26. März 2004
Bericht des Ausschusses 9
Rechtsschutz und Gerichtsbarkeit
Der Österreich-Konvent hat dem Ausschuss 9 die folgenden
Themenbereiche zur Vorberatung zugewiesen:
Einrichtung eines effizienten und effektiven Rechtsschutzes unter
dem Gesichtspunkt bürgerinnen- und bürgernaher Entscheidungen: Ordentliche
Gerichtsbarkeit, Gerichtshöfe öffentlichen Rechts, Verwaltungsgerichtsbarkeit
in den Ländern, Sondersenate.
Im Einzelnen ergeben sich dazu
folgende Fragestellungen:
I) Allgemein
Gerichtsbarkeit – Struktur- und Systemfragen
II) Ordentliche Gerichtsbarkeit
1)
Gerichtsorganisation
2)
Neuorganisation (OGH – OLG – Eingangsgerichte?)
3)
Fragen zur Staatsanwaltschaft
4)
Entfall der Mitkompetenz der Landesregierungen bei Sprengeländerungen der
Gerichte?
III) Gerichtshöfe öffentlichen Rechts
1)
Verhältnis der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts zueinander
2)
Problembereiche (zB Verwaltungsgerichtshof ® Belastung)
3)
Mitwirkungsrechte der Länder bei Bestellung der Spitzen und der Zusammensetzung
4)
Bestellungsvorgang – Transparenz – Hearing
5)
Kostentragung
IV) Verwaltungsgerichtsbarkeit in den Ländern
1)
Problemstellung – Kompetenzen, Instanzenzug
2)
Kostentragung
V) Sondersenate:
Art
133 Z 4 B-VG – Behörden, UVS und UBAS sowie unabhängige Behörden, die
primär
mit der Rechtskontrolle betraut sind (Koordinierung mit Ausschuss 7)
VI) Rechtsschutz – Erweiterung?
Zeitplan:
Der Ausschuss hat dem Präsidium spätestens 4 Monate nach seiner
konstituierenden Sitzung am 31.10.2003 einen schriftlichen Bericht (zumindest
einen Teilbericht; gegebenenfalls mit Textvorschlägen für eine neue Verfassung)
über die Ergebnisse der Beratungen vorzulegen.
Mitglieder des Ausschusses und deren Vertretung:
Univ.-Prof. Dr.
Herbert Haller (Vorsitzender)
Univ.-Prof. Dr.
Clemens Jabloner (stellvertretender
Vorsitzender)
Maga.
Renate Brauner (fallweise
vertreten durch Dr. Kurt Stürzenbecher
fallweise
vertreten durch Gerhard Neustifter)
Univ.-Prof. Dr.
Bernd-Christian Funk (fallweise
begleitet von Maga. Gerda Marx)
BM
Elisabeth Gehrer (fallweise
vertreten durch Mag. Heribert
Donnerbauer)
Univ.-Prof. DDr. Christoph Grabenwarter
Univ.-Prof. Dr. Gerhart Holzinger
Univ.-Prof. Dr.
Karl Korinek (fallweise
begleitet von Maga. Andrea Martin)
DDr. Karl
Lengheimer
Dr. Johann Rzeszut (fallweise
begleitet von Dr. Gerhard Kuras)
Dr. Johannes
Schnizer
Maga. Terezija Stoisits (fallweise
begleitet/vertreten von Mag. Thomas Sperlich)
Seitens des Büros
des Österreich-Konvents wurde der Ausschuss von Dr. Gert Schernthanner betreut.
In seiner Sitzung vom 16.12.2003 hat der Ausschuss seinen Beratungen
folgende externe Experten beigezogen:
Dr. Barbara Helige,
Präsidentin der Österreichischen Richtervereinigung
Dr.
Wolfgang Fellner, Sektionschef der Präsidialsektion im BM für Justiz
(mit
Mag. Peter Hadler, Leiter der Abteilung Pr 1 im BM für Justiz)
Dr.
Klaus Schröder, Vorsitzender der Bundessektion Richter und Staatsanwälte in
der
Gewerkschaft öffentlicher Dienst
Dr.
Wolfgang Swoboda, Präsident der Vereinigung Österreichischer Staatsanwälte
Dr.
Walter Presslauer, Generalprokurator.
In seiner Sitzung vom 28.1.2004 hat der Ausschuss seinen Beratungen
folgende – weitere – externe Experten beigezogen:
Dr. Helmut Hubner,
Präsident des Oberlandesgerichts Linz
Dr. Gerhard Benn-Ibler, Präsident des Österreichischen
Rechtsanwaltskammertags
Dr.
Bernhard Frizberg, Vizepräsident der Österreichischen Notariatskammer
(mit
Dr. Christian Sonnweber, Geschäftsführer der Österreichischen Notariatskammer)
Mag. Gero Schmied, Mitglied des UVS Wien und Vorsitzender der
Vereinigung der
Mitglieder der UVS
Dr. Hans Linkesch, Präsident des UVS Oberösterreich und Vorsitzender
der
Konferenz der Präsidenten und Vizepräsidenten der UVS.
Darüber hinaus wurde im Zusammenhang mit der diskutierten Einführung
der Landesverwaltungsgerichtsbarkeit von der Ausschussbetreuung – auf der
Grundlage der einschlägigen Vorarbeiten von Grabenwarter in
Korinek/Holoubek, Kommentar zum B-VG (Loseblattsammlung), und Lanner,
Kodex Verfassungsrecht, 19. Auflage, 2003 – eine aktualisierte Liste über die
derzeit bestehenden Kollegialbehörden mit richterlichem Einschlag und die
sonstigen weisungsfreien Verwaltungsbehörden ausgearbeitet und mit Schreiben
vom 23.12.2003 an das Bundeskanzleramt/Verfassungsdienst (für den
Bundesbereich) und an alle Ämter der Landesregierungen (für die jeweiligen
Länder) mit der Bitte um Durchsicht und allfällige Ergänzung versendet. Es
haben alle angeschriebenen Ämter geantwortet und – zum Teil umfangreiche –
ergänzende Stellungnahmen erstattet. Diese Stellungnahmen wurden in der
Zwischenzeit von der Ausschussbetreuung in die Liste eingearbeitet, die nunmehr
– vollständig ergänzt und aktualisiert – diesem Bericht am Ende (als Punkt „C.
Anhang“) angeschlossen ist und als Grundlage für zukünftige Diskussionen dienen
könnte.
Der Ausschuss hat sich am 31.10.2003 konstituiert und die Themen,
die sich aus dem vom Präsidium erteilten Mandat ergeben, in insgesamt elf
Sitzungen – sieben Sitzungen des Ausschusses und vier Sitzungen der zum
Generalthema „Einführung der (Landes-) Verwaltungsgerichtsbarkeit“ gebildeten,
so genannten „kleinen Arbeitsgruppe“ – beraten.
Motto:
„In der Fülle verfassungsfremden Stoffes gingen die Umrisse der
tragenden Ordnung verloren; barocke Stuckatur überzog den ursprünglichen Bau.
Verfassungsschöpfung aber beginnt damit, dass sie Kontraste schafft,
dass sie herausfordernde Bilder prägt und damit Ziele setzt und Wege zur
praktischen Handlung öffnet.“
A. Allgemeiner Teil
Über das bei den Beratungen des Ausschusses 9 erzielte Ergebnis wird
der nachstehende Bericht erstattet. Dazu wird Folgendes vorausgeschickt:
Die Gliederung des Berichts entspricht der des - dem Ausschuss erteilten - Mandats.
Neben den ausdrücklich im Mandat enthaltenen Punkten hat es der Ausschuss - einem vom stellvertretenden Ausschussvorsitzenden in der
konstituierenden Sitzung erstatteten Vorschlag folgend – als zweckmäßig
angesehen, auch den Bereich des präventiven Rechtsschutzes durch Beiräte und
Rechtsschutzbeauftragte im Ausschuss zu behandeln.
Im Sinne des ihm erteilten Mandats hat der Ausschuss die
im Mandat angeführten Themen (bzw Subthemen) dahingehend geprüft, ob ein
bundesverfassungsgesetzlicher Änderungsbedarf gegeben ist und - bejahendenfalls - welche
Reformoptionen dafür bestehen; so weit möglich hat der Ausschuss konkrete
Formulierungsvorschläge ausgearbeitet.
Der Bericht gibt das Ergebnis der Beratungen im
Ausschuss zu den einzelnen von diesem behandelten Themen wieder: Soweit dabei
kein Konsens erzielt werden konnte, erachtete es der Ausschuss als zweckmäßig
und auch für die weitere Arbeit im Präsidium bzw. im Plenum des
Österreich-Konvents förderlich, die unterschiedlichen Positionen sowie die
dafür jeweils ins Treffen geführten Argumente zu dokumentieren, um auf diese
Weise einen Beitrag zur künftigen Konsensfindung zu leisten.
Bei manchen vom Ausschuss zu behandelnden Fragen hat
sich in den Beratungen herausgestellt, dass eine abschließende Meinungsbildung
vom Ergebnis der Beratungen in anderen Ausschüssen, deren Beratungen noch nicht
abgeschlossen sind, abhängt. In diesen Fällen hat sich der Ausschuss bemüht,
zumindest eine vorläufige Position zu formulieren. Der Ausschuss geht
diesbezüglich - die Zustimmung des Präsidiums
vorausgesetzt - davon aus, dass er seine Beratungen zu
diesen Fragen zu gegebener Zeit wieder aufnehmen und abschließen wird. Des
weiteren möchte der Ausschuss seine Bereitschaft zum Ausdruck bringen, sich zu
einem späteren Zeitpunkt mit bisher noch nicht behandelten Themen sowie - gegebenenfalls aufbauend auf die dazu erfolgenden Beratungen im
Präsidium des Österreich-Konvents - mit
einzelnen Themen des Mandats, zu denen noch kein Konsens erzielt werden konnte
bzw. zu denen mehrere Varianten vorgelegt worden sind, erneut zu befassen.
Diese Bereitschaft besteht umso mehr, als sämtliche Ausschussmitglieder (und
deren Vertreter) sehr sachlich und konstruktiv an den bisherigen Sitzungen des
Ausschusses und der „kleinen Arbeitsgruppe“ mitgearbeitet haben und das von
allen Seiten gezeigte ernsthafte Bemühen um sachgerechte Ergebnisse eine
Fortsetzung der Beratungen sinnvoll und lohnend erscheinen lässt.
Abgesehen davon hat sich auch bei anderen vom Ausschuss
zu behandelnden Fragen herausgestellt, dass sie mit Themen zusammenhängen, die
vom Mandat anderer Ausschüsse erfasst sind. Darauf wird im Bericht jeweils
ausdrücklich aufmerksam gemacht.
Der vom Vorsitzenden des Ausschusses verfasste Bericht
ist vom Bemühen getragen, die in den Beratungen jeweils vertretenen - sei es auch unterschiedlichen - Positionen wiederzugeben und somit abweichende Stellungnahmen
einzelner Ausschussmitglieder – nach Möglichkeit – entbehrlich zu machen.
I) Allgemein
I) 1) Zum Modell eines „Rats der Gerichtsbarkeit“
Der von der richterlichen
Standesvertretung erstattete und hauptsächlich in den Ausschusssitzungen am
16.12.2003 und 12.2.2004 diskutierte Vorschlag nach Einführung eines „Rats der
Gerichtsbarkeit“ zielt auf die Stärkung der Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit
als der dritten Staatsgewalt (neben der Legislative und der Exekutive) ab[1].
Danach solle ein so genannter „Rat der Gerichtsbarkeit“ geschaffen und von
insgesamt 24 Mitgliedern (Bundespräsident oder Nationalratspräsident als
Vorsitzender, Bundesminister für Justiz, die Präsidenten des Obersten
Gerichtshofs, des Österreichischen Rechtsanwaltskammertags und der
Österreichischen Notariatskammer, je ein Mitglied jeder der [derzeit vier] im
Nationalrat vertretenen Parteien sowie 15 Richter) gebildet werden. Diesem „Rat
der Gerichtsbarkeit“ solle nach den Vorstellungen der richterlichen
Standesvertretung sowohl die Personalhoheit (etwa die Richterernennung) als
auch die Budgethoheit (Ausarbeitung eines Budgetentwurfs, direkte
Budgetverhandlungen mit dem Bundesministerium für Finanzen) obliegen. Um die
Arbeitsfähigkeit und Effektivität des Gremiums sicher zu stellen, solle ein ca
fünfköpfiger Exekutivausschuss gebildet werden. Durch die Einbindung der
maßgeblichen politischen Kräfte in den Vorgang der Richterernennung solle das
Vertrauen der Politik in die Justiz gestärkt werden.
Das
Modell des „Rats der Gerichtsbarkeit“ in der vorgeschlagenen Form stieß im
Ausschuss aus grundsätzlichen demokratiepolitischen Erwägungen und aus Gründen
der Gewaltenteilung eher auf Skepsis (sowohl hinsichtlich der Personalhoheit
als auch hinsichtlich der Budgethoheit). Es wurde vor der Gefahr der zukünftig
verstärkt zu erwartenden Verpolitisierung der Richterernennung durch die
Teilnahme von Mitgliedern aller im Nationalrat vertretenen Parteien gewarnt.
Was die budgetäre Seite betrifft, wurde einerseits darauf hingewiesen, dass die
Erstellung eines Budgetvorschlags ein sehr hohes Maß an Sachverstand
voraussetze und dass es für die Richterschaft andererseits besser sei, wenn der
Justizminister als Regierungsmitglied den „Kampf ums Budget“ mit dem
Finanzminister (als seinem Regierungskollegen) führt. Schließlich würde –
wollte man dem Richterrat tatsächlich die Budgethoheit übertragen – dies zu
einem Auseinanderfallen von Einnahmen- und Ausgabenverantwortung führen, was
schon aus grundsätzlichen ökonomischen Erwägungen nicht wünschenswert sei.
Zum
Teil gab es jedoch auch Verständnis für das Anliegen, die Interessen und die
Bedürfnisse der Gerichtsbarkeit unmittelbar gegenüber der politischen
Verantwortung zu vertreten. Insoweit Bedenken gegen ein solches justizielles
„Mischorgan“ und gegen die Einbindung von politischen Mandataren angemeldet
wurden, wurde dem entgegengehalten, dass eventuell auch ein Kollegialorgan,
allenfalls mit Beteiligung der Präsidenten der Oberlandesgerichte und mit einer
hervorgehobenen Stellung des Präsidenten des Obersten Gerichtshofs vorstellbar
wäre, das die besondere Stellung der Gerichtsbarkeit – als gegenüber der
Gesetzgebung und Verwaltung gleichberechtigte Staatsgewalt – etwa in Personal-
und Budgetfragen stärker als jetzt zum Ausdruck bringen könnte (Einrichtung
eines „Justizrats“). Um die in diesem Zusammenhang angestellten Überlegungen
noch zu vertiefen, wurde auch angeregt, das Büro des Österreich-Konvents möge
einen internationalen Vergleich über die Organisation der Spitzen der
Justizverwaltung einholen.
I) 2) Zur Bindungswirkung der Besetzungsvorschläge der richterlichen
Personalsenate
Was die Personalauswahl betrifft, sollte es nach der mehrheitlichen
Meinung des Ausschusses beim bisherigen System der Erstattung von
Besetzungsvorschlägen durch die Personalsenate bleiben, wobei auch die Frage
erörtert wurde, ob diese Besetzungsvorschläge gegenüber dem letztlich
entscheidenden Bundesminister für Justiz mit „relativer Bindungswirkung“
ausgestattet werden sollten (das heißt, der Justizminister zumindest
verpflichtet sein sollte, einen der vorgeschlagenen Bewerber zu ernennen). Hier
entwickelten sich im Ausschuss sozusagen zwei „Denkschulen“: Während die einen
die Meinung vertraten, dass sich das bisherige Bestellungsverfahren im
Justizbereich (keine „relative“ Bindungswirkung der Besetzungsvorschläge der
Personalsenate gegenüber dem Justizminister) bewährt habe und dieses Verfahren
auch in Zukunft (auch für die Verwaltungsgerichte; dazu später unter Punkt IV))
gelten solle, traten die anderen dafür ein, die Besetzungsvorschläge der Personalsenate
(sowohl im Bereich der ordentlichen Gerichtsbarkeit als auch für die
zukünftigen Verwaltungsgerichte) verbindlich zu machen, zumal die
Personalsenate in der ordentlichen Gerichtsbarkeit derzeit aus immerhin fünf
Berufsrichtern bestehende Kollegialorgane seien und aufgrund der alle vier
Jahre durchzuführenden Personalsenatswahlen auch in hohem Maße berufsständisch
legitimiert seien. Überdies hätten die Justizminister in den letzten Jahren, ja
sogar Jahrzehnten, ohnedies niemals einen in diesen Besetzungsvorschlägen
überhaupt nicht vorkommenden Bewerber ernannt.
Vorgeschlagen,
aber noch nicht im Detail im Ausschuss besprochen wurde auch, den
Personalsenaten ein Mitspracherecht bei der Auswahl und Aufnahme in den
richterlichen Vorbereitungsdienst einzuräumen. Um eine größere Transparenz bei
der Aufnahme in den richterlichen Vorbereitungsdienst zu erreichen und damit
den gleichen Zugang zum Richterberuf abzusichern, wurde auch die Einschaltung
eines anonymisierten Auswahlverfahrens (eines „Concours“), wie er in vielen
Ländern existiere, vorgeschlagen.
Um
das Gesamtprojekt bzw das Ziel einer rechtsstaatlichen Verbesserung durch
Einführung von (Landes-)Verwaltungsgerichten nicht zu gefährden, zeichnete sich
im Ausschuss eine Zustimmung zum Verzicht auf bindende Besetzungsvorschläge ab.
Das in der ordentlichen Gerichtsbarkeit so gut wie nicht (und schon lange nicht
mehr) in Anspruch genommene Abweichen vom Besetzungsvorschlag zu Gunsten
einer/eines Nichtnominierten wurde in diesem Zusammenhang von einigen
Ausschussmitgliedern als präventiv wirkende „Notbremse“ gesehen. Vorgeschlagen
wurde auch, dass der Bundesminister für Justiz bei seiner Auswahl einer
Begründungspflicht unterliegen sollte.
Im
Zusammenhang mit der Einrichtung einer in Instanzen gegliederten
Gerichtsbarkeit des öffentlichen Rechts wurde mehrfach das Anliegen vertreten,
dass die Bereiche der ordentlichen Gerichtsbarkeit und der Gerichtsbarkeit des
öffentlichen Rechts wechselseitig durchlässiger werden sollten. Dies setzt
natürlich entsprechende Ausbildungsmaßnahmen voraus. Konsens bestand hierbei,
dass eine solche wechselseitige Durchdringung die Qualität der Rechtssprechung
erhöhen könnte, insbesondere auch in Grenzbereichen zwischen öffentlichem und
privatem Recht.
II) Ordentliche Gerichtsbarkeit
Das Generalthema „Ordentliche Gerichtsbarkeit“ war Gegenstand der
Ausschusssitzungen vom 16.12.2003, vom 28.1.2004 (und der dabei jeweils
durchgeführten Hearings) und vom 12.2.2004.
II) 1) Gerichtsorganisation und
II) 2) Neuorganisation (OGH – OLG – Eingangsgerichte?)
Im
Ausschuss konnte Konsens in folgenden drei Punkten erzielt werden:
Sowohl
Art 92 B-VG, der den Obersten Gerichtshof (im Folgenden kurz: OGH) zur obersten
Instanz in Zivil- und Strafsachen erklärt, als auch Art 83 Abs 1 B-VG, wonach
die Verfassung und die Zuständigkeit der Gerichte durch Bundesgesetz (und nicht
etwa durch bloße Verordnung) zu regeln sind, als auch Art 88a B-VG, wonach die
Zahl der so genannten „Sprengelrichter“ mit 2% begrenzt ist, sollten
unverändert aufrecht belassen werden.
Ebenso
besteht im Ausschuss Konsens darüber, die Bestimmung des § 8 Abs 5 lit d) des
Übergangsgesetzes aus 1920 zu streichen (dazu näher unter Punkt II) 4)).
Inhaltlich
aufrecht bleiben und in den Verfassungstext integriert werden sollte dagegen §
28 ÜG 1920, wonach die (im Jahr 1920) geltenden Bestimmungen über die
Zuständigkeit und Zusammensetzung der Zivil- und Strafgerichte bis auf weiteres
in Kraft bleiben, womit offenbar der Zweck verfolgt wurde, bereits bestehende
Bestimmungen auf dem Gebiet von Zivil- und Strafgerichtsbarkeit, insbesondere
solche über die Laienbeteiligung, verfassungsrechtlich abzusichern.
Der
vom Bundesministerium für Justiz erstattete Vorschlag, die Gerichtsorganisation
(durch Zusammenlegung der derzeit bestehenden Bezirks- und Landesgerichte zu so
genannten „Eingangsgerichten“) von derzeit vier auf zukünftig drei Ebenen zu
reduzieren[2],
stieß im Ausschuss grundsätzlich auf Zustimmung; hinsichtlich der näheren
Details war man sich darüber einig, die Zahl und Zuständigkeit der
Eingangsgerichte nicht in der Verfassung zu regeln. Hinsichtlich der Zahl und
Organisation der Rechtsmittelgerichte (9 Landesgerichte oder 4
Oberlandesgerichte – allenfalls mit „Außensenaten“) konnte kein Konsens erzielt
werden. Von manchen Ausschussmitgliedern wurde darauf hingewiesen, dass an den
Standorten der jetzigen vier Oberlandesgerichte weiterhin die Justizverwaltung
wahrgenommen werden könnte, es jedoch auch in Zukunft in jedem Bundesland
zumindest ein Rechtsmittelgericht geben müsse. Eine Auffassung
ging dahin, dass durchgängig in jedem Bundesland ein Landesgericht als
Rechtsmittelgericht eingerichtet werden sollte und die Landesgerichte an den
Standorten der bisherigen Oberlandesgerichte zusätzlich die Justizverwaltung
für den gesamten bisherigen Sprengel weiterhin wahrnehmen sollten. Ein möglicher Kompromiss in
dieser Frage könnte – im Sinne der Ausführungen von Peter G. Mayr[3]
– darin liegen, die vier Oberlandesgerichte als Justizverwaltungszentren zu
belassen, jedoch Rechtsmittelinstanzen in sämtlichen Landeshauptstädten – etwa
durch Schaffung entsprechender Außenstellen der vier Oberlandesgerichte – zu
etablieren.
Auch
wenn nicht verkannt wird, dass die immer komplexer werdende Rechtsordnung ein
gewichtiges Argument für eine Spezialisierung auch innerhalb der Richterschaft
darstellt, erscheint dem Ausschuss mehrheitlich die verfassungsrechtliche
Verankerung einer dreistufigen Gerichtsorganisation auch deshalb entbehrlich,
weil man in der Vergangenheit diesbezüglich mit relativ wenigen Bestimmungen
auf Verfassungsebene (Art 83 und 92 B-VG, §§ 8 Abs 5 lit d) und 28 ÜG 1920) gut
ausgekommen ist und der Bedarf für mehr Bestimmungen über die
Gerichtsorganisation in der Verfassung nicht erkennbar ist. Fragen der
Gerichtsorganisation sollten – wie bisher – Gegenstand der Justizpolitik sein
und einfachgesetzlich geregelt werden. Die derzeitige Verfassungsrechtslage ist
– so die überwiegende Meinung im Ausschuss – einerseits bestimmt genug, um den
einfachen Gesetzgeber hinreichend zu determinieren, und andererseits flexibel
genug, um auf Änderungen im Faktischen entsprechend rasch reagieren zu können;
daran sollte grundsätzlich festgehalten werden.
II) 3)
Fragen zur Staatsanwaltschaft
II) 3)
a) Zur verfassungsrechtlichen Verankerung einer Bestands- und Funktionsgarantie
zugunsten der Staatsanwaltschaften
Wie
der Präsident der Vereinigung Österreichischer Staatsanwälte anlässlich des
Hearings am 16.12.2003 ausführte, hat sich die Rolle der Staatsanwaltschaften
in den letzten Jahren und Jahrzehnten stark verändert und kontinuierlich
verstärkt: So sind in den 80er Jahren die Diversionsregelungen im
Drogenstrafrecht und im Jugendstrafrecht sowie die diversionsnahe Regelung des
§ 42 StGB (Einstellung des Verfahrens wegen mangelnder Strafwürdigkeit der Tat)
den Staatsanwaltschaften zugewachsen. Durch die StPO-Novelle 1999 ist die
Diversionsregelung im allgemeinen Strafrecht (auch für Erwachsene) eingeführt
worden. Durch die vor kurzem beschlossene, umfassende StPO-Reform (Reform des
Vorverfahrens) wird diese Entwicklung einer Verstärkung und Erweiterung der
Rolle der Staatsanwaltschaft insofern weitergeführt, als an die Stelle der
Voruntersuchung ein abgegrenzter Bereich obligatorischer richterlicher
Beweisaufnahme getreten ist, die Staatsanwaltschaft zur verfahrensführenden
Behörde aufgewertet und ihr die Leitung und Durchführung des
Ermittlungsverfahrens – in Kooperation mit der Polizei – übertragen wurde.
