 12. 2004

 

In eventu-Antrag zum gemeinsamen Textvorschlag Grabenwarter/Jabloner zu Art 144 (Art 144 in der Fassung Schnizer/Stoisits wird aufrecht erhalten):

 

Art 144 Abs 1a lautet:

 

„ (1a) Unter welchen Voraussetzungen auch in anderen als in Abs 1 angeführten Fällen Beschwerden gegen Entscheidungen der Verwaltungsgerichte zulässig sind, wird in den einzelnen Gebieten der Verwaltung regelnden Bundes- oder Landesgesetzen bestimmt.“

 

Erläuterungen:

 

Durch diese Bestimmung soll es dem einfachen Gesetzgeber insbesondere ermöglicht werden, auch Amtsorganen und Organisationen (siehe zB Umweltanwaltschaft und Nichtregierungsorganisationen nach dem UVP-G) das Recht der Verfassungsgerichtshofbeschwerde im Einzelfall einzuräumen.

 

In gleicher Weise müsste der Textvorschlag von Schnizer/Stoisits zu Art 144 ergänzt werden.

 

 

 

3.9.    Präsidium TV Österreich für atomfreie EU

 

Dr. Eva Glawischnig Wien, am 20. Dezember 2004

 

Textvorschlag im Präsidium

zur Berücksichtigung des letzten Atom-Volksbegehrens

 

Anlässlich der Beratungen zur Transformation des Atom-BVG in eine geschlossene Verfassungsurkunde habe ich bereits den Standpunkt eingenommen, dass der im Ausschuss 1 erzielte Konsens (aus Sicht des grünen Mitglieds ein Minimalkonsens) um den Inhalt des letzten Volksbegehrens zur Ergänzung des Atom-BVG (siehe 206 dBeil StenProtNR, 22. GP)ergänzt werden sollte. Im folgenden reiche ich nun einen konkreten Textvorschlag nach.

 

Ausschusskonsens:

 

(1) Maßnahmen, die der Herstellung oder Nutzung von Atomwaffen und der Nutzung der Kernspaltung zum Zweck der Energiegewinnung dienen, sind verboten.

 

(2) Die Beförderung von spaltbarem Material auf österreichischem Staatsgebiet ist untersagt, sofern dem völkerrechtliche Verpflichtungen nicht entgegenstehen. Von diesem Verbot ausgenommen ist der Transport für Zwecke der ausschließlich friedlichen Nutzung, nicht jedoch für Zwecke der Energiegewinnung durch Kernspaltung und deren Entsorgung.

 

Ergänzungsvorschlag im Präsidium:

 

(3) Die zuständigen Mitglieder der Bundesregierung sind verpflichtet, sich im Rahmen der Europäischen Union für einen Ausstieg aus der Kernenergie einzusetzen.

 

(4) Die zuständigen Mitglieder der Bundesregierung dürfen Vorhaben, die dem Ziel des europaweiten Atomausstieges entgegenstehen, nicht zustimmen. Die Mitglieder der Bundesregierung dürfen davon nur aus zwingenden außen- und integrationspolitischen Gründen abweichen.“

 

 

3.10.    Präsidium TV zum dritten A2-Bericht (Substanzsicherung, etc)

 

Eva Glawischnig Wien, 17. Dezember 2004

 

Textvorschläge im Zuge der Beratungen über den Ergänzungsbericht des Ausschusses 2

 

Zu Punkt 3. Vermögenssubstanzsicherung

 

Der Bundesforste-Artikel sollte wie folgt lauten und bei „Umwelt“ verortet werden:

 

„Artikel X. (1) Gegenstand des Unternehmens der Österreichischen Bundesforste AG ist die Verwaltung von Liegenschaften des Bundes mit dem Ziel,

a)    die Liegenschaften, insbesondere auch die Seen und Seeuferflächen, die Gletscherflächen und die Flächen, die Teile von Nationalparken sind sowie Wasserressourcen von strategischer Bedeutung zu erhalten;

b)    diese derart zu nutzen, dass natürliche Seeuferteile erhalten bleiben, der freie Zugang zu Seen befördert wird und dass die ökologische Funktionsfähigkeit der Gewässer, der Rückhalt von Hochwasser und  der Schutz von Grundwasservorkommen gewährleistet sind;

c)    diese nachhaltig zu bewirtschaften, sodass der natürliche Lebensraum für Menschen, Tiere und Pflanzen auf Dauer erhalten bleibt und

d)    die Schutz-, Wohlfahrts- und Erholungswirkung der Liegenschaften insbesondere des Waldes und der Gewässer zu gewährleisten.

 

(2) Die Österreichische Bundesforste AG ist ermächtigt, im Rahmen der dem Bundesminister für Finanzen erteilten bundesfinanzgesetzlichen Ermächtigung, von ihr verwaltete Liegenschaften bestmöglich zu veräußern, wenn die Erlöse aus solchen Veräußerungen von ihr im Rahmen des Unternehmensgegenstandes zur unmittelbaren Erhaltung oder Vermehrung des Liegenschaftsvermögens verwendet werden.

 

(3) Der Österreichischen Bundesforste AG kommt an den von ihr für den Bund verwalteten Liegenschaften ein entgeltliches Fruchtgenussrecht zu, das bei Ausscheiden einer Liegenschaft aus dem Liegenschaftsbestand entschädigungslos erlischt.“

 

Zu Punkt 5. Bezügebegrenzung

 

Artikel X (1) sollte lauten wie folgt:

 

„(1) Für öffentliche Funktionäre des Bundes, der Länder, der Gemeinden und der Gemeindeverbände sind durch Verfassungsausführungsgesetz Obergrenzen hinsichtlich Höhe und der Anzahl der Bezüge, Ruhebezüge und Versorgungsbezüge festzulegen. Solche Regelungen können in einem Verfassungsausführungsgesetz auch für Funktionäre von Rechtsträgern, die im Allgemeininteresse liegende Aufgaben nicht gewerblicher Art erfüllen und der Kontrolle des Rechnungshofes unterliegen, erlassen werden.“

 

Abs 3 sollte laut wie folgt:

 

„(3) In dem im Abs 1 genannten Gesetz sind auch nähere Bestimmungen über die Höhe und die Kontrolle von Bezügen von öffentlich Bediensteten, die zu Mitgliedern des Nationalrats, des Bundesrates oder des Europäischen Parlaments gewählt wurden, zu treffen und ist ein Organ zur Kontrolle der Einhaltung dieser Vorschriften zu schaffen.“

 

Zu Punkt 12. Verbot von Sammelgesetzen

 

„Bundesgesetze müssen die Einheit der Materie wahren.“

 

 

 

3.11.    Präsidium Vorstellungen zum Endbericht

 

Dr. Eva Glawischnig Wien, am 17. Dezember 2004

 

Vorstellungen bezüglich des Endberichts des Präsidiums

 

Ich habe bereits mehrmals deponiert, dass sämtliche von Konventsmitgliedern bzw der Arbeitsgruppe Handlungsformen zur Verfassung eingebrachten Textvorschläge im Endbericht aufscheinen sollten und zwar mit Namen des Einbringers/der Einbringerin bzw der Unterstützer/innen im Präsidium.

