Auftaktveranstaltung des Bürgerkonvents
Unter dem Titel „Die neue Architektur
Österreichs – Verfassung, Zivilgesellschaft und Staatsreform“ eröffnete die
Plattform für offene Politik am 26. Jänner im Wiener Architekturzentrum ihre
Diskussionsreihe zum Verfassungskonvent. Mit dem Publikum diskutierten Angela
ORTHNER, Landtagspräsidentin (Vizepräsidentin des Österreich-Konvents), Heinz
MAYER (Verfassungsrechtler), Christian FRIESL (Industriellenvereinigung) Heinz
PATZELT (amnesty international), Florian ASAMER (Die Presse) und Boris MARTE
(Plattform für offene Politik).
Eine „etwas andere“ Verfassungsdiskussion
startete die Plattform für offene Politik am 26. Jänner mit der
Auftaktveranstaltung zu ihrem „Bürgerkonvent“. Der Grund für die Initiative der
liberal-bürgerlichen Plattform: „Wichtig ist nicht nur die Verfassung, sondern
auch der Prozess, wie sie zustande kommt. Hier sehen wir Defizite, denn der
Österreich-Konvent ist vor allem eine juristische Diskussion - mit vielen
angesehenen Persönlichkeiten, aber auch mit Lobbyisten des Status quo. Die
Zivilgesellschaft ist dabei nicht berücksichtigt“, argumentierte
Plattform-Sprecher Feri Thierry bei der Eröffnung des „Bürgerkonvents“, der
sich als „Ergänzung“ des Österreich-Konvents versteht. Die Kernanliegen der
Plattform in der Verfassungsdiskussion seien „moderne Grundrechte, schlanke
Strukturen und starke Demokratie.“
Neuer Nationalfeiertag
Plattform-Sprecher Boris Marte resümierte, je mehr
man sich über den Konvent kundig mache, desto mehr erfahre man, „dass
eigentlich niemand richtig Bescheid weiß.“ Der Prozess der Verfassungsreform
gehe an den Menschen „völlig vorbei.“ Beim Konvent handle es sich um eine
„geschlossene Gesellschaft“, die bloß eine „Lawine von Überschriften“ nach
außen kommuniziere. Marte: „Der Konvent ist eine einzigartige Chance zu einem
neuen österreichischen Selbstverständnis. Der Konvent hat es verabsäumt, den
Souverän in diesem Prozess zu berücksichtigen.“ Die Plattform verstehe sich mit
ihrem Bürgerkonvent als „Scharnier“ des Konvents nach außen und wolle die
Öffentlichkeit in die Verfassungsdiskussion einbinden. Der Plattformsprecher
regte an, das Datum der Volksabstimmung über die neue Verfassung zum neuen
Nationalfeiertag zu erklären. Martes Kritik am Österreich-Konvent wurde in
einer interaktiven Abstimmung – ein Markenzeichen des Bürgerkonvents – vom
Publikum mit deutlicher Mehrheit geteilt.
Differenziert äußerte sich die Vizepräsidentin des
Konvents und OÖ Landtagspräsidentin Angela Orthner: „Ich verstehe ein wenig den
geäußerten Frust, ein wenig verstehe ich ihn nicht.“ Als Normalbürgerin wüsste
sie wohl auch nicht viel über den Konvent. Sie verwies auf die große
Herausforderung, für den Konvent eine Prozessordnung zu finden. Mittlerweile
gebe es klare Aufgaben für die Arbeitsgruppen, die bis spätestens April ihre
Entwürfe vorlegen würden. Orthner: „Darum ist bis jetzt alles so nebulos und
vieles noch nicht griffig.“ Die gewählte Vorgangsweise sei konsequent und
seriös. Je konkreter die Arbeit werde, desto „haariger“ werde es.
Schlanker, aber breiter Staat
Amnesty International-Generalsekretär Heinz Patzelt
betonte die Bedeutung der Menschenrechte als Schutzrechte gegenüber Staat und
Demokratie. Vor diesem Hintergrund spiele die Organisationsform des Staates
keine wesentliche Rolle. Er wünsche sich jedenfalls einen Staat, der für die
eigenen Strukturen nur soviel Geld nehme wie unbedingt notwendig: „Es geht um
einen schlanken Staat, der breit genug ist, seine Aufgaben zu erfüllen.“ Geld
brauche jedoch der Menschenrechtsschutz. Patzelt sprach sich grundsätzlich für
einen Grundrechtskatalog aus, man solle jedoch nichts verdoppeln. Die EMRK sei
ja bereits in Verfassungsrang. Wenn es einen Grundrechtskatalog gebe, dann
solle dieser soziale Grundrechte, das Recht auf Bildung, Arbeit und Gesundheit
ähnlich absichern wie die Meinungsfreiheit. Als strukturelles Anliegen
formuliert der ai-Generalsekretär die „Befreiung“ des Menschenrechtsbeirates aus
dem Innenministerium.