Dieser Rollenwandel – so der Präsident der Vereinigung Österreichischer
Staatsanwälte – sei mit der Umsetzung der StPO-Reform noch längst nicht
abgeschlossen. Die skizzierten Entwicklungen könnten auch durch die folgenden
Zahlen (aus dem Jahr 2000) belegt werden: in diesem Jahr sind insgesamt ca. 50%
der Anzeigen von den Staatsanwaltschaften zurückgelegt und weitere 18% der
Anzeigen diversionell behandelt worden, während nur mehr 22% der Fälle
angeklagt worden sind. Das bedeutet, dass nur mehr jeder fünfte angezeigte
Straffall letztlich vom Strafgericht entschieden wird.[4]
Vor
dem Hintergrund der genannten Zahlen und des dargelegten Wandels der Rolle
(aber auch des Rollenverständnisses) der Staatsanwaltschaften, die belegen,
dass die Staatsanwaltschaften sowohl funktionell (als Aufbereiter des
Prozessstoffes für die Entscheidung durch die Strafgerichte) als auch personell
(Richter und Staatsanwälte genießen dieselbe Ausbildung) als Teil der dritten
Staatsgewalt, nämlich der Gerichtsbarkeit, anzusehen sind, konnte – ungeachtet
der unterschiedlichen Einschätzung dieses Rollenwandels – im Ausschuss Konsens
darüber erzielt werden, zugunsten der Staatsanwaltschaften sowohl eine
Bestands- als auch eine Funktionsgarantie (als öffentliche Ankläger)
verfassungsrechtlich zu verankern. Auf der Grundlage eines von der Vereinigung
Österreichischer Staatsanwälte erstatteten Vorschlags für einen (nach dem
jetzigen System) neuen Art 90 Abs 3 B-VG[5]
wurde in Zusammenarbeit mit dem Leiter der Straflegislativsektion im
Bundesministerium für Justiz, Sektionschef Dr. Miklau, ein Textvorschlag
erarbeitet, der im Besonderen Teil (mitsamt Erläuterungen) abgedruckt ist.[6]
Der
Vorschlag von Dr. Miklau fand im Ausschuss breite Zustimmung. Als
problematisch wurde lediglich der Verweis auf die Strafprozessordnung angesehen;
es wurde darauf hingewiesen, dass dieser Verweis deshalb notwendig sein könnte,
um den vorliegenden Entwurf einer Strafprozessreform verfassungsrechtlich
abzusichern. Als Konsens wurde schließlich festgehalten, dass den
Staatsanwaltschaften die „justizielle Strafverfolgung“ per
Verfassungsbestimmung zugewiesen werden solle. Ein Verweis auf die StPO sollte
unterbleiben und in die Erläuterungen zum Gesetzesentwurf vielmehr ein Hinweis
aufgenommen werden, dass vom bisherigen Stand der Strafprozessordnung und ihrer
Weiterentwicklung auf einfachgesetzlicher Ebene ausgegangen wird.
II) 3) b) Zu Fragen des Weisungsrechts
Der
Präsident der Vereinigung Österreichischer Staatsanwälte meinte anlässlich des
Hearings am 16.12.2003, dass das Weisungsrecht zwar grundsätzlich sehr wohl
seine Berechtigung habe, die Weisungshierarchie jedoch justizintern bleiben und
nicht – wie derzeit – beim Bundesminister für Justiz und damit außerhalb der
Justiz enden solle. Die für die Tätigkeit der Staatsanwälte notwendige Kontrolle
und Weisungshierarchie solle keine politische, sondern vielmehr eine streng
juristische sein, weshalb das Weisungsrecht – auch aus Gründen der „Optik“ –
vom Bundesminister für Justiz auf die Generalprokuratur übertragen werden
solle. Ob die
Generalprokuratur dafür das geeignete Organ sei, stieß jedoch im Ausschuss auf
Skepsis.
Es
wurde die Beibehaltung des derzeitigen Systems des Weisungsrechts und auch der
derzeitigen Weisungshierarchie verlangt. Einerseits wurde vor einer
Verpolitisierung der Generalprokuratur (bzw jeder anderen Form einer
zukünftigen Weisungsspitze) gewarnt und andererseits darauf hingewiesen, dass
die Generalprokuratur aufgrund des ihr eingeräumten Rechts zur Erhebung einer
Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes derzeit nur „Rechtswahrerin“
sei, während sie in Zukunft zu einer viel politischeren Institution werden
würde.
Im Laufe der
Ausschussarbeit wurden zum Weisungsrecht des Bundesministers für Justiz
gegenüber der Staatsanwaltschaft folgende Modelle diskutiert:
a)
Beibehaltung des gegebenen Zustands bei verbesserter Transparenz, etwa durch
Einrichtung eines parlamentarischen Ausschusses;
b)
Inhaltliche Änderungen des Weisungsrechts, durch
ba)
Ausschluss von Negativ-Weisungen und/oder
bb)
Beschränkung auf fachliche Weisungen;
c)
Generalprokurator als Spitze einer Weisungshierarchie ohne Durchgriff des
Bundesministers für Justiz;
d)
Einrichtung eines Bundesstaatsanwalts; dieser Bundesstaatsanwalt soll die
oberste staatsanwaltschaftliche Behörde sein, gegenüber den anderen
staatsanwaltschaftlichen Behörden weisungsbefugt, jedoch selbst weisungsfrei
sein; er soll vom Nationalrat in Anwesenheit von mindestens der Hälfte der
Mitglieder und mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen –
auf Grund eines Vorschlags des Hauptausschusses und nach vorheriger
öffentlicher Ausschreibung und Anhörung (unter Beteiligung von Vertretern der
Richter und Staatsanwälte) – für die Dauer von sechs Jahren gewählt werden
(einmalige Wiederwahl möglich); er unterliegt dem parlamentarischen
Interpellationsrecht; im Einzelnen wird hiezu auf Initiativanträge der
sozialdemokratischen Parlamentsfraktion verwiesen (329/A XXI. GP,
126/A XXII. GP);
e)
Sonstige Vorschläge: Verschiedentlich wurde die Auffassung vertreten, dass die
staatsanwaltschaftliche Tätigkeit ex post von einem parlamentarischen
Kontrollausschuss überprüft werden sollte.
Als weitere „Unter-Varianten“
wurden diskutiert, dass ausgenommene Weisungsbereiche einer nachprüfenden
Kontrolle unterzogen werden sollen oder dass das Weisungsrecht des
Justizministers nur dann bestehen solle, wenn der Staatsanwalt und der
Oberstaatsanwalt unterschiedliche Meinungen vertreten. Jede dieser Varianten
stieß aber letztlich auf mehr oder weniger große Skepsis.
Hinsichtlich
der inhaltlichen Ausgestaltung des Weisungsrechts stieß die Forderung nach
Abschaffung des so genannten „negativen Weisungsrechts“[7]
im Ausschuss nur teilweise auf Zustimmung: Hier wurde von den einen – als
Argument für die Abschaffung des negativen Weisungsrechts – die Frage
aufgeworfen, was denn die unabhängigste Justiz nütze, wenn man sie – über den
„Umweg“ der ministeriell veranlassten Verfahrenseinstellung – gar nicht erst
tätig werden lasse. Von anderen wurde hingegen – als Argument für die
Beibehaltung des negativen Weisungsrechts – die Gefahr vor den „wild
gewordenen“ Staatsanwälten und der drohenden medialen Vorverurteilung von (zu
Unrecht) angeklagten Personen beschworen.
Interesse
fand die von Miklau[8]
vorgeschlagene Formel, wonach das negative Weisungsrecht zwar nicht völlig
abgeschafft, wohl aber dadurch spürbar eingeschränkt werden solle, dass der
weisungsgebundene Staatsanwalt in Zukunft lediglich an (in die Form von
Weisungen gegossene) rechtliche Beurteilungen der Weisungsspitze gebunden sein
solle, dass es aber kein negatives Weisungsrecht unter Berufung auf die zu
schwache Beweislage, also keine „die Suppe ist zu dünn“-Weisung, mehr geben
dürfe. Freilich wirft dieser Vorschlag die Frage auf, inwieweit sich die Grenze
zwischen der rechtlichen Beurteilung und der Beurteilung der Beweislage in der
praktischen täglichen Arbeit des Staatsanwalts sauber ziehen lässt.
Eine
weitere Idee, mit der man auch die Generalprokuratur wieder ins Spiel brächte,
könnte darin bestehen, das schon bestehende Instrument der Subsidiaranklage
gemäß § 48 StPO nutzbar zu machen.[9]
Nach dieser Bestimmung kann ein Privatbeteiligter – grob gesprochen das Opfer
einer Straftat – in bestimmten Fällen (wenn die Strafanzeige zurückgelegt wird
oder der Staatsanwalt von der Verfolgung oder von der Anklage zurücktritt) die
öffentliche Anklage übernehmen und so gleichsam an die Stelle des Staatsanwalts
treten. Da es sich aber bei den vom ministeriellen (negativen) Weisungsrecht
erfassten Fällen in der Regel um eher „clamorose“ Fälle bzw solche mit einer
gewissen „politischen Schlagseite“ handelt, die sich sehr oft gegen die
öffentliche Hand (etwa im Fall des Amtsmissbrauchs gemäß § 302 StGB) oder gegen
die Rechtspflege (zB im Fall der falschen Zeugenaussage gemäß §§ 288 f StGB),
nicht jedoch gegen konkret festzumachende Personen als unmittelbare Opfer
richten, geht das Recht zur Erhebung der Subsidiaranklage in solchen Fällen
zumeist ins Leere. In eben diesen Fällen könnte man der Generalprokuratur in
Zukunft das – innerhalb einer bestimmten Frist (von zB einem Monat) auszuübende
– Recht zur Erhebung einer Subsidiaranklage einräumen. Diese Konstruktion würde
der Generalprokuratur zwar zugegeben einen etwas „politischeren“ Charakter
verleihen und stünde nach derzeitiger (insoweit zu ändernder) Rechtslage wohl
auch in einem gewissen Spannungsverhältnis zu § 2 Abs 1
Staatsanwaltschaftsgesetz, wonach auch die Generalprokuratur dem Weisungsrecht
des Justizministers unterliegt; davon abgesehen würde sie sich aber in das
bestehende System der Generalprokuratur als „Rechtswahrerin“ einfügen lassen
und aufgrund ihrer prohibitiven Wirkung die schon jetzt niedrige Zahl
ministerieller Weisungen wohl weiter senken.
Die
beiden zuletzt genannten Ideen wurden im Ausschuss jedoch nicht mehr eingehend
diskutiert. Es fiel auch das Argument, es sei auch das interne Weisungsrecht im
Bereich der Staatsanwaltschaft abzuschaffen und es seien die Staatsanwälte wie
Richter voll unabhängig zu stellen, wenn man schon mit der umfassenden
Aufgabenänderung der Staatsanwälte argumentiere.
Einigkeit
bestand im Ausschuss jedenfalls darüber, dass aufgrund des – unter Punkt II) 3)
a) dargelegten und
mit Zahlen untermauerten – Wandels der Rolle und des Rollenverständnisses der
Staatsanwaltschaften sowie insbesondere der vor kurzem beschlossenen
großen Strafprozessreform eine Verschärfung der Problematik des Weisungsrechts
des Justizministers eingetreten ist und dass die Ausübung des Weisungsrechts
durch den Justizminister – etwa durch Einrichtung eines eigenen
parlamentarischen Kontrollausschusses (der die Ausübung des Weisungsrechts ex
post kontrollieren sollte) – noch transparenter gestaltet werden sollte. Es gab
auch den Vorschlag, die staatsanwaltsinternen Weisungen im Gerichtsakt
einsehbar zu machen.
Schließlich ist – einem entsprechenden
Wunsch folgend – darauf hinzuweisen, dass die dargebotene Wiedergabe der
Weisungsrechtsdiskussion auf den Ergebnissen der Gespräche vor Verabschiedung
der StPO-Reform fußt.
Exkurs:
Fragen zur Beibehaltung der Laiengerichtsbarkeit
Die Frage, ob die ausdrückliche verfassungsrechtliche Verankerung
der Schöffen- und Geschworenengerichtsbarkeit in Art 91 B-VG bzw – noch
grundsätzlicher – ob die Laiengerichtsbarkeit in ihrer derzeitigen Form
überhaupt beibehalten werden solle, konnte im Ausschuss – angesichts der Fülle
und Komplexität der zu diskutierenden Probleme und der Knappheit der zur
Verfügung stehenden Zeit – bisher noch nicht eingehend diskutiert werden.
II) 4) Entfall
der Mitkompetenz der Landesregierungen bei Sprengeländerungen der Gerichte?
Wie bereits kurz erwähnt, besteht im Ausschuss grundsätzlich Konsens
darüber, die Bestimmung des § 8 Abs 5 lit d) des Übergangsgesetzes aus 1920[10]
(im Folgenden kurz: ÜG 1920), wonach Verordnungen über Änderungen in den
Sprengeln der Bezirksgerichte nur mit Zustimmung der jeweiligen Landesregierung
erlassen werden dürfen, ersatzlos zu streichen. Als Argument für diesen Entfall
wurde im Ausschuss ins Treffen geführt, dass diese Bestimmung im Bereich der
ansonsten bundesgesetzlich geregelten Gerichtsbarkeit einem „Fremdkörper“
gleiche und wohl auch nur historisch erklärbar sei. Diese Regelung sollte ja
nach dem Einleitungssatz des § 8 Abs 5 ÜG 1920 auch nur bis zu jenem Zeitpunkt
gelten, in dem die Organisation der allgemeinen staatlichen Verwaltung in den
Ländern durch ein gemäß Art 120 B-VG zu erlassendes Bundesverfassungsgesetz und
die Ausführungsgesetze hiezu geregelt ist; tatsächlich ist ein solches
Bundesverfassungsgesetz bis heute nicht erlassen worden.[11]
Allenfalls
könnte der Entfall
dieser Bestimmung durch eine – verstärkte – Mitwirkung der Länder an der
Bundesgesetzgebung (etwa im Wege des Bundesrats) ausgeglichen werden. Zum Teil
wurde dezidiert gefordert, es möge der Aspekt der verstärkten Mitwirkung der
Länder bei den Überlegungen des Ausschusses 3 zur Neugestaltung des Bundesrats
berücksichtigt werden.
III) Gerichtshöfe öffentlichen Rechts und
Höchstgerichte überhaupt
Das Generalthema „Gerichtshöfe öffentlichen Rechts“ war vornehmlich
Gegenstand der Ausschusssitzungen vom 12.2.2004 und 27.2.2004. Das Thema wurde
unter zwei – einander teilweise überlappenden – Gesichtspunkten diskutiert: Zum
einen stellte sich – nach Einführung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster
Instanz (dazu näher unter Punkt IV) des Berichts) – im Ausschuss die Frage nach
dem Verhältnis zwischen dem VwGH und dem VfGH, zum andern wurde im Hinblick auf
einen allfälligen Ausbau des Grundrechtsschutzes und der Normenkontrolle die
Frage nach dem Verhältnis des VfGH zu den beiden anderen Höchstgerichten und
zur ordentlichen Gerichtsbarkeit insgesamt aufgeworfen. Im Einzelnen wurde vom
Ausschuss dazu Folgendes erwogen:
III) 1) Verhältnis der Gerichtshöfe
öffentlichen Rechts sowie aller drei Höchstgerichte zueinander
III) 1) a) Zur Konzentration der Verwaltungsgerichtsbarkeit beim
VwGH
Die Entwicklung
des Verfassungsrechts in Österreich – hier die Prüfungskompetenz des
Reichsgerichts, dort jene des VwGH – hat zu einer Doppelgleisigkeit der
Verwaltungsgerichtsbarkeit geführt. Diesbezüglich bestand im Ausschuss relativ
weitgehende Übereinstimmung darin, dass die
Sonderverwaltungsgerichtsbarkeit des VfGH im Falle einer instanzenmäßig
gegliederten Verwaltungsgerichtsbarkeit in gewisser Weise systemfremd – der
VfGH wäre zwischen einem Verwaltungsgericht ersten Instanz und dem
nachgeschalteten Verwaltungsgerichtshof anzurufen – und kompliziert wäre.
Gegenüber einer Abschaffung der Sonderverwaltungsgerichtsbarkeit im
Zusammenhang mit der Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz
(in einer der im Folgenden dargestellten Varianten) wurde im Ausschuss
teilweise die Auffassung vertreten, dass eine solche Konstruktion als Fernziel
einer Reform nicht aus dem Auge verloren werden sollte, zum gegenwärtigen
Zeitpunkt aber abzuwarten sei, inwieweit die Einführung der Verwaltungsgerichte
erster Instanz zu einer tatsächlichen Entlastung des VwGH führen werde. Dem wurde
von anderen Mitgliedern entgegengehalten, dass angesichts der geringen Anzahl
von Aufhebungen durch den VfGH in Verfahren nach Art 144 B-VG – die amtswegigen
Normenkontrollverfahren einmal außer Acht gelassen – eine massive Mehrbelastung
des VwGH, die die Entlastung durch die Verwaltungsgerichte erster Instanz
aufheben würde, nicht zu erwarten sei.
III) 1) b) Zur
„Umdrehung“ der Sukzessivbeschwerde
Es wäre möglich,
das bisherige System des Art 144 Abs 1 B-VG auf die Weise zu vereinfachen, dass
die Reihenfolge der prüfenden Gerichtshöfe umgedreht wird: Die Beschwerde wäre
also zunächst an den VwGH und danach an den VfGH zu richten. Tatsächlich führt
das gegenwärtige System nicht nur zu einer erheblichen Zahl von
„sicherheitshalber“ an den VfGH herangetragenen Sukzessivbeschwerden, sondern
ist in seiner spezifischen Logik – quasi „Zwischenschaltung des VfGH“ zwischen
Verwaltungsbehörde und VwGH – nicht leicht vermittelbar.
Gegen
diesen Vorschlag wurde von einzelnen Mitgliedern eingewendet, dass diesfalls
der VfGH zur verwaltungsgerichtlichen „Überinstanz“ über dem VwGH werden
könnte. Zwar bestehe zwischen VfGH und VwGH ein unterschiedlicher
Prüfungsmaßstab: Während der VfGH die Verletzung in verfassungsgesetzlich
gewährleisteten Rechten zu prüfen hat, die vielfach nur bei gehäuftem Verkennen
der Rechtslage oder Verstoß gegen materielle Eingriffsvorbehalte vorliegt (so
genannte „Grobprüfung“), hat der VwGH jede Verletzung in subjektiven Rechten zu
prüfen. Tatsächlich könnte aber dann, wenn der VwGH bei der Prüfung der
behaupteten Verletzung in subjektiven Rechten zur Abweisung einer Beschwerde
kommt, der VfGH aber die Entscheidung des Verwaltungsgerichts erster Instanz
wegen Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten aufhebt, dies
zum Effekt führen, dass entweder das zugrunde liegende einfache Gesetz
verfassungswidrig sein müsste oder der Verwaltungsgerichtshof die
einfachgesetzliche Rechtslage verkannt hat.
III) 1) c) Zum Subsidiarantrag und zur Urteilsbeschwerde
Dieses Thema war vor allem Gegenstand der Ausschusssitzung vom
12.2.2004. Bei der damaligen Diskussion wurden insbesondere die nachfolgenden
„Leitgedanken“ thematisiert:
- Konzentration der Prüfung
der Verfassungsmäßigkeit von Rechtsakten bei einem Gericht, nämlich beim VfGH;
- Erweiterung der
Möglichkeit, behauptete Rechtswidrigkeit genereller Normen an den VfGH
heranzutragen;
- Vermeidung von zu
komplizierten, für den Rechtsunterworfenen nur schwer durchschaubaren
Verfahrenskonstellationen;
- Wahrung der
Gleichrangigkeit der drei Höchstgerichte als Ausdruck der Gewaltenteilung und
einer – entsprechend der jeweils überwiegenden Bedeutung der inhaltlich
tatsächlich zu entscheidenden Fragen vorgenommenen – aufgabenspezifischen
Organisation, die zwar allenfalls Verfahren zu trennbaren
Verfahrensgegenständen (Gesetzesprüfungsverfahren, Vorabentscheidungsverfahren)
zwischenschaltet, sonst aber die Verantwortungsbereiche nach
„Rechtsstreitigkeiten“ klar aufteilt (gegen ein organisatorisch verstandenes
Gleichrangigkeitsprinzip gab es zum Teil ausdrücklich Widerspruch).
ca)
Zum Subsidiarantrag
Ein Manko in der
Normenkontrolle wird darin gesehen, dass die zur Anfechtung nach Art 140 Abs 1
B-VG ermächtigten Gerichte – allenfalls auch trotz entsprechender Anregungen
seitens der Verfahrensparteien – keine Normprüfungsanträge an den VfGH stellen,
weshalb verfassungsrechtlich bedenkliche generelle Normen lange in Geltung
bleiben können. In erster Linie betrifft diese Frage die Justiz. Für den VwGH
stellt sich – im Hinblick auf Art 144 Abs 1 zweiter Fall B-VG – dieses Problem
nicht in der selben Schärfe, aber grundsätzlich doch auch. In die
Ausschussdiskussion wurde daher die Konstruktion eines „Subsidiarantrags“ eingebracht.
Dieser solle es dem Beschwerdeführer ermöglichen, nach Abschluss des Verfahrens
vor einem antragsberechtigten Gericht oder dem VwGH einen Antrag auf
Normprüfung an den VfGH zu stellen. Der Subsidiarantrag hätte den Vorteil, dass
damit der VfGH in Zukunft vermehrt die Möglichkeit hätte, als verfassungswidrig
angefochtene Gesetzesbestimmungen zu prüfen.
Wenn der VfGH die Norm
dann aufhebt, wäre das Verfahren vor den Gerichten fortzusetzen. Im Ausschuss
bestand die einhellige Meinung, dass ein solches Instrument einen Teil des
vorhandenen Problempotenzials abschöpfen könnte. Übrig blieben seltene Fälle
einer „verfassungskonformen Auslegung“. Für den Fall der Aufhebung der (vom
VfGH als verfassungswidrig erkannten) Gesetzesbestimmung müssten die Verfahren
- als eine Art „Ergreiferprämie“ – von den Gerichten auf der Grundlage der
bereinigten Rechtslage fortgeführt werden (ein Wiederaufnahmeverfahren wurde
zwar überlegt, jedoch wegen des Zeitfaktors letztlich nicht für zweckmäßig
erachtet): Das Verfahren wäre diesfalls also vor den Verwaltungsgerichten und
Verwaltungsbehörden oder vor den ordentlichen Gerichten wieder aufzunehmen.
Dieser Subsidiarantrag wurde im Ausschuss nur insoweit konsentiert, als er
gegenüber der geltenden Verfassungsrechtslage als Verbesserung gesehen wurde.
Ein Teil der Mitglieder hat sich für die weitergehende „Urteilsbeschwerde“
ausgesprochen.
Für die legistische
Gestaltung des Subsidiarantrags liegt ein Erstentwurf von Präsident Univ.-Prof.
Dr. Jabloner und Univ.-Prof. DDr. Grabenwarter vor. Hier ist zweifellos noch
legistische Feinarbeit zu leisten. So wurde etwa darauf hingewiesen, dass noch
zu entscheiden sein wäre, ob ein Subsidiarantrag schon während des
gerichtlichen Verfahrens und wie lange er nach einer Entscheidung gestellt
werden könnte.
cb) Zur Urteilsbeschwerde („Verfassungsbeschwerde“)
Wenn man ein System
anstreben wollte, bei dem sämtliche Verfassungsfragen letztlich vom VfGH
beantwortet werden, müsste man den eingeschlagenen Weg des – oben dargestellten
und im Ausschuss konsentierten – Subsidiarantrags weiter in Richtung einer
einheitlichen „Urteilsbeschwerde“ gehen. Bei dieser Variante hätte der Einzelne
die Möglichkeit, unmittelbar das höchstgerichtliche Urteil wegen
„Verfassungswidrigkeit“ beim VfGH anzufechten. Für eine solche Konstruktion
sprechen die Klarheit der Lösung und die Sicherung der Einheitlichkeit der
Verfassungsrechtssprechung.
Gegen eine solche
Konstruktion sprechen die Einführung quasi einer vierten Instanz und damit
verbundene Verfahrensverzögerungen sowie – nach Meinung vieler – die explizite
Aufgabe der Gleichrangigkeit der Höchstgerichte.
