Ökonomische Aspekte der Bundesstaatsreform
Helmut
Kramer
April 2004
Ökonomische Aspekte der Bundesstaatsreform
Helmut
Kramer
Studie im Auftrag des Instituts für Föderalismus
April 2004
Inhalt Seite
I. Wirtschafts- und Verfassungsmodelle 1
1. Menschenbild
und Staatsmodelle der Wirtschaftswissenschaft 5
2. Verfassungsgrundsätze
und Wirtschaftsverfassung 8
3. Wirtschaftspolitische
Inhalte von Staatsverfassungen 18
II. Moderne Wirtschaft und Verfassungsreform 24
1. Effekte
der Internationalisierung 24
2. Mitgliedschaft
in der Europäischen Union 28
III. Theorie von Föderalismus und
Subsidiarität aus ökonomischer Sicht 33
1. Theoretische Grundlagen 37
2. Kritische
wissenschaftliche Diskussion 46
a. Fiskalföderalismus
und Systemwettbewerb 47
b. Koordinierungsbedarf
und Koordinierungsgefahren 49
c. Tendenz
zum Kartellföderalismus? 50
d. Zentralisierungshypothesen 53
e. Dynamischer
Föderalismus 54
3. Kriterien für die
Zuordnung von Kompetenzen im föderativen System 55
a. Das
Subsidiaritätsprinzip 56
b. Ökonomische
Tests für die Zuordnung 57
c. Funktionaler
Föderalismus 62
4. Fiskalische Aspekte des
Föderalismus 63
a. Konnexität 66
b. Ausgleich
der wirtschaftlichen Lebensbedingungen 68
5. Checklist für die
Beurteilung der fiskalischen Beziehungen zwischen verschiedenen Ebenen des
Staates 73
a. Zuordnung
der Ausgabenverantwortung 73
b. Prinzipien
der Finanzierung subnationaler Gebietskörperschaften 74
c. Makroökonomische
Politik im dezentralen Staat 75
d. Transparenz
der Information über die Tätigkeit der staatlichen Ebenen 75
IV. Staatsaufbau und Wirtschaftsleistung 77
1. Wirtschaftliche Dynamik 80
2. Umfang der
Staatstätigkeit 83
3. Einkommensdisparitäten 87
4. Tendenz zur
Dezentralisierung 88
V. Neuere Gesichtspunkte der Ökonomie zum
Staatsaufbau 95
1. Differenzierung der
Wirtschaftsstrukturen und Anforderungen an öffentliche Dienste 96
2. Qualitätswettbewerb 97
3. Wegfall nationaler
Grenzen 99
4. Legitimationskrise des
Staates und die Kraft der Identität 100
5. Effekte der
bevorstehenden demographischen Alterung 101
VI. Schlussfolgerungen 103
Ökonomisch
relevante Verfassungsinhalte 103
Ökonomische
Aspekte des Staatsaufbaus 105
Literaturverzeichnis 108
Statistischer
Anhang 115
1. Die ökonomischen
Aspekte von
Staatsverfassungen haben in den neunziger Jahren eine bedeutende Aktualisierung
erfahren. Diese geht besonders auf
den Bedarf an neuen Verfassungen
in den Reformländern Mittel- und Osteuropas und auf das Verfassungsprojekt der
Europäischen Union zurück.
2. Neuere
Verfassunginhalte beziehen sich in Europa vor allem auf das Verhältnis der
nationalen Verfassungen zur Europäischen Union und zur Währungsunion, auf Regeln für die Wahrung des gesamtwirtschaftlichen
Gleichgewichts und für die Staatsverschuldung, sowie auf die Erhaltung der
natürlichen Lebensbedingungen und die Wahrung der Interessen künftiger
Generationen. In Österreich besteht in allen diesen Punkten Reformbedarf.
3. Die Entwicklung
des Europäischen Unionsvertrags hat speziell auch die Befassung der
ökonomischen Wissenschaft mit den Gesichtspunkten des föderativen Staats- bzw.
Unionsaufbaus intensiviert. Neben rein politischen sind dabei auch die
ökonomischen Argumente weiterentwickelt worden.
4. Für föderativen
Staatsaufbau spricht einhellig die Annahme wirtschaftlich vorteilhafter Effekte
konkurrierender Legislativen unterhalb der nationalen (bzw. Unions-)
Ebene. Die Vorzüge dieses Modells
werden in verstärkten Anreizen für Innovation, Sparsamkeit, effizientere
öffentliche Dienste, die mit den Bedürfnissen der jeweiligen Bevölkerung eher
kongruent sind, sowie in verbesserter Information und Kontrolle infolge des
räumlichen (kulturellen) Naheverhältnisses gesehen. Diese Vorzüge können durch
Einschränkungen des Wettbewerbs zwischen den autonomen Gebietskörperschaften
gefährdet werden.
5. Um die Vorzüge des
föderativen Staatsaufbaus auszuschöpfen, müssen mögliche Nachteile vermieden
werden: solche können durch unnötigen Doppelgeleisigkeiten, negative
Kompetenzkonflikte, Koordinierungsmängel zwischen der nationalen und den
regionalen (kommunalen) Ebenen und zwischen diesen, im ungenügenden Ausschöpfen
von wirtschaftlichen Vorteilen
größerer Einheiten (Skalenerträge) , im Ausstrahlen von positiven und
negativen Effekten über die Grenzen der regionalen Einheiten und in der
Vernachlässigung von nationalen Anliegen erblickt werden.
6. Die
Zentralisierung einer Aufgabe ist nicht nur unter Skalengesichtspunkten zu
beurteilen, wenn die regionalen Präferenzstrukturen erhebliche Abweichungen
voneinander haben.
7. Ob die Vorzüge des
föderativen Staatsaufbaus zum Tragen kommen oder nachteilige ökonomische
Effekte entstehen, hängt von der konkreten Ausgestaltung der Verfassung, der
sonstigen rechtlichen Normen und von der sachgerechten Abgrenzung des
räumlichen Geltungsbereichs autonomer Jurisdiktionen ab. Die ökonomische
Theorie kommt somit nicht zu einer überall und jederzeit gültigen Aussage über
die Vorteilhaftigkeit oder Nachteiligkeit föderativen Staatsaufbaus.
8. Auch der Versuch
der empirischen Überprüfung ökonomischer Effekte unterschiedlichern
Staatsaufbaus in der konkreten Wirklichkeit der verschiedenen nationalen
Staaten Europas führt zu nicht sehr robusten Ergebnissen. Insbesondere die
gesamtwirtschaftlichen Leistungsdaten werden auch von anderen Einflüssen als
dem des jeweiligen Staatsaufbaus stark geprägt. Am ehesten lässt sich Evidenz
dafür anführen, das ausgeprägt föderative Staaten einen geringeren
Staatsaufwand und eine geringere Staatsverschuldung aufweisen.
9. Im Gegensatz zu
älteren Hypothesen einer automatischen Zentralisierungstendenz und der neueren
Annahme, dass die internationale Öffnung von Staat und Wirtschaft sowie moderne
Technologien (e-Administration) die Zentralisierung öffentlicher Aufgaben mit
sich brächten, zeigt die empirische Beobachtung seit den sechziger Jahren eine
auffällige und signifikante Tendenz zur dezentralen Wahrnehmung öffentlicher
Aufgaben. Der Anteil der regionalen und kommunalen Gebietskörperschaften an den
staatlichen Aktivitäten nimmt ständig zu. Dies ist sowohl auf die
Dezentralisierung staatlicher Administration, als auch auf die weit verbreitete
Stärkung föderativer Strukturen in einer ganzen Anzahl europäischer Nationen
zurückzuführen. Beispiele für einen wesentlichen Abbau von Föderalismus gibt es
nicht, wenn man von der Zentralisierung übernationaler Aufgaben im Rahmen der
EU absieht. Eine spiegelbildliche Tendenz zur Stärkung dezentraler
Steuerautonomie lässt sich hingegen nicht beobachten, was für den Ausbau von
Finanzausgleichssystemen spricht. In Österreich ist eine Tendenz zur
Dezentralisierung wenn überhaupt besonders schwach ausgeprägt.
10. Der überwiegende
Teil der finanzwissenschaftlichen Theorie führt positive Effekte föderativen
Staatsaufbaus auf wirksame Konkurrenz der konkurrierenden Systeme öffentlicher
Finanzen, vor allem der
Besteuerung zurück. Fiskalischer Föderalismus ist ein starker Anreiz zur
Vermeidung von als unnötig angesehenen Staatsaufwands.
11. Einwände gegen
den fiskalischen Föderalismus kommen aus zwei Richtungen: einerseits entwickle
wirksamer Wettbewerb eine nahezu automatische Tendenz zur Vermeidung desselben
durch Formen der "Kartellierung" zwischen den politischen
Einrichtungen konkurrierender Jurisdiktionen. Die Aufrechterhaltung wirksamen
Wettbewerbs darf daher auch durch an sich notwendige Koordinationseinrichtungen
nicht wesentlich eingeschränkt werden. Der andere Einwand argumentiert im
Gegenteil, dass freier, weitgehend unkoordinierter Wettbewerb, vor allem in
Fragen des Steuersystems zu suboptimaler Erfüllung öffentlicher Anliegen führen
müsse.
12. Die Studie betont
die Notwendigkeit und Vorteilhaftigkeit von zweckmäßigen Einrichtungen zur
Koordinierung zwischen den einzelnen Jurisdiktionen in einem föderativen Staat.
Koordinationseinrichtungen sind nicht von vornherein als Gefährdung der
positiven Effekte zu betrachten. Fiskalischer Wettbewerb andererseits kann
tatsächlich wirtschaftlich und sozial bedenkliche Einbußen an öffentlichen
Zielsetzungen mit sich bringen. Innerstaatliche Verlagerungsströme des Wohn-
und der Unternehmenssitzes hauptsächlich infolge steuerlicher Anreize sind sehr
bedenklich.
13. Die Studie
schlägt stattdessen vor, den Wettbewerb im föderativen System vermehrt auf
qualitative Kriterien zu stützen. Die Ökonomie kennt auch das Modell des
Nicht-Preis-Wettbewerbs, bei dem es um qualitative Merkmale öffentlicher
Dienste (rasche Erledigung, gute Informationsanbote, konsequente Planungs- und
Entscheidungsunterlagen, Bürgernähe, Flexibilität u.a.) geht. Dazu müssen die
Informationen über qualitative Merkmale ausgebaut und regelmäßig veröffentlicht
und verglichen werden.
14. Sinnvolle
Steuerautonomie und daher auch Steuerwettbewerb auf der Ebene der
regionalen Rechtssetzung ist
dennoch nicht auszuschließen. Sein eigentliches Gebiet ist die Steuergestaltung
bei Abgaben auf Immobilien, bei Beiträgen und Gebühren auf individuell gut
zurechenbare öffentliche Leistungen (Äquivalenz), sowie bei der Finanzierung
von regionalen Ambitionen über die national einheitlichen Standards hinaus.
15. Die Theorie und
ihr folgend auch der Vertrag über die Europäische Union geben dem
Subsidiaritätsprinzip öffentlicher Aufgabenerfüllung den Vorrang auch aus
wirtschaftlichen Gründen. Freilich lässt dieses Kompetenzverschiebungen in
beide Richtungen – auch nach oben – zu, wenn sich die Skalenökonomie (optimale
Größenordnung einer öffentlichen Einrichtung) oder die Präferenzstrukturen der
Bevölkerung ändern. Es genügt auch nicht für die sachliche Kompetenzabgrenzung,
sondern muss durch einen expliziten und relativ feinmaschigen Kompetenzkatalog
untermauert werden.
16. Die Kriterien,
die die ökonomische Theorie für die Zuordnung sachlicher Aufgabenbereiche
entwickelt hat, liefern nur einen sehr grobmaschigen Raster. Klar ist, dass es
für eine Vielzahl öffentlicher Aufgaben wirtschaftliche Mindestgrößen
(Skalengrößen) gibt, die tunlichst zu beachten sind. Dies gilt sowohl für die
regionale, als auch insbesondere die kommunale Ebene durch gemeinsame
(ausgelagerte) Einrichtungen oder
Gemeindeverbände für bestimmte Aufgaben.
17. In der modernen
Wirklichkeit insbesondere im Rahmen der Europäischen Union werden einzelne
große Aufgabenbereiche des Staates nur ausnahmsweise gänzlich einer Ebene
zugeordnet werden können. Vielmehr wird eine abgestufte Rechtssetzung der
Regelfall sein, bei welchem die höheren Ebenen (EU, nationaler Staat) die
Grundsätze der politischen Ziele und Aufgabenerfüllung, Koordinierung und
wechselseitigen Anerkennung regeln, die unteren Ebenen (nationaler Staat,
Einheiten im föderalen System) die den jeweiligen Verhältnissen am besten
entsprechende Konkretisierung und Durchführung.
18. Wesentlich zur
Vermeidung von wirtschaftlicher Ineffizienz ist die kongruente Ausgestaltung
von Regelungs-, Durchführungs- und Finanzierungsverantwortung. Dies gilt auch,
wenn eine abgestufte Rechtssetzung als Regelfall angenommen werden kann. Die
Konnexität zwischen Gesetzgebung, Durchführung und Finanzierung kann nicht nur
durch Ausbau der Steuerautonomie Rechnung getragen werden, sondern auch
Reorganisation der Entscheidungs- und Koordinierungsverfahren sowie durch einen
auf sachliche Kriterien gestützten Finanzausgleich.
19. Die unter
Umständen wettbewerbsmindernden Wirkungen des Finanzausgleichs können begrenzt
werden, wenn die Finanzverfassung "objektivierbare", kalkulierbare
Kriterien für das Ausmaß der Finanzausgleichsströme vorsieht.
20. Über den
etablierten Bestand an theoretischen Argumenten für den optimalen Aufbau eines
Staatswesens hinaus betont die Studie fünf neuere Gesichtspunkte zugunsten der
Stärkung eines föderativen Systems:
Der Geist der Verfassungen und das Wesen der
Wirtschaft könnten nicht gegensätzlicher sein. Hier die möglichst
unabänderliche Festschreibung, was Recht ist, Bindung der politischen Kräfte
und Ausgleich der Interessen, da individuelle Initiative, Wettbewerb und
Veränderung als Prinzip.
Dennoch wäre es weit gefehlt daraus zu schließen, dass
beide gesellschaftlichen Phänomene voneinander unabhängig gesehen werden
können. Die Dynamik der Wirtschaft benötigt einen verlässlichen Ordnungsrahmen,
mit dem sie rechnen kann. Und sie bedarf eines Schutzes vor der Willkür
politischer Einflussnahme, um ihre produktiven Kräfte voll zu entfalten. "Not only do
political forces hold the potential to destroy a fragile, nascent economic
system, but their prospect deters the economic activity necessary for economic
growth". (Weingast, 1995,
p.2).
Umgekehrt können Verfassungen wertloses Papier bleiben
oder werden, wenn ein Staatswesen seine Aufgaben verfehlt, die Zustimmung der
Bevölkerung verliert, weil die Wirtschaft keine ausreichende materielle Basis
zu schaffen vermag.
Explizit oder implizit gehen Staatsverfassungen immer
von Vorstellungen über das Funktionieren des Wirtschaftssystems aus. Sie enthalten
Grundsätze und Regeln, denen die wirtschaftlichen Prozesse unmittelbar
unterliegen, und institutionelle Normen darüber, wie staatliche Eingriffe in
das Wirtschaftsleben erfolgen dürfen, können oder müssen.
Die Verfassungen unterscheidet sich international
erheblich: am augenfälligsten bei der Formulierung von wirtschaftlich
relevanten Zielvorstellungen des Staates, die auch vollständig unterbleiben
kann, und bei der Zuordnung von Kompetenzen an die verschiedenen staatlichen
Institutionen. Die Unterschiede mögen auf nationale Traditionen zurückgehen,
sie weisen jedoch auch auf die unterschiedliche Entstehungsepoche einer
Verfassung hin.
In den letzten Jahrzehnten war der Wandel des
Wirtschaftslebens und jener der wirtschaftspolitischen Vorstellungen, gerade
auch gegen Ende des 20. Jahrhunderts, sehr rasch und tiefgreifend. Ausreichende
Anpassungen der geschriebenen Verfasssungen an die veränderte Umgebung sind in
vielen Staaten noch nicht vollzogen. Sie stehen aber an, soll die aus früheren
Zeiten und vor dem Hintergrund ganz anderer wirtschaftlicher Verhältnisse
entstandene Verfassung nicht überdehnt oder die küntigen Potentiale der
Volkswirtschaft nicht behindert werden.
Das gilt auch für Österreich. Natürlich sind
wirtschaftliche Gesichtspunkte weder der einzige, noch vielleicht der
wichtigste Anlass für Reformüberlegungen zur österreichischen Verfassung.
Immerhin geht diese in ihrem wesentlichen Kern und in ihrer institutionellen
Struktur auf das Jahr 1920 zurück. Und auch wenn seither viele Verfassungsartikel
gestrichen, verändert oder hinzugefügt wurden, auch solche, welche fundamentale
Aspekte der Wirtschaftspolitik betreffen, scheint eine systematische
Überprüfung des Verfassungsbestandes unter dem Gesichtspunkt der schon
erfolgten Veränderungen, den neuen Problemstellungen und absehbaren
Entwicklungen in der Zukunft, dringlich.
Dies wird besonders deutlich, wenn man an die
Situation seit dem Beitritt Österreichs zur Europäischen Union (1995) denkt,
deren Zuständigkeiten und Politik sehr unmittelbar in die Wirtschaftspolitik
und die Wirtschaft dieses Landes eingreifen. Der Rechtsbestand der EU ist
österreichisches Recht, ohne dass das zentrale österreichische
Verfassungsdokument bisher diesem Umstand systematisch und organisch Rechnung
getragen hätte. Es sei vorweggenommen, dass durch die Übernahme des
europäischen Rechtsbestandes einige der später zu diskutierenden Lücken im
Torso der österreichischen Wirtschaftsverfassung geschlossen wurden, ohne dass
diese europäischen Normen formell in den Korpus des BVG integriert worden
wären.
Das Verhältnis zur europäischen politischen Ebene ist
nur ein besonders augenfälliger Hinweis auf Reformbedarf in der
Bundesverfassung. Wenn man aber bedenkt, welche Veränderungen seit dem Ende des
Ersten Weltkriegs in der Abgrenzung staatlicher Aufgaben, im Sozialsystem, in
der Technologie und den gesellschaftlichen wie individuellen Verhaltensweisen,
im wirtschaftlichen Entwicklungsniveau und in der weltweiten Umgebung
eingetreten sind, liegt die Vermutung nahe, dass Veränderungen von dieser
Tragweite unbedingt einen Niederschlag in der Verfassung finden müssen. Dazu
kommen noch die Entwicklungen der politischen Doktrinen und der
wissenschaftlichen Erkenntnisse über das Funktionieren des Staates und der
Wirtschaft.
In den nahezu neun Jahrzehnten seit der Entstehung der
geltenden österreichischen Bundesverfassung ist in der Nachbarschaft
Österreichs das Experiment der kommunistischen Planwirtschaft spektakulär
gescheitert, sind ständestaatliche Vorstellungen, Faschismus und nationalsozialistische
Diktatur überwunden worden, ist die soziale Sicherheit vollständig entfaltet
worden und hat sich die materielle Versorgung des Durchschnitts der Bevölkerung
mit wirtschaftlichen Gütern und privaten wie öffentlichen Dienstleistungen auf
das annähernd Neunfache vermehrt.
Seit damals haben gerade auch österreichische Denker
zu fundamentalen Vorstellungen über das Verhältnis von Staat und Wirtschaft
Wesentliches beigetragen: Friedrich August von Hayek, Ludwig von Mises oder
Joseph Alois Schumpeter fanden weltweite Beachtung. Die Entwicklung eines
umfassenden Sozialsystems in der Nachkriegsepoche ging auf sozialdemokratische
und christlich-soziale Leitvorstellungen zurück, die nicht zuletzt vor dem
Hintergrund der österreichischen Verhältnisse entwickelt worden waren.
Die immer komplexere Wirklichkeit von Staat, Politik
und Wirtschaft hat im letzten Jahrhundert dazu geführt, dass sich Rechts-,
Politik- und Wirtschaftswissenschaft signifikant auseinanderentwickelt haben.
