Der Wert der Verfassung
Werte in der Verfassung
Der „Österreich-Konvent“
und die Neukodifikation der Bundesverfassung
Ein Symposion des
Katholischen Akademikerverbandes
der Erzdiözese Wien
am 26. und 27. November 2004
im Otto Mauer-Zentrum
– Dokumentation –
ao. Univ.-Prof. Dr. Thomas Olechowski
Vorsitzender des Katholischen Akademikerverbandes der Erzdiözese Wien
Der Katholische Akademikerverband der Erzdiözese Wien (KAV Wien) begrüßt die Arbeiten des Österreich-Konvents als das ambitionierteste Vorhaben zu einer Gesamtreform der österreichischen Bundesverfassung seit 1945. An der Notwendigkeit zu einer solchen Reform besteht überhaupt kein Zweifel: Das formelle Verfassungsrecht ist derzeit über hunderte verschiedene Verfassungsgesetze und Verfassungsbestimmungen verstreut, was zu einer Unübersichtlichkeit und letztlich zu einer Verfassungsunkenntnis führt, die den Wert der Verfassung als einer obersten Richtschnur alles staatlichen Handelns erheblich mindert. Die Verfassung muss daher in formaler Hinsicht bereinigt und übersichtlich gestaltet werden.
Es ist weiters zu begrüßen, dass die Gelegenheit der formalen Verfassungsbereinigung zu einer materiellen Verfassungsreform genützt wird. Dass der Österreich-Konvent sich dabei nicht auf einige Themen beschränkt, sondern prinzipiell das gesamte Verfassungsgefüge zur Diskussion freigegeben hat, ist ein riskanter Weg, da die Gefahr besteht, dass der Streit um Detailfragen das Gesamtwerk gefährdet. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass in einer offenen Gesellschaft auch Raum für Grundsatzdiskussionen sein muss und der Konvent das ideale Forum zu einer Diskussion über die Werte in der Verfassung darstellt.
Eine für den KAV Wien besonders bedeutsame
Frage ist jene nach den Auswirkungen der neuen Verfassung für die in Österreich
lebenden Christen. Diese Frage erschöpft sich nicht in der Gestaltung einer
allfälligen, in ihrer praktischen Bedeutung und Sinnhaftigkeit ohnedies
fragwürdigen Präambel. Vielmehr ist hier zunächst an das Verhältnis zwischen
Staat und Kirche zu denken, an dem nach Ansicht des KAV Wien nichts
Grundsätzliches verändert werden sollte. Ein weiterer wichtiger Punkt ist das
Grundrecht der Glaubens- und Gewissensfreiheit, das derzeit in einem
Verfassungsgesetz aus 1867 kodifiziert ist, weshalb zu überlegen ist, ob die
Formulierung dieses Grundrechtes heute noch zeitgemäß ist. Auch bei vielen anderen Grundrechten ist zu
bedenken, dass der Staat mit ihnen eine Wertung gesellschaftlicher Entwicklungen
vornimmt, bei denen katholische Intellektuelle keine neutrale Position
einnehmen können. Dies bezieht sich sowohl auf die klassischen liberalen
Grundrechte als auch auf einen allfällig neu zu schaffenden Katalog sozialer
Grundrechte. Aufgabe christlicher Interessensgruppen wie des KAV Wien muss es
sein, dafür Sorge zu tragen, dass dieser Wertekatalog in Übereinstimmung mit
den Grundsätzen des Christentums gebracht werden kann. Beispiele hierfür wären
etwa die Sorge für die Schwächsten in unserer Gesellschaft, wie insbesondere
Kinder, Alte, Kranke, Behinderte und Arme, ferner der Schutz der Familie, sowie
die Beseitigung jeglicher Form von Diskriminierung von Menschen nach
Geschlecht, Rasse, Klasse, Stand oder
Religion.
Jean-Monnet-Prof. Hon.Prof. Dr. Heinrich
Neisser
Bundesminister a.D., Zweiter Nationalratspräsident a.D.
Institut für Politikwissenschaft der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck
1. Verfassungsrevisionen sind Prozesse, die strukturelle Änderungen im politischen System anstreben. Sie müssen zunächst Änderungsnotwendigkeiten und Änderungsmöglichkeiten feststellen. Verfassungsrevision ist ein politischer Diskurs, der auch dem Bürger die konstitutionellen Grundfragen transparent machen soll.
2. In der 2. Republik ist die Verfassung durch zahlreiche Veränderungen weiter entwickelt worden, die die Unübersichtlichkeit des Verfassungssystems verstärkt haben. Die Bundesverfassung kann vom Bürger nicht als „Grundordnung“ wahrgenommen werden. Ein Verfassungsbewusstsein als Kategorie einer breiten Öffentlichkeit ist daher nicht existent.
