Günter Voith

Unternehmer,

Mitglied der Staatsaufgaben-                                                                                                            - 1 von 7 -

Reformkommission 2000/2001,

Vorsitzender des Rechtspolitischen

Ausschusses der Vereinigung der Industrie

 

 

Das übergewichtige Monster Verfassung

(Gedanken zum „Österreich-Konvent“)

 

Der Kern der „Konstitutionen“, die das Bürgertum im ausgehenden 18. und im 19. Jahrhun-dert hart und blutig erkämpft hat, waren die individuellen Grund- und Freiheitsrechte. Zuneh-mend wurden dann auch die staatlichen Institutionen und Grundregeln der staatlichen Verwal- tung in die Staatsverfassungen aufgenommen; je mehr, desto umfangreicher, zeitgebundener und schneller veraltet wurden die Verfassungsgesetze. Die österreichische Bundesverfassung von 1920 wurde, vor allem nach 1945, nicht nur mit vielen weiteren Regulierungsnormen überfüttert, sondern auch mit über tausend „fugitiven“ Verfassungsbestimmungen in normalen Gesetzen auf Grund jeweils aktueller Wünsche durchlöchert und überladen, bis sie sich jetzt als recht wackliges Monster präsentiert. Nicht nur der scheidende Präsident des Verfassungsgerichtshofes hat wiederholt seine Zweifel geäußert, ob der Verfassungstorso nicht schon eine Gesamtänderung der Verfassung bedeutet und damit auch einer Volksab-stimmung zu unterwerfen wäre.

 

Die Verfassung von 1920 entstand in einem heiklen und labilen Umfeld in skeptischer, um nicht zu sagen hoffnungsloser Stimmung der Bevölkerung, die bittere Not litt, mit wenig Ver-trauen in einen „künstlichen“, erst entstehenden Kleinstaat mit umstrittenen Grenzen, mit eher auseinander strebenden, jedenfalls gegenüber der Zentrale misstrauischen Bundesländern, fast ohne demokratisches Bewusstsein, allerdings auch mit Nutzung ausgeprägter, funktionieren-der bürokratischer und – damals! – kostengünstiger Strukturen. Die Vorsicht der Verfassung im Hinblick auf das Verhältnis Bund – Länder zeigt sich in einem, derzeit – wegen der hohen Kosten –besonders kritisch gesehenen Komplex: die offiziell föderalistische Struktur sieht vielfach alibihaft aus, indem die Selbständigkeit der Länder auf recht unbedeutende Materien eingeschränkt ist (wie Jagdrecht, Tierschutz oder Umweltschutzagenden, wobei freilich heutzutage auch solche Materien vernünftigerweise bundes- oder gar europaweit geregelt sein sollten); sie zeigt sich auch in der Funktionsarmut des Bundesrats.

 

Müsste heute jemand „von null weg“ für einen 8-Millionen-Staat inmitten Europas ohne geschichtliche Vorlage eine Verfassung bauen, so sähe sie ganz anders aus. Wie radikal und in immer schnellerem Tempo sich die gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Voraussetzungen und Bedürfnisse seit 1920 geändert haben, ist an wenigen Hinweisen rasch aufgezeigt:

 

1.      Einbindung in die Ordnung der EU, die einen bedeutenden Teil der Normen vorgibt, und somit eine Beschränkung der staatlichen Souveränität; darüber hinaus schränken viele übernationale und internationale Behörden, Gerichte und Verträge die staatliche Eigen-ständigkeit weiter ein, bei gleichzeitig mehr Kraft von Individualrechten;

 

 

 

 

 

 

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2.      Eine Gesellschaftsstruktur von vorwiegend Kleinfamilien und Singles mit wenig groß-familiärer Hilfs- und Verantwortungsbereitschaft, Bevölkerungskonzentration in Bal-lungsräumen mit starker Berufsaufsplitterung, mit hoher individueller Eigenverantwor-tung und doch gewissem Werteverlust und Orientierungslosigkeit für die Lebensge-staltung durch hohe Freizeiträume, bei gleichzeitig hoher wirtschaftlicher Abhängigkeit von Dienstgebern; dabei sind nicht wie 1920 25 %, sondern nur 4 % der Beschäftigten in der Landwirtschaft tätig;

