1. Der Grundrechtsartikel bezieht sich auf
die Rechtsstellung der sprachlichen und ethnischen Minderheiten (Volksgruppen)
und ihrer Angehörigen in Österreich. Unter „Volksgruppen“ werden die bei
Wiederherstellung der Republik Österreich 1945 in Teilen des Bundesgebietes
beheimateten, also autochthonen Volksgruppen verstanden. Der Artikel
konzentriert sich auf die Kodifikation und vorsichtige Weiterentwicklung der
verfassungsrechtlichen Volksgruppenrechte im Bereich der Sprache, der Erziehung
und Kultur; es handelt sich dabei um einen auf verschiedene Vorschriften
zersplitterten Rechtsbestand, der Grundrechtscharakter aufweist (Art 19
StGG [Geltung strittig], Art 66 - 68 StV v St. Germain und Art 7
Z 2-4 StV v Wien, Art I lit b § 7 MindSchG f Ktn
[Verfassungsbestimmung] und § 1 MindSchG f Bgld [Verfassungsbestimmung].
Es wird in den Erläuterungen zu den einzelnen Absätzen jeweils darauf
hingewiesen, ob es sich um eine bloße Kodifikation des bestehenden
Rechtsbestandes handelt, oder ob eine gewisse Weiterentwicklung vorgeschlagen
wird.
2. Die Vorschriften, die besondere
Diskriminierungsverbote gegen Benachteiligungen insbesondere aufgrund der
Rasse, der Sprache und der Zugehörigkeit zu einer nationalen Minderheit
aufstellen, und eine Gleichbehandlung der Minderheitsangehörigen in rechtlicher
und faktischer Hinsicht anordnen (vgl Art 67 StV v St. Germain und
Art 7 Z 4 StV v Wien; vgl weiters Art 63 Abs 1, Art 66
Abs 1 StV v St. Germain, Art 14 EMRK, Art I Abs 1
BVGRassDiskr und auf einfachgesetzlicher Ebene Art 6 und Art 7
Z 1 und Z 5 StV v Wien), stellen sich als spezifische Ausprägungen
des Gleichheitssatzes dar und sollten systematisch bei jenem Grundrechtsartikel
eingebaut werden, der den Gleichheitssatz regelt. Sie wurden im vorliegenden
Artikel daher nicht aufgenommen.
3. Die großteils minderheitenfreundliche
Rechtsprechung des VfGH - insbesondere zu den Vorschriften des StV v Wien zum
Schulwesen, zur Amtssprache und zur zweisprachigen Topographie - soll weiter
relevant bleiben; sie wurde inhaltlich berücksichtigt und soweit möglich auch
sprachlich im Text des Vorschlages angedeutet.
4. Das unterschiedliche Schutzniveau der
Volksgruppen wird orientiert an dem - derzeit nur für die Angehörigen der
kroatischen und slowenischen Minderheiten geltenden – Standard des Art 7
StV v Wien vereinheitlicht; der Textvorschlag berücksichtigt aber die
tatsächlichen Gegebenheiten, die durch die unterschiedliche Größe der
Volksgruppen bedingt sind: Es wird etwa die zusätzliche Amtssprache nur in
einem gemischtsprachigen Gebiet im Sinne der Rechtsprechung des VfGH
eingeräumt, sodass diese Garantie für sehr kleine Volksgruppen nicht in Frage
kommen wird.
5. Eine Weiterentwicklung der geltenden
Rechtslage wird - in Anknüpfung an einen früheren Vorschlag von o. Univ.-Prof. Dr.
Theo Öhlinger[1] - in die
Richtung vorgenommen, dass nicht nur verfassungsgesetzlich gewährleistete
Rechte (Grundrechte) der einzelnen Volksgruppenangehörigen, sondern auch Rechte
der Volksgruppe formuliert werden. Im Einzelnen sollen Bestimmungen, die bisher
schon auf den Schutz der Volksgruppe als solche abgestellt haben, aber nicht
durchsetzbar waren, weil die Volksgruppe nur als soziale Einheit und nicht als
juristische Person anerkannt ist, durchsetzbar gestaltet werden: Es werden den
in Abs 6 genannten Vertretungskörpern und repräsentativen
Vereinigungen der Volksgruppen Parteirechte zur Geltendmachung dieser
Schutzvorschriften eingeräumt. Diese Weiterentwicklung kann sich auf
Art 19 StGG und die dazu ergangene Judikatur des Reichsgerichtes stützen.