Dazu kommt die schon mit der
Einführung des Subsidiarantrags (im eingeschränkten Umfang) verbundene Gefahr,
dass davon exzessiv Gebrauch gemacht werden könnte. Zu überlegen ist auch der
Umstand, dass das Fehlen einer gesicherten VfGH-Judikatur in neuen
Rechtsgebieten und die dem entsprechend schwierige Prognostizierbarkeit
künftiger Entscheidungen die Erhebung solcher Urteilsbeschwerden sehr
verlockend machen würde. Hingewiesen wurde auch darauf, dass der geforderte
Ausbau des Rechtsschutzes zugunsten der beschwerdeführenden Partei stets auf
Kosten der anderen Verfahrenspartei ginge, die regelmäßig einen kosten- und
zeitintensiven Prozess durch drei Instanzen gewonnen hätte und dann erst recht
wieder vor der Situation stünde, eine Verlängerung des Prozesses (und damit der
Zeit der Ungewissheit) und eine weitere Verzögerung des Eintritts der
Rechtskraft und der Vollstreckbarkeit des (für sie günstigen) Urteils in Kauf
nehmen zu müssen.
Schließlich wurde von einzelnen Mitgliedern auch die
Auffassung vertreten, die Systeme der „Verfassungsbeschwerde“ und des
Subsidiarantrags ließen sich im Interesse des Prinzips der Gleichrangigkeit der
Höchstgerichte auch kombinieren. Im Einzelnen wurde folgendes Modell
vorgeschlagen:
Sowohl
der OGH als auch der VwGH erhalten die Aufgabe, förmlich über die behauptete
Verletzung in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten (Grundrechten)
abzusprechen. Nur gegen diesen Teil des Ausspruches kann – ebenso wie einer
nicht Folge gegebenen Anregung auf Normenkontrolle – der VfGH angerufen werden.
Stellt der VfGH abweichend von der Entscheidung des OGH oder des VwGH fest,
dass der Beschwerdeführer in Grundrechten verletzt wurde, ist das jeweilige
Höchstgericht verpflichtet, in seinem Bereich der Rechtsanschauung des VfGH
Rechnung zu tragen, etwa durch Aufhebung eines bei ihm bekämpften Urteils oder
einer inhaltlichen Stattgebung der Beschwerde uä. Dieses System wirkt zwar auf
den ersten Blick kompliziert, entspricht aber auch sonst dem Verhältnis
zwischen gleichrangigen Höchstgerichten, etwa zwischen dem EuGH oder dem EGMR
und den nationalen Höchstgerichten. Ein Vorteil dieser Konstruktion läge darin,
dass auf die unterschiedlichen Auswirkungen von Grundrechtsverletzungen in den
einzelnen Rechtsmaterien, insbesondere auch im Zivilrecht, vom zuständigen
Gericht Bedacht genommen werden könnte.
cc) Zur Erweiterung der Vorlagepflicht gemäß Art 89
B-VG und der Grundrechtsbeschwerde nach dem Grundrechtsbeschwerdegesetz
Schließlich wurden in diesem Zusammenhang kurz die schon
jetzt bestehenden Rechtsinstitute des Rechts der ordentlichen Gerichte auf
Stellung eines Gesetzesprüfungsantrags (Art 89 Abs 2 B-VG) und der
Grundrechtsbeschwerde an den OGH (nach dem Grundrechtsbeschwerdegesetz [GRBG])
angesprochen, mit denen man das Problem der mangelnden Befassung des VfGH
ebenfalls – flankierend – in den Griff bekommen könnte: So könnte man
einerseits Art 89 Abs 2 B-VG dahingehend abändern, die bisher nur dem OGH und
den Gerichten zweiter Instanz überbundene Verpflichtung, bei Vorliegen
verfassungsrechtlicher Bedenken einen Antrag auf Aufhebung des Gesetzes beim
VfGH zu stellen, auf alle Gerichte (also auch jene erster Instanz) auszudehnen.
Andererseits könnte man im Sinne von Matscher und Ratz[12]
den Anwendungsbereich der Grundrechtsbeschwerde nach dem GRBG auf andere
Grundrechte, wie etwa das Grundrecht auf Meinungsfreiheit, ausdehnen.
Zusammenfassend konnte
im Ausschuss somit Konsens erstens über die Einführung einer
Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz (dazu näher im Folgenden unter Punkt
IV)) und zweitens über die Einrichtung eines Subsidiarantrags erzielt werden,
wobei aber kein Konsens darüber bestand, dass allein diese beiden Maßnahmen
umgesetzt werden sollten. Für diese legistischen Maßnahmen werden konkrete – von
Präsident Univ.-Prof. Dr. Jabloner und Univ.-Prof. DDr. Grabenwarter
ausgearbeitete, jedoch im Ausschuss noch nicht im Einzelnen besprochene –
Normtexte vorgelegt.[13]
Weitere Reformmaßnahmen, die einzelnen Mitgliedern des Ausschusses erforderlich
erscheinen, haben entweder bislang keinen Konsens gefunden
(„Urteilsbeschwerde“) oder wurden noch nicht behandelt (etwa Anlassfallwirkung,
vorläufiger Rechtsschutz, Verbandsklagen, Umsetzung von Urteilen des EGMR). Sie
könnten allenfalls in einer späteren Phase der Konvents- und
Verfassungsentwicklung wieder diskutiert werden.
III) 2) Problembereiche (zB
Verwaltungsgerichtshof ®
Belastung)
Laut Tätigkeitsbericht des VwGH für das Jahr 2002 waren am Beginn
des Berichtsjahres 8.931 Rechtssachen des Beschwerderegisters und 355
Rechtssachen des Registers für Anträge, die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen,
anhängig. Gegenüber dem Beginn des Jahres 2001 bedeutete dies eine Erhöhung bei
den Beschwerdesachen um 136 und bei den Anträgen auf aufschiebende Wirkung um
51 Fälle. Am Ende des Berichtsjahres (2002) verblieben 8.880 anhängige
Rechtssachen des Beschwerderegisters und 306 anhängige Anträge auf Zuerkennung
der aufschiebenden Wirkung. Gegenüber dem Vorjahr ist dies eine Verringerung
bei den Beschwerdesachen um 51 (oder 0,57%) und bei den Anträgen auf
aufschiebende Wirkung um 49 (oder 13,80%).
Im
Vergleich dazu bestanden am Beginn der Berichtsjahre 1994 bis 2001 folgende
Rückstände:
1994: 5.963 1998:
16.291
1995: 6.442 1999:
13.118
1996: 9.751 2000: 9.332
1997:
13.638 2001: 8.795
Daraus
ist zu ersehen, dass die Anfallszahlen im Laufe der 90er Jahre kontinuierlich
gestiegen sind, in den Jahren 1997/1998 ihren Höhepunkt erreicht haben, danach
wieder leicht gesunken sind und sich nunmehr – auf hohem Niveau – eingependelt
haben.
Die durchschnittliche Erledigungsdauer der 4.595 mit
Sachentscheidung (Erkenntnis) erledigten Bescheidbeschwerden betrug (vom Tag
des Einlangens bis zum Tag der Beschlussfassung im Senat) etwas über 21 Monate
(bis 1995 konstant rund 11, 1996 13, 1997 knapp 14, 1998 fast 17, 1999 fast 18,
2000 fast 20 und 2001 über 19 Monate) und bei den 19 mit Sachentscheidung
erledigten Säumnisbeschwerden mehr als 37 Monate (etwa 38 Monate im Vorjahr);
die Tendenz ist also aufgrund der starken Überlastung des VwGH jedenfalls
steigend. Um diese chronische Überlastung des VwGH abzufangen, sollte nach
einhelliger Ansicht des Ausschusses eine echte und umfassende
Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz eingeführt werden (dazu näher unter
Punkt IV) des Berichts).
III) 3) Mitwirkungsrechte der
Länder bei Bestellung der Spitzen und der
Zusammensetzung
III) 4) Bestellungsvorgang –
Transparenz – Hearing
Über diese beiden im Mandat genannten Punkte wurde im Ausschuss
bisher noch nicht eingehend diskutiert.
III) 5) Kostentragung
Im Ausschuss wurde einhellig die Meinung vertreten, dass Fragen der
Kostentragung im Ausschuss 9 ausgeklammert bleiben und vom Ausschuss 10
diskutiert werden sollten.
IV) Verwaltungsgerichtsbarkeit in den
Ländern
Das Generalthema „Einführung der (Landes)Verwaltungsgerichtsbarkeit“
war Gegenstand von vier Sitzungen der so genannten „kleinen Arbeitsgruppe“ am
21.11. und 15.12.2003 sowie am 22.1. und 26.1.2004 sowie insbesondere der
Ausschusssitzung vom 13.2.2004.
IV) 1) Problemstellung – Kompetenzen, Instanzenzug
In der Arbeitsgruppe konnte grundsätzlich eine Einigung über die
Einführung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz in Bund und Ländern
sowie darüber hinaus weitgehend Konsens über nachfolgend genannte „Eckpunkte“
erzielt werden (hier folgt der Ausschussbericht dem von Univ.-Prof. DDr. Grabenwarter
in der Sitzung der „kleinen Arbeitsgruppe“ vom 21.11.2003 genannten
Problemaufriss [siehe Protokoll, Seite 2 f]):
IV) 1) a) Zweigliedrigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit?
Es sollte einen zwei-, uU dreigliedrigen Instanzenzug geben, nämlich
von der Verwaltungsbehörde zum Landesverwaltungsgericht (bzw zum
Verwaltungsgericht des Bundes 1. Instanz) und in bestimmten Fällen weiter zum
VwGH. Es sollte in Zukunft nur mehr eine Verwaltungsinstanz geben (das Institut
der Berunfungsvorentscheidung sollte vollumfänglich beibehalten werden); das
Verwaltungsgericht 1. Instanz sollte grundsätzlich Rechtsmittelinstanz sein.
Eine Ausnahme könnte es lediglich im Bereich der Selbstverwaltung der Gemeinden
geben, wo jedoch grundsätzlich ebenfalls nur eine Administrativinstanz bestehen
sollte (im Gemeindebereich wäre unter den Rahmenbedingungen der
Berufungsvorentscheidung – Zweimonatsfrist, Vorlageantrag ohne Begründung –
eine Art aufsichtsbehördliche Zwischenschaltung denkbar). Einigkeit bestand
weiters darin, dass innerhalb der Verwaltungsgerichtsbarkeit grundsätzlich ein
kontradiktorisches Verfahren eingeführt werden solle: Sowohl vor dem
Verwaltungsgericht erster Instanz als auch vor dem Verwaltungsgerichtshof
stehen einander Beschwerdeführer, sonstige Verfahrensparteien und
Verwaltungsbehörde gegenüber; gegen die Entscheidungen der Verwaltungsgerichte
erster Instanz kann jede dieser Parteien den Verwaltungsgerichtshof anrufen;
Gegenstand des Verfahrens des Verwaltungsgerichtshofs ist die Entscheidung des
Verwaltungsgerichts erster Instanz und nicht der Bescheid der
Verwaltungsbehörde.
IV) 1) b) Einführung des Modells „9“ („nur“ 9
Landesverwaltungsgerichte) oder des Modells „9 + 1“ (9
Landesverwaltungsgerichte und ein Verwaltungsgericht des Bundes 1. Instanz)?
Das Modell „9 + 1“ (9 Landesverwaltungsgerichte und ein
Verwaltungsgericht des Bundes 1. Instanz) ist konsentiert, weil sowohl
bestimmte Sondermaterien (wie etwa das Fremdenrecht einschließlich der
Schubhaftprüfung) als auch bestimmte bereits jetzt bestehende „Sondergerichte“
(wie etwa der Unabhängige Bundesasylsenat, der Bundeskommunikationssenat oder
auch die Bundesagrarsenate) die Einrichtung eines zentralen Verwaltungsgerichts
des Bundes 1. Instanz erforderlich machen (wobei es auch mehr als 9
Landesverwaltungsgerichte und mehr als ein Verwaltungsgericht des Bundes 1.
Instanz, etwa aufgrund des zu einem Gericht auszugestaltenden UFS, geben
könnte). Dem entsprechend sollten die zahlreichen derzeit bestehenden Art 133 Z
4 B-VG-Behörden nach Möglichkeit zum Teil in die neuen
Landesverwaltungsgerichte und zum Teil in die Verwaltungsgerichtsbarkeit des
Bundes 1. Instanz eingegliedert werden. Unter Zugrundelegung der von Grabenwarter
und Holoubek entwickelten Typologie[14]
sollten die der Rechtskontrolle dienenden und die als „Strafbehörden“
fungierenden Kollegialbehörden in die neuen Verwaltungsgerichte eingegliedert
werden, während die primär der Verwaltungsführung dienenden Kollegialbehörden
jedenfalls „draußen bleiben“ sollten.[15]
In den Verwaltungsgerichten sollten einerseits Einzelrichter und andererseits
3-Richter-Senate sowie schließlich Fachsenate (mit Expertenbeteiligung) entscheidungsbefugt
sein.
IV) 1) c) VwGH als reines Revisionsgericht? Ablehnungsmodell oder
Zulässigkeitsmodell?
In der Arbeitsgruppe besteht im Wesentlichen Konsens darüber, dass
für den Fall der Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit der VwGH als reines
Revisionsgericht für die Entscheidung von Rechtsfragen des Verfahrensrechts und
des materiellen Rechts von erheblicher Bedeutung eingerichtet werden sollte.
Zur Entlastung des VwGH und im Sinne der Parteien und der rechtsuchenden
Bevölkerung überhaupt sollte – insbesondere auch zur Erreichung einer kürzeren
Verfahrensdauer – der Zugang zum VwGH beschränkt werden. Es sollte also in
Zukunft gegen Verwaltungsbescheide keine Beschwerdemöglichkeit an den VwGH mehr
geben.
Dies
sollte auch für Beschwerden gegen Bescheide von Bundesministern gelten, für die
in 1. Instanz weder der VwGH noch das Landesverwaltungsgericht Wien, sondern
vielmehr das neu einzurichtende Verwaltungsgericht des Bundes 1. Instanz
zuständig sein sollte.
Letztlich konnte auch Konsens für die Einführung des
Zulässigkeitsmodells erzielt werden, wobei die Parteien zwar zunächst nur den
Zulässigkeitsausspruch beim VwGH bekämpfen, jedoch gleichzeitig die Revision
gegen die gesamte Entscheidung (auch ihrem materiellen Inhalt nach) ausführen
müssten (die Regelung von Details könnte auch dem Verfahrensgesetzgeber
überlassen werden). Dazu kommt, dass das Zulässigkeitsmodell den
Beschwerdeführer zu einer treffsichereren Argumentation zwinge und insofern
auch eine gewisse prohibitive Wirkung haben sollte. Dies wird insbesondere auch
von den Vertretern der ordentlichen Gerichtsbarkeit bestätigt, die nach
Einführung des Zulässigkeitsmodells in der ZPO einen gewissen Anfallsrückgang
festgestellt haben. Schließlich sollte sich auch die durch die Einführung des
Zulässigkeitsmodells zu erwartende zeitliche Verzögerung (im Vergleich zum
Ablehnungsmodell) in engen Grenzen halten. Freilich müsste – sollte das
Zulässigkeitsmodell verwirklicht werden – die nachprüfende Kontrolle des
Zulässigkeitsausspruches durch den VwGH gewährleistet sein.
IV) 1) d) Zukünftiges Schicksal der Art 133 Z 4 B-VG-Behörden
(Beibehaltung oder „Aufgehen lassen“ in zukünftigen Verwaltungsgerichten erster
Instanz)?
Diesbezüglich wird auf die Ausführungen unter Punkt V) des Berichts
verwiesen.
IV) 1) e) Zukünftiges Verhältnis zwischen VfGH und VwGH?
Diesbezüglich wird auf die Ausführungen unter Punkt III) 1) des
Berichts verwiesen.
IV) 1) f) Bundesweit einheitliches Verfahrensrecht für alle
Landesverwaltungsgerichte und das Verwaltungsgericht des Bundes 1. Instanz?
Grundsätzlich herrscht in der Arbeitsgruppe Konsens darüber, dass es
ein bundeseinheitliches Verfahrensrecht für alle Landesverwaltungsgerichte und
die Verwaltungsgerichtsbarkeit des Bundes 1. Instanz geben sollte (die
Finanzgerichtsbarkeit wird von diesem einheitlichen Verfahrensrecht wohl
auszunehmen sein); zur Erlassung dieses Verfahrensrechts sollte der
Bundesgesetzgeber zuständig sein. Jedoch wird die Frage, wer für die Erlassung
jener Regelungen zuständig sein sollte, mit denen die einzelnen Materien bzw
Angelegenheiten den Landesverwaltungsgerichten bzw dem Verwaltungsgericht des
Bundes 1. Instanz zugewiesen werden (der Bundesgesetzgeber als
Materiengesetzgeber oder die Landesgesetzgeber als Organisationsgesetzgeber?),
unterschiedlich beantwortet.
Von mehreren Sitzungsteilnehmern wurde auf die Bedeutung
und die Notwendigkeit der Raschheit des durchzuführenden Verfahrens
hingewiesen; in diesem Zusammenhang wurde einerseits die Forderung nach
Einführung eines einstweiligen Rechtsschutzes (einstweilige Verfügung) erhoben;
andererseits wurde auch ein Fristsetzungsmodell ins Spiel gebracht, das in
einer ersten Stufe Fristsetzungsanträge beim Landesverwaltungsgericht bzw beim
Verwaltungsgericht des Bundes 1. Instanz sowie später beim VwGH und in einer
zweiten Stufe ein Schadenersatzmodell (wie dies der EGMR bereits ausgesprochen
hat) vorsehen könnte. Es müsste jedenfalls für die jeweils betroffene
Gebietskörperschaft als Rechtsträger einen finanziell nachteiligen (und
spürbaren) Effekt haben, wenn ein Verfahren über viele Monate oder gar Jahre
verzögert wird.
In der Arbeitsgruppe besteht weiters Konsens darüber,
dass die zur Anrufung der neu zu schaffenden Verwaltungsgerichte berechtigenden
Anfechtungsgegenstände – wie schon bisher – einerseits Bescheide und
andererseits Akte unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und
Zwangsgewalt (Maßnahmen) sein sollten. Darüber hinaus wurde jedoch die
Forderung erhoben, diesen Katalog um die so genannten „Eingriffe“ in subjektive
Rechte von einzelnen Rechtsunterworfenen durch die Staatsgewalt zu erweitern:
diese könnten Informations-, Unterlassungs- und situative Eingriffe oder auch
faktische Verwaltungsakte und staatliche Warnungen sein. Auch unterlassene
Maßnahmen könnten als Ausdruck einer faktischen Amtsgewalt Eingriffe in die
Rechte der Bürger sein und müssten daher als solche bekämpfbar sein. Dieser neu
erhobenen Forderung wurde zwar grundsätzlich zugestimmt, es wurde jedoch
mehrheitlich darauf hingewiesen, dass ein sachgerechter Einbau dieser neu zu
definierenden „Eingriffe“ in das gegenwärtige System notwendig sei und dass
grundsätzlich an die bestehenden Instrumentarien angeknüpft werden sollte. Es
besteht zumindest insoweit Konsens, als die im geltenden Recht bestehende
Typengebundenheit grundsätzlich beibehalten, jedoch um neue Formen des
Verwaltungshandelns – behutsam – erweitert werden sollte.
IV) 1) g) Zukünftiges Schicksal der Unabhängigen Verwaltungssenate?
Grundsätzlich sollten die derzeit bestehenden Unabhängigen
Verwaltungssenate (im Folgenden kurz: UVS) in die neu zu schaffenden
Landesverwaltungsgerichte und der Unabhängige Bundesasylsenat (im Folgenden
kurz: UBAS) in das neu zu schaffende Verwaltungsgericht des Bundes 1. Instanz
vollständig integriert werden.
Hinsichtlich
der Ernennung der zukünftigen Richter der Verwaltungsgerichte der Länder und
des Verwaltungsgerichts des Bundes 1. Instanz zeichnete sich Konsens
dahingehend ab, dass diese Gerichte (Landesverwaltungsgerichte,
Verwaltungsgericht des Bundes 1. Instanz) zur Versachlichung der
Entscheidungsfindung durch das Recht auf Erstattung von Besetzungsvorschlägen
in das Auswahlverfahren eingebunden werden sollten; eine Einbindung von VwGH
und OGH erscheint – nach Meinung der Mehrheit im Ausschuss – für die
Ersternennung der zukünftigen Verwaltungsrichter im Zuge der Einführung der
(Landes)Verwaltungsgerichtsbarkeit unabdingbar. Für die spätere Ernennung von
weiteren Verwaltungsrichtern wäre ein Recht auf Stellungnahme durch diese
Höchstgerichte – so die Mehrheitsmeinung im Ausschuss – ebenfalls
wünschenswert. Wenngleich nicht alle bisherigen UVS-Mitglieder en bloc in die
zukünftige Verwaltungsgerichtsbarkeit übernommen werden sollten, es
insbesondere keine zwingende Automatik dafür geben sollte und die Möglichkeit
bestehen bleiben muss, bisherige UVS-Mitglieder, die sich in der Vergangenheit
nicht bewährt haben, nicht zu übernehmen, war man sich im Ausschuss doch
weitestgehend im klaren darüber, dass sich die zukünftigen Verwaltungsgerichte
wohl zum überwiegenden Teil aus den bisherigen UVS-Mitgliedern – uU auch
solchen aus anderen Bundesländern – zusammensetzen werden. Dabei müsste eine
allfällige Nicht-Übernahme mit Bescheid ausgesprochen werden und könnte als
Kriterium für die Nicht-Übernahme von UVS-Mitgliedern zu Richtern der
Verwaltungsgerichte, ähnlich wie schon derzeit bei der Definitivstellung von
Universitätsassistenten, eine Prognoseentscheidung vorgesehen werden, dass die
bisherige Tätigkeit als UVS-Mitglied nicht erwarten lasse, dass er/sie sich in
Hinblick auf das geänderte Anforderungsprofil in Zukunft als Richter/Richterin
des Verwaltungsgerichts bewähren würde (hier könnte § 33 Abs 2 iVm § 54 Abs 1
Richterdienstgesetz [RDG] als Vorbild dienen).
Ein bisheriges, nicht übernommenes UVS-Mitglied sollte
jedenfalls einen wirksamen Rechtsschutz (in Form eines rechtsstaatlichen
Verfahrens mit Bescheiderlassung und der Möglichkeit der Bekämpfung dieses
Bescheids vor dem VwGH mittels Beschwerde) genießen und für den Fall der
endgültigen Nicht-Übernahme wirtschaftlich abgesichert werden, es sei denn,
dass der Grund für die Nicht-Übernahme in einer rechtskräftigen
disziplinarrechtlichen Verurteilung liegt. Für den Fall, dass ein bisheriges
UVS-Mitglied nicht in das Verwaltungsgericht übernommen werden sollte, muss
eine solche Ausnahme zwar möglich sein, die diesbezügliche Entscheidung der
Landesregierung aber begründet werden. Eine Blockübernahme der bisherigen
UVS-Mitglieder wird schon deshalb nicht möglich sein, weil ja auch Bewerber von
außen, insbesondere eine – prozentuell nicht näher zu bestimmende – Beteiligung
von Berufsrichtern wünschenswert ist.
Was die Frage der Richterbeteiligung betrifft, herrschte
im Ausschuss aufgrund der langjährigen positiven Erfahrungen beim VwGH Konsens
darüber, dass Berufsrichter aus der ordentlichen Gerichtsbarkeit – aufgrund
ihrer Ausbildung und ihrer größeren (auch inneren) Unabhängigkeit – in die
Verwaltungsgerichte aufgenommen werden sollten. Kein Konsens konnte über eine
bestimmte, zahlenmäßig oder prozentuell festgelegte Richterquote erzielt
werden, wenngleich von mancher Seite betont wurde, dass gerade eine solche
nähere (zahlenmäßige oder prozentuelle) Festlegung als Signal bzw als
besonderer Akzent notwendig wäre, um eine solche Richterbeteiligung auch
tatsächlich zu erreichen. Die überwiegende Mehrheit im Ausschuss ist aber der
Meinung, dass die Richterbeteiligung an sich als Soll-Bestimmung in die neue
Verfassung aufgenommen werden sollte, wobei als Vorbild Art 129b Abs 1 letzter
Satz B-VG[16] dienen
könnte, sodass die neue Bestimmung wie folgt lauten könnte:
„Wenigstens der vierte [dritte, fünfte] Teil der
Mitglieder [der Landesverwaltungsgerichte und des Bundesverwaltungsgerichts
erster Instanz] soll aus Berufsstellungen im Bund, vorwiegend [bevorzugt] aus
der ordentlichen Gerichtsbarkeit, entnommen werden.“
In diesem Zusammenhang wurde auch die Auffassung
vertreten, dass bei der ersten Bestellung von Verwaltungsrichtern erster
Instanz eine solche Bestimmung nicht gelten sollte, wenn sie sich dahingehend
auswirken sollte, dass eine entsprechende Anzahl von Mitgliedern der UVS nicht
in die Verwaltungsgerichte erster Instanz übernommen werden könnte.