Aus der ursprünglich als politische Ökonomie verstandenen
Wirtschaftswissenschaft ist eine an naturwissenschaftlichen Methoden
ausgerichtete Disziplin geworden. Dies bedingt, dass sie hochgradige
Abstraktionen für ihre Analysen einsetzt, die die politischen Aufgaben, die die
gesellschaftliche und wirtschaftliche Wirklichkeit stellen könnten, nicht voll
abbilden können. Verschärft wird der Mangel an Realitätsbezug durch die - im
Vergleich zu den Naturwissenschaften – prinzipiell äußerst beschränkte Zahl an
Informationen und die bescheidene Qualität der Messungen bei gleichzeitig
rascher Veränderung vieler Variabler.
Viele der typischen ökonomischen Denkmodelle sahen bis
vor nicht allzu langer Zeit, von den Gesetzen politischer Verhaltensweisen und
dem Funktionsweise staatlicher Institutionen (ganz abgesehen von
psychologischen und soziologischen Aspekten) ab. Abermals Weingast:
"Unfortunately, economists' focus ignores politics..." (a.a.O., p.2).
Das ist so apodiktisch nicht ganz richtig, denn es bezieht sich nur auf die
allerdings vorherrschende Tradition klassischer und neo-klassischer Modelle in
der Ökonomie.
Heute ist die Ökonomie an sich leistungsfähiger
geworden. Moderne politische Ökonomen meinen sogar umgekehrt, dass sich
"mit der angemessenen Rolle des Staates in einer Gesellschaft nicht nur
Ökonomen auseinandergesetzt hätten, sondern auch politische Philosophen,
Politikwissenschafter. Diese Frage hat eine beachtliche Menge an höchst
einsichtvollen Erkenntnissen auch von Nicht-Ökonomen zustande gebracht"
(Drazen, 2000, p. 677). Drazen bekennt, dass "diese alternativen Ansätze
für den politischen Ökonomen zu beachten sind, weil sie oft zu ganz
unterschiedlichen und erhellenden Perspektiven beitragen können."
(a.a.O.).
Spiegelbildlich zur Verlagerung der ursprünglich
politischen (und philosophisch-ethischen) Wirtschaftstheorien zur Abstraktion,
die einer exakten mathematischen Darstellung der Marktwirtschaft zugänglich
ist, gewann auch in der Rechtswissenschaft die strenge Orientierung an Axiomen
der juristischen Logik und Methodik stark an Boden, nicht zuletzt unter dem
Einfluss der "Reinen Rechtslehre" Hans Kelsens, also einer Theorie
des positiven Rechts. Der Fokus verlagerte sich von rechtspolitischen und
–philosophischen Fragen zur streng regelgebundenen Rechtshierarchie. In der
Folge tendierte die Rechtswissenschaft dazu, wenig Sensibilität für
wirtschaftliche und wirtschaftspolitische Interessenlagen aufzubringen und den
systematischen, fruchtbaren und wechselseitigen Bezug mit der wirtschaftlichen
Wirklichkeit unterbelichtet zu lassen. (Darauf könnte zurückgehen, dass die
aktuellen Bemühungen um eine Bundesstaatsreform in Österreich zwar einen ihrer
Ausgangspunkte von wirtschaftlichen Beobachtungen und Bedenken nahmen - der
Frage nach der Effizienz und der Wettbewerbsfähigkeit der staatlichen
Organisation im internationalen Wettbewerb –, aber weder die Wirtschafts- wie
die Politikwissenschaft direkt zum Konvent beitragen).
Die formal strengen Modelle der Ökonomie wie der
Rechtswissenschaft sind beileibe nicht ohne wissenschaftlichen Erkenntniswert.
Sie sind im Gegenteil die Ausgangsbasis, von der aus der Vorstoß in die
Komplexheit der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Realität erst
wissenschaftlich verantwortet werden kann.
Ebenso wie Drazen in seiner modernen politischen
Ökonomie für die Beachtung der Ergebnisse anderer Sozialwissenschaften plädiert
(Drazen, a.a.O.), tun dies auch moderne Staatsrechtsdenker. "Da die
einzelnen Instrumente (des Wirtschaftsrechts, erg. d. Verfrs.) im Laufe der
Jahrzehnte in ihrer konkreten Ausgestaltung vom Fortschritt der
wirtschaftswissenschaftlichen Erkenntnisse über die wirtschaftlichen
Zusammenhänge als auch von den jeweiligen politischen und rechtlichen
Rahmenbedingungen und deren theoretischer Durchdringung beeinflußt wurden, kann
die folgende Analyse (des Wirtschaftslenkungsrechts, erg. d. Verfrs.)
gegenstandsbedingt keine rein juristische sein. Sie muß die
einschlägigen wirtschaftswissenschaftlichen Erkenntnisse ebenso
mitberücksichtigen wie die Entwicklung der praktischen Wirtschaftspolitik. ....
Die notwendige interdisziplinäre Zusammenarbeit schließt allerdings
nicht aus, daß sowohl Juristen wie Ökonomen wirtschaftspolitische
Instrumentenanalysen erarbeiten, denen jeweils die disziplinspezifische
Fragestellung zugrundeliegt und bei denen 'der große Unterschied zwischen
der Schaffung rechtlicher Rahmenbedingungen und Eingriffen in den
Wirtschaftsprozeß selbst' nicht übersehen wird (Wenger, 1982, Hervorhebungen im
Original. Ähnlich Schäffer, 1982).
Die vorliegende Arbeit beleuchtet ökonomische Aspekte
der Bundesstaatsreform auf der Basis des heutigen Erkenntnisstands der
Wirtschaftswissenschaft. Sie ist sich aber bewußt, dass diese weder
hauptsächlich noch gar allein die gestellten Reformaufgaben lösen kann, zumal auch
demokratie- und staatspolitische Fragen anstehen. Vor allem ist sie sich über
den begrenzten Aussagewert ökonomischer Modelle im Klaren: nicht nur, dass
diese in aller Regel auf einem sehr abstrakten Bild menschlicher und
politischer Verhaltensweisen beruhen, sondern auch, dass sie letztlich von
fundamentalen Wertvorstellungen über metaökonomische Präferenzen abhängen.
"Purely economic assessments of the merits of centralization rest on very
fragile grounds" (Congleton, Kyriacou, Bacaria, 2003, p.183). Zu ergänzen
wäre: "merits of centralization or decentralization".
Das bedeutet jedoch nicht, dass die
Wirtschaftswissenschaft keinerlei gesicherte oder einigermaßen unumstrittene
Ergebnisse zu liefern imstande ist. Die Geister scheiden sich nicht so sehr an
der Beurteilung wirtschaftlicher Zusammenhänge, sondern meist an dahinter
liegenden politischen Grundfragen.
Antworten auf die Fragen: wieviel Wirtschaft, wieviel
Staat? oder: wieviel Autonomie, wieviel Effizienz? oder: wieviel sozialer
Ausgleich, wieviel Leistungsanreize? hängen von subjektiven Werturteilen ab,
die von nicht wenigen Untersuchungen doch recht durchsichtig mit ökonomischen
Methoden verhüllt werden. Die Arbeit muss sich darauf beschränken, die
vorliegenden, oft widersprüchlichen Argumente zu diskutieren und abzuwägen.
Letztlich ist es unbestrittene Verantwortung der Politik, Prioritäten zu
setzen.
Ob die Wirtschaftswissenschaft überhaupt zu den Normen
der Staatsverfassung beitragen kann, hängt davon ab, ob ihr Staats- und
Menschenbild mit jenem, das die Politik – gestützt auf die Zustimmung der
Bevölkerung – vertritt, kompatibel ist. Viele wirtschaftliche Theorien basieren
auf der Fiktion eines homo oeconomicus; eines blutleeren Wesens, das seine
Entscheidungen über materielle Güter ausschließlich und uneingeschränkt am
Kriterium der ökonomischen Rationalität ausrichtet. Allerdings hat die
Wirtschaftstheorie schon bald beobachtet, dass die rationalen Entscheidungen
einzelner Wirtschaftssubjekte nach dem Spiel von Angebot und Nachfrage auf den
Märkten regelmäßig zu suboptimalen politischen Ergebnissen führen, die gemessen
an den politischen Zielvorstellungen als Marktversagen bezeichnet werden
können, wenn dem Spiel nicht Regeln und Institutionen, die deren Beachtung
durchsetzen, zu Grunde liegen.
Die systematische Anwendung der Ökonomie des
eigennutzbestimmten Individuums hat jedoch umgekehrt auch nicht vor den
Gesetzmäßigkeiten und Abläufen politischer Entscheidungen halt gemacht. Im
Anschluß an die frühe Staatsphilosophie eines Th. Hobbes (1651) hat auch die
Wirtschaftswissenschaft die Vorstellung des Staates als wohlmeinenden
Wohltäters im Sinne des Gemeinwohls in Frage gestellt. Auch Politiker und
politische Institutionen orientieren sich an ihrem jeweiligen Eigeninteresse.
Daraus resultiert eine Tendenz zum Staat eben als "Leviathan", als
gefrässiges Ungeheuer. Die Frage lautet nicht, ob eher Marktversagen oder eher
Staatsversagen anzunehmen sind. Alle Aussagen sind unrealistisch, die nicht die
inhärente Neigung zum Abirren vom Gemeinwohl in beiden Richtungen annimmt.
Ihnen Schranken zu setzen, die Kräfte zu kanalisieren und auszugleichen, dienen
nicht zuletzt die Normen der Staatsverfassung als Rahmenbedingungen für die
Wirtschaft. Auf Popper (1945) geht das Postulat zurück, Staatsverfassungen so
zu konstruieren, dass sie nicht nur, wenn die Handelnden eigennützig, sondern
sogar wenn sie böswillig agieren, zu gesellschaftlich akzeptablen Ergebnissen
führen.
Juristen wie Ökonomen tun gut daran, dieses Faktum zu
akzeptieren. In Deutschland wurde vor kurzem eine Debatte über den Menschen-
und den Staatsbegriff des modernen öffentlichen Rechts im Vergleich zu jenen
der modernen Wirtschaftswissenschaft geführt (Engel, Morlock, 1998). Die
Staatsrechtslehre sieht nicht selten das neuere Interesse am öffentlichen Recht
als Gegenstand ökonomischer Forschung mit Skepsis und Irritation. Methodische
Friktionen zwischen Staatsrechtslehre und ökonomischer Theorie sind nicht zu
leugnen (Kirchner in: Engel-Morlock, 1998, S.315). Unterschiedlich sind jedoch
zweifellos auch die philosophischen Grundlagen des Menschen als sozialem Wesen
und der anzunehmenden Sozialverträge (ausführlich R. Gröschner und die dortige
Diskussion).
Es greift zu kurz, wenn Kirchgässner (1998, S.49ff)
feststellt, dass zwischen dem Menschenbild des homo oeconomicus und dem des
'homo republicanus', der dem deutschen Grundgesetz implizit zu Grunde liege,
kein Widerspruch besteht. Der individualistische homo oeconomicus ist
zweifellos dann als korrekter homo republicanus anzunehmen, wenn ihn die
Rechtsordnung dazu zwingt. Aber die komplexen Züge des Menschen als
moralisches, soziales und politisches Wesen deckt der homo oeconomicus nicht
ab. Daher sind die Erkenntnisse der Wirtschaftstheorie mit jenen der
Rechtsphilosophie- und -theorie, der Staats- und der Politikwissenschaft zu
integrieren.
Vereinzelt werden die Aussagen der
Wirtschaftswissenschaft zum Thema Staatsverfassung von Juristen als sinnlos und
als Irrweg mißverstanden. Die Defensivstellung mancher Staatsrechtler, die der
neueren Ökonomie "Imperialismus" vorwerfen und inbesondere vor einer
gefährlichen und unerträglichen Ökonomisierung der Staatsverfassung warnen
(Fezer, 1986), ist eine übertriebene Reaktion. Sie ist aber nicht ganz
unverständlich, wenn man beobachten kann, dass radikaler Ökonomismus auch auf
menschliches Verhalten und auf ein Staatsmodell angewendet wird, das auf das
Gewährleisten von funktionierenden Märkten und auf ausschließlich
effizienzorientierte Entscheidungen reduziert ist, wie seit in G. Beckers
(1976) Ansatz der Fall ist.
Das bedeutet jedoch nicht, dass die Verwendung
ökonomischer Paradigmen für Fragen der Staatsorganisation vollständig
abzulehnen ist. Sie vermag Bedingungen zu formulieren, die die Effizienz
staatlicher Politik wesentlich zu verbessern geeignet sind. Dies gilt vor allem
von der Theorie politischer Entscheidungen (public choice), der
Institutionenökonomie und vom Modell konkurrierender Jurisdiktionen (fiscal
federalism). Die politische Ökonomie der verfassungsmässigen Institutionen
(constitutional economics) ergänzt den normativen Ansatz des Staatsrechts um
den positiven der Wirtschafts- und Politikwissenschaft. Die Ökonomik, also die
Anwendung des ökonomischen Paradigmas, gestattet wichtige Erkenntnisse für die
in einer modernen Demokratie so zentralen Fragen, wie etwa die nach der
Wirkungsweise politischer Parteien und Interessenvertretungen, über föderalen
oder unitarischen (zentralistischen) Staatsaufbau, über den Staat als
Leistungs- und nicht nur als Rechtsschutzträger und über die finanziellen
Rahmenbedingungen des Staatswesens. "He (der Ökonom) can assist the choice by
proposing principles that should permit efficiency in polic-making." (Wiseman, 1964,
zitiert in Thöni 1986, S.23, Fußnote 28).
Das Recht hat eben auch eine ökonomische Dimension,
die zu übersehen fatale Folgen ("pereat mundus") haben könnte. Dabei
ist der Ökonom aufgefordert – wenn dies auch nicht in jedem Fall hinreichend
beachtet wird – sich normativer Schlußfolgerungen zu enthalten, um nicht selbst
zum "Verfassungsgeber" zu werden. (Thöni, 1986, S.23).
Die Ökonomie hat außerdem ein verständliches
Interesse, die Abhängigkeit wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit von der Rechts-
und Verfassungsordnung zu analysieren. "To understand the
political foundation for the markets we must begin with the constitution".
(Weingast
a.a.O.). Die Verfassung spielt eine Rolle für die Volkswirtschaft insgesamt und
für die Wahrnehmung von Einzelinteressen. Daher sind auch Veränderungen der
Verfassung unter ökonomischen, etwa wirtschaftspolitischen Gesichtspunkten zu
analysieren. "Although the protagonists of constitutional change couch their
arguments mainly in political language, economic issues have an immense
underlying importance in determining the choice among different constitutional
structures." (Burrows, 1980, S.45).
Viele
Verfassungsbestimmungen sind wirtschaftlich relevant. Die Stabilität und Entscheidungsfähigkeit
der Regierung, die Durchsetzbarkeit von individuellen und öffentlichen Rechten,
die Berechenbarkeit von Verwaltungsentscheidungen, die öffentliche Sicherheit
und Ordnung, Zustandekommen und Einhaltung von internationalen Verträgen, all diese
Funktionen, denen die Verfassung die Grundlage geben soll, berühren unmittelbar
oder mittelbar die Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft.
Allgemein
gesprochen enthalten Staatsverfassungen drei Kategorien von Normen (Gavison,
2002):
·
Normen über die Strukturen und Kompetenzen staatlichen Institutionen,
ihr Verhältnis zueinander und ihre Entscheidungsregeln,
·
Normen über die Grundrechte der Bürger oder der Menschen überhaupt,
·
Normen über grundlegende Wert- und Zielvorstellungen.
Dabei ist die erste
Kategorie, die über die staatliche Organisation, wahrscheinlich der
unerlässlichste Bestandteil einer Verfassung. Er entscheidet auch in aller
Regel über die Funktionsfähigkeit einer Verfassung als Garant institutioneller
Stabilität. Grundrechtskataloge können – wie in Österreich – in eigene
Grundrechtsgesetze oder in internationale Konventionen ausgelagert sein. Wie
sehr sich eine Verfassung ausdrücklich grundlegenden Werten und
programmatischen Zielen verpflichtet, ist international höchst unterschiedlich.
Verfassungsnormen,
die die Funktionsfähigkeit der Wirtschaft explizit betreffen, können unter
allen drei Kategorien gefunden werden.
Eine Schlüsselfrage
der Wirtschaftsverfassung ist, welche Kompetenzen und Aufgaben der Staat für
sich in Anspruch nimmt, welche allenfalls autonomen Körperschaften und welche
der privaten Wirtschaft und der Zivilgesellschaft vorbehalten sind oder in
private Gestion ausgelagert werden können.
Wie eine Verfassung
diese Fragen beantwortet, bestimmt den Umfang (scope) der
Staatstätigkeit. Die Antwort entscheidet aber auch über Niveau und Dynamik der
Wirtschaftsleistung, von den individuellen Freiheiten und den Anreizen für
private ("zivile") Initiativen einmal ganz abgesehen.
Für bestimmte
Bereiche öffentlicher Aufgaben wird in Österreich gesetzlich beauftragten oder
ermächtigten Körperschaften, formal außerhalb des Staates, Autonomie
übertragen. In dieser Hinsicht entspricht jedoch die geschriebene
Bundesverfassung Österreichs seit langem nicht mehr der wirtschafts- und
sozialpolitischen Realverfassung. Die berufsständischen Körperschaften, und
zwar sowohl die auf Grund von Bundesgesetzen tätigen wie einige (de facto
öffentlich anerkannte) privatrechtliche Berufsvertretungen übten und üben in
ihren autonomen Wirkungsbereichen eine für die österreichische
Wirtschaftsentwicklung und wohl auch für deren Erfolge entscheidende politische
Rolle aus. Charakteristisch für die österreichische Wirtschaftspolitik der
letzten Jahrzehnte ist auch, dass der politische Einfluss der Sozialpartner
weit über ihre eigentlichen autonomen Verantwortungsbereiche hinauswuchs. Auf
die umfangreiche Diskussion über die verfassungsmäßige Verankerung der
Sozialpartnerschaft kann hier nur verwiesen werden.
In solchen
autonomen Institutionen, zu denen auch die zentrale Geldbehörde, nämlich die
Oesterreichische Nationalbank, zählt, üben staatliche Organe ein Aufsichtsrecht
über die Gesetzmäßigkeit ihrer Tätigkeit aus. Im Fall der Nationalbank steht
der Bundesregierung auch die Bestellung von Führungsorganen zu. Doch allein der
autonome Wirkungsbereich – Lohn- und Einkommenspolitik, Fragen der sozialen
Beziehungen sowie die Geld- und Währungspolitik – ist ganz zentral für die
Gesamtleistung der Volkswirtschaft und für das wirtschaftliche Schicksal aller
in diesem Land Lebenden. Die Gesetzesaufträge an diese Körperschaften ergingen
in der Regel nicht auf Grund von Verfassungs- sondern von einfachen Gesetzen
und sind daher formal mit geringerer zeitlicher Stabilität und leichterer
Abänderbarkeit ausgestattet.
Die Grenze zwischen
Staat und Privat wird nicht allein durch explizite Elemente einer
Wirtschaftsverfassung gezogen, nicht nur durch Kompetenzkataloge staatlicher
Aufgabenbereiche,, sondern auch durch die Garantie von wirtschaftlich bedeutsamen
Freiheitsrechten der Bürger und ihre Interpretation, vor allem der Grundrechte
auf Schutz des Privateigentums und auf Freiheit der Erwerbstätigkeit. Als schon
selbstverständliche Basis der österreichischen Wirtschaftsverfassung kommen das
Gebot des einheitlichen Währungs-, Wirtschafts- und Zollgebietes (Art.4) und
schließlich die Regeln über die Staats-, speziell die Bundesfinanzen und deren
Kontrolle hinzu.
Die österreichische
Verfassungsordnung vermeidet tatsächlich in der Verfassungsurkunde selbst ein
ausdrückliches Bekenntnis zu einer bestimmten wirtschaftlichen Grundordnung
oder Wirtschaftsform. "Das österreichische Verfassungsrecht enthält keine
Aussage über ein bestimmtes konkretes System einer Wirtschaftsordnung, keine
wirtschaftsordnungspolitische Gesamtentscheidung, setzt aber dem Gesetzgeber,
auch wenn er wirtschaftspolitisch tätig wird, einen Rahmen, den dieser nicht
überschreiten darf, ohne verfassungswidrig zu handeln." (Korinek, 1983,
S.243).
