Österreich Konvent
Ausschuss 5
(Stellungnahme der WKÖ für die
vierte Sitzung am 7.11.2003)
Zentrale Aufgabe des
Ausschusses 5 ist nach seinem Mandat die „Schaffung eines klaren, nach abgerundeten
Leistungs- und Verantwortungsbereichen gegliederten Kataloges von
Gesetzgebungskompetenzen unter Berücksichtigung der Rechtslage der Europäischen
Union“.
Unter Zugrundelegung
dieser Vorgaben wurde in den bisherigen Ausschusssitzungen auch betont, dass
das neue System der Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen „eine Abkehr
von der Kompetenzabgrenzung nach dem Versteinerungsprinzip bewirken“ soll
sowie, dass „die Praktikabilität des Systems im Auge zu behalten“ ist
(vgl. Protokoll über die 2. Sitzung des Ausschusses 5 am 9.10.2003) und es
konnte eine Einigung darüber erzielt werden, dass das neue System der
Kompetenzverteilung jedenfalls exklusive Gesetzgebungskompetenzen des
Bundes, exklusive Gesetzgebungskompetenzen der Länder und einen dritten Kompetenzbereich
(der als Generalklausel ausgestaltet werden könnte) enthalten soll (vgl.
Protokoll über die 3. Sitzung des Ausschusses 5 am 15.10.2003).
Es liegen für die
heutige Sitzung 2 Vorschläge für eine Zuordnung der Gesetzgebungskompetenzen
zu Bund und Ländern vor (Vorschlag Bußjäger; Vorschlag WKÖ).
Unter Zugrundelegung
der oben angeführten Vorgaben und der vom Ausschuss erarbeiteten
Strukturprinzipien ist zur Beurteilung dieser Vorschläge folgendes auszuführen:
1.
Abgerundete
Kompetenzbereiche/Berücksichtigung der Rechtslage der Europäischen Union:
Zur Erfüllung dieser
Vorgaben wurde im WKÖ-Vorschlag das Prinzip der Einheitlichkeit des
Wirtschaftsgebietes, dessen notwendige Beachtung sich seinerseits aus dem Binnenmarktprinzip
der Europäischen Union ergibt, für die Zuordnung zu den „Bundeskompetenzen“
herangezogen.
Zur Ermittlung
„abgerundeter“ Landeskompetenzen wurden die sich aus dem Subsidiaritätsprinzip
ergebenden Anforderungen beachtet.
Damit ist es unserer
Ansicht nach gelungen, nach der geltenden Kompetenzverteilung zersplitterte
Materien, wie insb. Umweltrecht, Energierecht, Wirtschaftsrecht, Vergaberecht
etc., in abgerundeten und praxistauglichen sowie insb. auch die
Rechtslage der Europäischen Union berücksichtigenden Kompetenztatbeständen
zusammenzufassen (vgl. im Vorschlag insb. Art X Abs 1 Z 11,
Z 13, Z 14, Z 15, Z 16, Z 19, Z 20, Z 21,
Z 22, Z 23, Z 24 und Z 26).
Durch die
vorgeschlagene Kompetenzzuordnung sind auch die bestehenden zahlreichen
Kompetenzdeckungsklauseln in einfachen Bundesgesetzen erfasst.[1]
Darüber hinaus wurde
aber auch bei der Zuordnung der Bundeskompetenzen dem Subsidiaritätsgedanken
Rechnung getragen:
Der Vorschlag sieht
in Art X Abs 2 eine erhebliche Anzahl von Kompetenztatbeständen vor,
in denen entsprechend dem geltenden Art 10 Abs 2 B-VG die
Landesgesetzgebung die Möglichkeit zur Ausführung einzelner Bestimmungen der
entsprechenden Bundesgesetze erhalten soll.
Weiters können die
Länder auf dem Gebiet des Verwaltungsverfahrensrechts, Zivil- und Strafrechts
zur Regelung des Gegenstands erforderliche Regelungen treffen.
Der Vorschlag
Bußjäger wird unserer Ansicht nach den genannten Vorgaben nicht gerecht:
Die Schaffung
abgerundeter Kompetenzen ist im Vorschlag nicht ersichtlich. Vielmehr bleiben
bisherige Zersplitterungen aufrecht; vgl. insbesondere:
-
„Schutz vor
erheblichen Umweltbeeinträchtigungen“ (Zersplitterung im Bereich
Luftreinhaltung, Abfallwirtschaft etc.);
-
„Gesundheit,
soweit sie nicht in die gemeinschaftliche Zuständigkeit oder in die
Zuständigkeit der Länder fällt“;
-
„Vergaberecht
einschließlich der Vergabenachprüfung, soweit diese nicht in die
ausschließliche Zuständigkeit der Länder fällt“.
