Zl. ZS-R/P/01 Sd/Er |
HAUPTVERBAND DER ÖSTERREICHISCHEN SOZIALVERSICHERUNGSTRÄGER
A-1031 WIEN
KUNDMANNGASSE 21
POSTFACH 600 DVR
0024279
VORWAHL Inland: 01,
Ausland: +43-1 TEL.
711 32 / Kl. 1201
TELEFAX 711 32 3775
Wien,
21. Oktober 2003
An den
Österreich Konvent
per e-mail: clemens.mayr@konvent.gv.at
Betr.: Ausschuss 3 – Staatliche
Institutionen
Bezug: Ihr e-mail vom 16. September 2003 mit der
Übermittlung des Mandats zur allfälligen Stellungnahme
Sehr geehrte
Damen und Herren!
Wir danken Ihnen
für die Gelegenheit, im vorliegenden Zusammenhang Stellung nehmen zu dürfen und
bitten Sie, bei Ihren weiteren Arbeiten folgende Gesichtspunkte zu
berücksichtigen:
Das
Bundesverfassungsrecht sollte legistisch überarbeitet werden. Das Bundeskanzleramt
hat dazu schon vor Jahren umfassende Vorarbeiten geleistet, welche fortgesetzt
werden sollten.
Das bedeutet nicht
unbedingt, dass nur eine einzige „Verfassungsurkunde“ geschaffen werden müsste
(diese wäre angesichts der Vielzahl der Materien umfangreich und vielleicht
wiederum unübersichtlich). Wünschenswert wäre das dennoch, wenn eine klare
Gliederung und damit auch eine Überarbeitung des Textes verbunden wird. Es
sollte aber - wenn nicht doch Chancen bestehen, eine einheitliche Verfassung zu
schaffen - wenigstens versucht werden, die Masse verstreut liegender Verfassungsbestimmungen
in (sonst) „einfachen“ Bundesgesetzen zu erfassen und zu bereinigen.
Das
Bundeskanzleramt hat dazu vor einigen Jahren bereits wertvolle Vorarbeiten
geleistet, auf welche zurückgegriffen werden könnte.
Eine Bestimmung,
welche ausdrücklich verhindert, dass „Gelegenheits-Verfassungsgesetze“ geschaffen
werden (siehe Taxikonzessionen, Vergaberecht usw.) bzw. die Zuständigkeit des
VfGH dadurch umgangen wird, sollte jedenfalls überlegt werden.
Das
Regelungsdefizit (und die daraus entstehenden Unklarheiten) des B-VG
hinsichtlich der Selbstverwaltungskörper wurde gerade jetzt durch das
Erkenntnis des VfGH G 222/02 vom 10. Oktober 2003 („Hauptverbandsreform“)[1] wieder deutlich gemacht.
Die Kriterien,
nach denen Selbstverwaltungskörper zu organisieren sind und welche
Aufgaben - unter welchen Bedingungen[2] – ihnen übertragen werden dürfen, sollten im B-VG verankert
werden.
Derzeit ist es so,
dass die einschlägigen Regeln darüber und damit Regeln über grundlegende Gesichtspunkte
der Staatsorganisation („nur“) in Erkenntnissen des VfGH zu finden sind (VfSlg.
8215 - sbg. Jägerschaft, 8644 - ÖAKT-Präsident, 14473 - Austro Control usw.).
Diese Situation
sollte ein Ende finden.
Die Ära
des „Verschweigens“ bzw. nur „stillschweigenden Anerkennens“ der
(Sozialversicherungs-)Selbstverwaltung durch das B‑VG sollte jedenfalls beendet
werden. Es ist nicht sachgerecht, wenn die Selbstverwaltung durch
Höchstgerichte seit Jahrzehnten anerkannt ist, aber das im Text des B-VG keinen
Niederschlag findet.
