Johannes Kepler Universität Linz
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Institut für Völkerrecht
Institut für Europarecht
und internationale Beziehungen
Zur Reform des Art. 50 B-VG
Gegen
eine weitere Entdemokratisierung der Außenpolitik
- Stellungnahme -
Inhaltsübersicht
Aufgabenstellung
I. Ausgangssituation:
Der Status quo
a) Art. 50 B-VG idgF.
b) Würdigung
II. Der
Änderungsvorschlag
a) Der Vorschlag v. 8. Juli 2004
aa) Regelungsbedarf
bb) Der Vorschlag
b) Würdigung
aa) Kritik 1: Weitere Entdemokratisierung der
Außenpolitik
bb) Kritik 2: Legistische Ausgestaltung
III. Zwischenergebnis
IV. Zum Vorschlag des
Vorbehalts eines Genehmigungs- bzw. Zustimmungsrechts durch den Nationalrat
bzw. Bundesrat
a)
Der Ergänzungsvorschlag
b)
Würdigung
V. Lösungsvorschlag
a)
Vorschlag
b)
Kommentierung
Aufgabenstellung
Im Zuge der Beratungen des
Ausschuss II “Legistische Strukturfragen“ des Österreich-Konvents wird erwogen,
Art. 50 B-VG zu ergänzen, um dieserart die Problematik der in multilateralen
völkerrechtlichen Verträgen fallweise vorgesehenen vereinfachten
Vertragsänderungsverfahren einer befriedigenden verfassungsrechtlichen Lösung zuzuführen.
Im Auftrag des Grünen Klubs im Parlament soll im folgenden eine Würdigung des
vorläufigen Beratungsergebnisses vorgenommen werden. Insbesondere ist die
vorgeschlagene Lösung dabei im Lichte der Wahrung der parlamentarischen
Mitwirkungs- und Informationsrechte zu beleuchten.
I.
Ausgangssituation: Der Status quo
a) Art. 50 B-VG idgF.
Gemäß Art. 50 Abs. 1 B-VG
bedarf der Abschluss politischer, gesetzändernder oder gesetzesergänzender
völkerrechtlicher Verträge der vorangehenden Genehmigung durch den Nationalrat.
Zu den letzten beiden Gruppen gehören auch die völkerrechtlichen Verträge
verfassungsändernden oder verfassungsergänzenden Inhalts.[1]
Soweit ein
genehmigungspflichtiger völkerrechtlicher Vertrag Angelegenheiten des eigenen
Wirkungsbereiches der Länder regelt, bedarf er überdies der Zustimmung des
Bundesrates.
b) Würdigung
Art. 50 B-VG ist zwar mit
“Mitwirkung des Nationalrates und des Bundesrates an der Vollziehung des
Bundes“ betitelt, bei der Genehmigung gesetz- bzw. verfassungsergänzender und
-ändernder völkerrechtlicher Verträge handelt es sich jedoch materiell um
legislative Tätigkeit, schließlich haben verfassungsändernde völkerrechtliche
Verträge den Rang und die daran geknüpften Rechtswirkungen von
Bundesverfassungsgesetzen und gesetzändernde völkerrechtliche Verträge den Rang
von einfachen Bundesgesetzen, also etwa auch Gesetzescharakter iSv. Art. 18
Abs. 1 und 2 B-VG.[2]
Diesem legislativen
Charakter des Abschlusses von Staatsverträgen korreliert aber nach dem System
des B-VG keine entsprechende umfassende Kompetenz des Parlamentes bei der
Erzeugung dieser Normen. Nationalrat und Bundesrat sind an der Erzeugung von
Rechtsnormen der Rechtssatzform “völkerrechtlicher Vertrag“ nicht kreativ –
etwa schon an der Vorbereitung und Aushandlung – beteiligt, sondern nur
sanktionierend. Der in Art. 50 Abs. 1 B-VG verwendete Begriff der “Genehmigung“
als Bedingung des Eintritts der rechtlichen Verbindlichkeit bestimmter
völkerrechtlicher Verträge macht deutlich, dass das Parlament einen ihm
vorgelegten völkerrechtlichen Vertrag nur entweder insgesamt ablehnen oder
dessen Abschluss mit oder ohne Erfüllungsvorbehalt genehmigen kann. Die
Einflussnahme auf den Inhalt eines
solchen Vertrages ist nicht möglich. Vielmehr kommen Nationalrat und Bundesrat
erst am Endpunkt einer mitunter umfangreichen außenpolitischen Aktivität der
Bundesregierung zum Zug, sofern sich diese in einem Vertrag konkretisiert hat,
und auch dann nur ohne gestalterische Einflussmöglichkeit.