3. Alle bisherigen Versuche, die Verfassung einer tiefer gehenden Reform zu unterziehen, blieben erfolglos (z.B. Grundrechtsreform). Das politische Umfeld für einen solchen Dialog ist nicht so sehr durch eine Heterogenität der Interessen bestimmt, als vielmehr durch eine eigenartige verfassungspolitische Lethargie. Es fehlt die Bereitschaft, über Grundsatzfragen nachzudenken und zu diskutieren.
4. Die Atmosphäre einer Verfassungsrevision muss durch einen breit angelegten Diskurs mit der Zivilgesellschaft geschaffen werden. Diese Debatte kann nicht flächendeckend, d.h. unter Einbeziehung aller Themen, begonnen werden. Ein Katalog müsste Kernfragen des Reformprozesses formulieren, wie etwa Grundrechte und Grundpflichten, Partizipationsmöglichkeiten in einer modernen Demokratie, Sinnhaftigkeit fördernder Ordnungsprinzipien und dgl.
5. Eine Revisionsdebatte ist auf folgende Effekte auszurichten:
Legitimationseffekte: die Verfassungsordnung wird in einer neuen Weise legitimiert.
Identitätseffekte: die Bürger/Innen gewinnen eine emotionale Beziehung zu „ihrer“ Grundordnung.
Sensibilisierungseffekt: die Empfindlichkeit für Verfassungsfragen wird gesteigert.
Politisierungseffekte: der Verfassungsdiskurs soll politisches Interesse und die Bereitschaft, sich an politischen Debatten zu beteiligen, steigern.
6. Die Neuordnung der Konstitution ist ein gemeinsames Anliegen des Parlamentes. Ein Revisionsprozess sollte daher beim Parlament angesiedelt und von diesem hauptverantwortlich organisiert werden. Dabei ist auch die Öffentlichkeit des Reformdialoges sicherzustellen.
ao. Univ.-Prof. Dr. Martin F. Polaschek
Institut für Österreichische Rechtsgeschichte und Europäische Rechtsentwicklung
Vizerektor der Karl-Franzens-Universiät Graz
Die „Geburtsurkunde“ unseres Staates ist das B-VG 1920. Aufbauend auf die Verfassungs- und Staatstradition der Habsburgermonarchie und geprägt durch die wirtschaftliche und politische Krise nach dem Ende des Ersten Weltkrieges und den Zerfall der Monarchie war es ein klassischer Kompromiss.
Die diametral entgegen gesetzten Staatsvorstellungen des linken und des bürgerlichen Lagers mündeten in einer Konstitution, die von Anfang einer Reformdiskussion ausgesetzt wurde.
Die beiden Novellen der Jahre 1925 und 1929 konnten nur zum Teil eine Verbesserung bewirken. Insbesondere die Ereignisse der Jahre 1933 und 1934 führten zu einem massiven Verlust des Ansehens der Verfassung wie des Rechtsstaates im Allgemeinen.
Nach dem Ende der NS-Herrschaft kehrte man zum Verfassungsmodell der Ersten Republik zurück, zahlreiche offene Fragen blieben aber ungelöst und wurden durch den Proporz der großen Koalition überlagert.
Wie wenig die Verfassungstradition und der Respekt vor der Verfassung in Österreich ausgeprägt ist, zeigte sich insbesondere in den 90er Jahren im Missbrauch des Verfassungsrechts zur Sanierung einfachgesetzlicher Fehler.
Durch den EU-Beitritt erlangte die Reformdiskussion eine neue Dimension, verstärkt durch den Einsparungsdruck der folgenden Jahre.
Durch den Österreichkonvent besteht erstmals die Möglichkeit, eine große und öffentliche Debatte über die Verfassung zu führen und diese schlussendlich auch (erstmals) durch einen Volksentscheid zu sanktionieren.
o. Univ.-Prof. Dr. Dr. h.c. Karl Korinek
Präsident des Verfassungsgerichtshofes
Mitglied des Österreich-Konvents
I. Einleitung
II. Die
Zielsetzung der Verfassungsbereinigung
1. Die Ausgangssituation: Zersplitterung, Unübersichtlichkeit und Kasuistik
des Bundesverfassungsrechts
2. Das Ziel: Eine überschaubare Verfassung mit klarer Struktur
3. Mittel zur Zielerreichung: Inkorporation und Ent-Konstitutionalisierung
III. Das
Design einer neuen Verfassung
1. Das Konzept des „relativen Inkorporationsgebotes“
2. Das formale Verfassungsrecht:
Verfassungsurkunde – Verfassungstrabanten – Verfassungsbegleitgesetz
3. Verfassungsausführungsgesetze (2/3-Gesetze)
4. Die (neue) Idee eines Kompetenzzuordnungsgesetzes
IV. Die
Vorgangsweise bei der Verfassungsbereinigung
1. Die Aufbereitung des geltenden Rechts
2. Zuordnung zu verschiedenen Typen von Verfassungsrecht
3.