 

Im Lichte der unterschiedlichen Vorstellungen zum Endbericht scheinen mir folgende Inhalte insgesamt angebracht:

 

1.    Allgemeiner Teil

 

Zusammensetzung des Konvents und der Ausschüsse,

Hinweis auf Geschäftsordnung

Ausschussmandate der ersten und der weiteren Runden

Vorlage der Berichte und Beratungen im Präsidium in zeitlicher Hinsicht

Hearings unter Nennung der eingeladenen Organisationen

 

2.    Darstellung der Ausschussarbeit

 

Zusammenfassung der wesentlichen Inhalte und Positionen in den Ausschüssen

 

3.    Präsidium

 

Grundsätzliche Vorgangsweise im Präsidium betr. Ausschussberichte

Darstellung der im Präsidium erzielten Konsense (mit Verweisen auf die Textsammlung jeweils) und der Dissense.

 

4.    Textsammlungen

 

Sammlung A: Sammlung der Textvorschläge der Präsidiumsmitglieder (originäre oder adoptierte TV der Ausschussberichte) gereiht nach Themen/Ausschüssen (wegen Zuordnungsunsicherheiten sollte vorab eine Klärung versucht werden) mit der Angabe

 

·                ob im Präsidium Konsens dazu vorlag,

·                im Fall des Dissenses Angabe des Dissenses sowie des Einbringers/der Einbringerin respective der UnterstützerInnen

 

beim jeweiligen Textvorschlag (wo möglich sollte die Form der Textgegenüberstellung in Tabellenform erfolgen, ansonsten Auflistung der Reihe nach.)

 

Sammlung B: Sammlung sonstiger Textvorschläge aus den Ausschüssen bzw der Arbeitsgruppe Handlungsformen (wo möglich Angabe des Einbringers/der Einbringerin), ansonsten wie oben.

 

 


 

B. Factsheets

 

1.        Das Amt des Bundespräsidenten/der Bundespräsidentin

Erstellt von Marlies Meyer und Stefanie Dörnhöfer. Wien, 3.3.2004

Problemaufriss

Das Amt des Bundespräsidenten/der Bundespräsidentin in seiner heutigen Form wurde 1929 geregelt (Artikel 60-68 B-VG), seither gab es trotz mehrmaliger politischer Diskussionen keine großen Reformen mehr. Allgemein ist festzustellen, dass die Kompetenzen des/der BP kein in sich geschlossenes, logisches System ergeben, dass die Regelungen im B-VG äußerst detailreich sind und, dass einige weitreichende Rechte des/der BP von diesem/dieser noch nie in Anspruch genommen wurden. Laut einer Überlegung von DDr. Karl Lengheimer (ÖVP) besteht überhaupt eine „beträchtliche Kluft zwischen politischem Anspruch und verfassungsdogmatischer Realität“[30], also dem vorgesehenen Amt des/der BP und den tatsächlich wahrgenommenen Aufgaben. Mit der Ausgestaltung der Bundespräsidentschaft 1929 wurde ebenfalls die Direktwahl des/der BP festgelegt (zuvor: Wahl durch die Bundesversammlung), die bis heute beibehalten, aber im Laufe der Zeit mehrmals diskutiert wurde.

Die am meisten umstrittenen Kompetenzen des/der BP, die zur Diskussion stehen, sind Ernennungsrechte und Entlassungsrechte bzgl. Bundesregierung u. Bundeskanzler/in und das Recht, den Nationalrat (auf Antrag der Bundesregierung) aufzulösen: Hier scheiden sich die Geister, wobei ein Teil der Ausschussmitglieder eine Entmachtung des/der BP fordert, der andere Teil die Beibehaltung seiner/ihrer Rechte wünscht. Weitreichender Konsens herrscht im Hinblick auf eine „Entrümpelung“ des Gesetzestextes, um „Überreste aus der Monarchie“ zu beseitigen wie die Ehelichkeitserklärung, Begnadigung, Verleihung von Ehrenzeichen etc. Eine generelle Abschaffung des/der BP ist nicht geplant, gravierende Einschnitte in die Kompetenzen sind aber möglich.

 

Position der Grünen

Den Grünen erscheint eine Machtschmälerung allenfalls auch eine Abschaffung des Bundespräsidenten/der Bundespräsidentin sinnvoll, wobei das Amt des/der BP dann auf das NR-Präsidium übergehen sollte. 1997 wurden folgende Forderungen zusammengefasst: Die Beurkundung von Gesetzen soll entfallen, da die Überprüfung durch den/die BP als Organ der Exekutive einen Übergriff auf die Kompetenzen des Verfassungsgerichtshofes darstellt. In diesem Sinn wird auch die Prüfung des/der BP, ob ein geplanter Gesetzesbeschluss eine Gesamtänderung iS des Art 44 Abs 3 B-VG ist, kritisiert: Eine Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs, der ja eigentlich zuständig wäre, wird vorweggenommen. Weiters sollen die Ernennungs- und Auflösungsbefugnisse des/der BP abgeschafft werden, insgesamt wird also eine Schwächung des/der BP als monokratischem Organ gegenüber dem NR als gewähltem Kollegialorgan angestrebt, um einen Missbrauch der sehr weitreichenden Kompetenzen des/der BP zu verhindern. Als wichtige Begründung für eine Entmachtung des/der BP nennen die Grünen die Tatsache, dass von mehreren Befugnissen noch nie Gebrauch gemacht wurde (so hat z.B. weder ein BP der Zweiten Republik jemals die gesamte Bundesregierung entlassen hat, noch einem Gesetz die Beurkundung verweigert), sie aber im Falle eines Machtmissbrauches ein großes Risiko darstellen. In diesem Sinn stellt sich also die begründete Frage, ob diese Befugnisse notwendig sind bzw. ob sie in Zukunft jemals notwendig sein werden. Besonders kritisiert wird, dass einem monokratischen Organ große Macht übertragen wird (tickende „staatsrechtliche Zeitbombe“[31]). Im Rahmen des Österreich-Konvents wurde eine Reduktion der Kompetenzen gefordert, jedoch das Amt nicht an sich in Frage gestellt.

 

Position der SPÖ

Grundsätzlich sprachen sich die Sozialdemokraten in der Vergangenheit durchaus für eine Reduktion der Kompetenzen des/der BP aus, v.a. betreffend die Ernennungs- und Auflösungsrechte, allerdings nicht in so großem Rahmen wie später von den Grünen angestrebt. Im Lauf der Geschichte änderte die SPÖ auch mehrmals ihre Position bezüglich der Wahl des/der BP (1951: Wunsch nach Rückkehr zur Wahl durch die Bundesversammlung; 1957: pro Volkswahl; später Wahl durch BV unter bestimmten Voraussetzungen erwogen, ansonsten Volkswahl). Bezüglich einer Absetzung des/der BP soll der Status quo beibehalten werden: Der NR kann mit einer Zweidrittelmehrheit eine Volksabstimmung über die Absetzung des/der BP bewirken. Im Rahmen des Österreich-Konvents ortete die SPÖ nur geringfügigen Reformbedarf am Amt.

