Protokoll

über die 11. Sitzung des Ausschusses 9

am 1. September 2004,

im Verwaltungsgerichtshof, Gelber Salon

 

Anwesende:

 

Ausschussmitglieder (Vertreter):

 

Univ.-Prof. Dr. Herbert Haller             (Vorsitzender)

Univ.-Prof. Dr. Clemens Jabloner                    (stellvertretender Vorsitzender)

Mag. Heribert Donnerbauer                            (für BM Elisabeth Gehrer;

erst ab ca. 10.30 Uhr)

Univ.-Prof. Dr. Bernd-Christian Funk

Univ.-Prof. Dr. Dr. h.c. Karl Korinek

DDr. Karl Lengheimer

Dr. Kurt Stürzenbecher                                   (für Maga. Sonja Wehsely;

erst ab ca. 10.30 Uhr)

 

 

Weitere Teilnehmer:

 

            Dr. Gerhard Kuras                                          (für Dr. Johann Rzeszut)

            Maga. Claudia Marik                                       (für Dr. Claudia Kahr)

            Dr. Roland Miklau

            Mag. Michael Schön                                       (für Herbert Scheibner)

Mag. Thomas Sperlich                                     (für Maga. Terezija Stoisits)

 

 

Büro des Österreich-Konvents:

 

Dr. Gert Schernthanner                                   (fachliche Ausschussunterstützung)

Sladjana Marinkovic                                       (Ausschusssekretariat)

 

 

Entschuldigt:

 

            Maga. Renate Brauner

            BM Elisabeth Gehrer

Univ.-Prof. DDr. Christoph Grabenwarter                  

Univ.-Prof. Dr. Gerhart Holzinger

Dr. Johann Rzeszut

Dr. Johannes Schnizer

Maga. Terezija Stoisits

 

 

 

Beginn:                                  09.00 Uhr

Ende:                                     12.00 Uhr

 

 

 

Tagesordnungspunkte:

 

1.         Begrüßung, Feststellung der Anwesenheit, Genehmigung des Protokolls über die zehnte Sitzung am 2. Juli 2004

 

2.         Diskussion über den Entwurf für die Einrichtung eines eigenen parlamentarischen Ausschusses zur Verbesserung der Kontrolle und Transparenz des ministeriellen Weisungsrechts (Entwurf zugesandt am 2.8.2004)

 

3.         Diskussion über den Entwurf für die Einführung einer „dissenting opinion“ beim Verfassungsgerichtshof (Entwurf ebenfalls zugesandt am 2.8.2004)

 

4.         Diskussion über die Einführung eines Organstreitverfahrens vor dem Verfassungsgerichtshof (zur deutschen Rechtslage siehe das Schreiben von Univ.-Prof. DDr. Di Fabio/Dr. Schorkopf an Frau Dr. Moser, Betreuerin des Ausschusses 8, vom 25.11.2003)

 

5.         Diskussion über Leistungsanreize für Richter / Leistungskontrolle von Richtern (siehe Stellungnahme der Vereinigung der Österreichischen Staatsanwälte, zugesandt am 19.8.2004, und gemeinsame Stellungnahme der Vereinigung der Österreichischen Richter und der Sektion Richter und Staatsanwälte in der GÖD, zugesandt am 30.8.2004)

 

6.                     Allfällige Anregungen des Ausschusses 9 an die Expertengruppe „Handlungsformen und Rechtsschutz in der öffentlichen Verwaltung“ (Erweiterung der Anfechtungsgegenstände im Bereich der Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz? siehe Punktation vom 28.6.2004 und Schreiben vom 19.8.2004)

 

7.         Allfälliges

 

 

 

Tagesordnungspunkt 1.: Begrüßung, Feststellung der Anwesenheit und Genehmigung des Protokolls über die zehnte Sitzung vom 2. Juli 2004

 

Der Ausschussvorsitzende begrüßt die Teilnehmer des Ausschusses 9 und stellt die Anwesenheit (Umlauf der Anwesenheitsliste) fest.

 

Das Protokoll über die zehnte Sitzung des Ausschusses 9 vom 2. Juli 2004 wird ohne Änderungen genehmigt.

