1. Der
Grundrechtsartikel bezieht sich auf die Rechtsstellung der sprachlichen und
ethnischen Minderheiten (Volksgruppen) und ihrer Angehörigen in Österreich. Unter „Volksgruppen“ werden die „Volksgruppen“ iSd § 1 Abs 2
Volksgruppengesetz (VVG) verstanden (vgl Art 8 Abs 2 B-VG, der auch
diesen Volksgruppenbegriff verwendet). Der Artikel konzentriert sich auf die
Kodifikation und vorsichtige Weiterentwicklung der verfassungsrechtlichen
Volksgruppenrechte im Bereich der Sprache, der Erziehung und Kultur; es handelt
sich dabei um einen auf verschiedene Vorschriften zersplitterten Rechtsbestand,
der Grundrechtscharakter aufweist (Art 19 StGG [Geltung strittig],
Art 66 - 68 StV v St. Germain und Art 7 Z 2 - 4 StV v Wien,
Art I lit b § 7 MindSchG f Ktn [Verfassungsbestimmung] und
§ 1 MindSchG f Bgld [Verfassungsbestimmung]. Es wird in den Erläuterungen
zu den einzelnen Absätzen jeweils darauf hingewiesen, ob es sich um eine bloße
Kodifikation des bestehenden Rechtsbestandes handelt, oder ob eine gewisse
Weiterentwicklung vorgeschlagen wird.
2. Die
Vorschriften, die besondere Diskriminierungsverbote gegen Benachteiligungen
insbesondere aufgrund der Rasse, der Sprache und der Zugehörigkeit zu einer
nationalen Minderheit aufstellen, und eine Gleichbehandlung der
Minderheitsangehörigen in rechtlicher und faktischer Hinsicht anordnen (vgl
Art 67 StV v St. Germain und Art 7 Z 4 StV v Wien; vgl
weiters Art 63 Abs 1, Art 66 Abs 1 StV v St. Germain,
Art 14 EMRK, Art I Abs 1 BVGRassDiskr und auf
einfachgesetzlicher Ebene Art 6 und Art 7 Z 1 und Z 5 StV v
Wien), stellen sich als spezifische Ausprägungen des Gleichheitssatzes dar und
sollten systematisch bei jenem Grundrechtsartikel eingebaut werden, der den
Gleichheitssatz regelt. Sie wurden im vorliegenden Artikel daher nicht
aufgenommen.
3. Die
großteils minderheitenfreundliche Rechtsprechung des VfGH – insbesondere zu
den Vorschriften des StV v Wien zum Schulwesen, zur Amtssprache und zur
zweisprachigen Topographie – soll weiter relevant bleiben; sie wurde inhaltlich
berücksichtigt und soweit möglich auch sprachlich im Text des Vorschlages
angedeutet.
4. Das
unterschiedliche Schutzniveau der Volksgruppen wird orientiert an dem – derzeit
nur für die Angehörigen der kroatischen und slowenischen Minderheiten geltenden
– Standard des Art 7 StV v Wien vereinheitlicht; der Textvorschlag
berücksichtigt aber die tatsächlichen Gegebenheiten, die durch die
unterschiedliche Größe der Volksgruppen bedingt sind: Es wird etwa die
zusätzliche Amtssprache nur in einem gemischtsprachigen Gebiet im Sinne der
Rechtsprechung des VfGH eingeräumt, sodass diese Garantie für sehr kleine
Volksgruppen nicht in Frage kommen wird.