Position der ÖVP

Die ÖVP trat früher gegen eine Entmachtung des Bundespräsidenten/der Bundespräsidentin ein. Seit 1957 wurde immer wieder versucht, eine Wahl durch die Bundesversammlung wieder einzuführen. In den 80er Jahren wurde erwogen, eine Stärkung des/der BP zu erwirken, um das Amt dem/der französischen Staatspräsidenten/Staatspräsidentin anzugleichen (Bernd Schilcher). Diese Reformvorschläge wurden aber nach dem Eintritt der ÖVP in die Bundesregierung 1986 nicht weiter verfolgt. Nach Differenzen zwischen BP Klestil und Bundeskanzler Schüssel bei der Regierungsbildung 1999/2000 verlangt auch die ÖVP eine Beschneidung der Kompetenzen, vor allem in Bezug auf Regierungsbildung und ‑enthebung sowie den Nationalrat betreffend. In den ihm/ihr verbleibenden Bereichen soll der/die BP aber autonom handeln können, im Sinne eines Ombudsmannes/einer Ombudsfrau.

 

Position der FPÖ

In den 90er Jahren entwickelten die Freiheitlichen unter der Leitung Jörg Haiders radikale Reformvorschläge zur Schaffung einer „Dritten Republik“. Darin zum Amt des/der BP: Der/die Bundeskanzler/in soll abgeschafft, seine/ihre Kompetenzen an den/die BP übergeleitet werden. Der/die BP soll der BReg vorstehen, ohne ein eigenes Ressort zu leiten. Die Bundesminister/innen sollen direkt vom NR gewählt werden, der/die BP verliert hier seine/ihre Ernennungskompetenz. Die Volkswahl des/der BP sollte beibehalten werden. Eine deutliche Neupositionierung der FPÖ konnte bisher im Österreich-Konvent nicht wahrgenommen werden.

Andere Positionen

Univ.-Prof. DDr. Heinz Mayer: Die umstrittenen Befugnisse des/der BP sollen in ihrer jetzigen Form erhalten bleiben, um die Gewaltenteilung und das System der „checks and balances“ zu gewährleisten. Im Falle einer Veränderung der o.g. Kompetenzen fände er die Direktwahl des/der BP nicht mehr gerechtfertigt. Bezüglich der Gesetzesprüfung sollte eine eindeutigere Formulierung getroffen werden, um zu verhindern, dass ein/e BP neben dem formellen Prüfungsrecht u.U. auch ein materielles beansprucht. Eine Volksabstimmung über die Absetzung des/der BP soll schon mit einfacher Mehrheit beschlossen werden können (vgl. dazu SPÖ-Position).

Quellen: Basisinformationen, Protokolle, Diskussionsgrundlagen zu den Sitzungen des Ausschusses 3

Glawischnig, Ehrnöfer, Meyer, Entwurf für Positionspapier der Grünen zum Österreichkonvent, Oktober 2003.

Programm der FPÖ, http://www.fpoe.at

Walter/Mayer, Bundesverfassungsrecht (2000)

Manfried Welan, Reform der Bundespräsidentschaft?, Journal für Rechtspolitik, 6/1998.

 

 

 


 

2.        Der Bundesrat

Erstellt von Marlies Meyer und Stefanie Dörnhöfer. Wien, am 3.3.2004

Problemaufriss
Organisation und Kompetenzen:

Der Bundesrat (im weiteren Text als BR bezeichnet), die zweite Kammer der Bundesgesetzgebung, wird in den Artikeln 34 bis 37 Bundes-Verfassungsgesetz geregelt. Theoretisch stellt er die Ländervertretung in der Bundesgesetzgebung dar, welche Ausfluss der föderalen Struktur Österreichs ist.

Derzeit werden die Mitglieder des BR von den Landtagen für die Dauer ihrer Gesetzgebungsperiode nach dem Verhältniswahlrecht gewählt, er ist also einem ständigen Wandel der Mitglieder unterworfen. In seiner Funktion bezüglich der Gesetzgebung besitzt der BR derzeit ein nahezu generelles suspensives Veto. Er kann gegen Beschlüsse des Nationalrates innerhalb von 8 Wochen Einspruch unter Angabe von Gründen erheben. Das Gesetz wird trotzdem wirksam, wenn der Nationalrat einen Beharrungsbeschluss fasst. Für Gesetze, durch welche die Zuständigkeit der Länder in Gesetzgebung oder Vollziehung eingeschränkt wird, hat der Bundesrat ein absolutes Veto. Eine Änderung der Art 34 und 35 B-VG (Zusammensetzung und Wahl des Bundesrates) bedarf der Zustimmung der Bundesratsmitglieder aus mindestens vier Bundesländern.

Weitere derzeitige Kompetenzen des BR sind ua das Recht, dem Nationalrat Gesetzesvorschläge zu unterbreiten, das Interpellationsrecht gegenüber der Bundesregierung (Einbringung von mündlichen und schriftlichen Anfragen) und das Resolutionsrecht (Entschließungen, in denen Wünsche über die Ausübung der Vollziehung formuliert werden, jedoch keine Misstrauensvoten!). Die Landeshauptleute sind berechtigt, an den Verhandlungen des BR teilzunehmen. Mitglieder der Bundesregierung können – sofern sie nicht ohnehin bei „ihren“ Verhandlungsgegenständen anwesend sind – in den Bundesrat „zitiert“ werden. Bereits ein Drittel des Bundesrates kann eine Gesetzesprüfung beim Verfassungsgerichtshof beantragen, eine Mehrheit kann eine Volksabstimmung bei einer Teiländerung der Bundesverfassung verlangen. Der Bundesrat hat für drei Mitglieder des Verfassungsgerichtshofes (und für ein Ersatzmitglied) das Vorschlagsrecht.

Kritik und Reformvorschläge:

Der Bundesrat in seiner jetzigen Form gilt seit langem als reformbedürftig. Immer wieder und aus allen politischen Richtungen wird dem BR vorgeworfen, nicht die Länder zu vertreten, sondern vielmehr parteipolitisch zu agieren. Daher wird ihm vor allem in Perioden, in denen die Regierungsparteien die Mehrheit sowohl im Nationalrat als auch im Bundesrat besitzen, mangelnde Effektivität nachgesagt. Die Lösungsansätze sind sehr unterschiedlich: Sie reichen vom „gebunden Mandat“ (der/die vom Landtag gewählte Bundesrat/Bundesrätin ist an die Aufträge dieses Organs gebunden) bis zur Direktwahl durch das Landesvolk. Auch Sitz und Stimme von Landeshauptleuten bzw Landesregierungsmitgliedern und/oder Landtagsabgeordneten  sowie Gemeindevertreter/inne/n wird ins Spiel gebracht.

Ebenfalls stark kritisiert wird die sehr späte Einbindung des Bundesrates in den Gesetzgebungsprozess. In diesem Punkt sind sich die meisten politischen Vertreter/innen einig, nicht allerdings über ein neues Procedere. Dieses hängt auch stark davon ab, ob der Bundesrat – wie bisher – bei allen Bundesgesetzen mitwirken soll und ob das absolute Vetorecht ausgeweitet wird.