 

 

 

Tagesordnungspunkt 2.: Diskussion über den Entwurf für die Einrichtung eines eigenen parlamentarischen Ausschusses zur Verbesserung der Kontrolle und Transparenz des ministeriellen Weisungsrechts

 

Der Ausschussvorsitzende stellt den von der Ausschussbetreuung ausgearbeiteten und am 2.8.2004 an alle Ausschussmitglieder versendeten Entwurf für die Einrichtung eines ständigen Unterausschusses zur Kontrolle der „Ausübung des Aufsichts- und Weisungsrechts im Bereich der Staatsanwaltschaften“ vor. Hingewiesen wird darauf, dass es sich bei der geplanten Überprüfung des Aufsichts- und Weisungsrechts – wie dies aus den Erläuterungen auf Seite 2 unten des Entwurfs hervorgeht – um eine ex post-Kontrolle handeln solle und das Kontrollrecht des Unterausschusses nach den Intentionen des Entwurfsverfassers nur das externe Weisungsrecht, also jenes des Bundesministers für Justiz, umfassen solle.[1]

 

Vor diesem Hintergrund wird in der anschließenden Diskussion zunächst festgehalten, dass die Entscheidung für oder gegen die Einrichtung eines eigenen parlamentarischen Kontrollausschusses kein Präjudiz für die noch zu führende Diskussion über die Einrichtung eines weisungsfreien Bundesstaatsanwalts darstelle,[2] sodass die Diskussion darüber unbeschadet der heutigen Diskussion über die Einrichtung eines Kontrollausschusses geführt werden solle. Gegen die im Entwurf gewählte Formulierung „... sowie der Ausübung des Aufsichts- und Weisungsrechts im Bereich der Staatsanwaltschaften ...“ wird zum einen vorgebracht, dass man daraus den Schluss ziehen könne, dass von diesem Kontrollrecht nicht nur das externe Weisungsrecht (des Bundesministers für Justiz), sondern auch das interne Weisungsrecht (innerhalb der Staatsanwaltschaften) umfasst wäre; gegen eine solche Auslegung werden einerseits massive Bedenken geäußert; andererseits wollen mehrere Ausschussmitglieder genau dieses umfassende Kontrollrecht in der Verfassung verankert wissen.

 

Gegen diese umfassende Kontrollbefugnis des ständigen Unterausschusses wird vorgebracht, dass es sich bei der Staatsanwaltschaft um keine Verwaltungsbehörde im klassischen Sinne, sondern vielmehr um eine Justizbehörde handle, deren Tätigkeit materiell gesehen etwas ganz anderes als eine Verwaltungstätigkeit sei. Die Entwicklung der Staatsanwaltschaft – weg von einer reinen Verwaltungsbehörde und hin zu einer gerichtsähnlichen Justizbehörde – habe durch das Staatsanwaltschaftsgesetz 1986 ihren Anfang genommen und sei durch die Einführung der Diversion und die vor kurzem verabschiedete Vorverfahrensreform fortgesetzt worden; diese Entwicklung spiegle sich insofern auch in den Ergebnissen der Beratungen des Ausschusses 9 wieder, als im Bericht vom 26.3.2004 vorgeschlagen worden sei, dem jetzigen Art. 90 B-VG einen neuen Absatz 3 hinzuzufügen, wonach die öffentliche Anklage sowie die justizielle Strafverfolgung den Staatsanwaltschaften obliegen. Würde man nunmehr die Kontrollbefugnis des geplanten ständigen Unterausschusses auch auf das interne Weisungsrecht ausdehnen, ginge dies in eine völlig andere Richtung als jene, die man zu Beginn eingeschlagen habe. Diese Bedenken werden jedoch von anderen Ausschussmitgliedern nicht geteilt.

 

Betont wird, dass es sich bei der geplanten Kontrolle um eine ex post-Kontrolle, nicht jedoch um eine begleitende Kontrolle handeln solle: dies ergebe sich einerseits aus den Erläuterungen zu dem ausgearbeiteten Entwurf (siehe Seite 2 unten), wo ausdrücklich festgehalten sei, dass die Ausübung des ministeriellen Weisungsrechts durch einen eigenen parlamentarischen Ausschuss ex post – das heißt nach rechtskräftigem Abschluss des Strafverfahrens durch das Gericht oder durch die Staatsanwaltschaft oder nach Zurücklegung der Anzeige – kontrolliert werden solle. Andererseits heiße es am Beginn des Art. 52a Abs. 1 B-VG: „Zur Überprüfung von Maßnahmen ...“, was auf die Überprüfung bzw. Kontrolle von schon getroffenen Maßnahmen, also eine ex post-Kontrolle, hinaus laufe.

