(Revidierte Fassung vom 25. Mai
2004)
[Öhlinger
Tischvorlage 13. Sitzung 01.07.04]
[Öhlinger Tischvorlage 14. Sitzung 06.07.04]
1. Artikel
9 Absatz 2 B-VG hat zu lauten:
Durch Gesetz oder Staatsvertrag
können einzelne Hoheitsrechte auf zwischenstaatliche Einrichtungen[1]
oder fremde Staaten übertragen werden. In gleicher Weise kann die Tätigkeit von
Organen zwischenstaatlicher Einrichtungen oder fremder Staaten im Inland sowie
die Tätigkeit österreichischer Organe im Ausland geregelt werden. [Dabei
kann auch vorgesehen werden, dass österreichische Organe der Weisungsbefugnis
der Organe fremder Staaten oder zwischenstaatlicher Einrichtungen oder diese
der Weisungsbefugnis österreichischer Organe unterstellt werden.][2]
2. Artikel
50 Absatz 2a[3] hat zu
lauten:
Soweit ein Staatsvertrag zu seiner
Änderung ermächtigt, bedarf eine derartige Änderung keiner Genehmigung und
Zustimmung nach Absatz 1 [, es sei denn dass sich der Nationalrat oder
der Bundesrat dies vorbehalten].[4]
3. Im Artikel 50 Absatz 3 sind die
Worte "und, wenn durch den Staatsvertrag Verfassungsrecht geändert oder
ergänzt wird, Artikel 44 Absatz 1 und 2" sowie der zweite Halbsatz zu
streichen.
1981 wurde
Art 9 Abs 2 B-VG eingeführt, um die Fülle von Verfassungsbestimmungen in
Staatsverträgen zu reduzieren. Der Versuch ist nur teilweise gelungen. Nach wie
vor findet sich eine Fülle von Verfassungsbestimmungen in Staatsverträgen.
1. Das
Hauptproblem: Hoheitsrecht der Länder
Der
Hauptmangel des Art 9 Abs 2 B-VG besteht unter diesem Aspekt in seiner
Beschränkung auf "Hoheitsrechte des Bundes", die erst in den
Ausschussberatungen des NR eingefügt wurde. Sie ist jedoch systemwidrig, weil
der Bund zum Abschluss von Staatsverträgen ohne kompetenzrechtliche
Beschränkungen berechtigt ist (Art 10 Abs 1 Z 2 B‑VG). Der Bund kann daher die
Kompetenzen der Länder durch einen von ihm abgeschlossenen Staatsvertrag viel
intensiver beschränken, als es durch die Übertragung einzelner (!)
Hoheitsrechte auf fremde Organe in dem völkerrechtlich allgemein üblichen
Ausmaß regelmäßig geschieht. Die Wahrung der berechtigten Interessen der Länder
müsste auf andere Weise erfolgen, etwa durch das Zustimmungsrecht des
Bundesrates gemäß Art 50 Abs 1 letzter Satz B-VG oder durch andere, in der
künftigen Verfassung vorgesehe Mitwirkungsrechte der Länder (siehe etwa das
Modell des Art 23d B‑VG).
2.
Weitere Probleme der Praxis seit 1981
a. Art 9 Abs 2 B-VG sieht nur eine
Übertragung von Hoheitsrechten auf "zwischenstaatliche Einrichtungen und
ihre Organe" vor. Vereinzelt kommt es in neuerer Zeit auch zu dem
Bedürfnis, Hoheitsrechte auf Organe eines anderen Staates zu übertragen
(zB die Ausstellung kurzfristiger Visas; hierher gehört auch das Problem der
einem anderen Staat zuzurechnenden Einräumung polizeilicher Befugnisse an
private Organe, zB in Luftfahrzeugen). Dies ist durch den Wortlaut des
geltenden Art 9 Abs 2 B-VG nicht gedeckt und sollte durch eine Erweiterung des
ersten Tatbestandes ermöglicht werden. Eine explizite verfassungsrechtliche
Ermächtigung, dass auch österreichische Organe gleichartige Befugnisse für
fremde Staaten auf der Grundlage eines formellen (österreichischen) Gesetzes
oder gesetzändernden Staatsvertrages ausüben können, erscheint dagegen nicht
erforderlich.
b. Art 9 Abs 2 B-VG sieht ferner nur
die Tätigkeit von Organen fremder Staaten im Inland vor, nicht aber auch die Tätigkeit
von Organen zwischenstaatlicher Einrichtungen. Es wird vorgeschlagen, Art 9
Abs 2 B-VG in diesem Sinn zu erweitern.
