Dr. Günter Voith

Leopold Steiner-Gasse 1a

1190 Wien

Vorsitzender des

Rechtspolitischen Ausschusses der

Vereinigung der Industrie (IV)

                                                                                                             Wien, 22. 8. 2004

 

An die Kammer

für Arbeiter und Angestellte Salzburg

 

Markus Sittikus-Straße 10

5020 Salzburg

 

Betr. Soziale Grundrechte und Öffentliche Dienstleistungen

 

Sehr geehrte Damen und Herren,

 

Ich habe wie alle anderen Mitglieder des Österreich-Konvents Ihr E-mail + Brief mit Datum 7. 7. 2004 erhalten. Die beiden von Ihnen angeschnittenen Materien wurden, wie Sie sicher wissen, in den Konventausschüssen 1 – dem ich angehöre – und 4 – dem ich nicht angehöre – ausführlich diskutiert und auch in den Ausschussberichten behandelt. Entscheidungen darüber liegen jetzt also nur im Konventspräsidium und dann im Nationalrat. Ich möchte trotzdem zu Ihren Wünschen zu Ihrer Information Stellung nehmen. Dies umso mehr, als ich begründen will, warum ich – wie viele andere – diesen Wünschen für eine Festlegung in der Verfassung gegenüber skeptisch bin, und Sie auch zum Teil für schlecht informiert halte.

 

Ihre Intentionen bezüglich der „sozialen Grundrechte“ sind ja nicht neu; sie haben auch da und dort in Deklarationen und Verfassungsdokumenten Niederschlag gefunden, so auch im EU-Verfassungs-entwurf. Ob dies praktisch irgendeine merkliche Auswirkung auf Gesetzgebung oder Bürger hat, bleibe dahingestellt. So ist etwa ein „Recht auf Arbeit“ in einem Teil der EU-Staaten – übrigens zum Beispiel in der französischen Verfassung auch eine „Pflicht zur Arbeit“ - in der Verfassung enthalten; diese Staaten schneiden in der Arbeitslosenstatistik eher schlechter als andere ab – und darauf kommt es wohl an; da sind die faktischen wirtschaftlichen Verhältnisse doch entscheidend und nicht ein klangvoller Verfassungstext.

 

Die Forderungen nach den verschiedensten persönlichen Rechten gehören zu politischen Program-men, deren Niederlegung in einer Verfassung bedeutete dem entsprechend eine Bindung der gegen-wärtigen und zukünftigen Politik; dies widerspricht letztlich demokratischen Grundsätzen, wonach durch Wahlen Flexibität der Prioritäten und Anpassung der Politik an sich ändernde gesellschaft-liche Verhältnisse ermöglicht werden sollen. Zudem ist klar, dass in jedem Staat schon aus finanzi-ellen Gründen ein Großteil solcher Wünsche unerfüllt bleiben muss. So wird die Verfassung un-glaubwürdig. Ihre Aufgabe ist auch nicht eine politische Zielsetzung, sondern die Organisation eines Rechtsstaats. -

 

Zum anderen: Die Forderung auf Festschreibung der Aufgabe des Staates, öffentliche Dienstleistun-gen irgendwie zu garantieren, beruht meines Erachtens auf einem grundsätzlichen Missverständnis.

 

Nirgendwo bestreitet jemand diese Aufgabe des Staates, nämlich für Sicherheit und bestmögliche Versorgung seiner Bürger (oder seiner Einwohner) zu sorgen. Diese Verantwortung trifft den Staat, ob es nun extra statuiert ist oder nicht. Er (und nur er) hat die Erfüllung dieser Pflicht zu gewährleisten. Nur: Was ist bestmöglich (in Ihrem Antrag „optimal“)? Und was und wie kann der Staat  dafür wirklich sorgen?

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Die tatsächliche Erfüllung dieser Aufgaben nämlich, ob es nun um Energie, Bildung, Gesundheit, Medien, Verkehr, Lebensmittel und viele andere Versorgungsbereiche (und keineswegs nur um Wasser oder Abwasser) geht, ist vorwiegend eine normale wirtschaftliche Leistung; die Besonderheit in diesen Bereichen kann man ja nur in einer höheren staatlichen Verantwortung für das Funktionieren sehen als für andere, weniger „daseinswichtige“, wo die normale staatliche Ordnung durch Normen der Gesetzgebung genügt. In der Erbringung wirtschaftlicher Leistungen ist der Staat aber bekanntlich nicht der fähigste. Staatliche Institutionen sind besonders unfähige Unternehmer, aus logischen Gründen, da nicht der Kundendienst unter der Peitsche des Wettbewerbs im Vordergrund steht. Man braucht nicht nur an die unselige Zukunftsbelastung der Bevölkerung durch die österreichische verstaatlichte Industrie zu denken, wo auf „ewig“ jeder österreichische Erwerbstätige nur für die Zinsen der 110 Milliarden Schilling jährlich € 200,- im Schnitt tragen muss. Oder: Jahrelang war die österreichweit einzige Apotheke, die mit Verlust  arbeitete (inzwischen geschlossen), die einzige in Staatsbesitz.

