1. Art 9
Abs 2 B-VG hat zu lauten:
Durch Gesetz oder durch einen gemäß
Artikel 50 Absatz 1[1] zu
genehmigenden Staatsvertrag können einzelne Hoheitsrechte auf
zwischenstaatliche Einrichtungen[2]
oder fremde Staaten übertragen und kann die Tätigkeit von Organen fremder
Staaten oder zwischenstaatlicher Einrichtungen im Inland sowie die Tätigkeit
österreichischer Organe im Ausland geregelt werden. [Es kann dabei auch
vorgesehen werden, dass österreichische Organe der Weisungsbefugnis der Organe
fremder Staaten oder zwischenstaatlicher Einrichtungen oder diese der
Weisungsbefugnis österreichischer Organe unterstellt werden.][3]
2. Art 50
Abs 2a[4]
hat zu lauten:
Die Genehmigung nach Absatz 1 ist
nicht in einem Verfahren erforderlich, das in einem gesetzesändernden oder
gesetzesergänzenden Staatsvertrag zur Abänderung oder Ergänzung dieses
Vertrages vorgesehen ist.
3. Im Artikel 50 Absatz 3 sind die
Worte "und, wenn durch den Staatsvertrag Verfassungsrecht geändert oder ergänzt
wird, Artikel 44 Absatz 1 und 2" sowie der zweite Halbsatz zu streichen.
1981 wurde
Art 9 Abs 2 B-VG eingeführt, um die Fülle von Verfassungsbestimmungen in
Staatsverträgen zu reduzieren. Der Versuch ist nur teilweise gelungen. Nach wie
vor findet sich eine Fülle von Verfassungsbestimmungen in Staatsverträgen.
1. Das
Hauptproblem: Hoheitsrecht der Länder
Der
Hauptmangel des Art 9 Abs 2 B-VG besteht unter diesem Aspekt in seiner
Beschränkung auf "Hoheitsrechte des Bundes", die erst in den
Ausschussberatungen des NR eingefügt wurde. Sie ist systemwidrig: Der Bund ist
zum Abschluss von Staatsverträgen ohne kompentenzrechtliche Beschränkungen
berechtigt (Art 10 Abs 1 Z 2 B‑VG). Es wäre dann nur konsequent, auch die
Übertragung einzelner (!) hoheitlicher Befugnisse auf internationale
Einrichtungen durch Staatsverträge nicht an die bundesstaatliche
Kompetenzverteilung zu binden. Zum einen ist dies heute eine weitverbreitete
Praxis des Völkerrechts, zum anderen kann dies nur dem Bund obliegen, weil die
Länder keine allgemeine völkerrechtliche Vertragsschließungskompetenz haben.
Die Interessen der Länder, dass der Bund auf diese oder andere Weise durch
Staatsverträge in ihre (Gesetzgebungs-)Kompetenz eingreift, müsste durch andere
Instrumente – wie das auch auf Staatsverträge anzuwendende Zustimmungsrecht des
Bundesrates gemäß Art 44 Abs 2 B-VG – gewahrt werden.
Um
Verfassungsbestimmungen in Staatsverträgen in Zukunft vermeiden zu können,
müsste also die Beschränkung auf Hoheitsrechte des Bundes beseitigt
werden.
2.
Weitere Probleme der Praxis seit 1981
a. Art 9 Abs 2 B-VG sieht nur eine
Übertragung von Hoheitsrechten auf "zwischenstaatliche Einrichtungen und
ihre Organe" vor. Vereinzelt kommt es in neuerer Zeit auch zu dem
Bedürfnis, Hoheitsrechte auf Organe eines anderen Staates zu übertragen
(zB die Ausstellung kurzfristiger Visas; hierher gehört auch das Problem der
einem anderen Staat zuzurechnenden Einräumung polizeilicher Befugnisse privater
Organe, zB in Luftfahrzeugen). Dies ist durch den Wortlaut des geltenden Art 9
Abs 2 B-VG nicht gedeckt und sollte durch eine Erweiterung des ersten
Tatbestandes ermöglicht werden. Eine explizite verfassungsrechtliche
Ermächtigung, dass auch österreichische Organe gleichartige Befugnisse für
fremde Staaten auf der Grundlage eines formellen (österreichischen) Gesetzes
oder gesetzändernden Staatsvertrages ausüben können, erscheint dagegen nicht
erforderlich.
b. Art 9 Abs 2 B-VG sieht ferner nur
die Tätigkeit von Organen fremder Staaten im Inland vor, nicht aber auch die Tätigkeit
von Organen zwischenstaatlicher Einrichtungen. Es wird vorgeschlagen, Art 9
Abs 2 B-VG in diesem Sinn zu erweitern.