5. Eine Weiterentwicklung der geltenden Rechtslage wird – in Anknüpfung
an einen früheren Vorschlag von o. Univ.-Prof. Dr. Theo Öhlinger[1]
–
in die Richtung
vorgenommen, dass nicht nur verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte
(Grundrechte) der einzelnen Volksgruppenangehörigen, sondern auch Rechte der
Volksgruppe formuliert werden. Im Einzelnen sollen Bestimmungen, die bisher
schon auf den Schutz der Volksgruppe als solche abgestellt haben, aber nicht
durchsetzbar waren, weil die Volksgruppe nur als soziale Einheit und nicht als
juristische Person anerkannt ist, durchsetzbar gestaltet werden: Es werden den
in Abs 5 genannten repräsentativen Vereinigungen der Volksgruppen
Parteirechte zur Geltendmachung dieser Schutzvorschriften eingeräumt. Diese Weiterentwicklung kann sich auf Art 19 StGG und die dazu ergangene
Judikatur des Reichsgerichtes stützen. Sie entspricht im Übrigen der Einsicht, dass ein
rein individualrechtlicher Schutz nicht ausreichend ist, um den Bestand der
Gruppe als solche zu gewährleisten. Denkbar wäre auch die Geltendmachung durch – derzeit allerdings nicht
bestehende – eigene Vertretungskörper der Volksgruppen; der Text nimmt auf eine
etwaige künftige Entwicklung in diese Richtung Bezug.
Nach geltendem Recht werden die fördernden
Minderheitenrechte im StV v St. Germain und im StV v Wien nur als
individuelle Rechte der Volksgruppenangehörigen betrachtet; Vorschriften, die
auf die Volksgruppe als solche abstellen, werden als Verpflichtungen des
Staates nach objektivem Recht angesehen, die nicht von der Volksgruppe
durchgesetzt werden können. Die im Jahre 2000 beschlossene Staatszielbestimmung
bezieht sich – wie etwa § 1 VolksgruppenG (VGG) auf einfachgesetzlicher Ebene –
zwar ausdrücklich auf den Schutz und die Förderung der „autochthonen
Volksgruppen“, ohne freilich subjektive Rechte einzuräumen.
6. Eine
Klarstellung erfolgt insofern, als angeordnet wird, dass die für die
Befriedigung der fördernden Rechte der Volksgruppenangehörigen geschaffenen
Einrichtungen grundsätzlich von allen Personen in Anspruch genommen werden
können (zB zusätzliche Amtssprache beschränkt auf gemischsprachige Gebiete;
Schulwesen beschränkt auf die eingerichteten Schulen); es wird also ein
Diskriminierungsverbot aufgestellt. Dies entspricht im Wesentlichen der bereits
geltenden einfachgesetzlichen Rechtslage.
7. Art 8
Abs 1 BVG, der die deutsche Sprache als Staatssprache festlegt und einen
Vorbehalt betreffend der bundesgesetzlich eingeräumten Rechte der sprachlichen
Minderheiten enthält, sowie die erwähnte Staatszielbestimmung des Art 8
Abs 2 B‑VG bleiben von diesem Entwurf unberührt. Wegen des
unterschiedlichen Regelungsgehaltes erschien ein Einbau in den
Grundrechtsartikel nicht zweckmäßig.
8.
Art 7 StV v Wien sollte schon wegen der Stellung als geltende Bestimmung
eines völkerrechtlichen Vertrages unberührt bleiben; der in Art 7 Z 2
und Z 3 StV v Wien enthaltene Regelungsgehalt betreffend das
Minderheitenschulwesen, die zusätzliche Amtssprache und die zweisprachige
Topographie wurde in den Vorschlag eingebaut; damit wird auch der Problematik
eines allfälligen künftigen Geltungsverlustes des StV v Wien auf
völkerrechtlicher Ebene, die innerstaatlich durchschlagen würde, vorgebeugt.
Art 7 Z 4 sollte als spezifische Ausprägung des Gleichheitssatzes
betreffend den Schutz der Minderheiten bei der Formulierung des Grundrechtsartikels
einfließen, der einen Gleichheitssatz enthält (siehe dazu bereits oben unter
2.).
9.
Art 66 - 68 StV v Wien wurden in den Vorschlag eingebaut; ausgenommen
wurden Art 66 Abs 1 und Art 67, die als besondere Ausprägungen
des Gleichheitssatzes betreffend den Schutz der Minderheiten bei dem
Grundrechtsartikel, der einen Gleichheitssatz aufstellt, noch berücksichtigt
werden sollten (siehe dazu bereits oben unter 2.). Art 66 Abs 2
betrifft nicht unmittelbar den verfassungsrechtlichen Volksgruppenschutz,
sondern verbietet Diskriminierungen aufgrund der Religion bei der Ausübung
politischer Rechte und betont das Recht auf gleichen Zugang zu öffentlichen
Ämtern unabhängig von der Religion und sollte im entsprechenden Zusammenhang
berücksichtigt werden.