Die Frage, ob die zu erstattenden Besetzungsvorschläge
relative Bindungswirkung haben sollten, wurde nicht einhellig beantwortet. Es
besteht in der Arbeitsgruppe nur insoweit ein gewisser Konsens, als eine
einheitliche Vorgangsweise in der ordentlichen Gerichtsbarkeit einerseits und
der zukünftigen Verwaltungsgerichtsbarkeit andererseits angestrebt werden
sollte: Während jedoch die einen der Meinung sind, dass sich das bisherige
Bestellungsverfahren im Justizbereich (keine „relative“ Bindungswirkung der
Besetzungsvorschläge der Personalsenate gegenüber dem Justizminister) bewährt
habe und dieses Verfahren auch in Zukunft für die Verwaltungsgerichte gelten
solle (vgl Art 86 B-VG), traten die anderen dafür ein, die nunmehr für die
zukünftigen Verwaltungsgerichte notwendig werdende Regelung der Bindungswirkung
zum Anlass zu nehmen, auch die Besetzungsvorschläge der Personalsenate im
Bereich der ordentlichen Gerichtsbarkeit in Zukunft verbindlich zu machen
(zumal diese Personalsenate aufgrund der alle vier Jahre durchzuführenden
Personalsenatswahlen auch in hohem Maße berufsständisch legitimiert seien). Um
das Gesamtprojekt bzw das Ziel einer rechtsstaatlichen Verbesserung im Bereich
der (vorwiegend) 2. Instanz nicht zu gefährden, zeichnete sich zuletzt eine
Zustimmung zum Verzicht auf bindende Dreiervorschläge ab. Das in der
ordentlichen Gerichtsbarkeit so gut wie nicht (und schon lange nicht mehr) in
Anspruch genommene Abweichen vom Besetzungsvorschlag zu Gunsten einer/eines
Nichtnominierten wurde – wie bereits erwähnt – von einigen Ausschussmitgliedern
als präventiv wirkende „Notbremse“ gesehen.[17]
Ein gewisser Konsens konnte auch dahingehend erzielt
werden, dass die besoldungsrechtliche Frage insofern von großer Wichtigkeit
sei, als die – mit der Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit zu erzielende
– höhere Qualität der Entscheidungen der Verwaltung sich auch in einer
entsprechend höheren Besoldung widerspiegeln müsse; diese besoldungsrechtliche Frage
ist aber nicht in der Verfassung, sondern nur auf einfach gesetzlicher Ebene zu
regeln.
Schließlich besteht hinsichtlich der Ausbildung der
zukünftigen Richter der Landesverwaltungsgerichte und des Verwaltungsgerichts
des Bundes 1. Instanz eine gewisse Einigkeit darüber, dass diese möglichst gut
ausgebildet sein sollten (das heißt nicht nur das Diplomstudium der
Rechtswissenschaften abgeschlossen, sondern nach Möglichkeit zusätzliche
Qualifikationen erworben haben sollten) und dass die Ausbildungsphase mit einer
(Art von Dienst-) Prüfung abgeschlossen werden sollte. Die Frage, welche
Ernennungsvoraussetzungen in fachlicher Hinsicht im Detail aufgestellt werden
sollten, ob man insbesondere – wie etwa derzeit in Art 134 Abs 3 B-VG für die
Mitglieder des VwGH vorgesehen – auch für die zukünftigen Verwaltungsrichter
die Ausübung einer Berufsstellung über einen bestimmten Mindestzeitraum (zB von
5 Jahren) fordern sollte, für die der Abschluss der rechts- und
staatswissenschaftlichen Studien zwingend vorgeschrieben ist, wurde noch nicht
abschließend beantwortet.
IV) 1) h) Möglichkeit der Erhebung einer Säumnisbeschwerde bei
Untätigkeit der Verwaltungsgerichte erster Instanz?
In der Arbeitsgruppe bestand Einigkeit darüber, dass eine
Säumnisbeschwerde nach Vorbild des Art 132 B-VG ausschließlich für das
Verhältnis zwischen (säumiger) Verwaltungsbehörde und VwGH konzipiert worden
sei und auch nur für dieses Verhältnis „passe“. Nicht geeignet ist jedoch die
analoge Anwendung dieser Bestimmung auf das Verhältnis zwischen Gerichten
untereinander, also etwa zwischen den einzurichtenden Verwaltungsgerichten und
dem VwGH. Aufgrund verfassungsrechtlicher Vorgaben (Recht auf den gesetzlichen
Richter, feste Zuständigkeitsverteilung, feste Geschäftsverteilung etc) kommt
eine Verlagerung der Entscheidungsbefugnisse auf den VwGH im Fall der
Säumigkeit des Verwaltungsgerichts nicht in Frage. Schließlich wäre es – was
von den Vertretern der ordentlichen Gerichtsbarkeit nachdrücklich unterstrichen
wird – auch undenkbar, dass etwa im Bereich der ordentlichen Gerichtsbarkeit im
Fall der Säumigkeit etwa eines Bezirksgerichts die Entscheidungsbefugnis auf
den übergeordneten Gerichtshof überginge.
Schließlich konnte auch Konsens darüber erzielt werden,
dass im Verhältnis zwischen den zukünftigen Verwaltungsgerichten und dem VwGH
nicht auf das bestehende Instrument der Säumnisbeschwerde zurückgegriffen,
sondern vielmehr ein Aufsichtsrecht des VwGH über die ihm untergeordneten
Verwaltungsgerichte etabliert werden sollte: Dabei sollte der VwGH in einem
ersten Schritt dem säumigen Verwaltungsgericht eine bestimmte Frist setzen und
– nach Meinung mancher, jedoch bei weitem nicht aller Ausschussmitglieder – in
einem zweiten Schritt – im Fall der Verletzung bzw Überschreitung dieser Frist
(nach allfälliger Fristverlängerung) – eine Geldbuße gegen den jeweiligen
Rechtsträger (Bund oder Länder) verhängen können. Dabei könnten die
Bestimmungen des Amtshaftungsgesetzes analog herangezogen werden. Ob dann im
Innenverhältnis ein Regressanspruch gegen die für die Säumnis verantwortlichen
Mitglieder des Verwaltungsgerichts nach den Bestimmungen des
Amtshaftungsgesetzes geltend gemacht wird, bliebe dem schuldig gesprochenen
Rechtsträger vorbehalten.
Schließlich wurde auch vorgeschlagen, es könnte für den
Fall der Säumnis von Höchstgerichten
– als wirksame Beschwerdemöglichkeit im Sinne des Art 13 EMRK (vgl
EGMR-Urteil im Fall „Kudla gegen Polen“) – ein besonderes höchstgerichtliches
Organ eingerichtet werden.
IV) 1) i) Einbeziehung der Finanzgerichtsbarkeit in die zukünftige
Landesverwaltungs-gerichtsbarkeit?
In der Arbeitsgruppe konnte einerseits Konsens darüber erzielt
werden, dass die vollständige organisatorische Eingliederung der
Finanzgerichtsbarkeit in die neu zu errichtenden Verwaltungsgerichte zum jetzigen
Zeitpunkt nicht praktikabel und auch nicht klug wäre, zumal dadurch das gesamte
Reformprojekt der Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit gefährdet werden
könnte. Andererseits war man sich darin einig, dass – schon aus
Vereinheitlichungsgründen – in der Finanzgerichtsbarkeit dieselben
rechtsstaatlichen Standards wie bei den neu zu errichtenden
Verwaltungsgerichten herrschen sollten und dass gerade in der
Finanzgerichtsbarkeit – auch aufgrund der dort sehr oft auftretenden
handelsrechtlichen Probleme – die Beteiligung von Justizrichtern besonders
wichtig wäre. Die organisatorische Eingliederung des Unabhängigen Finanzsenats
in die zukünftigen Verwaltungsgerichte sollte allenfalls langfristig in Angriff
genommen werden; dabei könnte man sich hinsichtlich der Größe und der Zahl auch
an den seinerzeitigen Finanzlandesdirektionen orientieren.
IV) 1) j) Beibehaltung der Sonderrolle der Bundeshauptstadt Wien
(als Landeshauptstadt und Bundesland)?
Hier wurde von manchen die Meinung vertreten, dass die Sonderstellung
Wiens nur historisch erklärbar sei und in einer künftigen Verfassung entfallen
solle. Dem gegenüber wurde jedoch auch die Forderung erhoben, die
Sonderstellung Wiens als Bundesland und Ortsgemeinde ebenso beizubehalten wie
die für Wien eingerichteten „Sonderbehörden“, wie etwa die
Abgabenberufungskommission und die Bauoberbehörde (vgl Art 111 B-VG) und den
Landesvergabekontrollsenat (vgl Art 14b Abs 2 B-VG). Wieder andere meinten,
dass die Frage des weiteren Schicksals der für Wien eingerichteten
Sonderbehörden von der grundsätzlichen Entscheidung über die zukünftige
Stellung Wiens abhänge. Als Kompromiss wurde vorgeschlagen, allen Ländern die
Möglichkeit zur Errichtung besonderer Verwaltungsgerichte zu eröffnen,
gegebenenfalls mit der Bindung an bestimmte Materien. Dieser Vorschlag fand
weitgehend Zustimmung.
IV) 1) k) Art der Entscheidungsbefugnis der zukünftigen
Landesverwaltungsgerichte: Kassation oder Reformation?
Hier besteht in der Arbeitsgruppe Konsens darüber, dass die
Verwaltungsgerichte in Zukunft – schon aus praktischen Erwägungen und um
überflüssige Verfahrensverzögerungen zu vermeiden – grundsätzlich
reformatorisch entscheiden sollen, dass sie jedoch darüber hinaus – nach
Vorbild des geltenden § 66 Abs 2 AVG – auch die Möglichkeit zur kassatorischen
Entscheidung haben sollten. Auch seitens der Ländervertreter wird dem Modell
der Reformatorik zugestimmt, dies jedoch unter der Bedingung, dass die schon
bisher der Landesregierung eingeräumte Möglichkeit der Erhebung einer
Amtsbeschwerde beim VwGH gemäß Art 131 Abs 1 Z 3 B-VG auch in Zukunft gegen
Entscheidungen der Landesverwaltungsgerichte möglich sein solle (gleiches müsse
natürlich auch für die Bundesregierung im Fall von Entscheidungen des
Verwaltungsgerichts des Bundes 1. Instanz gelten). Diese Bedingung findet in
der Arbeitsgruppe einhellige Zustimmung, jedoch mit der Einschränkung, dass es
bei den nach dem derzeitigen System bestehenden Zugangsbeschränkungen bleiben
solle. Was den VwGH betrifft, sollte es bei dessen kassatorischer Entscheidungsbefugnis
bleiben.
Einigkeit
besteht in der Arbeitsgruppe auch darüber, dass viel schwieriger und für die
Praxis bedeutender als die Unterscheidung zwischen Kassatorik und Reformatorik
die Frage nach dem freien Ermessen sei, die derzeit in Art 130 Abs 2 B-VG
geregelt ist. Auch in Zukunft sollte die Verwaltungsbehörde bei der Ausübung
des ihr eingeräumten Ermessens frei sein; insoweit hätten die
Verwaltungsgerichte mit Kassation vorzugehen.
Von
einer Seite thematisiert, jedoch im Ausschuss noch nicht im Detail erörtert
wurde das Problem, wer in Zukunft die Kosten von Sachverständigen (für die
Erstattung von Gutachten) in Verfahren vor den neuen Verwaltungsgerichten
erster Instanz tragen solle. Hier sei zu bedenken, dass die
Berufungswerber/innen bisher dort keine Kosten zu tragen gehabt hätten, wo
Amtssachverständige zur Verfügung gestanden sind. Für die Zukunft sollte sichergestellt
sein, dass die Verwaltungsgerichte erster Instanz nicht mit externen Gutachtern
arbeiten müssen, sondern auf Sachverständige der Gebietskörperschaften
zurückgreifen können.
Exkurs: Weisungsbeschwerde gemäß Art 81a Abs 4 B-VG
Der Vorschlag, das in Art 81a Abs 4 B-VG verankerte Recht der
Schulbehörde, gegen eine an sie gerichtete Weisung Beschwerde beim VwGH zu
erheben, ersatzlos zu streichen, da von diesem Recht in den letzten Jahrzehnten
– soweit überblickbar – nie Gebrauch gemacht worden sei, fand in der
Arbeitsgruppe unter der Voraussetzung einhellige Zustimmung, dass Konsens über
die Reform der Schulverwaltung erzielt werden kann.
Zusammenfassend ist zum Thema „Einführung der
Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz“ festzuhalten, dass der judizielle
Einschlag der künftigen Verwaltungsgerichte gegenüber den derzeitigen UVS, dem
UBAS und dem UFS betont werden sollte. In diesem Sinne sollten VwGH und OGH bei
der Ernennung der künftigen Verwaltungsrichter, zumindest bei der
Ersternennung, eingeschaltet, Berufsrichter beteiligt und alle
Verwaltungsrichter – ganz generell und auf verfassungsrechtlicher Stufe
abgesichert – auf Dauer ernannt werden.
IV) 2) Kostentragung
Im Ausschuss wird einhellig die Meinung vertreten, dass die (für die
Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit so wichtige)
Kostentragungsproblematik im Ausschuss 9 vorläufig ausgeklammert bleiben und
vom Ausschuss 10 diskutiert und gelöst werden sollte.
V) Sondersenate
Das Thema „Sondersenate“ – also Kollegialbehörden mit richterlichem
Einschlag und sonstige weisungsfreie Verwaltungsbehörden – war Gegenstand
mehrerer Sitzungen der „kleinen Arbeitsgruppe“, insbesondere jener vom
26.1.2004, sowie der Ausschusssitzung vom 13.2.2004.
Wie bereits im Allgemeinen Teil ausgeführt, wurde von
der Ausschussbetreuung – auf der Grundlage der einschlägigen Vorarbeiten von Grabenwarter
in Korinek/Holoubek, Kommentar zum B-VG (Loseblattsammlung), und Lanner,
Kodex Verfassungsrecht, 19. Auflage, 2003 – eine aktualisierte Liste über die
derzeit bestehenden Kollegialbehörden mit richterlichem Einschlag gemäß Art 133
Z 4 B-VG und die sonstigen weisungsfreien Verwaltungsbehörden und Organe
ausgearbeitet und mit Schreiben vom 23.12.2003 an das
Bundeskanzleramt/Verfassungsdienst (für den Bundesbereich) und an alle Ämter
der Landesregierungen (für die jeweiligen Länder) mit der Bitte um Durchsicht
und allfällige Ergänzung versendet. Es haben alle angeschriebenen Ämter
geantwortet und – zum Teil umfangreiche – ergänzende Stellungnahmen erstattet.
Diese Stellungnahmen wurden in der Zwischenzeit in die Liste eingearbeitet, die
nunmehr – vollständig ergänzt und aktualisiert – diesem Bericht am Ende (unter
Punkt „C. Anhang“) angeschlossen ist. Die Liste wurde auch insofern erweitert,
als für jede einzelne Behörde vorgeschlagen wurde, ob diese in die neuen
Verwaltungsgerichte „eingebaut“ werden sollte oder nicht (wobei zwar nach dem
Grundsatz vorgegangen wurde, möglichst viele Behörden in die neuen
Verwaltungsgerichte „einzubauen“, jedoch einerseits gewisse Typen von „Behörden
und Organen“, wie etwa bloße Schiedskommissionen oder auch bestimmte
Beauftragte mit bloß gutachterlicher Funktion, und andererseits bestimmte
materiellrechtliche Bereiche, wie etwa das Dienst-, Disziplinar- und
Vergaberecht, bewusst ausgeklammert wurden).
In der Arbeitsgruppe bestand weitgehend Einigkeit darüber, dass
keine neuen Art 133 Z 4 B-VG-Behörden geschaffen und – nach Fixierung der
Grundlagen über die zukünftige Einführung der
(Landes-)Verwaltungsgerichtsbarkeit – die bestehenden Kollegial- und
Sonderbehörden „durchforstet“ werden sollten, wobei die Sonderbehörden mit
Kontroll- oder Schiedsfunktionen und die Kontrollbehörden als Strafbehörden 1.
Instanz vom Ausschuss 9, die lediglich der Verwaltungsführung dienenden
Behörden (die so genannten „Regulatoren“) jedoch vom Ausschuss 7 zu behandeln
sind. Zunächst wollte man für jede einzelne vom Ausschuss 9 zu behandelnde
Behörde entscheiden, ob diese in die neu zu schaffenden
Landesverwaltungsgerichte bzw das Bundesverwaltungsgericht 1. Instanz
eingegliedert werden oder aber – neben diesen – weiterhin selbständig bestehen
bleiben sollte.
Da
sich eine solche Vorgangsweise angesichts der Vielzahl und der Heterogenität
der zu „durchforstenden“ Behörden und der Knappheit der zur Verfügung stehenden
Zeit als nicht praktikabel erwies, einigte man sich in der Arbeitsgruppe
schließlich darauf, zunächst – in einem ersten Schritt – nur gewisse
Grundlinien für die geplante Integration einzelner Behörden zu entwickeln und
erst in einem zweiten Schritt die Entscheidung im Einzelfall zu treffen, dies
jedoch erst nach vorheriger Einbeziehung der betroffenen Behörden bzw
Behördenmitglieder. Diesbezüglich stieß die Anregung, von Seiten des
Konvents-Büros Anfragen zumindest an alle Ämter der Landesregierungen und an
alle zuständigen Bundesministerien (oder sogar auch an die Behörden selbst) zu
stellen, auf allgemeine Billigung; solche Anfragen werden nach Abgabe dieses
Berichts gestellt werden.
Hinsichtlich
der erwähnten „Grundlinien“ bestand in der Arbeitsgruppe weitgehend Konsens
darüber, dass es in Zukunft grundsätzlich folgende Typen von
Verwaltungsgerichten bzw Behörden geben solle:
- zum ersten Landesverwaltungsgerichte und ein
Verwaltungsgericht des Bundes 1. Instanz, in die – dem Ziel der Vereinheitlichung
entsprechend – möglichst viele der derzeit bestehenden Art 133 Z 4
B-VG-Behörden eingegliedert werden sollen und in denen auch Fachsenate mit
Beisitzern und Laienrichtern gebildet werden sollen; so sollten jedenfalls die
Unabhängigen Verwaltungssenate oder etwa auch die
Landesgrundverkehrskommissionen und Landesagrarsenate in die zukünftigen
Landesverwaltungsgerichte und der Unabhängige Bundesasylsenat oder etwa auch
der Unabhängige Umweltsenat in das zukünftige Verwaltungsgericht des Bundes 1.
Instanz integriert werden;
- zum zweiten Sonderverwaltungsgerichte 1. Instanz (etwa
durch Umwandlung des derzeit bestehenden Unabhängigen Finanzsenats);
- zum dritten weiterhin Kollegialbehörden mit
richterlichem Einschlag gemäß Art 133 Z 4 B-VG in sachlich begründeten
Ausnahmefällen, insbesondere dort, wo sich diese in der Vergangenheit bewährt
haben (etwa die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission für Rechtsanwälte
und Rechtsanwaltsanwärter) und wo der Weiterbestand sachlich gerechtfertigt ist
(etwa wegen des speziellen Fachwissens der Mitglieder [etwa im
Telekommunikations- und Wettbewerbsrecht] oder wegen der Notwendigkeit der
besonderen Raschheit des Verfahrens [etwa im Vergaberecht] oder wegen der
Notwendigkeit bundeseinheitlicher Regelungen [etwa im Datenschutzrecht]); deren
Entscheidungen unterliegen jedoch wie die Entscheidungen aller anderen Behörden
der nachprüfenden Kontrolle des Verfassungs- und des Verwaltungsgerichtshofs;
und
- zum vierten weisungsfreie Behörden und Organe (die
entweder verfassungsgesetzlich oder einfachgesetzlich weisungsfrei gestellt
sind), wobei stets die Kontrolle auch durch den Verwaltungsgerichtshof
vorgesehen werden sollte. In diesem Zusammenhang sind etwa die Wahlbehörden,
die Schiedskommissionen (nach dem Krankenanstaltenrecht) oder auch die dienst-
und disziplinarrechtlichen Behörden und Kommissionen zu nennen, die sich für
eine Eingliederung in die zukünftige Verwaltungsgerichtsbarkeit nicht eignen.
Was das weitere Schicksal der Art 133 Z 4 B-VG-Behörden
betrifft, bestand zwar grundsätzlich Konsens darüber, dass es solche auch in
Zukunft geben werde müssen; von manchen Ausschussmitgliedern wurde jedoch mit
Nachdruck die Forderung nach Vereinheitlichung und Eingliederung möglichst
vieler bestehender Art 133 Z 4 B-VG-Behörden erhoben. Dies könnte etwa in der
Weise geschehen, dass dafür zunächst vom Verfassungsgesetzgeber eine Frist
gesetzt wird, nach deren Verstreichen die Sonderbehörden grundsätzlich
aufzulösen wären; nur ausnahmsweise und bei besonderem Bedarf, der jedoch von
der jeweiligen Träger-Gebietskörperschaft in jedem Einzelfall argumentiert
werden müsste, dürfte eine Art 133 Z 4 B-VG-Behörde aufrecht belassen werden.
Hinsichtlich der genaueren Festlegung gingen die Meinungen aber auseinander:
während die einen aus Gründen der Rechtssicherheit und Klarheit eine
ausdrückliche (taxative) Verankerung jeder einzelnen derartigen Behörde in der
Verfassung forderten, schlugen die anderen aus Gründen der Flexibilität und
Praktikabilität vor, in der Verfassung lediglich allgemeine Kriterien zu
formulieren, bei deren Erfüllung der Weiterbestand solcher Behörden zulässig
sein sollte (wobei die einzelne Art 133 Z 4 B-VG-Behörde dann auf
einfachgesetzlicher Grundlage vorgesehen werden können solle).
Kompetenzrechtlich könnte man nach Meinung eines Teils
der Ausschussmitglieder die Frage, welcher Gesetzgeber für die Erlassung jener
Regelungen zuständig sein sollte, mit denen die einzelnen Materien bzw
Angelegenheiten den Landesverwaltungsgerichten bzw dem Verwaltungsgericht des
Bundes 1. Instanz (oder keinem von beiden) zugewiesen werden bzw mit denen die
derzeit bestehenden Kollegialbehörden mit richterlichem Einschlag und die
sonstigen weisungsfreien Verwaltungsbehörden entweder in die
Landesverwaltungsgerichte oder in das Bundesverwaltungsgericht 1. Instanz (oder
in keines von beiden) „eingebaut“ werden, mit Hilfe des Instruments der Art 15a
B-VG-Vereinbarung lösen: Demnach sollte der Bundes(verfassungs)gesetzgeber für
die Zuweisung von Bundesangelegenheiten an das neue Verwaltungsgericht des
Bundes 1. Instanz zuständig sein. Die Landes(verfassungs)gesetzgeber sollten
für die Zuweisung von Landesangelegenheiten an die neuen
Landesverwaltungsgerichte zuständig sein, wobei durch eine Vereinbarung aller
Bundesländer (unter Umständen auch einer qualifizierten Mehrheit von
Bundesländern) die Eingliederung jetzt bestehender Kollegial- und
Sonderbehörden in die zukünftigen Verwaltungsgerichte (mit Geltung für alle
Bundesländer) erzielt werden sollte. Dabei könnte man – um dem föderalistischen
Gedanken Rechnung zu tragen – zB nach Vorbild des Art 95 des EG-Vertrags in der
Fassung des Vertrags von Nizza (ehemals Art 100a) einem Bundesland das Recht
einräumen, eine spezielle ländereigene Regelung beizubehalten, wenn dies durch
wichtige Erfordernisse sachlich gerechtfertigt ist.
Der in diesem Zusammenhang vorgeschlagene
Übergangszeitraum von fünf Jahren (ab Inkrafttreten) wurde von manchen
Mitgliedern aufgrund organisatorischer Bedenken als zu kurz, von manchen
Mitgliedern aufgrund rechtsstaatlicher Überlegungen (Rechtsunsicherheit in der
Umstellungsphase) als zu lang qualifiziert.
Von den Vertretern der Länder wurde insbesondere darauf
hingewiesen, dass diese Diskussion nicht losgelöst von der Frage geführt werden
könne, welche Kompetenzen die Länder letztlich erhalten werden; insofern sei
die gegenwärtige Diskussion in der Arbeitsgruppe maßgeblich von den Ergebnissen
des Ausschusses 5 (Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern) abhängig. Die
Ländervertreter regten jedoch an, unter Umständen den Bundesrat in diese
Umstellungsproblematik einzubeziehen.
VI) Rechtsschutz – Erweiterung?
Das Generalthema „Rechtsschutz – Erweiterung?“ war Gegenstand der
Ausschusssitzung vom 13.2.2004.