 

Der Ausschussvorsitzende stellt nunmehr ausdrücklich den laut Entwurf im ersten Satz des Art. 52a Abs. 2 B-VG einzufügenden neuen Satz zur Diskussion, wonach der Unterausschuss zur Überprüfung der Ausübung des Aufsichts- und Weisungsrechts im Bereich der Staatsanwaltschaften darüber hinaus befugt sei, von den zuständigen Staatsanwaltschaften alle einschlägigen Auskünfte und Einsicht in die einschlägigen Unterlagen zu verlangen. In der Diskussion wird dazu festgehalten, dass die Notwendigkeit einer solchen expliziten Anordnung sehr wesentlich davon abhänge, welches Ergebnis die Diskussion über die Einrichtung eines weisungsfreien Bundesstaatsanwalts bringe. Wenn das Weisungsrecht in den Händen des Justizministers/der Justizministerin verbleibe, sei eine solche ausdrückliche Anordnung nicht notwendig, weil dann die Staatsanwaltschaften ohnedies dem Minister gegenüber weisungsgebunden blieben und sämtliche notwendigen Auskünfte und Unterlagen im Wege des Bundesministeriums für Justiz eingeholt werden könnten.

 

Die Bestimmung des Art. 52a Abs. 4 B-VG könne ebenfalls aufrecht bleiben, zumal hinreichend klar sei, dass das Bundesgesetz über die Geschäftsordnung des Nationalrats nur nähere Bestimmungen über die Tätigkeit und Arbeitsweise des neu einzurichtenden ständigen Unterausschusses treffen könne.

 

Abschließend wird noch darüber diskutiert, ob die im geltenden Art. 52a Abs. 2 B-VG vorgesehenen Einschränkungen der Auskunfts- und Vorlagepflicht im Falle der Gefährdung der nationalen Sicherheit oder der Sicherheit von Menschen auch auf den neu einzurichtenden Unterausschuss zur Kontrolle der Ausübung des Aufsichts- und Weisungsrechts inhaltlich „passe“. Eine Änderung wird im Ausschuss überwiegend nicht für nötig erachtet. Es wird die Meinung vertreten, dass die in Fußnote 7 des Entwurfs aufgeworfenen, insbesondere datenschutzrechtlichen Bedenken (z.B. die Möglichkeit der Verwendung von Ergebnissen eines Lauschangriffs in einem von der Staatsanwaltschaft eingestellten Verfahren in einem späteren – noch anhängigen – Strafverfahren) schon durch die geltende Rechtslage in den Griff zu bekommen seien.

 

 

 

Tagesordnungspunkt 3.: Diskussion über den Entwurf für die Einführung

einer „dissenting opinion“ beim Verfassungsgerichtshof

 

Der Ausschussvorsitzende verweist auf den von ihm gemeinsam mit der Ausschussbetreuung ausgearbeiteten Entwurf für die Einführung einer „dissenting opinion“, der mit der Maßgabe vorgelegt worden sei, dass dieser Vorschlag im Ausschuss mehrheitlich abgelehnt worden sei (siehe Protokoll über die 8. Sitzung vom 6.5.2004). Von den Ausschussmitgliedern wird keine darüber hinausgehende Diskussion gewünscht.

 

 

 

Tagesordnungspunkt 4.: Diskussion über die Einführung eines

Organstreitverfahrens vor dem Verfassungsgerichtshof

 

