Dokumentation des Symposions
„Ein Verfassungskonvent für Österreich?“ anlässlich des Jubiläums „10 Jahre
Journal für Rechtspolitik“ am 18. 11. 2002 im Journal für Rechtspolitik (JRP)
Heft 1/2003
Anlässlich des Jubiläums „10
Jahre Journal für Rechtspolitik“ wurde auf Einladung von Nationalratspräsident
Heinz Fischer ein Symposion zur Frage „Ein Verfassungskonvent für Österreich?“
am 18. 11. 2003 im Parlament veranstaltet. Die wissenschaftlichen Beiträge
dieses Symposions, das einen wesentlichen Impuls für die Wiederaufnahme der
politischen Verfassungsdiskussion und die Gründung des Österreich-Konvents
bildeten, wurden im Journal für Rechtspolitik 1/2003 veröffentlicht:
Theo
Öhlinger: Braucht Österreich eine neue Verfassung?
Im Zentrum des Beitrags von Theo
Öhlinger steht die Frage, inwieweit die Bundesverfassung reformierbar sei,
und die Feststellung, dass es in Österreich ein neues Verständnis von
Verfassung brauche. Zunächst stellt der Autor die Bewertung der Verfassung
durch führende Politiker jener durch Juristen gegenüber. Während die einen
positive Bilanz ziehen, wird die Haltung von Juristen seit Jahrzehnten durch
oft massive Kritik am Zustand des österreichischen Verfassungsrechts geprägt.
Angesichts der Probleme vergangener Verfassungsreformprojekte stellt sich für Öhlinger
aber die Frage, ob das politische System Österreichs fähig und in der Lage ist,
die geltende Bundesverfassung grundlegend zu reformieren oder durch eine neue
Verfassungsurkunde zu ersetzen. Dahinter steht die These, dass das Scheitern
aller bisherigen Reformversuche nicht eine zufällige Kumulation darstellt,
sondern zusammenhängende Ursachen hat. Öhlinger erläutert diese These
anhand von Beispielen aus Politik, Lehre und Judikatur. Jeder Versuch einer
Reform muss – so lautet sein Schluss – an diesen grundlegenden Fragen und damit
am Verfassungsverständnis ansetzen.
Noll, Alfred
J.: Braucht Österreich eine neue Verfassung? Plädoyer für eine Neukodifikation
des österreichischen Verfassungsrechts
Noll
führt die Fragen von Öhlinger weiter und stellt fest, dass es in
Österreich vielfach am Interesse für Verfassungsfragen mangelt, und dass es
keinen gesellschaftlich maßgeblichen Akteur gibt, dem eine Verfassungsreform
tatsächlich ein Anliegen wäre. Sollte dem aber so sein – und Noll plädiert
für eine Neukodifikation des Verfassungsrechts! – so braucht es dafür auch eine
Theorie, die sich kenntnis- und ergebnisreich mit den gesellschaftlichen
Bedingungen der Funktionsautonomie des Rechtssystems befassen kann. Der Autor
skizziert sodann die „Stichworte“ Gerechtigkeit (in Bezug auf Grundrechte),
Gemeinwohl (in Bezug auf Staatsziele), Politische Klugheit und Reflexivität als
zentrale Inhalte einer solchen Theorie.
Biaggini,
Giovanni: Erfahrungen mit Projekten der Verfassungsrevision: Die Totalrevision
der schweizerischen Bundesverfassung
Biaggini vermittelt einen Überblick
über die Totalrevision der schweizerischen Bundesverfassung, die im
wesentlichen von 1994 bis 1999 erfolgt ist. Gleichzeitig bringt der Autor darin
seine Einschätzungen der Bedingungen erfolgversprechender
Verfassungsreformprojekte zum Ausdruck. Zunächst schildert er Entwicklung und
Zustand der schweizerischen Bundesverfassung vor der Totalrevision und geht auf
die mehrfachen gescheiterten Anläufe einer Verfassungsreform ein. Der Neubeginn
der Verfassungsdiskussion in den 1990er-Jahren wird sodann anhand der Fragen
nach dem angemessenen Verfahren, der Ausarbeitung eines Entwurfs als
Diskussionsgrundlage, dem Ausmaß der Reform, der Einbindung der Bevölkerung und
der Arbeit im Parlament betrachtet.