3.      Die bisher ungeahnten Verkehrsmöglichkeiten haben einen Internationalisierungstrend der Gesinnung bewirkt – ein hoher Prozentsatz derBevölkerung „kennt“ heute die halbe Welt – und auch eine hohe Fluktuation der Bevölkerung: so etwa ist ein bedeutender Teil der Bevölkerung eines Bundeslandes gar nicht in diesem geboren – das „Heimat“-Bewusst-sein ist im Schwinden. Staats-, Regional- und Lokalpatriotismus in allen Ehren; aber was hat das mit der Frage zu tun, wie und wo der Staat seine Aufgaben am besten und kosten-günstigsten erfüllen kann? Für den Bürger ist allein wichtig, ob etwa die Ausstellung eines Passes wohnortnah, rasch und kostengünstig erfolgt, und doch nicht, ob das eine Funktion des Bundes, des Landes oder der Gemeinde ist!

4.      Viele „Inländer“ leben im Ausland, viele „Ausländer“ in Österreich – sie müssen in der Staats- und Rechtsordnung bewusst berücksichtigt werden;

5.      Hohe Priorität haben die Individualwerte der Menschenrechte, der Würde des Menschen und des Minderheitenschutzes; moralische Autoritäten wie Kirchen und lokale Gemein-schaften sind nicht mehr sehr gesellschaftswirksam;

6.      Die demokratische Grundordnung ist unbestritten, die Akzeptanz des vorhandenen Systems der repräsentativen Demokratie, in Wirklichkeit der Parteienherrschaft, ist jedoch gering; das Interesse der Bevölkerung ist weit mehr auf kurzfristige, persönliche materielle Interessen gerichtet als auf langfristige Zielsetzungen für das Gemeinwohl; das Interesse an politischer Mitgestaltung ist gering;

7.      Die Untertanenmentalität weicht – zumindest bei den „Untertanen“ – allmählich der Erwartung von effizienten Serviceleistungen der Behörden;

8.      Die materielle Lage des Durchschnitts der Bevölkerung ist gut wie nie zuvor, die Notwendigkeit der sozialen Fürsorge kann sich auf Randschichten beschränken;

9.      Die explosionsartig gestiegene Informationsausbreitung im Verbund mit der Verkehrsent-wicklung hat unter anderem dazu geführt, dass wirtschaftliche Potenzen, sehr häufig nicht im Inland greifbar, mitgliederstarke Interessenvertretungen und erst recht die Medien zu den faktischen gesellschaftlichen Machtfaktoren geworden sind, und nicht so sehr die verfassungsmäßig vorgesehenen. Die politische Macht konzentriert sich wiederum bei Parteien, konkret bei deren Spitzen; andere, in den verfassungsmäßig zur Entscheidung vorgesehenen Gremien tätige Parteifunktionäre haben kaum Entscheidungsmacht, sind zu Abstimmungsmaschinen, zu Briefträgern für Interventions- und Freunderlwünsche und Feuerwehrballaufputz herabgekommen.

10.  Die Kommunikation zwischen Bürgern und staatlichen Stellen so wie zwischen diesen Stellen selbst kann durch EDV-Einsatz ungleich effizienter erfolgen als je zuvor – die Bürger untereinander praktizieren dies schon; schriftliche Akten, Briefe, Boten erscheinen antiquiert, und damit erscheint zum Beispiel das ganze staatliche Berichts-, Weisungs- und Archivierungswesen erscheint in seiner Organisation obsolet;.

 

 

 

 

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11.  Der Einsatz von menschlicher Arbeitskraft ist nur noch für Lenkungsaufgaben zu rechtfer-tigen; für normale bürokratische Arbeit ist der menschliche Zeiteinsatz – ebenso wie für die zeitliche Beanspruchung der Bürger durch die Verwaltung – heute so teuer, dass dies die staatliche Ordnung bis in die Grundstrukturen hinein berücksichtigen, sprich andere Prioritäten als früher setzen muss – z. B. weniger (Kontroll-) Instanzen, auch mit höherem Fehlerrisiko.

12.  Die Wirtschaft als Lebensgrundlage der Bevölkerung ist vom Staat aus nur marginal steuerbar; das ganze Land liegt in einem internationalen Wettbewerb, der unter Erhalt des Lebensstandards der Bevölkerung nur zu bestehen ist, wenn der Staat diesen Wettbewerb unterstützt, und zwar effizient, und nicht durch seine Mängel behindert – gemessen wird er selbst dabei am Wettbewerb mit anderen Staaten;

13.  Die gesellschaftlichen Veränderungen erfolgen in zunehmender Geschwindigkeit; eine staatliche Verfassung ist so zu gestalten, dass sie notwendige Änderungen und Anpas-sungen der Rechtsordnung und der Verwaltungsarbeit rasch und wirksam ermöglicht, und auch selbst nötigenfalls – wenn auch mit hohem Konsens – rasch änderbar ist.

