Günter Voith

 

                                                                                       8. 2. 2005

 

Referat RC Wien-West 10. 2. 2005:

„Das neue Spiel: Verfassung verfassen“

 

„Verfassung“war zunächst ein Kampfruf im Geist der Aufklärung: die Bürger forderten Grund- und Freiheitsrechte und die Bindung aller, auch des Monarchen, an die Grundsätze einer Rechtsordnung. Zu ihrer Bewahrung musste eine Verfassung auch die Grundprinzipien der Staatsstruktur enthalten: Wer dekretiert, wer handhabt, wer überwacht Gesetze? Damit sind die Grundaufgaben einer Verfas-sung schon erfasst: Grundsätze der Staatsstruktur und Bürgerrechte. Dazu kam von Anfang an gern eine gewisse pathetische Überhöhung, vielleicht als Ersatz für das vorherige Gottesgnadentum. Auch die erst 10 Jahre alte Eidgenössische Verfassung hebt noch mit den Worten an: „Im Namen Gottes des Allmächtigen...“ .

 

Ich bleibe bei Schweizern: „In der Fülle verfassungsfremden Stoffes gingen die Umrisse der tragen-den Ordnung verloren. Barocke Stukkatur überzog den ursprünglichen Bau“ - so urteilte Max Imbo-den 1966. Die Schweiz machte sich dann an eine zehnjährige, schließlich erfolgreiche Arbeit für eine neue Verfassung.

 

Solche Kritik trifft noch stärker auf die österreichische Verfassung aus den 20-er Jahren des 20. Jahrhunderts zu; das wurde schon seit Jahrzehnten erkannt. Manche Bestimmungen sind einfach überholt, totes Recht, also unnötig, wie z. B. „Unterschiede des Standes und der Klasse“, wogegen viele heutige Bedürfnisse fehlen, wie Umweltschutz, EDV, Kernkraft. Vor allem aber wurde das Verfassungsgesetz selbst und dazu noch durch eine Unzahl (1300!) von Verfassungsbestimmungen in Einfachgesetzen ergänzt, abgeändert, durchlöchert und überladen (nach Adamovich sogar „gesamtgeändert“). Khol spricht von „Verfassungssschotter“. Die Unübersichtlichkeit behindert und verteuert die Handhabung enorm. Schuld an dieser „legistischen Verschmutzung“ trägt vor allem die große Koalition, die eine Flut von Gesetzen mit Zweidrittelmehrheit, also im Verfassungsrang, beschloss, um einer Prüfung der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen zu entgehen, vielfach aber auch, um eine einmal zwischen den Großparteien erzielte Einigung zu „zementieren“. Natürlich hat das auch die Manövrierfähigkeit jeder Regierung stark eingeschränkt.

 

Die österreichische Regelungswut, unter der gerade die Beamten leiden, die viele Gesetze gar nicht mehr vollziehen können, zeigt sich nicht nur in 10.000 Seiten Bundesgesetzblättern im Jahr und darin, dass der Präsident des Verfassungsgerichtshofs zugab, er hatte bei 300 von den 1300 Bestim-mungen keine Ahnung von ihrer Existenz, sondern an hunderten Beispielen: So etwa umfassen die Verfassungsbestimmungen für den Rechnungshof 314 Zeilen, im neuen Fiedlerschen Entwurf noch 156 Zeilen, während die deutsche Verfassung (Grundgesetz) mit 9 Zeilen auskommt.

 

Dieses veraltete Verfassungsmonster ist auch ein Hindernis für ernstliche Verwaltungsreformen. Das wurde besonders 2002 bewusst, als die zahlreichen Reformvorschläge der Staatsaufgaben-Reformkommission mangels Verfassungsmehrheit von der Regierung nur zu einem geringen Teil angegangen werden konnten.