Dossi,
Harald: Der EU-Grundrechtekonvent und der EU-Verfassungskonvent – Erfahrungen
und Einsichten
In diesem Beitrag werden die
Rahmenbedingungen der beiden EU-Konvente dargestellt und – in Hinblick auf
einen allfälligen „Österreich-Konvent“ – die wesentlichen formalen und
strukturellen Fragen der Konvente erläutert. Diese Schwerpunktsetzung erfolgt
vor allem aufgrund des Umstandes, dass die Rahmenbedingungen, Problemlagen und
inhaltlichen Aufgabenstellungen der Konvente im Bereich der EU und in
Österreich ganz unterschiedlich sind.
Raschauer,
Bernhard: Die Verfassungsrevision 2003
Raschauer
präsentiert seine Vorstellungen von Verfahren und Inhalten einer
Verfassungsreform in Form eines Berichts aus der Zukunft, in dem – auch durchaus
ironisch – auf eine Verfassungsrevision, die 2003 stattgefunden hat,
zurückgeblickt wird. Der Autor geht davon aus, dass die Initiative zur
umfassenden Verfassungsreform vom Parlament ausgegangen ist, und dass eine
Kommission, der keine aktiven Politiker angehört haben, einen Verfassungstext
ausgearbeitet hat. Ziel war eine Bereinigung der Verfassung, eine Neuordnung
des Bundesstaates und der Verwaltungsorganisation. Die Grundrechtsreform wurde
hingegen ausgeklammert.
Titscher,
Stefan: Die Gründe, die gegen eine Verfassungsrevision sprechen, machen sie
sinnvoll
Der Autor behandelt Fragen
der Verfassungsreform aus der Sicht eines Soziologen. Zwei Fragenkomplexe
stehen für ihn im Mittelpunkt: Die Funktion der Verfassung und die Organisation
eines Verfassungsreformprozesses. Titscher formuliert dazu eine Reihe
von Fragen und Thesen, die systemtheoretische Ansätze mit empirischen
Beobachtungen der österreichischen Staatsorganisation und Politik verbinden.
Darauf folgt ein Vorschlag für ein Organisationsmodell, dass politische
Initiative, Aufgabenstellung, zeitliche Limitierung, Größe der
Arbeitsgruppe/des Beratungskörpers und öffentliche Kommunikation aufeinander
abstimmt.
Neisser,
Heinrich: Wie könnte eine Verfassungsrevision in Österreich funktionieren?
Neisser
formuliert in seinem Aufsatz politische Perspektiven einer Verfassungsrevision
in Österreich. Zunächst fragt er, warum ein „Konvent“ etwas zustande bringen
soll, dass in Jahrzehnten in Kommissionen und Verhandlungen gescheitert ist. In
seinen Versuchen, eine Antwort darauf zu finden, versucht er Motive und
politische Gründe für eine große Verfassungsreform zu skizzieren: Geht es um
die Überbrückung der Kluft zwischen Real- und Nominalverfassung, um das
Festschreiben neuer Machtverhältnisse – das verneint der Autor. Für ihn bilden
aber die Auswirkungen der europäischen Verfassungsdiskussion auf Österreich und
die demokratiepolitische Bedeutung einer umfassenden Verfassungsdiskussion
wichtige Motive für eine Verfassungsreform. Damit das gelingen kann, braucht es
aber politische Rahmenbedingungen, mit denen sich der Autor im 2. Teil seines
Beitrags beschäftigt.