 

Damit werden auch die gravierendsten Schwächen der Verfassung angerissen. Konkret lassen sich die ernstzunehmenden Kritiken únd damit die Forderungen nach einer neuen, oder besser gesagt, tiefgreifenden Änderung der Verfassung in 2 Gruppen zusammenfassen:

 

1.      Entrümpelung: Einerseits sind modernere Verfassungswerke, wie die deutsche und die –

erst vor kurzem erneuerte – Eidgenössische kurz gefasst und (nur) eine klare Grundlage für die „normale“ Gesetzgebung einschließlich Kompetenzzuordnungen zu den staatlichen Untergliederungen (Länder, Kantone), die ihrerseits hohen Gestaltungsspielraum der Selbstordnung der ihnen zugewiesenen Agenden haben.

 

Anstatt dass sich die Verfassung auf Grundprinzipien und Zielvorgaben der Gesetzgebung und der Verwaltung konzentriert, müssen sich in Österreich Heerscharen von Juristen und auch Nichtjuristen in Wissenschaft, Justiz, Verwaltung und Wirtschaft täglich mit Prüfungen plagen, was nun gültiges Recht im Materiellen und in Zuständigkeiten ist, was eigentlich noch verfassungskonform sein könnte und welche Normänderung wie geschehen müsste – das Ganze eine Ressourcen- und Zeitverschwendung sondergleichen bei gleichzeitig hoher und wachsender Rechtsunsicherheit für jeden Bürger. Hauptschuld an dieser „legistischen Umweltverschmutzung“ trägt die Unsitte der jahrzehntelangen großen Koalition, einfache gesetzliche Regelungen zu Verfassungsbestimmungen zu erklären – und mit der Zweidrittelmehrheit im Nationalrat ist das legal -, ohne sich darum zu kümmern, ob diese Gesetzesstelle zum bisherigen Inhalt und Sinn der Verfassung passt und ohne Skrupel, dass die Verfassung nur einen Grundrahmen und nicht Detailregelungen in irgendeinem Verwal-tungsgeschehen enthalten sollte. („Welche Vorstellung soll der Bürger von Recht und Gesetz bekommen, wenn Gewalt und Mord, die Beleuchtung eines Kraftfahrzeuges und die Sitzungsgelder für irgendwelche Kommissionsmitglieder von gleicher Rechtsnormqualität sind?“ Zitat Landtagsdirektor DDr. Lengheimer aus „Deregulierung“). Warum dieser

 

 

 

 

 

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„legistische Schmutz“? Weil die Parteien politisch aktuelle Bestimmungen (im Misstrauen zum Partner) „zementieren“ wollten, manchmal wohl auch, um sich der Kontrolle des Verfassungsgerichtshofs zu entziehen. Die „Regelungswut“ widerspiegelt auch das Misstrauen des Gesetzgebers in die „eigenen“ Verwaltungsorgane; es ist an der Zeit, dass man die Staatsdiener nicht für zu dumm, zu faul, zu feig oder zu korrupt ansieht, Alltagsprobleme selbst zu lösen, juristisch gesprochen dass man das Legalitätsprinzip lockert. Man würde damit nicht nur die Bürgernähe der Verwaltung entscheidend fördern, sondern auch die Motivation der Beamten und ihren inzwischen schlecht gewordenen Ruf.

 

Dazu ist gekommen, dass die Politik aus „optischen“ Gründen rasche Anlassgesetze liebt, die häufig weder verfassungsgerecht noch notwendig noch anwendbar sind, aber kasuistisch genaue Regelungen enthalten; so entstand die Gesetzesflut von 9000 Seiten und mehr jährlich im Bundesgesetzblatt, anstatt dass die administrativen und wirtschaftlichen Folgen geplanter Regelungen für Verwaltung, Wirtschaft und Bürger vorher ernstlich geprüft würden. Die Möglichkeit wäre dringend zu nutzen, dass sich die Gesetzgebung einerseits manchmal auf Zielvorgaben und andererseits auf diejenigen Aufgaben beschränkt, die wirklich nur von der Staats“gewalt“ erfüllt werden müssen und damit viel billiger und gleichzeitig flexibler wird.