Sie entspricht im Übrigen der Einsicht, dass ein rein individualrechtlicher
Schutz nicht ausreichend ist, um den Bestand der Gruppe als solche zu
gewährleisten.
Nach geltendem Recht werden die fördernden
Minderheitenrechte im StV v St. Germain und im StV v Wien nur als
individuelle Rechte der Volksgruppenangehörigen betrachtet; Vorschriften, die
auf die Volksgruppe als solche abstellen, werden als Verpflichtungen des
Staates nach objektivem Recht angesehen, die nicht von der Volksgruppe
durchgesetzt werden können. Die im Jahre 2000 beschlossene Staatszielbestimmung
bezieht sich - wie etwa § 1 VolksgruppenG (VGG) auf einfachgesetzlicher
Ebene – zwar ausdrücklich auf den Schutz und die Förderung der „autochthonen
Volksgruppen“, ohne freilich subjektive Rechte einzuräumen.
6. Eine Klarstellung erfolgt insofern, als
angeordnet wird, dass die für die Befriedigung der fördernden Rechte der
Volksgruppenangehörigen geschaffenen Einrichtungen grundsätzlich von allen
Personen in Anspruch genommen werden können (zB zusätzliche Amtssprache
beschränkt auf gemischsprachige Gebiete; Schulwesen beschränkt auf die
eingerichteten Schulen); es wird also ein Diskriminierungsverbot aufgestellt.
Dies entspricht im Wesentlichen der bereits geltenden einfachgesetzlichen
Rechtslage.
7. Art 8 Abs 1 BVG, der die
deutsche Sprache als Staatssprache festlegt und einen Vorbehalt betreffend der
bundesgesetzlich eingeräumten Rechte der sprachlichen Minderheiten enthält,
sowie die erwähnte Staatszielbestimmung des Art 8 Abs 2 B‑VG bleiben
von diesem Entwurf unberührt. Wegen des unterschiedlichen Regelungsgehaltes
erschien ein Einbau in den Grundrechtsartikel nicht zweckmäßig.
8. Art 7 StV v Wien sollte schon wegen
der Stellung als geltende Bestimmung eines völkerrechtlichen Vertrages
unberührt bleiben; der in Art 7 Z 2 und Z 3 StV v Wien
enthaltene Regelungsgehalt betreffend das Minderheitenschulwesen, die
zusätzliche Amtssprache und die zweisprachige Topographie wurde in den
Vorschlag eingebaut; damit wird auch der Problematik eines allfälligen
künftigen Geltungsverlustes des StV v Wien auf völkerrechtlicher Ebene, die
innerstaatlich durchschlagen würde, vorgebeugt. Art 7 Z 4 sollte als
spezifische Ausprägung des Gleichheitssatzes betreffend den Schutz der
Minderheiten bei der Formulierung des Grundrechtsartikels einfließen, der einen
Gleichheitssatz enthält (siehe dazu bereits oben unter 2.).
9. Art 66 - 68 StV v Wien wurden in
den Vorschlag eingebaut; ausgenommen wurden Art 66 Abs 1 und
Art 67, die als besondere Ausprägungen des Gleichheitssatzes betreffend
den Schutz der Minderheiten bei dem Grundrechtsartikel, der einen
Gleichheitssatz aufstellt, noch berücksichtigt werden sollten (siehe dazu
bereits oben unter 2.). Art 66 Abs 2 betrifft nicht unmittelbar den
verfassungsrechtlichen Volksgruppenschutz, sondern verbietet Diskriminierungen
aufgrund der Religion bei der Ausübung politischer Rechte und betont das Recht
auf gleichen Zugang zu öffentlichen Ämtern unabhängig von der Religion und
sollte im entsprechenden Zusammenhang berücksichtigt werden.
10. Art 19 StGG wurde in den Vorschlag
eingebaut und könnte daher entfallen; Art 19 StGG wurde bisher nicht
formell aufgehoben, seine Geltung ist aber strittig.
