Verfassungsreform
– ein Luxus?
Symposion
des Forum für Universität und Gesellschaft
Rathaus,
Stadtsenatssitzungssaal, 21. April 2005
Programmübersicht
Begrüßung Dr.
Elisabeth Freismuth, Forum Universität und Gesellschaft
Referate Der
sterbliche Gott – Anthropologische Überlegungen zur Verfassungsproblematik
Univ. Prof. Dr. Rudolf Burger,
Universität für angewandte Kunst
Ein neuer Kampf um die
österreichische Verfassung?
Univ.
Prof. Dr. Ludwig Adamovich
Verfassungsreform in einem föderalistischen Nationalstaat.
Erfahrungen aus der Schweiz
Univ. Prof. Dr. René Rhinow, Universität
Basel
Der neue europäische Verfassungsvertrag – ein evolutionärer
Aufbruch
Univ. Prof. Dr. Sonja Puntscher-Riekmann, Universität
Salzburg
Grundlagen der europäischen Integration im Grundgesetz (Art.
23 GG)
Univ. Prof. Dr. Stefan Kadelbach, Universität Frankfurt
Verfassung im Widerstreit von Kosten und Nutzen
Univ. Prof. Dr. Ewald Nowotny, Wirtschaftsuniversität Wien
Podiumsdiskussion Einleitungsreferat
Univ.
Prof. Dr. Clemens Jabloner, VwGH
Diskussionsteilnehmer
Rudolf
Berger, Direktor der Volksoper Wien
Univ.
Prof. Dr. Karl Korinek, VfGH
Dr.
Heide Schmidt, Institut für eine offene Gesellschaft
Marlene
Streeruwitz, Schriftstellerin
Ao.
Univ. Prof. Dr. Hannes Tretter, BIM
Moderation
Peter
Huemer
Begrüßung
Dr. Elisabeth Freismuth
(Universitätsdirektorin der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien)
stellte das Forum Universität und Gesellschaft vor und geht kurz auf die
Zielsetzungen des Symposions ein: Nach Abschluss der Arbeiten des
Österreich-Konvents ist es wieder still um die Verfassung geworden. Mit dieser
Veranstaltung soll ein Versuch unternommen werden, die Arbeit des
Österreich-Konvents zu bewerten, in einen europäischen Kontext zu stellen und
in einem weiten Rahmen zu diskutieren. Das Forum sieht sich als Mittler und
Vermittler und möchte einen Beitrag zur Verbreiterung der Verfassungsdiskussion
in Österreich leisten.
Referate
Der sterbliche Gott – Anthropologische Überlegungen zur
Verfassungsproblematik
Univ. Prof. Dr. Rudolf Burger, Universität für angewandte
Kunst
Burger hat seine Überlegungen zur
Verfassung mit einer Bildinterpretation verbunden. Das rätselhafte Frontispiz
des Leviathan von Thomas Hobbes ist Ausgangspunkt für eine Betrachtung der
Grundlagen moderner Staatlichkeit. Warum Leviathan? Das Bild zeigt ja nicht
einen alles-verschlingenden Drachen, sondern einen großen Mann, der aus lauter
kleinen Männern zusammengesetzt ist, kein Monster, sondern einen Träger der
Insignien geistiger und weltlicher Macht. Bezeichnend ist, dass das Bild des
Leviathan ungerahmt bleibt, während die Kampfmittel der geistlichen und
weltlichen Auseinandersetzung in der unteren Bildhälfte eingerahmt und damit
eingegrenzt sind. Zwischen diesen ist ein Vorhang zu sehen, der – so Burger –
den Text ornamental verhüllt und vielleicht an das Stiftszelt des alten Israel
erinnert. Entscheidend ist für Burger nun, dass dem Bild jeder Bezug auf
metaphysische Transzendenz fehlt. Der Riese blickt nach vorn und nicht nach
oben. Es gibt keine objektiv normative Seinsordnung mehr. Der Staat ist reines
Menschen-werk aus subjektiver Vernunft. So kann der Staat auch nicht das summum
bonum sein, sondern nur die Vermeidung des summum malum. Der Riese
auf dem Bild steht daher dem Dämon gegenüber, der rationale Staat schützt den
Menschen vor sich selbst und vor den Folgen eifernder Wahrheitsansprüche.