Diese nicht sehr
umfangreiche Ausgestaltung der Kompetenzen des österreichischen Nationalrates
und Bundesrates, wie im übrigen diejenigen vieler Parlamente anderer Staaten im
Zusammenhang mit dem Abschluss völkerrechtlicher Verträge, ist historisch
darauf zurückzuführen, dass die Außenpolitik traditionell die Prärogative des
Monarchen war. Zwar brachte die mit der zunehmenden Demokratisierung verbundene
Aufwertung der Parlamente insgesamt auch eine Reduktion der Allmacht der
Monarchen bei der Gestaltung der Außenpolitik ihrer Staaten – so enthielten
schon Verfassungen des 19. Jhdts. das Modell der parlamentarischen Genehmigung
der vom Monarchen geschlossenen völkerrechtlichen Verträge –, doch hat sich
daran im Grunde genommen bis heute nichts mehr geändert.[3]
Neben dieser bloßen
Genehmigungs- bzw. Ablehnungskompetenz im Zusammenhang mit dem Abschluss
völkerrechtlicher Verträge ist auch die Möglichkeit der Einflussnahme auf das
Wirken der Bundesregierung in Internationalen Organisationen begrenzt. So
unterliegt etwa das Abstimmungsverhalten von Regierungsvertretern in den
Organen der Internationalen Organisationen keiner Kontrolle durch das
Parlament, wenn dies nicht gesondert gesetzlich verankert wurde.
So hat etwa gemäß Art. 23 e B-VG das zuständige Mitglied der
Bundesregierung den Nationalrat und den Bundesrat unverzüglich über alle
Vorhaben im Rahmen der EU zu unterrichten und ihnen Gelegenheit zur
Stellungnahme zu geben. Im Zuge einer solchen Stellungnahme können sowohl der
Nationalrat als auch der Bundesrat dem jeweiligen Mitglied der Bundesregierung
auch Vorgaben für das Abstimmungsverhalten erteilen, von denen nur unter zwingenden
Umständen abgewichen werden darf, worüber aber unverzüglich Bericht zu
erstatten ist. Damit hat das Parlament immerhin im Rahmen der EU-Politik die
Möglichkeit, auch gestalterisch zu intervenieren.
In vielen Fällen gewährleistet
aber lediglich das so genannte “Misstrauensvotum“ gemäß Art. 74 Abs. 1 B-VG den
Zusammenhalt zwischen den Zielvorstellungen der Mehrheit der Abgeordneten im
Nationalrat und der Tätigkeit der Bundesregierung im außenpolitischen Bereich.
Ansonsten bleibt der eigentliche Souverän im parlamentarisch-demokratischen
System, die Bürgerinnen und Bürger, vertreten durch die Abgeordneten, ungehört.
Diesen wie dargelegt ohnehin
schon sehr schwach ausgestalteten Mitwirkungsmöglichkeiten des Parlaments droht
nunmehr eine weitere Verschlechterung durch den vorliegenden
Änderungsvorschlag.
II.
Der Änderungsvorschlag
a) Der Vorschlag v. 8. Juli
2004[4]
aa) Regelungsbedarf
Zahlreiche multilaterale
völkerrechtliche Verträge enthalten neben einem ordentlichen
Vertragsänderungsverfahren auch ein so genanntes vereinfachtes
Vertragsänderungsverfahren, wonach durch schlichten Beschluss der Organe oder
der Vertragspartner Teile des Vertrages abgeändert werden können.