VI) 1) Zur Erweiterung des Rechtsschutzes durch Beiräte und Rechtsschutzbeauftragte
Die – im Ausschuss erst am Ende thematisierte – Einrichtung von
Beiräten bzw Rechtsschutzbeauftragten, die historisch im Strafprozessrecht
ihren Ausgang nahm (vgl §§ 149n und 149o StPO) und später im
Sicherheitspolizeirecht (vgl §§ 62 und 62a SPG) und im Militärbefugnisrecht
(vgl § 57 MBG) weiter entwickelt wurde, gehört zu den interessantesten
rechtsstaatlichen Neuerungen der letzten Jahre, zumal diese nach den
Vorstellungen des Gesetzgebers die Rechtmäßigkeit von staatlich angeordneten
Eingriffen in die Privat- und Freiheitssphäre des Einzelnen (ohne dass dieser
davon Kenntnis hat) kontrollieren und Parteirechte an Stelle des Betroffenen
wahrnehmen sollten. So wichtig diese Einrichtung ist, so problematisch
erscheinen jedoch die Bestellung und die Stellung dieser
Rechtsschutzbeauftragten aus verfassungsrechtlicher Sicht: deren Unabhängigkeit
und Weisungsfreiheit sind nämlich nur einfachgesetzlich (und zwar in den §§
149n Abs 4 StPO, 62a Abs 4 SPG und 57 Abs 3 MBG) garantiert, sodass das
„Damoklesschwert“ der verfassungsgerichtlichen Kontrolle (und uU Aufhebung)
ständig über ihnen schwebt.[18]
Schon aufgrund des erst jüngst ergangenen Erkenntnisses des VfGH vom 23.1.2004, G 363/02-13, ergibt sich die Notwendigkeit, dass allein aus Gründen der Klarheit und Rechtssicherheit die jetzt lediglich im einfachen Gesetzesrang stehenden, mehr oder weniger gleich lautenden Bestimmungen („Der Rechtsschutzbeauftragte ist in Ausübung seines Amtes unabhängig und an keine Weisungen gebunden. Er unterliegt der Amtsverschwiegenheit.“) auf verfassungsrechtliche Ebene zu heben sind.[19] In dem zitierten Erkenntnis hat der VfGH nämlich die Tätigkeit des Rechtsschutzbeauftragten nach dem MBG als „hoheitlich“ sowohl im materiellrechtlichen als auch im organisatorischen Sinn qualifiziert und einzelne Bestimmungen des MBG, darunter auch § 57 Abs 3 erster Satz MBG über den Rechtsschutzbeauftragten – mangels verfassungsrechtlicher Verankerung der Weisungsfreistellung bzw der Durchbrechung des in Art 20 Abs 1 B-VG angeordneten Weisungszusammenhangs – als verfassungswidrig aufgehoben. Die anstehende (zumindest teilweise) Reform der Verfassung mit einer uU tief greifenden Neuordnung des 6. Hauptstücks des B-VG über die Garantien der Verfassung und Verwaltung wäre wohl die ideale Gelegenheit und auch der richtige Zeitpunkt für eine verfassungsrechtliche Regelung der Stellung der Rechtsschutzbeauftragten: Dies könnte entweder in Form einer ausdrücklichen Verpflichtung, die Rechtsschutzbeauftragten weisungsfrei zu stellen, oder gleich in Form einer unmittelbaren Anordnung, etwa im 7. Hauptstück des B-VG, erfolgen.
Schließlich
wurde in der Ausschusssitzung vom 13.2.2004 auch noch eine Neugestaltung des
Menschenrechtsbeirats (derzeit allein für den Bereich der Sicherheitsbehörden
eingerichtet) im Sinn einer Prüfungskompetenz auch im Bereich der
Justizanstalten bzw die Schaffung eines gesonderten Gremiums mit gleichen
Aufgaben in diesem Bereich diskutiert, für den derzeit allein die
Strafvollzugskommissionen nach § 18 des Strafvollzugsgesetzes zuständig sind.
Dabei war man sich weitgehend einig, dass die Unabhängigkeit der Mitglieder
eines Beirats, der Bestellungsvorgang sowie die organisatorische Anbindung
(Parlament oder Bundeskanzleramt?) verfassungsrechtlich – wiederum etwa im
Siebten Hauptstück des B-VG – zu gewährleisten sind. Die Zuständigkeit eines
Menschenrechtsbeirats für gerichtlich angeordnete Anhaltungen müsste sich auf
die Überprüfung und Kontrolle der Haftbedingungen und mögliche Verbesserungen
im Sinne eines präventiven Menschenrechtsschutzes, nicht aber auf eine
individuelle Rechtmäßigkeitskontrolle der Entscheidungen unabhängiger Gerichte
beziehen. Die Einrichtung eines oder mehrerer unabhängiger Beiräte wäre nach
dem Fakultativprotokoll der Vereinten Nationen zum Übereinkommen gegen die
Folter, das von Österreich in nächster Zeit ratifiziert werden soll,
obligatorisch vorzunehmen.
VI) 2) Zum Problem der Staatshaftung bei Verletzung des
Gemeinschaftsrechts
Zu dem – im Ausschuss ebenfalls erst am Ende, nämlich vorwiegend in
den Ausschusssitzungen vom 12.2.2004 und 27.2.2004 erörterten – Institut der
Staatshaftung ist Folgendes vorauszuschicken:
Dieses Institut wurde durch die Judikatur des EuGH
entwickelt. Zwar resultiert der Anspruch auf Staatshaftung aus der (einem
Mitgliedstaat zuzurechnenden) Verletzung des Gemeinschaftsrechts und beruht
insofern unmittelbar auf dem Gemeinschaftsrecht, doch ist es Sache der
Mitgliedstaaten, im Rahmen ihrer Rechtsordnungen die Geltendmachung dieses
Anspruchs sicherzustellen. In Österreich gibt es – abgesehen vom geltenden
Amtshaftungsgesetz (AHG) – (noch) keine gesetzliche, insbesondere auch keine
spezielle verfassungsgesetzliche Regelung für die Geltendmachung von Staatshaftungsansprüchen.
VI) 2) a) Zu den Anspruchsgrundlagen
Zu unterscheiden ist grundsätzlich zwischen exekutivem Unrecht
(darunter versteht man – grob gesprochen – die Verletzung von
Gemeinschaftsrecht durch das hoheitliche oder privatwirtschaftliche Tätigwerden
von Verwaltungsbehörden), legislativem Unrecht (darunter versteht man – ebenso
grob gesprochen – die Verletzung von Gemeinschaftsrecht durch das Tätigwerden
oder das Untätigbleiben des nationalen Gesetzgebers) und schließlich
judikativem Unrecht (darunter versteht man – wiederum grob gesprochen – die
Verletzung von Gemeinschaftsrecht durch die Rechtsprechung der unabhängigen
Gerichte, uU auch der Höchstgerichte).
Einigkeit herrscht – in Rechtsprechung und Lehre ebenso
wie im Ausschuss – darüber, dass für die Geltendmachung von
Staatshaftungsansprüchen aufgrund exekutiven Unrechts die ordentlichen Gerichte
zuständig sind.[20] Rein
exekutives, aus hoheitlichem Handeln resultierendes Unrecht wird vom OGH nur
unter dem Titel der Amtshaftung behandelt, die Bestimmungen des
Amtshaftungsgesetzes (AHG) werden analog – durch eine Kombination aus dem
Vorrang des Gemeinschaftsrechts und dem Grundsatz der
gemeinschaftsrechtskonformen Interpretation – angewendet.[21]
Hinsichtlich
der Geltendmachung von Staatshaftungsansprüchen aufgrund legislativen Unrechts
stellt sich die Judikatur von VfGH und OGH wie folgt dar:
aa) Der VfGH sprach – aufbauend auf VfSlg 16.107/2001 –
zuletzt mit Erkenntnis vom 7.10.2003, A 11/01, zwar aus, dass
Schadenersatzansprüche – auch wenn sie auf einem öffentlich-rechtlichen Titel
beruhen – grundsätzlich im ordentlichen Rechtsweg geltend zu machen seien, dass
Art 137 B-VG als Anspruchsgrundlage nur subsidiär in Frage komme und dass die
Zuständigkeit für Staatshaftungsansprüche mangels einer ausdrücklichen
gesetzlichen Grundlage nach den allgemeinen Grundsätzen der
Zuständigkeitsverteilung vorzunehmen sei, dass aber eine Zuständigkeit des VfGH
dann bestehe, wenn die anspruchsbegründenden Handlungen oder Unterlassungen
nicht einem hoheitlich tätigen Vollzugsorgan oder einem privatrechtsförmig
tätig gewordenen Staatsorgan, sondern unmittelbar dem Gesetzgeber
zuzurechnen seien, etwa weil eine Ermächtigung eines Staatsorgans zu einer
entsprechenden Tätigkeit gesetzlich (zB bei Untätigbleiben des Gesetzgebers bei
der Umsetzung von Gemeinschaftsrecht oder bei entschädigungsloser
Legalenteignung) gar nicht vorgesehen ist.
ab) Hingegen hat es den Anschein, dass der OGH im Fall
„Konle“ auch in einem Fall legislativen Unrechts eine Zuständigkeit für sich
und die ordentlichen Gerichte beansprucht.[22]
VI) 2) b) Zur
Zuständigkeit und zum Verfahren
Geht man davon aus, dass es hinsichtlich der Geltendmachung von
Staatshaftungsansprüchen neben exekutivem Unrecht auch noch legislatives
Unrecht gibt, so ist daraus wohl der Schluss zu ziehen, dass bei ausschließlich
exekutivem Unrecht die ordentlichen Gerichte zuständig sind, während bei (auch)
legislativem Unrecht der VfGH zuständig ist. Für das Verfahren bedeutet dies,
dass im Fall der Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte die Bestimmungen des
AHG – allenfalls analog – heranzuziehen sind, während im Fall der Zuständigkeit
des VfGH Art 137 B-VG iVm den Bestimmungen des VfGG[23]
die verfahrensrechtliche Grundlage bildet.
Was
das „richtige“ Verfahren für die Geltendmachung von Staatshaftungsansprüchen
aufgrund legislativen Unrechts anlangt, spricht für die Zuständigkeit des VfGH
der Umstand, dass sich dieser auf Art 137 B-VG berufen kann und ihm innerhalb
der drei Höchstgerichte die Zuständigkeit wohl dann zukommt, wenn es um die
Beurteilung verfassungsrechtlicher Fragen (im weitesten Sinn) geht. Für die
Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte spricht dagegen, dass es sich auch bei
Staatshaftungsansprüchen letztlich um Schadenersatzansprüche handelt und dass
der dreigliedrige Instanzenzug der ordentlichen (Amtshaftungs-) Gerichtsbarkeit
wohl dem VfGH als erster und einziger Instanz (und daher auch Tatsacheninstanz)
vorzuziehen ist, auch wenn es sich de facto fast immer um Rechtsfragen handeln
wird. Es wurde aber zu bedenken gegeben, dass jedenfalls bei der Feststellung
der Schadenshöhe Fakten zu erheben und Feststellungen zu treffen sein werden.
VI) 2) c) Zum Sonderproblem des Staatshaftungsanspruchs aufgrund
einer fehlerhaften Entscheidung eines Höchstgerichts
ca) Die Frage, ob ein Staatshaftungsanspruch auch auf
ein gemeinschaftsrechtswidriges Verhalten eines Höchstgerichts gestützt werden
kann, ist durch das Erkenntnis des EuGH im so genannten Fall „Köbler“[24]
bindend geklärt und bejaht worden. Auch der Verstoß gegen Gemeinschaftsrecht in
einer letztinstanzlichen Entscheidung kann – so der EuGH – einen
Staatshaftungsanspruch begründen, wenn die verletzte Gemeinschaftsrechtsnorm
bezweckt, dem Einzelnen Rechte zu verleihen, der Verstoß hinreichend
qualifiziert ist und zwischen diesem Verstoß und dem dem Einzelnen entstandenen
Schaden ein unmittelbarer Kausalzusammenhang besteht. Bei der Entscheidung
darüber, ob der Verstoß hinreichend qualifiziert ist, muss das zuständige
nationale Gericht, wenn sich der Verstoß aus einer letztinstanzlichen
Gerichtsentscheidung ergibt, unter Berücksichtigung der Besonderheit der
richterlichen Funktion prüfen, ob dieser Verstoß offenkundig ist. Es ist Sache
der Rechtsordnung der einzelnen Mitgliedstaaten, zu bestimmen, welches
(nationale) Gericht für die Entscheidung von Rechtsstreitigkeiten über diesen
Schadenersatz zuständig ist; diesbezüglich hat der EuGH sozusagen „den Ball an
die Mitgliedstaaten zurückgespielt“.
cb)
Die Frage, ob ein Staatshaftungsanspruch auf ein gemeinschaftsrechtswidriges
Verhalten eines Höchstgerichts gestützt werden kann (und bejahendenfalls,
welches nationale Gericht dafür innerstaatlich zuständig wäre), hat der OGH
sowohl in 1 Ob 179/99a als auch in 1 Ob 146/00b offen gelassen.
cc) Der VfGH hat in VfSlg 16.107/2001 zwar grundsätzlich
die innerstaatliche Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte anerkannt, jedoch
eingeschränkt, dass „anderes in Ansehung des § 2 Abs 3 AHG iVm Art 137
B-VG gelten [mag] (was aber
in diesem Verfahren dahingestellt bleiben kann).“ An dieses
Grundsatzerkenntnis anknüpfend hat der VfGH nunmehr im Erkenntnis A 36/00 vom
10.10.2003 ausgesprochen, dass eine Nichtanwendung des § 2 Abs 3 AHG (der
Amtshaftungsansprüche aufgrund von Erkenntnissen der Höchstgerichte
ausschließt) zwar denkbar sei, „doch übersähe eine solche Argumentation,
dass die Nichtanwendung positiven Gesetzesrechts zur Erreichung einer
gemeinschaftsrechtskonformen Rechtslage nur dann in Frage kommt, wenn dieses
Ziel nicht anders herbeigeführt werden kann. In concreto steht aber die –
gemeinschaftsrechtlich jedenfalls unbedenkliche – Bestimmung des Art 137 B-VG
zur Verfügung, der zufolge vermögensrechtliche Ansprüche gegen Gebietskörperschaften
subsidiär vor dem Verfassungsgerichtshof geltend gemacht werden können. [...]
Dort aber, wo sich der Staatshaftungsanspruch aus dem Gemeinschaftsrecht ergibt
und das Gemeinschaftsrecht eine entsprechende Zuständigkeit eines
mitgliedstaatlichen Organs zur Geltendmachung von Staatshaftungsansprüchen
erfordert, steht die subsidiäre Zuständigkeit nach Art 137 B-VG zur Verfügung.
Dies gilt für die Haftung, die aus dem Titel legislativen Unrechts geltend
gemacht wird (vgl VfSlg 16.107/2001), genauso wie für die Haftung aus
gemeinschaftsrechtswidrigen höchstgerichtlichen Entscheidungen.“ Auf diese
Weise begründet der VfGH seine Zuständigkeit in dieser Sache.[25]
VI) 2) d) Besteht ein Bedarf an einer ausdrücklichen
verfassungsgesetzlichen Regelung?
da) Für eine ausdrückliche verfassungsgesetzliche
Regelung der Staatshaftung spricht vor allem der Gedanke der Rechtssicherheit.
In einem Rechtsstaat muss der Rechtsunterworfene – uU nach vorheriger
juristischer Beratung – mit einer gewissen Sicherheit wissen, in welchem
Verfahren und bei welchem Gericht er seine Ansprüche durchzusetzen hat. Die –
niemals ganz auszuschließende – Gefahr, sich zu „verklagen“, muss möglichst
gering gehalten werden.
Gegen eine ausdrückliche Regelung spricht vor allem das
Argument, dass die Gefahr des Scheiterns des nationalen Gesetzgebers bei der
Regelung eines sich gerade jetzt so dynamisch entwickelnden Rechtsstoffes
relativ groß ist, zumal auch nach den jüngsten Erkenntnissen von EuGH und VfGH
die Zuständigkeitsfrage zwischen den einzelnen Höchstgerichten – angesichts der
Vielfalt der denkbaren Sachverhalte – nicht restlos geklärt ist und es insofern
ratsam sein könnte, die Judikaturentwicklung noch ein wenig abzuwarten.
db) Sollte man sich zu einer ausdrücklichen gesetzlichen
Regelung entschließen, müsste man zunächst eine kompetenzrechtliche Abklärung
vornehmen: Es wäre die Schaffung einer eigenen Kompetenzgrundlage – nach dem
jetzigen System wohl in Art 10 Abs 1 B-VG – notwendig, da aufgrund der
derzeitigen Rechtslage weder der Bundesgesetzgeber allein noch die
Landesgesetzgeber allein für die Regelung zuständig wären.[26]
dc) Weiters wäre eine systematische Abklärung
dahingehend notwendig, ob man das bestehende AHG ergänzen oder ein völlig neues
Staatshaftungsgesetz schaffen will. Grundsätzlich erscheint das bestehende
amtshaftungsrechtliche Instrumentarium durchaus brauchbar, das AHG müsste aber
entweder in einigen Punkten adaptiert werden (der Organbegriff des § 1 AHG
[Gerichtsbarkeit und Verwaltung] müsste um die Gesetzgebung ergänzt werden; die
„Rettungspflicht“ des § 2 Abs 2 AHG und der Haftungsausschluss des § 2 Abs 3
AHG müssten wohl überdacht werden) oder aber es müsste ein eigener Abschnitt
(oder zumindest ein eigener Paragraph) über die analoge Anwendung des AHG auf
Staatshaftungsansprüche eingefügt werden.
dd) Darüber hinaus wäre eine Abklärung der Zuständigkeit
und des Verfahrens notwendig: Danach sollten die ordentlichen Gerichte aufgrund
der Bestimmungen des (adaptierten) AHG über alle Fälle exekutiven Unrechts
entscheiden; der VfGH sollte aufgrund des Art 137 B-VG iVm den Bestimmungen des
VfGG lediglich für die (dem nationalen Gesetzgeber unmittelbar zurechenbaren)
Fälle legislativen Unrechts zuständig sein, also im Wesentlichen für den Fall
der mangelhaften oder nicht fristgerechten Umsetzung einer EU-Richtlinie durch
den nationalen Gesetzgeber.
de) Zuletzt wäre zu überlegen, dass immer derjenige
aktiv legitimiert wäre, der behauptet, anspruchsberechtigt zu sein; passiv
legitimiert wäre im Fall von exekutivem oder legislativem Unrecht wohl jeweils
jene Gebietskörperschaft, der der gemeinschaftsrechtliche Verstoß zuzurechnen
ist. Das könnte im Fall von legislativem Unrecht etwa auch das Land wegen des
Versäumnisses des Landesgesetzgebers sein.[27]
Im Fall von judikativem Unrecht (aufgrund der fehlerhaften Entscheidung eines
Höchstgerichts) wäre wohl immer der Bund (die Republik) passiv legitimiert.
df) Für die (in
der Praxis wohl seltenen) Fälle des judikativen Unrechts wurde vor dem
Hintergrund des sich auf höchstgerichtlicher Ebene anbahnenden (unter Punkt VI)
2) c) näher beschriebenen) Kompetenzkonflikts – wie dies bei der Herbsttagung
der Österreichischen Juristenkommission am 28.10.2003 in Wien angeregt wurde –
die Idee der Schaffung eines obersten, aus Mitgliedern aller drei
Höchstgerichte bestehenden Senats, eines so genannten „Austrägalsenats“, wieder
aufgegriffen, die in den 50er und 60er Jahren mit dem Ziel der
Vereinheitlichung der Rechtsprechung aller drei Höchstgerichte entwickelt wurde
und bis zum Stadium eines Entwurfs des Bundeskanzleramts/Verfassungsdienst
geführt hat.[28]
Die Übertragung
der Entscheidung auf ein weiteres „Grenzorgan“ lässt freilich auch die Frage
auftauchen, dass dieses wiederum staatshaftungsbegründende Fehler begehen
könnte.
Bislang konnte
im Ausschuss in Fragen der Staatshaftung keine Einigung erzielt werden. Auch
unter Bedachtnahme auf einen noch nicht publizierten Beitrag von Hon.-Prof. Dr.
Kurt Heller zum Thema der „Haftung des Staates für den Verstoß seiner
Höchstgerichte gegen Gemeinschaftsrecht“, in dem diese Problematik
differenzierter aufgearbeitet wird, als sie bislang im Ausschuss diskutiert
werden konnte, sollte die Frage weiter behandelt werden.
B. Besonderer Teil
Zu Punkt II) 3): Fragen zur Staatsanwaltschaft
Textvorschlag für eine neue Überschrift des Abschnitts B.
im Dritten Hauptstück des B-VG
In der Überschrift des Abschnitts B. des Dritten Hauptstücks wird
das Wort „Gerichtsbarkeit“ ersetzt durch das
Wort „Justiz“.
Erläuterungen: Die
Staatsanwaltschaft ist in ihrer untrennbaren Verflechtung mit den
(Straf-)Gerichten und als Teil der Funktionseinheit „Strafrechtspflege“ eine
Justizbehörde. Auch in der öffentlichen Wahrnehmung und gängigen Semantik ist
sie Teil der Justiz. In materieller Betrachtung hat sie nichts zu „verwalten“,
das heißt, keinen selbständigen Verwaltungsbereich zu administrieren, sondern
das auf die Gerichte bezogene Anklagerecht und dessen negative Seite
(Einstellungs- und Diversionsentscheidungen) auszuüben, letzteres in
Überlappung mit gerichtlichen Entscheidungen.
Die Funktionstrennung zwischen Staatsanwaltschaft und
Gericht innerhalb des Strafverfahrens, die schon de lege lata durch mannigfache
Verbindungen und Verflechtungen flankiert ist (zB richterliche Vorerhebungen im
Auftrag des Staatsanwalts als Herrn des Verfahrens, Entscheidungen der Gerichte
über Subsidiaranträge und –anklagen sowie Anklageeinsprüche), ist eine Folge
des Anklagegrundsatzes, nicht des verfassungsrechtlichen Trennungsgrundsatzes.
(Letzterer verbietet gerade die für das Strafverfahren typischen
Funktionsverbindungen und –verflechtungen.) Art 94 B-VG spricht schon jetzt von
der Trennung von „Justiz“ und Verwaltung (und nicht von der Trennung von
„Gerichtsbarkeit“ und Verwaltung).
Die Überschrift des Abschnitts B. im Dritten Hauptstück
des B-VG sollte daher besser „Justiz“ statt „Gerichtsbarkeit“ lauten. Dies
würde die Justizbehörde Staatsanwaltschaft deutlicher einschließen und
entspräche auch dem internationalen Sprachgebrauch („justiziell“, „judicial
authority“, „autorité judiciaire“), der – etwa innerhalb der EU – gleichfalls
jeweils die staatsanwaltschaftlichen Behörden einschließt.
Textvorschlag für einen neuen (nach dem jetzigen System) Art 90 Abs
3 B-VG
Dem Art 90 wird
folgender Abs 3 angefügt:
„(3) Die öffentliche Anklage sowie die justizielle Strafverfolgung
obliegen den Staatsanwaltschaften. Durch Bundesgesetz ist die Stellung der
Staatsanwälte als Organe der Justiz zu gewährleisten.“
Erläuterungen:
Zu Satz 1: Die
Staatsanwaltschaft ist ein zentraler und im Hinblick auf das Anklageprinzip
unersetzbarer Bestandteil der Funktionseinheit „Strafrechtspflege“. Ihre
Bedeutung ist durch die – breiten internationalen Tendenzen folgende –
Rechtsentwicklung der letzten Jahre gestiegen (selbständige Wahrnehmung der
Strafbefreiung wegen mangelnder Strafwürdigkeit der Tat gemäß § 42 StGB; Verfolgungsverzicht
nach § 6 JGG 1988; Modellprojekte „Außergerichtlicher Tatausgleich“; Einführung
der Diversion; Übertragung der Leitungsbefugnis im Ermittlungsverfahren durch
das gerade beschlossene Strafprozessreformgesetz). Heute wird zahlenmäßig eine
deutliche Mehrheit der Endentscheidungen im Strafverfahren, nämlich
insbesondere Verfahrenseinstellungen mangels ausreichenden Tatverdachts bzw
ausreichender Verurteilungswahrscheinlichkeit einerseits sowie
Diversionsentscheidungen im Bereich minderschwerer und teilweise mittelschwerer
Kriminalität andererseits, von der Staatsanwaltschaft getroffen. In diesem
Sinne werden im ersten Satz des Textvorschlags Bestand und Funktion der
Staatsanwaltschaften als Träger der öffentlichen Anklage verfassungsrechtlich
abgesichert. Dabei wird zwar kein ausdrücklicher Verweis auf die
Strafprozessordnung in den Verfassungstext aufgenommen, jedoch vom bisherigen
Stand der Strafprozessordnung und ihrer Weiterentwicklung auf
einfachgesetzlicher Ebene ausgegangen. Mit der Wendung „justizielle
Strafverfolgung“ – sie korrespondiert im Übrigen mit der neu vorgeschlagenen
Überschrift des Abschnitts B. des Dritten Hauptstücks des B-VG („Justiz“) –
soll zum Ausdruck gebracht werden, dass es sich beim neuen Abs 3 ausschließlich
um eine Bestands- und Funktionsgarantie zugunsten der Staatsanwaltschaften
handelt, von der weder die Strafverfolgungstätigkeit der Polizei und des
Privatanklägers noch die gerichtliche Strafverfolgungstätigkeit (Beweisaufnahme
im Vorverfahren, Rechtsschutz, Anklageprüfung, etc.) berührt werden. In diesem
Sinne ist aus dem neu angefügten Abs 3 im Zusammenhalt mit Art 90 Abs 2 B-VG,
wonach im Strafverfahren der Anklageprozess gilt, die Zulässigkeit, ja in
manchen Fällen die Notwendigkeit richterlichen Rechtsschutzes im Strafverfahren
abzuleiten.