(Lediglich die Aufnahme „IPPC-Anlagenrecht“
in einen zersplitterten Umwelttatbestand vermag keine praxisgerechte
Gesamtlösung zu schaffen, sondern erinnert wieder an anlassbezogene
Detailregelungen.)
Nicht
nachvollziehbar ist unter dem Aspekt der Vorgaben des Mandats (insb. Berücksichtigung
der Rechtslage der Europäischen Union) die Zuordnung von „Energiewirtschaft“,
„Wasserrecht“, „Abfallwirtschaft hinsichtlich ungefährlicher Abfälle“ und
„Verwaltungsverfahren einschließlich der allgemeinen Bestimmungen des
Verwaltungsstrafrechts“ in die „konkurrierende Gesetzgebung“, wobei diese –
nach den „grundsätzlichen Bemerkungen“ – „an das Vorliegen eines objektiven
Bedarfs zur Erlassung einheitlicher Regelungen im unbedingt erforderlichen
Ausmaß geknüpft“ ist.
Abgesehen davon,
dass der Vorschlag nicht erkennen lässt, wer zur Beurteilung dieser
Voraussetzungen berufen ist, können gerade diese Materien vor dem Hintergrund
der Europäischen Union unter Berücksichtigung sowohl der geltenden
(Verfassungs)Rechtslage als auch der Praktikabilität und der Auswirkungen für
den Wirtschaftsstandort Österreich nicht
einer „konkurrierenden Gesetzgebung“ im hier vorgeschlagenen Sinne
überantwortet werden.
2. „Abkehr von
der Kompetenzabgrenzung nach dem Versteinerungsprinzip“
Während der
WKÖ-Vorschlag versucht, neue, abgerundete Kompetenztatbestände zu schaffen
(vgl. oben) enthält der Bußjäger-Vorschlag in den Klammerausdrücken die
bisherigen Kompetenztatbestände in unveränderter Weise; damit soll die neue
Kompetenz umschrieben werden. Durch diese Technik – und insb. im Zusammenhang
mit nicht aufgelösten bestehenden Zersplitterungen - ist für die Zukunft wohl
vorprogrammiert, dass Kompetenzabgrenzungsfragen wieder „versteinernd“ gelöst
werden (- wenn auch zu einem neuen Versteinerungszeitpunkt).
Eine Abkehr vom
Versteinerungsprinzip kann unserer Ansicht nach nur dann bewirkt werden, wenn
die Erklärung wirklich neuer und abgerundeter Kompetenztatbestände in (allfälligen)
Erläuterungen auch nach problemorientierten und praxisgerechten Kriterien
erfolgt und nicht die kasuistische und zum Teil Spezialprobleme lösende geltende
Umschreibung der Kompetenzen zugrunde gelegt wird.
3.
Lösung des „Dritten Kompetenzbereiches“
Der WKÖ-Vorschlag versucht, auch im „dritten Bereich“ den Vorgaben des
Mandats treu zu bleiben und insb. auch für sich etwa durch
wissenschaftlich/technische Entwicklung neu ergebende Materien durch
Schaffung einer Generalklausel Vorsorge zu treffen. Diese Generalklausel
gewährleistet als „geteilte Gesetzgebungszuständigkeit von Bund und Ländern“,
dass auch neu auftretende Aufgaben je nach konkreten Anforderungen der entsprechenden
Materie entweder zur Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen
Interesse durch bundeseinheitliche Regelung gelöst werden können oder im Sinne
des Subsidiaritätsprinzips den Ländern zur selbständigen Regelung übertragen
werden.
Der WKÖ-Vorschlag formuliert diesen Vorschlag für die Generalklausel im
Detail aus und sieht auch zugunsten der Länder einen
„Subsidiaritätsmechanismus“ und eine „Gutachterzuständigkeit“ des
Verfassungsgerichtshofes vor.
Zusätzlich wird in einigen abschließend genannten Bereichen, in denen es
aufgrund des Subsidiaritätsprinzips erforderlich erscheint, eine
Rahmengesetzgebungskompetenz des Bundes zur Diskussion gestellt. Für diese
Bereiche wäre aber auch eine Einordnung in die Generalklausel „geteilte
Zuständigkeit“ denkbar.