Der Mangel an einer
ordnungspolitischen Klarstellung kann als Ausdruck etatistischer
Staatsauffassungen aufgefasst werden, und war es ursprünglich wohl auch. In der
heutigen weltwirtschaftlichen Umgebung stellt diese Lücke Erbgut aus längst
vergangenen Zeiten und ein nicht unriskantes Defizit dar. Der verbreitetste
Kommentar zum Bundesverfassungsrecht (Walter-Mayer, 2000) enthält in seinem
Sachregister kein Stichwort "Marktwirtschaft" (zwischen den
Stichworten "Marktgemeinde" und "Märzgefallene"!), der
Kodex des Verfassungsrechts (2003) keines zwischen "Marktpolizei" und
"Maß- und Punzierungswesen". Wohl aber finden sich dort ausführliche
Darstellungen der verfassungsrechtlichen Problematik der sogenannten
"Wirtschaftslenkungsgesetze", deren politische und ökonomisch-theoretische
Grundannahmen zwar nicht gänzlich obsolet, jedoch seit längerem zumindest
höchst problematisch und unzeitgemäß anmuten.
Die Praxis der
österreichischen Wirtschaftspolitik, die auf diesen Mangel an einer expliziten
ordnungspolitischer Positionsangabe zurückgeführt werden kann, wird je nach
Situation, von den Ökonomen unterschiedlich beurteilt. Die einen führen
entgangenen volkswirtschaftlichen Gewinn und zu hohe Kosten der
"staatlichen Overheads" auf das ordnungspolitisch meist verwaschenes
Wirtschaftsrecht, auf den schlampigen Umgang mit Prinzipien der
Wirtschaftsordnung zurück. Die anderen rühmen im Gegenteil den Pragmatismus in
der Wahl und Kombination wirtschaftspolitischer Instrumente als Vorzug der
österreichischen Wirtschaftspolitik, der ihr etwa einen klaren Vorsprung
gegenüber der ordnungspolitisch sehr bewußten deutschen Wirtschaftspolitik
eingetragen habe. Tatsächlich verliert die deutsche Politik nicht selten
wertvolle Zeit und versäumt zweitbeste Lösungen, weil sie über die prinzipiell
richtige, beste Lösung streitet.
Ob der nur
implizite ordnungspolitische Rahmen für den Gesetzgeber, den die
österreichischen Verfassung enthält, auf die Wirtschaft eher als Vor- oder als
Nachteil gewirkt hat, kann hier nicht entschieden werden. Die Entscheidung wird
wohl auch kaum je exakt möglich sein. In bestimmten Situationen, unter
konkreten internationalen Bedingungen, gegebenem konkreten Anpassungsbedarf,
angesichts neuer Aufgaben oder Chancen, könnte die Diagnose recht
unterschiedlich ausfallen. Die ausnahmslose Perhorreszierung staatlicher
Interventionen mancher ordnungspolitischer Fundamentalisten ist mit hoher
Wahrscheinlichkeit nicht angebracht. Im Übrigen haben alle hochentwickelten
Staaten Europas und darüber hinaus, immer wieder ordnungspolitisch mehr als
lässliche Sünden begangen, auch diejenigen, die sich am lautesten zu den
Prinzipien bekennen. Eine gewisse Flexibilität des Ordnungsrahmens ist auch
nicht zu verachten, nicht von der Wirtschaft und schon gar nicht von den
meisten Politikern.
Andererseits muss
der Mangel an eindeutigerem Positionsbezug in der Verfassung sehr wohl als
Risiko gesehen werden, falls sich die politischen Konstellationen im Land und
um das Land herum einmal rasch und tiefgreifend verändern würden.
Das anzunehmen
besteht derzeit wenig Anlass, namentlich nicht für ein Mitglied der
Europäischen Union, das seinen wirtschaftsverfassungsrechtlichen Ordnungsrahmen
ohnehin weitgehend von dort bezieht. Vielfache Erfahrung mit österreichischer
Wirtschaftspolitik ließe einen dennoch ein besseres Gefühl haben, wenn die
wirtschafts- und sozialpolitischen Grundsätze, die im Rahmen der EU übernommen
wurden und werden (übernommen werden mussten?) direkt in die österreichische
Verfassung Eingang finden würden. Außerdem würde dieses Explizitmachen immer
wieder aufbrechende Mißverständnisse im Grundsatz verringern.
Auch der Acquis
Communautaire ist nicht unveränderlich. Gerade heute, wo das Verfassungsprojekt
der Europäischen Union zur Diskussion steht und voranzutreiben ist und also die
europäische Ebene umgekehrt von Österreich mitbeeinflusst werden kann und soll,
wäre es nicht überflüssig, sich auch in Österreich etwas um die Klarstellung
von Grundsatzproblemen zu bemühen.
Tatsächlich beklagt
die verfassungsrechtliche Diskussion in Österreich seit langem, dass die mühsam
zu versammelnden Bausteine einer Wirtschaftsverfassung ein "zersplittertes
und ruinenhaftes", "rudimentäres" Bild ergeben (Schäffer, in:
K.Korinek, 1983, S. 3). Dies wird umso augenfälliger, wenn man bedenkt, dass ja
"in Österreich kein Zwang zur Inkorporierung verfassungsändernder oder
verfassungsergänzender Bestimmungen in die 'Verfassungsurkunde' besteht"
und daher "das Verfassungsrecht im formellen Sinn in eine Vielzahl von
Gesetzen "verstreut" ist. (Schäffer, a.a.O. S. 8).
Das österreichische
BVG weist somit wirtschafts- oder sozialpolitische Prinzipien- und
Programmvorstellungen nur unsystematisch und verstreut, ansatzweise auf.
Teilweise fanden solche durch Novellierung Eingang in das BVG. Am
augenfälligsten und problematischsten im Art.13 (Abs.2) - aus der
finanzverfassungsrechtlichen Novelle 1986 - , der die Gebietskörperschaften zu
einer Finanzpolitik im Sinne des "gesamtwirtschaftlichen
Gleichgewichts" verpflichtet.
Aus ökonomischer
Sicht erscheint geboten, dass die marktwirtschaftliche Wirtschaftsverfassung in
der Verfassung ausreichend gegen gravierende staatliche Interventionen und
Ordnungswidrigkeiten gesichert wird. Es ist eine Hauptfrage der
Konstitutionenökonomie, "to learn something about how constitutions
credibly commit a state to markets." (Weingast, a.a.O., p.3). Das
österreichische Verfassungsrecht beschränkt sich dabei auf die Garantie der
wichtigsten wirtschaftlich bedeutsamen Grundfreiheiten des Privateigentums und
der Erwerbstätigkeit, unterstützt durch eine Reihe anderer bürgerlicher
Freiheitsrechte.
Eine explizite
Deklaration des marktwirtschaftlichen Prinzips ist bei Vorhandensein dieser
Verfassungsgarantien nicht unbedingt erforderlich. Dafür wäre es aber umso
wünschenswerter, die wirtschaftlichen und sozialen Zielvorstellungen des
Staates als programmatische Erklärungen darzustellen, was im österreichischen
Verfassungsrecht vollständig fehlt. Der Ökonom würde dazu neigen, die
wirtschaftspolitischen Kompetenzen des Staates an Hand der wohl etablierten
Tradition der Finanztheorie Musgraves (1959) gedanklich in den drei
"Abteilungen" Allokation, Distribution und Stabilisierung anzuordnen.
Ergänzt müsste eine solche Anordnung durch Hinweise auf die Hierarchie oder die
Optimierung wirtschaftspolitischen Zielsetzungen an Hand einer
gesamtwirtschaftlichen Zielfunktion werden. Ein Versuch, das
"gesamtwirtschaftliche Gleichgewicht" des Art.13/2 zu definieren,
wäre ein Ansatz dazu.
Ebenso läge nahe,
die Art oder den Grad der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben durch den Staat in
Regulierung, Gewährleistung und Eigenleistung zu unterscheiden. Dies würde die
Frage der Abgrenzung von Staat und Privat wesentlich erleichtern und würde auch
System in die alte verfassungsrechtliche Diskussion über die
Privatwirtschaftsverwaltung des Staates (Korinek 1983, Walter,Mayer, 2000, S.
246ff) bringen.
Als Konsequenz
knüpfen sich an solche Programmvorstellungen politische Festlegungen über die
vom Staat wahrzunehmenden Aufgaben. Aufgabenkritik kann nicht oder bestenfalls
zum Teil von der Wirtschaftswissenschaft ausgehen. Sie wird letztlich und im
Detail mit politischen Wertvorstellungen geführt. Internationale Vergleiche der
Verfassungspraxis vermögen Fingerzeige zu geben. Privatwirtschaftliche
Organisation von bisher staatlichen Aufgaben oder umgekehrt die
"Verstaatlichung" (Regulierung und auch "Re-Regulierung")
privater Aktivitäten sind nach wie vor stark ideologisch umstritten. Die
Gewichtung von ökonomischen Effizienzgesichtspunkten im Vergleich zu
Äquivalenz- und Stabilitätszielen ist meist nicht wissenschaftlich untermauert.
Der Katalog der
Staatsaufgaben und ihre Zuordnung an Bund oder Länder der Art. 10 bis 15 BVG
erfüllt die Aufgabe der Abgrenzung der Staatstätigkeit von der Privatwirtschaft
und vom privaten gesellschaftlichen und individuellen Leben nicht, denn er gibt
nur ausnahmsweise die Kriterien und Grenzen für Staatseingriffe. Er genügt auch
nicht als Absichtserklärung über die Hierarchie oder die Prioritäten der
staatlichen Wirtschafts- und Sozialpolitik im Fall von Zielkonflikten, welche
den Regelfall darstellen. Der "Vollbeschäftigungspolitik" wurden in
Österreich lange Jahre hindurch nahezu alle anderen ökonomischen Zielsetzungen
untergeordnet. Immerhin gab der frühere Bundeskanzler eine präzise Bestimmung
seines Standorts auf der Phillips-Kurve (der Beziehung zwischen
Arbeitslosigkeit und Inflationsrate) als politische Meinung kund. Grundlegende
programmatische Erklärungen der Verfassung könnten Orientierung, eine gewisse
Bindung und einen gewissen Schutz gegen allzu abrupte und fundamentale
Regimewechsel bieten.
Die
verfassungsrechtliche, ebenso wie die politische Diskussion haben in Österreich
wie in vielen anderen Ländern bisher strikte daran festgehalten, dass
wirtschafts- und sozialpolitische Zielvorgaben in der Verfassung keine
individuellen Rechtsansprüche (Recht auf Arbeit, Wohnung, Mindesteinkommen)
begründen können. Dies vor allem deswegen nicht, weil es in der Regel nicht
oder jedenfalls nicht allein im Einfluss des betreffenden Staates liegt, das
Ziel zu erreichen. Dies kann eigentlich für nahezu alle wirtschafts- oder
sozialpolitisch relevanten Zielsetzungen angenommen werden. Österreichs
Verfassung enthält sich gänzlich aller wirtschafts- und sozialpolitischen
Zielvorstellungen und Richtungsangaben. Der wirtschaftlich relevante
Grundrechtskatalog beschränkt sich auf die Wahrung des Privateigentums und der
Erwerbsfreiheit und dürfte damit genügen, das marktwirtschaftliche Prinzip
haltbar zu verankern.
In einer Reihe von
Staaten werden aber darüber hinaus soziale Grundrechte postuliert, und zwar als
Leitlinie der Politik, nicht als individuelle Berechtigung von Bürgern in der
Verfassung verankert. Das Deutsche Grundgesetz (Art.20/1)etwa definiert die
Bundesrepublik als "demokratische und soziale Republik". Die Schweizerische
Bundesverfassung 1999 wird (Art. 41/1a) noch deutlicher, wenn sie statuiert,
dass "Bund und Kantone in Ergänzung zu persönlicher Verantwortung und
privater Initiative sich dafür einsetzen, dass a) jede Person an der sozialen
Sicherheit teilhat ....", um allerdings gleich (Art.41/4) zu präzisieren,
dass "aus den Sozialzielen keine unmittelbaren Ansprüche auf staatliche
Leistungen abgeleitet werden können."
Die Prinzipien der
Bundesverfassung sowie die meisten Menschen- und Grundrechte haben eminente
gesellschaftliche und damit auch wirtschaftliche Bedeutung. Dies gilt für das
demokratische (Art.1 BVG), das bundesstaatliche (Art.2 BVG) und das
rechtsstaatliche Prinzip (Art.18/1), ähnlich für den Gleichheitsgrundsatz
(Art.7 BVG) und für die Freiheiten der Versammlung und der Meinungsäußerung
(Art.12 und Art.13 StGG).
Der sozial- und
wirtschaftspolitische Interpretationsbedarf des Gleichheitsgrundsatzes, der vor
allem dem Verfassungsgerichtshof zufällt, bewegt sich in einem ungeheuer weiten
Rahmen von potentiell außerordentlicher wirtschaftlicher und finanzieller
Bedeutung. Vor allem in steuer- und sozialpolitischen Problemstellungen kann
die Interpretation der Gleichheit der Bundesbürger vor dem Gesetz, wie sich in
jüngster Zeit mehrmals gezeigt hat (Berücksichtigung des Familienstandes, der
Kinderzahl, des Einkommens, der öffentlichen Pensionsansprüche usw.), enorme
wirtschaftliche, vor allem finanzielle Konsequenzen haben.
Das
rechtsstaatliche Prinzip, dessen Kern von niemandem bestritten werden darf, hat
in der Gesetzgebungs- und Verwaltungspraxis in Österreich zu einer
wohlmeinenden jedoch zumindest wirtschaftlich suboptimalen Regulierungsdichte
geführt.
Dabei soll nicht
übersehen werden, dass die Ansprüche an den Staat in Bezug auf Sachgerechtheit,
Effizienz, Gleichmäßigkeit wie Differenziertheit größer geworden sind: wichtige
Triebfedern sind die Entwicklung neuer Technologien, das aufmerksamere
Umweltbewußtsein, höhere Sozialstandards und allgemein der wirtschaftliche
Fortschritt. Die oft schon undurchdringliche Regelungsdichte ist teilweise
darauf zurückzuführen, dass der Gesetzgeber die Bereinigung alten
Rechtsbestandes beim Erlass neuer Normen nicht immer konsequent durchführt, so
dass eine Tendenz zur Anhäufung von in sich nicht immer systematischen, konsistenten
oder adäquat strukturierten Normenballungen und obsoletes Recht formell
bestehen bleibt.
Es mag auch sein,
dass föderale Staatswesen mit Gesetzgebern verschiedener Ebene zu solchen
Tendenzen beitragen können. Dies könnte aus unzweckmäßiger Kompetenzabgrenzung
oder schlicht aus Koordinationsmängeln resultieren. Ein grundsätzlicher Einwand
gegen föderalen Staatsaufbau ist das Argument übertriebener Regelungsdichte
jedoch nicht. Die Abgrenzung autonomer Gesetzgebungsbefugnisse auf unterschiedlichen
Ebenen kann durchaus dem Prinzip der Effizienz und der Konsistenz entsprechen.
Wenn der Eindruck
entsteht, die Normierungsdichte sei in Österreich - und in anderen Staaten mit
ähnlicher Rechtstradition – schon problematisch geworden, so wäre das aus drei
Gründen ökonomisch bedenklich:
·
weil sie Innovationen innerhalb der staatlichen Verwaltung hemmt,
·
weil sie allzu sehr der Illusion entspringt, alle denkbaren künftigen
Anlassfälle vorweg beurteilen und regeln zu können, was im Fall unerwarteter
Entwicklungen oft zu fragwürdigen Gesetzesauslegungen führt, und,
·
zuletzt, weil sie natürlich einen bedeutenden Aufwand an Ressourcen und
Zeit verursacht.
Die
Innovationsfähigkeit des staatlichen Systems in Österreich ist unter anderem
durch den Umstand beeinträchtigt, dass die Organe der staatlichen Verwaltung
auf Grund der traditionellen Interpretation des Grundsatzes der
Rechtsstaatlichkeit schon in der juristischen Ausbildung zu rechtspolitischer
Initiative in der Regel kaum ausreichend befähigt werden – und sich auch in der
Regel nicht berufen fühlen, rechtspolitische Initiativen zu ergreifen. (Dass
dies nicht die alleinige Ursache ist, sei zugestanden. Mangelnde
Leistungsanreize im öffentlichen Dienst und die strikte Beachtung
hierarchischer Entscheidungs- und Kontrollstrukturen spielen gleichfalls eine
wichtige Rolle). Das Selbstverständnis der Verwaltung ist vorgeprägt durch die
Beachtung des Prinzips der Gewaltentrennung, das es ihren Organen zur Aufgabe
macht, vorhandene Gesetze zu interpretieren und zu vollziehen. Umgekehrt
verfügen jedoch die zur Rechtsentwicklung berufenen politischen Organe der
Regierung und die Gesetzgeber oft nicht über ausreichende Erfahrung und
Kenntnisse der Praxis, um Reformen und Innovationen sachgerecht ausformulieren
zu können.
Eine
Verfassungsreform sollte auf solche in zahlreichen Anläufen zur
Verwaltungsreform immer wieder aufgegriffenen Beobachtungen eingehen, weil die
begrenzte Fähigkeit des Staates zu einer endogenen Reform auf die Interpretation
des Art.18 (1) zurückgeht und sich ein entsprechendes Selbstverständnis der
öffentlichen Verwaltung darauf zurückführen lässt. Sich zur Weiterentwicklung
von Normen (und der Praxis) berufen zu fühlen, ist eher ausnahmsweise
anzutreffen.
Die Gewaltentrennung
sollte nicht dazu führen, dass sich die Verwaltung von rechtspolitschen
Initiativen entbunden fühlen kann - was wohl oder übel auch in der Praxis nicht
der Fall ist. Die Formulierung der meisten Gesetzesvorschläge an das Parlament
geht auf Beamtenentwürfe zurück. Nur hat gerade die leidige Erfahrung in
jüngster Zeit hinlänglich dargetan, dass diese oft sachlich fehlerhaft,
unprofessionell und mit mangelndem Verständnis für größere Zusammenhänge
erarbeitet werden. Es geht nicht um die Abschaffung der Rechtsstaatlichkeit und
auch nicht um das Verwischen der Gewaltentrennung. Diese bedeutet
Verantwortungstrennung, nicht ein Verbot an die Verwaltung, über den Sinn und
die Verbesserung von Gesetzen nachzudenken.
Die Frage, ob
bestimmte Regelungen noch immer gerechtfertigt sind, könnte im Prinzip in einem
verfassungsmäßigen Vorgang systematisch gestellt werden. Die Normen der
Bundesverfassung haben einen ausgeprägt statischen Charakter. Dies entspricht
durchaus ihrer Funktion als verlässlicher Rahmen für die staatlichen Aufgaben
und ihre Organisation. Auf der anderen Seite scheint es angebracht, für die
gesellschaftliche, wirtschaftliche und technische Dynamik, auf die der Staat
unvermeidlich und zum Vorteil von Wirtschaft und Gesellschaft reagieren muss,
in der Verfassung Vorkehrungen zu treffen. Der einseitig statische Charakter
der Zuordnung staatlicher Kompetenzen ist dem wachsenden Bedürfnis der
Wirtschaft nach Flexibilität und Nutzung von Chancen hinderlich und auch
rechtspolitisch nicht notwendig.
In der politischen
und in der Verwaltungspraxis geht es nur ganz selten um einen Neubau, um die
Neuerfindung von staatlichen Einrichtungen. Es geht in aller Regel um den
Umbau, um die Reform.
Für das in ganz
Europa beklagte Phänomen des Reformstaus bieten sich mehrere Erklärungen an,
nicht zuletzt Mängel der öffentlichen Meinungsbildung. Aber auch die
Funktionalität der Verfassung könnte ohne Einbußen am Prinzip der
Rechtsstaatlichkeit verbessert werden, wenn systematische Mechanismen der
Veränderung als dynamische Verfassungselemente eingebaut werden. Diese Ansicht
wird etwa von Thöni in Bezug auf Bundesstaatsreformen geteilt (Thöni, 1986, S.