Sieht ein solches
vereinfachtes Vertragsänderungsverfahren einen Mehrheitsbeschluss vor – besteht
also keine Blockademöglichkeit durch Österreich – so wird dies von der
österreichischen Praxis als durch Art. 9 Abs. 2 B-VG abgedeckte Übertragung von
Hoheitsrechten angesehen[5]
und auf eine Genehmigung des Vertrags im Verfassungsrang verzichtet. Kann ein
solcher Beschluss aufgrund eines Einstimmigkeitserfordernisses aber von
Österreich blockiert werden, so wird eine Verfassungsbestimmung bei Genehmigung
des Vertrages für erforderlich erachtet, um vom Erfordernis der
parlamentarischen Genehmigung künftiger (vereinfachter) Vertragsänderungen, die
aus Zeitgründen nicht möglich ist, zu dispensieren.[6]
Nach Überzeugung der
Mitglieder des Ausschuss II sollte eine neue Bundesverfassung für die
vereinfachten Vertragsänderungsverfahren hinreichend Spielraum lassen. Da im
Hinblick auf die mögliche Verankerung eines Inkorporationsgebots
in der neuen Verfassung künftig Verfassungsbestimmungen im Zusammenhang mit
völkerrechtlichen Verträgen möglichst zu vermeiden sind, schlägt der Ausschuss
II eine generell-abstrakte Lösung durch Ergänzung der Bestimmungen über die
parlamentarische Genehmigung von Staatsverträgen in Art. 50 B-VG vor.
bb) Der Vorschlag
Die vom Ausschuss II
vorgeschlagene Ergänzung des Art. 50 B-VG um einen Abs. 2 a lautet:
“Soweit ein Staatsvertrag
zu seiner Änderung ermächtigt, bedarf eine derartige Änderung keiner
Genehmigung nach Abs. 1“.
b) Würdigung
aa) Kritik 1: Weitere
Entdemokratisierung der Außenpolitik
Hintergrund der Rechte des
Nationalrates bzw. des Bundesrates aufgrund von Art. 50 B-VG ist, zu
verhindern, dass auf einem Umwege – nämlich durch die Schaffung von neuem Recht
im Wege eines völkerrechtlichen Vertrages – die Rechtslage verändert und dieserart
das Gesetzgebungsmonopol des Nationalrates als der gewählten Volksvertretung
ausgehöhlt wird.[7]
Der vorliegende
Änderungsvorschlag verleiht dagegen der Bundesregierung mit dem Argument der
“Schaffung von Spielraum [...]
für vereinfachende Instrumente, die im Rahmen des international Üblichen
liegen“[8]
im Bereich der vereinfachten Vertragsänderungsverfahren einen gänzlich
unbegrenzten Freiraum.
Sofern nicht speziell
verankert, ist – wie ausgeführt – eine rechtlich
geregelte Einflussnahme des Parlaments auf die Willensbildung im Vorfeld nicht
möglich, und nach dem vorliegenden Text soll nun auch das Erfordernis der
Genehmigung ohne Möglichkeit einer Einzelfallprüfung entfallen.
Damit wäre für weite
Bereiche eine verbindliche Einflussnahme das Nationalrates und des Bundesrates
auf die Erzeugung von in Österreich geltenden Rechtsnormen nicht mehr möglich,
ja nicht einmal eine Unterrichtung der beiden Organe über in vereinfachten
Verfahren vorgenommene Vertragsänderungen ist im Vorschlag vorgesehen.
Nach derzeit geltender
Verfassungsrechtslage entscheidet sich der Nationalrat in jedem Einzelfall mit
qualifizierter Mehrheit[9]
– sozusagen in einem bewussten Akt durch den Erlass einer Verfassungsbestimmung
– für den Verzicht auf sein Genehmigungserfordernis im Falle vereinfachter
Vertragsänderungsverfahren. Damit ist es einer qualifizierten Minderheit (1/3 +
1) der Abgeordneten möglich, zu verhindern, dass sich das Parlament seiner
Gesetzgebungshoheit, niedergeschlagen im Genehmigungserfordernis, partiell
begibt.
Der vorliegende Vorschlag
dagegen sieht einen generellen Genehmigungsverzicht durch den Nationalrat und
auch den Bundesrat vor. Eine Entscheidung im Einzelfall käme dem Parlament
nicht mehr zu. Wollte der Nationalrat im Falle einer Realisierung dieser
Verfassungsänderung künftig seine Gesetzgebungshoheit wahren, bliebe ihm nur
die generelle Nichtgenehmigung eines völkerrechtlichen Vertrages, der ein
vereinfachtes Vertragsänderungsverfahren enthält. Einer qualifizierten Minderheit
wäre es dann aber nicht mehr möglich, auf die Vorgehensweise Einfluss zu
nehmen.
Durch diesen
generell-abstrakten Verzicht auf das Genehmigungserfordernis im Falle
vereinfachter Vertragsänderungsverfahren würden sich der Nationalrat und der
Bundesrat der Rechtsnormerzeugungshoheit in möglicherweise ganz zentralen
Bereichen begeben, wie folgende Beispiele zeigen sollen.