Zu Abs 1:
1. Satz 1 sieht ein Freiheitsrecht
vor, das jeden Menschen vor staatlichen Eingriffen in die Pflege seiner Sprache
und Kultur im privaten Bereich schützt; die deutsche Sprache als Staatssprache
(Art 8 Abs 1 B-VG) bleibt davon unberührt. Dieses Recht orientiert
sich an Art 19 Abs 1 StGG (Recht auf Wahrung und Pflege der
Nationalität und Sprache) und erweitert es auf alle Menschen; der in der
Monarchie gebräuchliche Begriff der „Nationalität“, der im Sinne von
„kultureller Volkszugehörigkeit“ verstanden wurde, wurde durch den Begriff
„Kultur“ ersetzt. Betreffend die Sprache ist dieses Recht in Art 66
Abs 3 StV v St. Germain, allerdings beschränkt auf österreichische Staatsangehörige,
ausdrücklich vorgesehen. Satz 1 berücksichtigt auch Art 22 der
EU-Grundrechtecharta.
2. Satz 2 definiert die
„Volksgruppen“ im Sinne von traditionell beheimateten Gruppen mit
nichtdeutscher Muttersprache und eigenem Volkstum. Mit der Bezugnahme auf den
Zeitpunkt der Wiederherstellung der Republik Österreich 1945 wird die gegenüber
Neuzuwanderern verschiedene Problemstellung der autochthonen Volksgruppen berücksichtigt und gleichzeitig der Ansatzpunkt
für die Erfassung der „autochthonen Siedlungsgebiete“ bzw. der „traditionell
gemischtsprachigen Gebiete“ gegeben. Die Legaldefinition der Volksgruppen in
der Bundes-Verfassung selbst soll einer Einengung des Kreises der Begünstigten
der Schutznorm durch den einfachen Gesetzgeber vorbeugen.
3. Satz 3 liegt die Einsicht zu Grunde,
dass Volksgruppen und ihre Angehörigen einer besonderen Förderung zum Erhalt
ihres Bestandes, ihrer Sprache und Kultur bedürfen. Die Bestimmung stellt klar,
dass besondere Förderungsmaßnahmen nicht gegen den Gleichheitssatz verstoßen
und berücksichtigt darüber hinaus die Rechtsprechung des VfGH, in der die
einschlägigen Verfassungsvorschriften als eine „Wertenscheidung des
Verfassungsgesetzgebers zu Gunsten des Minderheitenschutzes“ gedeutet wurden
(VfSlg 9224/1981): Danach kann eine mehr oder minder schematische
Gleichstellung von Angehörigen der Minderheiten mit Angehörigen anderer
gesellschaftlicher Gruppen der verfassungsgesetzlichen Wertentscheidung nicht
immer genügen; je nach dem Regelungsgegenstand kann es der Schutz von
Angehörigen einer Minderheit gegenüber Angehörigen anderer gesellschaftlicher
Gruppen sachlich rechtfertigen oder sogar erfordern, die Minderheit in gewissen
Belangen zu bevorzugen. Die fördernden Rechte werden in den Abs 2 bis 4
konkretisiert.
4. Nach Satz 4 ist für die Zurechnung
des Einzelnen zu einer Minderheit oder Volksgruppe das freie Bekenntnis des
Betreffenden maßgeblich. Bisher war die Bekenntnisfreiheit (Bekenntnisprinzip)
einfachgesetzlich in § 1 Abs 3 VGG verankert; die ständige
Rechtsprechung des VfGH geht aber davon aus, dass die Bekenntnisfreiheit
verfassungsrechtlich geboten und die Zugehörigkeit zu einer Minderheit nicht
nachgewiesen werden muss, was unter Umständen gerade zu Diskriminierungen
führen könnte (zB VfSlg 11.585/1987).
5. Nach Satz 5 wird ein besonderes
Diskriminierungsverbot festgelegt, das sich auf die Ausübung von Rechten
bezieht, die den Volksgruppenangehörigen in diesem Artikel und anderen
Vorschriften eingeräumt werden; die Formulierung orientiert sich an der
einfachgesetzlichen Vorschrift des § 1 Abs 3 VGG.