16).
An einem Beispiel
erläutert: weil die Prinzipien der Veränderung nicht feststehen, werden in
Abständen von wenigen Jahren zwischen Bund, Ländern und Gemeinden Verhandlungen
über die Neufassung des Finanzausgleichgesetzes (FAG) abgehalten, deren
Grundlage die Erhaltung, Ausweitung oder Verteidigung der bisher vereinbarten
Rechte ist, jedoch nicht unbedingt eine systematische Entscheidungsgrundlage,
welche Veränderungen seit der letzten Beschlussfassung für eine Revision in
Betracht zu ziehen sind.
Ein Aspekt, dem der
größere Teil dieser Studie gewidmet ist, ist die Ausgestaltung des vertikalen
Stufenbaus des Staates in territorialer Hinsicht aus ökonomischer Sichtund die
Zuordnung von Verantwortung, unter anderem für wirtschaftspolitische
Zielsetzungen, zu diesen Ebenen.
Der Vergleich
geltender Verfassungen in verschiedenen Ländern mit ähnlichem Entwicklungsstand
und ähnlicher wirtschaftspolitischer Denkweise enthüllt dennoch frappierende
Unterschiede im Grad des Eingehens auf wirtschaftspolitische Rahmenbedingungen,
Institutionen und Programme. Gelegentlich wird – wie immer dies gezählt wird –
festgestellt, dass gegenwärtig die laufende Gesetzesproduktion eines
hochentwickelten Staates bereits überwiegend wirtschafts- und sozialpolitische
Inhalte aufweise. Das würde verständlich machen, dass wirtschaftspolitische
Normen auch in den Verfassungen im Verlauf des letzten Jahrhunderts immer mehr
Platz beanspruchten.
Ein eindrucksvolles
Beispiel ist die neue Schweizerische Bundesverfassung aus 1999. Diese
beschränkt sich nicht auf die üblichen Garantien der Wirtschaftsfreiheit und
des Eigentums (Art. 26, 27, 94), nicht auf die Kompetenzverteilung im föderalen
System und nicht auf institutionelle Ordnung der Staatsfinanzen, sondern sie
enthält darüber hinaus drei Kategorien von Verfassungselementen, die in älteren
Verfassungen nicht oder nicht systematisch anzutreffen sind: einmal
Deklarationen zu den wirtschaftlichen und sozialen Zielen oder vielmehr Zwecken
der Eidgenossenschaft (Art. 2 und insbesondere Art.41 zu den Sozialzielen).
Sie nimmt die große
Auseinandersetzungen der letzten Jahrzehnte über das Verhältnis von Wirtschaft
und Umwelt unter dem Leitgedanken Nachhaltigkeit (Art.2/2 und 73 folgende) auf
und bekennt sich in diesem Sinn zur Verantwortung gegenüber künftigen
Generationen (Präambel, Abs.5). Nichts ist aktueller als dieser Gedanke, der
Generationengerechtigkeit anvisiert und den Staat zum Hüter der Interessen noch
nicht Geborener oder jedenfalls noch nicht an den politischen Entscheidungen
Teilnehmender deklariert, zu Zeiten heftiger Debatten über Reformen am
Pensionssystem und über Grenzen der Staatsverschuldung.
Darüber hinaus
enthält die neue schweizerische Verfassung Grundsatzerklärungen zu
makrökonomischen Fragen und Institutionen, vor allem zur Geld- und
Währungspolitik (Art.99), zur Konjunkturpolitik (Art.100), zur
Aussenwirtschaftspolitik (Art.101), zur Krisenvorsorge (Landesvorsorge,
Art.102) und schließlich zur Strukturpolitik einschließlich der Agrarpolitik
(Art.103 und 104).
Die zeitgemäße
Verfassung der Schweiz und das ein halbes Jahrhundert ältere deutsche
Grundgesetz (GG) weisen in ökonomischer Sicht natürlich große und
bemerkenswerte Unterschiede auf. Insgesamt geht das GG weit weniger auf
ökonomische Probleme ein. Es ähnelt in dieser Hinsicht viel mehr dem noch
dreißig Jahre älteren österreichischen BVG. Mit zwei bemerkenswerten
Unterschieden aus volkswirtschaftlicher Sicht: einmal durch die im Rahmen der
Regeln für das Finanzwesen gezogene Grenze für die Neuverschuldung des Bundes
(Art.115, Abs.1). Zur Abdeckung des Defizits aufgenommene Kredite "dürfen
die Summe der im Haushaltsplan veranschlagten Ausgaben für Investitionen nicht
überschreiten" (golden rule der Fiskalpolitik).
Zum anderen, weil
die vom Bund zu errichtende Zentralbank ausdrücklich auf das vorrangige Ziel
der Sicherung der Preisstabilität verpflichtet wird. Der diesbezügliche Artikel
88 GG wurde übrigens bereits an die Errichtung der Europäischen Zentralbank
angepasst, ohne diese Zielvorgabe zu ändern.
Andere,
insbesondere fiskalische Verhaltensweisen des Bundes und der anderen
Gebietskörperschaften werden zur "Wahrung des gesamtwirtschaftlichen
Gleichgewichts" vorgeschrieben. Dieser Begriff wird im GG aber ebenso
wenig näher definiert wie bei seiner etwas verloren wirkenden Einführung in das
österreichische BVG im Artikel 13 anläßlich der Verfassungsnovelle 1986. Die
staatliche Haushaltswirtschaft hat den Erfordernissen des
gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts Rechnung zu tragen (Art.109/2 GG) und
"konjunkturgerecht" zu sein (109/3). Zur Abwehr von Störungen des gesamtwirtschaftlichen
Gleichgewichts können durch Bundesgesetz auch die Länder und andere öffentliche
Körperschaften zu einer entsprechenden Staatsschuldenpolitik angehalten werden.
Zum Konjunkturausgleich können Rücklagen gebildet werden (109/4).
Allfällige
Konflikte zwischen Geld- und Finanzpolitik, zwischen Preisstabilität und
konjunktureller Stabilisierung werden nicht angesprochen. Das Ziel der Mehrung
der wirtschaftlichen Wohlfahrt wird ebenso wenig in den Katalog der Staatsziele
aufgenommen wie jenes der längerfristigen Orientierung zum Wohle kommender
Generationen, wie das in der Schweiz seit 1999 Verfassungsvorgabe ist.
Eine Präzisierung
und Operationalisierung des Begriffs gesamtwirtschaftliches Gleichgewicht
erfolgte in Deutschland durch das (Bundes-) "Gesetz zur Wahrung der
Stabilität und des Wachstums" aus dem Jahr 1967. Dieses lässt ein ähnlich
ungebrochenes Vertrauen in die Machbarkeit dieser Staatsziele vor allem durch
Steuerung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage über die staatlichen Fiszi -
angesichts eines ersten heftigeren Konjunkturrückschlags im selben Jahr –
erkennen, wie knapp dreißig Jahre später umgekehrt in die Wirksamkeit
angebotsseitiger Rahmenbedingungen. Es waren die deutsche Bundesregierung und
die Bundesbank, die eine ziemlich einseitige (angebotsorientierte)
Wirtschaftsauffassung in die Formulierungen des Stabilitäts- und Wachstumspakts
der Europäischen Union hineinreklamierten. Die Laune der Geschichte wollte es,
dass just jenes Land, dessen Vertrauen in – insbesondere quantitative -
Regelbindungen der Wirtschaftspolitk immer besonders ausgeprägt war, diese
Bindungen besonders rasch und eklatant brach oder brechen musste.
Das Maximieren
einer gesamtwirtschaftlichen Zielfunktion im Rahmen und in den Randbedingungen
(constraints) des "magischen Vielecks" der Ökonomie –
Vollbeschäftigung, Geldwertstabilität, außenwirtschaftliches Gleichgewicht und
wirtschaftliches Wachstum – erfordert flexible Kombination verschiedener
Ansätze und kann wohl nicht Inhalt von verfassungsgesetzlichen Vorgaben sein.
Für die Inhalte
einer dem heutigen Erkenntnisstand der Wirtschaftswissenschaft entsprechenden
Normierung durch die Verfassung sollte daraus der Schluss gezogen werden, dass
sich Perfektionismus nicht nur als solcher bald widerlegt, sondern dass er
fallweise gesamtwirtschaftlich schädliche Auswirkungen haben kann.
Wie verhält sich
diese Erkenntnis zu dem Plädoyer für mehr ordnungspolitische
Grundsatzbekenntnisse in Österreich?
Einmal wäre sie
dann kein Widerspruch, wenn die Hauptziele der Wirtschaftspolitik ausdrücklich
genannt würden, wenn die unabänderliche Tatsache, dass sie regelmäßig
zueinander in einem variablen Konkurrenzverhältnis stehen, anerkannt würde und
wenn die Verantwortung für die notwendige Koordination wirtschaftspolitischer
Instrumente geregelt wird. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Verantwortung
für die Geldpolitik auf das gemeinsame und von den Regierungen unabhängige
Europäische System der Zentralbanken (ESZB) übertragen wurde.
Der
innerösterreichische Stabilitätspakt zwischen Bund, Ländern und Gemeinden auf
Basis einer Art.15 a – Vereinbarung zur Einhaltung der stabilitätspolitischen
Vorgaben der europäischen Pakte ist zweifellos ein Kern einer entsprechenden
Verfassungsbestimmung in einer reformierten Bundesverfassung. Die Bundesländer
bekundeten durch den Abschluss dieses Pakts, dass sie sich der höheren
Effizienz einer gesamtwirtschaftlich orientierten Koordinierung aller Ebenen
verplichtet fühlen, wobei die Kompetenz für die Initiative dazu und die
Verantwortung nur beim Bund liegen können. In Österreich fehlt zur Bestätigung
dieser auch hier anerkannten Situation im Großen und Ganzen eine Norm, die dem
Art. 109 des deutschen GG sinngemäß entspräche. Das deutsche Grundgesetz sieht
vor (109/3), dass durch Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates
bedarf, gemeinsam geltende Grundsätze für das Haushaltsrecht, für eine
konjunkturgerechte Finanzwirtschaft und für eine mehrjährige Finanzplanung
aufgestellt werden können.
Wie weit die
Aufnahme wirtschaftspolitischer und wirtschaftlicher Gesichtspunkte in einer
Verfassung derzeit auseinanderklaffen können, macht ein Vergleich der
französischen Verfassungsurkunde der De-Gaulle-Verfassung 1958 mit dem
vorliegenden Verfassungsentwurf für die Europäische Union deutlich. Die
französische Verfassung ist eine eigentliche Minimalverfassung mit nahezu
ausschließlich institutionellen Kompetenzen und Verhaltensregeln für die Organe
des Staates.
Der europäische
Verfassungsentwurf – immerhin unter dem Vorsitz eines früheren französischen
Staatspräsidenten erarbeitet – enthält hingegen, vor dem Hintergrund der
Geschichte der Union seit der Montanbehörde und der Europäischen
Wirtschaftsgemeinschaft der fünfziger Jahre, nach wie vor sehr viel mehr und
präzisere Festlegungen zu den Prinzipien, Institutionen und Zielen der
Wirtschaftspolitik – obwohl deren Platz im Verfassungsrahmen gegenüber ihrem
absoluten Vorherrschen im bisherigen EG-Vertrag reduziert und besser
proportioniert erscheint.
Ihr Schlüssel- und
Programmbegriff ist die Sicherung und Entwicklung des "Europäischen
Gesellschaftsmodells" (Art.9), das auf gemeinsam getragenen
Wertvorstellungen der Mitglieder der Union und ihrer Prioritätsskalen beruht.
Die Programmvorstellung eines "Raums der Freiheit, Sicherheit und
Gerechtigkeit" hat durch Positionierung im Art.11 des Dokuments eine Art
protokollarischen Vorrang vor den wirtschaftspolitischen Grundsätzen und
Zielvorstellungen erhalten, die in den Artikeln 12 bis 24 auf den Fuß folgen und
weit konkreter dargelegt werden.
Der gegenwärtige
Stillstand der Verhandlungen zwischen den Mitgliedstaaten der Union über die
neue Europäische Verfassung wurde bemerkenswerter Weise nicht durch Divergenzen
über die wirtschaftspolitischen Inhalte verursacht, sondern vor allem durch
solche über die Stimmgewichtung im Rat. Man hätte erwarten können, dass auch
die schwerwiegenden Differenzen, die über die Pflichten zur Koordinierung der
Wirtschaftspolitik zwischen den Mitgliedern aufgebrochen sind, das Projekt
hätten verzögern müssen. Der im wesentlichen einzige Diskussionspunkt war
jedoch die von der Europäischen Zentralbank (EZB) und nationalen Notenbanken,
voran der Deutschen Bundesbank, vertretene Auffassung, das Ziel der
Preisstabilität ausdrücklich in den Katalog der Ziele der Union aufzunehmen und
die EZB nicht uniform wie andere Institutionen in den Unionsrahmen
einzugliedern (Entwurf Art. 34/2), weil aus ihrer Sicht dadurch die
Unabhängigkeit de facto beeinträchtigt werden könnte.
Das Ziel der Union
sei gemäß Art.9(1) des Entwurfs das "Europäische Gesellschaftsmodell"
durch "nachhaltige Entwicklung der wirtschaftlichen und sozialen
Aktivitäten, durch das Erblühen der Kulturen der Mitgliedsstaaten, durch einen
hohen Grad an Umweltschutz und Solidarität zwischen den Regionen, gleich ob
zentral, peripher oder insular gelegen." (Übers.d.Verf).
Dies weist auf zwei
fundamentale Grundsätze von besonderer wirtschafts-, sozial- und
umweltpolitischer Bedeutung hin:
Der Grundsatz der
nachhaltigen Entwicklung und des schonenden oder pflegenden Umgangs mit den
natürlichen Lebensgrundlagen ist für eine moderne Verfassung nicht mehr
entbehrlich. Er entspricht nicht nur ökologischen Zielvorstellungen, sondern
verbunden damit auch dem Gesichtspunkt der Solidarität mit und der
Rücksichtnahme auf künftige Generationen. Er hat nicht nur einen ökologischen
Gehalt, sondern auch einen des sozialen Ausgleichs innerhalb und zwischen den
Generationen, mit unmittelbaren Konsequenzen für die Wirtschafts- und
Sozialpolitik, insbesondere als Rahmenbedingungen für die
Staatsschuldenpolitik.
Die Solidarität und
der Ausgleich der Finanzkraft zwischen den Regionen, die sich die europäische
Politik schon bisher unter anderem in den Programmen der Strukturfonds und der
Kohäsion zur Aufgabe gemacht hatte, ist tatsächlich eine prinzipielle
Weichenstellung einer Verfassung. Sie ist Ausfluss einer Vorstellung von
Gleichheit, die weit über die Gleichheit der Menschen vor dem Gesetz
hinausreicht.
Die schweizerische
Verfassung betont mehrere Aspekte dieser Solidarität: in Art.2/3, noch vor der
Rechtsgleichheit (Art.8) die Chancengleichheit, die Verpflichtung des Staates
zur sozialen Sicherheit aller Personen (!, nicht: Staatsbürger. Art. 41/1a),
die Solidarität des Bundes mit der besonderen Situation der Städte und
Agglomerationen sowie der Berggebiete (Art.50/3). die Rücksicht auf die
kulturelle und sprachliche Vielfalt des Landes (Art.69) und, ganz zentral, den
Finanzausgleich (Art.135), dessen zweiter Absatz den Bund bei der Gewährung von
Bundesbeiträgen verpflichtet, die Finanzkraft der Kantone und der Berggebiete
zu berücksichtigen.
Das Ausgleichen von
wirtschaftlichen Ressourcen zwischen den Regionen eines Staates kann
verschiedene Formen annehmen. Materiell handelt es sich jedoch regelmäßig um
Formen eines Finanzausgleichs im weiteren Sinn, ob dieser nun durch die
Bemessung von Ertragsanteilen, durch Finanz- und Bedarfszuschüsse, durch die
Finanzierung von Infrastruktur oder durch fiskalische Begünstigungen zustande
kommt.
Hier wird eine
Thematik betreten, die in der Folge bei der Diskussion der Formen des
Staatsaufbaus eine entscheidende Rolle spielen wird. Es sei hier nur angemerkt,
dass die allgemeine Zielsetzung der Solidarität noch sehr wenig determiniert.
Das deutsche Grundgesetz – "Herstellung gleicher Lebensgrundlagen"
-geht hier wesentlich weiter als die prinzipiellen, aber quantitativ-finanziell
unverbindlichen Zielvorgaben für den Bund und die Kantone in der Schweiz.
Ein
Verfassungspostulat der Herstellung gleicher Lebensgrundlagen im Grundgesetz
schränkt im Prinzip die Möglichkeiten und Potentiale des Wettbewerbs zwischen
autonomen Regionen ein, wenn es einen solchen nicht überhaupt unmöglich macht.
Die Diskussion des "Konkurrenzföderalismus" (fiscal federalism)
wird versuchen, sinnvolle Grenzen für die Verpflichtung zur interregionalen
Solidarität zu ziehen. Nicht zuletzt hängt die Beantwortung dieser schwierigen
Frage davon ab, welche Indikatoren für die Angleichung der Lebensgrundlagen
herangezogen werden sollen: die Strukturpolitik der EU beschränkt sich dabei im
wesentlichen, auch um unvermeidlichen Diskussionen zwischen den Mitgliedern
nicht allzu viel Nahrung zu geben, auf den Indikator des
Brutto-Regionalprodukts je Einwohner im Vergleich zum Durchschnitt der EU und
einen Indikator der Arbeitsmarktlage. Im Rahmen der Agrar- und spezieller
regionaler Förderungsprogramme wird jedoch darüber hinaus eine Vielzahl an
Indikatoren als Kriterien für die Gewährung von Förderungen herangezogen.
Dass seit 1920
tiefgreifende Veränderungen der Gesellschaft, der internationalen Politik und
der Weltwirtschaft , die eine Revision der Verfassung früher oder später
unumgehbar gemacht haben, wird von niemandem ernsthaft bestritten. Die Stellung
Österreichs als Mitglied der Europäischen Union in der Bundesverfassung zu
berücksichtigen, ist ein besonders augenfälliger Anlass dazu. Aber nicht nur
das Verhältnis Österreichs zur EU hat eine gänzlich veränderte Grundlage, auch
die Souveränität des Nationalstaats schlechthin als Grundannahme der Verfassung
hat sich gewandelt, reduziert, wurde aufgeweicht. Das betrifft das Völkerrecht,
die Neutralität, die äußere Sicherheit, aber auch nahezu alle anderen
öffentlich- und privatrechtlichen Aspekte und Zielsetzungen eines modernen
Staatswesens.
Die wirtschaftliche
und kulturelle (Informationsnetze, Wissenschaft) Verflechtung einer
hochentwickelten Nation macht die uneingeschränkte Souveränität des
Nationalstaates jedenfalls de facto zur Illusion. Die Effektivität
einzelstaatlicher Instrumente hat stark eingebüßt und kann nur durch
internationale Zusammenarbeit auf internationaler und auch schon globaler Ebene
zu ersetzen versucht werden. De iure wird staatliche Souveränität durch
internationale Vertragswerke, die innerstaatliches Recht schaffen oder die
andernfalls "autonom" nachzuvollziehen sind, immer mehr an
internationale und globale Rahmenvorgaben gebunden.
Die moderne Welt
erlebt spätestens seit den historischen Ereignissen der Jahre 1989 und 1990
einen raschen und tiefgreifenden Wandel. Nicht nur die politische Landschaft
Europas wurde umgestaltet, sondern das Kräftesystem der Welt durch den
Zusammenbruch einer der Supermächte. Wohin das globale System steuert, ist bestenfalls
schemenhaft zu ahnen: der Aufstieg Chinas, die globale Klimaproblematik, die
Entwicklung im islamischen und afrikanischen Raum und die Alterung der
Bevölkerung – zu unterschiedlichen Zeitpunkten und mit unterschiedlicher
Tragweite - sind absehbare und mit herkömmlichen Gewohnheiten und Institutionen
kaum zu lösende Probleme. All dies wird von technologischen Entwicklungen
angetrieben, die ihrerseits zwar zufriedenstellende Lösungen erleichtern mögen,
aber diese nicht automatisch, ohne einen gelenkten politischen und sozialen
Prozess garantieren.