 

Der Ruf nach einer umfassenden Verfassungsreform aus diesen Gründen kommt nicht nur von der Rechtswissenschaft und den Rechtsanwendern; es besteht die Hoffnung, dass eine Reform in dieser Richtung als (partei-) politisch „neutral“ Aussicht auf Erfolg hat, wenn es gelingt, die doch sehr weitgehenden, wenn auch nicht gar so unterschiedlichen Wünsche der Experten zu bündeln – allen wird man es nicht zu 100 % Recht tun können - und als zielführendes Projekt zu managen.

 

2. Kompetenzvereinfachung: Die zweite Gruppe der Kritiken wurde vor allem virulent, als sich die Regierung der Legislaturperiode 1999-2002 ernstlich über eine größere Verwal-tungsreform wagte; einige Reformschritte wurden gesetzt, mehr noch zur allmählichen Ver-wirklichung begonnen; insgesamt freilich bestand über noch weit mehr Vorhaben Konsens, die nicht in Angriff genommen werden konnten, weil Verfassungsbestimmungen betroffen sind; solche durchdringen die Rechtsordnung groteskerweise bis hin zu Taxikonzessionen und Verkehrsmitteltarifen. Die für einen schlankeren und gleichzeitig leistungsfähigeren Staat notwendige Entlastung der Verwaltung von Mehrfachkompetenzen, Mehrgleisigkeiten, falschen Prioritäten, unsinnige und auch ungerechte Ungleichheiten bei gleichen Sachver-halten (man denke etwa an chaotische Organisation im Gesundheits- und Bildungswesen) und Intransparenz – viele Millionen, wenn nicht Milliarden € werden hier verschwendet – erfordert tiefgreifende und koordinierte Verfassungsänderungen.

 

Es erscheint also eine neue Verfassung oder eine deutliche Verfassungsänderung geboten, um  kurz-, mittel- und langfristig ernstlich greifende Reformen im Staatsapparat, sprich der Verwaltung in Bund, Ländern und Gemeinden durchführen zu können. Natürlich diktieren diese Notwendigkeit die leerer als leeren Staatskassen; hier anzusetzen, ist so gut wie die einzige ins Gewicht fallende Sparmöglichkeit, um Mittel für wichtigere und zukunfts-entscheidende Aufgaben des Staates finanzieren zu können, wie für Forschung und

 

 

 

 

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 Entwicklung, Infrastruktur und Bildung. Die Modernisierung der Verwaltung ist – eben auch im internationalen Vergleich – dringend notwendig; und es gibt auch längst schon viele gute Ideen dafür. Die Schwierigkeit liegt in der (typisch österreichischen?) Angst vor Änderungen, sprich im Beharrungsvermögen derjenigen, die Macht- oder Geldverlust für sich persönlich durch jede Änderung fürchten. Was in jedem Wirtschaftsbetrieb durch den Druck der Konkurrenz selbstverständlich ist: der ständige Zwang zur Änderung, fehlt im Staatsapparat mangels Konkurrenzdruck fast völlig, und so wuchert die teure Bürokratie. -

 

Es gibt aber sehr wohl quer durch Österreich auch viele weiter schauende Politiker und berufliche „Staatsdiener“, die sich der Problematik der veralteten, verkrusteten, zu teuren Bürokratie bewusst sind und Reformen befürworten – sogar in allen politischen Parteien. Sie sind Kräfte der zweiten Gruppe der Befürworter einer Verfassungsreform, und sie sollten von Öffentlichkeit und Medien voll unterstützt, ja getrieben werden; schließlich geht es um enorme Steuermittel, die eingespart oder viel sinnvoller eingesetzt werden können.

 

Es gibt eine dritte Gruppe von Wünschen an eine Verfassungsreform, nämlich Änderungen in der Gewichtsverteilung Bund – Länder – Gemeinden oder Gesetzgebung - Verwaltung - Justiz ohne „Erleichterung“ des Gewichts, nur um mehr Macht oder mehr Mittel für die eine oder andere Interessensgruppe herauszuschlagen; diese Wünsche müssen, wenn sie nicht mit Lösungen für die ersten beiden Forderungsgruppen gepaart sind, als nicht im Gesamtinteresse liegend und auch besonders wenig konsensfähig außer Acht gelassen werden.