Demgegenüber scheint der „Vorschlag Bußjäger“ im Hinblick auf den
„dritten Bereich“ wenig ausgereift:
Es werden sowohl „konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeiten“ taxativ
aufgezählt als auch „Ziel- und Rahmengesetzgebungskompetenzen“ abschließend
genannt; dagegen findet sich aber keine konkrete Aussage hinsichtlich der
„Generalklausel“. Lediglich in den „grundsätzlichen Bemerkungen“ wird
ausgeführt: „Im Bereich der Generalklausel gilt dasselbe wie bei der
konkurrierenden Gesetzgebung“. Spezielle Regelungen für die „konkurrierende
Gesetzgebung“ finden sich hingegen nicht. Es wird vielmehr ausgeführt, dass
„sowohl in der konkurrierenden Gesetzgebung als auch bei der Ziel- und Rahmengesetzgebung
.... die Kompetenzwahrnehmung durch den Bund an das Vorliegen eines objektiven
Bedarfs zur Erlassung einheitlicher Regelungen im unbedingt erforderlichen
Ausmaß geknüpft“ ist. Wem die Beurteilung dieser Voraussetzungen obliegen soll,
um in der Praxis völlige Unklarheit über die Kompetenzzuordnung zu vermeiden,
wird jedoch nicht angesprochen.
Ohne genaue Definition der Generalklausel fehlt jedoch unseres Erachtens
eine abschließende Lösung für den „dritten Bereich“.
4.
Kompetenzen der Länder
Der WKÖ-Vorschlag versucht, den Vorgaben des Mandats Rechnung tragende
und insb. dem Subsidiaritätsprinzip entsprechende Landeskompetenzen zu schaffen
und den Ländern jene Zuständigkeiten zu geben, in denen es um Bürgernähe,
regionale Problemstellungen und die Ausbildung einer eigenen Identität geht.
In diesem Zusammenhang wäre den Ländern auch größere
Verfassungsautonomie zuzugestehen, sodass der Bereich „Angelegenheiten der
Landesverfassung“ größeren materiellen Gehalt als bisher erlangen könnte.
Weiters scheint es insb. aufgrund „europäischer Gegebenheiten“ geboten,
den Ländern im Rahmen des Art 16 B-VG größeren Handlungsspielraum für
„auswärtige Angelegenheiten“ einzuräumen.
Insgesamt ist bei den Kompetenzen der Länder mit zu berücksichtigen,
dass nach dem WKÖ-Vorschlag zu den Vollzugskompetenzen den Ländern in Zukunft
grundsätzlich auch die Vollziehung von Bundesgesetzen zukommen soll
(„Vollzugsföderalismus“).
Flankierend zu diesem Kompetenzverteilungsmodell schlägt die WKÖ auch
eine verstärkte Mitwirkung der Länder an der Bundesgesetzgebung – im Wege über
einen reformierten Bundesrat – vor:
Neben einer Aufwertung des Bundesrates in personeller Hinsicht (Entsendung
des Landeshauptmannes, allenfalls auch – sofern es sich dabei um eine vom
Landeshauptmann verschiedene Person handelt – des Landesfinanzreferenten, in
eventu auch von Landtagsabgeordneten) könnte auch daran gedacht werden, die
rechtliche Bestandskraft der Bundesratsbeschlüsse etwa in Gestalt der
Einführung von zusätzlichen Zustimmungserfordernissen bei bestimmten
Bundesmaterien vorzusehen.
Der Vorschlag Bußjäger lässt jedoch ein System bei der Zuordnung
von Landeskompetenzen vermissen:
Neben der Auflistung bestehender, auch Rest- oder Teil-Landeskompetenzen
(vgl. insb. „Vergabenachprüfung hinsichtlich der Auftragsvergaben der Länder,
Gemeinden und Gemeindeverbände") werden den Ländern zahlreiche neue
Kompetenzen zugeordnet, wobei zum Teil ein dahinterstehendes Prinzip für
diese Zuordnung nicht erkennbar ist (vgl. insb. Denkmalschutz,
Erwachsenenbildung, Tierzucht) und zum Teil durch diese Zuordnung neue
Zersplitterungen bedingt werden (zB Wildbach- und Lawinenverbauung, Denkmalschutz
„mit Ausnahme der Ausfuhr von Kulturgütern“, Tierzucht, „Seilbahnen,
Sessellifte und Schlepplifte, ausgenommen Sicherheitsmaßnahmen auf diesem
Gebiet“).