Nicht zu hohe Erwartungen stellen
Christian Friesl, Leiter der Abteilung
Gesellschaftspolitik in der Industriellenvereinigung, verwies auf das intensive
Engagement der Industrie zum Thema Staatsreform. Die Modernisierung des Staates
sei ein zentrales Anliegen der Industriellenvereinigung. Es gehe um eine
Effektivitätssteigerung der Politik, eine Effizienzsteigerung der Verwaltung
und um enorme Einsparungspotenziale. Die Besetzung des Konvents hätte man sich
auch anders vorstellen können, es handle sich dabei jedenfalls um eine
Besetzung aus dem derzeitigen politischen System. Bis Ende 2004 könnten nicht
alle Probleme Österreichs gelöst werden, warnte Friesl vor zu hohen Erwartungen
an den Konvent: „Dann kann der Konvent nur ein Misserfolg werden, und dann ist
die Verfassungsdebatte über Jahre weg von der Agenda.“ Er rief dazu auf, die
„Gesellschaft als Markt des Staates“ zu sehen. Die Menschen wollten heute
Autonomie und Sicherheit, Leistung und Solidarität. Österreich habe bisher zuviel
auf die Sicherheit gesetzt, es gehe um die Schaffung politischer Freiräume. Der
Konvent könne eine effektive Politik beflügeln. Die Industriellenvereinigung
erwarte sich, dass der Konvent das finanzielle Korsett Österreichs öffne. Bei
einer Staatsausgabenquote von 52%, einer Abgabenquote von 44% und
Bruttoinvestitionen des Staates von 2,2% des BIP werde deutlich, dass es einen
sehr geringen Spielraum für die Wirtschafts- und Sozialpolitik gebe. Dieser
Spielraum könne „durch eine breite Reform des Staates wiedergewonnen werden“,
argumentierte Friesl.
Das Publikum des Bürgerkonvents stimmte nur zu einem
Drittel der Behauptung zu, dass der Konventsprozess mit einer tragfähigen
Reformbasis enden werde.
Strukturen radikal reformieren
Der Verfassungsrechtler Heinz Mayer stellte klar,
dass Österreich seiner Meinung nach keine „ganz neue“ Verfassung brauche. Für
eine Verfassungsreform hätte es keinen Konvent gebraucht, seine Existenz führe
nun aber dazu, dass über die Verfassung diskutiert werde. Mayer kritisierte,
dass der Schwerpunkt der Diskussion bisher auf der Präambel gelegen hätte. „Das
ist das unwichtigste Thema. Eine Präambel ist bisher keinem ernst zu nehmenden
Verfassungsrechtler abgegangen“, sagte er. Dass der Konvent ein „abgehobenes
Leben“ führe, hänge mit dem Bildungssystem zusammen. Man könne heute
promovieren, ohne von der Verfassung etwas wissen zu müssen. Zudem herrschten
falsche Erwartungen über die Leistungsfähigkeit einer Verfassung, kritisierte
er. Mayer wünscht sich vom Konvent eine Neuregelung des Verhältnisses der
Gliedstaaten. Die Ausgabenverantwortung müsse mit der Einnahmenverantwortung
verknüpft werden. „Wenn der Konvent dieses Problem nicht löst, dann ist er
gescheitert“, so der Verfassungsrechtler. Er verstehe allerdings, dass die
Länder auf ihren Kompetenzen beharrten: „Wenn ich Landespolitiker wäre, würde
ich auch nicht anders handeln. Ich würde mich auch nicht wegreformieren.“ Es
müsse weiters gelingen, die Strukturen in der Verwaltung radikal zu
reformieren. Man brauche nicht neun Landesschulräte und auch keinen Bundesrat
in der jetzigen Form. Weiters müsse sich die Verfassung darauf einstellen, dass
mit der Vertiefung der EU zunehmend mehr politische Entscheidungen in Brüssel
getroffen würden.
Die Publikumsfrage, ob der Konvent den
Österreicherinnen und Österreichern egal sei, beantwortete eine überwältigende
Mehrheit mit Ja.
„Presse“-Redakteur Florian Asamer unterstrich, dass
der Konvent das Bild einer Geheimgesellschaft mache. Die Bevölkerung habe bis
jetzt allerdings nichts versäumt, die bisherigen Ergebnisse des Konvents hätten
auf einer A4-Seite Platz, sagte er. Die Proponenten der öffentlichen Diskussion
hätten sich in ihren bekannten Positionen eingebunkert. Sowohl die Diskussion
über „Gott in die Verfassung“ und die Entmachtung des Bundespräsidenten seien
Randthemen. Der Konvent sei eingerichtet worden, um den Staat sparsamer und
effizienter zu machen, sagte Asamer. Die entscheidende Diskussion sei daher,
wie künftig der Föderalismus aussehe.
Landeshauptmann direkt wählen
Konvents-Vizepräsidentin Angela Orthner betonte in
der Diskussion schließlich, dass der Föderalismus Österreich „sehr gut tut,
denn Konkurrenz belebt das Geschäft.“ Wichtig sei nun ein Drei-Säulen-Modell,
in dem geklärt werde, was Bundes-, was Länder- und was geteilte Kompetenzen von
Bund und Ländern seien.
Plattform-Sprecher Boris Marte stellte die
gesetzgebende Kompetenz der Bundesländer in Frage. Der Landeshauptmann könne
direkt gewählt werden. Statt der Landtage reiche eine Landesversammlung. Der
Bundesrat solle in einen Ländersenat umgewandelt werden. Auf diese Weise könne
der Einfluss der Länder auf den Bundesgesetzgeber „klarer und stärker“ werden,
argumentierte Marte.
Staatszielbestimmungen seien ihm ein Gräuel, die
derzeitigen seien nämlich zum „Krenreiben“, sagte ai-Generalsekretär Patzelt.
Zu den Materien, die in die Verfassung sollten, damit sie „nicht ganz so
einfach abänderbar sind“, zählen für ihn das Asylrecht und der unabhängige
öffentliche Rundfunk. Patzelt sprach sich für eine Aufwertung des Parlaments
aus, das derzeit zum „Regierungs-Notar“ verkommen sei.
Positiver Abschluss des ersten Bürgerkonvents: Die
überwiegende Mehrheit der Teilnehmer war der Meinung, dass es nach Abschluss
der Verfassungsdiskussion zu einer Volksabstimmung über eine neue Verfassung
kommt.