Die
Schwerpunkte, welche das Bundesverfassungsrecht derzeit setzt, sind historisch
gewachsen und in ihrer Gewichtung nicht immer leicht nachvollziehbar:
Das
Bundesverfassungsrecht bekennt sich z. B. zwar zu umfassendem Umweltschutz, ein
ähnlicher, in der Praxis ebenso wichtiger Schwerpunkt hinsichtlich volkswirtschaftlicher
Interessen fehlt jedoch (er lässt sich aus der Prüfungskompetenz des
Rechnungshofes ableiten, vgl. auch § 31 Abs. 3 Z 2 ASVG).
Es sollte
festgelegt werden, dass volkswirtschaftliche Interessen beim Handeln von Verwaltungsbehörden
und anderen Entitäten allgemein zu beachten sind. Das Recht der EU verhindert
das nicht (vgl. die Bestrebungen der EU zum Thema „Europa der Regionen“ usw.).
Die
bestehende Rechtslage (Art. 12 B-VG, Grundsatzmaterien) ist umständlich. Sie
mag vor Jahrzehnten bei der Einführung des B-VG sachkonform gewesen sein,
angesichts der heutigen Transport- und Reisemöglichkeiten (vgl. die Rettungshubschrauber)
ist es jedoch nicht mehr zweckmäßig, für jedes Land eigene Regeln über z. B.
Krankenanstaltenbehandlung aufrecht zu erhalten. Beleg dafür ist, dass bereits
seit 1978 diese Regeln im Wege von Vereinbarungen nach Art. 15a B-VG vereinheitlicht
werden und auch eine sonstige Koordination weitgehend über diese Vereinbarungen
erfolgen muss.
Diese
Koordination im Krankenanstaltenrecht auf Bundesebene hat sich in den letzten
Jahrzehnten als sinnvoll erwiesen. Sie sollte eine endgültige Basis erhalten –
nicht zuletzt auch, um für die Zukunft zu vermeiden, dass alle ca. vier Jahre parallel
zum Finanzausgleich eigenständige Verhandlungen über die Krankenanstaltenfinanzierung
abgehalten werden müssen.
Es sollte versucht
werden, das Krankenanstaltenrecht zu vereinfachen, zu
vereinheitlichen und es somit als Bundessache in Gesetzgebung und
Vollziehung zu gestalten, weil auch die hauptsächliche Finanzierung dieses
Bereiches aus Bundesmitteln (bzw. Mitteln bundesgesetzlich eingerichteter
Sozialversicherungsträger) erfolgt.
Das würde – neben
einer rechtlichen Vereinfachung – auch spürbare Verbesserungen und wohl auch
finanzielle Einsparungen durch den Abbau von Parallelstrukturen (medizinische
Untersuchungen in freier Praxis und deren Wiederholung im Spital usw.)
bewirken. Auch eine bessere örtliche Verteilung der Behandlungskapazitäten
würde dadurch erreichbar (vgl. die Situation Wiens bei der Behandlung von
Patienten aus dem Wiener Umland).
Diese
Vereinbarungen sind als „(Glied-)Staatsverträge“ zwar öffentlich-rechtlicher
Natur, wirken in der Praxis aber ähnlich wie Verträge über den Finanzausgleich.
Die Sozialversicherungsträger – als Hauptfinanciers im Krankenanstaltenbereich
– sind nicht Vertragspartner dieser Verträge. Wirtschaftlich betrachtet führt
das dazu, dass diese Verträge wie Verträge zu Lasten Dritter wirken – eine
Situation, die nach dem ABGB (§§ 878 ff.) nicht zulässig wäre.
Es solle
diskutiert werden, den Betroffenen vor dem Abschluss von Vereinbarungen nach
Art. 15a B-VG zumindest ein formelles Anhörungsrecht und formelle Anfechtungsmöglichkeiten
einzuräumen, weil bis zur Umsetzung der Verträge durch die entsprechenden Bundes- und Landesgesetze manchmal
Jahre vergehen.
Jedenfalls sollte
das Stimmgewicht in Gremien der 15a-Vereinbarungen den tatsächlichen Zahlungslasten
angepasst werden.
