Österreichische Juristenkommission (Hg.)

Aktuelle Fragen des Grundrechtsschutzes

(Kritik und Fortschritt im Rechtstaat Bd. 26)

Wien-Graz: Neuer Wissenschaftlicher Verlag 2005

 

Dieser Band dokumentiert die Vorträge und Diskussionen der Frühjahrstagung der Österreichischen Juristenkommission 2005, die vom 5. bis 7. Mai in Weißenbach am Attersee stattgefunden hat. Nach mehreren Vortragsreihen wurde in einer weiteren Arbeitssitzung eine Podiumsdiskussion zur Frage „Grundrechte in Gefahr?“ abgehalten, die ebenso im vorliegenden Buch wiedergegeben wird.

 

Eröffnungssitzung

 

1. Arbeitssitzung

Gerhard Luf: Menschenrechte: woher, wozu, wohin?

Der Vortragende beginnt mit der Bedeutung der Menschenrechte, er gibt Hinweise zu deren Entwicklungsgeschichte und zeigt rechtsphilosophische Aspekte bei der Begründung der Menschenrechte auf. Es geht ihm auch darum, zu zeigen, dass rechtswissenschaftliche Zugänge zu den Grundrechten of übersehen, dass die dabei vertretenen juristischen Positionen eine Fülle an ethischen Voraussetzungen in sich bergen. Gerade deren Einfluss auf die juristische Auseinandersetzung wird oft nicht zur Kenntnis genommen oder entsprechend reflektiert.

Er kommt schließlich auf die aktuellen menschenrechtlichen Herausforderungen zu sprechen und greift dabei zwei herausfordernde Fragestellungen heraus: einerseits die Herausforderungen der modernen Biomedizin, andererseits die Phänomene des modernen Terrorismus im Spannungsfeld zwischen Sicherheit und Freiheit.

 

Bernd-Christian Funk: Grundrechtsreform in Österreich – Stand und Perspektive

Der Autor behandelt zuerst die Frage, ob eine Grundrechtsreform in Österreich überhaupt notwendig sei, da die Funktionsfähigkeit der Verfassung in diesem Bereich nicht gefährdet ist. Nach der Erläuterung verschiedener Gruppen von Grundrechten wie auch der Gemeinschaftsgrundrechte zeigt er verschiedene, bei einer Reform mehr oder weniger zu berücksichtigende Aspekte: Wechselspiel von Kodifikation und richterlicher Rechtsfortbildung, heterogene Sprach- und Funktionsmuster, Reformperspektiven in traditionellen Bereichen (z.B. Gesamtkatalog), leistungsstaatliche Garantien und soziale Grundrechte etc. Tiefgreifende Innovationen erachtet der Autor vor allem bei Schutz und Durchsetzbarkeit der Grundrechte für notwendig.

 


2. Arbeitssitzung

 

Irmgard Griss: Die Grundrechte in der zivilrechtlichen Rechtsprechung

Die Senatspräsidentin des OGH erläutert, wie die zivilrechtliche Rechtsprechung der Tatsache Rechnung trägt, dass die Grundrechte zwar öffentliche Rechte sind, aber sich auch auf die Beziehungen der Bürger untereinander auswirken, da sie die Rechtsposition des Einzelnen entscheidend prägen. Sie kommt zu dem Schluss, dass es bei den Zivilgerichten mittlerweile üblich ist, bei der Anwendung von Gesetzen in sensiblen Bereichen die Grundrechte zu berücksichtigen.

 

Armin Bammer: Die Grundrechte in der Rechtsprechung der Zivilgerichte

Der Generalsekretär der ÖJK, welcher zum selben Thema wie die vorhergehende Vortragende referiert, kritisiert jedoch Praxis der Zivilgerichte, vor allem deren Begründungsmethoden. Er wirft beispielsweise vor, dass die Berufung auf Grundrechte zu oft ohne neue Begründung erfolgt. Zur Illustrierung bringt er mehrere aktuelle Fälle aus der Rechtsprechung.

 

Eckart Ratz: Grundrechte in der Strafjudikatur des OGH

Nach der Feststellung zu Beginn, dass die Anwendung der Grundrechte zum Alltag des OGH gehöre, befasst sich der Autor mit den einzelnen Aspekten des Grundrechtsschutzes durch die Strafgerichte bzw. mit einzelnen Grundrechten, zu deren Weiterentwicklung der OGH beigetragen hat. Es geht beispielsweise um das Grundrecht auf persönliche Freiheit, das Grundrecht, rechtzeitig über die Anklage informiert zu werden, oder das Grundrecht auf Parteiengehör.

