Theo Öhlinger

 

 

Stellungnahme zum "Drei Säulen-Modell" einer künftigen
Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern

 

1. Zur Struktur der "dritten" Säule

a. Bevor über die Zuordnung einzelner Sachbereiche zum "dritten" Kompetenzbereich sinnvoll geredet werden kann, muss Klarheit über die Struktur dieses Kompetenzverteilungstypus (Modells) gewonnen werden. Während über die Typen "ausschließliche Bundeskompetenzen" sowie "ausschließliche Länderkompetenzen" einigermaßen klare Vorstellungen bestehen,[1] ist der dritte Bereich offensichtlich noch sehr strittig.

ME sollte dieser Bereich weitgehend auf einen einzigen Typus der Kompetenzverteilung reduziert werden, der in etwa dem deutschen Modell der konkurrierenden Gesetzgebung[2] bzw. dem Modell der geteilten Gesetzgebung des Konventsentwurfs einer Verfassung der EU[3] entspricht. Der Sache nach handelt es sich um eine Bedarfsgesetzgebungskompetenz des Bundes.

Eine derartige Aufteilung der Kompetenzen beruht auf dem Gedanken, dass der Bund gesetzgeberisch nur tätig sein soll, soweit eine bundeseinheitliche Regelung sinnvoll und zweckmäßig ist. Das gilt sowohl für das Ob als auch für die Intensität einer gesetzlichen Regelung. Dieses Kompetenzverteilungsmodell entspricht somit der Idee der Subsidiarität.

Der große Vorteil dieses Modells ist seine Beweglichkeit (Flexibilität). Der Bundesgesetzgeber kann selbst bestimmen, ob eine diesem Modell unterliegende Angelegenheit überhaupt gesetzlich geregelt werden soll und in welcher Intensität diese Regelung bundeseinheitlich erfolgen soll. Er kann sich also auch auf "Rahmenregelungen" beschränken, ohne dabei dem Gebot hinreichender Bestimmtheit (Legalitätsprinzip) zu unterliegen: Ist die Regelung nicht in einer dem Legalitätsprinzip (wie immer es in der künftigen Verfassung normiert werden soll) entsprechenden Weise bestimmt, so haben die Länder entsprechende gesetzliche Ausführungsregelungen zu erlassen. Dieses Kompetenzmodell weist insofern Parallelen zum bisherigen Typus des Art 12 Abs 1 B-VG auf, ohne allerdings den Bundesgesetzgeber auf bloße Grundsätze zu begrenzen (was in der Praxis der Anwendung des Art 12 B-VG bekanntlich ohnehin nicht funktioniert hat).

Die damit angesprochene – weithin bekannte – mangelnde Praktikabilität des Art 12
B-VG legt es nahe, auf diesen Typus der Kompetenzverteilung – im Diskussionsvorschlag der WKÖ als "Rahmengesetzgebung" und im Bußjäger-Papier vom 6.11.2003 als "Ziel- und Rahmengesetzgebung" bezeichnet – zu verzichten. Er sollte vollständig durch das hier skizzierte Modell einer geteilten Kompetenz ersetzt werden.

Ebenso sollte – entgegen dem Diskussionsvorschlag der WKÖ – auch auf das Modell einer delegierten Gesetzgebung im Sinn des Art 10 Abs 2 B-VG gänzlich verzichtet werden. Auch dieses Modell hat sich in der Praxis bekanntlich nicht bewährt.

b. Grundsätzlich sollten alle Materien einem der drei Kompetenzverteilungstypen – ausschließliche Bundeskompetenz, geteilte Kompetenzen, ausschließliche Landeskompetenzen – zugeordnet werden. (Die Vollständigkeit der Zuordnung kann durch eine Generalklausel – wohl zugunsten des geteilten Kompetenztypus – erreicht werden.) Auf einzelne Ausnahmeregelungen wird man aber dennoch nicht ganz verzichten können.

So sollte mE die Kompetenzverteilung auf dem Gebiet des Verwaltungsverfahrensrechts – Bedarfskompetenz des Bundes; abweichende Bundes- und Landesregelungen nur, soweit sie erforderlich sind (Art 11 Abs 2 B-VG) – beibehalten werden.