Bereinigungsstrategien:
Einbau in die Urkunde – Einbeziehung in
generelle
Regelungen – obsolete Verfassungsbestimmungen – Vorschläge
zur
Aufhebung – Vorschläge zur Entkleidung des Verfassungsrangs
V. Realisierungschancen
Podiumsdiskussion:
Mit der Schaffung des Österreich-Konvents war auch das Bemühen der Politik erkennbar, die Verfassungsdiskussion in die Öffentlichkeit zu bringen und transparent zu gestalten. Blickt man auf die breite Berichterstattung in den Medien, scheint dieses Konzept auch aufzugehen. Wie aber werden die Diskussionen in der Öffentlichkeit aufgenommen? Werden die von den Verfassungsjuristen aufgezeigten Probleme von Nichtjuristen überhaupt wahrgenommen? Welchen Stellenwert hat die Verfassung überhaupt heute noch? Diesen und anderen Fragen soll im Rahmen einer Podiumsdiskussion unter Journalisten nachgegangen werden.
Teilnehmer:
Mag.
Matthias Bernold
Tageszeitung „Wiener Zeitung“
Dr.
Gerhard Jelinek
Österreichischer Rundfunk
Mag.
Wolfgang Machreich
Wochenzeitung „Die Furche“
Moderation:
Dr.
Peter Pawlowsky
Katholischer Akademikerverband der Erzdiözese Wien
SC
Hon.-Prof. Dr. Raoul F. Kneucker
Institut für Praktische Theologie der Universität Wien
Stv. Oberkirchenrat der Evangelischen Kirche A.u.H.B.
Der moderne europäische Staat macht den einzelnen zum Ausgangspunkt und Ziel staatlicher Tätigkeit. Der Mensch ist Mittelpunkt des politischen Systems. Er ist nicht mehr Untertan, er ist Rechtsperson kraft Menschseins. Insbesondere in der Demokratie darf sich der Staat nicht der Menschen und BürgerInnen bemächtigen, vielmehr ermächtigen die BürgerInnen den Staat zu Dienstleistungen. Immer handelt daher der Mensch; er ist für seine Handlungen sich selbst und allein verantwortlich. Er kann sich auf nichts berufen als auf sein Gewissen in freier Entscheidung. Dieses Prinzip, ein Erbe der Philosophie der Aufklärung, ist unverändert die Basis der modernen Verfassungen – obwohl sich der moderne Staat durch gewaltige gesellschaftliche Strukturänderungen und durch neue Formen internationaler Zusammenarbeit, vor allem in den europäischen Integrationsprozessen, grundlegend verändert hat.
„Gott in der Verfassung“ ist eine Floskel, solange sich Menschen in ihren politischen Entscheidungen nicht dadurch bestimmen lassen. Für viele trifft dies zu; viele lassen sich aus anderen Quellen motivieren. Und beides garantieren den Menschen und BürgerInnen in einem pluralistischen, demokratischen Staat die Grund- und Menschenrechte. In der Verfassung Gott anzurufen oder zu bekennen, erscheint vielen angemessen, ist aber nur den Bekennenden möglich, und nicht den Vertretern von Religionen ohne monotheistischen Gottesbegriff, den Agnostikern und Atheisten. Sollten übrigens Christen nicht mit ihren jüdischen MitbürgerInnen das 2. Gebot bedenken? Sind wir gefeit, Gott als Leerformel, als „Dekorationsstück“ (Kardinal Ch. Schönborn) oder als „Joker für ungelöste Sinnfragen“ (OKR M. Bünker) einzusetzen?