Zu Abs 2 (Schul- und
Erziehungswesen):
1. Satz 1 geht von
Art 7 Z 2 StV v Wien aus, aber ohne diesen auf die kroatischen
und slowenischen Minderheiten zu beschränken. Damit werden die anderen
Volksgruppen und ihre Angehörigen im Bereich des Schulwesens von den
Mindestgarantien des Art 68 Abs 1 StV v St. Germain auf den
weitergehenden Schutz des Art 7 Z 2 StV v Wien angehoben. Die
Differenzierung zwischen dem autochthonen Siedlungsgebiet einer
Volksgruppe und dem übrigen Gebiet orientiert sich an der Judikatur des VfGH zu
Art 7 Z 2 StV v Wien (vgl. VfSlg 12.245/1989, wo der VfGH von
einer intensiven Garantie im „autochthonen Siedlungsgebiet“ und von einer vom
nachhaltigen, lokalen Bedarf abhängigen Garantie im gesamten Land Kärnten
ausging); die Schulstandorte im Siedlungsgebiet sind derzeit für die
slowenische Volksgruppe in Art I § 7 MindSchG f Ktn
(Verfassungsbestimmung) iVm § 10 Abs 1 MindSchG f Ktn
(Grundsatzbestimmung) und für die kroatische und ungarische Volksgruppe im
§ 1 Abs 1 MindSchG f Bgld (Verfassungsbestimmung) iVm § 6
Abs 2 MindSchG f Bgld (Grundsatzbestimmung) näher festgelegt. Der
Schulunterricht in der Volksschule hat sich auf alle 4 Schulstufen zu beziehen
(VfSlg 15759/2000; der VfGH ist in diesem Erkenntnis davon ausgegangen, dass
unter „Elementarunterricht“ der Unterricht in der Volksschule, und unter
„Mittelschulen“ der Unterricht der 10- bis 14-Jährigen zu verstehen sei). Mit
dem Ausdruck „Pflichtschulunterricht“ (statt „Elementarunterricht“ in Art 7 Z 2
StV v Wien) soll klargestellt werden, dass sich der Anspruch auch auf den
Unterricht in den Hauptschulen bezieht. Die Verfassungsbestimmungen des
§ 7 Minderheiten-Schulgesetz für Kärnten (MindSchG f Ktn) und die Verfassungsbestimmung des § 1
Minderheiten-Schulgesetz für Burgenland (MindSchG f Bgld), die den Anspruch auf
Schulunterricht in slowenischer bzw. in kroatischer und ungarischer Sprache
näher konkretisieren und das Recht auf freiwillige Teilnahme des Schülers (nach
dem Willen der Eltern) festschreiben, sollen – wegen ihres engen Zusammenhangs
mit den einfachgesetzlichen Regelungen des MindSchG f Ktn und des MindSchG f
Bgld - nicht berührt werden. Eine Erweiterung des individuellen Schutzes
erfolgt im Bereich des Erziehungswesens insofern als auch ein Anspruch auf
Kindergartenerziehung eingeräumt wird. Die Individualrechte der Angehörigen der
Volksgruppe (Schüler) beziehen sich auf die Erteilung des Unterrichts in den
Volksgruppensprachen. Der Anspruch der Volksgruppe bezieht sich auf die
Errichtung der entsprechenden Schulen und die Bereitstellung von Lehrern und
sonstiger Infrastruktur; dies gilt sinngemäß für die Kindergartenerziehung.
2. Satz 2 geht von Art 7 Z 2
StV v Wien aus, ersetzt aber den Ausdruck „Mittelschulen“ mit dem Begriff
„höhere Schulen“ und dehnt den Anspruch auf alle Volksgruppen aus; eine
Einschränkung auf „allgemeinbildende“ höhere Schulen erschien nicht zweckmäßig,
da bereits derzeit in Kärnten neben dem Bundesgymnasium für Slowenen auch eine
zweisprachige Handelsakademie, also eine „berufsbildende“ höhere Schule,
besteht. Die Einschränkung auf eine „verhältnismäßige Anzahl“ bedeutet, dass
auf den tatsächlichen Bedarf nach solchen Schulen Rücksicht zu nehmen ist;
Indikatoren für einen Bedarf werden etwa die Zahl der Absolventen der
Volkschulen und die Zahl der Anmeldungen sein. Die für Angehörige von
Volksgruppen vorgesehenen Schulen sind im Übrigen als öffentliche Schulen
allgemein zugänglich (vgl Art 14 Abs 7 B‑VG). Die Einrichtung einer
eigenen Schulaufsicht für den Unterricht in kroatischer und slowenischer
Sprache ist bisher nach Art 7 Z 2 StV v Wien vorgesehen.