Gesellschaftliche
Innovationen hinken deutlich hinter den technologischen Möglichkeiten her. Die
politischen Systeme scheinen von Technologien und von unternehmerischen
Strategien überrollt zu werden. (Man kann Sorge darüber empfinden, dass der
naturwissenschaftliche Forschung, die die Basis für die materielle Entwicklung
sichern soll, angesichts des globalen Wettbewerbs konsequenter Weise hohe
Priorität vor der politik-, wirtschafts- und sozialwissenschaflichen Forschung
bekommt und sie augenfällig leistungsfähiger macht).
Verstärkte,
vertiefte und erweiterte Integration Europas ist eine Antwort auf die
Herausforderungen.
Die Teilnahme an
der Europäischen Union hat für einen Staat und seine Volkswirtschaft zwei
Effekte:
Erstens: sie öffnet sein
Wirtschaftsgebiet und damit das Instrumentarium der Wirtschaftspolitik
gegenüber seinen europäischen Partnern. Dort, wo noch wirtschaftlich relevante
Unterschiede in der Rechtsordnung und insbesondere in der Regelung des
wirtschaftlichen Wettbewerbs bestanden haben, werden diese beseitigt oder
abgebaut. Die Wirtschaft erhält die Chance, uneingeschränkt am europäischen
Wettbewerb teilzunehmen, muss sich diesem aber auch uneingeschränkt aussetzen.
Die europäische Integration vertieft die Arbeitsteilung innerhalb Europas und
verschärft den Wettbewerb auf den Güter-, Dienstleistungs-, Arbeits- und
Kapitalmärkten.
Zweitens: die gemeinsamen
europäischen Institutionen und die Koordinierung der nationalstaatlichen
Politik stellen den Versuch dar, die sonst in der Globalisierung verloren
gehenden Effektivität nationalstaatlicher Politik durch europäische Politik und
europäischen Schutz zu ersetzen. Besonders deutlich wird dies auf den
Agrarmärkten und auf den Arbeitsmärkten, die gegen den Weltmarkt an
landwirtschaftlichen Erzeugnissen und gegen die Einwanderung aus
bevölkerungsreichen, jungen, armen Ländern geschützt werden ("Festung
Europa"). Auch der europäische Schutz ist nicht lückenlos effektiv, wie
die off-shore-Veranlagung von Kapitalien auf Steuerinseln und die (gleichfalls
"off-shore-") Katastrophen verzweifelter Kurden und Afrikaner im
Mittelmeer täglich beweisen.
Auch die EU hat ein
Interesse an der Teilnahme an den wirtschaftlichen Potentialen der
Globalisierung und dies macht sie verhandlungs- und kompromißbereit, etwa im
Rahmen der World Trade Organization (WTO). Auch die europäische Ebene ist
allein nicht in der Lage, die potenziell öffentliche Interessen aushölenden
Effekte der Globalisierung zu dämpfen oder zu stoppen. Kurzfristig verfügbares
Kapital ist weltweit mobil. Es entzieht sich der nationalen und der
europäischen gesellschaftlichen Solidarität und vermag nationale Besteuerung
der Substanz und der Erträge zu vermeiden. Ähnliches gilt für mobile
Unternehmenssitze und für hochqualifiziertes Personal. Die Folge ist, dass die
wachsenden Sozialaufwendungen – insbesondere für eine künftig rasch alternde
Bevölkerung – von der weniger mobilen Steuergrundlage der Arbeitseinkommen von
Unselbständigen und Selbständigen getragen werden müssen und rasch ansteigen.
Das kann zu einem Teufelskreis führen: wachsende Lasten auf den Einkommen der
noch Seßhaften vertreiben weitere Menschen, die zur Mobilität fähig sind. Dies
kann auch die Form einer inneren Emigration annehmen, indem Leistungsanreize
durch immer höhere Steuer- und Soziallasten unterdrückt werden und die
Freizeitpräferenz weiter zunimmt. Beides engt die Möglichkeiten, fundamentale
wirtschaftliche und soziale Staatsziele zu erreichen, immer mehr ein und könnte
– ohne internationale oder zumindest europäische Zusammenarbeit – fatale Folgen
für die politische Stabilität und die materielle Wohlfahrt haben.
Die Probleme des
herkömmlichen nationalen Verfassungsstaates in seiner internationalen Umgebung
haben zwei wesentliche Ursachen:
Erstens die prinzipiell
nahezu unbeschränkte Mobilität von Wirtschaftsgütern über die nationalen
Grenzen, also über die Grenzen der nationalen Jurisdiktion hinweg.
Zweitens: die Situation und
die Perspektiven wirtschaftlich hoch entwickelter Volkswirtschaften verlangen
gebieterisch wirtschaftliche Entwicklung und generieren dabei immer
differenziertere Ansprüche. Die gelegentlich vorgebrachte Option, mit dem
erreichten Wohlstandsniveau zufrieden zu sein und weiteres Wachstum zu
vermeiden, würde den Staat politisch destabilisieren und damit die
ökologischen, sozialen und kulturellen Probleme nur verschärfen. Dies gilt umso
mehr angesichts der wirtschaftlichen Ressourcen, die die bevorstehende
demographische Alterung dieser Gesellschaften erforderlich machen wird, soll
sie sozialverträglich und politisch einigermaßen reibungsfrei bewältigt werden.
Es geht nicht um Wachstumsverzicht, sondern darum, das Wachstum in eine
Richtung zu lenken, die eine nachhaltige Entwicklung der Gesellschaft gewährleistet.
Das
Einkommenswachstum wird den Bedarf an differenzierteren öffentlichen Leistungen
verstärken und bewirken, dass "the 'one-size-fits-all' approach may
increasingly fail to deliver a basket of public goods that is optimal for all
citizens." (Joumard, Kongsrud, OECD, 2003, p.171).
Dieses Problem wird
durch Grundsatzerklärungen der Verfassung zur internationalen Zusammenarbeit,
zur Erhaltung der Lebensgrundlagen und zur Solidarität mit kommenden
Generationen natürlich noch nicht ausreichend beantwortet. Es sind aber die
Aspekte, die der Geist einer modernen zukunftstauglichen Verfassung jedenfalls
atmen muss.
Die Situation und
die Perspektiven haben aus verfassungspolitischer Sicht drei Konsequenzen:
Erstens: die Inhalte und
die Bedingungen des europäischen Gesellschaftsmodells – Bekenntnis zur Eigenverantwortlichkeit
und Initiative, aber auch zur gesellschaftlichen Verpflichtung und Solidarität
der Bürger und der Wirtschaft auch mit kommenden Generationen, sowie zum
schonenden Umgang mit den natürlichen Lebensgrundlagen und dem kulturellen Erbe
und der kulturellen Vielfalt.
Zweitens: der Regierung
diese Grundsätze als Staatsziele aufzuerlegen und sie zur aktiven
internationalen (insbesondere europäischen) Zusammenarbeit zu verpflichten,
wobei vor den schädlichen Konsequenzen einer egoistischen (populistischen)
Interessenvertretung zu warnen ist. Unter anderem wird dieser Grundsatz eine
Neuorientierung der österreichischen Sicherheitspolitik, des Auftrags des
Österrreichischen Bundesheeres und jedenfalls eine akkordierte Eigenleistung
Österreichs in der Sicherheitspolitik zu Folge haben.
Drittens: die
Differenziertheit und Innovationskapazität eines dezentralen, auf regionale
Autonomie gestützten staatlichen Systems auszubauen. Länder und Gemeinden sind
durch die Öffnung der Grenzen zur regionalen Zusammenarbeit über diese hinweg
befähigt, selbstverständlich der Bundesverfassung verpflichtet, jedoch nicht
mehr nur im Verhältnis zum Bund und zueinander zu definieren. Auf die
Begründung dieser Schlußfolgerung wird in der folgenden Diskussion eines
zeitgemäßen Föderalismus näher eingegangen.
Mit dem Beitritt
zur Europäischen Union übernahm Österreich, gleich ob dies explizit in seiner
Verfassung verankert ist, die Mitwirkung an den Aufgaben der Gemeinschaft,
welche der Art. 2 EGV definiert. Die Aufgaben der Gemeinschaft sind im EGV
weitestgehend wirtschaftspolitisch definiert. Sie strebt unter anderem eine
"harmonische, ausgewogene und nachhaltige Entwicklung des
Wirtschaftslebens, ein hohes Beschäftigungsniveau und ein hohes Niveau an
sozialem Schutz ..." an.
Die Mitgliedschaft
Österreichs in der Europäischen Union setzt die Übertragung von primär Bundes-,
fallweise auch Landeskompetenzen (lawmaking power) an die übergeordnete
Union voraus. So hat sie etwa das Gebot des einheitlichen Wirtschaftsraums von
der nationalen auf die europäische Ebene angehoben, freilich noch nicht in
jeder Hinsicht mit der letzten Konsequenz. Der Union steht etwa bisher keinerlei
Kompetenz zur Einhebung von eigenen Steuern zu. Der Beitritt zur EU bewirkte in
Österreich auch Verschiebungen der verbliebenen Kompetenzen zwischen der
Länder- und der Bundesebene, Vereinbarungen zwischen ihnen über die
innerstaatliche Umsetzung des europäischen Rechts durch Art. 15 a-Verträge und
über die Vertretung und Ausübung der österreichischen Position (treaty
making power) in "Brüssel".
Diese Arbeit
befasst sich nicht mit den verfassungsrechtlichen Aspekten der Übertragung von
Kompetenzen der Legislative, Exekutive und Gerichtsbarkeit auf die EU.
Europäisches Recht hat, im Rahmen dieser Kompetenzen, unmittelbare Gültigkeit
in den Mitgliedsstaaten (Art. 249 EGV, ex Art.189). Wie immer die
Stellung europäischen Rechts an der Spitze der Rechtspyramide innerstaatlich
fundiert oder erklärt wird, muss ein Mitgliedstaat diese Ordnung akzeptieren
muss, um nicht vertragsbrüchig zu werden. "Meanwhile the doctrine
of supremacy of community law has become one of the corner stones of community
law, and the constitutional courts of the member-states have accepted that
doctrine to a high degree, although they have not totally given up the doctrine
of parallel jurisdictions according to which certain fields of national
jurisdiction connot be invaded by community law." (Kirchner 1997, p. 73/74
gestützt auf Beutler et.al. 1994, p. 98-109).
Aus
wirtschaftspolitischer Sicht wurden europäischen Institutionen wichtige Teile
der makroökonomischen Politik übertragen oder zur Koordination anvertraut. Die
weiteren Hauptelemente europäischer Kompetenz im Bereich der Wirtschaftspolitik
bilden die Binnenmarkt- und Wettbewerbspolitik, die Außenwirtschafts-, die
Agrar- und die europäische Strukturpolitik zur Förderung wirtschaftlich
zurückgebliebener Regionen und der transeuropäischen Infrastruktur. Auf anderen
wirtschaftspolitischen Gebieten liegen die Initiative für abgestimmtes,
gemeinsames Vorgehen und die Formulierung von Richtlinien bei EU-Behörden,
nicht aber deren innerstaatliche Ausformung auf der nationalen Ebene. Deren gesetzliche
Regelungen werden, wenn richtlinienkonform, wechselseitig anerkannt.
Weitgehend in
nationaler Kompetenz verblieben die konkreten Entscheidungen über die Struktur
der staatlichen Budgets, die Steuern und die Sozial- und Arbeitsmarktsysteme.
Allerdings sind bereits im Vertrag Elemente der Koordination auch für diese
Bereiche vorgesehen, so etwa die Harmonisierung der Verbrauchssteuern.
In der
Wirtschaftspolitik ist freilich auch in weiten Bereichen der eigentlich
nationalen Kompetenz Abstimmung mit den europäischen Entscheidungen notwendig,
weil die beiden Ebenen sachlich schwer zu trennen sind und die Koordination die
Effizienz der europäischen Wirtschaftspolitik stärkt. "Die Mitgliedstaaten
richten ihre Wirtschaftspolitik so aus, dass sie im Rahmen der in Art.99 Abs.2
genannten Grundzüge zur Verwirklichung der Ziele der Gemeinschaft im Sinne des
Art.2 beitragen" (Art. 98 EGV). Art. 99 Abs.2 EGV beauftragt den Rat zu
Empfehlungen über die Grundzüge der Wirtschaftspolitik an die Mitgliedstaaten.
Deren Nichtbefolgung hat politische und unter Umständen rechtliche
Konsequenzen.
Wirtschaftspolitische
Leitlinien (main economic policy guidelines) der EU für die Gestaltung
der nationalen Wirtschaftspolitik, insbesondere der Budget- und zunehmend der
Sozialpolitik, und für deren Überwachung und Beurteilung auf europäischer Ebene
(Art. 99 Abs.3) schränken die nationale Souveränität auch auf Gebieten ein, die
formell in nationaler Kompetenz verblieben sind. Sie waren aber eine
Voraussetzung für die Errichtung der Währungsunion. In erster Linie betreffen
sie die staatliche Finanzpolitik und jene wirtschafts- und sozialpolitischen
Aufgaben, die starke Rückwirkungen auf diese haben.
Die europäische
Budgetpolitik ist föderalistisch, ihre Geldpolitik hingegen zentralistisch.
(Majocchi, 1999). Der Konflikt zwischen nationalen wirtschaftspolitischen
Interessen mit den Verpflichtungen aus der Teilnahme an der Währungsunion ist
jüngst akut geworden. Er entstand fast zwangsläufig aus der wirtschaftlichen
und politischen Problematik des Stabilitäts- und Wachstumspakts aus 1997, einer
Entschließung des Europäischen Rates gestützt auf die Vertragsänderung von
Amsterdam aus dem gleichen Jahr. Die notwendige Sanierung dieses Pakts ist
nicht anders vorstellbar, als dass Einschränkungen der nationalen
budgetpolitischen Souveränität über die beiden Makrokriterien der Budgetpolitik
(Neuverschuldung, Staatsschuldenquote) hinausgehen und andere sachgerechtere
Indikatoren und Leitlinien einbeziehen. Dies könnte zwar eine Lockerung der
Paktvorgaben für die nationale Budgetpolitik unter konjunkturpolitischen
Gesichtspunkten bringen, würde aber auch präzisere Vorgaben für die
Strukturierung der Staatsausgaben – etwa die Limitierung der Neuverschuldung an
das Ausmaß der staatlichen Investitionen nach deutschem Vorbild –, für das
Vermeiden von Defiziten infolge von Steuersenkungen, die Berücksichtigung
langfristiger finanzieller Obligos des Staates aber auch strukturpoltische
Fragen (Lissabon-Ziele!) bedeuten. Wahrscheinlich ist auch die Errichtujng
einer unabhängigen Kontrollinstanz für die Beurteilung der nationalen
Budgetpolitiken anzudenken.
Die europäischen
Vorgaben können sinnvoll nur erfüllt werden, wenn alle Gebietskörperschaften
zusammenwirken. Daher scheint eine Aufnahme dieses Prinzips, das auch dem
innerösterreichischen Stabilitätspakts zugrunde liegt, ins Verfassungsrecht
geboten.
Die
verfassungsgemäß dem Bund allein zustehende Regelung des Geldwesens (Art.10,
Abs. 1/5 BVG) wurde in Bezug auf Geld- und Währungspolitik an das Europäische
System der Zentralbanken (ESZB) übertragen. Die Oesterreichische Nationalbank
nimmt an diesem System nach den Regeln der Europäischen Wirtschafts- und
Währungsunion teil.
Gemäß Art.2 des
Statuts "ist es das vorrangige Ziel des ESZB, die Preisstabilität zu
gewährleisten. Soweit dies ohne Beeinträchtigung des Ziels der Preisstabilität
möglich ist, unterstützt das ESZB die allgemeine Wirtschaftspolitik der
Gemeinschaft, um zur Verwirklichung der in Artikel 2 dieses Vertrages (s.o.
S. ....) festgelegten Ziele der Gemeinschaft beizutragen. Das ESZB handelt
im Einklang mit dem Grundsatz einer offenen Marktwirtschaft mit freiem
Wettbewerb, wodurch ein effizienter Einsatz der Ressourcen gefördert wird, und
hält sich dabei an die in Artikel 3a (4) dieses Vertrags genannten
Grundsätze."
Über die
Unabhängigkeit des ESZB bzw. der Organe der EZB von den Regierungen der
Mitgliedstaaten besteht zwar Einigkeit. Sie ist Voraussetzung für eine
leistungsfähige und glaubhafte Politik zur Gewährleistung der Preisstabilität.
Über die Publizität und Transparenz der Entscheidungen des Rates der EZB sowie
über das Verhältnis der Geldpolitik zu den sonstigen Zielen der
Wirtschaftspolitik sind jedoch nach wie vor erhebliche Auffassungsunterschiede
zwischen einzelnen Regierungen und auch in der ökonomischen Wissenschaft
erkennbar. Der Verfassungsentwurf für die Europäische Union könnte die
Berücksichtigung der sonstigen Ziele der Wirtschaftspolitik durch die
Geldbehörde und ihre Verantwortlichkeit gegenüber dem Rat etwas verstärken.
Es ist immerhin
erstaunlich, dass die Unabhängigkeit der Zentralbank, die von enormer Tragweite
für die wirtschaftliche Entwicklung ist, bisher in den Staatsverfassungen
höchst unterschiedlich geregelt ist. Eine ausschließliche oder vorrangige
Verankerung des Ziels der Preisstabilität, wie sie im Vorjahr in Vorstößen der
EZB und der Deutschen Bundesbank gefordert wurde, wurde bisher im Europäischen
Verfassungsentwurf unberücksichtigt gelassen.
Die Unabhängigkeit
der Währungsbehörde ist eine Sache, ihre vorrangige Verpflichtung auf
Preisstabilität eine andere. Weder die amerikanische noch die neue
schweizerische Verfassung und auch nicht die Aufgabenstellung im früheren
österreichischen Nationalbankgesetz enthalten eine solch strikte Orientierung.
Eine Rangordnung der wirtschaftspolitischen Ziele, die diesem Ziel unbedingten
Vorrang vor den anderen wirtschaftspolitischen Zielen des Art.2 EGV gäbe, wäre
auch aus ökonomischer Sicht schwer zu vertreten.
Abschließend sei
die Frage angeschnitten, weshalb sich im Prozess der europäischen Integration
die nationale Wirtschaftspolitik gerade in makroökonomischen Fragen freiwillig
die Hände binden lässt. Die Antworten der Constitutional Political Economy
lauten, gestützt auf eine Studie von L. Quaglia (2003):
Erstens, weil dadurch auch
die Hände der Politik der Partner gebunden werden, was
Trittbrettfahrerverhalten und Gefangenendilemma vermeidet.
Zweitens, es ist für die
Glaubwürdigkeit der Politik besser, sichtbar gebundene Hände zu haben, als
scheinbar freie Hände, die de facto gebunden sind.
Drittens, um die selbst
auferlegte externe Beschränkung im internen nationalen Bereich als Argument der
Durchsetzung unangenehmer Politik nutzen zu können.
"Europeanisation
has been a way to avoid checks and balances working in the domestic context.
One reading of this is that the costs involved for governments in striking a
constitutional bargain look as though they may still outweigh the perceived benefits
of the bargains and compromises to be struck." (Vibert, 1999, p. 163).
Staatsverfassungen
unterscheiden sich unter anderem darin, ob zur Ausübung öffentlicher Aufgaben
eine einzige oder mehrere staatliche, territorial abgegrenzte Ebenen mit
eigenen Zuständigkeiten eingerichtet werden. Zwischen rein unitarisch regierten
Staaten und solchen mit starker Regionalautonomie gibt es ein Spektrum von
Übergangsstufen. Föderalistisch ist ein Staatsmodell jedoch nicht schon dann,
wenn die Verwaltung dezentral eingerichtet wird. Dies ist eine reine Frage der
Zweckmäßigkeit und auch kleine Staaten kommen ohne dezentrale Einrichtungen der
öffentlichen Dienste nicht aus.
Föderalismus setzt
mehr voraus:
·
eine Hierarchie von Rechtssetzungsebenen und zwar im innerstaatlichen
Bereich in der Regel eine zentrale, eine regionale und eine lokale Ebene,
·
Autonomie dieser Ebenen für definierte Bereiche innerhalb der gesamten
Staatsaufgaben,
·
und eine verfassungsmäßige Garantie ihres Bestandes.
