Dr. Günter Voith

Leopold Steiner-G. 1A

1190 Wien 

                                                                                       9. 5. 2004

 

 

Untersuchung der Frage: Welche Ziele und Themen hatte der Verfassungskonvent und wie stellt sich ihre Behandlung aus heutiger Sicht dar?

 

 

Der Ruf nach einer Verfassungsreform hallt m. E. schon seit Jahren vor allem wegen einer (formalen) Entrümpelung: Über tausend „fugitive“ Verfassungsbestimmungen (Adamovich: „Eigentlich schon eine Gesamtänderung der Verfassung, was einer Volksabstimmung zu unterziehen wäre“) und weltweit einmalige Überladung der Verfassung mit Detailvorschriften. Der Ruf wurde laut nach den Ergebnissen der Aufgaben-Reformkommission und den (Nicht-) Ergebnis-sen der Budgetbegleitkommission 2001, da sich klar herausstellte, dass ohne Verfassungsände-rungen eine schon aus Budgetgründen unbedingt notwendige Verwaltungsreform  ein Torso wäre.

  

Im Regierungsprogramm von 2002 steht unter Punkt 1. Demokratie und Staatsreform zu „Österreich-Konvent:

Die österreichische Bundesverfassung genügt in mancher Hinsicht nicht mehr den Ansprüchen. Eine umfassende Bereinigung ist daher erforderlich. Zu diesem Zweck soll daher ein Verfassungskonvent eingerichtet werden:

ca. 50 Mitglieder (z.T. Parlamentarier Bund, Ländern, Europa), Gebietskörperschaften, Regierungen, Bürgergesellschaft

legt binnen 18 Monaten den Text einer erneuerten Bundesverfassung auf Grundlage der derzeit geltenden Baugesetze (Föderalismus etc.) vor .

Aufgaben: Verfassungsbereinigung, Inkorporierung des B-VG  statt Zersplitterung, Überprüfung des gesamten Behördenaufbaus, Adaptierung der Kompetenztatbestände, aktualisierter Grund-rechtskatalog (Basis: europäische Grundrechte), Neuordnung Volksanwaltschaft, Ausbau von Elementen der direkten Demokratie, weiters

Kompetenzen: Schaffung geschlossener Kompetenzbereiche, Bereinigung i. S. Des Subsidiaritätsprinzips, Stärkung der Rechte der LändernUnmittelbare Anwendbarkeit von Vereinbarungen gem. Art. 15a B-VG

Streichung Art. 98 B-VG ...

Stärkung der Koordinierungs- und Planungskompetenz des Bundes

Auflassung der mittelbaren Bundesverwaltung

Ausdehnung der Delegation von Gesetzgebungsbefugnissen des Bundes an die Länder auf Art. 10/1-Materien

Einführung eines Europäischen Legalitätsprinzips

Steuerhoheit der Länder und Stärkung ihrer Rolle in der Finanzverfassung

Verbesserung der Zuständigkeiten im Katastrophenschutz.“

 

Die Sitzung des Gründungskomitees des Österreich-Konvents im Juni 2003 legte neben Zusammen-setzung des Gründungskomitees, des Präsidiums und des Konvents sowie der Arbeitsweise des Konvents als Grundsätze des Österreich-Konvents zu Staatsreform folgende Aufgaben des Österreich-Konvents fest:

 „1. (Anm.: Ziffern von mir!) Der Konvent zur Staatsreform hat die Aufgaben, Vorschläge für eine grundlegende Staats- und Verfassungsreform auszuarbeiten, die auch Voraussetzungen für eine effizientere Verwaltung schaffen soll.

 

2.Die künftige Verfassung soll eine zukunftsorientierte, kostengünstige,transparente und bürgernahe Erfüllung der Staatsaufgaben ermöglichen.

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3.Dabei sollen insbesondere folgende Bereiche beraten werden:

 

3.1.Eine umfassende Analyse der Staatsaufgaben.