c. Bei der Tätigkeit österreichischer
Organe im Ausland stellt sich das Problem der – im Text des Art 9 Abs 2 nicht
explizit vorgesehenen – Unterstellung unter die Weisungsgewalt ausländischer
Organe. Umgekehrt werden auch ausländische Organe österreichischer
Hoheit unterstellt. Derartige Regelungen finden sich vor allem in
bilateralen Katastrophenhilfeabkommen. Die bisherige Praxis geht in solchen
Fällen davon aus, dass dies durch Verfassungsbestimmungen
"abgesichert" werden müsse. Es kann allerdings auch mit guten Gründen
und in Übereinstimmung mit dem Schrifttum (Novak/Wieser, Zur
Neukodifikation des österreichischen Bundesverfassungsrechts, 1994, 177 f; Öhlinger,
Art 9 Abs 2 B-VG, in Korinek/Holoubek, Bundesverfassungsrecht, Rz 10) die
These vertreten werden, dass die Einräumung einer derartigen Befugnis bzw
Bindung schon in der Ermächtigung zur Übertragung von Hoheitsrechten
inkludiert ist. Insofern wäre der zweite Satz in der hier vorgeschlagenen
Fassung des Art 9 Abs 2 B-VG überflüssig und würde eine entsprechende Klarstellung
in den EB ausreichen. Daher wurde die entsprechende Ergänzung des Art 9 Abs
2 B-VG in Klammern gesetzt.
d. Keine praktische normative Bedeutung
kommt der Formel "im Rahmen des Völkerrechts" zu. Diese Worte können
gestrichen werden.
e. Angemerkt sei, dass aus dem
geltenden und dem neu vorgeschlagenen Text des Art 9 Abs 2 B-VG nicht zwingend
hervorgeht, dass Österreich Mitglied jener zwischenstaatlichen Organisation
sein muss, der einzelne hoheitliche Aufgaben übertragen werden können. Insofern
wäre auch eine Übertragung auf eine solche Organisation verfassungsrechtlich
nicht ausgeschlossen.
f. In Übereinstimmung mit der Lehre
(vgl Novak/Wieser, aaO, 174 f) ist davon auszugehen, dass auch
sogenannte "Zuwarte- und Bedachtnahmeregeln" – die
Vertragsparteien verpflichten sich, Entwürfe technischer Vorschriften einer
zwischenstaatlichen Einrichtung bekannt zu geben und ab dem Zeitpunkt dieser
Notifikation eine vertraglich vereinbarte Stillhaltezeit einzuräumen –, schon
auf Grund eines aus Art 9 Abs 2 B-VG ableitbaren Größenschlusses nicht als
verfassungsändernd anzusehen sind. Es handelt sich dabei um eine
geringfügigere Beschränkung der staatlichen Rechtsetzungsbefugnisse als es die
"Übertragung" solcher Befugnisse auf eine zwischenstaatliche
Einrichtung darstellen würde. Es ist zwar richtig, dass der eine solche
Vertragsbestimmung genehmigende Gesetzgeber nicht sich selbst für die Zukunft
binden kann; der Gesetzgeber ist aber auch nicht daran gehindert, im Einklang
mit einer solchen Vertragsbestimmung zu handeln und eine Völkerrechtsverletzung
zu vermeiden, auch wenn diese nicht zugleich eine Verfassungsverletzung bildet.
3.
Vereinfachte Vertragsänderungsverfahren
Ein
spezielles Problem bilden die in multilateralen Staatsverträgen häufig
vorgesehenen Regelungen über eine künftige vereinfachte Abänderung (Ergänzung)
von Textteilen (Anhängen, Annexen) eines solchen Vertrages. Die (neuere) Praxis
versteht richtig die Befugnis einer Staatenmehrheit zur künftigen Abänderung
(von Teilen) des jeweiligen Vertrages als eine Übertragung von Hoheitsrechten
auf eine zwischenstaatliche Einrichtung iSd Art 9 Abs 2 B-VG und verlangt daher
für solche Regelungen nicht den Verfassungsrang. Anders verhält es sich, wenn
ein solcher Beschluss nur unter Mitwirkung Österreichs zustande kommen kann:
Dafür wird in der Praxis eine Verfassungsbestimmung als erforderlich erachtet
(vgl etwa die EB zu Art 8 des Abkommens von Locarno zur Errichtung einer
Internationalen Klassifikation für gewerbliche Muster und Modelle BGBl
1990/496, 1189 Blg Nr XVII. GP).