So wäre etwa nach derzeit in
Geltung stehendem Gemeinschaftsrecht der Übergang der EU zu einem
Verteidigungsbündnis in einem vereinfachten Vertragsänderungsverfahren zu
beschließen (vgl. Art. 17 Abs. 1 EUV).
Und nach dem – noch nicht in
Geltung stehenden – künftigen Verfassungsvertrag für eine Europäische Union
könnten überhaupt alle Änderungen “betreffend die internen Politikbereiche der
Union“ in einem vereinfachten Vertragsänderungsverfahren beschlossen werden
(vgl. Art. IV-7b Verfassungsvertrag). Diese in einem solchen vereinfachten
Verfahren zu ändernden Bereiche des Teil III Titel III des Verfassungsvertrages
sind beispielsweise sämtliche Vertragsbestimmungen über den Binnenmarkt
(Grundfreiheiten, Wettbewerbsrecht, Steuerliche Vorschriften), die Wirtschafts-
und Währungspolitik, sowie eine Reihe anderer Politiken wie etwa Beschäftigung,
Landwirtschaft, Umwelt oder Energie, und nicht zuletzt die Bestimmungen über
die justitielle und polizeiliche Zusammenarbeit.
Zwar enthalten sowohl Art.
17 EUV als auch Art. IV-7b des Verfassungsvertrages einen Hinweis auf die
Zustimmung der Mitgliedstaaten im Einklang mit ihren jeweiligen Verfassungsbestimmungen
– doch sähen gerade diese nach der Ergänzung um den vorgeschlagenen Art. 50
Abs. 2 a B-VG keine Einbindung des Nationalrates und des Bundesrates mehr vor!
Auch die im Ausschuss II
erwogene lex specialis im B-VG für künftige Änderungen der Verträge über
die Europäische Union[10]
würde nach der derzeit vorliegenden Formulierung für die im vereinfachten Verfahren vorgenommenen
Vertragsänderungen keine Anwendung finden. In der Textierung des
Ausschussberichts werden durch den betreffenden Artikel zwar Art. 50 Abs. 2 und
3 für nicht anwendbar erklärt,[11]
es fehlt aber ein diesbezüglicher Ausschluss für Art. 50 Abs. 2 a. Wird ein
solcher nicht ergänzt, so fände die Regelung über den Entfall der Genehmigung
vereinfachter Vertragsänderungen auch im Bereich der die EU begründenden
Verträge Anwendung.
Eine weiteres Beispiel für
eine weittragende Möglichkeit der Vertragsänderung in einem vereinfachten
Verfahren soll aus dem Bereich der WTO entnommen werden. Gemäß Art. X Abs. 8
WTO-Übereinkommen 1994 können durch schlichten (konsensuellen[12])
Beschluss der Ministerkonferenz die Vorschriften über das Streitbeilegungsverfahren
geändert werden.
Alleine diese Beispiele
lassen den völligen Verzicht auf die parlamentarische Genehmigung von in
vereinfachten Verfahren herbeizuführenden Änderungen völkerrechtlicher Verträge
im Hinblick auf die erforderliche Wahrung der Gesetzgebungshoheit von
Nationalrat und Bundesrat inakzeptabel erscheinen.
bb) Kritik 2: Legistische
Ausgestaltung
Neben einer materiellen
Kritik des Änderungsvorschlages im Lichte der Wahrung der parlamentarischen
Mitwirkungsrechte ist hinsichtlich seiner legistischen Ausgestaltung noch eine
– sicherlich nicht in der Intention der Verfasser liegende – vom Wortlaut des
Änderungsvorschlages aber mit umfasste Auslegungsalternative aufzuzeigen, die
zu geradezu dramatischen Konsequenzen führt.
Der Wortlaut der von
Ausschuss II vorgelegten Formulierung (“Soweit ein Staatsvertrag zu seiner
Änderung ermächtigt“) erfasst nämlich nicht nur die so genannten vereinfachten
Vertragsänderungsverfahren, sondern sämtliche
Änderungsverfahren, mithin auch die ordentlichen, die in völkerrechtlichen
Verträgen vorgesehen sind.
So wäre etwa auch das
derzeit geltende allgemeine Vertragsänderungsverfahren des EU-Vertrages (Art.