Nicht nachvollziehbar scheint auch die These, dass „die Gesetzgebung in
der 3. Säule eine Einschränkung der selbständigen Landesgesetzgebung
darstelle“ und daher „eine qualifizierte, über die sonstige Mitwirkung des
Bundesrates hinausgehende Ländermitwirkung erforderlich“ sei. Gerade im
vorliegenden Vorschlag wurden ausschließlich geltende Bundeskompetenzen,
Bedarfsgesetzgebungskompetenzen des Bundes bzw. Grundsatzgesetzgebungskompetenzen
dieser 3. Säule zugeordnet.
Eine verstärkte Mitwirkung des Bundesrates wäre unserer Ansicht nach
vielmehr nur dort geboten, wo geltende Landeskompetenzen in die Bundeskompetenz
bzw. den „dritten Bereich“ wandern sollen.
Nach den Ergebnissen
der Sitzung des Gründungskomitees des Österreich-Konvents vom
Mai 2003 soll die
künftige Verfassung eine zukunftsorientierte, kostengünstige, transparente und
bürgernahe Erfüllung der Staatsaufgaben ermöglichen. Es soll ein klarer, nach
Aufgabenbereichen gegliederter Kompetenzkatalog geschaffen werden.
Unter diesen
Prämissen verlangt das Mandat des Ausschusses 5:
·
Schaffung eines
klaren, nach abgerundeten Leistungs- und Verantwortungsbereichen gegliederten
Katalogs von Gesetzgebungskompetenzen
·
Berücksichtigung
der Rechtslage der Europäischen Union
Darauf aufbauend
ergeben sich aus der bisherigen Ausschussarbeit folgende Vorgaben:
·
Angestrebt wird
ein dreiteiliges Kompetenzverteilungssystem: exklusive Gesetzgebungskompetenzen
des Bundes, exklusive Gesetzgebungskompetenzen der Länder, „dritter Bereich“
(der als Generalklausel ausgestattet werden könnte).
·
Die
Praktikabilität ist im Auge zu behalten.
·
Das neue System
soll eine Abkehr von der Kompetenzabgrenzung nach dem Versteinerungsprinzip
bewirken.
Die WKÖ legt ihrem
Kompetenzverteilungsvorschlag folgende Prinzipien zugrunde:
·
Einheitlichkeit
des Wirtschaftsgebiets vor dem Hintergrund des Binnenmarktprinzips der EU.
·
Subsidiaritätsprinzip
Die Beurteilung der
vorgelegten Vorschläge ergibt vor diesem Hintergrund folgendes:
1.
Abgerundete
Kompetenzbereiche/Berücksichtigung EU
·
WKÖ-Vorschlag
vermeidet Zersplitterungen und integriert Kompetenzdeckungsklauseln
·
Bußjäger-Vorschlag hält bisherige Zersplitterungen in
vielen Bereichen aufrecht und bietet (noch) keine Lösung für
Kompetenzdeckungsklauseln.
2.
Abkehr
vom Versteinerungsprinzip
·
WKÖ-Vorschlag
bietet durch neue, abgerundete Kompetenzen sowie wegen ihres Vorschlages einer
Generalklausel keinen Ansatz, die Versteinerungsjudikatur fortzuführen
·
Bußjäger-Vorschlag
programmiert durch Verweis auf bisherige Kompetenztatbestände zukünftige
Kompetenzauslegung durch Versteinerung vor.
3.
„Dritter
Kompetenzbereich“
·
WKÖ-Vorschlag
bietet durch ausformulierte Generalklausel vollständiges Modell auch für neu
entstehende Kompetenzmaterien
·
Bußjäger-Vorschlag lässt die Ausgestaltung der
Generalklausel offen.
4.
Kompetenzen
der Länder
·
WKÖ-Vorschlag
versucht, dem Subsidiaritätsgrundsatz Rechnung zu tragen, sieht flankierende
Maßnahmen im Bereich der Vollzugszuständigkeiten und der Rolle des Bundesrates
vor
·
Bußjäger-Vorschlag
lässt kein System bei der Zuordnung von Zuständigkeitsbereichen zu den Ländern
erkennen und bewirkt zum Teil durch Neuzuordnung zusätzliche Kompetenzzersplitterung.
[1] Ausgeklammert bleiben sollten nach Ansicht der WKÖ vorerst die Bereiche „Schul- und
Unterrichtswesen, Lehrer“ (starker Zusammenhang mit den Ergebnissen des
Ausschusses 6) sowie Art 17 B-VG (starker Zusammenhang mit Ausschuss
7).