Dieser im
Lichte des Art 9 Abs 2 B-VG offensichtliche Widersinn findet seine Erklärung
darin, dass es hier nicht eigentlich um das Problem einer Übertragung von
Hoheitsrechten geht, sondern um die Frage nach den Organen, die auf
österreichischer Seite in einem solchen Vertragsänderungsverfahren mitzuwirken
haben: Muss der österreichische Willensakt (Zustimmung, Ablehnung) dem
Nationalrat gemäß Art 50 B-VG zur Genehmigung unterbreitet werden? Die Fristen,
innerhalb der derartige Erklärungen regelmäßig abzugeben sind, oder auch
sonstige Verfahrensmodalitäten machen eine Einschaltung des Bundesparlaments
praktisch kaum möglich. Andererseits geht es aber um die Abänderung eines vom
Bundesparlament genehmigten und daher auf Gesetzesstufe stehenden
Staatsvertrags, die daher nach österreichischem Rechtsverständnis ihrerseits als
gesetzändernd zu qualifizieren ist. Die Praxis nimmt an, dass die Hebung
derartiger Klauseln in den Verfassungsrang von der künftigen Beteiligung des
Nationalrats und Bundesrats dispensiert. Dies kommt zwar oft gar nicht im Text
solcher Klauseln selbst zum Ausdruck, entspricht aber dem Sinn solcher
Klauseln.
Die
generelle Lösung dieses Problems kann nicht bei Art 9 Abs 2 B-VG, sondern muss
bei Art 50 B-VG ansetzen.
3. Die
Zukunft verfassungsändernder Staatverträge
Ziel dieser
Vorschläge ist es, in Zukunft Verfassungsbestimmungen in Staatsverträgen zur
Gänze zu vermeiden. Durch solche Verfassungsbestimmungen wird kein Problem
gelöst, das allenfalls in der Abgabe von Hoheitsrechten und anderen
Beschränkungen der nationalen Souveränität gesehen werden könnte. Solche
Probleme sind vielmehr in den Verhandlungen über den jeweiligen
("souveränitätsbeschränkenden") Staatsvertrag zu berücksichtigen. Die
Bundesverfassung sollte aber für solche Verhandlungen einen sinnvollen
Spielraum im Rahmen des international Üblichen vorgeben.
Sollte in
Zukunft eine staatvertraglich Regelung mit dem Bundesverfassungsrecht nicht
kompatibel sein, so wäre vorweg oder spätestens bei Abschluss des Vertrages der
Text der Bundesverfassung so zu ändern, dass diese Kompatibilität hergestellt
wird. Um dies an einem Beispiel zu illustrieren: Enthält ein Staatsvertrag eine
die Immunität von Abgeordneten einschränkende Bestimmung (vgl zB Art 27 des
Statuts über den Internationalen Strafgerichtshof BGBl III 2002/180), so wäre
die dem entgegenstehende bundesverfassungsgesetzliche Regelung (heute: Art 57
B-VG) entsprechend zu adaptieren (etwa durch einen Vorbehalt wie:
"unbeschadet völkerrechtlicher Regelungen"). Die Vereinbarkeit einer
staatsvertraglichen Regelung mit der Bundesverfassung unterliegt der Kontrolle
des VfGH nach Art 140a B-VG. (Daran sollte nichts geändert werden.) Stellt der
VfGH eine solche Unvereinbarkeit nachträglich fest, so hat er die unmittelbare
Anwendung dieses Vertrages, allenfalls unter Setzung einer aufschiebenden Frist
bis zu zwei Jahren, zu suspendieren. In dieser Zeit wäre entweder der
Staatsvertrag nach völkerrechtlichen Regeln zu kündigen oder die
Bundesverfassung entsprechend zu ändern.
Angemerkt
sei allerdings, dass der Ausschuss 2 vorerst die Frage des Verfassungsrangs der
Staatsverträge mit grundrechtlichem Gehalt – zB die EMRK – nicht
behandelt hat. Diesbezüglich wäre die Beratung mit dem Ausschuss 4 zu
koordinieren.
Was grenzändernde
Staatsverträge betrifft, wird auf die vorgeschlagene Neufassung der Art 2
und 3 B-VG verwiesen.
[1] Dieser im
geltenden Art 9 Abs 2 B-VG enthaltene Verweis wäre selbstverständlich in einer
künftigen Neufassung des gesamten B-VG entsprechend zu adaptieren.
[2] Der Hinweis
auf die Organe solcher Einrichtungen im geltenden Art 9 Abs 2 B-VG kann als
überflüssig entfallen. Ein Hoheitsrecht ist immer der juristischen Person
zuzurechnen.
[3] Zur Klammer siehe die Erläuterungen (2.c.).
[4] Diese
Nummerierung ist selbstverständlich nur als vorläufig anzusehen und soll die
Ergänzung des geltenden Art 50 B-VG hervorheben.