Warum aber dann Leviathan? –
Burger erläutert, wo und wie Hobbes vom Leviathan gesprochen hat. Der Leviathan
umfasst eine mythische Totalität von Mensch, Gott, Tier und Maschine. Würde er
– wie andere Rationalisten – nur die Maschinenmetapher bemühen, wäre nur das
Apparative des Staates, nicht aber die Macht erfasst. Denn Hobbes weiß, wohin
seelenloses Funktionieren führen kann. Der Leviathan ist für Hobbes auch „king
of the proud“ – Hobbes sieht den Menschen auch als stolzes Tier. Die
Verwaltung und Verteilung von Sachen kann die Politik nicht ersetzen – der
Mensch möchte anderen überlegen sein, er kämpft um Anerkennung. Der Leviathan
legt dem Zügel an. Aber der Leviathan ist ein „sterblicher Gott“ – er kann
zerstört werden. Burger versteht Hobbes nun so, dass dieser in der Radikalität,
in der er den Leviathan verfasst hat, immer auch das Gegenbild, den Dämon,
hervorkehren möchte. Denn Hobbes schreibt aus einer tiefen Erfahrung des
Bürgerkriegs heraus, einer Erfahrung, die der Liberalismus immer wieder
vergisst.
Ein neuer Kampf um die
österreichische Verfassung?
Univ.
Prof. Dr. Ludwig Adamovich
Der Titel des
Vortrags enthält eine Anspielung auf das 1930 erschienene Buch „Der Kampf um
die österreichische Verfassung“. Ignaz Seipel hat darin Verfassungsreformen der
späten Monarchie, die Verfassungsgebung in der Konstituierenden
Nationalversammlung und die Reform des Bundes-Verfasssungsgesetzes 1929
beschrieben. Adamovich findet darin treffende Charakterisierungen der
Diskussionen über Bundesstaat, Grundrechte sowie Demokratie und Verantwortung,
deren Nachhall er auch heute noch wahrnehmen kann. Aber gibt es überhaupt noch
einen Kampf um die Verfassung in Österreich? – Als Ausgangsbeispiel dient Adamovich
ein Interview des Bundespräsidenten anlässlich der bevorstehenden Ratifizierung
des Vertrags über eine Verfassung für Europa und die Reaktionen, die darauf in
der Präsidentschaftskanzlei eingegangen sind. Nach einem Überblick über
Verfassungsdiskussionen 1920, 1929 und 1945 und einer Erläuterung, warum es
1945/46 nicht zu einer neuen Verfassung gekommen ist, geht er auf die Gegenwart
über. Adamovich beschäftigt die Frage, warum sich die Bevölkerung kaum Gedanken
über die Verfassung zu machen scheint, warum sie nicht informiert zu sein
scheint. Er möchte wissen, wer denn darüber informieren könnte, wer sich
bemüht, grundsätzliche Fragen außerhalb jeglicher Polemik zu stellen, und wer
darauf in seriöser Weise antworten kann. Adamovich erkennt hier nicht zuletzt
eine große Verantwortung der gesetzgebenden Körperschaften.
Verfassungsreform in einem
föderalistischen Nationalstaat. Erfahrungen aus der Schweiz
Univ. Prof.
Dr. René Rhinow, Universität Basel
Rhinow
stellte in seinem Vortrag Gedanken dazu dar, wie die gesamthafte Revision einer
alten Verfassung in einem bestehenden, funktionierenden Rechtsstaat erfolgen
kann; vor allem dann, wenn über Grundsätze Einigkeit besteht, aber durch die
Ausgestaltung, Bereinigung und Verwesent-lichung neue Fragen aufgeworfen
werden. Rhinow erläuterte den Weg der schweizerischen Verfassungsreform, das
Baukastenprinzip und das Sprechen von der Nachführung bzw. Aktua-lisierung. Er
wies darauf hin, wie sehr bereits in der Nachführung und Bereinigung ein Akt
der politischen Wertung sichtbar wird, und die Bürgerinnen und Bürger in der
Verfassung dann nicht mehr bloß das historische Dokument sehen, sondern eine
moderne Schweiz erkennbar werden kann. Zudem erläuterte er, wie entscheidend es
für den Reformprozess war, festzustellen, was von politischem Konsens getragen
war, und was in den Prozess politischer „Ausmachung“ gehört. In Hinblick auf
die Föderalismusdiskussion bemerkte er, wie sich ein zunächst finanzpolitischer
orientierter Ansatz zu einer grundsätzlichen Erörterung der
Aufgabenverantwortung und -erfüllung gewandelt hat. Zur Neutralität hielt er
fest, dass diese – seines Erachtens „leider“ – in der Schweiz nicht diskutiert
wird. Sie ist zum Mythos geworden, der dem geopolitischen Umfeld von heute
nicht mehr entspricht. Aus dem Verfassungsreformprozess zieht Rhinow sieben
Lehren für die Schweiz: Der Prozess braucht Führung, denn im Volk ist kein
Interesse vorauszusetzen. Es lohnt sich, die Reform anzugehen, wenn man an der
Verfassung und ihrer Bedeutung festhalten möchte, denn eine Erneuerung des
Basiskonsens ist möglich. Es bedarf einer Haltung politischer Nüchternheit um
den langdauernden Reformprozess durchzuhalten. Das Konzept des Baukastens hat
sich bewährt, es birgt aber auch große Sprengkraft. Mit der Aktualisierung
lassen sich auch jene Themen miterle-digen, die politisch zwar nicht
umstritten, aber für Teilreformen (in der Schweiz) wenig geeignet sind. Und
zuletzt braucht es Mut zur Bescheidenheit und Selbstbeschränkung.