3.2.Die Kompetenzverteilung mit dem Ziel, einen klaren, nach Aufgabenbereichen gegliederten Kompetenzkatalog zu schaffen.

3.3.Das Verhältnis zwischen Gesetzgebung und Vollziehung unter dem Gesichtspunkt des Legalitätsprinzips.

3.4.Die Struktur der staatlichen Institutionen, insbesondere unter dem Gesichtspunkt des effizienten Mitteleinsatzes, der Bürgernähe sowie der Entwicklung des e-government.

3.5.Die Grundzüge der Finanzverfassung, insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Zusammen- führung von Einnahmen- und Ausgabenverantwortung und eines bedarfsgerechten Finanzausgleichs.

3.6.Die Einrichtung einer effizienten Kontrolle auf Bundes- und Landesebene und die Gestaltung des Rechtsschutzes unter dem Gesichtspunkt rascher und bürgernaher Entscheidungen.

 

4.Der Konvent soll zuletzt auch Textvorschläge für einen straffen Verfassungstext ausarbeiten.

 

5.Ziel des Konvents ist es somit einen neuen Verfassungstext zu schaffen, der in knapper, aber umfassender Form sämtliche Verfassungsbestimmungen enthält.

 

6.Die Baugesetze der österreichischen Bundesverfassung (also das demokratische Prinzip, das bundesstaatliche Prinzip, das rechtsstaatliche Prinzip und die republikanische Staatsform) bleiben aufrecht.“

 

Meine Meinung zu diesem Katalog: Wenn er zum Teil auch geradezu rührend danach klingt, dass vielen Recht getan werden soll (z. B. gehört e-government nicht in die Verfassung, manches ist mehr als vager Wunsch, und Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Republik zieht doch wohl niemand in Zweifel), ist dieser Aufgabenkatalog doch eine brauchbare Grundlage für Arbeits-prioritäten und Erfolgsmessung.

 

Vom Präsidium (formell vom Plenum) wurden dann detailliertere Themenvorschläge, schon aufgegliedert in Richtung der 10 Ausschüsse, gemacht. Diese führe ich hier nicht an. Als Nächstes hat das Präsidium jedem Ausschuss ein Mandat mit je 3 bis 12 Stichworten zur Behandlung erteilt. Zu diesen Mandaten siehe hier beigelegt meine Notiz vom 12. 10. 2003.

 

Im Lauf der Arbeit der Ausschüsse von September 2003 bis März/April 2004 stellte sich meines Erachtens heraus:

1.Politiker (und zwangsweise die von solchen gesteuerten Spitzenbeamten) wollen politische Ziele in der Verfassung verankert wissen, wobei sich die Gegensätze zwischen den einzelnen Parteien und die Gegensätze Bund/Länder/Gemeinden bis in Einzelfragen durchziehen. Diese Gegensätze und Wünsche überlagern total die schon auch vorhandene Ambition auf Hauptziele des Konvents, wie Abschlankung der Verfassung, Abbau von Kompetenzwirrwarr und Basis für effizientere Verwaltung. Versucht man hier, Unterschiede bei den einzelnen Parteigängern festzustellen, so liegt bei der ÖVP das höchste Interesse, diese Ziele des Konvents nicht zu vergessen, allerdings sind hier die Rücksichtnahme auf die (Macht-)Wünsche der Länder und Gemeinden und die Änderungsfurcht der Beamten  schwer übersteigbare Hürden; die Freiheitlichen haben wenig ausgeprägte Wünsche und stehen jedenfalls für eine Modernisierung und Abschlankung; der SPÖ geht es vor allem um Ausdehnung von sozialen Rechten welcher Art und welcher Konsequenz immer, sie ist neutral zur Differenz Bund/Länder, tendiert aber eher zur konventzielwidrigen Stärkung des Staates und der Verwaltung – Liberalisierung ist ein

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 Feindwort; die Grünen konzentrieren sich auf ihre bekannten Themen und sehen offenbar kaum die Notwendigkeit von Einsparungen im Staatsapparat. Die Politiker sind zudem in Tagespolitik verhaftet und sehen eine Verfassungsänderung als mögliches Mittel, ein gerade aktuelles politi-sches Anliegen, wie etwa Stellenbesetzung, durchzusetzen. Die Frage, was ist nach der laufenden Legislaturperiode, stellen sie sich kaum.