Zu Satz 2: Das Dienst-
und Organisationsrecht der Staatsanwaltschaften (im Staatsanwaltschaftsgesetz
[StAG]) entspricht schon jetzt nicht dem einer Behörde der allgemeinen
Verwaltung und weist insbesondere im Bereich des internen und externen
Aufsichts- und Weisungsrechts markante Besonderheiten auf (vgl §§ 29 ff StAG).
Der Absicherung einer unparteiischen, von sachfremden Einflüssen freien
Amtsausübung der Staatsanwälte kommt – auch im Lichte der gesamteuropäischen
Rechtsentwicklung[29]
- besondere rechtsstaatliche Bedeutung zu.
Der Ausschuss will dieser Bedeutung – über eine
Bestands- und Funktionsgarantie der Staatsanwaltschaft als solcher hinaus –
Rechnung tragen, ohne möglichen künftigen Entwicklungen auf einfachgesetzlicher
Ebene (etwa im Sinne einer Differenzierung oder einer verstärkten Transparenz
der Ausübung des Weisungsrechts) vorzugreifen oder solche zu präjudizieren. Der
zweite Satz des vorstehenden Textvorschlags stellt einen Versuch in diese
Richtung dar.
Zu Punkt II) 4): Entfall der Mitkompetenz
der Landesregierungen bei Sprengeländerungen der Gerichte?
Textvorschlag für eine entsprechende Aufhebungsanordnung
§ 8 Abs 5 lit d) des Übergangsgesetzes
aus 1920, StGBl 1920/451 idF BGBl 1925/368 [Wv] idF BGBl I 1999/194, wird
aufgehoben.
Erläuterungen:
Wie bereits im Allgemeinen Teil des Ausschussberichts
erwähnt, konnte im Ausschuss grundsätzlich Konsens darüber erzielt werden, die
Bestimmung des § 8 Abs 5 lit d) ÜG 1920, wonach Verordnungen über Änderungen in
den Sprengeln der Bezirksgerichte nur mit Zustimmung der jeweiligen
Landesregierung erlassen werden dürfen, ersatzlos zu streichen. Als Argument
für diesen Entfall wurde ins Treffen geführt, dass diese Bestimmung im Bereich
der ansonsten bundesgesetzlich geregelten Gerichtsbarkeit einem „Fremdkörper“
gleiche und wohl auch nur historisch erklärbar sei. Diese Regelung sollte ja
nach dem Einleitungssatz des § 8 Abs 5 ÜG 1920 auch nur solange gelten, bis die
Organisation der allgemeinen staatlichen Verwaltung in den Ländern durch ein
gemäß Art 120 B-VG zu erlassendes Bundesverfassungsgesetz und die
Ausführungsgesetze hiezu geregelt ist; tatsächlich ist ein solches
Bundesverfassungsgesetz bis heute nicht erlassen worden.
Zu Punkt III): Gerichtshöfe öffentlichen
Rechts – Verhältnis der Höchstgerichte zueinander
Erstentwurf Jabloner/Grabenwarter
für die Einführung eines „Subsidiarantrags“,
in einem (nach dem derzeitigen System) neuen Art 140 Abs 1a B-VG
In Art 140 wird folgender Abs 1a
eingefügt:
„(1a) Der
Verfassungsgerichtshof erkennt ferner über Verfassungswidrigkeit von Gesetzen
nach Fällung einer rechtskräftigen Entscheidung durch ein in Abs 1 genanntes
Gericht, ausgenommen den Verfassungsgerichtshof; dies auf Antrag einer Person,
die Partei dieses Verfahrens war und die Anwendung eines verfassungswidrigen
Gesetzes behauptet. Für solche Anträge gilt Art 89 Abs 3 sinngemäß. Mit der Aufhebung
des Gesetzes oder dem Ausspruch seiner Verfassungswidrigkeit gilt das
gerichtliche Verfahren als wieder aufgenommen.“
[Sofern einem
solchen Vorschlag überhaupt näher getreten wird, könnte dem entsprechend auch
in Art 139 folgender neuer Abs 1a eingefügt werden:
„(1a) Der
Verfassungsgerichtshof erkennt ferner über Gesetzwidrigkeit von Verordnungen
nach Fällung einer rechtskräftigen Entscheidung durch ein in Art 89 Abs 2
genanntes Gericht, den Verwaltungsgerichtshof oder ein Verwaltungsgericht
erster Instanz; dies auf Antrag einer Person, die Partei dieses Verfahrens war
und die Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung behauptet. Art 89 Abs 3 gilt
sinngemäß. Mit der Aufhebung der Verordnung oder dem Ausspruch ihrer
Gesetzwidrigkeit gilt das gerichtliche Verfahren als wieder aufgenommen.“]
Erläuterungen
(vorläufig):
1. Dieser Entwurf setzt
die Umwandlung der Unabhängigen Verwaltungssenate in Landesverwaltungsgerichte
voraus. Im Hinblick darauf kann allgemein von den in Art 140 Abs 1 erster Satz
B-VG genannten „Gerichten“ gesprochen werden (bei der Verordnungsprüfung
ist die Aufzählung der betreffenden Stellen breiter). Ansonsten wird vom status
quo ausgegangen.
2. Für die legistische
Einordnung in die Art 139 und 140 B-VG wurde vorerst der Weg gewählt, neue
Absätze „1a“ einzurichten. Dies deshalb, weil die Absätze 1 der Art 139 f B-VG
schon lang sind und man die Textierung dieser Bestimmungen überhaupt überlegen
sollte.
3. Zu den „Gerichten“
gehört auch der VfGH. Wenn man davon geleitet ist, dass der VfGH Normbedenken
grundsätzlich aus Eigenem aufgreifen soll, muss eine entsprechende
Einschränkung gemacht werden. Der oben vorgeschlagene Textentwurf folgt dieser
Auffassung.
4. Soll der
Subsidiarantrag auf der Ebene der Verordnungsprüfung überhaupt eingeführt werden?
Ein verfassungspolitisches Bedürfnis danach wurde wohl noch nicht artikuliert.
5. Es stellt sich die
Frage, ob der Subsidiarantrag nur dann zulässig sein soll, wenn der
Beschwerdeführer zuvor im Verfahren vor den antragsberechtigten Gerichten die Normbedenken
geltend gemacht und eine Antragstellung an den VfGH angeregt hat, dieser
Anregung aber nicht gefolgt wurde. Hier können zwei Denkschulen vertreten
werden: Man kann den Fall anvisieren, dass der Beschwerdeführer eben erst nach
der Entscheidung des Gerichts wahrnimmt, dass die Verfassungswidrigkeit in der
Norm liegen könnte. Dies hätte vor allem Bedeutung für die Relation zwischen
der Justiz und dem VfGH – hinsichtlich von Verwaltungsakten
(verwaltungsgerichtlichen Urteilen) steht ja Art 144 Abs 1 zweiter Fall B-VG
zur Verfügung. Dies würde dafür sprechen, keine Einschränkung zu setzen. Man
kann aber auch die Ansicht vertreten, dass eine solche Konstruktion ein
gewisses Missbrauchspotential eröffnen könnte, was wiederum für die
Einschränkung spräche, an im gerichtlichen Verfahren bereits geltend gemachte
Bedenken anzuknüpfen. Der oben erstattete Textvorschlag folgt vorläufig der
ersten Denkschule.
6. Der Entwurf ist von
der Erwägung geleitet, dass ein Subsidiarantrag dann zulässig sein soll, wenn
ein in Art 140 Abs 1 erster Satz B-VG etc genanntes „Gericht“ befasst
war. Es ist also nicht vorgesehen, dass vor Stellung des Subsidiarantrags ein
Instanzenzug an den VwGH oder OGH ausgenützt oder gesetzlich eingerichtet
werden muss. Dies entspricht dem gegebenen System, in dem ja eine
Antragsberechtigung auch nachgeordneter Gerichte vorgesehen ist.
7. Zur Straffung des –
ja bereits bedenklich langen – Verfahrens erscheint es zweckmäßig, schon im
Verfassungstext festzulegen, dass mit der Aufhebung des Gesetzes (dem Ausspruch
seiner Verfassungswidrigkeit) das gerichtliche Verfahren wieder aufgenommen
ist. Das bedeutet aber auch, dass sich der Beschwerdeführer darüber im Klaren
sein muss, dass der Normaufhebung das fortgesetzte Verfahren folgt. Man könnte
darin auch eine Vorkehrung gegen einen Missbrauch des Subsidiarantrags sehen.
8. Für die Art 139a und
140a B-VG sind anscheinend keine besonderen Regelungen notwendig.
9. Im Entwurf des Art
139 Abs 1a B-VG ist die Antragsberechtigung nach § 24 Abs 11 UVP-Gesetz
2000 vorerst nicht berücksichtigt. (Es ist nicht klar, ob das eine „abstrakte“
oder eine „konkrete“ Normprüfung ist).
10. Es wird – der
diesbezüglichen Diskussion im Ausschuss entsprechend – davon Abstand genommen,
Bindungsfragen zu regeln.
12. Die Formulierung
sollte es ausschließen, dass auch Amtsparteien im Sinne des Art 131 Abs 1
Z 2 und 3 und Abs 2 B-VG vom Subsidiarantrag Gebrauch machen können (arg: „Person“).
Dies ist deshalb wichtig, weil die Grenze zwischen konkreter und abstrakter Normprüfung
nicht verwischt werden soll. Sonst könnte etwa ein Bundesminister über die
Anfechtung eines Bescheids der Landesregierung die Verfassungsmäßigkeit des
Bundesgesetzes bekämpfen, eine Möglichkeit die nach Art 140 Abs 1 B-VG
ansonsten nicht gegeben wäre.
13. Durch die Anordnung,
dass der Subsidiarantrag erst nach einer gerichtlichen Entscheidung zulässig
ist, wird es ausgeschlossen, dass der Beschwerdeführer (die Verfahrenspartei
des gerichtlichen Verfahrens) parallel zur gerichtlichen Anfechtung einer
generellen Norm einen Subsidiarantrag stellt. Es bleibt der nicht ausdrücklich
geregelte Fall, dass das Gericht einen entsprechenden Antrag gestellt hat, der
VfGH sein Verfahren durchgeführt hat und das Gericht dann zu seiner
Entscheidung findet. Für diesen Fall ist es immerhin vorstellbar, dass der
Beschwerdeführer (die Verfahrenspartei) nunmehr verfassungsrechtliche Bedenken
äußert, die noch nicht Gegenstand des verfassungsgerichtlichen Verfahrens war.
Man könnte diese Problematik entweder im Verfassungstext berücksichtigen – was
nicht recht zweckmäßig erscheint – oder auf der Ebene des VfGG lösen oder
überhaupt der Judikatur überlassen.
14. Im Verfassungstext
sollte auch zum Ausdruck kommen, dass die „Person“, die als
Beschwerdeführer vor dem VfGH auftritt, Verfahrenspartei des zugrunde liegenden
gerichtlichen Verfahrens gewesen ist (für den VwGH vgl aber oben Punkt 12.).
Dies erscheint auch zweckmäßig im Hinblick auf eine Abgrenzung zum
„benachbarten“ Individualantrag.
15. Im Gegensatz zu
einem früheren Formulierungsvorschlag (vgl Jabloner, Strukturfragen der
Gerichtsbarkeit des öffentlichen Rechts, ÖJZ 1998, 161 ff) wird im vorliegenden
Entwurf die Wendung „in ihren Rechten“, die beim Individualantrag
nach Art 144 Abs
1 B-VG verwendet wird, nicht übernommen. Maßgebend dafür ist, dass der
Subsidiarantrag der gerichtlichen Antragstellung an den VfGH nachgebildet ist
und dort ja auch nicht darauf abgestellt wird, ob eine Verfahrenspartei „in
ihren Rechten“ verletzt ist. Auf der anderen Seite findet sich diese Formel im
strukturell ähnlichen Fall des Art 144 Abs 1 zweiter Fall B-VG. Daraus ließe
sich wiederum ein Gegenargument ableiten.
Zu Punkt IV): Verwaltungsgerichtsbarkeit
(in den Ländern)
Gemeinsamer Textvorschlag Grabenwarter/Jabloner
für die verfassungsrechtliche Verankerung
der Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz,
insbesondere für neue (nach dem derzeitigen System) Art 129 bis 136
B-VG
(aufgrund eines von Univ.-Prof. DDr. Grabenwarter
überarbeiteten Entwurfs des BKA/VD)
Der Nationalrat hat beschlossen:
Das Bundes-Verfassungsgesetz, zuletzt geändert durch das
Bundesverfassungsgesetz BGBl I Nr XXX/2004, wird wie folgt geändert:
1. In Art 10 Abs 1 Z 6 wird nach dem Ausdruck „Verwaltungsgerichtsbarkeit“ der Ausdruck „, ausgenommen
Angelegenheiten der Verwaltungsgerichte der Länder“ eingefügt.
2. In Art 11 Abs 1 wird
folgende Z 8 angefügt:
„8. Verfahren der Verwaltungsgerichte.“
3. In Art 81a Abs 4 wird der letzte Satz aufgehoben.
4. Art 82 Abs 1 lautet:
„(1) Alle Gerichtsbarkeit geht, soweit bundesverfassungsgesetzlich
nicht anderes bestimmt ist, vom Bund aus.“
5. Art 89 lautet:
„Artikel 89. (1) Die Prüfung der
Gültigkeit gehörig kundgemachter Verordnungen, Wiederverlautbarungen, Gesetze
und Staatsverträge steht, soweit in diesem Artikel nicht anderes bestimmt ist,
den Gerichten nicht zu.
(2) Hat ein Gericht gegen die Anwendung einer Verordnung aus dem
Grund der Gesetzwidrigkeit Bedenken, so hat es den Antrag auf Aufhebung dieser
Verordnung beim Verfassungsgerichtshof zu stellen. Hat ein Gericht gegen die
Anwendung eines Gesetzes aus dem Grund der Verfassungswidrigkeit Bedenken, so
hat es den Antrag auf Aufhebung dieses Gesetzes beim Verfassungsgerichtshof zu
stellen.
(3) Ist die vom Gericht anzuwendende Rechtsvorschrift bereits außer
Kraft getreten, so hat der Antrag des Gerichts an den Verfassungsgerichtshof
die Feststellung zu begehren, dass die Rechtsvorschrift gesetzwidrig oder
verfassungswidrig war.
(4) Abs 2 erster Satz und Abs 3 gelten für Wiederverlautbarungen,
Abs 2 und Abs 3 nach Maßgabe des Art 140a für Staatsverträge sinngemäß.
(5) Welche Wirkungen der Antrag des Gerichts für das bei ihm
anhängige Verfahren hat, wird durch Bundesgesetz geregelt.“
6. In Art 118 Abs 4 entfallen die Wendungen „– vorbehaltlich der Bestimmungen des Artikels 119a Absatz 5 –“ und
„außerhalb der Gemeinde“.
7. Art 119a Abs 5 entfällt.
8. In Art 119a Abs 9 wird der Ausdruck „vor
dem Verwaltungsgerichtshof (Artikel 131 und 132)“ durch den Ausdruck „vor
den Verwaltungsgerichten (Artikel 131 und 132), vor dem Verwaltungsgerichtshof
(Artikel 133)“ ersetzt.
9. An die Stelle der Absatzbezeichnungen „(6)“ bis „(10)“ in Art 119a treten die Absatzbezeichnungen
„(5)“ bis „(9)“.
10. Vor Art 129 wird die Überschrift „A.
Verwaltungsgerichte und Verwaltungsgerichtshof“ eingefügt.
11. Art 129 lautet:
„Artikel 129. (1) Zur Sicherung der Gesetzmäßigkeit der
gesamten öffentlichen Verwaltung sind die Verwaltungsgerichte und der
Verwaltungsgerichtshof berufen. Der Verwaltungsgerichtshof hat seinen Sitz in
Wien.
(2) In jedem Land ist ein Verwaltungsgericht des Landes
einzurichten. Darüber hinaus können die Länder für die Angelegenheiten des
Bauwesens und die Angelegenheiten des Abgabenwesens sowie für sonstige
Angelegenheiten des eigenen Wirkungsbereichs der Gemeinde besondere
Verwaltungsgerichte einrichten.
(3) Zur Entscheidung in verfassungsgesetzlich zu bestimmenden
Angelegenheiten des Art 10 Abs 1 B-VG sind Verwaltungsgerichte des Bundes
erster Instanz einzurichten.“
12. Die Überschriften vor Art 129a, vor Art 129c und vor Art 130
sowie die Art 129a bis 129c werden aufgehoben.
13. Art 130 lautet:
„Artikel 130. (1) Die Verwaltungsgerichte erkennen über
Beschwerden
1. gegen Bescheide der
Verwaltungsbehörden wegen Rechtswidrigkeit;
2. gegen die Ausübung unmittelbarer
Befehls- und Zwangsgewalt durch Verwaltungsbehörden wegen Rechtswidrigkeit;
3. wegen Verletzung der
Entscheidungspflicht der Verwaltungsbehörden;
4. in sonstigen Angelegenheiten, die
den Verwaltungsgerichten durch die die einzelnen Gebiete der Verwaltung
regelnden Bundes- oder Landesgesetze zugewiesen werden. Den
Verwaltungsgerichten der Länder dürfen Angelegenheiten durch Bundesgesetz nur mit
Zustimmung der Länder zugewiesen werden.
(2) Rechtswidrigkeit liegt nicht vor, soweit die Gesetzgebung von
einer bindenden Regelung des Verhaltens der Verwaltungsbehörde absieht und die
Bestimmung dieses Verhaltens der Behörde selbst überlässt, die Behörde aber von
diesem freien Ermessen im Sinne des Gesetzes Gebrauch gemacht hat.
(3) In den Angelegenheiten des Abs 1 Z 1 – ausgenommen in Angelegenheiten des Art 131 Abs 1 Z 1 – hat das Verwaltungsgericht in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Rechtsfrage geklärt ist und der Sachverhalt entweder feststeht oder vom Verwaltungsgericht – insbesondere im Rahmen einer mündlichen Verhandlung – festgestellt werden kann, soweit anzunehmen ist, dass dies im Interesse der Beschleunigung der Erledigung oder einer erheblichen Kosteneinsparung gelegen ist. In den Angelegenheiten des Art 131 Abs 1 Z 1 hat das Verwaltungsgericht jedenfalls in der Sache selbst zu entscheiden.“
14. Art 131 lautet:
„Artikel 131. (1) Die
Verwaltungsgerichte der Länder erkennen nach Maßgabe des Art 130:
1. in allen Verfahren wegen
Verwaltungsübertretungen;
2. über alle Beschwerden gegen die
Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt durch Verwaltungsbehörden;
3. in allen übrigen Angelegenheiten,
ausgenommen jenen, in denen nach Abs 2 die Verwaltungsgerichte des Bundes
zuständig sind.
(2) Die Verwaltungsgerichte des Bundes erkennen nach Maßgabe des Art
130 und des Abs 1 Z 3:
1.
in Angelegenheiten des Art 10 Abs 1 Z
3 und 7 mit Ausnahme der Personenstandsangelegenheiten sowie in Angelegenheiten
des Pressewesens und des Patentwesens;
2.
in Angelegenheiten der Abgaben- und
Finanzstrafsachen des Bundes;
3. in Angelegenheiten, die in erster
Instanz in die Zuständigkeit der Bundesregierung, eines Bundesministers oder
einer anderen Bundesbehörde mit örtlicher Zuständigkeit für das gesamte
Bundesgebiet fallen und die Akte der Vollziehung betreffen, die für das gesamte
Bundesgebiet oder für mehrere Länder wirksam werden;
4. über Beschwerden gegen
einvernehmliche Bescheide der zuständigen Landesbehörden und Bescheide eines
Bundesministers nach Art 15 Abs 7.
(3) Durch Landesverfassungsgesetz kann für einzelne Angelegenheiten
des Abs 2 Z 1 das Verwaltungsgericht des Landes für den Bereich eines Landes
zuständig gemacht werden. Ein solches Landesverfassungsgesetz bedarf der
Zustimmung der Bundesregierung (Art 97 Abs 2).“
15. Art 132 lautet:
„Artikel 132. (1) Gegen den Bescheid
einer Verwaltungsbehörde kann wegen Rechtswidrigkeit Beschwerde erheben:
1. wer durch den Bescheid in seinen
Rechten verletzt zu sein behauptet nach Erschöpfung des Instanzenzugs;
2. der zuständige Bundesminister in
den Angelegenheiten der Art 11, 12, 14 Abs 2 und 3 und 14a Abs 3 und 4 sowie in
jenen Angelegenheiten, in denen dem Bescheid eines Landes- oder Bezirksschulrats
ein kollegialer Beschluss zugrunde liegt, soweit die Parteien den Beschluss
nicht mehr anfechten können;
3. die Landesregierung gegen Bescheide
des zuständigen Bundesministers in den Angelegenheiten des Art 15 Abs 5 erster
Satz und des Art 15 Abs 7;
4. in weiteren Fällen nach Maßgabe der
die einzelnen Gebiete der Verwaltung regelnden Bundes- oder Landesgesetze wer
unter den gesetzlich bestimmten Voraussetzungen dazu berechtigt ist.
(2) Gegen die Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt durch
Verwaltungsbehörden wegen Rechtswidrigkeit kann Beschwerde erheben, wer
behauptet, durch die Ausübung unmittelbarer Befehls- und Zwangsgewalt in seinen
Rechten verletzt zu sein.
(3) Wegen Verletzung der Entscheidungspflicht kann Beschwerde
erheben, wer als Partei im Verwaltungsverfahren zur Geltendmachung der
Entscheidungspflicht berechtigt war. Die Beschwerde wegen Verletzung der
Entscheidungspflicht in Verwaltungsstrafsachen kann gesetzlich ausgeschlossen
werden.“
16. Art 133 lautet:
„Artikel 133. (1) Der Verwaltungsgerichtshof erkennt
kassatorisch über:
1. Revisionen gegen Entscheidungen der
Verwaltungsgerichte nach Maßgabe des
Abs 3 wegen
Rechtswidrigkeit;
2. Beschwerden gegen die
Nichtzulassung der Revision wegen Rechtswidrigkeit;
3. Kompetenzkonflikte zwischen
Verwaltungsgerichten oder zwischen einem Verwaltungsgericht und dem
Verwaltungsgerichtshof.
(2) Von der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofs sind jene
Angelegenheiten ausgeschlossen, die zur Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofs
gehören.
(3) Gegen die Entscheidung eines Verwaltungsgerichts kann von den
Parteien des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens wegen Rechtswidrigkeit
Revision eingelegt werden, wenn das Verwaltungsgericht oder nach Beschwerde
gegen die Nichtzulassung der Verwaltungsgerichtshof die Revision zugelassen
hat. Mit der Beschwerde ist zugleich die Revision auszuführen. Die zuständige
Landesregierung in Angelegenheiten der Landesverwaltung und der zuständige
Bundesminister in Angelegenheiten der Bundesverwaltung können unter diesen
Bedingungen auch dann Revision einlegen, wenn sie nicht Parteien sind.
(4) Die Revision ist zuzulassen, wenn
1. die angefochtene Entscheidung von
der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der grundsätzliche Bedeutung zukommt,
insbesondere weil die Entscheidung von der Rechtsprechung des
Verwaltungsgerichtshofs abweicht, eine solche Rechtsprechung fehlt oder die zu
lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des
Verwaltungsgerichtshofs nicht einheitlich beantwortet wird, oder wenn
2. im Fall einer Verwaltungsstrafsache
die Begehung der Verwaltungsübertretung nicht nur mit einer geringen Geldstrafe
bedroht ist.
(5) Der Verwaltungsgerichtshof kann die Behandlung von Beschwerden
und von Revisionen gemäß Abs 1 Z 1 ablehnen, wenn keine der Voraussetzungen des
Abs 4 Z 1 oder 2 gegeben ist.“
17. Art 134 lautet:
„Artikel 134. (1) Die
Verwaltungsgerichte und der Verwaltungsgerichtshof bestehen aus je einem
Präsidenten, einem Vizepräsidenten und der erforderlichen Zahl von sonstigen
Mitgliedern (Senatspräsidenten und Richtern).