 

Seit im Herbst erfreulicherweise alle Parteien den Ruf nach einem Verfassungskonvent übernommen haben, hat sich endlich eine öffentliche oder jedenfalls Mediendiskussion über das Thema entwickelt. Nur: Am lautesten wird sofort gehört, dass alle möglichen Interessengruppen von Gemeinde- über Länder- bis zu Bundespolitikern und Gewerkschaften sich mit der Forderung melden, Reform und Sparen ja – aber auf keinen Fall in ihrem Bereich; dieser gehört eher noch ausgebaut. Eine Bankrotterklärung für den Reformwillen der Betroffenen – wo doch überhaupt vom Inhalt einer Reform noch so gut wie nichts diskutiert wird, sondern nur von ihrer Notwendigkeit! Die Medien berichten dann oft noch genüsslich von diesen kontroversiellen „Nicht-bei mir“-Parolen. Dazu gibt es jetzt nur eines: Vorläufig schlicht ignorieren!

 

Wenn in der öffentlichen Diskussion derzeit vor allem zu hören ist: mehr Föderalismus oder mehr Zentralismus? – So ist das meines Erachtens genau der verkehrte Zugang zum Problem, der einen „Mord im Mutterleib“ befürchten lässt. Zuerst ist festzustellen: Was hat der Staat zu tun? Dann: Wie hat er es zu tun, mit welchem Einsatz und welcher Effizienz? Und zuletzt kommt die Frage: Wer hat es zu tun? Da erst ist zu prüfen, welche Stelle im Staat im Interesse von Effizienz und Bürgernähe am besten zur Aufgabenerfüllung geeignet erscheint; dann erst kommt es zur Entscheidung: mehr oder weniger Kompetenzen und Arbeit „oben“ oder „unten“. Da erst sollten die (schein-)macht- und einflussgierigen Politiker aller Stufen ihre Argumente einbringen können. Ich frage mich auch, wie etwa – nur als Beispiel –

 

 

 

 

 

 

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der Einsatz unserer rund 900 Landtags-, Nationalrats-, Bundesrats- und EP-Abgeordneten für ihre Positionen aussehen würde, wenn ihr Mandate alle – Berufe haben sie ohnehin fast alle – ehrenamtlich auszuüben wären...

 

Zielsetzung: Die Forderungen „Entrümpelung“ und „Kompetenzneuordnung“ lassen sich sehr wohl in eine einzige Zielrichtung kombinieren: Diese heißt Schlanker Staat/Bürgernähe/Effizienz der Verwaltung/mehr Demokratie. Es ist kein Zufall, dass diese Zielsetzung fast ident mit den Zielen des EU-Verfassungskonvents ist! Eine Staatsreform, die nicht zu höherer Effizienz des Staatsapparats führt, wäre unsinnig.

 

Die Zielsetzung eines Verfassungskonvents ist damit schon vorgegeben. Damit der offenbar allseitige Wunsch danach nicht Lippenbekenntnis bleibt und im politischen Alltagsgetriebe - wie schon viele höchst wichtige Vorhaben – hängen bleibt,ist zu fragen: 1. (Formal): Wie soll er funktionieren? Und 2.(Materiell): Welche Inhalte soll er behandeln?

 

Zum Vorgehen: Natürlich sind Entscheidungen über Verfassungsänderungen von den gesetz-gebenden Gremien zu fällen, gegebenenfalls durch Volksentscheid noch zu verifizieren. Ich hielte es aber für eine gefährliche Vorgangsweise, diese politische Entscheidung zu früh zu forcieren; denn Politiker denken meist kurzfristig an Macht und Partei und nicht an die langfristig beste Lösung für das Gemeinwohl. Vielmehr haben zuerst gemischte Experten-gruppen die Vorschläge zu erarbeiten, und zwar gemischt aus einschlägigen Wissenschaftlern und Praktikern, diese aus der Verwaltung, der Justiz, von Interessenvertretungen und auch aus der (Bundes- und Landes-) Politik, eventuell einzelne „Weise“. Entscheidend ist eine starke, gar nicht unbedingt fachlich exzellent vorgebildete Führung, vielmehr eine Persönlichkeit, die das allgemeine Ansehen, das Kaliber und die Erfahrung hat, menschlich und sachlich ein solches Projekt mit Abwägen der Prioritäten, was wie mit welchen Vorgaben und welchen Kompromissen zu erreichen ist, mit strengsten Zeitvorgaben zu managen. Eine Gruppe von 2 4- vor allem von Sachkenntnis geprägten Persönlichkeiten hat dem „Chef“ zur Seite zu stehen.