Position der Grünen

Grundsätzlich soll versucht werden, den BR zu einer eigenständigen politischen Institution zu machen, die ihrer Aufgabe gerecht wird. Dabei ist auf eine strikte Trennung von Legislative und Exekutive zu achten, um das Prinzip der Gewaltentrennung zu wahren (keine Landeshauptleute oder sonstige Regierungsmitglieder im Bundesrat!).

Die Grünen schlagen eine Entsendung von Landtagsabgeordneten in den Bundesrat vor. Die Aufteilung soll wie bisher nach dem Prinzip der Verhältnismäßigkeit erfolgen, die Zahl der Bundesratssitze soll erhöht werden. Es gilt das Prinzip des freien Mandats. Für BVG, welche die Länderinteressen wesentlich berühren, sollte der BR weiterhin ein absolutes Veto haben, andere Gesetze sollten nicht mehr im Bundesrat behandelt werden. Dafür würden die Grünen den Landtagen das Recht einräumen, dem Nationalrat Gesetzesvorschläge zur Behandlung vorzulegen. Allgemein soll der BR früher in den Gesetzgebungsprozess eingebunden werden. Aufgrund der neuen Zusammensetzung könnte der Bundesrat auch der (unverbindlichen) Akkordierung der Landesgesetzgebung dienen.

Alternativ zu diesem Vorschlag wäre auch eine Direktwahl der Bundesrät/inn/e/n aufgrund der Persönlichkeitswahl und eine innere Gliederung nach Ländern vorstellbar. Für den Fall, dass es nicht möglich sein sollte, den Bundesrat wirksam aufzuwerten, sollte er eher abgeschafft werden, als weiterhin den Schein einer Länderkammer zu wahren.

Position der SPÖ

Eine Direktwahl der Bundesratsmitglieder ebenso wie beim Nationalrat ist erwünscht. Dies könnte zu einer stärkeren Unabhängigkeit der Bundesrät/inn/e/n von bundespolitischen Agenden führen. Eine frühere Einbeziehung in den Gesetzgebungsprozess erscheint ebenfalls notwendig. Die SPÖ ist strikt gegen ein Aufwertung des Bundesrats, weil damit die Gefahr einhergeht, dass die Länder die Bundespolitik blockieren.

Position der ÖVP

Die ÖVP will eine Stärkung des Bundesrats, um ihm mehr politisches Gewicht zu verleihen. Zum einem soll das absolute Vetorecht ausgeweitet werden, zum andern soll er anders zusammengesetzt werden: Berücksichtigt werden sollen qua Funktion auch Landesregierungsmitglieder und Landtagspräsident/inn/en sowie Gemeindevertreter/innen. Dem Bundesrat wird bei Ausweitung der Bundesgesetzgebungskompetenzen eine Schlüsselrolle zugedacht.

 

Position der FPÖ

Der Bundesrat soll gestärkt, enger mit den Landtagen verbunden und so zu einem „echten Deligierten-Parlament der Länder“[32] werden. Direkt gewählte Mitglieder der Landtage sollen gleichzeitig Mitglieder des BR sein, ebenso direkt gewählte Landeshauptleute kraft ihres Amtes. Als Ausweitung seiner Kompetenzen soll der Bundesrat ein absolutes Vetorecht bezüglich sämtlicher Gesetzesbeschlüsse des Nationalrates, welche auf die Länder administrative, finanzielle oder kompetenzrechtliche Auswirkungen haben,  erhalten. Um das Funktionieren der Gesetzgebungstätigkeit weiterhin zu gewährleisten, soll es möglich sein, Vermittlungsausschüsse zwischen Nationalrat und Bundesrat einzusetzen.

Position des Gemeindebundes

Der Gemeindebund wünscht eine Neukonzeption und –organisation des BR. Er soll zu einer echten Länder- und Gemeindekammer werden, der fast alle Gesetzesbeschlüsse zur Beratung und Zustimmung vorgelegt werden sollen. Vor allem sollen die Kontrollrechte des BR ausgeweitet werden: Misstrauensvoten sollen möglich sein, dem neuen Bundesrat sollen sämtliche parlamentarischen Kontrollrechte zukommen, er soll dem RH Prüfungsaufträge erteilen können und es soll schon für die Gemeindevertreter/innen im Bundesrat möglich sein, Gesetzesprüfungsanträge an den Verfassungsgerichtshof zu stellen. Gesetzesanträge sollen dem neuen Bundesrat zeitgleich mit dem Nationalrat vorgelegt werden. In der Vollziehung soll der neue BR mehr Mitwirkungsrechte an der Bestellung von Staatsorganen besitzen als bisher (VfGH, Europäische Institutionen).

 

Quellen: Diskussionsgrundlagen, Protokolle der Sitzungen des Ausschuss 3

Glawischnig, Ehrnhöfer, Meyer, Entwurf für ein Positionspapier zum Österreichkonvent (Oktober 2003)

„Bund Neu“-Programm der FPÖ unter: http://www.fpoe.at

Positionspapier des Gemeindebundes zu den Themen „Staatliche Institutionen“ für den Ausschuss 3 des Österreichkonvents (September 2003) unter www.konvent.gv.at

Robert Walter, Der Bundesrat zwischen Bewährung und Neugestaltung in Heinz Schäffer/...Harald Stolzlechner: Reformbestrebungen im Österreichischen Bundesstaat (1993)

Walter/Mayer, Bundesverfassungsrecht (2000)

Werner Zögernitz, Reformen der Geschäftsordnung des Bundesrates in Herbert Schambeck, Bundesstaat und Bundesrat in Österreich (1997)

 

 

 


 

3.    Direkte Demokratie

Verfasst von Marlies Meyer und Stefanie Dörnhöfer. Wien, 16.4.2004

Rechtslage und Problemaufriss

Das demokratische Prinzip ist in der österreichischen Verfassung im Sinne einer mittelbaren, d.h. repräsentativen Demokratie ausgestaltet: Das Volk wählt Vertreter/innen, die für die Gesetzgebung zuständig sind. Ergänzt wird dieses System durch direkt-demokratische Instrumente wie Volksbegehren, Volksabstimmung und Volksbefragung, mit denen auf konkrete Themen der Gesetzgebung Einfluss genommen werden kann. Ihnen kommt  faktisch beschränkte Bedeutung zu. In einer vergleichenden Bewertung von 32 europäischen Staaten liegt Österreich bei den direkt-demokratischen Instrumenten im Mittelfeld. Im Unterschied zum europäischen Spitzenfeld kann eine Volksabstimmung und eine Volksbefragung in Österreich nur von den Volksvertreter/inne/n initiiert werden, das Volksbegehren, das vom Volk ausgehen kann, ist wiederum für die Volksvertreter/innen nicht bindend.