Das right to act
genügt also nicht, Föderalismus setzt das right to decide voraus. (H.
Keman, 2002, p. 197f)). Allerdings kommt die ökonomische Theorie des
Fiskalföderalismus gewöhnlich ohne das Kriterium der formalen,
konstitutionellen regionalen Autonomie der Gesetzgebung aus, sondern bezieht
sich auf die wirtschaftlichen Effekte aller Formen der vertikalen
Dezentralisierung staatlicher Aufgabenerfüllung. Wenn wir den auf Oates (1972)
zurückgehenden Begriff Fiskalföderalismus (gleichbedeutend mit Wettbewerbs-
oder Konkurrenzföderalismus) verwenden, sollte uns bewußt sein, wie es Oates,
der den Begriff prägte, später (1999) bewußt wurde, dass diese Wortwahl etwas
irreführend war: die Theorie handelt keineswegs nur von den budgetären Effekten
des Föderalismus, wie der Name suggeriert. "The subject of fiscal
federalism encompasses much more, namely the whole range of issues relating to
the vertical structure of the public sector." (Oates, 1999, p.1121).
Damit Föderalismus
die ihm von der Theorie des Fiskalföderalismus zugeschriebenen Vorzüge
entfalten kann, müssen jedoch zusätzliche wirtschaftspolitische Bedingungen
gegeben sein: unter anderem ein innerstaatlicher Binnenmarkt ohne Wirtschaftsschranken,
Kompetenz der (regionalen) Gliedstaaten auch für Bereiche der
Wirtschaftspolitik und "harte" Budgetgrenzen, d.h. den Ausschluss von
Finanzhilfe durch den Zentralstaat oder durch die anderen Gliedstaaten im Fall
von Budgetproblemen eines derselben( hard budget constraint, exclusion of bail
out). (Weingast, 1995, p.4).
Das Interesse an
dem zweckmäßigsten Stufenbau staatlicher Einrichtungen hat in jüngerer Zeit
starken Auftrieb erfahren. Dies hat einmal damit zu tun, dass die früher zum
kommunistischen Machtbereich zählenden Staaten, die dort auch in
wirtschaftspolitischer Hinsicht einem strikten Zentralismus unterworfen waren,
sich neue freiheitlichere Staatsmodelle suchten.
Zum anderen – und
für Österreich direkt von Bedeutung – wurde das Interesse stark angeregt, weil
sich gerade in der EU die Fragen nach der Rolle des Föderalismus – also dem
Verhältnis zwischen der Union und den Mitgliedstaaten und nach der Rolle des
Subsidiaritätsprinzips in öffentlichen Angelegenheiten immer dringlicher stellte.
Die Übertragung von wesentlichen Kompetenzen nicht zuletzt der
Wirtschaftspolitik von der nationalen auf die Unionsebene machte die Frage nach
der wirtschaftlich und politisch zweckmäßigsten, den Bedürfnissen der
Unionsbürger am besten entsprechenden Verfassungsarchitektur Europas hoch
aktuell.
Das
Subsidiaritätsprinzip wurde im Unionsvertrag von Maastricht 1992 ausdrücklich
festgeschrieben und ist nun im Art.5 des EGV verankert. In der Fassung dieses
Artikels bedeutet es (Abs.2), dass "die Gemeinschaft ... nur tätig wird,
sofern und soweit die Ziele der in Betracht gezogenen Maßnahmen auf Ebene der
Mitgliedstaaten nicht ausreichend erreicht werden können und daher wegen ihres
Umfangs oder ihrer Wirkungen besser auf Gemeinschaftsebene erreicht werden
können." Dabei ist klar, dass Föderalismus auf europäischer Ebene nicht
Föderalismus im innerstaatlichen Bereich voraussetzt. Subsidiarität ist ein
Prinzip, das auch in zentralistisch strukturierten Staaten beachtet werden
kann. In der Fassung des EGV wird ja nicht entschieden, ob für das
"Erreichen der Ziele" nicht auch eine zweckmäßig organisierte
dezentrale Administration genügen würde.
Die Kunst des
Föderalismus sei es, schrieb Alexis de Tocqueville (De la Démocratie en
Amérique, 1838), die Vorzüge der Größe und der Kleinheit miteinander zu
verbinden. Die Frage stellte sich historisch erst, als sich die neuzeitlichen
Kleinstaaten Ende des 18. (USA!) und vor allem im 19. Jahrhundert zu größeren
Nationalstaaten integrierten. Dieser Prozess verlief damals bei weitem nicht in
allen Fällen zugunsten des Föderalismus. Zentralstaatliche Strukturen
entstanden unter anderem in Großbritannien, Italien und den Niederlanden.
Deutschland und die Schweiz führten ihre historischen föderalistischen
Traditionen fort, wohl weniger aus Gründen der ökonomischen Effizienz als
vielmehr aus Staatsraison. Das österreichische Kaisertum war zentralistisch,
die Doppelmonarchie nach dem Ausgleich 1867 war der Typus eines föderalen
Systems zweier Gliedstaaten, aus dem sich in mancher Hinsicht durchaus für die
heutigen Verfassungsprobleme Europas Schlüsse ziehen lassen.
Man kann sich
fragen, ob die Debatte über dezentrale und insbesondere föderale
Staatsstrukturen heute, in einer Epoche globaler Wirtschaftsbeziehungen,
weltweiter Mobilität und Netzwerke überhaupt relevante Antworten erwarten
lässt. Ob der Grad der wirtschaftlichen Entwicklung nicht weltweite
Koordination und Standards erforderlich macht und daher regionale Autonomie der
Jurisdiktion einfach gegenstandslos und weggewischt wird.
Tatsächlich haben
die Internationalisierung der Wirtschaft, des Informations- und
Kulturaustauschs sowie der Umweltproblematik manche föderalen Sonderregelungen
obsolet gemacht. Zunächst hat der Nationalstaat im europäischen Verbund und im
globalen Konzert der Mächte viel von seinem Handlungsspielraum an die höheren
Ebenen abtreten müssen. Seine uneingeschränkte Souveränität ist de facto
ausgehölt.
Umso mehr, könnte
man schließen, gilt das für die Leistungsfähigkeit der innerstaatlichen föderalen
Strukturen. Tatsächlich haben auch die Gliedstaaten föderalistischer Republiken
unmittelbar Kompetenzen an die internationale (sowohl die globale als noch mehr
an die europäische) Ebene abgetreten und oft eifersüchtig gewahrte regionale
Sonderrechte aufgeben müssen.
Umgekehrt hat aber
die Globalisierung zwei Grundgedanken des Föderalismus nur noch aktualisiert:
nämlich den der Identifikation mit und den der Beteiligung der Bürger an
öffentlichen Angelegenheiten (siehe unten S. 97). Einerseits hat die Anonymität
ferner Bürokratien in vielen Ländern zu eigentlichen Entwicklungs- und
Staatskrisen geführt. Nicht zuletzt zeigen sich gerade die Unionsbürger der EU
unzufrieden mit den Vorgängen und Erklärungen der europäischen Politik.
Andererseits hat die Auflösung traditioneller kultureller und sozialer
Bindungen, die durch den Wegfall nationaler Grenzbarrieren sowie stark
verbesserte technologische und Reisemöglichkeiten bewirkt wurde, gleichzeitig
den Wunsch nach Identifikation und Verwurzelung verstärkt. Gerade die höhere
Mobilität lässt einen festen persönlichen Anker offenbar eher wünschenwert
erscheinen.
Die europäische
Integration hat darüber hinaus die Möglichkeiten (und Wirtschaftlichkeit)
grenzüberschreitender Zusammenarbeit und wirtschaftlichen Austauschs ganz
entscheidend verbessert. Regionen, die von Staatsgrenzen durchschnitten waren,
beginnen sich nun der geographischen, kulturellen und wirtschaftlichen
Potentiale, die bisher zu wenig genutzt wurden, zu besinnen. Besonders viel
nachzuholen ist in dieser Hinsicht auf beiden Seiten des Eisernen Vorhangs der
Nachkriegsära. Das bringt natürlich auch mit sich, dass sich die Bindungen
solcher Regionen an den Nationalstaat in mancher Hinsicht lockern können.
Regionale staatliche Kompetenzen erleichtern einen solchen Vorgang, sind aber
gleichzeitig eine verfassungsmäßige Garantie gegen die Auflösung des Staates.
Für die Aktualität
föderalistischer Staatsformen wird gelegentlich auch ins Treffen geführt, dass
zwar nur eine Minderheit der Staatenwelt föderale Verfassungen aufweist, aber
immerhin ein ziemlich großer Teil der Weltbevölkerung in solchen Staaten lebt.
Das bedeutet, dass gerade eine Reihe der volkreichsten Staaten – Indien, die
USA, Kanada, Brasilien, Deutschland, dazu auch Mexiko, Australien, Südafrika
und andere – Bundesstaaten sind.
Weingast (a.a.O.,
S. 22) zählt mit nicht sehr plausiblen Argumenten China hinzu und schreibt auch
dessen wirtschaftlichen Aufstieg der Dezentralisierung von wirtschaftlichen
Kompetenzen zu. Man muss da wohl unterscheiden, ob wirtschaftliche Dynamik
durch Dezentralisierung von überforderten Zentralstrukturen ausgelöst wird,
oder die Dynamik die Folge von eigentlichem Föderalismus ist. Jedenfalls ist zu
erwarten, dass mit zunehmender Größe eines Staates die Dezentralisierung von
Staatsstrukturen zunimmt und dass
dieser Umstand föderalistische
Verfassungen nahelegt.
In sehr großen
Flächenstaaten macht sich die abnehmende Effizienz staatlicher Regulierung und
Administration (diseconomies of scale) bemerkbar. Umgekehrt können allzu
kleinräumige föderale Strukturen neben engstirnigem "Kantönligeist"
auch wirtschaftliche Nachteile aufweisen, wenn die technischen oder
finanziellen Mindestgrößen für die effiziente Durchführung staatlicher Aufgaben
unterschritten werden. Daher ist darauf zu achten, dass Skalenerträge durch
regionsübergreifende Einrichtungen genutzt werden. Als Argumente für
Föderalismus auch bei kleinen Nationen und dementprechend noch kleineren
regionalen Teilstaaten bleiben noch immer Homogenität der Wert- und Zielvorstellungen
("Sozialkapital") einschließlich wahrung von Minderheitenrechten ,
Bürgernähe, Eigenmotivation und
Eigenverantwortung, Effizienz der Informationsflüsse und der
Entscheidungsfindung aufrecht.
Die Eigenschaften
eines föderativen zum Unterschied von einem zentralistischen Staatsaufbau
wurden und werden von Juristen, Politologen und Ökonomen eingehend untersucht.
Wirtschaftliche, politologische und staatspolitische Argumente ergänzen sich
und decken sich teilweise, wenngleich sie aus der spezifischen Sicht, Denkweise
und Sprache dieser Disziplinen oft recht unterschiedlich formuliert sind.
Dezentrale
Autonomie und die Möglichkeit des Eingehens auf spezifische regionale (oder
lokale) Präferenzen und Informationen stellt sowohl einen ökonomischen wie
einen politischen Vorzug des föderalistischen Staatsaufbaus dar. Einige
wichtige dem Föderalismus zugeschriebene Vorzüge betreffen hingegen
metaökonomische Vorstellungen, die nicht Gegenstand der ökonomischen
Wissenschaft sind. Aus Sicht der Ökonomie ist Föderalismus nicht ein Wert per
se, sondern muss gegen allfällige ökonomische und andere Nachteile
abgewogen werden. Ökonomisch optimale Modelle andererseits müssen nicht
unbedingt auch staatspolitisch wünschenswert oder realisierbar erscheinen. Etwa
wurde das ökonomisch konsequent zu Ende gedachte Modell der funktional
überlappenden, konkurrierenden Jurisdiktionen B.Frey's und R. Eichenbergers
(1999) in dieser Hinsicht skeptisch aufgenommen.
Natürlich
akzeptieren alle ernstzunehmenden Stimmen zum Thema Föderalismus oder
Zentralismus, dass große und kleine staatliche Einheiten je spezifische Vor-
und Nachteile haben. Und das gilt sicher auch für dezentrale staatliche
Autonomie. Es geht um die Beurteilung des Gewichts der Vorzüge und Nachteile
unter theoretisch modellhaften Bedingungen und – noch überzeugender - unter
konkreten Bedingungen der Realität.
Der Kern der
Auseinandersetzungen über wirtschaftlichen Föderalismus oder Zentralismus
(Unitarismus) ist in unterschiedlichen staatsphilosophischen Auffassungen zu
suchen. Die jeweilige Position in der Auseinandersetzung hängt davon ab, wie
die Möglichkeiten und Gefahren von Staatsversagen eingeschätzt werden;
Staatsversagen als Folge der Annahme, dass die Aktivitäten von Politikern und
Politik regelmäßig nicht zu einem gesamtgesellschaftlich und
gesamtwirtschaftlich optimalen Ergebnis führen, weil sie ähnlich wie andere
Gruppen und Individuen eigennützig handeln, weil die Organe und Institutionen des
Staates nicht uneingeschränkt als benevolente Wohltäter aufgefasst werden
sollten. In der Theorie kann der Staat zwar rechtlich so konstruiert werden,
dass diese Gefahr gebannt wäre. Doch menschliche Erfahrung spricht dafür, dass
auch die Rechtsordnung keine lückenlose Gewähr dagegen bietet.
Wer in Zweifel
zieht, dass staatliche Einrichtungen uneingeschränkt dem Wohl der Gesellschaft
dienen, wird dazu tendieren, diese mit so wenigen Aufgaben wie möglich
auszustatten und so nahe wie möglich beim Bürger einzurichten. Vor allem soll
das staatliche System möglichst einem Wettbewerb ausgesetzt werden und soll
eine Monopolstellung tunlichst vermieden werden. (Das bedeutet nicht, das
Machtmonopol des Staates in Frage zu stellen). Die Vorteile von Wettbewerb sollen
ähnlich wie auf einem Markt auch im Systemwettbewerb nutzbar sein. Hinter
diesen Thesen stehen letztlich Zweifel an der Funktionsfähigkeit von Demokratie
und Recht.
Wer hingegen
betont, dass erfahrungsgemäß auch umgekehrt die freie Verfolgung von Einzelinteressen
nicht zu einem gesamtgesellschaftlichen Optimum führt, wird staatliche
Regelungen und Eingriffe befürworten und eher zentrale Entscheidungen
empfehlen.
In der Realität
sind Marktversagen und Marktunvollkommenheiten ebenso zu beobachten wie Phänomene
des Staatsversagens und der Staatsunvollkommenheit. Die ideologische
Auseinandersetzung kann nicht darüber geführt werden, ob es beide Phänomene
gibt, sondern nur darüber, in welchem Ausmaß man mit ihnen rechnen muss und wie
sie reduziert werden können.
Hinter der jeweils
vertretenen Staatsphilosophie stehen unterschiedliche Menschenbilder: entsteht
allgemeine Wohlfahrt eher durch Kooperation oder durch Wettbewerb? Sind
Egoismus oder Altruismus der stärkere Anreiz für die individuellen Entscheidungen?
Soll Effizienz oder sozialer Ausgleich den Vorrang besitzen? Lassen staatliche
Einrichtungen die Privatinitiative und die Eigenverantwortung verkümmern, ja
korrumpieren sie diese regelrecht? Oder beugen sie nicht viel eher
unerträglichen sozialen Mißständen und Ungerechtigkeiten vor?
Betont die eine
philosophische Richtung eher die Eigenschaften und Möglichkeiten des Menschen
mit Eigenverantwortung und Eigeninitiative, so die andere seine Eigenschaften
und Möglichkeiten als gesellschaftliches Wesen, dessen Interessen durch
staatliche Einrichtungen außerhalb des Marktes unvermeidlich und am besten
gedient wird. Die eine Richtung hebt eher die Eigenschaften des Staates etwa
als "Österreich AG" hervor, die andere hält am Primat politischer
Ziele über wirtschaftliche Grundsätze und Sachzwänge fest.
Die Anwendung des
ökonomischen Modells des Wettbewerbs auf die Frage des optimalen Staatsaufbaus
bedeutet nicht, dass die Ökonomie einseitig die Vorzüge föderaler Verfassungen
betone. Die Ökonomie rechnet auch mit möglichen Nachteilen des föderalistischen
Modells und lässt einige seiner bedeutenden ausserökonomischen Vorzüge ausser
Ansatz. Insgesamt lassen sich jedoch auch mit ökonomischen Argumenten die
Vorteile eines föderalen Staatsaufbaus argumentieren, zum größeren Teil in
Erweiterungen des Modells des Systemwettbewerbs, die wir im Abschnitt V
erörtern werden.
Vorzüge
Dem föderalen
System werden in der politischen Ökonomie eine Reihe meist miteinander
verbundener Vorzüge zugeschrieben. Die Modelle des ökonomischen Föderalismus
inkorporierten im Laufe der Zeit so bedeutende Beiträge wie jene von F.A.Hayek
(1939, 1945), C. Tiebout (1956), M. Olson (1965), W.E. Oates (1972), G. Brennan
und J. Buchanan (1980) und wieder M.Olson (1982). Das in den neunziger Jahren
wieder erwachte Interesse an dem Thema brachte Überarbeitungen und
Zusammenfassungen des Modells durch R. P. Inman und D.L.Rubinfeld (1997) und
Oates (1999). Die ökonomische Theorie des Föderalismus ist jedenfalls ein
eindrucksvolles Denkgebäude, mit einigen gut ableitbaren Konsequenzen, das
freilich außerökonomische Aspekte weitgehend unberücksichtigt lassen muss.
Zweifel an der Realitätsbezogenheit des Modells und an seinen praktischen
Folgerungen sind angebracht und werden von Ökonomen und Politologen vorgetragen.
Nicht nur wird mit ökonomischen Nachteilen föderalistischer Strukturen in Form
höherer direkter Kosten argumentiert, es werden ihnen auch höhere Kosten der
Entscheidungsfindung und Schwierigkeiten der Konsensfindung in
Kooperationsfällen unterstellt.
Die verschiedenen
Argumente sollen kurz analysiert werden. Eine eindeutige Pro- oder
Contra-Position der Wirtschaftswissenschaft ergibt sich dabei nicht. Dies ist
schon deshalb nicht zu erwarten, weil es nicht so sehr um das Ob des
Föderalismus geht, sondern um das konkrete Wie. Die Vorzüge eines föderativen
Staatsaufbaus können verloren gehen, wenn die Kompetenzzuordnung und die
notwendige Koordination der Ebenen nicht auf die politischen, rechtlichen oder
wirtschaftlichen Gegebenheiten "passen". Umgekehrt können dezentrale
Verwaltungseinrichtungen auch in nicht-föderativ strukturierten Staaten durch
Bürgernähe einen Teil der Vorzüge eines föderativen Staates lukrieren.
Aus diesem Grund
hat auch die empirische Analyse der ökonomischen und finanzwirtschaftlichen
Ergebnisse keine sehr klare Bestätigung der Vorzüge föderativer Staaten
erbracht. Ihre Ergebnisse hängen stark von den jeweiligen nationalen
Rahmenbedingungen, von politischen, rechtlichen wie wirtschaftlichen, sowie von
Traditionen und Kulturen und deren konkretem Niederschlag in der Verfassungs-
und Verwaltungswirklichkeit ab.
Die Verlagerung von
Staatsaufgaben auf die jeweils dazu taugliche niedrigste Ebene, das Prinzip der
Subsidiarität, hat politische und ökonomische Begründungen. Es hat auch (im
Vertrag von Amsterdam 1997) in die Grundgesetze der Europäischen Union (Art.5
EGV) Eingang gefunden. Subsidiarität bedeutet, dass regional unterschiedliche
Präferenzstrukturen der Bevölkerung für die Erfüllung von Staatsaufgaben besser
berücksichtigt werden, dass ein geringerer Anteil der Bevölkerung bei
demokratischen Entscheidungen überstimmt werden muss (im Extremfall einhellige
Entscheidungen fallen), dass die Nähe zum Bürger und seinen Präferenzen deren
Interesse stärkt, ihre Kosten der Inanspruchnahme öffentlicher Dienste senkt
und zu eher zu einer Art der automatischen Aufsicht der Staatstätigkeit durch
die Bürger beiträgt. Die Mitwirkung der Bürger am Staat wird erleichtert. Sie
identifizieren sich eher mit dem Staat, und dies sollte auch die Einsicht in
gesellschaftliche Zusammenhänge und die Eigenverantwortung fördern und die
Eigeninitiative für öffentliche Aufgabenstellungen entfalten.