3. Satz 3 sieht insofern eine
Ergänzung der geltenden Rechtslage vor, als das nicht unmittelbar anwendbare
Gebot des Art 68 Abs 2 StV v St. Germain, den Minderheiten einen
angemessenen Anteil aus öffentlichen Mitteln für Erziehungszwecke zuzuweisen,
in einen konkreten Anspruch auf Förderung weiterentwickelt wird (wie er etwa
nach § 17 Privatschulgesetz den gesetzlich anerkannten Kirchen und
Religionsgesellschaften für die Subventionierung von konfessionellen
Privatschulen mit Öffentlichkeitsrecht eingeräumt wird). Der Anspruch der
Volksgruppe auf angemessene (finanzielle) Förderung von privaten Kindergärten
und privaten Schulen der Volksgruppe soll dass öffentliche Angebot ergänzen und
der Volksgruppe und ihren Angehörigen die Möglichkeit geben, auf spezifische
Bedürfnisse reagieren zu können.
Zu Abs 3 (Amtssprache und
Topographie):
1. Satz 1 orientiert sich an
Art 7 Z 3 erster Satz StV v Wien, der schon bisher nach ständiger
Rechtsprechung des VfGH (vgl insb VfSlg 11585/1987 und früher insb VfSlg
9744/1983, 9752/1983, 9801/1983) den Angehörigen der kroatischen und
slowenischen Minderheiten einen verfassungsgesetzlich gewährleisteten Anspruch
auf Gebrauch ihrer Sprache als zusätzliche Amtssprache in Verwaltungs- und
Gerichtsbezirken Kärntens, der Steiermark und Burgenland eingeräumt hat; mit
dem Gebrauch des Ausdrucks „traditionell gemischtsprachiges
Gebiet“ soll die jüngste Rechtsprechung des VfGH berücksichtigt werden, die
diese Bestimmung im Verkehr mit Verwaltungsbehörden nicht nur auf politische
Bezirke bezieht, sondern auch auf Gemeinden, mit einem – auf einen
längeren Zeitraum betrachtet - durchschnittlichen Anteil von etwa 10%
der Minderheitsbevölkerung an der Wohnbevölkerung, wobei auf
Volkszählungsergebnisse abgestellt wird (vgl näher VfSlg 15970/2000). Bei
Vorliegen eines „traditionell gemischtsprachigen Gebietes“ wird
der Anspruch auf Verwendung der jeweiligen Volksgruppensprache auf alle
Volksgruppen und ihre Angehörigen ausgedehnt. Der Anspruch auf Verwendung der
Volksgruppensprache „im öffentlichen Leben“ (vgl Art 19 Abs 2 StGG)
bedeutet im Hinblick auf Art 7 Z 3 erster Satz StV v Wien eine
gewisse Weiterentwicklung: Es soll über die Amtssprache in Gerichtsbarkeit und
Hoheitsverwaltung hinaus insbesondere auch der Verkehr im Bereich der
Privatwirtschaftsverwaltung und der Verkehr mit Kammern im Bereich der
Interessenvertretung (vgl VfSlg 13.998/1994: keine Anwendung des
Art 7 Z 3 erster Satz StV v Wien auf „Serviceleistungen“ der
Kammern) erfasst werden und etwa auch die Verwendung der Volksgruppensprache in
allgemeinen Vertretungskörpern der Gemeinden (Gemeinderäten). Die
Mindestgarantie der „angemessenen Erleichterungen“ beruht auf Art 66
Abs 4 StV v St. Germain, wurde aber auch auf Verwaltungsbehörden
ausgedehnt.
2. Satz 2 sieht eine gewisse
Weiterentwicklung dadurch vor, dass sich im gemischtsprachigen Gebiet jede
Person der dort zugelassenen zusätzlichen Amtssprache bedienen kann. In den
Durchführungsbestimmungen (§§ 13 ff VGG in Verbindung mit den
Amtssprachenverordnungen) ist ein einfachgesetzlicher Anspruch auf Verwendung
der Amtssprache bereits derzeit allen Staatsbürgern eingeräumt; für EU-Bürger
ist die Zulässigkeit des Zugangs zu einem im Mitgliedsstaat vorgesehenen
zusätzlichen Amtssprachenregime unter bestimmten Voraussetzungen auch
gemeinschaftsrechtlich geboten (vgl insb EuGH, C-274/96, Bickel und Franz, Slg
1988, I-7637; vgl auch § 1 der ungarischen AmtssprachenV, BGBl II
2000/229, wo der Anspruch auf alle EWR-Bürger ausgedehnt wird). Der
individuelle Anspruch der Angehörigen der Volksgruppe wird durch einen – bisher
nicht eingeräumten - Anspruch der Volksgruppe ergänzt. Dieser bezieht sich auf
die Schaffung der notwendigen Voraussetzungen (zB sprachkundige Organe oder
Dolmetscher, Formulare in den Volksgruppensprachen) um den Gebrauch der
Volksgruppensprache als zusätzliche Amtssprache mit Verwaltungsbehörden und
Gerichten zu gewährleisten.