Es spricht auch einiges dafür, die Kompetenzverteilung auf dem Gebiet des Zivilrechts – Bundeskompetenz gemäß Art 10 Abs 1 Z 6 B-VG, aber Kompetenz der Länder zu "erforderlichen" Regelungen im Rahmen ihrer Gesetzgebungszuständigkeiten (Art 15 Abs 9 B-VG) – im Prinzip beizubehalten. Allerdings wäre eine gewisse Lockerung der Grenzen dieser Länderkompetenz im Hinblick auf eine wohl allzu restriktive Judikatur des VfGH anzudenken. Dagegen könnte das Strafrecht in einer Nachfolgeregelung des Art 15 Abs 9 B-VG wohl überhaupt gestrichen werden, weil die Länder mit verwaltungsstrafrechtlichen Regelungen das Auslangen finden können.

Solche "Sondertypen" sind vielleicht auch noch in anderen Materien zu erwägen. Zu denken ist dabei etwa an das Arbeitsrecht (im Hinblick auf das land- und forstwirtschaftliche Arbeitsrecht). Zu diskutieren wäre auch, inwieweit die seit 1.1.2003 geltende Sonderregelung auf dem Gebiet des Vergaberechts (Art 14b B-VG idF BGBl I 2002/99) aufrechterhalten bleiben soll.

Sondertypen sollten aber wegen der angestrebten Transparenz und Einfachheit der Kompetenzverteilung eine strikte Ausnahme bleiben.

2. Kriterien der Inanspruchnahme der geteilten Kompetenzen durch den Bund;
Mitwirkung der Länder

Was die Kriterien betrifft, nach denen die Inanspruchnahme der Kompetenz des Bundesgesetzgebers im Rahmen dieses Kompetenztypus erfolgen soll, so hängt ihre Formulierung von der Vorfrage ab, in welchem Ausmaß diese Inanspruchnahme vom VfGH kontrollierbar sein oder eine genuin politische Entscheidung bleiben soll.

Geht man von einem normativen Begriff der (repräsentativen) Demokratie aus, so liegt es nahe, diese Entscheidung den Vertretern des (Gesamt-)Volkes – also der Mehrheit des Nationalrates – zu überlassen: Das Volk selbst (von dem das Recht ausgeht) bzw. seine Vertreter sollen mehrheitlich darüber bestimmen können, ob und inwieweit eine Angelegenheit bundeseinheitlich geregelt werden soll. Es liegt aber auf der Hand, dass das normative Ideal der Demokratie in der Realität nicht friktionsfrei funktioniert. Insofern ist es legitim, über einen verfassungsrechtlichen Mechanismus nachzudenken, der es garantiert, dass der Bund von seiner Gesetzgebungskompetenz – entgegen der diesem Modell zugrunde liegenden Idee der Subsidiarität – keinen exzessiven Gebrauch macht.

Allerdings ist es denkbar, dass ein solcher Mechanismus selbst wieder ein politischer ist. Ein solcher könnte nämlich in einer Beteiligung der Länder am Gesetzgebungsprozess des Bundes liegen.

Nach den bisherigen Erfahrungen mit dem Bundesrat müsste diese Beteiligung allerdings anders erfolgen. Denkbar wäre etwa ein Vermittlungsausschuss, der sich (paritätisch?) aus Vertretern des Bundes und der Länder zusammensetzt. In der näheren Ausgestaltung sollten die Erfahrungen mit dem Konsultationsmechanismus berücksichtigt werden. Wichtig – das lehrt die Erfahrung in Deutschland – ist jedenfalls eine Konstruktion, die verhindert, dass Gesetzesvorhaben des Bundes aus primär parteipolitischen Gründen blockiert werden.

Eine Kontrolle des Bundes durch den VfGH im hier gegebenen Zusammenhang sollte dagegen auf eher exzessive Kompetenzüberschreitungen begrenzt werden. Daher sollten materielle Kriterien der Inanspruchnahme dieser Kompetenz durch den Bund eher flexibel gestaltet werden. Denkbar wäre etwa eine Formulierung, wonach der Bund in diesem Bereich gesetzgeberisch tätig werden darf, "soferne und soweit ein Bedürfnis nach Erlassung bundesweit einheitlicher Vorschriften vorhanden ist" (vgl zu dieser Formulierung VfGH Slg 13.019/1992 [zu Art 10 Abs 1 Z 12 B-VG]).