Die Diskussion über die Einführung eines Organstreitverfahrens vor dem VfGH verläuft insgesamt kontroversiell: Von manchen Ausschussmitgliedern wird – unter Hinweis auf die Ergebnisse des Ausschusses 8 (vgl. Ausschussbericht vom 5.5.2004, S. 18 oben) und auf die deutsche Rechtslage (vgl. Art. 93 Abs. 1 Z. 1 GG, §§ 13 und 63 BVerfGG) – die Einführung eines Organstreitverfahrens, insbesondere im Zusammenhang mit dem Ausbau der parlamentarischen Minderheitsrechte, gefordert, wobei eine Einschränkung auf den Nationalrat und den Bundesrat denkbar sei. Das Organstreitverfahren sei schon deshalb zu begrüßen, weil es eine präventive Wirkung entfalte und der VfGH in Zukunft ohnedies stärker präventiv tätig werden müsse – dies insbesondere im Grundrechtsbereich. Von den Befürwortern eines Organstreitverfahrens wird weiters ausgeführt, dass der schleichende Prozess der „Entgrenzung“ von Staat und Gesellschaft schon jetzt zahlreiche Kompetenz- und Zuständigkeitsfragen aufwerfe, die die geltende Bundesverfassung nicht zu lösen vermöge. Diese enthalte vielmehr schon jetzt Widersprüche, etwa in Art. 52 Abs. 2 B-VG, der die Frage nach der Reichweite der Kontrollrechte des Parlaments gegenüber der Bundesregierung aufwerfe.

 

Von anderen Ausschussmitgliedern wird dem Vorschlag nach Einführung eines Organstreitverfahrens dagegen massive Skepsis entgegen gebracht, zumal der VfGH, der ja nach geltender Rechtslage ein nachprüfendes Höchstgericht sei, in Zukunft immer mehr aktiv in laufende politische Prozesse verwickelt werden würde und es so zu einer quasi „Verrechtlichung“ des politischen Prozesses kommen würde, die sowohl für die Politik und die Sicherstellung der Entscheidungsfähigkeit der politischen Organe als auch für den VfGH selbst heikel wäre. Rein systematisch wäre die Einführung eines Organstreitverfahrens vor dem VfGH wohl als Ausweitung der Feststellungsbefugnis in Kompetenzkonflikten zu qualifizieren und daher legistisch in Art. 138 B-VG anzusiedeln. Es sei aber völlig unklar, welche Fragen von einem solchen Organstreitverfahren umfasst sein sollten: Sollten darunter nur Probleme im Zusammenhang mit dem „klassischen Parlamentarismus“ (Fragerecht, Rechte von Untersuchungsausschüssen etc.) oder auch politisch noch heiklere Probleme, wie etwa das Recht zur Vertretung Österreichs nach außen oder etwa auch gegenüber der EU (Bundesregierung oder Bundespräsident?) subsumiert werden?

 

Eine gewisse Einigkeit besteht im Ausschuss zumindest darüber, dass die Einführung eines Organstreitverfahrens vor dem VfGH ein derart massiver Eingriff in das System der österreichischen Bundesverfassung wäre, dass man einen solchen nur nach einer breiten und vertieften Diskussion vornehmen sollte; in diesem Rahmen wird auch argumentiert, es müssten jedenfalls Gutachten (zumindest zwei Gutachten über die Pro- und Contra-Argumente) sowie ausreichend Fallmaterial eingeholt werden. Stark wird auch die Meinung vertreten, dass eine solche Diskussion im jetzigen – bereits fortgeschrittenen – Stadium der Konventsarbeit nicht mehr begonnen werden sollte.

 

Der Ausschussvorsitzende will die Diskussion über die Einführung eines Organstreitverfahrens aber nicht von vornherein „abwürgen“, sondern stellt in Aussicht, diese Frage – ob und wie weit ein Organstreitverfahren vertieft bearbeitet werden solle – in der übernächsten Ausschusssitzung am 23.9.2004 zu besprechen. Im Hinblick darauf bittet er jene Ausschussmitglieder, die für die Einführung eines solchen Organstreitverfahrens eintreten, ihre Anliegen bis spätestens Freitag, den 17.9.2004, als Grundlage für die Diskussion schriftlich vorzulegen.