48 EUV) ein Anwendungsfall für den Art. 50 Abs. 2 a B-VG in der vorgelegten
Fassung, da auch durch diese Bestimmung in dem dort vorgesehenen Verfahren ein
“Staatsvertrag zu seiner Änderung ermächtigt“. Selbst der Hinweis in Art. 48
EUV auf das Erfordernis der Ratifizierung durch die Vertragsstaaten “gemäß
ihren verfassungsrechtlichen Vorschriften“ würde nicht zum Erfordernis einer
Genehmigung durch den Nationalrat führen, da eben die österreichischen
verfassungsrechtlichen Vorschriften (in concreto Art. 50 Abs. 2 a B-VG)
diese ausschließen.
Aus diesem Grunde bedarf der
vorgelegte Änderungsvorschlag einer sprachlichen Präzisierung, um tatsächlich
nur die so genannten vereinfachten Vertragsänderungsverfahren zu erfassen.
Vorschlag:
“Soweit ein Staatsvertrag
zu seiner Änderung in einem vereinfachten Verfahren ermächtigt, bedarf
eine derartige Änderung keiner Genehmigung nach Abs. 1“.
III.
Zwischenergebnis
Das derzeit in Geltung
stehende Erfordernis der “Genehmigung“ völkerrechtlicher Verträge durch den
Nationalrat beziehungsweise der möglicherweise – mit qualifizierter Mehrheit –
vorgenommene Verzicht auf eine solche Genehmigung im Falle eines in einem
bestimmten Vertrag vorgesehenen vereinfachten Vertragsänderungsverfahrens
stellen ein demokratiepolitisches Minimum an parlamentarischer Mitwirkung an
der Herbeiführung der innerstaatlichen rechtlichen Verbindlichkeit
völkerrechtlichen Vertragsrechts dar.
Eine darüber hinausgehende
verfassungsrechtliche generell-abstrakte Präsumption eines Verzichts der
gesetzgebenden Organe auf die nach der geltenden Rechtslage im Falle
vereinfachter Vertragsänderungsverfahren zumindest mögliche Herbeiführung einer
dem Einzelfall adäquaten Lösung, stellte eine Konterkarierung demokratisch
getragener Außenpolitik dar.
IV. Zum Vorschlag des
Vorbehalts eines Genehmigungs- bzw. Zustimmungsrechts
durch
den Nationalrat bzw. Bundesrat
a) Der Ergänzungsvorschlag
Nach dem Ergänzungsvorschlag
einiger Mitglieder des Ausschuss II[13]
könnte zur Wahrung der parlamentarischen Mitwirkungsrechte die Änderung so
ausgestaltet werden, dass sich Nationalrat und Bundesrat im Einzelfall ihr
Genehmigungsrecht auch im Falle von Änderungen völkerrechtlicher Verträge in
einem vereinfachten Verfahren vorbehalten können.
Art. 50 Abs. 2 a B-VG sollte
demnach lauten:
“Soweit ein Staatsvertrag
zu seiner Änderung [in einem vereinfachten Verfahren] ermächtigt,
bedarf eine derartige Änderung keiner Genehmigung nach Abs. 1 [, es sei
denn, dass sich der Nationalrat oder der Bundesrat dies vorbehält]“.
b) Würdigung
Ein solcher Vorbehalt sollte
nach der Auffassung seiner Protagonisten ähnlichen Regeln unterliegen wie ein
Erfüllungsvorbehalt nach Art. 50 Abs. 2 B-VG.[14]
Damit wäre die Intention dieses Vorschlags, dass im Falle eines entsprechenden
Vorbehalts durch den Nationalrat oder Bundesrat die im Zuge des vereinfachten
Vertragsänderungsverfahrens beschlossenen Änderungen unabhängig von ihrem
völkerrechtlichen Inkrafttreten grundsätzlich zunächst keinerlei
innerstaatlichen Rechtswirkungen hätten. Erst nach Genehmigung durch den
Nationalrat käme den Änderungen Wirkung im innerstaatlichen Bereich zu.
Was sich Nationalrat und
Bundesrat vorbehalten können sollen, wäre also ein Genehmigungsrecht im Nachhinein.