Die christlichen Krchen meinten in der gemeinsamen Stellungnahme vor dem Österreich-Konvent im November 2003, es sei bei einer dringend notwendigen Erneuerung der österreichischen Bundesverfassung zunächst einzufordern die Festlegung von Grundwerten (wie z.B. Menschenwürde), der Ausbau der Grundrechte, gerade der sozialen Grundrechte, und Klärung der Staatsziele (z.B. Sicherheit, Friede, Daseinsvorsoge, Bildung), die über die bisherigen Staatsformbestimmungen und unsystematischen, z.T. tagespolitischen Ergänzungen hinausgehen; erst dann soll über eine Präambel (mit oder ohne Gottesbezug) nachgedacht werden. Eine Präambel, die rechtlich nicht verbindlich wäre, könnte auch die Defizite einer Verfassung, wie sie die Kirchen feststellen, nicht wettmachen.
o. Univ.-Prof. Dr. Theo Öhlinger
Vorstand des Instituts für Staats- und Verwaltungsrecht der Universität Wien
Mitglied des Österreich-Konvents
1. Der Beitritt Österreichs zur EU hat eine neue Ebene der Erfüllung öffentlicher Aufgaben geschaffen und dadurch die bundesstaatliche Aufgabenverteilung in Österreich massiv verändert. Die Notwendigkeit, die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern an diese neue Gegebenheit anzupassen, wurde schon vor dem EU-Beitritt erkannt und unter dem Stichwort „Bundesstaatsreform“ in Angriff genommen. Das Scheitern dieses Projekts bildet einen der Gründe für den Österreich-Konvent. Der Erfolg des Konvents wird gerade auch an den Fortschritten in der Lösung dieser Problematik zu messen sein.
2. In der Organisation des Konvents wurde die Thematik einer neuen Aufgabenverteilung auf mehrere Ausschüsse aufgeteilt: Thema des Ausschusses 5 ist die Verteilung der Gesetzgebungskompetenzen zwischen dem Bund und den Ländern. Die Frage der Vollziehungskompetenz wurde im Ausschuss 6 beraten. Dazu kommt das Thema „Finanzverfassung“ des Ausschusses 10.
3. Im Ausschuss 5 war man sich sehr rasch über wesentliche Mängel der geltenden Kompetenzverteilung einig: Sie ist zum einen zu kasuistisch (kleinteilig), zum anderen zu starr. Der Ausschuss hat eine neue Terminologie der Kompetenzverteilung erarbeitet, die die Tatbestände der geltenden Kompetenzverteilung (Art 10–15 B-VG, sonstige Kompetenzregelungen im B-VG selbst sowie rund 60 außerhalb des B-VG normierte [Gesetzgebungs-]Kompetenzregelungen) zu größeren Sachbereichen zusammenfasst. In diesem Punkt wurde ein relativ hohes Maß an Konsens erzielt. Strittig blieb freilich in vielen Fällen die Zuteilung dieser „Kompetenzfelder“ an den Bund oder die Länder.
4. Eine Flexibilisierung der Kompetenzverteilung soll durch die Einführung eines neuen Typus „gemeinschaftlicher“ (konkurrierender) Kompetenzen erreicht werden (sog. „dritte Säule“). Während darüber im Grundsatz sehr rasch ein breiter Konsens erzielt wurde, blieb nicht nur die Zuordnung bestimmter „Kompetenzfelder“ zu dieser „Säule“, sondern vor allem auch die Struktur dieses Kompetenzverteilungstypus bis zuletzt strittig.
5. Konsens herrschte im Ausschuss 5 weitgehend darüber, dass auch die ausschließlichen Landesgesetzgebungskompetenzen – so wie jene des Bundes – taxativ aufgezählt werden sollen und die Generalklausel in den Bereich der „dritten Säule“ ausgesiedelt werden soll.
6. Die Umsetzung von Gemeinschaftsrecht soll sich – nach einer überwiegenden Mehrheitsmeinung im Ausschuss 5 – auch in Zukunft nach der innerstaatlichen Kompetenzverteilung richten.
7. Eine grundsätzliche, wenngleich äußerst problematische Vorentscheidung scheint im Ausschuss 6 getroffen worden zu sein: die mittelbare Bundesverwaltung soll im Wesentlichen beibehalten werden. Damit würde der Konvent hinter ein Ergebnis zurückfallen, über das bereits in der „Bundesstaatsreform“ der neunziger Jahre Konsens erzielt worden war. Damit erscheint aber auch eine sinnvolle Weiterentwicklung des bundesstaatlichen Systems in Richtung einer Zentralisierung der Gesetzgebungskompetenzen bei gleichzeitig größeren Gestaltungsspielräumen der Länder in der Vollziehung versperrt.
8. Die „Privatwirtschaftsverwaltung“ von Bund und Ländern soll – so jedenfalls der Konsens im Ausschuss 5 – auch in Zukunft kompetenzrechtlich nicht eingeschränkt werden.