 

 

 

Tagesordnungspunkt 5.: Diskussion über Leistungsanreize für Richter /

Leistungskontrolle von Richtern

 

Der Ausschussvorsitzende bedankt sich zunächst für die Stellungnahme der Vereinigung Österreichischer Staatsanwälte vom 18.8.2004 und für die gemeinsame Stellungnahme der Vereinigung der Österreichischen Richter und der Bundessektion Richter und Staatsanwälte in der GÖD vom 27.8.2004, die beide bereits an alle Ausschussmitglieder übersendet worden seien. Er begrüße es, dass die richterliche Standesvertretung in ihrer Stellungnahme darauf hingewiesen habe, dass Bestrebungen, finanzielle Leistungsanreize in Form von variablen Gehaltsbestandteilen zu kreieren, mit dem Prinzip der richterlichen Unabhängigkeit und auch mit dem richterlichen Selbstverständnis in unauflöslichem Widerspruch stünden. Davon ausgenommen seien allenfalls Belohnungen für die Aufarbeitung massiver Rückstände etwa in lange Zeit unbesetzten Abteilungen, wobei auch in diesen Fällen die Zuständigkeit zur Vergabe der finanziellen Mittel nicht beim Bundesministerium für Justiz liegen sollte. Zu begrüßen sei auch der Hinweis der richterlichen Standesvertretung auf die Möglichkeiten, durch gezielte Strukturmaßnahmen – etwa durch Förderung der Fortbildung oder durch Schaffung eines geeigneten Arbeitsumfelds – Leistungsanreize zu setzen, die die Motivation der Richter steigern. Wichtig sei auch der Hinweis der richterlichen Standesvertretung auf das zum Teil nur ungenügende Arbeitsumfeld, sowohl was die Sachausstattung (Literatur, Computer etc.) als auch was die personelle Ausstattung (richterliches und nicht richterliches Personal, Schreibabteilungen) betreffe. Interessant sei auch der Hinweis der Standesvertretung, dass diese – im Interesse der Stärkung des an sich brauchbaren Instruments des Fristsetzungsantrags – bereits im Jahr 2003 vorgeschlagen habe, die Möglichkeit des Fristsetzungsantrags auch dem Dienstellenleiter von Amts wegen einzuräumen. Diesbezüglich stelle sich jedoch die Frage, ob man den Gerichtsvorstehern lediglich die Möglichkeit zur Erhebung eines solchen Antrags einräumen oder aber – unter gewissen Kriterien – ihnen die Verpflichtung zur Stellung eines solchen Antrags auferlegen solle.

 

In der folgenden Diskussion wird mehrfach darauf hingewiesen, dass der verfassungsrechtliche Zusammenhang mit dem Thema „Leistungskontrolle von und Leistungsanreize für Richter“ zwar nicht ganz evident sei, jedoch vom Österreich-Konvent Anstöße für einfachgesetzliche Änderungen kommen könnten. Hinsichtlich der Ausweitung des Fristsetzungsantrags sei jedenfalls eine vertiefte Diskussion notwendig, eine konkrete Ausgestaltung der Kriterien, bei deren Vorliegen ein solcher Antrag zu stellen sei, müsse jedenfalls wohl überlegt sein. Zu überlegen sei auch die Formulierung eines allgemeinen Rechts bzw. Grundrechts des Bürgers auf Erhalt einer gerichtlichen Entscheidung in angemessener Dauer; in diesem Zusammenhang wird jedoch eingewendet, dass ein solches Recht schon jetzt aus Art. 6 EMRK ableitbar sei.

 

Was das Disziplinarverfahren betreffe, gingen die erst jüngst erstatteten Vorschläge der richterlichen Standesvertretung zwar in die richtige Richtung, doch mangle es grundsätzlich an Transparenz: Dies habe zur Folge, dass in der Öffentlichkeit der – irrige – Eindruck entstehe, dass es sich gerade die Richter im Disziplinarrecht „untereinander richten“ würden.

 

Es wird auch – aufgrund konkreter praktischer Erfahrungen – darauf hingewiesen, dass die Arbeitsweise und die Funktionstüchtigkeit einzelner – durchaus miteinander vergleichbarer – Gerichte zum Teil sehr unterschiedlich seien und sehr stark von der Führungskompetenz des jeweiligen Gerichtsvorstehers bzw. Gerichtspräsidenten abhingen. Hier könnte vielleicht auch eine verstärkte Fortbildung ein Ansatzpunkt dafür sein, die Führungskompetenz der Gerichtsvorsteher in Zukunft zu steigern.

