Titel: Bürgerkonvent: Stadt, Land und Staat am Prüfstand
"Stadt – Land – Staat: Wer übernimmt
wofür die Verantwortung in der Gemeinschaft?" lautete der Titel des
zweiten Bürgerplenums der Plattform für offenen Politik, das in Kooperation mit
dem Management Club am Dienstag, den 30. März 2004, im Forum Mozartplatz
stattfand. Diskutanten waren Mag. Anna Maria Hochhauser,
Generalsekretär-Stellvertreterin der WKÖ, Dr. Jürgen Frieberger, Vertretung der
Europäischen Kommission in Österreich, DDr. Karl Lengheimer, Landtagsdirektor
des Landes Niederösterreich, Volksanwalt Dr. Peter Kostelka und Plattform-Sprecher
Mag. Walter Marschitz.
Zwtl: Marschitz: Wer braucht die Gesetzgebung der Länder?
Plattform-Sprecher Walter Marschitz verwies darauf, dass der EU-Beitritt
Österreichs im Jahr 1995 nicht ohne Konsequenzen bleiben könne. Die eigentlich
notwendig gewesene Verfassungsreform werde erst heute, mit zehnjähriger
Verspätung diskutiert, kritisierte er. Neben der EU brauche es nur eine weitere
Gesetzgebungsebene, nämlich die Bundesebene. Die Frage sei, ob man die
Gesetzgebung der Länder überhaupt noch brauche. Als Substitut böten sich
Bundesgesetze an, welche notwendige regionale Differenzierungen treffen
sollten. Der Verwaltung solle generell mehr Spielraum gegeben werden, das
Legalitätsprinzip sollte zugunsten eines größeren Verwaltungsspielraumes
zurückgedrängt werden, forderte der Plattform-Sprecher. Marschitz gab auch zu
bedenken, dass viele Aufgaben auf Gemeindeebene „nicht gut aufgehoben“ seien.
Die Bezirke wären zwar vernünftige Verwaltungseinheiten, lägen aber
„demokratiepolitisch im Graubereich.“
Als weitere Herausforderung sprach Marschitz die staatlichen Kompetenzen
an: „Der Staat macht zuviel selbst. Er muss keine Kindergärten und
Seniorenheime betreiben, aber er soll die Spielregeln fair und gut ordnen. Es
geht nicht um Deregulierung, sondern um die Stärkung richtiger Regelungen.“
Zwtl: Kostelka: Jetzt geht es um die Machtfrage
Volksanwalt Peter Kostelka erklärte, aus seiner Sicht gehe es nicht
darum, mit der Verfassungsreform der EU eine Reverenz zu erweisen. Die
österreichische Bundesverfassung sei vielmehr die älteste Verfassung Europas
und deshalb reformbedürftig. Er kritisierte, dass in Österreich nach wie vor
die „Diskussion des 19. Jahrhunderts geführt wird“, welche die Existenz eines
Bundestaates an den Anteil der Länder an der Gesetzgebung binde. Der Bürger
könne sich nur dann als europäischer Bürger fühlen, wenn „er überall die selben
Rechte hat und einen ähnlichen Weg der Rechtsdurchsetzung findet.“ Der Konvent
befinde sich erst am Beginn einer Diskussionsphase. In vielen Bereichen sei
„nicht anderes geschehen, als die Themen der letzten 80 Jahre in noch nie da
gewesener Klarheit aneinander zu reihen“. Nun stelle sich die Machtfrage –
seien die Länder bereit, historische Positionen aufzugeben? Er erkenne
jedenfalls eine „positive Weiterentwicklung“, bilanzierte Kostelka. Die
Diskussion, ob man die Bundesländer brauche oder nicht, sei müßig: „Wir haben
sie – und eine Verfassungsreform, die daran vorübergeht, ist zum Scheitern
verurteilt.“
Zwtl: Lengheimer: Dank an Plattform
Der niederösterreichische Landtagsdirektor Karl Lengheimer bedankte sich
bei der Plattform für offene Politik für den Bürgerkonvent: „Es ist ein Problem
des Konvents, dass wir zuwenig Bürgerkontakt haben, wenn nicht solche
Initiativen gesetzt werden.“ Es sei allerdings positiv, dass im Konvent
Experten und Spitzenpolitiker zusammensäßen. Nur das garantiere auch den
Erfolg. Für ihn gehe es nicht darum, staatliche Ebenen zu streichen; es gehe
darum, Gesetze zu streichen. Lengheimer verwies darauf, dass die Normgebung
nicht nur durch EU, Bund, Land und Gemeinden, sondern auch durch die
Selbstverwaltungskörper erfolge.