(2) Den Präsidenten, den Vizepräsidenten und die übrigen Mitglieder
des Verwaltungsgerichtshofs ernennt der Bundespräsident auf Vorschlag der
Bundesregierung. Die Bundesregierung erstattet ihre Vorschläge, soweit es sich
nicht um die Stelle des Präsidenten oder Vizepräsidenten handelt, auf Grund von
Dreiervorschlägen der Vollversammlung des Verwaltungsgerichtshofs. Die
Mitglieder des Verwaltungsgerichtshofs müssen die rechtswissenschaftlichen
Studien vollendet und bereits durch mindestens zehn Jahre eine Berufsstellung
bekleidet haben, für die die Vollendung dieser Studien erforderlich ist.
Wenigstens der dritte Teil der Mitglieder muss die Befähigung zum Richteramt
haben, wenigstens der vierte Teil soll aus Berufsstellungen in den Ländern,
womöglich aus dem Verwaltungsdienst der Länder entnommen werden.
(3) Den Präsidenten, den Vizepräsidenten und die übrigen Mitglieder
der Verwaltungsgerichte des Bundes ernennt der Bundespräsident auf Vorschlag
der Bundesregierung. Die Bundesregierung erstattet ihre Vorschläge, soweit es
sich nicht um die Stelle des Präsidenten oder Vizepräsidenten handelt, auf
Grund von Dreiervorschlägen des jeweiligen Verwaltungsgerichts des Bundes. Die
Mitglieder der Verwaltungsgerichte des Bundes müssen die
rechtswissenschaftlichen Studien vollendet und bereits durch mindestens fünf
Jahre eine Berufsstellung bekleidet haben, für die die Vollendung dieser
Studien erforderlich ist. Wenigstens der vierte [fünfte?] Teil der Mitglieder
soll aus Berufsstellungen der Länder, womöglich aus dem Verwaltungsdienst der
Länder entnommen werden. Wenigstens der vierte [fünfte?] Teil der Mitglieder
soll womöglich aus der ordentlichen Gerichtsbarkeit entnommen werden.
(4) Den Präsidenten, den Vizepräsidenten und die übrigen Mitglieder
des Verwaltungsgerichts eines Landes ernennt die Landesregierung. Die Ernennung
erfolgt, soweit es sich nicht um die Stelle des Präsidenten oder
Vizepräsidenten handelt, auf Grund von Dreiervorschlägen des
Verwaltungsgerichts des Landes. Die Mitglieder der Verwaltungsgerichte müssen
die rechtswissenschaftlichen Studien vollendet und bereits durch mindestens
fünf Jahre eine Berufsstellung bekleidet haben, für die die Vollendung dieser
Studien erforderlich ist. Wenigstens der vierte [fünfte?] Teil der Mitglieder
soll aus Berufsstellungen im Bund, womöglich aus der ordentlichen
Gerichtsbarkeit entnommen werden.
(5) Den Verwaltungsgerichten und dem Verwaltungsgerichtshof können
Mitglieder der Bundesregierung, einer Landesregierung oder eines allgemeinen
Vertretungskörpers nicht angehören; für Mitglieder der allgemeinen
Vertretungskörper, die auf eine bestimmte Gesetzgebungs- oder Funktionsperiode
gewählt wurden, dauert die Unvereinbarkeit auch bei vorzeitigem Verzicht auf
das Mandat bis zum Ablauf der Gesetzgebungs- oder Funktionsperiode fort.
(6) Zum Präsidenten oder Vizepräsidenten eines Verwaltungsgerichts
und des Verwaltungsgerichtshofs kann nicht bestellt werden, wer eine der in Abs
5 bezeichneten Funktionen in den letzten vier Jahren bekleidet hat.
(7) Alle Mitglieder der Verwaltungsgerichte und des
Verwaltungsgerichtshofs sind berufsmäßig angestellte Richter. Die Bestimmungen
des Artikels 87 Abs 1 und 2 und des Artikels 88 Abs 2 finden auf sie Anwendung.
Am 31. Dezember des Jahres, in dem sie das 65. Lebensjahr vollenden, treten die
Mitglieder der Verwaltungsgerichte und des Verwaltungsgerichtshofs kraft
Gesetzes in den dauernden Ruhestand.“
18. Art 135 lautet:
„Artikel 135. (1) Der Verwaltungsgerichtshof
erkennt in Senaten. Die Verwaltungsgerichte erkennen durch Einzelmitglieder,
soweit nicht das auf Grundlage des Art 136 Abs 1 oder Abs 2 ergangene Gesetz die Entscheidung in Senaten
vorsieht. Die Senate sind von der Vollversammlung aus den Mitgliedern des
Gerichts zu bilden.
(2) Die Geschäfte des Verwaltungsgerichtshofs sind durch die
Vollversammlung, jene der Verwaltungsgerichte nach Maßgabe gesetzlicher
Regelung auch durch ein anderes von deren Vollversammlung gewähltes Organ auf die
einzelnen Senate oder auf die einzelnen Mitglieder für die durch Gesetz
bestimmte Zeit im voraus zu verteilen.
(3) Eine nach dieser Einteilung einem Mitglied zufallende Sache darf
diesem nur durch das nach Abs 2 zuständige Organ und nur im Falle seiner
Verhinderung oder dann abgenommen werden, wenn es wegen des Umfangs seiner
Aufgaben an deren Erledigung innerhalb einer angemessenen Frist gehindert ist.“
19. Art 136 lautet:
„Artikel 136. (1) Die näheren
Bestimmungen über Einrichtung und Aufgabenkreis der Verwaltungsgerichte des
Bundes und des Verwaltungsgerichtshofs werden durch ein besonderes Bundesgesetz
geregelt.
(2) Die näheren Bestimmungen über Einrichtung und Aufgabenkreis der
Verwaltungsgerichte der Länder sowie das Dienstrecht ihrer Mitglieder werden
durch Landesgesetz geregelt.
[hinsichtlich Dienstrecht: eventuell Homogenitätsprinzip oder
einheitliches Dienstrecht ?]
(3) Das Verfahren der Verwaltungsgerichte und des
Verwaltungsgerichtshofs wird durch ein besonderes Bundesgesetz geregelt.
(4) Die Vollversammlungen der Verwaltungsgerichte und des
Verwaltungsgerichtshofs beschließen auf Grund der nach den vorstehenden
Absätzen erlassenen Gesetze Geschäftsordnungen, in denen Näheres über den
Geschäftsgang und das Verfahren geregelt wird.“
20. Die Überschrift vor Art 137 lautet: „B.
Verfassungsgerichtshof“.
21. Art 138 Abs 1 lit b lautet:
„b) zwischen den Verwaltungsgerichten oder zwischen dem
Verwaltungsgerichtshof einerseits und allen anderen Gerichten andererseits,
insbesondere auch zwischen diesen Gerichten und dem Verfassungsgerichtshof
selbst, sowie zwischen den ordentlichen Gerichten und anderen Gerichten;“
22. In Art 139 Abs 1 erster Satz entfallen die Worte „oder eines unabhängigen Verwaltungssenates“.
23. Art 140 Abs 1 erster Satz lautet:
„Der Verfassungsgerichtshof erkennt über die Verfassungswidrigkeit
eines Bundes- oder Landesgesetzes auf Antrag eines Gerichts, sofern aber der
Verfassungsgerichtshof ein solches Gesetz in einer anhängigen Rechtssache anzuwenden
hätte, von Amts wegen.“
[An dieser Stelle könnte – etwa in einem eigenen Art 140 Abs 1a B-VG
– die Bestimmung über den Subsidiarantrag „geparkt“ werden, bis man sich über
die endgültige legistische Einordnung im Klaren ist; vgl dazu näher den derzeit
im Besonderen Teil unter Punkt III) abgedruckten Erstentwurf von Präsident
Univ.-Prof. Dr. Jabloner und Univ.-Prof. DDr. Grabenwarter zum
„Subsidiarantrag“.]
24. Art 144 lautet:
„Artikel 144. (1) Der
Verfassungsgerichtshof erkennt über Beschwerden gegen Entscheidungen der
Verwaltungsgerichte, soweit der Beschwerdeführer durch die Entscheidung in
einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht oder wegen Anwendung einer
gesetzwidrigen Verordnung, einer gesetzwidrig wiederverlautbarten
Rechtsvorschrift, eines verfassungswidrigen Gesetzes oder eines rechtswidrigen
Staatsvertrags in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet.
(2) Der Verfassungsgerichtshof kann die Behandlung einer Beschwerde
bis zur Verhandlung durch Beschluss ablehnen, wenn sie keine hinreichende
Aussicht auf Erfolg hat oder von der Entscheidung die Klärung einer
verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist. Die Ablehnung der
Beschwerde ist unzulässig, wenn es sich um einen Fall handelt, der nach Art 133 Abs 2 von der
Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtshofs ausgeschlossen ist.
(3) Findet der Verfassungsgerichtshof, dass durch die Entscheidung
eines Verwaltungsgerichts ein Recht im Sinne des Abs 1 nicht verletzt wurde, so
hat der Beschwerdeführer das Recht, innerhalb der hiefür gesetzlich bestimmten
Frist beim Verwaltungsgerichtshof Revision oder im Fall der Nichtzulassung der
Revision Nichtzulassungsbeschwerde zu erheben. Dies gilt sinngemäß bei
Beschlüssen nach Abs 2.“
25. Art 151 wird folgender Abs 28 angefügt:
[ein von der Ausschussbetreuung erarbeiteter „Rohentwurf“
ist hier noch nicht eingearbeitet]
Erläuterungen:
Zu Z 1 (Art 10 Abs 1 Z 6) und Z 2 (Art 11 Abs 1 Z 8)
Die Angelegenheiten der Verwaltungsgerichte der Länder
sind im Hinblick auf Art 134 Abs 5 und Art 135 Abs 3 B-VG vom
Kompetenztatbestand „Verwaltungsgerichtsbarkeit“ auszunehmen. Die Organisation
der Verwaltungsgerichte der Länder ist in Gesetzgebung und Vollziehung
Landessache. Sie umfasst neben der Regelung der Einrichtung auch die Festlegung
des Aufgabenkreises der Verwaltungsgerichte der Länder im Rahmen der
Bundesverfassung (vgl Art 136 Abs 3 B-VG). Dass das Dienstrecht der Richter der
Verwaltungsgerichte der Länder in Gesetzgebung und Vollziehung Landessache ist,
ergibt sich aus Art 21 B-VG. Das Verfahrensrecht wird vom Bundesgesetzgeber
geregelt, die Vollziehung (durch Verwaltungsgerichte der Länder als
Landesorgane) fällt in den Vollzugsbereich der Länder. Die Organisation der
Verwaltungsgerichte des Bundes sowie das Dienstrecht seiner Richter ist in
Gesetzgebung und Vollziehung Bundessache. Für den Verwaltungsgerichtshof tritt
keine Änderung ein.
Die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte und des
Verwaltungsgerichtshofs sind grundsätzlich im Sechsten Hauptstück abschließend
geregelt. Die allgemeine Kompetenzverteilung im Bereich der
Verwaltungsgerichtsbarkeit wird in zwei Fällen durchbrochen. Nach Art 130 Abs 1
Z 4 B-VG kann den Verwaltungsgerichten eine Zuständigkeit zur Entscheidung über
Beschwerden in „sonstigen Angelegenheiten“ durch den Materiengesetzgeber
zugewiesen werden. Gemäß Art 131 Abs 3 B-VG kann das Verwaltungsgericht des
Landes durch Landesverfassungsgesetz mit Zustimmung der Bundesregierung in
bestimmten Angelegenheiten aus der Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts des
Bundes erster Instanz zuständig gemacht werden.
Zu Z 3 (Art 81a Abs 4)
Wie bereits im Allgemeinen Teil (unter Punkt IV) 1) k))
näher ausgeführt, ist von dem in Art 81a Abs 4 letzter Satz B-VG verankerten
Recht der Schulbehörde, gegen eine an sie gerichtete Weisung Beschwerde beim
VwGH zu erheben, in den letzten Jahrzehnten – soweit überblickbar – nie Gebrauch gemacht worden. Der dem
entsprechend erstattete Vorschlag, diese Bestimmung ersatzlos aufzuheben, fand
in der Arbeitsgruppe einhellige Zustimmung.
Zu Z 4 (Art 82 Abs 1)
Die Neufassung dieser Bestimmung trägt der Einführung
von Verwaltungsgerichten der Länder Rechnung.
Zu Z 5 (Art 89)
Auch den ordentlichen Gerichten erster Instanz (siehe
Allgemeiner Teil, Punkt III) 1) vorletzter Absatz) und den Verwaltungsgerichten
soll die Befugnis eingeräumt werden, rechtswidrige generelle Rechtsvorschriften
beim Verfassungsgerichtshof anzufechten. Der Begriff des „Gerichts“ umfasst
alle ordentlichen Gerichte sowie die Verwaltungsgerichte und den
Verwaltungsgerichtshof. Diese Befugnis soll auch die Anfechtung von
Wiederverlautbarungen erfassen. Aus dem geltenden Art 135 Abs 4 B-VG musste
bisher der Schluss gezogen werden, dass Art 89 B-VG seit dem Inkrafttreten der
B-VG-Novelle 1975 auf den Verwaltungsgerichtshof nur im Wege der Verweisung
Anwendung findet. Dies entspricht nicht dem historischen Verständnis der
Bundesverfassung, welches davon ausging, dass Art 89 des
Bundes-Verfassungsgesetzes 1920 für alle Gerichte mit Ausnahme des Verfassungsgerichtshofs
gilt (vgl Kelsen/Froehlich/Merkl, Bundesverfassung 1920 [1922], 181 ff).
Anstatt eine weitere Verweisungsbestimmung für die Verwaltungsgerichte zu
schaffen, soll Art 89 B-VG zur Gänze neu gefasst werden; dieser gilt künftig
auch für die Verwaltungsgerichte und den Verwaltungsgerichtshof.
Zu Z 6 (Art 118 Abs 4), Z 7 (Art 119a Abs 5), Z 8
(Art 119a Abs 9) und Z 9 (Art 119a)
Der Entfall des Ausdrucks „außerhalb der Gemeinde“ in
Art 118 Abs 4 B-VG (Z 6) bringt zum Ausdruck, dass hinkünftig auch im eigenen
Wirkungsbereich der Gemeinde kein verwaltungsbehördlicher Instanzenzug mehr
gegeben ist, sondern jeder Bescheid einer Gemeindebehörde direkt beim
Verwaltungsgericht bzw in Ausnahmefällen beim Verwaltungsgerichtshof
angefochten werden kann. Die Stellung des Gemeinderats als oberstes Organ im
eigenen Wirkungsbereich wird dadurch nicht berührt.
Der Entfall der Vorstellung (Z 7) ist im Zusammenhang
mit der Neuregelung der Verwaltungsgerichtsbarkeit zu sehen. An die Stelle der
Vorstellung tritt die Anfechtung des Bescheids eines Gemeindeorgans beim
zuständigen Verwaltungsgericht.
In der Z 8 wird eine Anpassung an geänderte
Zuständigkeiten in der Verwaltungsgerichtsbarkeit vorgenommen.
Z 9 enthält die durch den Entfall der Vorstellung
bedingten Änderungen der Absatzbezeichnungen.
Zu Z 10 und Z 11 (Überschrift vor Art 129, Art 129)
Art 129 B-VG zählt in Anlehnung an die bisherige
Regelung jene Gerichte auf, die zur Verwaltungsgerichtsbarkeit gehören. Neben
den Verwaltungsgerichten der Länder kann ein Verwaltungsgericht oder können
mehrere Verwaltungsgerichte des Bundes eingerichtet werden. Dem
Bundesgesetzgeber steht es also ausdrücklich frei, alle verfassungsgesetzlich
zu bestimmenden Angelegenheiten des Art 10 Abs 1 B-VG gemäß Art 129 Abs 3 einem
einzigen Verwaltungsgericht des Bundes erster Instanz zu übertragen. Der Sitz
des Gerichts wird nur für den Verwaltungsgerichtshof im Einklang mit Art 5 B-VG
verfassungsrechtlich festgelegt. Das bedeutet für die Verwaltungsgerichte des
Bundes, dass sowohl eine dezentrale Sitzfestlegung als auch ein
Verwaltungsgericht in Wien mit Außenstellen in den Ländern möglich ist. Durch
den Begriff „Verwaltungsgerichte“ hat der Bund den erforderlichen Spielraum,
besondere Verwaltungsgerichte etwa in Abgabensachen oder für Fälle, in denen
bisher weisungsfreie Bundesbehörden tätig waren, einzurichten.
Abs 2 trägt dem Anliegen
der Länder Rechnung, auf Sondersituationen, wie sie etwa historisch verfestigt
in Wien bestehen, durch die Einrichtung besonderer Verwaltungsgerichte zu
reagieren. Der Landesgesetzgeber wird ermächtigt, für bestimmte Angelegenheiten
ein oder mehrere besondere Verwaltungsgerichte neben dem Verwaltungsgericht des
Landes mit allgemeiner Zuständigkeit einzurichten. Es steht dem
Landesgesetzgeber aber frei, diese Angelegenheiten in die Zuständigkeit des
allgemein zuständigen Verwaltungsgerichts des Landes zu verweisen.
In terminologischer Hinsicht ist zur Überschrift zum
Abschnitt A. und zu Art 129 B-VG zu bemerken, dass der Begriff des
„Verwaltungsgerichts“ nur die Verwaltungsgerichte erster Instanz umfasst,
wiewohl auch der Verwaltungsgerichtshof ein Verwaltungsgericht im funktionellen
Sinn ist.
Zu Z 12 (Aufhebung der Überschriften vor Art 129a,
vor Art 129c und vor Art 130 sowie der Art 129a bis Art 129c)
Mit der Einrichtung der Verwaltungsgerichte werden die
Unabhängigen Verwaltungssenate abgeschafft. Eigene Übergangsbestimmungen sollen
ein klagloses Übergehen der Zuständigkeit auf die Verwaltungsgerichte
sicherstellen (siehe Z 25 zum neuen Abs 28 des Art 151 B-VG).
Zu Z 13 (Art 130)
Abs 1 enthält eine
taxative Aufzählung jener Beschwerden, über die zu entscheiden nunmehr die
Verwaltungsgerichte zuständig sind; insoweit treten die Verwaltungsgerichte an
die Stelle der bisherigen Berufungsbehörden, insbesondere der Unabhängigen
Verwaltungssenate. Im Gegensatz zur bisherigen Rechtslage beschränkt sich die
Aufzählung auf die Beschwerdetatbestände, während die verfassungsrechtlichen
Voraussetzungen für die Beschwerdeerhebung gesondert für jede Beschwerdeart in
Art 132 B-VG geregelt sind. Gegenüber der bisherigen Zuständigkeit der
Unabhängigen Verwaltungssenate enthält vor allem die Z 1 eine wesentliche
Erweiterung, weil nunmehr gegen alle Bescheide der Verwaltungsbehörden nach
Maßgabe des Art 130 Abs 4 und 132 Abs 1 B-VG Beschwerde erhoben werden kann.
Der Tatbestand des Abs 1 Z 4 ist dennoch erforderlich, um in
verfassungskonformer Weise Rechtsmittel an die Unabhängigen Verwaltungssenate,
die sich weder gegen Bescheide noch gegen die Ausübung unmittelbarer Befehls-
und Zwangsgewalt richten, als Beschwerden an die Verwaltungsgerichte
beibehalten zu können (vgl etwa § 88 Abs 2 SPG; Zuständigkeiten im Vergaberecht
der Länder ‑ vgl VfGH 26.6.1997, G 270/96 ua).
Abs 2 entspricht der
Regelung des geltenden Art 130 Abs 2 B-VG. Sie bezieht sich zwar nach dem
systematischen Zusammenhang nur auf die Verwaltungsgerichte im engeren Sinn. In
Verfahren wegen Verwaltungsübertretungen gilt die Beschränkung des Art 130 Abs
2 B-VG im Hinblick auf die unbeschränkte reformatorische Entscheidungsbefugnis
der Verwaltungsgerichte (Abs 3) nicht. Diese sind daher selbst zur
Ermessensausübung insbesondere bei der Festsetzung der Strafhöhe befugt.
Abs 3 regelt Grundzüge
der Entscheidungsbefugnis der Verwaltungsgerichte in Verfahren über
Bescheidbeschwerden. Die Neuregelung sieht – schon aus praktischen Erwägungen
und um überflüssige Verfahrensverzögerungen zu vermeiden – grundsätzlich eine
reformatorische Entscheidungsbefugnis der Verwaltungsgerichte vor, wobei diese
jedoch – nach Vorbild des geltenden § 66 Abs 2 AVG – auch die Möglichkeit zur
kassatorischen Entscheidung haben sollten. Einzelheiten der
Entscheidungsbefugnis der Verwaltungsgerichte, wie die Kontrollbefugnis in
Rechts- und Tatsachenfragen, Fragen der Beweiswürdigung oder die
Bindungswirkung der Entscheidungen, sind im Verfahrensgesetz für die
Verwaltungsgerichte zu regeln (Z 19). Angesichts der Anforderungen des Art 6
EMRK wird eine volle Kognitionsbefugnis der Verwaltungsgerichte in Rechts- und
in Sachverhaltsfragen vorzusehen sein. Für die Verfahren über
Maßnahmebeschwerden und Säumnisbeschwerden erscheint eine verfassungsrechtliche
Regelung der Entscheidungsbefugnis entbehrlich, da sie durch den
Verfahrensgegenstand weitgehend vorgegeben ist. Für Verfahren wegen
Verwaltungsübertretungen gilt analog zur bisherigen Rechtslage für die
Unabhängigen Verwaltungssenate abweichend, dass jedenfalls eine reformatorische
Entscheidungsbefugnis besteht. Die Regelung der Entscheidungsbefugnis in
Verfahren nach Abs 1 Z 4 obliegt dem einfachen Gesetzgeber, da sie auch in
diesen Fällen vom Gegenstand des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens abhängt.
Zu Z 14 (Art 131)
In Art 131 B-VG werden die Zuständigkeiten der
Verwaltungsgerichte nach Materien umschrieben. Die Zuständigkeitsverteilung
erfolgt unter folgenden Gesichtspunkten:
Gemäß Abs 1 ist das Verwaltungsgericht des Landes
grundsätzlich allgemein zuständiges Verwaltungsgericht erster Instanz. Es ist
jedenfalls im Umfang der bisherigen Kompetenzen der Unabhängigen
Verwaltungssenate in allen Verfahren betreffend Verwaltungsübertretungen sowie
zur Entscheidung über alle Beschwerden gegen Akte unmittelbarer Befehls- und
Zwangsgewalt zuständig. Im Übrigen sind die Verwaltungsgerichte der Länder
zuständig, soweit Angelegenheiten nicht bundesverfassungsgesetzlich den
Verwaltungsgerichten des Bundes erster Instanz zugewiesen sind.
Mit der Einführung eigener Verwaltungsgerichte des
Bundes erster Instanz in Abs 2 wird ein Vorschlag auf der Basis des so
genannten „9 + 1-Modells“ erstattet, wie es bereits dem Grunde nach im
Initiativantrag Nr. 306/A, XIX. GP NR, vorgesehen war und durch die
B-VG-Novelle BGBl I 1997/87 auf der Ebene der Unabhängigen Verwaltungssenate verwirklicht
wurde. Abs 2 weist diesem Verwaltungsgericht – vorerst – im Wesentlichen die
Angelegenheiten der Sicherheitsverwaltung sowie die Angelegenheiten des Presse-
und des Patentwesens zu. Mit dieser Kompetenzzuweisung wird der mit der
Einführung des Unabhängigen Bundesasylsenats im Jahr 1997 eingeschlagene Weg
fortgesetzt. [Die genaue Kompetenzumschreibung hängt vom Ergebnis der
Beratungen des Ausschusses 5 ab.]
Gleich den Unabhängigen Verwaltungssenaten sollen auch
der Unabhängige Finanzsenat und dessen Verfahren demselben rechtsstaatlichen
Standard angepasst werden. Sie sollen jedoch nicht in die allgemeine
Verwaltungsgerichtsbarkeit eingegliedert werden (müssen), sondern durch ein
besonderes Verwaltungsgericht (mit Außenstellen, entsprechend der Organisation
des UFS) oder mehrere solcher Verwaltungsgerichte selbständig organisiert
werden (können). Die Formulierung „Verwaltungsgerichte“ belässt dem einfachen
Bundesgesetzgeber den erforderlichen Spielraum. Allenfalls wird man in den
Übergangsbestimmungen darauf Bedacht zu nehmen haben, dass die Reform der
Abgabenbehörden des Bundes erst kürzere Zeit zurückliegt und daher ein längerer
Übergangszeitraum angemessen ist.
Die Z 3 und Z 4 des Abs 2 begründen eine Zuständigkeit
des Verwaltungsgerichts des Bundes erster Instanz in Angelegenheiten, in denen
die Begründung der örtlichen Zuständigkeit eines Verwaltungsgerichts eines
Landes auf Schwierigkeiten stößt. Um zu verhindern, dass im Fall der Z 2 ein
bestimmtes Verwaltungsgericht eines Landes (zB das Gericht jenes Landes, in dem
die belangte Behörde ihren Sitz hat) zur Entscheidung über alle Akte berufen
sein könnte, „die für das gesamte Bundesgebiet oder für mehrere Länder wirksam
werden“, soll insoweit das Verwaltungsgericht des Bundes erster Instanz zuständig
sein. Die zur Abgrenzung gewählte Formulierung ist einer entsprechenden Wendung
im Art 15 Abs 7
B-VG nachgebildet. Von ähnlichen Überlegungen mit Bezug auf einzelne Länder ist
die Z 3 getragen.