10.
Art 19 StGG wurde in den Vorschlag eingebaut und könnte daher entfallen;
Art 19 StGG wurde bisher nicht formell aufgehoben, seine Geltung ist aber
strittig.
Zu
Abs 1:
1.
Satz 1 sieht ein Freiheitsrecht vor, das jeden Menschen vor staatlichen
Eingriffen in die Pflege seiner Sprache und Kultur im privaten Bereich schützt;
die deutsche Sprache als Staatssprache (Art 8 Abs 1 B-VG) bleibt
davon unberührt. Dieses Recht orientiert sich an Art 19 Abs 1 StGG
(Recht auf Wahrung und Pflege der Nationalität und Sprache) und erweitert es
auf alle Menschen; der in der Monarchie gebräuchliche Begriff der
„Nationalität“, der im Sinne von „kultureller Volkszugehörigkeit“ verstanden
wurde, wurde durch den Begriff „Kultur“ ersetzt. Betreffend die Sprache ist
dieses Recht in Art 66 Abs 3 StV v St. Germain, allerdings
beschränkt auf österreichische Staatsangehörige, ausdrücklich vorgesehen.
Satz 1 berücksichtigt auch Art 22 der EU-Grundrechtecharta.
2. Satz 2 liegt die Einsicht zu Grunde, dass
Volksgruppen und ihre Angehörigen einer besonderen Förderung zum Erhalt ihres
Bestandes, ihrer Sprache und Kultur bedürfen. Die Bestimmung stellt klar, dass
besondere Förderungsmaßnahmen nicht gegen den Gleichheitssatz verstoßen und
berücksichtigt darüber hinaus die Rechtsprechung des VfGH, in der die
einschlägigen Verfassungsvorschriften als eine „Wertenscheidung des
Verfassungsgesetzgebers zu Gunsten des Minderheitenschutzes“ gedeutet wurden
(VfSlg 9224/1981): Danach kann eine mehr oder minder schematische
Gleichstellung von Angehörigen der Minderheiten mit Angehörigen anderer
gesellschaftlicher Gruppen der verfassungsgesetzlichen Wertentscheidung nicht
immer genügen; je nach dem Regelungsgegenstand kann es der Schutz von
Angehörigen einer Minderheit gegenüber Angehörigen anderer gesellschaftlicher
Gruppen sachlich rechtfertigen oder sogar erfordern, die Minderheit in gewissen
Belangen zu bevorzugen. Die fördernden Rechte werden in den Abs 2 bis 4
konkretisiert.
3. Nach Satz 3 ist für die Zurechnung des
Einzelnen zu einer Minderheit oder Volksgruppe das freie Bekenntnis des
Betreffenden maßgeblich. Bisher war die Bekenntnisfreiheit (Bekenntnisprinzip)
einfachgesetzlich in § 1 Abs 3 VGG verankert; die ständige
Rechtsprechung des VfGH geht aber davon aus, dass die Bekenntnisfreiheit
verfassungsrechtlich geboten und die Zugehörigkeit zu einer Minderheit nicht
nachgewiesen werden muss, was unter Umständen gerade zu Diskriminierungen
führen könnte (zB VfSlg 11.585/1987).
4. Nach Satz 4 wird ein besonderes
Diskriminierungsverbot festgelegt, das sich auf die Ausübung von Rechten
bezieht, die den Volksgruppenangehörigen in diesem Artikel und anderen
Vorschriften eingeräumt werden; die Formulierung orientiert sich an der einfachgesetzlichen
Vorschrift des § 1 Abs 3 VGG.
Zu
Abs 2 (Schul- und Erziehungswesen):
1.