3. Satz 3 geht von Art 7 Z 3
zweiter Satz StV v Wien aus und räumt der Volksgruppe einen Anspruch auf
zweisprachige topographische Aufschriften und Bezeichnungen ein; es erfolgt
insofern eine Weiterentwicklung, als es sich dabei nach geltendem Recht um eine
objektive Verpflichtung zum Schutz der Gruppe handelt, die als solche nicht
durchgesetzt werden kann. Das Abstellen auf ein „traditionell gemischtsprachiges
Gebiet“ soll die Rechtsprechung des VfGH zu Art 7 Z 3 zweiter
Satz StV v Wien berücksichtigen, in der dieser nicht nur bei einem politischen
Bezirk, sondern auch bei einer Gemeinde und auch bei einer Ortschaft von einem
relevanten Gebiet ausgeht, wenn – auf einen längeren Zeitraum betrachtet
- der Anteil der Minderheitsangehörigen an der Wohnbevölkerung nach den
Volkszählungsergebnissen im Durchschnitt etwa 10% ausmacht (VfSlg 16404/2001).
Zu Abs 4:
Abs 4 beruht auf Art 68
Abs 2 StV v St. Germain und entwickelt diese Garantie insofern
weiter, als den Volksgruppen ein durchsetzbarer Anspruch auf finanzielle
Volksgruppenförderung gewährt wird. Eine Weiterentwicklung erfolgt
insofern, als dem in Art 7 Abs 1 StV v Wien verankerten Recht auf „Presse in
ihrer eigenen Sprache“ den Volksgruppen auch ein durchsetzbarer Anspruch auf
besondere Förderung der Medien in ihrer eigenen Sprache gewährt wird.
Zu Abs 5:
Die Normierung des Schutzes der
Volksgruppen auch durch kollektive Rechte, ihr durchsetzbarer Anspruch auf
finanzielle Förderung aus öffentlichen Budgets, begründet die Einrichtung der
Volksgruppen als Körperschaften öffentlichen Rechts und als Selbstverwaltungskörper.
Wegen der in Österreich gegebenen Streulage der Volksgruppen sind diese nach
dem Personalitätsprinzip auf der Grundlage der allgemeinen Wahlgrundsätze
(gleiches, unmittelbares, geheimes und persönliches Wahlrecht)einzurichten.
Weiters bietet diese Organisationsform
– in Weiterentwicklung des Rechts auf eigene Organisationen gemäß Art 7 Abs 1
StV v Wien – eine rechtlich und politisch relevante Möglichkeit der
Artikulierung des Willens der Volksgruppen bis hin zur dezentralen Besorgung
der eigenen Angelegenheiten. Von grundlegender Bedeutung ist dabei die
Legitimität der Selbstverwaltungskörper und ihrer Verantwortlichkeit gegenüber
den Angehörigen der Volksgruppen, aber auch gegenüber dem Staat.
Zu Abs 6:
Satz 1 entwickelt das
Rechtsschutzsystem insofern weiter, als den Vertretungskörpern und Vereinigungen
der Volksgruppen Parteistellung eingeräumt wird, um die auf die Volksgruppe
abstellenden Rechte, die in diesem Artikel eingeräumt werden, durchzusetzen.
Die Volksgruppenangehörigen können bereits nach geltendem Vereins- und
Parteienrecht Organisationen gründen, die ihrem rechtlichen Zweck nach der
Vertretung von volksgruppenspezifischen Interessen dienen; die Umschreibung der
berechtigten Vereinigungen orientiert sich an § 4 Abs 2 Z 2 VGG.
Auch diesen soll das Recht eingeräumt werden, die in diesem Artikel
festgelegten Rechte durchzusetzen.
Satz 2 stellt klar, dass die
Individualrechte der einzelnen Angehörigen der Volksgruppen unberührt bleiben,
und die Rechte der Volksgruppen nur ergänzend dazu eingeräumt werden.