9. Abschließende Bewertung: Speziell im Ausschuss 5 wurden Grundlagen für eine neue Konzeption der Kompetenzverteilung erarbeitet. Die Umsetzung dieser Grundlagen in Verfassungsrecht bleibt aber eine hochpolitische Aufgabe, deren Bewältigung zweifellos schwierig ist.
ao. Univ.-Prof. Dr. Clemens Jabloner
Präsident des Verwaltungsgerichtshofes
Mitglied des Österreich-Konvents
Zurzeit kann noch nicht gesagt werden, wie der Österreich-Konvent ausgehen wird. Zwar braucht Österreich keine neue Verfassung, doch wurde bei den monatelangen Beratungen ausreichend Konsens für eine große Novelle gefunden. Dazu hat vor allem der Rechtsschutzausschuss des Konvents beigetragen. Freilich blieben auch hier wichtige Punkte ohne greifbares Ergebnis.
Der Haupterfolg liegt in einem einträchtigen Modell über die Einrichtung einer echten Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Stufe: neun Verwaltungsgerichte in den Ländern, ein Verwaltungsgericht des Bundes, Entscheidung in der Sache selbst als Grundsatz, Entlastung des VwGH, das sind die wesentlichen Elemente.
Die damit in einem gewissen Zusammenhang stehende Frage nach dem Verhältnis der Höchstgerichte zueinander konnte nicht einhellig beantwortet werden. Überwiegend wurde die Meinung vertreten, an der Gleichrangigkeit der Höchstgerichte sollte nicht gerüttelt werden, die neuen Verwaltungsgerichte sollten an die Stelle der obersten Verwaltungsinstanzen treten, mit dem bisherigen System der Sukzessivbeschwerde. Zugleich sollte ein neues Instrument geschaffen werden, damit der Einzelne leichter die verfassungsgerichtliche Gesetzesprüfung in Gang setzen kann (Gesetzesbeschwerde). Daneben wurde die Meinung vertreten, die Sonderverwaltungsgerichtsbarkeit des VfGH sollte aufgelassen werden, „dafür“ aber sollten die Entscheidungen des VwGH, aber auch des OGH beim VfGH bekämpfbar sein (Verfassungsbeschwerde). Damit würde freilich sehr tief – und nach Auffassung des Vortragenden in nachteiliger Weise – in die Struktur der österreichischen Rechtsordnung eingegriffen werden.
Offen blieben wichtige Strukturfragen der ordentlichen Gerichtsbarkeit: So konnte zwar Einigung über eine verfassungsrechtliche Bestandsgarantie der Staatsanwälte gefunden werden. Ob es aber bei der bisherigen Weisungsbindung gegenüber dem Justizminister bleiben sollte, oder alternative Modelle – etwa ein unabhängiger „Bundesstaatsanwalt“ – anzustreben wären, blieb offen. Durch den Zuwachs der Befugnisse der Staatsanwälte wird dieses Problem freilich virulent.
In Schwebe blieb auch der Wunsch der Richter der ordentlichen Gerichtsbarkeit nach einer stärkeren Unabhängigkeit ihrer Justizverwaltung. Während ein Justizrat im Sinne eines richterlich-parlamentarischen Mischorgans auf wenig Zustimmung stieß, gibt es Ansätze für eine Weiterentwicklung der Stellung der Gerichtspräsidenten.
Podiumsdiskussion:
Die sozialen Grundrechte erscheinen als der „gordische Knoten“ in der Verfassungsdiskussion; kaum ein anderer Themenkomplex wird mit einer vergleichbaren Heftigkeit diskutiert. Geht es doch bei der Kodifizierung sozialer Grundrechte wie etwa dem Recht auf Bildung, auf Gesundheit, auf soziale Sicherheit, auf Wohnung oder auf Arbeit direkt um die Frage, von welchen Wertvorstellungen unsere Verfassung geprägt sein soll. Eine besondere Problematik bildet auch die Frage der Durchsetzbarkeit sozialer Grundrechte. Die Podiumsdiskussion wird diesen Themenkomplex sowohl aus sozialethischer wie aus sozialrechtlicher Sicht behandeln.
Teilnehmer:
Ass.-Prof. Dr. Brigitte Gutknecht
Institut für Staats- und Verwaltungsrecht der Universität Wien
Dr. Herbert Kohlmaier
Volksanwalt i.R.
Univ.-Prof. Dr. Bernd Marin
Europäisches Zentrum für Wohlfahrtspolitik und Sozialforschung
Univ.-Prof. Dr. Wolfgang Mazal
Institut für Arbeits- und Sozialrecht der Universität Wien
Univ.-Prof. Dr. Leopold Neuhold
Institut für Ethik und Gesellschaftslehre der Karl-Franzens-Universität Graz
Moderation:
Dr.
Christa Buzzi
Präsidentin der Katholischen Aktion der Erzdiözese Wien