Diese hinter dem Ergänzungsvorschlag
stehende Intention findet aber keine Entsprechung in der vorgeschlagenen
Textierung:
Nach dem Wortlaut des
Ergänzungsvorschlags soll es dem Nationalrat bzw. dem Bundesrat offenstehen,
sich “eine Genehmigung nach Abs. 1” (arg.: die Verwendung von “dies” im
Ergänzungstext verweist auf den ersten Satzteil) vorzubehalten.
Diese Genehmigung nach Art.
50 Abs. 1 B-VG hat aber dem Abschluss des völkerrechtlichen Vertrages voranzugehen, also vor dem Eingehen der völkerrechtlichen
Verpflichtung zu erfolgen, um eine Völkerrechtsverletzung im Falle der
Nichtgenehmigung zu vermeiden.
Ein entsprechendes
Genehmigungsrecht im Ergänzungsvorschlag wäre daher als ein Recht zur
Genehmigung von Vertragsänderungen ebenfalls vor
Beschlussfassung des Organs bzw. der Gesamtheit der Mitgliedstaaten
eines multilateralen Vertrages, der die Kompetenz zur Vertragsrevision im
vereinfachten Verfahren übertragen wurde, zu verstehen – und nicht als ein
Genehmigungsrecht im Nachhinein, wie von den Verfassern des
Ergänzungsvorschlags wohl intendiert.
Das entscheidende Problem
dieses Ergänzungsvorschlags liegt jedoch im Bereich jener vereinfachten
Vertragsänderungsverfahren, die eine Entscheidung durch Mehrheitsbeschluss
vorsehen.
Eine Genehmigung wäre in
diesem Falle technisch regelmäßig nur im Nachhinein möglich, im Falle der
Versagung der Genehmigung wäre aber durch Österreich bereits eine
völkerrechtliche Bindung eingegangen worden, deren Umsetzung in die
innerstaatliche Rechtsordnung dann jedoch unterbliebe. Denn dann stellte sich
die Frage nach den Konsequenzen eines allfälligen Unterbleibens der
innerstaatlichen Genehmigung von völkerrechtlich bereits in Kraft getretenen
Änderungen. Aus diesem Grunde wurde zu Recht von der überwiegenden Ansicht im
Ausschuss II die vom Ergänzungsvorschlag angestrebte Wahrung der
parlamentarischen Genehmigungsbefugnisse in jenen Konstellationen als
problematisch erachtet, in denen eine Vertragsänderung durch Mehrheitsbeschluss
erfolgen und daher auch ohne Zustimmung Österreichs zustande kommen kann.[15]
V. Lösungsvorschlag
a) Vorschlag
Basierend auf den
dargelegten Erwägungen wird nunmehr ein eigener Vorschlag für eine Ergänzung
des Art. 50 B-VG um zwei neue Absätze vorgelegt:
Art. 50 Abs. 2 a
“Soweit ein Staatsvertrag zu
seiner Änderung in einem vereinfachten Verfahren ermächtigt, bedarf eine
derartige Änderung keiner Genehmigung nach Abs. 1, es sei denn, dass sich der
Nationalrat oder der Bundesrat dies vorbehält. Ein solcher Vorbehalt ist nicht
möglich bei Staatsverträgen, die zu ihrer Änderung in einem vereinfachten
Verfahren durch Mehrheitsbeschluss ermächtigen.”
Abs. 2 b
“Das zuständige Mitglied der
Bundesregierung hat den Nationalrat und den Bundesrat unverzüglich über alle
Vorhaben zu Änderungen von Staatsverträgen gemäß Abs. 2 a zu unterrichten und
ihnen Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben.”
b) Kommentierung
Falls sich der Nationalrat
und/oder der Bundesrat die Genehmigung einer in einem vereinfachten Verfahren,
das Einstimmigkeit vorsieht, herbeigeführten Vertragsänderung vorbehalten, so
kann daraus keine Diskrepanz zwischen völkerrechtlicher Verpflichtung und
innerstaatlicher Umsetzung resultieren. Da eine solche Genehmigung gemäß Art.
50 Abs. 1 B-VG vor der
österreichischen Zustimmung im vereinfachten Verfahren zu erfolgen hat, wird
eine völkerrechtliche Verpflichtung ohne entsprechende Genehmigung gar nicht
eingegangen.