Bei jedem Kontrollmodell wäre jedenfalls zu bedenken, dass dieses – je dichter oder schärfer es gestaltet wird – die mit einem Typus geteilter Kompetenzen angestrebte Flexibilität der Kompetenzverteilung wieder in Frage stellen könnte. Es ist daher ein Ausgleich zwischen einer sinnvollen Praktikabilität und dem berechtigten Anliegen der Länder auf Wahrung einer gewissen gesetzlichen Gestaltungsmöglichkeit in den diesem Kompetenztypus zugeordneten Materien zu suchen.

Zu erwägen wäre andererseits auch ein Mechanismus, der Überregulierungen auf Seiten der Länder verhindert.

3. Aufteilung der Materien auf die drei Säulen

ME sollte der Typus der geteilten Kompetenzen einen Großteil der bisherigen Gesetzgebungskompetenzen des Bundes umfassen. Das gilt jedenfalls für alle bisher den Art 11 und 12 B-VG zugeordneten Materien. Aber auch ein großer Teil der derzeit im Art 10 B-VG enthaltenen Materien könnte diesem Typus zugeordnet werden. Es bleibt ja bei dieser kompetenzrechtlichen Einordnung Sache des Bundes zu entscheiden, ob er seine Gesetzgebungskompetenz zur Gänze in Anspruch nehmen oder aber den Ländern Raum für gesetzliche Detailregelungen überlassen will. Insofern gibt es keinen reellen Verlust des Bundes an Gestaltungsmöglichkeiten in den betroffenen Sachbereichen; der Bund ist nur nicht gezwungen, diese seine Gestaltungskompetenzen in Anspruch zu nehmen.

In der Terminologie des Bußjäger-Papiers vom 6.11.2003 könnten daher folgende (dort als exklusive Bundeskompetenzen festgeschriebene Materien) dem Bereich der geteilten Kompetenz zugeordnet werden (unvorgreiflich terminologischer Vereinfachungen im Sinne des Vorschlags von Schnizer):

-     Aufenthaltsrecht

-     Personenrecht

-     Innere Sicherheit

-     Wirtschaftsrecht

-     Maße, Normen sowie bestehende Standards für das Inverkehrbringen von Waren, Vermessung

-     Medien und Nachrichtenübertragung

-     Verkehr

-     Schutz vor erheblichen Umweltbeeinträchtigungen

-     Gesundheit

-     Tierschutz und Veterinärwesen

-     Kirchen und Religionsgesellschaften

-     Gemeinnütziges Stiftungs- und Fondswesen

-     Schulwesen.

Damit würden als ausschließliche Bundeskompetenzen verbleiben:

-     Bundesverfassung

-     Auswärtige Angelegenheiten

-     Äußere Sicherheit

-     Bundesfinanzen, Familienlastenausgleich

-     Währungs- und Geldwesen

-     Organisation und Dienstrecht des Bundes.

Dies deckt sich weitgehend mit dem Vorschlag von Schnizer (zu Zivilrecht und Arbeitsrecht siehe unten).

Es sollten aber auch einzelne Materien aus dem Bußjäger-Katalog der ausschließlichen Landeskompetenzen zur "dritten" Säule transferiert werden. Folgende Materien wären unter diesem Gesichtspunkt zu diskutieren:

-     Katastrophenschutz und Rettungswesen

-     Veranstaltungswesen

-     Jugend

-     Sozialdienstleistungen

-     Kulturgüterschutz

-     Raumordnung

-     Bau- und Wohnrecht

-     Natur- und Landschaftsschutz

-     Landwirtschaft.

In jeder dieser Materien ist jedenfalls in der öffentlichen Diskussion schon der Ruf nach einer bundeseinheitlichen Regelung laut geworden.

Es wird nicht verkannt, dass mit einer derartigen Kompetenzverteilung die vertikale Struktur der österreichischen Bundesstaatlichkeit akzentuiert würde. Dies entspricht jedoch der gesellschaftlichen Realität in Österreich und letztlich auch der europäischen Wirklichkeit, in der auch der Bund in eine größere "Gebietskörperschaft" – die Europäische Union – eingeordnet und dieser im Kompetenzbereich der EG gemäß dem Vorrang des Gemeinschaftsrechts nachgeordnet ist.