Satz 1 geht von Art 7 Z 2 StV v Wien aus, aber ohne diesen
auf die kroatischen und slowenischen Minderheiten zu beschränken. Damit werden
die anderen Volksgruppen und ihre Angehörigen im Bereich des Schulwesens von
den Mindestgarantien des Art 68 Abs 1 StV v St. Germain auf den
weitergehenden Schutz des Art 7 Z 2 StV v Wien angehoben. Die
Differenzierung zwischen dem Siedlungsgebiet einer Volksgruppe und dem übrigen
Gebiet orientiert sich an der Judikatur des VfGH zu Art 7 Z 2
StV v Wien (vgl. VfSlg 12.245/1989, wo der VfGH von einer intensiven Garantie
im „autochthonen Siedlungsgebiet“ und von einer vom nachhaltigen, lokalen
Bedarf abhängigen Garantie im gesamten Land Kärnten ausging); die
Schulstandorte im Siedlungsgebiet sind derzeit für die slowenische Volksgruppe
in Art I § 7 MindSchG f Ktn (Verfassungsbestimmung) iVm § 10
Abs 1 MindSchG f Ktn (Grundsatzbestimmung) und für die kroatische und
ungarische Volksgruppe im § 1 Abs 1 MindSchG f Bgld
(Verfassungsbestimmung) iVm § 6 Abs 2 MindSchG f Bgld
(Grundsatzbestimmung) näher festgelegt. Der Schulunterricht in der Volksschule
hat sich auf alle 4 Schulstufen zu beziehen (VfSlg 15759/2000; der VfGH ist in
diesem Erkenntnis davon ausgegangen, dass unter „Elementarunterricht“ der
Unterricht in der Volksschule, und unter „Mittelschulen“ der Unterricht der 10-
bis 14-Jährigen zu verstehen sei). Mit dem Ausdruck „Pflichtschulunterricht“
(statt „Elementarunterricht“ in Art 7 Z 2 StV v Wien) soll
klargestellt werden, dass sich der Anspruch auch auf den Unterricht in den
Hauptschulen bezieht. Die Verfassungsbestimmungen des § 7
Minderheiten-Schulgesetz für Kärnten
(MindSchG f Ktn) und die Verfassungsbestimmung des § 1
Minderheiten-Schulgesetz für Burgenland (MindSchG f Bgld), die den Anspruch auf
Schulunterricht in slowenischer bzw. in kroatischer und ungarischer Sprache
näher konkretisieren und das Recht auf freiwillige Teilnahme des Schülers (nach
dem Willen der Eltern) festschreiben, sollen – wegen ihres engen Zusammenhangs
mit den einfachgesetzlichen Regelungen des MindSchG f Ktn und des MindSchG f
Bgld – nicht berührt werden. Eine Erweiterung des individuellen Schutzes
erfolgt im Bereich des Erziehungswesens insofern als auch ein Anspruch auf
Kindergartenerziehung eingeräumt wird. Die Individualrechte der Angehörigen der
Volksgruppe (Schüler) beziehen sich auf die Erteilung des Unterrichts in den
Volksgruppensprachen. Der Anspruch der Volksgruppe bezieht sich auf die
Errichtung der entsprechenden Schulen und die Bereitstellung von Lehrern und
sonstiger Infrastruktur; dies gilt sinngemäß für die Kindergartenerziehung.
2. Satz 2
geht von Art 7 Z 2 StV v Wien aus, ersetzt aber den Ausdruck
„Mittelschulen“ mit dem Begriff „höhere Schulen“ und dehnt den Anspruch auf
alle Volksgruppen aus; eine Einschränkung auf „allgemeinbildende“ höhere
Schulen erschien nicht zweckmäßig, da bereits derzeit in Kärnten neben dem
Bundesgymnasium für Slowenen auch eine zweisprachige Handelsakademie, also eine
„berufsbildende“ höhere Schule, besteht. Die Einschränkung auf eine
„verhältnismäßige Anzahl“ bedeutet, dass auf den tatsächlichen Bedarf nach
solchen Schulen Rücksicht zu nehmen ist; Indikatoren für einen Bedarf werden
etwa die Zahl der Absolventen der Volkschulen und die Zahl der Anmeldungen
sein. Die für Angehörige von Volksgruppen vorgesehenen Schulen sind im Übrigen
als öffentliche Schulen allgemein zugänglich (vgl Art 14 Abs 7 B‑VG).