2.Fachjuristen, worunter ich einen Teil der Professoren, einige Spitzenbeamte und die Höchst-richter verstehe: Sie kommen in die Sitzungen geladen mit Vorschlägen überhaupt oder zumindest ihres Fachgebiets, die von hoher praktischer Erfahrung mit Unzulänglichkeiten und auch dem Verantwortungsbewusstsein zeugen, dass Änderungen juristisch nach allen Seiten hin sattelfest sein müssen. Bei Änderungsvorschlägen wird auch möglichst jeder Nachteil überlegt. Eine Lösung soll möglichst perfekt und auch langfristig sinnvoll sein; nur bleiben dabei auf der Strecke: Mögliche rasche, wenn auch nicht perfekte Lösungen; Flexibilität von Regelungen für zukünftige Anforderungen; eine Verschlankung und Vereinfachung von Verfassung und Gesetzen; flotte Arbeit des Konvents, und überhaupt die Beachtung der Konventsziele.

3.Die wohl typisch österreichische Angst vor größeren Änderungen ist besonders bei den Beamten fühlbar. Größere Änderungen sind überhaupt kaum vorstellbar, äußerstenfalls Adaptierungen bisheriger Regelungen. Ein Beispiel: Mühsam können (und konnten!) einige Regeln in der Gewerbeordnung geändert und liberalisiert werden; dass es  Staaten ohne (von preußischer Regu-lierungssucht stammender) Gewerbeordnung gibt, wie Großbritannien und Irland, erscheint unglaublich. So ist es auch nicht verwunderlich, dass in den Ausschussberichten in einer Vielzahl von Fällen (vielleicht die Mehrheit) davon gesprochen wird, dass Änderungen der bestehenden Verfassungsbestimmungen abgelehnt werden. An Kosten denkt auch hier kaum jemand.

 

Auf Grund dieser Sachverhalte, dem Mangel an Prioritäten innerhalb der divergierenden vorgege-benen Konventsziele und wohl auch dem Zeitdruck – die sehr gute neue Schweizer Verfassung wurde über 10 Jahre entwickelt – stellt sich die Arbeit in den Ausschüssen doch als recht zerflattert und  wenig konsensual dar und hat vor allem die „Grundsätze zur Staatsreform“ oft aus den Augen verloren.

 

Dies sei beispielhaft an Hand der (End-)Berichte – sie umfassen 40 bis 85 Seiten - und auch eigener Beobachtung in einzelnen Ausschüssen dargestellt.

 

Zum Ausschuss 1 (Staatsaufgaben und Staatsziele):

Der Großteil der Debattenzeit ging auf die Vorschläge und Formulierung von insgesamt 58 Staats-zielen auf (Politiker!), obwohl die ganze Zeit umstritten war, ob solche überhaupt in die Verfassung kommen sollen.- Die gefordete „umfassende Analyse von Staatsaufgaben“ wurde nicht gemacht, nicht einmal von „Kernaufgaben“, allerdings begründet, warum nicht. -  Zu „Vorschlägen für eine grundlegende Staats- und Verfassungsreform“ und „Voraussetzungen für eine effizientere Verwaltung“ hat der Ausschuss 1 nichts beigetragen, ebensowenig zu „zukunftsorientierter, kostengünstiger, transparenter und bürgernaher Erfüllung der Staatsaufgaben“. Eher für eine gegen-teilige Entwicklung: Das Festlegen von Staatszielen bindet die Politik für die Zukunft und bedeutet eher eine „fettere“ Verfassung und mehr Verwaltungsarbeit – auch anstatt „strafferen Verfassungs-textes“.