Bei vereinfachten
Vertragsänderungsverfahren dagegen, die einen Mehrheitsbeschluss vorsehen, soll
nach hier präsentiertem Vorschlag kein Genehmigungsvorbehalt möglich sein. Eine
Genehmigung wäre in diesem Falle regelmäßig ohnehin nur im Nachhinein möglich –
und daher keine Genehmigung iSd Art. 50 Abs. 1 –, zudem bestünde die Gefahr
einer Diskrepanz zwischen völkerrechtlicher Verpflichtung und innerstaatlicher
Umsetzung im Falle der Nichtgenehmigung, wie auch schon von Mitgliedern des
Ausschusses II festgestellt wurde.[16]
Haben der Nationalrat bzw.
der Bundesrat Bedenken aufgrund der Tragweite von in vereinfachten
Vertragsänderungsverfahren mit Mehrheitsentscheidung möglicherweise
herbeigeführten Weiterentwicklungen des Vertrags, so bleibt nur der
Nichtabschluss des betreffenden völkerrechtlichen Vertrags.
Durch die in Art. 50 Abs. 2
b vorgesehene Informationspflicht wird schließlich sichergestellt, dass
Nationalrat und Bundesrat über Vorhaben zu Vertragsänderungen im vereinfachten
Verfahren sowohl im Falle der vorgesehenen Einstimmigkeit als auch des
Mehrheitsbeschlusses unterrichtet werden und, falls nicht in ersterem Falle
ohnehin die Genehmigung vorbehalten wurde, zumindest Gelegenheit zur
Stellungnahme erhalten.
(Linz, am 11. Oktober 2004)
[1] Vgl. Walter/Mayer, Grundriss des österreichischen Bundesverfassungsrechts, 9. Aufl. (2000), S. 105.
[2] Vgl. Öhlinger, Verfassungsrecht, 5. Aufl. (2003), S. 74 .
[3] Zu der regelmäßig erhobenen Forderung nach einer Demokratisierung der Außenpolitik vgl. nur Krippendorff, Kritik der Außenpolitik (2000), S. 189 ff.; Sibley, Can Foreign Policy Be Democratic?, in: Goldwin (Hrsg.), Readings in World Politics, 2. Aufl. (1970), S. 233 ff.
[4] Bericht Ausschuss II v. 8. Juli 2004 (11/AUB-K), S. 24 f.; vom Präsidium am 1. September 2004 übernommen.
[5] Art. 9 Abs. 2 B-VG bestimmt, dass durch einen gemäß Art. 50 Abs. 1 leg. cit. zu genehmigenden Staatsvertrag einzelne Hoheitsrechte des Bundes auf zwischenstaatliche Einrichtungen und ihre Organe übertragen werden können. Als solche zwischenstaatliche Einrichtung wird auch die Gesamtheit der Mitgliedstaaten eines multilateralen Vertrages, der die Kompetenz zur Vertragsrevision übertragen wurde, angesehen (vgl. dazu Griller, Die Übertragung von Hoheitsrechten auf zwischenstaatliche Einrichtungen (1989), S. 281).
[6] Vgl. den Bericht Ausschuss II v. 8. Juli 2004 (11/AUB-K), S. 24.
[7] Siehe dazu Koja, Einführung in das öffentliche Recht (1998), S. 18.
[8] Bericht Ausschuss II v. 8. Juli 2004 (11/AUB-K), S. 24.
[9] Im Fall, dass das vereinfachte Vertragsänderungsverfahren von Österreich blockiert werden kann (siehe oben).
[10] Vgl. den Bericht Ausschuss II v. 8. Juli 2004 (11/AUB-K), S. 21 f.; sowie auch schon 8/AUB-K - Ausschussergebnis, S. 55-58.
[11] Vgl. den Bericht Ausschuss II v. 8. Juli 2004 (11/AUB-K), S. 22.
[12] Damit liegt ein Fall eines vereinfachten Verfahrens vor, in dem Österreich (sofern das Stimmrecht nicht gemäß Art. IX Abs. 1 WTO von der EU ausgeübt wird) eine Blockademöglichkeit eingeräumt ist.
[13] Vgl. den Bericht Ausschuss II v. 8. Juli 2004 (11/AUB-K), S. 24 f.
[14] Vgl. den Bericht Ausschuss II v. 8. Juli 2004 (11/AUB-K), S. 24 f.
[15] Vgl. den Bericht Ausschuss II v. 8. Juli 2004 (11/AUB-K), S. 25.
[16] Vgl. den Bericht Ausschuss II v. 8. Juli 2004 (11/AUB-K), S. 25.