Abgesehen davon:
Die Umsetzung dieser Vereinbarungen ist – unabhängig von ihrem Inhalt – derzeit
schwierig: Es müssen praktisch wortidente Gesetze des Bundes und aller Länder
beschlossen werden. Dadurch entsteht (vgl. die Vorgangsweise im
Krankenanstaltenbereich) regelmäßig vergleichsweise hoher Aufwand in legistischer
und administrativer Sicht, welcher dadurch ersatzlos entfallen könnte, dass
diese Verträge (wenn sie schon beibehalten werden müssten, wenigstens) self-executing
würden.
Weiters kommt es im
Rahmen von 15a-Vereinbarungen immer wieder zu Meinungsverschiedenheiten.
Derzeit werden
diese Meinungsverschiedenheiten im ordentlichen Rechtsweg ausgetragen,
was angesichts der in Rede stehenden Themen zu äußerst hohen Streitwerten und
damit hohen Verfahrenskosten führt.
Ein
Musterbeispiel ist das Verfahren 15 Cg 143/99f vor dem LGZRS Wien, in welchem
das Land Oberösterreich den Hauptverband auf Zahlung von 35,7 Millionen Euro
geklagt hat und in welchem es darum geht, die Auslegung des Art. IV des BG vom
16. 12. 1991, BGBl. 702/1991 (!) zu ermitteln (dem Verfahren gingen im gleichen
Zusammenhang Verfahren vor dem VfGH voraus).
Die hohen Kosten
des Zivilrechtsweges für solche Verfahren sollten vermieden werden. Eine zivilgerichtliche
Klärung über zehn Jahre nach Kundmachung der entsprechenden Bestimmung ist
ebenfalls nicht sachgerecht.
Es wird
vorgeschlagen, zur Entscheidung von Streitigkeiten aus Vereinbarungen nach Art.
15a B-VG und anderen Gliedstaatsverträgen eine Streitschlichtung etwa in Form
eines Schiedsgerichtes oder einer zusätzlichen Kompetenz des Verfassungsgerichtshofes
einzurichten. Anträge an diese Schlichtungsinstanz sollten (vgl. die Verfahren
beim VfGH) von allen Betroffenen ohne Einschaltung eines vorangehenden Instanzenzuges
direkt gestellt werden können.
Derzeit
sind im Gesetz 17 so genannte „Krankenfürsorgeanstalten“ - KFA angeführt (§ 2
Abs. 1 Z 2 B-KUVG).
Eine
bundesgesetzliche Koordination dieser Einrichtungen war in der Vergangenheit
nicht möglich, weil es sich um dienstrechtlich begründete Einrechtungen von
Ländern und Gemeinden handelt.
Die Existenz und
Aufgaben dieser Institute, bei denen es sich de facto um Betriebskrankenkassen
für Beamte bestimmter Länder und Gemeinden handelt, sei hier nicht in Frage
gestellt.
Wohl aber sei
darauf hingewiesen, dass diese Institute nicht in die allgemeinen
organisatorischen Abläufe eingebunden sind, wie sie zwischen Sozialversicherung
und staatlichen Behörden wie z. B. Finanzverwaltung, Justiz, Jugendwohlfahrt,
Sozialhilfe etc. umfassend bestehen.
Das zeigt sich an
vielleicht trivialen Beispielen, die aber im Einzelfall spürbare
Reibungsverluste durch Rückfragen, Unklarheiten etc. bewirken:
So sind Zeiten,
für die Schutz bei einer Krankenfürsorgeanstalt bestand, zwar nach § 121 Abs. 4
Z 2 und Z 4 ASVG für die Beurteilung von Leistungsansprüchen anzurechnen, nach
§ 123 Abs. 1 Z 2 ASVG als Ausschlussgrund für eine Angehörigen-Mitversicherung
oder nach § 12 Abs. 1 Z 1 BPGG als Ruhensgrund für Pflegegeld zu
berücksichtigen; diesen Verpflichtungen steht in der Praxis jedoch das
Hindernis entgegen, dass die Versicherten der Krankenfürsorgeanstalten nicht in
die Allgemeine Sozialversicherungsorganisation eingebunden sind, insbesondere
müssen für Versicherte der KFA keine Versicherungsnummern (§ 31 Abs. 4 Z 1
ASVG) vergeben sein, was in jedem Einzelfall bedeutet, dass die entsprechenden
Meldungen nicht reibungslos EDV-technisch verarbeitet werden können.