Der neue europäische
Verfassungsvertrag – ein evolutionärer Aufbruch
Univ. Prof. Dr. Sonja
Puntscher-Riekmann, Universität Salzburg
Puntscher-Riekmann sieht den
Verfassungsvertrag als eine große Chance für Europa, die sich nicht zuletzt in
zwei „symbolischen Sensationen“ im Namen zeigt: Es ist eine Verfassung
und sie ist eine Verfassung für Europa. Bisher war das Reden von einer
Verfassung nur sehr beschränkt möglich gewesen, und Europa wurde bislang nur
adjektivisch verwendet! Das Ergebnis des Konvents nähert sich jedenfalls einer
klassischen Verfassung an, was – blickt man auf den Konvent zurück – keineswegs
als ausgemacht galt. In einem kurzen Überblick stellte Puntscher-Riekmann die
wesentlichen Inhalte und Neuerungen des Vertrags dar und ging insbesondere auf
Weiterentwick-lungen der Demokratie, Klarstellungen im Vertrag (z. B.
Anwendungsvorrang) und die erweiterte Handlungsfähigkeit der EU ein. Sie wies
auf die veränderte, beschränkte Rolle der Kommission hin, kritisierte aber
auch, dass sich in der Finanzsituation der EU nichts verändert hat.
Grundlagen der europäischen
Integration im Grundgesetz (Art. 23 GG)
Univ. Prof. Dr. Stefan Kadelbach,
Universität Frankfurt
Kadelbach vermittelte in seinem
Vortrag einen Überblick über das deutsche Integrationsverfas-sungsrecht, wie es
in Art. 23 Abs. 1 GG geregelt ist. Er ging auf einige strittige Fragen ein und
erläuterte kurz die Rechtssprechung des Bundesverfassungsgerichts im Anschluss
an die Maastricht-Entscheidung.
Verfassung im Widerstreit von
Kosten und Nutzen
Univ. Prof. Dr. Ewald Nowotny,
Wirtschaftsuniversität Wien
Nowotny stellte eingangs fest,
dass hinter „gesellschaftlichen Fragen“ immer Wert- und Nutzen-fragen stehen.
In der Auseinandersetzung darüber sind Opportunitätskosten zu bewerten, es ist
also die Frage nach den Alternativen, die ich nicht gewählt habe, zu stellen.
Ausgehend davon ging er auf einzelne Fragen der Verfassungsdiskussion ein:
Soziale Grundrechte erscheinen Nowotny dann als sinnvoll, wenn diese als
Markierungen von Zielkonflikten verstanden werden. Allerdings hat er
persönliche Bedenken, solche Fragen durch Richter entscheiden zu lassen.
Hinsichtlich der Föderalismusfrage gibt Nowotny die starke Aufgabenverflechtung
in Österreich zu bedenken. Zum Finanzausgleich/Finanzverbund bemerkt er, dass
ein Ausbau der Steuereinhebungsrechte der Länder und ein damit einhergehender
Steuerwettbewerb das Wohlstandsgefälle in Österreich verstärken könnte. Was
Umweltrecht und Bürgerbeteiligung betrifft, neigt er zu einer sehr kritischen
Sicht, da eben solche Verfahren zu einem gewaltigen Anstieg der Kosten führen
können. Grund-sätzlich möchte er Verfassungen viel dynamischer verstehen
können, als dies heute der Fall ist. Das Negativbeispiel stellt für ihn der
EU-Stabilitätspakt dar: denn Einstimmigkeit zur neuerlichen Revision ist schwer
herzustellen.
Diskussion
Impulsreferat
Univ. Prof. Dr. Clemens Jabloner, VwGH
Jabloner präsentierte 5 – bewusst
polemische– Thesen zum Österreich-Konvent:
(1) Österreich braucht keine
neue Verfassung: Der Reformbedarf des österreichischen Verfassungs-rechts
ist unbestritten. Trotzdem bildet die Verfassung von 1920 eine hervorragende
Grundlage. Sie ist ein Produkt der österreichischen Moderne, nicht zuletzt
durch die Vermeidung des Ornaments. Bekenntnisfreude und postmoderne
Beliebigkeit einer neuen Verfassung sind nicht notwendig.