 

Was die Frage der notwendigen Ausstattung der Gerichte betreffe, wird von mehreren Seiten aufgrund praktischer Erfahrungen darauf hingewiesen, dass diese in vielen Bereichen             – sowohl sachlich als auch personell – mangelhaft sei und dies der Hauptgrund für zum Teil überlange Verfahren sei. Dem wird von anderen entgegengehalten, dass für eine solche Feststellung im Ausschussbericht die notwendigen Fakten bzw. die empirischen Grundlagen fehlten, sodass man die Kritik an der mangelhaften Ausstattung – wenn überhaupt – nur sehr vorsichtig üben sollte. Von anderer Seite wird darauf hingewiesen, dass ein allzu pauschal negativer Befund auch nicht den tatsächlichen Verhältnissen vor Ort entspreche, zumal die österreichische Justiz in manchen Bereichen (etwa im Bereich der elektronischen Ausstattung und des elektronischen Rechtsverkehrs) international im Spitzenfeld liege. Hervorgehoben wird auch, dass die österreichische Gerichtsbarkeit – im internationalen Vergleich – sehr gut und sehr schnell arbeite. Es wird auch betont, dass die Diensaufsicht gerade im Bereich der ordentlichen Gerichtsbarkeit sehr ausgeprägt sei, sodass mancher Orts bereits vom „gläsernen Richter“ gesprochen werde. Die Zahl der Disziplinarverfahren sei wesentlich höher, als dies in der Öffentlichkeit allgemein angenommen werde. Die personelle Ausstattung sei aber insbesondere beim Obersten Gerichtshof äußerst mangelhaft, zumal es an wissenschaftlichen Mitarbeitern gänzlich fehle.

 

Zum Teil wird auch die Meinung vertreten, dass die Frage der Funktionstüchtigkeit der ordentlichen Gerichtsbarkeit im Zusammenhang mit der Gerichtsorganisation stehe und hier zu befürchten sei, dass eine stärkere Zentralisierung die gegenwärtige Situation noch verschlimmern könnte. Dem wird von anderer Seite mit dem Argument entgegen getreten, dass etwa die Zusammenlegung von Gendarmerieposten oder Krankenhäusern wesentlich problematischere Auswirkungen habe.

 

Von einer Seite wird vorgeschlagen, einen Staatshaftungsanspruch in Form eines Ersatzanspruchs für ideelle Schäden aufgrund eingetretener Rechtsverzögerung zu gewähren, und darauf hingewiesen, dass schon die Entwicklung im geltenden Amtshaftungsrecht in diese Richtung gehe. Dem wird entgegen gehalten, dass die Judikatur zum ideellen Schaden gegenwärtig sehr im Fluss sei und man dem Problem der Verfahrensverzögerung schon mit den derzeit zur Verfügung stehenden Instrumentarien des Amtshaftungsrechts Herr werden könne; im Übrigen gebe es auch die Möglichkeit, ein Verfahren vor dem EGMR zu führen.

 

Hingewiesen wird auch darauf, dass das Bundesministerium für Justiz vor einiger Zeit bei Univ.-Prof. Dr. Matscher ein Gutachten in Auftrag gegeben habe, inwieweit die Parteien bzw. deren Vertreter ein Grundrecht auf Verfahrensverzögerung haben; das Gutachten liege derzeit noch nicht vor.

 

Vorgeschlagen wird auch, nicht nur an die verfassungsrechtliche Unabhängigkeit der Richter, sondern auch an das verfassungsrechtlich verankerte Effizienzprinzip anzuknüpfen. Der Vorsitzende wird dem Ausschuss diesbezüglich einen Vorschlag für den Endbericht vorlegen.

 

Als weitere „verfassungsrechtliche Berührungspunkte“, die noch(mals) zu behandeln sein werden, nennt der Ausschussvorsitzende den von der richterlichen Standesvertretung geäußerten Wunsch nach Einrichtung eines Richterrats – diesbezüglich werde auf die von der richterlichen Standesvertretung am 22.9.2004 veranstalte Enquete zum Thema „Gewaltenteilung im demokratischen Rechtsstaat“ verwiesen – sowie das Problem der „Sprengelrichter“ gemäß Art. 88a B-VG. Diesbezüglich stelle sich einerseits die Frage nach einer behutsamen Erhöhung der derzeitigen 2%-Klausel und andererseits nach einer zeitlichen Beschränkung des Einsatzes von jungen Richtern als „Sprengelrichter“.