"It is helpful
to bear in mind that those who value a federal system typically do so for some
mix of three reasons: it encourages an efficient allocation of national
resources; it fosters political participation and a sense of the
democratic community; and it helps to protect basic liberties and freedoms."
(Inman,
Rubinfeld 1997, p. 44. Hervorhebungen im Original).
Wirtschaftlich
spricht dafür, dass Bürgernähe bessere Informationen für politische
Entscheidungen mit sich bringt und dass die Kongruenz zwischen den lokalen
Präferenzen der Bevölkerung und deren Erfüllung durch den Staat Kosten spart,
weil weniger nicht gefragte öffentliche Güter bereitgestellt werden müssen.
Hayek hat diese Konsequenzen und ihre Bedingungen schon sehr früh (1939)
formuliert und später vor allem die Ineffizienz der Informationsgewinnung und
-verarbeitung durch zentrale öffentliche Einrichtungen betont (Hayek
1945).W.E.Oates (1999, p.1123) unterstreicht diesen Gedanken. "Because local
governments and consumers have better information about local conditions and
preferences they will make better decisions than national governments." (Tsebelis, 2002, p.
295).
Die ökonomischen
Argumente zugunsten eines föderalen Staatsaufbaus gründen sich auf mehrere
Annahmen:
·
Die Gewinnung und Verarbeitung von Informationen als Grundlage von
Entscheidungen über öffentliche Anliegen nimmt mit wachsender Distanz vom
Gegenstand an Qualität ab und an Kosten zu.
·
Bürger engagieren sich eher für öffentliche Anliegen. Eigeninitiative
kann eher erwartet werden, wenn sie den unmittelbar überschaubaren
Lebensbereich betrifft und sich von relativ gleichgelagerten Interessen umgeben
fühlt. Sie muss dabei nicht unbedingt uneigennützig sein, doch ist auch
Altruismus eher zu erwarten. Eigeninitiative verkümmert, wenn weit entfernt
"anonyme" Entscheidungen fallen.
·
Bei relativ homogenen Präferenzen fallen Mehrheitsentscheidungen
leichter und schneller.
·
Diese Vorzüge kommen einem föderalen System auch zu, wenn die
Möglichkeit von Mobilität der Bürger oder von Produktionsfaktoren über die
Grenzen der Region nicht angenommen wird. Nimmt man aber an, und diese Annahme
ist heute realistischer als zur Zeit von Tiebouts Modell (1956), dass
Bevölkerung und Unternehmer mobil sind, um eine ihren wirtschaftlichen
Interessen und persönlichen Präferenzen eher gemäße regionale Umgebung zu
suchen, dann können sie dieser Präferenz nicht nur durch den Stimmzettel,
sondern auch durch Mobilität Ausdruck geben (adding 'exit' to 'voice',
Hirschman 1970). Interregionale Mobilität erhöht den Druck auf die Qualität der
regionalen Politik. Diese ist nun einem Standortwettbewerb ausgesetzt, der
ähnlich wie in der Wirtschaft innovativer und effizienter macht.
Die konkurrierenden
regionalen staatlichen Systeme bieten unterschiedliche "Menüs" an,
die Bevölkerung kann zwischen diesen wählen. Die "Speisekarte"
enthält nicht nur verschiedene Leistungen, sondern auch die Preise vor allem in
Form von (regional unterschiedlichen, autonom festgelegten) Steuern. "Political
competition means that jurisdictions must compete for capital, labour and
economic activity by offering menus of public policies (e.g. levels of
taxation, security of property rights, social amenities, public goods). Only
those restrictions that citizens are willing to pay for will survive." (Weingast, a.a.O.
p.5f). Die Bevölkerung kann dorthin wandern, dort investieren und vor allem
dort Steuern zahlen, wo sie das beste Preis-Leistungsverhältnis vorfindet, wo
sie das ihr am gemäßesten Menü vorfindet. Dieser Systemwettbewerb unterliegt
ähnlichen Bedingungen wie der wirtschaftliche Wettbewerb auf den Märkten.
Seit Tiebouts Bahn
brechenden Artikel wurden diese Hypothesen zur eigentlichen Theorie des
Fiskalföderalismus ausgebaut.
Einwände
Die wichtigsten
Einwände gegen diese Grundannahmen sind rasch bei der Hand.
·
Die Einrichtung einer zusätzlichen Ebene der Gesetzgebung und Verwaltung
bringt in der Regel insgesamt höhere direkte Kosten der öffentlichen
Einrichtungen, speziell für legislative und die obersten exekutiven Funktionen.
("political
wastage of multiplying parlaments and politicians", Wachendorfer-Schmidt,
2000, p.3). In Anbetracht der Größenordnungen, um die es sich dabei in der
Wirklichkeit (Österreichs) handelt, ist dieses in der Öffentlichkeit am
lautesten vorgebrachte Argument zwar besonders leicht einsichtig, aber wohl am
wenigsten gewichtig (s.u. S. 104).
·
Es gibt öffentliche Anliegen, die mit wachsender Größe des einbezogenen
Territoriums oder der Bevölkerung effizienter realisiert werden können.
"Skalenerträge" (economies of scale), also die
kostengünstigere Bereitstellung öffentlicher Einrichtungen mit wachsendem
Umfang der Inanspruchnahme, machen öffentliche Dienste in diesen billiger oder
leistungsfähiger. Der Verlauf der Skalenkurve ist allerdings nach Art der
öffentlichen Einrichtung verschieden. In der Landesverteidigung, der
Außenpolitik und in makroökonomischen Aspekten der Wirtschaftspolitik – Stabilitäts- und Geldpolitik, zssind
positive Skaleneffekte besonders auffällig. Sie können bis zur praktischen
Unteilbarkeit solcher Aufgaben gehen.
·
Zwischen den besseren lokalen Informationen, die dezentralen
Entscheidungen zugrundeliegen, und der fehlenden oder mangelhaften Kompetenz
der dezentralen Entscheidungen für gemeinschaftliche (zentrale) Anliegen
besteht ein trade-off. "While the central level exhibits quality
deficiencies because of scarce local knowledge, it may attract more qualified
people because of better carreer opportunities and salaries and could therefore
achieve a higher quality level. (Prud'homme 1994 und Thießen, 2000, zitiert in Breuss,
Eller,2003, p.13). Dabei handelt es sich um ein Argument, das durchaus auch zur
Befürwortung von Föderalismus eingesetzt werden könnte.
·
Dezentrale Autonomie vermag zwar besser auf die spezifisch regionalen
oder kommunalen Anliegen besser einzugehen, könnte aber unter Umständen
übergeordnete nationale bzw. regionale Interessen vernachlässigen
("contraints, federalism imposes on the national government in
implementing their political projects", Wachendorfer-Schmidt, a.a.O., p.2.
Joumard, Kongsrud, OECD, 2003, p. 177). Das bezieht sich nicht zuletzt
auf die Zielsetzung sozial oder regional ausgeglichener Bedingungen im
Gesamtstaat: "Federalism also seems to have a price, as it benefits those
who can use constituent governments to enforce minority policies and punishes
those who live in states and localities with sparce fiscal resources. (Peterson 1995, p.
180, zitiert in Wachendorfer-Schmidt, 2000, p.4).
·
Ganz im Gegensatz zur Hypothese, dass Föderalismus Veränderungen
leichter durchzuführen in der Lage sei, weil diese eher auf Konsens der
jeweiligen Bevölkerung gründen, steht die Behauptung, dass Föderalismus "a
major obstacle to change" (F.Scharpf et al. 1976, p. 143, zitiert in:
Wachendorfer-Schmidt, a.a.O., p.3). Das betrifft die gemeinschaftlichen
Anliegen. "Federalism tends to have high decision costs and low external
costs, whereas unitary systems generate lower decision costs but higher
external costs. The implementation of laws may thus cause more problems than in federal
states." (Wachendorfer-Schmidt, a.a.O. p.10). Konsens zu erreichen fällt auf
zentraler Ebene – nämlich für gemeinschaftliche Anliegen - schwerer, weil die
Zahl der "Veto Player" größer ist (Tsebelis, a.a.O.).
·
Das Neben- oder Übereinander zentraler und regionaler Kompetenzen und
Einrichtungen verursacht Abgrenzungsprobleme und unter Umständen Überlappungen
mit unnötigen Kosten. Abgrenzungsaufgaben müssen zentral gelöst werden,
andernfalls drohen positive wie negative Kompetenzkonflikte
(Doppelgeleisigkeiten und Lücken).
·
Sehr häufig können die Leistungen kostspieliger öffentlicher
Einrichtungen nicht auf die Angehörigen der regionalen Gebietskörperschaft
beschränkt werden. Auch Angehöriger anderer regionaler Einheiten benutzen sie
mit, weil die Inanspruchnahme entweder nicht beschränkt wird oder nicht
beschränkt werden kann. Es entsteht "Budgetaufblähung auf Kosten
anderer" (Blankart, 1999, S. 149), die freilich ökonomisch problematisch
ist. Leistungsfähige siedeln sich dort an, wo sie die niedrigsten Steuern
zahlen müssen, Hilfsbedürftige dort, wo sie die besten Sozialleistungen in
Anspruch nehmen können. Daraus folgt, dass sich gute und schlechte
"Risiken" polarisieren: ein Teufelskreis, der politisch inakzeptabel
und wirtschaftlich fatal wäre. Das Vorhandensein solcher "externer
Effekte" (externalities) muss in einer realistischen
Verfassungsstruktur berücksichtigt werden.
·
Ganz entscheidend ist die jeweilige Ausstattung regionaler Autonomie.
Bezieht sie sich nur auf die Festlegung und Erbringung öffentlicher Leistungen
ohne ihr gleichzeitig auch die Autonomie über die Finanzierung derselben
zuzuordnen (Steuerautonomie), so kann das zu kostentreibendem Aufwand und zur
Dämpfung der Innovationsneigung verleiten. Definition, Durchführung und
Finanzierung öffentlicher Aufgaben sollen auf der gleichen Ebene liegen und die
Verantwortlichkeiten nicht auseinanderfallen (Konnexität).
·
Die Systemkonkurrenz kann gerade durch die Koordination der regionalen
Autonomie zugunsten von einheitlichen Bedingungen eingeschränkt werden. Es kann
zur Kartellierung und zu monopolistischen Verhaltensweisen kommen, unter dem Vorwand,
Externalitäten vermeiden zu müssen. Für die regionale Politik kann es recht
attraktiv sein, sich mit den Repräsentanten auf gleicher Ebene zu einigen und
etwa die Kosten dafür der zentralen Regierung und jedenfalls den Steuerzahlern
zuzuschieben.
·
Solange die Repräsentanten der regionalen Gebietskörperschaften damit
rechnen müssen, dass ihr Verhalten durch Abwahl oder Auswanderung sanktioniert
ist, sind volkswirtschaftliche Vorteile absehbar, Wenn aber gerade auf
dezentraler Ebene Tendenzen angenommen werden müssen in Richtung auf
persönliches Prestige der handelnden Politiker ("sich Denkmäler
setzen"), auf persönliche Netzwerke und "Establishment", dann
können sich ganz im Gegenteil Defizite an Kontrolle aufbauen.
·
Innerstaatlicher Föderalismus macht die Mitwirkung an supranationalen
Einrichtungen komplizierter. Dies gilt namentlich für die Festlegung nationaler
Standpunkte im Rahmen der EU. Dort ist vor allem die Koordinierung der
makroökonomischen Wirtschaftspolitik, speziell der Budgetpolitik, welche in
Währungsunion notwendig ist, ein Prüfsein. (Joumard-Kongsrud, OECD, 2003, p.
198f.) Für Österreich wurde er mit dem Abschluss des innerstaatlichen
Stabilitätspaktes fürs Erste überwunden.
Befürworter und
Kritiker des Systemwettbewerbs in föderalen Staatswesen diskutieren eine Reihe
von möglichen Auswirkungen und die Bedingungen volkswirtschaftlich nützlichen
Wettbewerbs:
a. Wettbewerb
zwischen staatlichen Einheiten könnte statt zu Innovationen zur Schwächung
staatlicher Leistungen führen. Dies gelte insbesondere im Fall von
unkoordinierter Steuerpolitik. (Wettbewerbföderalismus gefährdet staatliche
Leistungen).
b. Wettbewerb
zwischen föderalen Teilstaaten habe im Fall von grenzüberschreitenden Kosten
oder Nutzen (spill-overs) Unterausstattung gemeinsamer Anliegen, also
suboptimales Angebot zur Folge. Er führe außerdem zur Vernachlässigung von
gemeinschaftlichen, koordiniert oder zentral wahrzunehmenden Anliegen. Daher
sei Koordination zwischen den verschiedenen staatlichen Einheiten und dem
Zentralstaat notwendig. Sie erschwere jedoch die Entscheidungsfindung. (Koordinierungsbedarf).
c. Wettbewerb
zwischen staatlichen Einheiten sei schon deshalb eine Illusion, weil
Eigennutzstreben der Politiker, ähnlich wie auf freien Gütermärkten, zur Kartellbildung für das Angebot
staatlicher Leistungen führe. Viele Argumente für Wettbewerbsföderalismus
fielen dann weg, oder verkehrte sich gar ins Gegenteil. (Wettbewerbsföderalismus
tendiert zu Kartellföderalismus).
d. Dies und andere
Kräfte führten zur tendenziellen Zentralisierung staatlicher Kompetenzen.
Funktionierender Föderalismus sei ein Übergangsstadium. (Zentralisierungstendenz).
e. Von einer
anderen Richtung wird dem entgegengehalten, dass kooperativer Föderalismus nicht zu Rigidität und Suboptimalität
führe, sondern im Gegenteil zu flexiblen und sparsamen Anpassungen an neue
Herausforderungen (Wachendorfer-Schmidt, a.a.O., p. 8f). (dynamischer
Föderalismus).
Nimmt man an, dass
Wirtschaftssubjekte, insbesondere Steuerzahler, zwischen verschiedenen
staatlichen Steuer- und Wohlfahrtssystemen wählen können, weil sie dorthin
wandern könnten, wo sie die für sie günstigsten Bedingungen vorfinden, so
könnte unter Umständen das Gemeinwohl schwer beeinträchtigt werden. Diese
pessimistische Hypothese trägt das Etikett "race to the bottom".
Die Tendenz zu
einem Konditionenwettlauf ist erst realistisch, seit weltweit die Märkte
liberalisiert und die Verkehrs- und Nachrichtenverbindungen enorm verbessert
wurden. Viele Staaten sehen sich in dieser Situation veranlasst, ihre
Konditionen für mobile Steuergrundlagen zu verbessern, um deren Abwanderung
vorzubeugen oder um solche aus anderen Staaten anzulocken.
Ein Wettlauf um die
in Frage kommenden Kapitalvermögen, Firmensitze und reale Investitionen hat
tatsächlich eingesetzt. Zumindest in Europa ist die Tendenz zur Senkung der
Steuerlast auf Körperschaftsgewinne und auf Kapitalerträge nicht mehr zu
bezweifeln.
Diesen mobilen
Besteuerungsgegenständen werden günstigere – vor allem fiskalisch attraktive -
Konditionen angeboten, im Extremfall auch günstigere als den ansässigen
Steuerzahlern. Darauf reagieren die betroffenen bisherigen Standorte und deren
Steuerpolitik, in dem auch sie ihre Steuer- oder Beitragseinnahmen senken oder
Privilegilen anbieten. Dieser Wettlauf führt tendenziell zur Anhebung der
Steuern auf die weniger mobilen Steuergrundlagen oder zur Leistungskürzung.
Beides verstärkt den Anreiz auf die Verbliebenen, ebenfalls auszuwandern. Es
entsteht nicht nur eine unfaire Lastenverteilung, sondern auch eine
Unterdotierung längerfristig sinnvoller Staatsanliegen.
Weltweit wäre der
Wettlauf ein Nullsummenspiel, das letztlich niemanden etwas bringt. Tatsächlich
gibt es jedoch Staaten, vor allem solche mit kleiner Bevölkerung, Infrastruktur
und bescheidenen Sozialsystemen, die dabei die attraktivsten Bedingungen bieten
können. Größere Staaten mit entsprechender Infrastruktur und mit einem
anspruchsvollen Sozialniveau sind eher der Gefahr ausgesetzt, Kapital,
Einkommen und Steuererträge dorthin abwandern sehen zu müssen, wo die effektive
Steuerbelastung geringer ist. Wer Leistungen der sozialen Sicherheit benötigt,
versucht vielleicht, diese dort zu erlangen, wo sie bessere Bedingungen bieten
(adverse selection). So kommt es zur Konzentration von "guten"
Risiken auf der einen, und von "schlechten" auf der anderen Seite,
einer unhaltbaren Situation, die den sozialen Ausgleich verletzt, staatliche
Leistungen unfinanzierbar macht und schließlich zur politischen
Destabilisierung und zur Entliberalsierung führt.
Die Problematik hat
unmittelbare Bedeutung für die Koordinierung der Wirtschafts-, vor allem aber
der Steuerpolitik innerhalb der EU und, weil für Kapital und Unternehmensgewinne
keine Außengrenzen der EU wirksam sind, auch weltweit.
Manche Befürworter
des Systemwettbewerbs schätzen diese Gefahr gering ein und verweisen darauf,
dass die innovativen Impulse des Konditionenwettbewerbs zwischen autonomen
Gebietskörperschaften höher zu veranschlagen sind – und theoretisch auch für
Redistribution aus sozialen Motiven zur Verfügung stünden. Skeptiker weisen
darauf hin, dass in der Wirklichkeit Europas in den neunziger Jahren und zu
Beginn des Jahrhunderts solche Entwicklungen, wie sie die Theorie erwarten
lässt, bereits zweifelsfrei zu beobachten sind.
Die Mehrheit der
Mitgliedstaaten der EU neigt zur Ansicht, dass der Systemwettbewerb Spielregeln
benötigt; ähnlich wie der Wettbewerb auf den Gütermärkten nur dann
volkswirtschaftliche Vorteile zeitigt, wenn sich die Teilnehmer an
Wettbewerbsregeln halten und wenn deren Einhaltung überwacht wird. Auch auf
Gütermärkten wirkt Wettbewerb nur dann volkswirtschaftlich vorteilhaft, wenn
sein Funktionieren vom Staat gewährleistet und Sanktionen gegen unfairen
Wettbewerb durchgesetzt werden können. (H.W.Sinn, 2003).
Dementsprechend hat
die EU einen Kodex des fairen Steuerwetttbewerbs vorgeschlagen und in
multilateralen Verhandlungsrunden den Abbau von unfairen Steuerprivilegien
voranzutreiben begonnen. Dies soll verhindern, dass hauptsächlich zum Zwecke
des Abwerbens mobiler Steuerquellen fiskalische und andere Privilegien
angeboten werden. Es wäre eine volkswirtschaftliche Fehlallokation von
Ressourcen mit noch dazu negativen externen Effekten für die ursprünglichen
Standorte, wenn sich Steuergrundlagen und Firmensitze weitgehend infolge von
Steuer- oder Beihilfenprivilegien an bestimmten Plätzen niederlassen.
Wirkt
föderalistischer Steuerwettbewerb tatsächlich als Instrument zur Begrenzung
staatlicher Aktivitäten aus Eigennutz der Politik?
"How tame will
Leviathan become in institutional competition?" (Apolte 2001). Würde den autonomen
Teilstaaten völlige Freiheit in der Wahl ihres individuellen Steuersystems
gegeben, wären vermutlich nur die mobilen Steuerfaktoren gegen die Ansprüche
des Staates geschützt und die immobilen könnten exzessiv besteuert werden. Aus
diesem Grund führt das Brennan-Buchanan-Modell nicht zu einem
gesamtwirtschaftlichen Optimum. Verfassungsrechtliche Schranken für die Wahl
der Besteuerung sind daher notwendig. (Apolte, a.a.O., p.359).