1. Rechtslage auf Bundesebene

Volksbegehren (Art 41 Abs 2 B-VG): Ein  von 100.000 Wahlberechtigten bzw. von je einem Sechstel der Wahlberechtigten dreier Länder unterstütztes Volksbegehren ist dem Nationalrat zur Behandlung vorzulegen. Das Anliegen muss grundsätzlich durch ein Bundesgesetz zu regeln sein, das Volksbegehren kann in Form eines Gesetzesantrags gestellt werden.  Beim Volksbegehren handelt es sich also um eine Form der Gesetzesinitiative. Obwohl es bereits 1920 in der Verfassung vorgesehen war, fand das erste der bisher 31 Volksbegehren erst 1964 statt. Diese bezogen sich auf verschiedenste Bereiche wie Atompolitik, Tier- und Umweltschutz, Frauen, Familie, Bildung sowie Ausländerpolitik („Österreich zuerst“), Neutralität, Sozialstaatlichkeit, Abfangjägerankauf, Pensionsrecht ua Nahezu die Hälfte dieser Volksbegehren wurden durch Abgeordnete bzw Parteien beantragt. Kritisiert wird an der Institution des Volksbegehrens vor allem, dass es außer der Behandlung im Nationalrat keine bindenden Konsequenzen hat.

 

Volksabstimmung (Art 43, 44 und 45 B-VG): Eine Volksabstimmung ist zwingend durchzuführen, wenn eine Gesamtänderung der Verfassung vorgenommen wird. In allen anderen Fällen entscheidet der Nationalrat, ob ein Gesetzesbeschluss der Volksabstimmung unterzogen wird. Handelt es sich um eine Teiländerung der Verfassung, so genügt dafür bereits ein Drittel der Nationalratsabgeordneten oder Bundesräte. In allen anderen Fällen müssen die Mehrheit der Nationalratsabgeordneten dafür sein. Gegenstand von Volksabstimmungen können also grundsätzlich alle Gesetzesbeschlüsse sein. Die Mehrheit der gültig abgegebenen Stimmen entscheidet. Eine Volksabstimmung ist also im Gegensatz zu Volksbegehren und Volksbefragung nicht bloß empfehlend, sondern hat Bindungswirkung. Trotzdem bleibt zu beachten, dass eine Volksabstimmung insofern nur ergänzend wirkt, als ihr immer ein Gesetzesbeschluss des Parlaments vorangehen muss.

 

Die bisher einzige Volksabstimmung zu einem einfachen Gesetz fand 1978 statt: .Die „friedliche Nutzung der Kernenergie“ (Atomkraftwerk Zwentendorf) wurde vom Volk abgelehnt. Die zweite Volksabstimmung in Österreich fand 1994 über den EU-Beitritt Österreichs statt. Es handelte sich um eine obligatorische Volksabstimmung, weil damit eine Gesamtänderung der Bundesverfassung verbunden war.

 

Volksbefragung (Art 49b B-VG): Gegenstand einer Volksbefragung sind Angelegenheiten von grundsätzlicher und gesamtösterreichischer Bedeutung, zu deren Regelung der Gesetzgeber zuständig ist. Die Durchführung einer Volksbefragung kann  nur vom Nationalrat (aufgrund eines Antrags seiner Mitglieder oder der Bundesregierung) beschlossen werden. Die Bürger/innen können keine Volksbefragung initiieren. Die Fragestellung muss entweder aus einer mit „ja“ oder „nein“ zu beantwortenden Frage oder aber aus zwei alternativen Lösungsvorschlägen bestehen. Der Ausgang der Volksbefragung hat für den Gesetzgeber keine bindende Wirkung. Dieses 1988 eingeführte Instrument kam bisher nie zur Anwendung.

2. Landes- und Gemeindeebene:

Die Länder haben in ihrem Bereich direktdemokratische Instrumente ähnlich der Bundesverfassung vorgesehen, die sich jedoch darüber hinausgehend auch auf Akte der Verwaltung beziehen. Der Versuch Vorarlbergs, einen qualitativen Schritt weiter zu gehen und dem Volk die Möglichkeit zu geben, eine bindende Volksabstimmung zu initiieren, scheiterte 2001 an einem Judikat des Verfassungsgerichtshofs (VfSlg. 16.241). Laut Verfassungsgerichtshof dürfen laut B-VG die direktdemokratischen Instrumente den Grundsatz (das Primat) der repräsentativen Demokratie nicht in Frage stellen. Dies ist aber dann der Fall, wenn das Volk ein Gesetz sowohl initiieren als auch bindend abstimmen kann. Damit wird die Volksvertretung als Gesetzgeber völlig ausgeschaltet.

Position der Grünen

Der Teilhabe der Bürger/innen an der staatlichen Willensbildung kommt bei den Grünen traditionell hohe Bedeutung zu. Die Grünen wünschen einen Ausbau der direkt-demokratischen Instrumente, auf Bundesebene vor allem ein Vetoreferendum nach italienischem Vorbild: Ein bereits erlassenes Gesetz muss einer Volksabstimmung unterzogen werden, wenn eine bestimmte Zahl wahlberechtigter Bürger/innen (Wunsch der Grünen: 100.000, also wie bisher beim Volksbegehren) es durch Unterschrift verlangt. Stimmt dann (bei einer Wahlbeteiligung von mind. 50%) die Mehrheit gegen das Gesetz, so tritt es automatisch außer Kraft. Das Vetoreferendum wirkt also zensurierend gegenüber der Gesetzgebung durch die Volksvertretung. Das Volksbegehren soll neben Gegenständen der Gesetzgebung auch auf solche der Vollziehung, und zwar sowohl auf Verordnungen als auch auf Einzelentscheidungen ausgeweitet werden. Insbesondere sollen Volksbegehren auch auf das Verhalten der Regierungsmitglieder in EU-Organen und bei Abschluss von Staatsverträgen abzielen können. Der Spielraum der Länder für direktdemokratische Instrumente soll in der Bundesverfassung erweitert werden. Bundesverfassungsrechtlich sollte sichergestellt werden, dass gegen die Ablehnung von Anträgen auf Durchführung von Volksabstimmungen und Volksbefragungen ein effektiver Rechtsschutz besteht.

Position der SPÖ

Die SPÖ steht einem Ausbau direktdemokratischer Instrumente grundsätzlich skeptisch gegenüber. Im Konvent wurden dazu folgende zusätzliche Argumente vorgebracht: Die Ausweitung der Volksabstimmung täuscht direkte Demokratie nur vor, da die brisanten Fragen aufgrund des Vorrangs des EU-Rechts gar nicht in der Disposition des nationalen Gesetzgebers stehen. Eine Ausweitung des Volksbegehrens auf Akte der Verwaltung ist nicht notwendig, da ohnehin jede Frage bei hinreichender Fantasie als Gesetzesinitiative formuliert werden könne. Allerdings soll der Umgang mit Volksbegehren verbindlicher werden. Der Nationalrat soll zu einer klaren Stellungnahme zum Volksbegehrenstext verpflichtet werden, um Pseudoerledigungen vorzubeugen. Die Volksbefragung soll in ihrer jetzigen Form unverändert bleiben, insbesondere wird von der SPÖ die Möglichkeit regionaler Volksbefragungen über Bundesgesetzmaterien abgelehnt.

 

Die SPÖ spricht sich gegen einen Ausbau der Landesautonomie im Bereich der direkten Demokratie aus.