c. Bei der Tätigkeit österreichischer
Organe im Ausland stellt sich das Problem der – im Text des Art 9 Abs 2 nicht
explizit vorgesehenen – Unterstellung unter die Weisungsgewalt ausländischer
Organe. Umgekehrt werden auch ausländische Organe österreichischer Hoheit
unterstellt. Derartige Regelungen finden sich vor allem in bilateralen
Katastrophenhilfeabkommen. Die bisherige Praxis geht in solchen Fällen davon
aus, dass dies durch Verfassungsbestimmungen "abgesichert" werden
müsse. Es kann allerdings auch mit guten Gründen und in Übereinstimmung mit dem
Schrifttum (Novak/Wieser, Zur Neukodifikation des
österreichischen Bundesverfassungsrechts, 1994, 177 f; Öhlinger, Art 9
Abs 2 B-VG, in Korinek/Holoubek, Bundesverfassungsrecht, Rz 10) die These
vertreten werden, dass die Einräumung einer derartigen Befugnis bzw Bindung
schon in der Ermächtigung zur Übertragung von Hoheitsrechten inkludiert
ist, zumal der hier vorgelegte Entwurf ausdrücklich auch eine Übertragung von
Hoheitsrechten an fremde Staaten vorsieht. Insofern wäre der zweite Satz
in der hier vorgeschlagenen Fassung des Art 9 Abs 2 B-VG überflüssig und würde
eine entsprechende Klarstellung in den EB ausreichen. Daher wurde die
entsprechende Ergänzung des Art 9 Abs 2 B-VG vorerst in Klammern gesetzt.
d. Keine praktische normative Bedeutung
kommt der Formel "im Rahmen des Völkerrechts" zu. Diese Worte können
gestrichen werden.
e. Angemerkt sei, dass aus dem
geltenden und dem neu vorgeschlagenen Text des Art 9 Abs 2 B-VG nicht zwingend
hervorgeht, dass Österreich Mitglied jener zwischenstaatlichen Organisation
sein muss, der einzelne hoheitliche Aufgaben übertragen werden können. Insofern
wäre auch eine Übertragung auf eine solche Organisation verfassungsrechtlich
nicht ausgeschlossen.
f. In Übereinstimmung mit der Lehre
(vgl Novak/Wieser, aaO, 174 f) ist davon auszugehen, dass auch
sogenannte "Zuwarte- und Bedachtnahmeregeln" – die
Vertragsparteien verpflichten sich, Entwürfe technischer Vorschriften einer
zwischenstaatlichen Einrichtung bekannt zu geben und ab dem Zeitpunkt dieser
Notifikation eine vertraglich vereinbarte Stillhaltezeit einzuräumen –, schon
auf Grund eines aus Art 9 Abs 2 B-VG ableitbaren Größenschlusses nicht als
verfassungsändernd anzusehen sind. Es handelt sich dabei um eine
geringfügigere Beschränkung der staatlichen Rechtsetzungsbefugnisse als es die
"Übertragung" solcher Befugnisse auf eine zwischenstaatliche
Einrichtung darstellen würde. Es ist zwar richtig, dass der eine solche
Vertragsbestimmung genehmigende Gesetzgeber nicht sich selbst für die Zukunft
binden kann; der Gesetzgeber ist aber auch nicht daran gehindert, im Einklang
mit einer solchen Vertragsbestimmung zu handeln und eine Völkerrechtsverletzung
zu vermeiden, auch wenn diese nicht zugleich eine Verfassungsverletzung bildet.
3. Zur
Rechtsform der Übertragung
Der
geltende Art 9 Abs 2 B-VG sieht eine Übertragung (1. Tatbestand) bzw Regelung
(2. Tatbestand) "durch Gesetz oder durch eine gemäß Art 50 Abs 1 B-VG zu
genehmigenden Staatsvertrag" vor. Das Wort "Gesetz" deutet an,
dass eine solche Regelung durch den Bundes- oder Landesgesetzgeber –
entsprechend der bundesverfassungsrechtlichen Kompetenzverteilung – erfolgen
kann. Ausgeschlossen wird damit aber die Rechtsform eines Staatsvertrages nach
Art 16 Abs 1 B-VG, was durch den Entstehungszeitpunkt des Art 9 Abs 2 B-VG
(1981) erklärbar (Art 16 Abs 1-3 B-VG wurde erst später – 1988 – geschaffen),
aber nicht konsequent ist. Durch Streichung des Verweises auf Art 50 B-VG
werden auch staatsvertragliche Regelungen auf der Ebene der Länder (im Rahmen
ihres Wirkungsbereichs) ermöglicht.