Unabhängig von der Regierungszusammensetzung sei die Bundesgesetzgebung
immer schlechter geworden, es gebe eine zu starke Regelungsdichte auf allen
Ebenen, kritisierte er. Dies werde nicht besser, wenn man alles auf einer Ebene
– nämlich der Bundesebene – konzentriere. Lengheimer räumte jedoch ein, „dass
es auch im Bereich der Länder Sachen gibt, die es nicht geben muss.“ Er
unterstrich die Geschichte Österreichs und die Bedeutung der Bundesländer. „Ich
bin für eine Abänderung des Legalitätsprinzips. Wir brauchen einen Rahmen für
die Verwaltung, damit die Verwaltung frei atmen kann“, erklärte der
NÖ-Landtagsdirektor.
Zwtl: Hochhauser: Versteinerung brechen
Anna Maria Hochhauser, Generalsekretär-Stellvertreterin der WKÖ, verwies
auf den im Konvent eingebrachten Kompetenzverteilungsvorschlag
(„Säulenmodell“), der sowohl vom Prinzip der Einheitlichkeit des
Wirtschaftraumes wie auch vom Subsidiaritätsprinzip geprägt sei. Neben einer
Säule mit Bundeskompetenzen und einer Säule mit Landeskompetenzen solle es eine
„schmale Säule“ mit Materien geben, wo beide Gesetzgeber die Möglichkeit haben,
Regelungen zu treffen. Diese dritte Säule, mit der man auch das Versteinerungsprinzip
brechen wolle, betreffe vor allem neue Kompetenzen. Hochhauser nannte als
Beispiel die Umsetzung der Datenschutzrichtlinie der EU. Man werde jetzt daran
gehen, diese einzelnen Säulen zu „befüllen“, berichtete Hochhauser als Mitglied
des zuständigen Konventsausschusses.
Zwtl: Frieberger: Interessen effizient durchsetzen
Jürgen Frieberger von der Vertretung der Europäischen Kommission in
Österreich stellte klar, dass die innerstaatliche Verfassung und
Kompetenzverteilung die EU nichts angehe. Er erinnerte daran, dass der
Verfassungsentwurf des EU-Konvents zwischen ausschließlichen Zuständigkeiten
der Union („Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung“), geteilten
Zuständigkeiten und Zuständigkeiten der Mitgliedsstaaten unterscheide. Zudem
hätten die Mitgliedstaaten über die Organe der EU wesentliche
Mitwirkungskompetenz am europäischen Geschehen. Um diese Chance nützen zu
können, so Frieberger, seien freilich effiziente Entscheidungsabläufe wichtig:
„Es gibt nichts Blöderes, als wenn Sie in einer Verhandlung sitzen, jemand
einen Vorschlag macht und Sie dazu keine Position haben.“
Zwtl: Publikumsdiskussion: Mehr Flexibilität für den einfachen
Gesetzgeber
In der Publikumsdiskussion unterstrich Plattform-Sprecher Walter
Marschitz, dass es zwar gute Gründe für den Ideenwettbewerb auf Länderebene
gebe. Regelungen, die nicht spezifisch seien, müsse man aber nicht
unterschiedlich treffen oder gleich neunmal normieren. Zur „dritten Säule“ in
der Frage der Kompetenzverteilung äußerte sich Marschitz kritisch. Hochhauser betonte, wie wichtig aus
Sicht der Wirtschaft das Ende von in der Verfassung vorgegeben
Parallelstrukturen sei. Auch könne man sich Wettbewerbsverzerrungen durch
unterschiedliche Landesbestimmungen nicht leisten. Zehn Prozent der staatlichen
Ausgaben ließen sich einsparen, sagte sie. Volksanwalt Peter Kostelka
kritisierte die verfassungsrechtliche Blockadepolitik der Großen Koalition. Nun
hätten beide großen Parteien begriffen, dass es im Übergang hin zu flexiblen
Mehrheiten mehr Flexibilität für den einfachen Gesetzgeber brauche, „sonst gibt
es keine Politik.“ Die Politik in Österreich werde sich nicht dadurch
auszeichnen, dass es jederzeit einen Konsens zwischen Links und Rechts gebe,
sondern eine Pendelbewegung, wie dies in allen anderen europäischen Staaten der
Fall sei. Der NÖ Landtagspräsident Karl Lengheimer hob hervor, dass die
Niederösterreicher oder Wien auch künftig nicht darauf verzichten würden, ihre
politischen Organe selbst zu wählen. Wenn Raumordnung und Bauordnung überall
gleich seien, dann werde es im Burgenland gleich aussehen wie in Vorarlberg.
Zur Frage der Einsparung forderte Lengheimer auf, Einsparungen vor allem vom
Bund einzufordern. Hochhauser erinnerte daran, dass die Verfassung nicht für
die Landtage, sondern für die Bürger gemacht werde. Deshalb gehe es darum,
bürgerorientiert zu denken und Doppelgleisigkeiten abzubauen.
Plattform-Sprecher Marschitz betonte, dass es beim Österreich-Konvent nicht
bloß um eine Reform des Bundesverfassungs-Gesetzes, sondern sehr wohl um eine Staatsreform
gehen müsse.