 

Bei der Auswahl der Konventsteilnehmer ist nicht nur auf die fachlichen, menschlichen und Teamarbeitsfähigkeiten zu achten, sondern auch auf die Zahl: Eine Gruppe von bis zu 3-5 prozessfähigen kann eine gemeinsame Arbeit erstellen, eine von 6-15 kann eine Vorlage ernsthaft diskutieren und abändern; ein größeres Gremium ist nur zu Entscheidungen über einen Vorschlag imstande, aber nicht zu dessen Erarbeitung.

 

Die Vorgangsweise bedeutet gleichzeitig auch eine Richtungsvorgabe für die Frage der zu behandelnden Inhalte: Aus dem Gesamtgremium sind Einzelgruppen von etwa 10 – 20 Experten (auch wieder mit starker Führung), eventuell unter Hinzunahme weiterer Spezialisten, zu bilden, die sich jeweils mit einzelnen Kapiteln (Modulen) befassen. Es ist klar, dass die Vorschläge in den einzelnen Modulen unterschiedlich lange Diskussion brauchen; ebenso klar, dass damit die Erfolge zum Teil bald, sagen wir innerhalb eines Jahres, kommen, zum Teil erst nach Jahren. Der ganze Prozess dauert sicher Jahre, die Konvents-führung hat zu achten, dass die einzelnen Modulergebnisse trotzdem zueinander passen.

 

 

 

 

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Wie könnten solche Module, das heißt die Aufgabenteilung, aussehen?

Nach Konsens über Einrichtung des Konventgremiums und Klärung der Zielsetzung (wie oben angeführt) hat rein zeitlich erste Priorität

 

1.      Die Erarbeitung der Frage, welche Aufgaben überhaupt der moderne Staat überhaupt ausüben soll: Was sind seine Kernkompetenzen, wo genügt seine Gewährleistung, dass Aufgaben ordentlich erfüllt werden, und was gibt er überhaupt besser ab, weil er bei mehr wirtschaftlichen Leistungen bekanntlich nicht der Tüchtigste ist?

 

Dann sollte das Reformwerk als Projekt in etwa folgende Module geteilt werden:

 

2.      Grundrechte

3.      Kompetenzbereiche der Gesetzgebung und der Verwaltung für Bund, Länder und Gemeinden

4.      Grundlagen für permanente Verwaltungsreform einschließlich neuem Budgetsystem und e-Government, Durchforstung der Mehrfachkompetenzen und Mehrgleisigkeiten

5.      Institutionen: Gesetzgebende Körperschaften in Bund und Ländern, oberste Organe der Verwaltung in Bund und Ländern plus Sozialpartnern und Sozialversicherung

6.      Oberste Gerichte und Gerichtsorganisation

7.      „Einfangen“ der fugitiven Verfassungsbestimmungen: Eliminieren, Einbau in die Verfassung oder Rückstufung auf Einfachgesetze

8.      Steuer- und Finanzausgleichssystem, Finanzverwaltung

 

Die Reformaufgabe ist nicht so schwierig zu lösen, wie es auf Anhieb aussehen mag: Gibt es doch nicht nur den Blick ins Ausland, sondern auch in Österreich schon lange eine ganze Reihe von klugen Vorarbeiten und Vorschlägen, und, was noch wichtiger ist, einen weit gehenden Konsens unter Experten und Betroffenen. Die Hürden lagen schon bisher immer wieder beim mangelnden Entschluss der Politik zum Handeln, konkret, dass (tages-) politische, taktische Parteiinteressen ein mutiges, langfristig sinnvolles Vorgehen hinderten. Diese Gefahr besteht auch jetzt, trotz der viel stärkeren und einhelligeren Einsicht in die Reformnotwendigkeit. Auch geht die Arbeit eines Verfassungskonvents über den normalen Zeithorizont eines Politikers, nämlich den Abstand bis zur nächsten Wahl, sicher hinaus. Deshalb: Zuerst (Module für) konkrete Maßnahmen ohne Parteipolitik erarbeiten und in der Öffentlichkeit auf den Tisch! Das vehemente Interesse der Öffentlichkeit muss so klar sein, dass die Politiker aller Schattierungen nicht mehr darüber hinweg gehen können!

 

Und das Recht und geradezu die Pflicht dazu hat die Öffentlichkeit und jeder Bürger sehr wohl: Wird ihm doch von jedem verdienten Euro immer mehr, jetzt schon die Hälfte, vom Staat wieder weggenommen (Staatsquote) und irgendwohin verteilt – und trotzdem kommt diese öffentliche Hand nie mit dem Geld aus.

 

 

Wien, 25. 1. 2003