Position der ÖVP

Elemente der direkten Demokratie sollen die repräsentative Demokratie sinnvoll ergänzen. „Zur Stärkung der Elemente der direkten Demokratie sollen Volksabstimmungen verbindlich werden, wenn Volksbegehren von mehr als 15 % der Wahlberechtigten unterschrieben sind, die ein Bundesgesetz verlangen und vom Gesetzgeber nicht entsprechend berücksichtigt werden. Derartige Gesetze dürfen aber keine Gegenstände betreffen, die Verfassungsbestimmungen enthalten, der Regelung der EU vorbehalten sind oder zu wesentlichen finanziellen Mehrbelastungen führen.“ Im Konvent wurde von dieser Position aus 2002 abgegangen und keine essentielle Erweiterung direktdemokratischer Instrumente geltend gemacht! Die Länder sollen in Bezug auf direkt-demokratische Instrumente volle Verfassungsautonomie erhalten.

Position der FPÖ

Ein Ausbau der direkt-demokratischen Instrumente wird von der FPÖ als wichtig angesehen. In den letzten Jahren gab es insbesondere mehrmals Versuche der FPÖ, Volksbefragungen zu verschiedenen Themen zu erwirken, die aber dann nie stattfanden (noch in guter Erinnerung ist die von der FPÖ geforderte Volksbefragung zu den EU-Sanktionen im Sommer 2000, sowie die im darauffolgenden Sommer gewünschte Volksbefragung zur EU-Erweiterung). In ihrem Programm „Bund neu“ verlangt die FPÖ, dass die Einleitung einer Volksbefragung bürokratisch erleichtert werden soll. Politische Verwaltungsakte wie etwa Regierungserklärungen, Regierungsprogramme, Großauftragsvergaben, Förderungsprogramme, Investitionspläne uä sollen künftig ebenfalls Gegenstand einer Volksbefragung sein können. Eine Volksabstimmung soll auch auf Verlangen der Bürgerinnen und Bürger bzw. der Gemeinden (Vertretung durch Beschlüsse von Gemeinderäten) initiiert werden können, nicht wie bisher nur durch obrigkeitlichen Akt oder per Gesetz. Das Institut der Volksabstimmung soll insofern ausgeweitet werden, als eine frühzeitige Abberufung des Staatsoberhaupts, der Landeshauptleute oder eines Bürgermeisters/einer Bürgermeisterin einer zwingenden Volksabstimmung unterworfen werden soll. Diese Positionen wurden bisher nicht im Konvent eingebracht!

 

Die Konventausschüsse 3 und 8 konnten daher nur in einem Punkt klaren Konsens erzielen: Volksbegehren sollen nicht mehr mit Ende der Gesetzgebungsperiode des Nationalrats verfallen.

Greenpeace und Initiative für mehr Demokratie

Greenpeace wie auch die Initiative für mehr Demokratie fordern nach dem Schweizer Vorbild eine bindende Volksabstimmung ab 100.000 Unterschriften und reale Informationschancen in staatlich unterstützten Medien.

 

 

Quellen:

 

Basisinformationen, Protokolle, Diskussionsgrundlagen der Sitzungen des Ausschusses 8

„Bund neu“-Programm der FPÖ, http://www.fpoe.at

Wahlprogramm der ÖVP 2002, http://www.oevp.at

Grundsatzprogramm der SPÖ 1998, http://www.spoe.at

Grundsatzprogramm der Grünen 2001, http://www.gruene.at

http://www.direktedemokratie.at

Das Positionspapier von Greenpeace ist auf http://www.konvent.gv.at zu finden.

http://www.bmi.gv.at

Amsterdamer Initiative & Referendum Institute Europe (Hrsg), Volksgesetzgebung in Europa (2002)

Glawischnig, Ehrnhöfer, Meyer, Entwurf für ein Positionspapier zum Österreichkonvent (Okt. 2003)

 

 

 

4.        Die Gemeinden

Erstellt von Marlies Meyer und Stefanie Dörnhöfer. Wien, 16.4.2004

Rechtslage und Problemaufriss

 

Österreich hat 2359 Gemeinden. Sie sind als Selbstverwaltungskörper eingerichtet, dh dass bestimmte Angelegenheiten ohne Weisungsrechte von außen entschieden werden können (sog eigener Wirkungsbereich). So ist in Bausachen der Gemeinderat nach dem Bürgermeister letzte Instanz, das Land hat nur Aufsichtsrechte und kann eine erteilte Baugenehmigung nur wegen Gesetzwidrigkeit aufheben. Soweit nicht andere Staatsorgane tätig geworden sind, kann die Gemeinde auch allgemeine Regeln für die örtliche Gemeinschaft wie zB eine Rasenmäherverordnung aufstellen (ortspolizeiliches Verordnungsrecht). Daneben gibt es Bereiche wie zB das Meldewesen, wo die Gemeinde den übrigen Verwaltungsebenen untergeordnet ist. Verwaltungsstrafen kann die Gemeinde keine aussprechen. Von den 2359 Gemeinden sind 15 Städte mit eigenem Statut. Sie erfüllen gleichzeitig die Funktion einer Bezirkshauptmannschaft. Die Bezirkshauptmannschaft  ist Behörde der allgemeinen staatlichen Verwaltung und vollzieht Bundesgesetze (zB Gewerbe-, Wasserecht, Forstrecht) und Landesgesetze (zB Naturschutz, Jugendwohlfahrt) in erster Instanz; sie untersteht dem Landeshauptmann/der Landeshauptfrau. Derzeit gibt es 84 Bezirkshauptmannschaften. Eine Sonderstellung nimmt Wien ein, das gleichzeitig Land und Stadt ist.

 

Die Gemeinde ist in den Artikeln 115 bis 120 Bundes-Verfassungsgesetz geregelt. Weitere Bestimmungen bestehen in den jeweiligen Landesverfassungen und Gemeindeordnungen. Derzeit ist nur die Institution der Gemeinde als solche, nicht aber die einzelne Gemeinde bundesverfassungsrechtlich abgesichert. Die Bewältigung der Aufgaben, die aufgrund dieser Einheitsbetrachtung auf die einzelne Gemeinde zukommt, stellt insbesondere kleinere Gemeinden vor Probleme. Eine Zusammenarbeit der Gemeinden ist aber auch aus Effizienzüberlegungen sinnvoll. Derzeit kann die Gemeinde bestimmte Aufgaben an die BH abgeben, wenn der Landeshauptmann/die Landeshauptfrau zustimmt (teilweise ist auch die Zustimmung der Bundesregierung notwendig). Die Gemeinden können sich mit Genehmigung des Landes auch zu Gemeindeverbänden zusammenschließen. Die Bundesverfassung sieht auch Gebietsgemeinden als Selbstverwaltungskörper vor, zu einer Realisierung dieser Institution ist es aber nie gekommen.

 

Im Österreich-Konvent wird unter anderem über eine Erleichterung der Bildung von Gemeindeverbänden – auch über die Landesgrenzen hinweg – nachgedacht. Im Raum steht auch eine Neuaufteilung der Aufgaben zwischen Bezirken und Gemeinden/Gemeindeverbänden, wobei auch eine mögliche Stärkung der Gemeinden gegenüber den Bezirken durch Übertragung verschiedener Aufgaben der Bezirkseinrichtungen auf kommunale Ebene diskutiert wird (in diesem Bereich ist umstritten, ob die Bezirke oder die Gemeinden die betreffenden Aufgaben effizienter erfüllen können: bessere Ressourcenausstattung vs. größere BürgerInnennähe).