Die Einrichtung einer eigenen Schulaufsicht für den Unterricht in kroatischer
und slowenischer Sprache ist bisher nach Art 7 Z 2 StV v Wien
vorgesehen.
3.
Satz 3 sieht insofern eine Ergänzung der geltenden Rechtslage vor, als das
nicht unmittelbar anwendbare Gebot des Art 68 Abs 2 StV v
St. Germain, den Minderheiten einen angemessenen Anteil aus öffentlichen
Mitteln für Erziehungszwecke zuzuweisen, in einen konkreten Anspruch auf
Förderung weiterentwickelt wird (wie er etwa nach § 17 Privatschulgesetz
den gesetzlich anerkannten Kirchen und
Religionsgesellschaften
für die Subventionierung von konfessionellen Privatschulen mit
Öffentlichkeitsrecht eingeräumt wird). Der Anspruch der Volksgruppe auf
angemessene (finanzielle) Förderung von privaten Kindergärten und privaten
Schulen der Volksgruppe soll dass öffentliche Angebot ergänzen und der
Volksgruppe und ihren Angehörigen die Möglichkeit geben, auf spezifische
Bedürfnisse reagieren zu können.
Zu
Abs 3 (Amtssprache und Topographie):
1. Satz
1 orientiert sich an Art 7 Z 3 erster Satz StV v Wien, der
schon bisher nach ständiger Rechtsprechung des VfGH (vgl insb VfSlg 11585/1987
und früher insb VfSlg 9744/1983, 9752/1983, 9801/1983) den Angehörigen der
kroatischen und slowenischen Minderheiten einen verfassungsgesetzlich
gewährleisteten Anspruch auf Gebrauch ihrer Sprache als zusätzliche Amtssprache
in Verwaltungs- und Gerichtsbezirken Kärntens, der Steiermark und Burgenland
eingeräumt hat; mit dem Gebrauch des Ausdrucks „gemischtsprachiges Gebiet“ soll
die jüngste Rechtsprechung des VfGH berücksichtigt werden, die diese Bestimmung
im Verkehr mit Verwaltungsbehörden nicht nur auf politische Bezirke bezieht,
sondern auch auf Gemeinden, mit einem durchschnittlichen Anteil von etwa 10%
der Minderheitsbevölkerung an der Wohnbevölkerung, wobei auf
Volkszählungsergebnisse abgestellt wird (vgl näher VfSlg 15970/2000). Bei
Vorliegen eines so verstandenen „gemischtsprachigen Gebietes“ wird der Anspruch
auf Verwendung der jeweiligen Volksgruppensprache auf alle Volksgruppen und
ihre Angehörigen ausgedehnt. Der Anspruch auf Verwendung der Volksgruppensprache
„im öffentlichen Leben“ (vgl Art 19 Abs 2 StGG) bedeutet im Hinblick
auf Art 7 Z 3 erster Satz StV v Wien eine gewisse Weiterentwicklung:
Es soll über die Amtssprache in Gerichtsbarkeit und Hoheitsverwaltung hinaus
insbesondere auch der Verkehr im Bereich der Privatwirtschaftsverwaltung und
der Verkehr mit Kammern im Bereich der Interessenvertretung (vgl VfSlg
13.998/1994: keine Anwendung des Art 7 Z 3 erster Satz StV v
Wien auf „Serviceleistungen“ der Kammern) erfasst werden und etwa auch die
Verwendung der Volksgruppensprache in allgemeinen Vertretungskörpern der
Gemeinden (Gemeinderäten). Die Mindestgarantie der „angemessenen
Erleichterungen“ beruht auf Art 66 Abs 4 StV v St. Germain,
wurde aber auch auf Verwaltungsbehörden ausgedehnt.