Die Abgrenzung der Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte
im Bereich des Finanzstrafrechts folgt anderen Linien als die Abgrenzung der
entsprechenden Zuständigkeiten der Unabhängigen Verwaltungssenate. Die
„Finanzstrafsachen des Bundes“ umfassen – anders als der entsprechende Begriff
im bisherigen Art 129a Abs 1 Z 1 und Z 2 B-VG – nur die Vollziehung
finanzstrafrechtlicher Vorschriften des Bundes, nicht aber die Vollziehung
landesgesetzlichen Finanzstrafrechts durch Finanzstrafbehörden des Bundes als
Mitwirkung nach Art 97 Abs 2 B-VG.
Zu Z 15 (Art 132)
Art 132 B-VG enthält bestimmte grundlegende
Voraussetzungen der Beschwerdelegitimation.
Abs 1 regelt die
Beschwerdelegitimation für Bescheidbeschwerden. Die Regelung entspricht im
Wesentlichen dem Inhalt des geltenden Art 131 Abs 1 und 2 B-VG. [Hinsichtlich
der Z 2 wird auf die Ergebnisse der Ausschüsse 5 und 6 Bedacht zu nehmen sein.]
Abweichend von der bisher herrschenden Rechtslage wird ein Beschwerderecht
einer betroffenen Landesregierung auch für den Fall des Art 15 Abs 7 B-VG
verfassungsrechtlich verankert.
Die Regelung des Abs 2 über die
Beschwerdelegitimation bei Maßnahmebeschwerden entspricht dem geltenden Art
129a Abs 1 Z 2 B-VG.
Abs 3 normiert die
Legitimation zur Erhebung einer Säumnisbeschwerde. Gegenüber dem geltenden Art
132 B-VG wurde die Regelung vereinfacht. Sein erster Satz entspricht dem bisher
geltenden Recht. Der Wortlaut des zweiten Satzes des geltenden Art 132 B-VG hat
in der Rechtsprechung zu erheblichen Unklarheiten und Divergenzen geführt (zum
Begriff „Finanzstrafsachen“ vgl VwGH 22.3.1996, Zl 95/17/0450, einerseits und
VwGH 27.3.1996, Zl 96/13/0005, andererseits; zum Umfang des Säumnisschutzes in
„Verwaltungsstrafsachen“ vgl VwSlgNF 11682 A/1985 und VfSlg 13987/1994). Mit
der vorgeschlagenen Bestimmung wird davon abgesehen, die Berechtigung zur
Erhebung der Säumnisbeschwerde im B-VG abschließend zu regeln.
Zu Z 16 (Art 133)
Nach Abs 1 soll der Verwaltungsgerichtshof – der
vorgeschlagenen Neukonzeption der Verwaltungsgerichtsbarkeit entsprechend –
zwar grundsätzlich als zweite gerichtliche Instanz in allen Angelegenheiten
zuständig sein, die von den Verwaltungsgerichten entschieden werden. Er soll
allerdings nur mehr als Revisionsgericht nach Zulassung der Revision durch das
Verwaltungsgericht tätig werden.
Kennzeichen eines Revisionsgerichts ist im allgemeinen
die beschränkte Kognitionsbefugnis und eine Beschränkung der Zulässigkeit der
Revision. Dabei sollte letztlich immer der VwGH selbst über die Zulässigkeit
der Revision entscheiden können: Wenn also die Revision vom Verwaltungsgericht
erster Instanz nicht zugelassen wurde und dagegen Beschwerde geführt wird, hat
der VwGH nach dem neu eingefügten Abs 5 über diese Beschwerde zu entscheiden
(er kann ihr stattgeben oder nicht). Wenn das Verwaltungsgericht erster Instanz
hingegen die Revision zugelassen hat, so wird der VwGH – ebenfalls im neu
eingefügten Abs 5 – ermächtigt, die Behandlung der Revision gemäß Abs 1
abzulehnen, wenn keine der Voraussetzungen des Abs 4 Z 1 oder 2 gegeben ist.
Diese Konstruktion entspricht der bewährten Regelung der ZPO, die in § 508a Abs
1 ausdrücklich vorsieht, dass bei der Prüfung der Zulässigkeit der Revision das
Revisionsgericht (OGH) an den Ausspruch des Berufungsgerichts nach § 500 Abs 2
Z 3 ZPO (ob die ordentliche Revision nach § 502 Abs 1 ZPO zulässig ist oder
nicht) nicht gebunden ist.
Die näheren Regelungen über die Kognitionsbefugnis des
Verwaltungsgerichtshofs sind in dem nach Art 136 B-VG zu erlassenden
Verfahrensgesetz zu regeln. Die Zulässigkeit der Revision wird durch die Abs
3 und 4 an die Zulassung durch das Verwaltungsgericht sowie an die im Abs 4
genannten Zulassungsgründe geknüpft. Für den Fall der Nichtzulassung ist ein
Rechtsmittel (Nichtzulassungsbeschwerde) an den Verwaltungsgerichtshof
vorgesehen. Im Hinblick auf das im Verwaltungsstrafverfahren geltende Verbot
der „reformatio in peius“ erscheint die Einräumung einer Revisionsberechtigung
an die belangte Behörde nicht sinnvoll. Zur Wahrung des objektiven Rechts
unabhängig von der Strafhöhe besteht ohnedies auch im Verwaltungsstrafrecht
eine Revisionsbefugnis der Landesregierung bzw des Bundesministers.
Die Zulassungsgründe entsprechen im Wesentlichen den
Gründen für die Ablehnung einer Beschwerde durch den Verwaltungsgerichtshof
nach dem geltenden Art 131 Abs 3 B-VG. Zu dieser Bestimmung wurde in der
Literatur überwiegend die Meinung vertreten, dass sie mit den Anforderungen des
Art 2 des 7. ZP zur EMRK in Konflikt stehe, weil dieser mit der Wendung
„strafbare Handlungen geringfügiger Art“ auf die abstrakte Schwere des Delikts
und daher auf die gesetzliche Strafdrohung abstelle (vgl zB Mayer, Die
unabhängigen Verwaltungssenate in den Ländern, in: Walter [Hrsg], Verfassungsänderungen
1988 [1989], 98 [102]). Um dieses Spannungsverhältnis zu entschärfen, stellt
Abs 4 Z 2 nunmehr nicht auf die tatsächlich verhängte Geldstrafe, sondern auf
die Strafdrohung ab.
Zu Abs 4 Z 1 wird bemerkt, dass bei der Frage, ob
die zu lösende Rechtsfrage in der bisherigen Rechtsprechung des
Verwaltungsgerichtshofs nicht einheitlich beantwortet wird, zu berücksichtigen
ist, ob die Uneinheitlichkeit tatsächlich auf denselben Rechtsvorschriften oder
bloß auf ähnlichen Vorschriften verschiedener Länder beruht.
Zu Z 17 (Art 134)
Die Regelung orientiert sich weitgehend am geltenden Art
134 B-VG.
In Abs 1 wird statt der Bezeichnung „Räte“ die
zeitgemäßere Bezeichnung „Richter“ für die sonstigen Mitglieder des
Verwaltungsgerichtshofs und der Verwaltungsgerichte gewählt.
Gemäß den Abs 2 bis 4 erfolgt die Ernennung der
Richter der Verwaltungsgerichte der Länder durch die Landesregierung, jene der
Richter des Verwaltungsgerichtshofs und des Verwaltungsgerichts des Bundes
erster Instanz durch den Bundespräsidenten auf Vorschlag der Bundesregierung.
Das Bestellungsverfahren für die Mitglieder der Verwaltungsgerichte entspricht
im Übrigen im Wesentlichen jenem für die Mitglieder des
Verwaltungsgerichtshofs. Hinsichtlich der erforderlichen Berufserfahrung wird
für die Mitglieder sämtlicher Verwaltungsgerichte zur Vermeidung von
Schwierigkeiten der Rekrutierung von Richtern eine fünfjährige Berufserfahrung
für ausreichend erachtet. Die Beteiligung von Berufsrichtern aus der
ordentlichen Gerichtsbarkeit ist – aufgrund der langjährigen positiven
Erfahrungen beim VwGH – erwünscht und wird als Soll-Bestimmung – ohne nähere
zahlenmäßige oder prozentuelle Konkretisierung (arg.: „womöglich“) – in
die neue Verfassung aufgenommen, wobei als Vorbild Art 129b Abs 1 letzter Satz
B-VG dient.
Die in den Abs 5 bis 7 enthaltenen
Unvereinbarkeitsbestimmungen und die Regelungen über die Rechtsstellung der
Mitglieder der Verwaltungsgerichte und des Verwaltungsgerichtshofs entsprechen
der geltenden Rechtslage für den Verwaltungsgerichtshof. Die Mitglieder der
Verwaltungsgerichte der Länder sind jedoch als „Bedienstete der Länder“ (Art 21
Abs 1 B-VG) Landesrichter.
Zu Z 18 (Art 135)
Die Abs 1 und 2 entsprechen von zwei Ausnahmen
abgesehen dem geltenden Art 135 B-VG: Einerseits ist vorgesehen, dass die
Verwaltungsgerichte grundsätzlich durch Einzelrichter entscheiden. Der
Gesetzgeber, der zur Regelung der Einrichtung und des Aufgabenkreises des
betreffenden Verwaltungsgerichts zuständig ist, soll jedoch abweichend davon
für bestimmte Angelegenheiten die Entscheidung in Senaten vorsehen können.
Andererseits soll anknüpfend an die bisherige Rechtslage für einzelne
Unabhängige Verwaltungssenate statt der Vollversammlung des Verwaltungsgerichts
ein von ihr gewähltes Organ zur Geschäftsverteilung berufen werden können.
Schon bisher war in Art 135 Abs 3 B-VG normiert, dass
der Verwaltungsgerichtshof grundsätzlich in Senaten zu erkennen hat. Abweichend
davon war jedoch in § 7 Abs 2 VwGG als Disziplinargericht die Vollversammlung
des Gerichtshofs vorgesehen. Da einerseits an der Verfassungskonformität dieser
Regelung Zweifel angemeldet wurden (vgl etwa Pichler, Personalsenat
statt Vollversammlung?, Festschrift für Robert Walter [1991], 549 ff [555]) und
andererseits die Vollversammlung als zu großer Spruchkörper erscheint, sollte
ein eigener Disziplinarsenat beim Verwaltungsgerichtshof einfachgesetzlich
vorgesehen werden.
Abs 3 wurde dem Art 87
Abs 3 B-VG angepasst und ermöglicht nunmehr die Abnahme von Sachen im Fall der
unvorhergesehenen Überlastung eines Mitglieds.
Eine dem derzeit geltenden Art 135 Abs 4 B-VG
korrespondierende Bestimmung konnte – aufgrund der nunmehr ausdrücklichen
Regelung in Art 89 Abs 2 B-VG – entfallen.
Zu Z 19 (Art 136)
Art 136 B-VG weist dem Bund und den Ländern die Zuständigkeiten
zur Regelung der näheren Bestimmungen über die Verwaltungsgerichte zu.
Grundgedanke der Regelung ist, dass für alle Verwaltungsgerichte und für den
Verwaltungsgerichtshof ein einheitliches Verfahrensgesetz des Bundes erlassen
wird. In diesem Bundesgesetz sollen wesentliche Fragen, wie das Stattfinden und
die Fälle des Unterbleibens einer mündlichen Verhandlung, die Frage des
Neuerungsverbots, die Frage der Beschränkung der Verwaltungsgerichte auf
Beschwerdepunkte etc, geregelt werden.
Neben diesem Verfahrensgesetz werden Bund und Länder
eigene Gesetze über die Einrichtung und den Aufgabenkreis ihrer
Verwaltungsgerichte zu erlassen haben. Wie bisher sollen diese gesetzlichen
Regelungen durch Geschäftsordnungen der Verwaltungsgerichte und des Verwaltungsgerichtshofs
ergänzt werden. Für die Mitglieder der Verwaltungsgerichte der Länder werden
die Länder schließlich eigene dienstrechtliche Regelungen zu erlassen haben
(wobei freilich auch auf die Möglichkeit einer Regelung im Sinne eines
„dienstrechtlichen Homogenitätsprinzips“ oder überhaupt eines einheitliches
Dienstrechts hingewiesen wird).
Zu
Z 20 (Überschrift vor Art 137)
Dadurch,
dass einerseits eine neue Überschrift vor Art 129 B-VG eingefügt wird (vgl Z
10) und andererseits die bisherigen Überschriften A. bis C. vor Art 129a, vor
Art 129c und vor Art 130 B-VG aufgehoben werden (vgl Z 12), lautet die
Überschrift vor Art 137 B-VG nicht mehr – wie bisher – „D.
Verfassungsgerichtshof“, sondern „B. Verfassungsgerichtshof“.
Zu Z 21 (Art 138 Abs 1 lit b) und Z 22 (Art 139 Abs 1
erster Satz)
Diese Neuerungen betreffen
Anpassungen, die durch den Übergang von den Unabhängigen Verwaltungssenaten zu
den Verwaltungsgerichten erforderlich werden. Nach dem neu konzipierten Art 138
Abs 1 lit b) B-VG soll für Zuständigkeitskonflikte innerhalb der
Verwaltungsgerichtsbarkeit im weitesten Sinne (also einerseits zwischen
Verwaltungsgerichten untereinander und andererseits zwischen den
Verwaltungsgerichten und dem Verwaltungsgerichtshof) in Zukunft der Verwaltungsgerichtshof
entscheidungsbefugt sein.
Zu Z 23 (Art 140 Abs 1 erster Satz)
Diese Neuerung betrifft Anpassungen, die durch den
Übergang von den Unabhängigen Verwaltungssenaten zu den Verwaltungsgerichten
erforderlich werden.
[An dieser Stelle wird noch einmal auf den unter Punkt
III) abgedruckten Erstentwurf von Präsident Univ.-Prof. Dr. Jabloner und
Univ.-Prof. DDr. Grabenwarter zum „Subsidiarantrag“ hingewiesen.]
Zu Z 24 (Art 144)
Die Neuordnung der Verwaltungsgerichtsbarkeit und
insbesondere die Einführung einer zweiten Instanz berühren notwendigerweise
auch das Verhältnis der Verwaltungsgerichtsbarkeit zur
Verfassungsgerichtsbarkeit. Nach dem vorliegenden Entwurf soll – mangels
Konsenses über die Konzentration der Verwaltungsgerichtsbarkeit beim VwGH – das
bestehende System und mit ihm die Sonderverwaltungsgerichtsbarkeit weitgehend
unangetastet bleiben.
Das bestehende System der
Sonderverwaltungsgerichtsbarkeit des Verfassungsgerichtshofs wirft das Problem
auf, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs vielfach
noch kein Gericht entschieden hat, welches zur Vorlage im Rahmen eines
Vorabentscheidungsverfahrens nach Art 177 EGV berechtigt und verpflichtet wäre,
und auch der Verfassungsgerichtshof selbst gegebenenfalls keine
Entscheidungssituation vorfindet, die ihn zu einer Vorlage an den Gerichtshof
der Europäischen Gemeinschaften berechtigen und verpflichten würde (vgl VfGH
26.6.1997, B 877/96). Nach dem vorliegenden Entwurf entscheidet vor einer allfälligen
Anrufung des Verfassungsgerichtshofs immer ein Verwaltungsgericht.
Zu Z 25 (Art 151 Abs 28)
[aus Zeitgründen noch nicht eingearbeitet]
Zu Punkt VI) 1): Zur Erweiterung des
Rechtsschutzes durch Beiräte und Rechtsschutzbeauftragte
Variante A.
Ursprünglicher Textvorschlag für die verfassungsrechtliche
Verankerung
von Rechtsschutzbeauftragten im 7. Hauptstück des B-VG
Art XY lautet:
„Artikel XY. Rechtsschutzbeauftragte, wie etwa jene nach der
Strafprozessordnung, nach dem Sicherheitspolizeigesetz und nach dem
Militärbefugnisgesetz, sind in Ausübung ihres Amtes unabhängig und an keine
Weisungen gebunden. Sie unterliegen jedoch der Amtsverschwiegenheit.“
Erläuterungen:
Wie bereits im Allgemeinen Teil des Berichts dargelegt,
war man sich im Ausschuss der verfassungsrechtlichen Problematik bewusst, die
darin besteht, dass die Unabhängigkeit und Weisungsfreiheit der
Rechtsschutzbeauftragten nur einfachgesetzlich (in den §§ 149n Abs 4
Strafprozessordnung [StPO], 62a Abs 4 Sicherheitspolizeigesetz [SPG] und 57 Abs
3 Militärbefugnisgesetz [MBG]) garantiert sind, sodass das „Damoklesschwert“
der verfassungsgerichtlichen Kontrolle (und uU Aufhebung) ständig über ihnen
schwebt.
Schon
aus dem jüngst ergangenen Erkenntnis des VfGH vom 23.1.2004, G 363/02-13, ergibt
sich die Notwendigkeit, dass allein aus Gründen der Klarheit und
Rechtssicherheit die jetzt lediglich im einfachen Gesetzesrang stehenden, mehr
oder weniger gleich lautenden Bestimmungen über die verschiedenen
Rechtsschutzbeauftragten („Der Rechtsschutzbeauftragte ist in Ausübung
seines Amtes unabhängig und an keine Weisungen gebunden. Er unterliegt der
Amtsverschwiegenheit.“) auf verfassungsrechtliche Ebene zu heben sind. In
dem zitierten Erkenntnis hat der VfGH nämlich die Tätigkeit des
Rechtsschutzbeauftragten nach dem MBG als „hoheitlich“ sowohl im
materiellrechtlichen als auch im organisatorischen Sinn qualifiziert und
einzelne Bestimmungen des MBG, darunter auch § 57 Abs 3 erster Satz MBG über
den Rechtsschutzbeauftragten – mangels verfassungsrechtlicher Verankerung der
Weisungsfreistellung bzw der Durchbrechung des in Art 20 Abs 1 B-VG
angeordneten Weisungszusammenhangs – als verfassungswidrig aufgehoben.
Die anstehende Reform der Verfassung erscheint als
ideale Gelegenheit und auch als richtiger Zeitpunkt für eine
verfassungsrechtliche Absicherung der Rechtsschutzbeauftragten in Form einer
unmittelbaren Anordnung im 7. Hauptstück des B-VG.
Variante B.
Textvorschlag Grabenwarter
Art XY lautet:
„Artikel XY. Durch Gesetz können Rechtsschutzbeauftragte
eingerichtet und mit besonderen Aufgaben des Grundrechtsschutzes betraut
werden. Sie unterliegen der Amtsverschwiegenheit, sind in Ausübung ihres Amtes
unabhängig und an keine Weisungen gebunden.“
Erläuterungen:
Die
unmittelbare Anordnung im ursprünglichen Entwurf sollte durch eine generelle
Ermächtigung des Gesetzgebers ersetzt werden. Der Verweis auf einzelne
einfachgesetzliche Grundlagen sollte nicht im Gesetz, sondern allenfalls in den
Erläuterungen stehen.
Vorsitzender des Ausschusses 9: Univ.-Prof. Dr. Herbert Haller e.h. 26. März 2004
[1] Vgl
dazu im Einzelnen Vereinigung der Österreichischen Richter und Bundessektion
Richter und Staatsanwälte in der GÖD, Positionspapier der richterlichen
Standesvertretung zur Stärkung der Unabhängigkeit der Gerichtsbarkeit durch
Einrichtung eines Rats der Gerichtsbarkeit, Dezember 2003.
[2] Vgl
dazu im Einzelnen Bundesministerium für Justiz, Positionspapier zum
Österreich-Konvent – Konzept einer neuen Gerichtsorganisation, November 2003.
[3] Peter G. Mayr, Gedanken zur Reform der österreichischen Gerichtsorganisation, in:
Simotta (Hrsg), Der Zivilprozess zu Beginn des 21. Jahrhunderts –
Vergangenheit, Gegenwart und Perspektiven, Festschrift für Wolfgang Jelinek
(2002), 173 ff.
[4] Vgl
dazu näher Vereinigung Österreichischer Staatsanwälte, Positionspapier zur
staatsrechtlichen Stellung der Staatsanwaltschaft in Österreich, Dezember 2003.
[5] Dieser
Textvorschlag lautet: „Die öffentliche Strafverfolgung und Anklage wird von
den [bei den staatsanwaltschaftlichen Behörden ernannten und ständig tätigen]
Staatsanwälten wahrgenommen. Sie sind Teil der Gerichtsbarkeit und in
Vollziehung dieser Aufgaben von der Verwaltung unabhängig.“
[6] Vgl den Textvorschlag im Besonderen Teil unter Punkt II) 3).
[7] Vgl dazu statt vieler zuletzt Steininger, Interview, „Die
Presse“ 15.9.2003, 20.
[8] Vgl dazu näher Miklau,
Die Staatsanwälte vor den Toren der Strafprozessreform, in: Pilgermair (Hrsg),
Festschrift für Herbert Steininger zum 70. Geburtstag, 2003, 321 ff [334 ff].
[9] Ein solches Instrument wird es auch nach Verabschiedung des
Strafprozessreformgesetzes in Gestalt des so genannten „Fortführungsantrags“
(vor Erhebung der Anklage) und der Subsidiaranklage (nach Erhebung der Anklage)
weiterhin geben.
[10] StGBl 1920/451 idF
BGBl 1925/368 [Wv] idF BGBl I 1999/194.
[11] Vgl die Aufhebungsanordnung im Besonderen Teil unter Punkt II) 4).
[12] Vgl dazu näher Ratz,
Grundrechtsschutz durch den Obersten Gerichtshof in Strafsachen, in Pilgermair
(Hrsg),
Festschrift für Herbert
Steininger zum 70. Geburtstag, 2003, 109 ff [135 f].
[13] Vgl die Textvorschläge im Besonderen Teil unter den Punkten III)
und IV).
[14] Vgl dazu näher Grabenwarter/Holoubek, Demokratie,
Rechtsstaat und Kollegialbehörden mit richterlichem Einschlag, ZfV 2000/520.
[15] Vgl dazu im Einzelnen die Ausführungen unter Punkt V).
[16] Dieser letzte Satz lautet: „... Wenigstens der vierte Teil der
Mitglieder soll aus Berufsstellungen im Bund entnommen werden.“
[17] Siehe dazu auch die Ausführungen unter Punkt I) 2).
[18] Vgl dazu etwa Jabloner,
Verfassungsrechtliche Probleme um die Rechtsschutzbeauftragten,
in Pilgermair (Hrsg),
Festschrift für Herbert Steininger zum 70. Geburtstag, 2003, 23 ff.
[19] Vgl die beiden Textvorschläge im Besonderen Teil unter Punkt VI)
1), die freilich im Ausschuss im Einzelnen noch nicht diskutiert wurden.
[20] Vgl dazu VfSlg 12.049/1989 und 16.107/2001.
[21] Vgl OGH vom 6.10.2000, 1 Ob 12/00x, und vom 29.1.2002, 1 Ob
213/01g.
[22] Vgl OGH vom 25.7.2000, 1 Ob 146/00b.
[23] Verfassungsgerichtshofgesetz 1953, BGBl 1953/85 (Wv) idF BGBl I
2003/71.
[24] Rechtssache Rs C-224/01 vom 30.9.2003.
[25] In diesem Sinn der VfGH auch zuletzt im Erkenntnis A 2/01, A
141-146/02 vom 12.12.2003.
[26] Vgl dazu das Schreiben des BKA-VD an alle Ämter der
Landesregierungen vom 27.11.1996, GZ 600.013/5-V/A/5/96.
[27] Vgl dazu die Entscheidung des OGH im „Fall Konle“, 1 Ob 146/00b,
vom 25.7.2000, wo die Haftung des Landes Tirol für den Schaden aus einem
gemeinschaftsrechtswidrigen Landesgesetz analog zu § 1 Abs 1 AHG bejaht wurde.
[28] Zur Idee eines solchen „Austrägalsenats“ vgl näher Walter,
Die Funktion der Höchstinstanzen im Rechtsstaat Österreich, RZ 1999, 58; Putz,
Die geplanten Maßnahmen zur Vereinheitlichung der Rechtsprechung der
österreichischen Höchstgerichte (Vortragsbericht), ÖJZ 1961, 123; Wiener
Juristische Gesellschaft (Hrsg), Differenzen in der Rechtsprechung der drei
höchsten österreichischen Gerichtshöfe – Darstellung und Lösungsversuche, Wien
1958; sowie die „Vorgängerbestimmung“ in RGBl 1875/37.
[29] Vgl die Empfehlung Rec (2000) 19 des Ministerkomitees des
Europarats vom 6.10.2000.