 

Zum Ausschuss 3 (Staatliche Institutionen):

Fragen des Wahlrechts wurden lang und breit diskutiert (dissentierende Politikerwünsche!), aber auch für geringe Änderungen gab es fast nirgends Konsens. Zum Nationalrat gab es auch nur in 1 unbedeutenden Punkt (Zusammenspiel mit dem Bundespräsidenten) Zustimmung zu einer Änderung, sonst nur zu Beibehaltungen oder Dissens. Etwa die Forderung auf Verlängerung der Legislaturperiode auf 5 Jahre zur Verringerung der Wahlkampfzeiten ist auch umstritten. Eine sehr heiße Frage ohne Einvernehmen blieb der Bundesrat (Länderwünsche!), während die Modalitäten

 

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des Bundespräsidenten wegen der Wahl nicht behandelt wurden. Insgesamt rund 50 Ideen wurden bezüglich Landtagen, Landeshauptleuten, Landesregierungen und Gemeinden besprochen, dabei aber kaum Konsens und kaum Veränderungen erwünscht.  Art. 15a-Vereinbarungen sollen beibehalten werden, immerhin wurde auftragsgemäß das Legalitätsprinzip diskutiert und in seiner Strenge in Frage gestellt. - Hier wie bei den anderen Ausschüssen scheint die Forderung nach straffem Verfassungstext wenig Anhänger zu haben. Und auch hier ist zu fragen, ob genug an die Grundsatzaufträge von Verbesserung von effizientem Mitteleinsatz, Bürgernähe und Transparenz gedacht wurde.

 

Zum Ausschuss 5 (Aufgabenverteilung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden):

Der Ausschuss stellt im Grundsätzlichen die Notwendigkeit fest, die Kompetenzbereiche einfacher und abgerundeter zu gestalten und die EU-Rechtsetzung zu berücksichtigen. Dann aber wird eine „dritte Säule“ gemeinschaftlicher Zuständigkeit von Bund und Ländern gefordert,  deren Festlegung der Politik überlassen wird. Die geforderte stärkere Mitwirkung der Länder an der Bundesgesetz-gebung ist ebenso wenig eine Vereinfachung  wie die gewünschte Möglichkeit der Länder zum Ab-schluss von Staatsverträgen mit anderen Staaten oder Teilstaaten. Auch die Umsetzung von EU-Recht zum Teil durch den Bund, zum Teil durch die Länder (9 verschiedene Normen?) erscheint als vergebene Chance, die Bürokratie ökonomischer zu gestalten. - Wo bleibt die beauftragte „Schaffung eines klaren, nachabgerundeten Leistungs- und Verantwortungsbereichen  gegliederten Katalogs von Gesetzgebungskompetenzen“?

 

Zum Ausschuss 6 (Reform der Verwaltung):

Hier wurden klare Definitionen und Vorgaben für die Themenbehandlung gemacht, die die Grundsätze der beauftragten Staatsreform auch wirklich berücksichtigt. Als Kernpunkte wurde die mittelbare Bundesverwaltung (Änderung eher abgelehnt!) behandelt, weiters die Änderung der Weisungsfreistellung (im Sinne einer Vereinfachung und Entlastung in der Verfassung!), Organisa-tionsstrukturen, das Beamtendienstrecht, die Schulverwaltung, das Sicherheitswesen u. a. m. - Wenn auch viele Vorschläge keinen Konsens fanden, ist hier die umfassende Behandlung durchaus im Sinne der Reformgrundsätze hervorzuheben. Insbesondere liefert der Ausschuss eine Reihe von Vorschlägen zur Vereinheitlichung von Normen in der Verfassung und von Ausgliederung aus der Verfassung. Es ist zu hoffen, dass die Vorschläge vom politikerbeherrschten Präsidium nicht total verwässert werden und dass sie dann auch umgesetzt werden.

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