 

 

 

Tagesordnungspunkt 6.: Allfällige Anregungen des Ausschusses 9 an die

Expertengruppe „Handlungsformen und Rechtsschutz in der öffentlichen

Verwaltung“ (Erweiterung der Anfechtungsgegenstände im Bereich der

Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz?)

 

Die Diskussion zu diesem Tagesordnungspunkt verläuft kontroversiell: Nur vereinzelt wird die Meinung vertreten, dass Fragen, wie etwa die Aufgabe des Typenzwangs, die Einführung eines allgemeinen Verwaltungsakts oder die Einführung neuer Rechtsschutzinstrumente, im weiteren Verlauf der Beratungen des Ausschusses 9 noch diskutiert werden sollten; für die Notwendigkeit einer solchen Diskussion werden insbesondere europarechtliche Entwicklungen (Fortentwicklung der Menschenrechte) ins Treffen geführt, die langfristig zu einem Ende des Typenzwangs führen würden. Es wird auch darauf hingewiesen, dass die Einsetzung einer Expertengruppe das gute Recht des Präsidiums und im Übrigen durch die Geschäftsordnung des Österreich-Konvents gedeckt sei.

 

Mehrheitlich wird jedoch Kritik an der Einsetzung der Expertengruppe geübt: darin wird ein „politisches Manöver“ gesehen, das nicht nur unerquicklich, sondern auch insofern unzweckmäßig sei, als man die der Expertengruppe auf den Weg gegebenen Fragen im Ausschuss 9 bereits diskutiert habe und man sich auch – mit großer Mühe – auf die zukünftige Struktur einer Verwaltungsgerichtsbarkeit im Wesentlichen geeinigt habe (siehe den gemeinsamen Textvorschlag von Grabenwarter/Jabloner für die verfassungsrechtliche Verankerung der Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz, Ausschussbericht, S. 49 ff, der derzeit gerade adaptiert werde). Die Ergebnisse der Expertengruppe könnten die bereits erzielten Kompromisse in Frage stellen, was in höchstem Maße kontraproduktiv wäre. Darüber hinaus käme die Einsetzung dieser Expertengruppe viel zu spät, zumal die in dieser Expertengruppe zu diskutierenden Fragen derartig diffizil und fundamental seien, dass ein vernünftiges Ergebnis bis zu dem ins Auge gefassten Termin (30.9.2004) nicht zu erwarten sei. Weiters habe man es verabsäumt, in diese Expertengruppe, die auch ureigenste zivilrechtliche Fragen, wie die Abgrenzung von öffentlichem Recht und Privatrecht, die Einführung neuer Rechtsschutzinstrumente sowie amtshaftungsrechtliche Probleme diskutieren solle, ausgewiesene Zivilrechtsexperten zu entsenden. Dies sei umso bedauerlicher, als die Abgrenzung zwischen öffentlichem Recht und Privatrecht für die ordentliche Gerichtsbarkeit von fundamentaler Bedeutung sei. Auch mit anderen im Mandat der Expertengruppe angesprochenen Fragen, wie etwa der Aufgabe des Typenzwangs, habe man sich im Ausschuss 9 bereits befasst und im Wesentlichen Konsens darüber erzielt, dass die zur Anrufung der neu zu schaffenden Verwaltungsgerichte berechtigenden Anfechtungsgegenstände – wie schon bisher – einerseits Bescheide und andererseits Akte unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt (Maßnahmen) sein sollten und dass ein Einbau weiterer Anfechtungsgegenstände (Eingriffe in subjektive Rechte von einzelnen Rechtsunterworfenen; Informations-, Unterlassungs- und situative Eingriffe) in das gegenwärtige System sachgerecht und behutsam erfolgen sollte, dabei jedoch grundsätzlich an die bestehenden Instrumentarien angeknüpft werden sollte. Es wurde im Wesentlichen Konsens erzielt, die im geltenden Recht bestehende Typengebundenheit grundsätzlich beizubehalten, jedoch um neue Formen des Verwaltungshandelns – behutsam – zu erweitern (Ausschussbericht, S. 25 f).