 

Der stark auch von der Industriellenvereinigung geforderte Überarbeitung der Verfassung stimmten alle 4 Parteien vor – und nach! - den Wahlen zu; die von uns vorgeschlagene Vorgangsweise wurde allerdings noch stark überhöht: durch Nominierung von 70 Konventsmitgliedern, davon rund 60 (partei-) politisch Tätigen oder Gebundenen, und durch Formulierung vieler hoher, zum Teil einan-der widersprechender Aufgaben für den Konvent, wie „Grundlegende Staats- und Verwaltungsre- form/Voraussetzungen für effizientere Verwaltung/zukunftsorientierte, kostengünstige, transparente

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und bürgernahe Erfüllung der Staatsaufgaben/klarer, nach Aufgabengebieten gegliederter Kompetenzkatalog/Überprüfung des Legalitätsprinzips/straffer Verfassungstext“ usw. „unter Beibe-haltung der Baugesetze der Bundesverfassung“. Eine Prioritätensetzung fehlte, und so war das mehr die Sprache von Wahlparolen als einer Zielsetzung für einen Verhandlungsprozess.

 

Trotzdem ist meiner Ansicht nach von einem Scheitern des Konvents nicht zu sprechen. Seine Aufgabe, Vorschläge auszuarbeiten, ist absolut erfüllt worden. Mehr noch: Es kam ein riesiger Fundus von gründlich erarbeiteten und diskutierten Überlegungen zusammen, der kommende Diskussionen überflüssig machen könnte. Scheitern können die Bemühungen nur, wenn jetzt die zur Entscheidung zuständigen Politiker keine Einigung zu Stande bringen.

 

Als die interessantesten Schwierigkeiten in der Konventsarbeit empfand ich die folgenden, wobei für die meisten die personelle und thematische Dominanz der Politiker verantwortlich war:

 

1.Anstatt Arbeit im Stillen gab es viele Sager für die Medien (z. B. Gott oder nicht?, Konvent scheitert oder doch nicht);

2.Politiker sahen in der Verfassung ein Instrument zur Durchsetzung ihrer eigenen (Tages-) Politik anstatt den Rahmen dafür. Landeshauptleute erklärten offen, Mitarbeit nur, wenn Bedeutungszu-wachs für ihre Funktion oder ihren Bereich;

3.Die Spitzen waren um „fraktionsweise“ Vorkoordination zu jedem Thema bemüht. In den letzten Monaten und in den Plenarversammlungen wurden die jeweiligen politischen Anliegen plakativ wiederholt: bei vielen Mitgliedern war ihre Rede klar, bevor sie den Mund aufmachten.

4.Präsidium gab vor: möglichst viel Konsens; Parteispitzen: ja keine „Zugeständnisse“an andere – „Abtausch“ erst nachher politisch; dadurch Abwertung der Diskussionen;

5.Politiker dachten an Wahlwirksamkeit bei ihrer Klientel, weniger an langfristige Bedeutung für Staat und Gesellschaft. Das hieß meist Mehrforderungen an den Staat. Bei 95 % der Debatten keine Rede von Einsparungen oder textlicher Verschlankung;

6.Wegen Wählerfanginteresses viel alter Verfassungsballast verteidigt, auch neuer angehäuft (z. B. Grundrechte weitgehend unnötig, da ohnedies EU-Recht und damit direkt österreichisches);

7.Besonders die hohen Beamten Fachleute auf ihrem Spezialgebiet, kennen Misstände und Verbesserungsmöglichkeiten; das sind oft neue Detailregelungen; beschworene Deregulierung missachtet: die Prioritäten für ein ausgewogenes Gesamtinteresse noch schwerer zu finden;

8.In den letzten Monaten überwogen offensichtlich taktische Überlegungen: SPÖ erklärte jetzt, seit ein paar Wochen: keine Verfassung vor den Nationalratswahlen, die Grünen wollten immer die Verlagerung der Diskussionen in den Nationalrat, die Landeshauptleute brachten neue, weiter-reichende Forderungen erst nach Vorliegen der Abschlussberichte im Dezember 2004 vor.