4.
Vereinfachte Vertragsänderungsverfahren
Ein
spezielles Problem bilden die in multilateralen Staatsverträgen häufig
vorgesehenen Regelungen über eine künftige vereinfachte Abänderung (Ergänzung)
von Textteilen (Anhängen, Annexen) eines solchen Vertrages. Die (neuere) Praxis
versteht die Befugnis einer Staatenmehrheit zur künftigen Abänderung
(von Teilen) des jeweiligen Vertrages als eine Übertragung von
Hoheitsrechten auf eine zwischenstaatliche Einrichtung iSd Art 9 Abs 2 B-VG
und verlangt daher für solche Regelungen nicht den Verfassungsrang.
Anders verhält es sich, wenn ein solcher Beschluss nur unter Mitwirkung
Österreichs zustande kommen kann: Dafür wird in der Praxis eine Verfassungsbestimmung
als erforderlich erachtet (vgl etwa die EB zu Art 8 des Abkommens von
Locarno zur Errichtung einer Internationalen Klassifikation für gewerbliche
Muster und Modelle BGBl 1990/496, 1189 Blg Nr XVII. GP).
Dieser im
Lichte des Art 9 Abs 2 B-VG offensichtliche Widersinn findet seine Erklärung
darin, dass es hier nicht eigentlich um das Problem einer Übertragung von
Hoheitsrechten geht, sondern um die Frage nach den Organen, die auf
österreichischer Seite in einem solchen Vertragsänderungsverfahren mitzuwirken
haben: Muss der österreichische Willensakt (Zustimmung, Ablehnung) dem
Nationalrat gemäß Art 50 B-VG zur Genehmigung unter Mitwirkung des Bundesrates
unterbreitet werden? Die Fristen, innerhalb der derartige Erklärungen
regelmäßig abzugeben sind, oder auch sonstige Verfahrensmodalitäten machen eine
Einschaltung des Bundesparlaments praktisch oft gar nicht möglich. Andererseits
geht es aber um die Abänderung eines vom Bundesparlament genehmigten und daher
auf Gesetzesstufe stehenden Staatsvertrags, die daher nach österreichischem
Rechtsverständnis ihrerseits als gesetzändernd zu qualifizieren ist. Die Praxis
nimmt an, dass die Hebung derartiger Klauseln in den Verfassungsrang von der
künftigen Beteiligung des Nationalrats und Bundesrats dispensiert. Dies kommt
zwar oft gar nicht im Text solcher Klauseln selbst zum Ausdruck, entspricht
aber ihrem Sinn.
Die
generelle Lösung dieses Problems kann nicht bei Art 9 Abs 2 B-VG, sondern muss
bei Art 50 B-VG ansetzen. Es wird daher vorgeschlagen, in einem neuen Absatz
des Art 50 B-VG für solche vereinfachte Vertragsänderungen oder -ergänzungen
von der Genehmigung des Nationalrats und einer allenfalls erforderlichen
Zustimmung des Bundesrats zu dispensieren.
Einzelne
Mitglieder des Ausschusses schlagen vor, dass sich der Nationalrat und/oder der
Bundesrat ihr Genehmigungs- bzw Zustimmungsrecht vorbehalten können.
(Ein solcher Vorbehalt sollte ähnlichen Regeln unterliegen wie ein
Erfüllungsvorbehalt gemäß Art 50 Abs 2 B-VG [geltende Fassung] oder ein
Beschluss gemäß Art 49 Abs 2 B-VG). Nach Ansicht der Mehrheit der
Ausschussmitglieder ist dies jedoch aus den folgenden Gründen nicht
zweckmäßig, weshalb diese Anregung in Klammer gesetzt wurde. Zum
einen wurde bislang einer entsprechenden Vertragsregelung noch nie die für
ihren Verfassungsrang erforderliche Mehrheit oder die allenfalls erforderliche
Zustimmung des Bundesrates verweigert. Es besteht also nach den bisherigen
Erfahrungen offensichtlich kein Bedarf für einen solchen Vorbehalt. Zum anderen
würde ein solcher Vorbehalt in jenen Fällen problematisch sein, in denen eine
Vertragsänderung auch ohne explizite Zustimmung Österreichs zustande kommen
kann. (Die Praxis geht, wie schon gesagt, davon aus, dass gerade solche
vertraglichen Regelungen "als Übertragung von Hoheitsrechten" im
Sinne des Art 9 Abs 2 B-VG keines Verfassungsrangs bedürfen; die auf solche
Regelungen gestützten Änderungs- und Ergänzungsverfahren erfolgen auch ohne
eine verfassungsrechtliche Grundlage ohne Beteiligung des Nationalrats und Bundesrats.)