Das Überwiegen einer "geteilten" Kompetenzverteilung auf dem Gebiet der Gesetzgebung eröffnet zugleich die Möglichkeit, die Aufgabenverteilung zwischen Bund und Ländern nach qualitativen Kriterien neu zu gestalten: Sache des Bundes wäre es nach diesem Modell, dem gesellschaftlichen Prozess den erforderlichen rechtlichen Rahmen zu setzen. Sache der Länder (und Gemeinden!) wäre es, die konkrete Lebensqualität der Bürger zu gestalten und zu sichern. Das setzt eine Kooperation der einzelnen Ebenen und eben deshalb eine Aufgabenteilung voraus, die nicht nach Sachgebieten trennt, sondern innerhalb der jeweiligen Sachgebiete nach flexiblen, den Bedürfnissen der Menschen anzupassenden Kriterien erfolgt. Daher sollte dem Bund eine umfassende "Rahmen"-Gesetzgebungskompetenz im skizzierten Sinne vorbehalten bleiben (die aber nur im notwendigen Ausmaß genutzt werden sollte); die Länder sollten aber ihrerseits nicht auf einen bloßen Gesetzes-"Vollzug" reduziert werden, sondern im bundesgesetzlichen "Rahmen" selbständige Gestaltungsbefugnisse behalten.

4. Zuständigkeit zur Umsetzung von EU-Recht

Angemerkt sei, dass sich bei einer solchen Kompetenzverteilung das Problem der Zuständigkeit zur Umsetzung von EU-Recht weitgehend reduziert: Die meisten umzusetzenden Vorgaben der EU würden nach dem hier skizzierten Vorschlag in die "Bedarfs"-Gesetz­gebungskompetenz und damit in die Verantwortung des Bundes fallen. Es würde bei großzügiger Zuordnung zur "dritten" Säule geteilter Kompetenzen vor allem auch die Problematik der Umsetzung von Maßnahmen, die nach geltender Verfassungslage teils in die Bundeskompetenz, teils in die Länderkompetenz fallen, weitgehend aufgelöst werden.

Eine spezielle Regelung bezüglich der in die ausschließliche Landeskompetenz fallenden Umsetzungsmaßnahmen wäre daher bei einer großzügigen Ausgestaltung der "dritten" Säule entbehrlich. Dagegen könnte mE auf eine solche Regelung dann nicht verzichtet werden, wenn EU-sensible Bereiche im bisherigen Umfang in der ausschließlichen Landeskompetenz verbleiben würden.

 

 

 

 

 



[1] Hinsichtlich der "ausschließlichen Bundeskompetenzen" gilt dies allerdings nur mit der Einschränkung, dass noch Klarheit über eine Differenzierung zwischen Kompetenzen des Bundes zur (bloßen) Gesetzgebung und Kompetenzen des Bundes zur Gesetzgebung und Vollziehung gewonnen werden muss.

[2] Nach Art 72 Bonner Grundgesetz haben im Bereich der konkurrierenden Gesetzgebung "die Länder die Befugnis zur Gesetzgebung, solange und soweit der Bund von seiner Gesetzgebungszuständigkeit nicht durch Gesetz Gebrauch gemacht hat" (Abs 1). "Der Bund hat in diesem Bereich das Gesetzgebungsrecht, wenn und soweit die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet oder die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht" (Abs 2).

[3] Nach Art I-11 Abs 2 des Verfassungsvertrages haben im Bereich der geteilten Zuständigkeit "die Union und die Mitgliedstaaten die Befugnis, in diesem Bereich gesetzgeberisch tätig zu werden und rechtlich bindende Rechtsakte zu erlassen. Die Mitgliedstaaten nehmen ihre Zuständigkeit wahr, sofern und soweit die Union ihre Zuständigkeit nicht ausgeübt hat oder entschieden hat, diese nicht mehr auszuüben". Art I-9 Abs 3 und 4 binden die Inanspruchnahme einer geteilten Kompetenz durch die Union an die Grundsätze der Subsidiarität und Verhältnismäßigkeit.