Die KFAs werden de
lege lata auch nicht in das Chipkartensystem der Sozialversicherung eingebunden
sein, sodass für KFA-Angehörige die Chipkarten von der Gebietskrankenkasse
auszustellen sein werden, ohne dass hiefür entsprechende Unterstützungsverpflichtungen
seitens der KFA vorliegen (§ 31b Abs. 3 2. Satz ASVG).
Um
Reibungsverluste im Gesundheitswesen zu verringern, wird vorgeschlagen, die
Mitglieder der KFA und deren Angehörige in die Organisation des Chipkartensystems
einzubeziehen.
Das käme auch dem
Arbeitsbereich „Bürgerkarte“ des Bundeskanzleramtes, der Vollziehung des
geplanten E-Government-Gesetzes und damit der breiten Einführung transparenter
und rascher Verwaltungsabläufe zu Gute.
Die
Sozialversicherung ist in den letzten Jahrzehnten auf Grund ihrer umfassenden
Datenbestände zu einem zentralen Amtshilfeträger in der Republik Österreich
geworden: Auskünfte an Finanzverwaltung, Justizverwaltung, Sozialhilfeträger, Jugendwohlfahrt
uva. werden seit Jahren in sehr hoher Zahl erteilt (derzeit allein z. B. über
9.000 Auskünfte pro Arbeitstag an die Gerichte).
An sich ist gegen
die in Rede stehenden Auskunftsverpflichtungen nichts einzuwenden, weil sie der
Verfahrensbeschleunigung in den jeweiligen Verwaltungsmaterien und
Gerichtsverfahren dienen.
Es gibt aber keine
eindeutigen Regeln, nach welchen solche Auskunftserteilungen abgerechnet werden
bzw. verrechnet werden dürfen.
Das führt dazu,
dass im Wege von Amtshilfebestimmungen die damit verbundenen Budgetbelastungen
auf die amtshilfeverpflichtete Stelle verlagert werden und im Verfahrensbereich
eine „schleichende Umgehung des Finanzausgleichs“ stattfindet. Die in Rede
stehenden Beträge mögen im Einzelfall gering sein, machen aber in Summe über
längere Zeit durchaus nennenswerte Summen aus. De facto sind Teile des
Verfahrensaufwandes nicht von (bzw. von Parteien, bei) der jeweils zuständigen
Behörde (§ 75 Abs. 1 AVG) zu finanzieren, sondern von einer außenstehenden auskunftsverpflichtenden
Stelle aus deren Budget.
Der Grundsatz,
wonach Amtshilfe im Wesentlichen kostenlos ist (= der daraus entstehende
EDV- und Personalaufwand nicht verrechnet werden kann), sollte diskutiert
werden, weil die derzeitige Praxis nicht zur Kostenwahrheit in den jeweiligen
Verfahrensbereichen beiträgt.
Da soll jedoch
nicht dazu führen, dass Einzelverrechnungen eingeführt werden; es wird
vorgeschlagen, hiefür Pauschalierungsregeln (auf der Basis der lt. EDV-Protokollierung
leicht feststellbaren Mengengerüste) ins Auge zu fassen, vgl. § 82 ASVG.
Für eine weitere
Diskussion unserer Vorschläge stehen wir selbstverständlich gerne zur
Verfügung.
Mit
freundlichen Grüßen
Für die Geschäftsführung:
Dr. Kandlhofer e. h.