2. Satz 2
sieht eine gewisse Weiterentwicklung dadurch vor, dass sich im
gemischtsprachigen Gebiet jede Person der dort zugelassenen zusätzlichen
Amtssprache bedienen kann. In den Durchführungsbestimmungen (§§ 13 ff
VGG in Verbindung mit den Amtssprachenverordnungen) ist ein einfachgesetzlicher
Anspruch auf Verwendung der Amtssprache bereits derzeit allen Staatsbürgern
eingeräumt; für EU-Bürger ist die Zulässigkeit des Zugangs zu einem im
Mitgliedsstaat vorgesehenen zusätzlichen Amtssprachenregime unter bestimmten
Voraussetzungen auch gemeinschaftsrechtlich geboten (vgl insb EuGH, C-274/96,
Bickel und Franz, Slg 1988, I-7637; vgl auch § 1 der ungarischen
AmtssprachenV, BGBl II 2000/229, wo der Anspruch auf alle EWR-Bürger ausgedehnt
wird). Der individuelle Anspruch der Angehörigen der Volksgruppe wird durch
einen – bisher nicht eingeräumten – Anspruch der Volksgruppe ergänzt. Dieser
bezieht sich auf die Schaffung der notwendigen Voraussetzungen (zB sprachkundige
Organe oder Dolmetscher, Formulare in den Volksgruppensprachen) um den Gebrauch
der Volksgruppensprache als zusätzliche Amtssprache mit Verwaltungsbehörden und
Gerichten zu gewährleisten.
3. Satz 3
geht von Art 7 Z 3 zweiter Satz StV v Wien aus und räumt der
Volksgruppe einen Anspruch auf zweisprachige topographische Aufschriften und
Bezeichnungen ein; es erfolgt insofern eine Weiterentwicklung, als es sich
dabei nach geltendem Recht um eine objektive Verpflichtung zum Schutz der
Gruppe handelt, die als solche nicht durchgesetzt werden kann. Das Abstellen
auf ein „gemischtsprachiges Gebiet“ soll die Rechtsprechung des VfGH zu
Art 7 Z 3 zweiter Satz StV v Wien berücksichtigen, in der dieser
nicht nur bei einem politischen Bezirk, sondern auch bei einer Gemeinde und
auch bei einer Ortschaft von einem relevanten Gebiet ausgeht, wenn der Anteil
der Minderheitsangehörigen an der Wohnbevölkerung nach den
Volkszählungsergebnissen im Durchschnitt etwa 10% ausmacht (VfSlg 16404/2001).
Zu
Abs 4:
Abs 4 beruht auf Art 68 Abs 2
StV v St. Germain und entwickelt diese Garantie insofern weiter, als den
Volksgruppen ein durchsetzbarer Anspruch auf finanzielle Volksgruppenförderung
gewährt wird.
Zu Abs 5:
Satz 1 entwickelt das Rechtsschutzsystem
insofern weiter, als Vereinigungen der Volksgruppen Parteistellung eingeräumt
wird, um die auf die Volksgruppe abstellenden Rechte, die in diesem Artikel
eingeräumt werden, durchzusetzen. Damit wird der Umstand berücksichtigt, dass
die Volksgruppen keine Organe haben, die für sie handeln könnten. Die
Volksgruppenangehörigen können bereits nach geltendem Vereins- und
Parteienrecht Organisationen gründen, die ihrem rechtlichen Zweck nach der
Vertretung von volksgruppenspezifischen Interessen dienen; die Umschreibung der
berechtigten Vereinigungen orientiert sich an § 4 Abs 2 Z 2 VGG.
Der Hinweis auf „Vertretungskörper“ soll eine allfällige Einrichtung von
öffentlich-rechtlichen Vertretungskörpern der Volksgruppen berücksichtigen;
siehe auch oben unter I. Allgemeines, Pkt. 5.
Satz 2 stellt klar, dass die
Individualrechte der einzelnen Angehörigen der Volksgruppen unberührt bleiben,
und die Rechte der Volksgruppen nur ergänzend dazu eingeräumt werden.