 

Ein weiterer wichtiger Punkt sind Kontrollrechte in den Gemeinden. Allgemein stellt sich die Frage, ob ein bundeseinheitliches Kontrollniveau für die Gemeinden eingeführt werden bzw. wie dieses auf Verfassungsebene festgelegt sein soll. Derzeit sagt die Bundesverfassung nur, dass der Bürgermeister/die Bürgermeisterin dem Gemeinderat verantwortlich ist. Ein Anfragerecht der Gemeinderäte ist in der Bundesverfassung nicht verankert. Auch ist offen gelassen, ob und wie der Bürgermeister/die Bürgermeisterin abgewählt werden kann. Hier hat der Landesgesetzgeber völlig freie Hand und die Gemeindeordnungen divergieren in diesen demokratiepolitisch bedeutsamen Fragen auch völlig. Durch die (mögliche) Direktwahl des Bürgermeisters/der Bürgermeisterin wurde diese/r gegenüber dem Gemeinderat aufgewertet und werden hier Kontrolldefizite besonders schlagend.

 

Die finanzielle Kontrolle der Gemeinde steht derzeit der Landesregierung zu. Auf ihren Antrag hin können auch die Landesrechnungshöfe eingeschaltet werden.  Der Ausschuss 8 des Konvents regt an, dass die Bundesverfassung eine direkte Kontrolle durch die Landes-RH ermöglichen sollte. Der Bundes-Rechnungshof ist derzeit nur für Gemeinden mit mehr als 20.000 Einwohner/innen zuständig. Der Bundes-RH wünscht sich eine Zuständigkeit für alle Gemeinden.

 

Wie auch für Nationalrat und Landtage steht das Wahlrecht für die Gemeinde in Diskussion, und zwar hinsichtlich des Briefwahlrechts, des e-voting, der Senkung des Wahlalters und der Zulassung von Immigrant/inn/en zur Kommunalwahl.

 

Grüne Position

Die Gemeinde als bürgerinnennächste Institution soll aufgewertet werden, im Zuge dessen soll auch die Finanzkraft der einzelnen Gemeinde gestärkt werden (eigenes Factsheet Finanzverfassung geplant).

 

Für die Kontrollrechte wird ein bundesverfassungsrechtlich verankertes Mindestniveau gewünscht, die weitere Ausgestaltung soll der Landesgesetzgebung überlassen bleiben. Die Kontrollrechte des Gemeinderates als Bürgerinnenvertretung (vor allem der einzelnen Mitglieder) soll gegenüber dem Gemeindevorstand, dem Bürgermeister/der Bürgermeisterin und anderen bestellten Organen gestärkt werden: Defizite sind vor allem im Bereich des Anfragerechts, des Antragsrechts und der Teilnahme an Gemeindevorstands- und Ausschusssitzungen für Nichtmitglieder gegeben. Analog zur Regelung für Nationalrat, Bundesrat und Landtage soll auch für Gemeinderatssitzungen das Prinzip der Öffentlichkeit gelten. Aufsichtsbeschwerden von Einzelpersonen sollen künftig mehr Beachtung bei der Landesregierung finden und einen Anspruch auf Prüfung beinhalten.

 

Das Kommunalwahlrecht sollte allen Immigrant/inn/en eröffnet werden und das Wahlhalter auf 16 Jahre gesenkt werden.

 

Die Bundes-Rechnungshofkontrolle soll auf alle Gemeinden ausgeweitet werden, damit wäre ein einfacherer Vergleich beispielsweise der Verwendung von staatlichen Fördermitteln möglich.

 

Position der SPÖ

Die Gemeinden sollen in ihrer Bedeutung und Handlungsfähigkeit gestärkt werden, da sie oft politische Projekte realisieren, noch bevor sie auf Landes- oder Bundesebene diskutiert werden und in diesem Sinn eine Vorreiterrolle einnehmen. Entscheidungen über die Zusammenlegung von Gemeinden sollten jedenfalls von den Gemeinden selbst abhängen, außerdem soll es für sie in Zukunft bereits ab 10.000 Einwohner/inne/n möglich sein, ein eigenes Statut zu beantragen. Die Bildung von Gebietsgemeinden soll umfassend oder auch nur in Teilbereichen ermöglicht werden, sodass die Gemeinden in der Lage sind, Aufgaben der Bezirke oder sogar der Länder zu übernehmen. Im Falle einer Übertragung dieser Aufgaben ist selbstverständlich auch eine entsprechende Finanzierung notwendig.

 

Position der ÖVP

Grundsätzlich soll eher an der bestehenden Gemeindeorganisation, der Einheitsgemeinde festgehalten werden. An Stelle der Übertragung von Aufgaben der Kommunalebene auf die Bezirksebene sollen die Gemeinden die Möglichkeit erhalten, Aufgaben an die Gemeindeverbände als gemeinsamen Verwaltungskörper zu übertragen. In diesem Zusammenhang sollten Abkommen zwischen den Gebietskörperschaften sowohl für den hoheitlichen als auch den privatwirtschaftlichen Bereich ohne einengende Verfassungsvorschriften ermöglicht werden.

 

Position der FPÖ

Die FPÖ hat in öffentlich zugänglichen Dokumenten kaum zur Gemeinde Stellung bezogen, auch im Rahmen des Konvents nur zu Einzelfragen. Der Vertreter der  FPÖ im Ausschuss 8 spricht sich gegen eine Verankerung der Mindestkontrollrechte in den Gemeinden in der Bundesverfassung aus. Bezüglich der Verleihung des Stadtstatuts wird von seiten des FPÖ-Vertreters in Ausschuss 3 ein Zustimmungsrecht des Bundes und der Länder für notwendig erachtet, da die Gemeinde sich damit ja deren Machtbereich teilweise entzieht.

 

Position des Gemeindebundes   

Die Normsetzungsrechte der Gemeinden (ortspolizeiliche Verordnungen) sollen erweitert werden. Ein Zusammenschluss zu Gemeindeverbänden soll einfacher werden, jedoch ausschließlich auf freiwilliger Basis. Weiters sollen die Gemeinden in das Gesetzgebungsverfahren eingebunden werden (Initiativrecht, Interessensvertretung durch den Gemeindebund und den Städtebund). Der Rechtsanspruch auf Verleihung eines eigenen Statuts soll bereits für Gemeinden mit mehr als 10.000 Einwohner/inne/n gelten (statt bisher: 20.000 Einwohner/innen). Schrittweise sollen die Gemeinden auch gegenüber den Bezirksverwaltungsbehörden gestärkt werden und einige von deren Aufgaben übernehmen. Als Begründung dafür wird die größere Bürgerinnennähe genannt.

 

Eine Aufnahme der Kontrollrechte der Gemeinden in die Verfassung ist für den Gemeindebund in einem gewissen Rahmen denkbar. Jedenfalls soll der Bestand der konkreten Gemeinde in der Verfassung verankert werden, um Zwangszusammenschlüsse zu verhindern.