(2) Die Politischen Parteien
hatten und haben kein Konzept für eine neue Verfassung. Ein tiefergehender
Prozess hätte vorausgesetzt, dass die Parteien vor dem Konvent klare
Konzepte dafür haben. Die SPÖ hatte nur die sozialen Grundrechte. Die ÖVP war
tief verstrickt in den Föderalismus Wirtschaft-Konflikt. Allerdings gab die
Initiative der SPÖ der ÖVP die Möglichkeit, „leadership“ unter Beweis zu
stellen – ihr kam der SPÖ-Vorschlag daher recht. Die Sozialdemokratie hat sich
in die selbe Situation wie 1929 hineinmanövriert, es ist ihr aber bis heute
nicht bewusst.
(3) Das Konventsmodell war
ungeeignet, um eine neue Verfassung zu erarbeiten. Es ist ein
demokratiepolitischer Rückschritt und die Konsensmodelle waren mehr als unklar.
(4) Die ökonomische Ausrichtung
des Konvents führte in die Irre. Der Konvent war durch eine oberflächliche
Vermengung von Verfassungs- und Verwaltungsreform geprägt. Jene, die
Einsparungen durch die Verfassungsreform forderten, waren nicht in der Lage,
klare Konzepte vorzulegen.
(5) Trotzdem war der Konvent
nicht sinnlos. In verschiedenen Bereichen wurden zukunftsträchtige Konzepte
entwickelt, wenn auch in der Diskussion die „Büchse der Pandora“ geöffnet
worden war.
Wie kann es weitergehen? – Die SPÖ
kommt nicht aus der Umklammerung durch die ÖVP heraus. Sie muss aber Positionen
entwickeln! Der Konsens über soziale Grundrechte sollte die Linke nicht zu
freudig stimmen. Diese müssen nicht der Motor zur Weiterentwicklung des
Sozialstaates sein, sondern können auch das Ende der sozialdemokratischen Ära
markieren. Anstehende Probleme werden wohl nur in einer großen Koalition gelöst
werden können. Einmal mehr empfiehlt Jabloner, eine große Verfassungsnovelle zu
machen, um sich aus der „neurotischen Zwangslage“, in die man sich gebracht
hat, zu befreien.
Podiumsdiskussion mit Rudolf Berger, Univ. Prof. Dr. Karl
Korinek, Dr. Heide Schmidt, Dr. Marlene Streeruwitz, Univ. Prof.
Dr. Hannes Tretter.
Leitung: Dr.
Peter Huemer
Auf die
Eingangsfrage, ob denn der Konvent einen Bauchfleck erlitten habe, antwortete Korinek,
dass der Konvent die Verfassungsdiskussion weitergebracht hat, auch wenn er
Jabloner in vielen Punkten zustimmt. Ob es eine „neue Verfassung“ oder eine
„große Reform“ gibt, ist eine Etiketten-frage. Er plädiert für eine
Modernisierung in einigen Punkten. Zum Konvent bemerkt er, dass das Plenum
überflüssig gewesen wäre, das Präsidium rätselhaft blieb, und dass in einigen Ausschüssen
gut gearbeitet wurde.
Schmidt
erklärte, dass sie kaum Interesse am Konvent gehabt hätte. Für sie ist der
Konvent von Beginn an zum Scheitern verurteilt gewesen. Sie fordert, dass die
Politiker zu diesem Scheitern stehen und die Bevölkerung nicht belügen sollen.
Denn diese Unterschätzung des Wahrnehmungs-vermögens der Menschen beinhaltet
eine Demokratiegefährdung.
Auf Huemers
Frage nach der Sprache ging Streeruwitz darauf ein, was es heißt, einen
Text von neuem zu lesen und zu verstehen versuchen. Sie kritisierte Jabloner,
der ja in vieler Hinsicht davon gesprochen habe, dass sich nichts ändern solle,
ebenso wie sie die hegemoniale Sprache, die die Verfassungsdiskussion begleite,
kritisierte.
Auf die Frage
Huemers, ob das Desinteresse gestiegen wäre, meinte Berger, dass das
Interesse nicht gestiegen sei. Nachdenklich stimmt ihn, dass es keine
Bemühungen gibt, die Diskussion an die Menschen zu bringen. Denn schließlich
geht es darum, über das, was wir gemeinsam wollen, zu diskutieren.
Tretter
betonte die Kulturleistung Verfassung und den Ausgangspunkt vom Menschen und
seinen Rechten her.
In weiterer
Folge entstand eine Diskussion über den Grad der Detailliertheit einer
Verfassung und den Gestaltungsspielraum von Legislative und
Verfassungsgerichtsbarkeit.
· ·
Zusammenstellung:
Dr. Christoph Konrath
22. April 2005