 

Einigkeit besteht im Ausschuss jedenfalls darüber, dass man die – bis 30.9.2004 erwarteten – Ergebnisse der Expertengruppe des Präsidiums abwarten und dann in einer eigenen Ausschusssitzung am 11.10.2004 beraten wolle. Sollten die Ergebnisse der Expertengruppe des Präsidiums nicht fristgerecht einlangen, werde man sich weitere Schritte vorbehalten. Der Ausschussvorsitzende kündigt an, ein Schreiben an das Präsidium des Österreich-Konvents zu richten, in dem er für sich ähnliche Position beziehe, wie es der Vorsitzende des Ausschusses 7, Sektionschef Dr. Matzka, getan habe.

 

 

 

Tagesordnungspunkt 7.: Allfälliges – weitere Sitzungstermine

 

Als Termine für die Sitzungen des Ausschusses 9 werden festgelegt:

 

- 15. September 2004, 10.00 bis 16.00 Uhr, im VwGH

(Vorsitz: Präsident Univ.-Prof. Dr. Jabloner; bereits feststehende Tagesordnungspunkte: Abschließende Diskussion über die Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz auf der Grundlage des zwischenzeitlich überarbeiteten gemeinsamen Textvorschlags Grabenwarter/Jabloner [dieser überarbeitete Textvorschlag wird an alle Ausschussmitglieder versendet]; abschließende Diskussion über die Einführung der Gesetzesbeschwerde auf der Grundlage eines gemeinsamen Textvorschlags Jabloner/Grabenwarter/Rzeszut samt Erläuterungen [auch dieses Papier wird an alle Ausschussmitglieder ausgesendet]; abschließende Diskussion über die Einführung der Urteilsbeschwerde [diesbezüglich liegt ebenfalls bereits ein Textvorschlag vor])

 

- 23. September 2004, 9.00 bis 16.00 Uhr, im Parlament Lokal V

(u. a. Diskussion über die Einführung eines Organstreitverfahrens vor dem VfGH; jene Ausschussmitglieder, die ein solches Organstreitverfahren befürworten, werden um Vorlage entsprechender Vorschläge bis spätestens 17.9.2004 gebeten)

 

- 11. Oktober 2004, 10.00 bis 16.00 Uhr, im VwGH

(u. a. Diskussion über die zu diesem Zeitpunkt schriftlich vorliegenden Ergebnisse der Expertengruppe des Präsidiums „Handlungsformen und Rechtsschutz in der öffentlichen Verwaltung“)

 

- danach: Ausarbeitung des Endberichts des Ausschusses 9

 

- 27. Oktober 2004, 9.00 bis 12.00 Uhr, im VwGH

(Endredaktion des Ausschussberichts; inhaltliche Detailberatung des Ausschussberichts nach Vorbild der 7. Sitzung des Ausschusses 9 am 19.3.2004).

 

 

Der Ausschussvorsitzende bedankt sich bei allen erschienenen Ausschussmitgliedern und Vertretern für deren rege und konstruktive Mitarbeit.

 

 

 

 

 

Vorsitzender des Ausschusses 9:                                             Fachliche Ausschussunterstützung:

 

 

 

 

 

Univ.-Prof. Dr. Herbert Haller e.h.                                                      Dr. Gert Schernthanner e.h.



[1] In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass sich das Ergänzungsmandat für den Ausschuss 9 vom 9.6.2004 nur auf das externe Weisungsrecht bezieht, wenn dort wörtlich festgehalten ist: „Weisungsrecht des Bundesministers für Justiz: Ausarbeitung der beiden folgenden Textvorschläge: Verbesserung der Kontrolle und Transparenz des Weisungsrechts durch einen eigenen parlamentarischen Ausschuss (unter Umständen ständiger Unterausschuss gemäß Art. 52a B-VG); ...“ [Hervorhebung durch die Verfasser]

 

[2] Wie sich aus dem Protokoll über die 10. Sitzung des Ausschusses 9 vom 2.7.2004 ergibt, wurde von einem Ausschussmitglied angeboten, die seinerzeit eingebrachten Initiativanträge der Sozialdemokratischen Parlamentsfraktion zur Einrichtung eines weisungsfreien Bundesstaatsanwalts zu überarbeiten und dem Ausschuss neuerlich zur Beratung vorzulegen; ein solches überarbeitetes Dokument ist aber bis dato nicht eingelangt.