 

„Bestmöglich“ muss heißen: Verantwortung dafür, dass die Versorgung klappt, und zwar auch effizient und kostengünstig. Auf Grund der erdrückenden Beweise, dass für wirtschaftliche Leistun-gen auch der Versorgung der Staat ungeeignet ist, verlangt ja auch die EU mit zunehmendem Druck diese „Privatisierung“ welcher Art immer solcher Leistungen. Nicht funktioniert, wie die Praxis in aller Welt zeigt, ein Übergehen auf betriebswirtschaftliche Grundsätze nur dort, wo auch Private Monopole haben oder der Staat schlechte Verträge schließt und damit seine Verantwortung nicht wahrnimmt.

 

Nun könnte man argumentieren, wenn so etwas wie Daseinsvorsorge etwa als Staatsziel in die Verfassung kommt, „tut es niemandem weh“. Auch dagegen habe ich mich im Konvent ausge-sprochen. Hauptsächlich durch die verschiedenen, in Hearings zu Wort gekommenen Interessens-gruppen wurde vom Konvent die Verankerung von insgesamt 58 Staatszielen in der Verfassung gefordert. Dies zeigt für mich klar:

1.Legitimerweise geht es um das Durchsetzen von Interessen einzelner, sehr verschieden goßer Gruppen. Viele dieser geforderten Staatsziele schließen einander aus.

2.Diese Forderungen sind durchwegs Wünsche an die Politik, um nicht zu sagen tages-, partei- oder gruppenpolitische, und haben in der Verfassung nichts zu suchen.

3.Über die Finanzierbarkeit, sogar über die Realisierbarkeit und die Kosten der Verwirklichung hat nicht einziger Vorschlag etwas enthalten. Wie bei politischen Aussagen üblich, soll eine Gruppe auf Kosten anderer Vorteile haben.

4.Bewusst oder unbewusst würde mit solchen Festlegungen die zukünftige Politik in die Pflicht genommen und vorherbestimmt. Was soll denn eine zukünftige Politik überhaupt bewirken, wenn sie ohnedies kaum Mittel hat und dann noch über deren Einsatz gar im Vorhinein entschie-den wurde?! Unser – wie viele andere - Staat würgt ohnedies schwer an den auch aus anderen Gründen immer wieder gemachten Schulden.

5.Was zu „Daseinsvorsorge“ - oder wie immer es genannt wird – gehört, ist noch nicht erfolgreich definiert worden und damit verfassungsrechtlich unbrauchbar; die Definition ist auch nicht möglich, da man nur in einem autoritären Staat verordnen kann, was zu den notwendigen Grundbedürfnissen gehört, und diese Versteinerung akzeptieren. Es ist einem stetigen Wandel wie die Gesellschaft und ihre Möglichkeiten unterworfen. Vor 50 Jahren war die Versorgung mit Telefon ein Luxus, vor 40 Jahren ein Auto, noch vor 10 Jahren ein PC oder ein Handy; gehört das und noch mehr nicht heute zu Grundversorgungsbedürfnissen? Eine Garantie des Staates hätte die Veränderungen nicht bewirken können; juristische Normen hinken natürlich immer der Entwicklung hinterher.

 

Es ist für Sie sicherlich eine gewisse Genugtuung, dass ohnedies (notwendigerweise bruchstück-hafte) Elemente einer „Daseinsvorsorge“ oder von „öffentlichen Dienstleistungen“ nicht nur im EU-3/3

 

Verfassungsentwurf enthalten sind, sondern wohl auch in die kommende österreichische Verfas-sungsänderung irgendwie aufgenommen werden (auch wenn es der Grundaufgabe des Konvents widerspricht, die Verfassung schlanker und verständlicher zu machen). Für mich ändert sich dadurch nichts an der Fragwürdigkeit dieses Vorgangs. Es klingt für mich nach rein (politischen) Werbungspostulaten mit fragwürdiger juristischer Bedeutung und faktischer Wirkung.

 

Ich füge Ihnen hier im Brief – und extra beim E-mail – zu Ihrer Information eine Arbeit aus der Fe-der Herrn Dr. Erhard Fürsts bei: „Daseinsvorsorge und Wettbewerb – ein Widerspruch?“, der sehr klar die Grenzen zwischen staatlicher und privater Leistungsfähigkeit im Bereich der „öffentlichen Dienstleistungen“ statt Vermanschung von Staatsverantwortung und Wirtschaftsleistung aufzeigt.

 

                                                            

Mit freundlichen Grüßen

 

Dr. Günter Voith