Würden der Nationalrat oder der Bundesrat sich in solchen Fällen eine
Mitwirkung bzw Zustimmung vorbehalten, so könnte dennoch eine Änderung in einer
für Österreich verbindlichen Weise zustande kommen, ohne dass die
parlamentarische Genehmigung rechtzeitig oder überhaupt erfolgt. Dies könnte
schwierige Fragen im Grenzbereich von Verfassungsrecht und Völkerrecht
aufwerfen. Es ist der Sinn der in – meist multilateralen – völkerrechtlichen
Verträgen vorgesehenen vereinfachten Änderungs- und Ergänzungsverfahren, dies
ohne aufwändige innerstaatliche Verfahren durchführen zu können. Aus eben
diesem Grund sind derartige Vertragsklauseln auch prinzipiell auf technische
Ausführungsregeln beschränkt. Die österreichische Bundesverfassung sollte
solchen Regelungen, soweit sie völkerrechtlich üblich sind, nicht
entgegenstehen und auch nicht Konstruktionen vorsehen, die mit solchen
Regelungen nicht ohne weiters vereinbar sind.
5. Die
Zukunft verfassungsändernder Staatsverträge
Ziel dieser
Vorschläge ist es, in Zukunft Verfassungsbestimmungen in Staatsverträgen zur
Gänze zu vermeiden. Durch solche Verfassungsbestimmungen wird kein Problem
gelöst, das allenfalls in der Abgabe von Hoheitsrechten und anderen
Beschränkungen der nationalen Souveränität gesehen werden könnte. Solche
Probleme sind vielmehr in den Verhandlungen über den jeweiligen
("souveränitätsbeschränkenden") Staatsvertrag zu berücksichtigen. Die
Bundesverfassung sollte aber für solche Verhandlungen einen sinnvollen
Spielraum im Rahmen des international Üblichen vorgeben.
Sollte in
Zukunft eine staatvertraglich Regelung mit dem Bundesverfassungsrecht nicht
kompatibel sein, so wäre vorweg oder spätestens bei Abschluss des Vertrages der
Text der Bundesverfassung so zu ändern, dass diese Kompatibilität hergestellt
wird. Um dies an einem Beispiel zu illustrieren: Enthält ein Staatsvertrag eine
die Immunität von Abgeordneten einschränkende Bestimmung (vgl zB Art 27 des
Statuts über den Internationalen Strafgerichtshof BGBl III 2002/180), so wäre
die dem entgegenstehende bundesverfassungsgesetzliche Regelung (heute: Art 57
B-VG) entsprechend zu adaptieren. Die Vereinbarkeit einer staatsvertraglichen
Regelung mit der Bundesverfassung unterliegt der Kontrolle des VfGH nach Art
140a B-VG. (Daran sollte nichts geändert werden.) Stellt der VfGH eine solche
Unvereinbarkeit nachträglich fest, so hat er die unmittelbare Anwendung dieses
Vertrages, allenfalls unter Setzung einer aufschiebenden Frist bis zu zwei
Jahren, zu suspendieren. In dieser Zeit wäre entweder der Staatsvertrag nach
völkerrechtlichen Regeln zu kündigen oder die Bundesverfassung entsprechend zu
ändern.
Angemerkt
sei allerdings, dass der Ausschuss 2 vorerst die Frage des Verfassungsrangs der
Staatsverträge mit grundrechtlichem Gehalt – insbesondere der EMRK –
nicht behandelt hat. Diesbezüglich wäre die Beratung mit dem Ausschuss 4 zu
koordinieren.
Was grenzändernde
Staatsverträge betrifft, wird auf die vorgeschlagene Neufassung der Art 2
und 3 B-VG verwiesen.
[1] Der Hinweis auf die Organe solcher Einrichtungen im geltenden Art 9 Abs 2 B-VG kann als überflüssig entfallen. Ein Hoheitsrecht ist immer der juristischen Person zuzurechnen.
[2] Zu dieser Klammer siehe die Erläuterungen (2.c.).
[3] Diese Nummerierung ist selbstverständlich nur als vorläufig anzusehen und soll die Ergänzung des geltenden Art 50 B-VG hervorheben.
[4] Zu dieser Klammer Siehe die Erläuterungen (4.).