 

Richard Soyer: Grundrechte in der Rechtsprechung der Strafgerichte

Dieser Beitrag behandelt den Grundrechtsschutz durch die Strafgerichte. Zuerst stellt der Autor den aktuellen Meinungsstand in Lehre und Rechtsprechung vor und bringt dazu seine eigene Meinung.

Dabei geht es beispielsweise um die Effektivität der Grundrechtsbeschwerde an den OGH, um den Grundrechtschutz durch die ordentliche Gerichtsbarkeit und durch außerordentliche Rechtsbehelfe. Dazu werden aktuelle Beispiele aus der Strafrechtsjudikatur gebracht.

Schließlich befasst der Vortragende sich mit neuen Wegen und Perspektiven und stellt Forderungen an die (zukünftige) Gerichtsbarkeit, wie z.B. die Entformalisierung des Grundrechtsbeschwerde-verfahrens oder die grundrechtskonforme Auslegung von Nichtigkeitsgründen.

 

3. Arbeitssitzung

 

Rudolf Thienel: Soziale Grundrechte in Österreich? Zur Durchsetzung sozialer Garantien in Verfassungsrang

Nach Schilderung der Vorgeschichte dieser Diskussion bis zum Österreich-Konvent fasst der Autor kurz den aktuellen Meinungsstand zusammen und skizziert die offenen Fragestellungen.

Er stellt Modelle sozialer Garantien und Möglichkeiten zur Durchsetzung dieser vor: Verfassungsrechtliche Gesetzgebungsaufträge, unmittelbare Einklagbarkeit, Verbandsklagen. Der Vortragende kommt schließlich zu der Auffassung, dass ein Modell sozialer Grundrechte unter Ausgestaltungsvorbehalt die sinnvollste Lösung wäre, wobei man dem VfGH die Befugnis zur Feststellung der verfassungswidrigen Untätigkeit des Gesetzgebers einräumen müsste.

 

Ewald Wiederin: Soziale Grundrechte in Österreich?

Der Vortragende setzt sich mit den Vorbehalten auseinander, die gegen die Einführung oder auch nur die Diskussion sozialer Grundrechte ins Treffen geführt werden, und begegnet den Einwänden mit Gegenargumenten. Als die drei wichtigsten Vorbehalte nennt er die mangelnde Justiziabilität, das Finanzierungsproblem und der Gegensatz zwischen Freiheit und Sicherheit.

 

Bernd Schilcher: Gedanken zum Ausbau des Grundrechtschutzes in Österreich

Der Autor beginnt mit der Feststellung, dass es Österreich bereits viele „Hüter der Grundrechte“ gebe, aber zu wenig rechtliche Möglichkeiten für die geordnete, effiziente und widerspruchsfreie Durchsetzung der Grundrechte in der Praxis, und nennt einige Beispiele. Daraufhin greift er einige problematische Aspekte der Grundrechtsjudikatur auf, z.B. Judikaturdivergenzen zwischen VfGH und OGH, Abwägungsdefizite des OGH und die häufige Missachtung und Nichtberücksichtigung der Grundrechte durch den OGH im Bereich der guten Sitten.

 

Gerhard Kuras: Gedanken zum Ausbau des Grundrechtschutzes. „Justice must not only be done, it must also be seen to be done“. Information als Bringschuld des Rechtstaates.

Nach Meinung des Vortragenden ist der Grundrechtschutz überhaupt die wichtigste Aufgabe der ordentlichen Gerichtsbarkeit, auch in diesem Bereich ist eine bloße Mitberücksichtigung nicht ausreichend. Er stellt fest, dass die Mängel im Grundrechtschutz weniger bei den inhaltlichen Entscheidungen, als bei der Vermittelbarkeit liegen, und nennt Zielvorgaben (Transparenz, Raschheit, Information) für die Gesetzgebung und die Gerichtsbarkeit.

Schließlich befasst er sich mit dem Problem der Verfahrensverzögerungen, weiters schlägt er, das Informationsangebot an die Medien zu verbessern, um vor allem das gerichtliche Geschehen der Öffentlichkeit näher zu bringen.

 

Herbert Haller: Drei Anmerkungen zu den Grundrechten

Die erste Anmerkung hat den starken Zusammenhang zwischen Liberalismus und Demokratie zum Inhalt. Zweitens kritisiert der Autor die ständige Forderung nach weiteren Grundrechten, da dadurch der besondere Vorrang der Grundrechte verloren gehe und der Spielraum des Gesetzgebers, der die „goldene Mitte“ finden solle, eingeengt werde. Schließlich fordert er ein Maßhalten in der Grundrechtsdiskussion, beispielsweise einen vorsichtigen Umgang mit moralischen Verurteilungen, eine Vermeidung von Missverständnissen und einen gemäßigten Sprachgebrauch.