 

Trotz allem: Zwar wurden manche Themen, wie zum Beispiel die Handhabung zukünftiger wirt-schaftlicher Anforderungen, kaum besprochen, allein das vom Konvent gesammelte und diskutierte

Material ist aber imponierend: Rund 300 halb- oder ganztägige Präsidiums-, Ausschuss- und Plenarsitzungen der Mitglieder, mit 3 Hearingtagen für 127 verschiedene, im Konvent nicht personell vertretene Organisationen – darunter die Rotarier – sind nur die Spitze eines Eisbergs von Studien, Zuarbeiten, verfassten Artikeln, Reden, Enqueten, öffentlichen Diskussionen, Presse-gesprächen. Besonders hervorzuheben ist die Leistung des Ausschusses 2 (unter Korinek), 1300 in Einfachgestzen versteckte Verfassungsbestimmungen zu finden, zu sichten und auf ihre Relevanz abzuklopfen, sowie eine Lösung vorzuschlagen, sie als solche zu beseitigen und zu verhindern, dass dieses Übel neu entsteht.

 

Konkret hat der Konvent nun, mit nur einmonatiger Verspätung, einen Bericht von 1100 Seiten vorgelegt, der die Ausschussberichte summiert. Darin werden auch die zahlreichen Vorschläge angeführt, die keinen Konsens gefunden haben und zum Teil einander widersprechen (Meine eige-

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nen Vorschläge erkennt man daran, dass sie meist viel kürzer als die anderen sind).

 

Konventspräsident Fiedler dagegen hat auf Basis der in den Ausschüssen konsensualen oder auch dissentierenden Vorschläge zu Jahresbeginn einen fertigen Gesamtentwurf einer neuen Verfassung – den einzigen bis jetzt! - erarbeitet, in dem er nicht nur auf den erzielten Konsens Rücksicht genommen, sondern darüber hinaus Kompromisse formuliert hat, zum Teil aber auch über den Konsens hinaus gegangen ist, um Gesamtstimmigkeit zu erreichen (ein Beispiel: Gesamtes Schul-wesen vom Bund zu steuern). Zum Unterschied zu vielen Einzelwünschen hat er dabei das Grundziel „Vereinfachung der Staatsstruktur und -verwaltung“ nicht vernachlässigt. Zudem erscheint der Text sprachlich gelungen und verständlich.

 

Für die Juristen und andere Interessenten: Ich habe mich bemüht, aus den zusammen 1200 Seiten Berichten eine Übersicht über die wichtigsten behandelten Themen, geordnet nach den Ausschüs-sen, zu machen und diese auch dem Fiedler-Entwurf gegenüberzustellen. Diese 4 Seiten Übersicht liegen bei Frau Sacken schriftlich auf und können auch nachgefordert werden. Man sieht daraus auch, dass – wie von Anfang an erwartet – die „formal-juristischen“ Themen sehr gut einver-nehmlich gelöst wurden oder lösbar sind, die vielen politisch brisanten aber nur punktuell Konsens brachten.

 

Wie geht es nun weiter? Der große Bericht und der Fiedler-Entwurf werden jetzt der Regierung und dann dem Nationalrat zur Weiterbehandlung im Verfassungs- oder einem anderen Ausschuss zuge-leitet. Es wäre sehr zu begrüßen, wenn die Weiterbehandlung auf Basis des Fiedler-Emtwurfs erfolgte, was wesentlich weniger Streitthematik enthielte als das Aufrollen aller offenen Fragen und divergierenden Meinungen laut dem Gesamtbericht.

 

In den letzten Stellungnahmen im Konvent und in der Presse haben die Gerichtspräsidenten Korinek und Jabloner, aber auch einige andere Konventsmitglieder (auch ich) gefordert: wenn es nicht in den nächsten Monaten, also unabhängig von der Nationalratswahl, zu einer Einigung für eine erneuerte Verfassung kommt – und es sieht nicht sehr danach aus -, so sollten die konsentierten („formalen“) Teile als Novelle oder anderswie bald Verfassungskraft erlangen; die Vorschläge darauf umzuar-beiten, wäre rasch, wenn auch nicht leicht, machbar.

 

So weit es in meinem Bereich steht, werden – Verfassung hin oder her - die Bemühungen weiter-gehen, die verkrustete Staats- und Verwaltungsstruktur aufzubrechen. Eine kleine Genugtuung ist, dass der Konvent nicht viel gekostet hat: nach meiner Überschlagsrechnung eine Größenordnung von € 500.000,-.

 

Ich kann es mir nicht verkneifen, mit einem Schüttelvers zu schließen:

Wer die Mühen davon kennt,

liebte nicht sehr den Konvent.

 

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