 

Position des Städtebundes

Der Städtebund plädiert für Regionalverbände, die auch landesübergreifend bestehen und mehrere zusammenhängende Aufgaben übernehmen können sollen. Bezüglich der finanziellen Kontrollrechte besteht der Städtebund darauf, Doppelprüfungen zu vermeiden. Gemeinden mit weniger als 20.000 Einwohner/innen sollen daher nicht der Rechnungshofkontrolle unterliegen. Der Städtebund erachtet eine Aufnahme der Kontrollrechte (mit Ausnahme des Anfragerechts) in die Bundesverfassung für nicht zweckmäßig.

 

 

Quellen: Basisinformationen, Protokolle, Diskussionsgrundlagen der Sitzungen der Ausschüsse 3 und 8

           Stellungnahmen des Gemeindebundes und des Städtebundes

           Kommunalpolitische Leitsätze, http://www.spoe.at

           Madeleine Petrovic, Arbeitsunterlage für den Ausschuss 3

           Eva Lichtenberger, Arbeitsunterlage für den Ausschuss 8, Kontrollrechte in den Gemeinden

 

 

 



[1] Aus dem Vorwort von “Streiten um Demokratie” (Hrsg Graf/Muther)

[2] ebenda

[3] Vgl. Walter/Mayer, Grundriss des österreichischen Bundesverfassungsrechts, 9. Aufl. (2000), S. 105.

[4] Vgl. Öhlinger, Verfassungsrecht, 5. Aufl. (2003), S. 74 .

[5] Zu der regelmäßig erhobenen Forderung nach einer Demokratisierung der Außenpolitik vgl. nur Krippendorff, Kritik der Außenpolitik (2000), S. 189 ff.; Sibley, Can Foreign Policy Be Democratic?, in: Goldwin (Hrsg.), Readings in World Politics, 2. Aufl. (1970), S. 233 ff.

[6] Bericht Ausschuss II v. 8. Juli 2004 (11/AUB-K), S. 24 f.; vom Präsidium am 1. September 2004 übernommen.

[7] Art. 9 Abs. 2 B-VG bestimmt, dass durch einen gemäß Art. 50 Abs. 1 leg. cit. zu genehmigenden Staatsvertrag einzelne Hoheitsrechte des Bundes auf zwischenstaatliche Einrichtungen und ihre Organe übertragen werden können. Als solche zwischenstaatliche Einrichtung wird auch die Gesamtheit der Mitgliedstaaten eines multilateralen Vertrages, der die Kompetenz zur Vertragsrevision übertragen wurde, angesehen (vgl. dazu Griller, Die Übertragung von Hoheitsrechten auf zwischenstaatliche Einrichtungen (1989), S. 281).

[8] Vgl. den Bericht Ausschuss II v. 8. Juli 2004 (11/AUB-K), S. 24.

[9] Siehe dazu Koja, Einführung in das öffentliche Recht (1998), S. 18.

[10] Bericht Ausschuss II v. 8. Juli 2004 (11/AUB-K), S. 24.

[11] Im Fall, dass das vereinfachte Vertragsänderungsverfahren von Österreich blockiert werden kann (siehe oben).

[12] Vgl. den Bericht Ausschuss II v. 8. Juli 2004 (11/AUB-K), S. 21 f.; sowie auch schon 8/AUB-K - Ausschussergebnis, S. 55-58.

[13] Vgl. den Bericht Ausschuss II v. 8. Juli 2004 (11/AUB-K), S. 22.

[14] Damit liegt ein Fall eines vereinfachten Verfahrens vor, in dem Österreich (sofern das Stimmrecht nicht gemäß Art. IX Abs. 1 WTO von der EU ausgeübt wird) eine Blockademöglichkeit eingeräumt ist.

[15] Vgl. den Bericht Ausschuss II v. 8. Juli 2004 (11/AUB-K), S. 24 f.

[16] Vgl. den Bericht Ausschuss II v. 8. Juli 2004 (11/AUB-K), S. 24 f.

[17] Vgl. den Bericht Ausschuss II v. 8. Juli 2004 (11/AUB-K), S. 25.

[18] Vgl. den Bericht Ausschuss II v. 8. Juli 2004 (11/AUB-K), S. 25.

[19] Diese Koordinationsaufgabe obliegt derzeit laut BundesministerienG dem/der BundeskanzlerIn, sie sollte ein Kompetenztatbestand werden, damit auch via Gesetzgebung Kooperationsorgane geschaffen werden können und die Handlungsfähigkeit gegenüber der Europäischen Union gegeben ist.

[20] Siehe die zahlreichen Sonderkompetenztatbestände und jüngst VfGH G 212/02 vom 10. Oktober 2003, im übrigen Grünen Gesetzesantrag Nr. 493/A vom Feber 1993.

[21] Das WRG beinhaltet derzeit drei Komplexe: Wassernutzung, Schutz des Wassers und Schutz vor dem Wasser. Es wäre auch denkbar, die Ressourcenbewirtschaftung als Teil der Wasserschutzpolitik zu sehen. Dann würde der allgemeine Umwelttatbestand genügen.

[22] Die Vollziehung des Bau- und Naturschutzrechts sollte ab einer bestimmten Vorhabensgröße den Vollzugszuständigkeiten der Bundesmaterien folgen.

[23] Dieser Tatbestand dient – in Anbetracht des Umweltanlagenrechtstatbestands - vor allem dem Immissionsschutz und den produktspezifischen Regelungen. Der Schutz des Menschen wurde aufgenommen, weil so zentrale Materien wie Strahlenschutz derzeit auf der Kompetenz Gesundheitswesen fußen und weil auch der Lärmschutz inkludiert sein soll.

[24] Im Sinne einer bürgerfreundlichen Verwaltung sollten der Informationszugang bundeseinheitlich geregelt sein und nicht in 10 verschiedenen Gesetzen.

[25] Im Sinne einer bürgerfreundlichen Verwaltung sollten der Informationszugang bundeseinheitlich geregelt sein und nicht in 10 verschiedenen Gesetzes.

[26] Neuerungen gegenüber geltender Verfassung sind kursiv geschrieben, gehen nur Teile des Vorschlags auf grüne Initiative zurück, so ist die grüne Variante zudem unterstrichen.

[27] Was unter gesamtwirtschaftlichem Gleichgewicht zu verstehen ist, wird im § 2 (2) des Bundeshaushaltsgesetzes angesprochen. Dort wird von einem ...“ausgewogenen Verhältnis zwischen einem hohen Beschäftigungsstand, einem hinreichend stabilen Geldwert, der Sicherung des Wachstumspotenzials und der Wahrung des außenwirtschaftlichen Gleichgewichts ...“ gesprochen.

 

[28] Kramer, H. Ökonomische Aspekte der Bundesstaatsreform, März 2004.

[29] Kramer, H. Ökonomische Aspekte der Bundesstaatsreform, März 2004.

[30] DDr. Karl Lengheimer: Diskussionsunterlage, Nov. 2003

[31] Glawischnig, Ehrnhöfer, Meyer, Entwurf für ein Positionspapier der Grünen zum Österreichkonvent, Oktober 2003.

[32] FPÖ-Parteiprogramm „Bund neu“, Kapitel 8