Die Befürworter
eines prinzipiell unbeschränkten Wettbewerbs zwischen autonomen
Gebietskörperschaften, international wie innerstaatlich, wenden dagegen ein,
dass das Außerkraftsetzen wichtiger Konkurrenzmechanismen, insbesondere jenes
autonomer Steuerhoheit, einen erheblichen Teil der Vorzüge des Föderalismus
wegfallen ließe. Nur wenn die Einheiten eines föderalen Systems daran gehindert
werden, "Konditionenkartelle" der Finanzminister etwa durch
"Harmonisierung der Steuersysteme" zu bilden, könnten vom
Föderalismus innovative Impulse erwartet werden.
Auch bei
wettbewerblich ausgerichtetem Föderalismus ist Koordinierung erforderlich:
einmal sind gemeinsame und für alle verbindliche Entscheidungen notwendig über
die zentrale Wahrnehmung von gemeinsamen Aufgaben, die auf Ebene der
Teilstaaten nicht oder nicht effizient wahrgenommen werden können. Zum anderen,
weil der Kreis der Nutznießer teilstaatlicher Leistungen auch Personen, die
nicht dauernd ansässig sind – und daher keine oder eingeschränkte Steuer- und
Beitragspflichten haben - umfasst. Vor allem Teilstaaten mit zentralörtlichen
Diensten würden bei unkoordiniertem Wettbewerb zu einem suboptimalen Angebot
neigen.
"Durch immer
mehr Mitspracheberechtigte steigen die Zahl der zur berücksichtigenden
Interessen und die Konsensfindungskosten; die immer komplexeren
Entscheidungsstrukturen der Zusammenarbeit werden schwerfällig, die Verantwortlichkeiten
für konkrete Entscheidungsergebnisse sind für die Betroffenen kaum noch
identifizierbar. Die Nachteile der Zentralisierung werden mit denjenigen der
kooperativ-konsensualen Entscheidungsfindung kombiniert" (J. Adolf, 2000,
S. 232).
Ist diese Tendenz
ausweglos? Zur effizienten Koordination sind verschiedene institutionelle
Kostruktionen denkbar. Gerade die Konstitutionenökonomie bietet Methoden, die
Konstruktion der Entscheidungsfindungsverfahren auf ihre Effizienz hin zu
untersuchen.
Außerdem muss nicht
angenommen werden, dass die regionale Politik keinerlei Eigeninteresse am
Zustandekommen zentralstaatlicher Leistungen hat. "Though the decision
system generates a tendency to unterperform, the authors of the joint decision
theory argue, it is not abolished mainly for two reasons. Positive and negative
externalities of decentralized policy-making must be avoided through
co-ordination, and the actors involved have a twofold gain out of this
structure. Regional and national politicians can win more autonomy vis-a-vis
both the voter-citizens and their respective parliaments. (Wachendorfer-Schmidt,
a.a.O., p.8).
Wettbewerb ist
unbequem, auf für die Verantwortlichen autonomer Teilstaaten. Auch dort wird regelmäßig
wenig Anreiz bestehen, mit den anderen Teilstaaten in einen Systemwettbewerb
einzutreten. Zum einen erfordert dieser laufend Reformen, mit denen gewissen
politischen Kosten verbunden sind, zum anderen setzt Wettbewerb die Fähigkeit
und Bereitschaft zu Innovationen voraus und den Verzicht auf Monopolrenten.
Natürlich ist es verlockend, die Verantwortung für die politischen wie wirtschaftlichen Kosten der zentralen
Regierung zu überlassen. Auch prinzipiell engagierte Vertreter des Föderalismus
könnten sich in der politischen Wirklichkeit ohne weiteres damit abfinden, zwar
die Ausgabenverantwortung, jedoch nicht die Finanzierungsverantwortung zu
tragen. Föderalismus aus Eigeninteresse der politischen Klasse? (von Arnim,
H.H., 1999, S.43).
Überwiegende
Nachteile des kooperativen Föderalismus mit eingeschränkter
Wettbewerbsintensität werden von der Mehrzahl der Finanzwissenschafter in
Deutschland und in der Schweiz angenommen. Kooperativer statt
Konkurrenzföderalismus bedeute, seinen eigentlichen Vorteil zu verspielen. In
Deutschland vertritt die Finanzwissenschaft die Auffassung, dass das
Grundgesetz und seine Änderungen im Laufe der Zeit zur Ausschaltung des
Wettbewerbs zwischen den Bundesländern geführt hätten, dass deren Mitsprache an
der Bundesgesetzgebung andererseits effiziente Entscheidungen der
Bundesregierung sehr erschwere.
Der
"kooperative Föderalismus" - wenn nicht gleich die Etiketten
"Kartellföderalismus"
oder das widersinnige "unitarischer Föderalismus " verwendet
werden - wird als eine Ursache des viel zitierten Reformstaus in Deutschland
festgemacht. Der Föderalismus büße seine eigentlichen Vorzüge, die im
Wettbewerb liegen, ein, wenn der Steuerwettbewerb weitestgehend ausgeschaltet
ist. Damit verliere er zumindest seine ökonomische Rechtfertigung. Die Reform
des Föderalismus ist in Deutschland ein hochaktuelles Thema geworden, das
sowohl auf Änderungen am Grundgesetz als auch an der Finanzverfassung abzielt
(Morath 1999). Die Mehrheit der deutschen Ökonomen plädiert in dieser Situation
für größere Steuerautonomie der Länder. (H.W. Arndt, Geske, Kerber, Lammers,
Vaubel, H. Zimmermann). Andere (H.W.Sinn, T. Apolte, Huber) betonen hingegen
eher die Gefahren verstärkten Systemwettbewerbs für die wirtschaftliche und vor
allem soziale Wohlfahrt, oder sie bezweifeln die positiven Effekte des
Steuerwettbewerbs an sich, weil er in der Realität nicht wirksam sei.
Die Schweiz sieht
sich manchmal als Mutterland des Föderalismus. Einige Ökonomen argumentieren
dort allerdings, dass der Föderalismus seine Vorteile nur unter der
Voraussetzung der direkten Demokratie voll zum Tragen bringt. Erst die direkte
Demokratie vermittle den Verantwortlichen eine exakte Vorstellung von den
Präferenzen der Bevölkerung und beuge dem Eigennutz der Politiker vor. Daraus
ergäbe sich auch ein insgesamt niedrigeres Niveau der Besteuerung und des
Staatsanteils und ein effizienterer Einsatz von Ressourcen.
In der Schweiz
besitzen die Kantone traditionell eine bedeutende und international
außergewöhnlich starke Steuerhoheit, und sie nützen diese auch für die
Tarifgestaltung vor allem der Einkommenssteuern aus. Damit ist allerdings ein
ausgebauter Finanzausgleich zwischen den aufkommensstarken und den
aufkommensschwachen Kantonen über die Bundesebene verbunden. Dennoch ziehen die
niedrigen Tarife in einzelnen Kantonen (Zug, Glarus) nach wie vor die
Ansiedelung von Firmensitzen an, während bevölkerungsreichere Kantone mit noch
dazu hohen Infrastrukturkosten im Berggebiet (Wallis, Graubünden) höhere
Steuersätze verrechnen und überdies ungünstigere Standortbedingungen aufweisen.
Doch auch in der
Schweiz, wo Steuerwettbewerb im Gegensatz zu Deutschland und Österreich,
existiert, ist eine Debatte über die Funktionsfähigkeit des Föderalismus in
Gang gekommen. Zum einen führte das zu einer Neufassung des Finanzausgleichs
(Frey, Schaltegger, 2001). Zum anderen hat jedoch auch hier, initiiert durch
die schweizerische Zukunftsstiftung Avenir Suisse (U. Wagschal, H.Rentsch,
Hrsg., 2002),t eine Diskussion darüber eingesetzt, welchen Preis der
Föderalismus habe.
Die provokante
Frage wird gestellt, ob der Steuerwettbewerb schädlich und ein
"Auslaufmodell" sei. In der Diskussion kommen auch Stimmen zu Wort,
die, sicher mit beeinflusst von ihrem parteipolitischen Hintergrund,
argumentieren, der Föderalismus schweizerischer Prägung und insbesondere die
bisherige Finanzverfassung seien ihren Preis nicht wert (R. Strahm, 2002).
Trotz solcher Kritik neigt auch die Mehrzahl der schweizerischen Ökonomen (C.B.
Blankart, Eichenberger, Feld, R.L.Frey, Kirchgässner u.a.) zur Befürwortung von
Wettbewerbsföderalismus implementiert durch mehr als nur marginalen
Steuerwettbewerb.
Die Diskussion über
Wettbewerbs- oder kooperativen Föderalismus, ob der eine ein Auslaufmodell, der
andere hingegen die Ursache von Reformstau seien, ist nicht abgeschlossen. "In
collaborative federalism co-ordination is easier to achieve given the
interdependence of the territorial units and the institutional provisions.
However, co-operation among equals tends to generate other difficulties, like
reaching agreement on controversial policies. The political actors in arm's
length federalism can be made accountable by their voters. This is much more
difficult in collaborative federalism, because it tends to obscure
responsibilities for decisions and for expenditure."
(Wachendorfer-Schmidt, 2000, p.10).
Die Diskussion der
ökonomischen Aspekte des Föderalismus konzentriert sich vor allem in der
finanzwissenschaftlichen Literatur etwas
einseitig auf das Kriterium funktionierenden Steuerwettbewerbs und
seiner innovativen Wirkungen. Eine Reduktion auf diese Frage wird der
Spannweite ökonomischer Überlegungen jedoch nicht gerecht. Einschränkungen des
Steuerwettbewerbs sind nicht nur unter dem Gesichtspunkt mangelnder innovativer
Anreize und der Tendenz zur Kartellbildung zu sehen. Kooperativer Föderalismus
ist nicht mit einer Perversion des Konkurrenzprinzips gleichzusetzen. Über die
fiskalischen Aspekte hinaus haben wir andere ökonomische Effekte
föderalistischer Staatsstrukturen kennengelernt (Seite 40). Wir werden darauf
zurückkommen, dass der erwünschte Wettbewerb zwischen autonomen Teilen eines
Gesamtstaats durchaus auch andere Formen annehmen und andere Vorteile einsetzen
kann als nur die autonome Festsetzung des Besteuerungsniveaus (S. 95).
d. Zentralisierunghypothesen
Dass im Laufe der
Entwicklung föderaler Staatswesen die demokratischen Kräfte auf Zentralisierung
hinwirken, geht auf A.de Tocqueville (1838) zurück, der schreibt: "in the
democratic ages which are opening upon us .....centralization will be the
natural government." Und gegen Ende des neunzehnten Jahrhumnderts wägte J.
Bryce zentrifugale und zentripetale Kräfte in Amerika ab. Während
zentrifugale Kräfte "are likely, as far as we can see, to prove transitory
..... the centripetal forces are permanent and secular forces, working from age
to age." (1888, Auflage 1901, p. 844, zitiert nach Oates, 1999, p.1145). 1927 formulierte J.
Popitz dann eine Art Naturgesetz von der Anziehungskraft des übergeordneten
Haushalts. Für dieses Popitz'sche Gesetz sprach nicht nur die empirische
Beobachtung zunehmender zentralstaatlicher Aufgaben, namentlich durch den
Aufwand für Militär und den Ausbau von Sozialsystemen, nicht nur die Vermutung,
dass die Verantwortlichen für den Zentralstaat in der Regel ihre
verfassungsmäßige Kompetenz-Kompetenz zu dieser Verschiebung einsetzen, sondern
eben auch die Überlegung, dass die Teilstaaten bestrebt sein könnten, Steuer-
und Ausgabenkartelle unter dem Schutz und der Durchsetzungskraft der Zentralregierung
zu bilden.
Diese Hypothesen
entsprachen noch bis in die frühen achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts
durchaus auch der tatsächlichen Entwicklung in Europa. Vor allem die noch
stärkere Ausweitung der Sozial- und Militäraufwendungen in den fünfziger und
sechziger Jahren sowie die Ambitionen der makroökonomischen Konjunkturpolitik
schienen die Hypothese zu bestätigen. Im letzten Vierteljahrhundert wurde diese
Tendenz jdeoch von einer siginifikanten Gegenströmung zur Dezentralisierung
abgelöst, die sich mühelos aus empirischen Analysen erkennen und die sich auch
gut begründen lässt: In den aktuellen politischen Auseinandersetzungen wird
dieser neue Trend freilich noch kaum wahrgenommen (siehe S.85f).
"Within a
constitutionally designed federal structure, we would predict that there would
be constant pressures by competitive lower-level governments to secure
institutional rearrangements that would moderate competitive pressures."
(Brennan-Buchanan, 1980, p.182). "Under centralized tax legislation the
price of the government is the same for all tax payers for a given level of
government services. Political discussion on taxation in one state as compared
to another state is avoided. Moreover, tax-induced emigration to another state is
made inattractive. Cartels among governments, however, need enforcement by federal
legislation because they would be unstable under a decentralized organization
on the state level. Insofar cartelization involves centralization." (Blankart, 2000,
p.28).
Um diese Tendenzen
zu brechen, empfehlen die Befürworter des Wettbewerbsföderalismus insbesondere
die Einschränkung der zentralstaatlichen Steuerautonomie und ein Trennsystem,
demgemäß bestimmte Steuerarten ausschließlich in die Zuständigkeit der regionalen
Teilstaaten fallen würden. Dies impliziert, dass sie auch die Autonomie über
den Zugang zu den Kapitalmärkten besitzen müssen.
Zentralisierungstendenzen
direkt entgegen wirken soll das Subsidiaritätsprinzip. Es kann dann angewendet
werden, wenn Zuständigkeiten nicht auf Grund anderer Kriterien einer Ebene
ausschließlich zugeordnet werden können oder sollen (siehe S. 53f.).
e. Dynamischer
Föderalismus
In einem
föderativen Staat sorge nicht Fiskalwettbewerb für die Optimierung der
gesamtwirtschaftlichen Resultate, wie dies die Theorie des Fiskalföderalismus
annimmt, sondern vielmehr die Regeln der Interessenabstimmung und
Entscheidungsfindung. Die Aufgabenverteilung zwischen den einzelnen Ebenen des
Staates sei ständig im Fluss, weil sich die Aufgaben änderten. Der Grad der
kooperativen Entscheidungen sei nicht zugunsten dezentraler fiskalischer
Autonomie und von Fiskalwettbewerb zu senken. "Not a new and supposedly
ideal distribution of tasks in federalism is required, but a capacity for the
system and its actors to learn and respond to new challenges."
(Wachendorfer-Schmidt, 2000, p.9)
Die meisten
Überlegungen über die optimale Struktur föderativer Staatswesen gehen davon
aus, dass sich auf Grund ökonomischer Kriterien eine solche bestimmen ließe.
Implizit wird eine völlige Neukonstruktion föderalistischer Strukturen
angenommen. "Die Realität beschränkt vielmehr erstens die
Diskussion auf den Umbau bzw. die Ergänzung bereits über längere
Perioden bestehender föderalistischer Strukturen ("reassignment of functions",
Breton-Scott, 1978). Zweitens beweist die Realität durchaus, dass ein
bestimmtes föderalistisches Konzept auch als Ziel per se zu sehen ist,
zu dessen Verwirklichung bzw. Erhaltung sonstige, u.a. auch ökonomische
Instrumente dienen." (Thöni, 1986, S. 16. Hervorhebungen und Zitat im
Original).
"Dabei ist zu
bedenken, dass reale Systeme der Aufgabenverteilung Produkte komplexer
historischer Entwicklungen darstellen. Der ständige Wandel im
Nachfrageverhalten, aber auch die Änderungen in der Technologie der
Aufgabenerfüllung würden zudem ständige Anpassungen der Organisationsstrukturen
erforderlich machen." (Thöni, a.a.O., 130).
Politisch bedeutsam
ist nicht das statische Abwägen von Vorzügen und Nachteilen alternativer
Kompetenzen in föderalen Systemen, sondern sind die dynamischen Fragen des
Übergangs von einem System (Struktur) zur anderen. Es geht nicht um das Ob des
Föderalismus, sondern um das Wie von Zentralisierung oder Dezentralisierung.
Der modellhafte Konkurrenzföderalismus ist nicht durchsetzbar, weil die
Modellannahmen zu abstrakt sind und für die konkrete Realität daher nicht
direkt anwendbare Schlüsse gestatten. Soll eine Verfassung seinen theoretischen
Vorzügen jedoch möglichst nahe kommen, dann geht es um Institutionenreform
(J.Adolf, a.a.O., S. 233).
Aus den
ökonomischen Überlegungen zum Föderalismus lassen sich Kriterien für die
Zuordnung von Kompetenzen zu den verschiedenen Ebenen eines Bundesstaates (oder
Staatenbundes) ableiten. Sie wurden gerade in jüngster Zeit angesichts der
europäischen Integrationsschritte und der Bemühungen um eine europäische
Verfassung neu herausgearbeitet.
Dabei ist die
Funktion des Subsidiaritätsprinzips zunächst klar zu stellen. Dieses dient –
mittlerweile explizite Richtschnur im EGV Art.5/2 - als Kriterium für die
Zuordnung von Kompetenzen auf die verschiedenen hierarchischen Ebenen, wenn die
Wahrnehmung der betreffenden öffentlichen Aufgabe nicht vollständig einer Ebene
zugeteilt ist. (Kirchner, 1997, p. 78ff.)
Das
Subsidiaritätsprinzip wird häufig als Instrument zur Verhinderung von
Zentralisierungstendenzen interpretiert, weil es den Vorrang der niedrigsten
zur Erreichung der Ziele ausreichenden Ebene statuiert. Diese Interpretation
ist oberflächlich, weil das Kriterium in beide Richtungen wirkt. Wenn
festgestellt werden könnte, dass eine bestimmte, bisher von einer niedrigeren
Ebene wahrgenomme Aufgabe "nicht ausreichend von dieser erreicht werden
kann" (EGV, Art.5), dann kann nach dem Subsidiaritätsprinzip die höhere
Ebene tätig werden.
Die entscheidenden
Kriterien für die Effizienz des Tätigwerdens einer Ebene sind – gemäß der
Formulierung im EGV - Skalenerträge ("Umfang" der Aufgaben) oder
externe Wirkungen ("Wirkungen"). Im europäischen Recht könnte die
Unionsebene eine Aufgabe an sich ziehen, wenn eine dieser beiden Bedingungen
gegeben ist. Ob eine solche Situation vorliegt ist, ist freilich in der
Realität nur sehr ungenau zu bestimmen. Unsicherheiten bringt auch mit sich,
dass die Präferenzstrukturen der Bevölkerung der unteren Ebenen differieren
können. Wenn die höhere Ebene dann gemäß den genannten Kriterien eine Aufgabe
an sich zieht, hat dies die Einebnung der Leistungsstrukturen bei
unterschiedlichen Präferenzsstrukturen zur Folge.
Eine weitere
Schwäche des Subsidiaritätsprinzips herkömmlicher Interpretation ist, dass sich
eben gerade Skaleneffekte und Externalitäten ändern können. Es ist jedoch
statisch formuliert und enthält kein Verfahren für die Änderung der
Kompetenzzuordnung auf Ebenen.
Das
Subsidiaritätsprinzip genügt somit nicht, um die Kompetenzen in mehrstufigen
Staatswesen einer Ebene zuzuordnen. Es muss ergänzt werden um einen Katalog der
ausschließlich einer Ebene zustehenden Kompetenzen, der sich aus Kriterien wie
Homogenität der teilstaatlichen Einheiten, Skalengrößen, externen Effekten und
Mobilität oder Koordinierungsmöglichkeiten ergibt.
"The principle
of economic federalism prefers the most decentralized structure of government
capable of internalizing all economic externalities, subject to the
constitutional constraint that all central government policies be decided by an
elected or appointed 'central planner'. The appropriate number of local (or
lower-tier) governments is specified so that all economies of scale in the
provision of public goods to households are just exhausted." (Inman,
Rubinfeld, 1997, p. 45).
Die ökonomische Theorie
des Föderalismus geht davon aus, daß unter gegebenen ökonomischen Zielsetzungen
eines Staatswesens (optimale Allokation der Ressourcen, Stabilität und
Angleichung der wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse) ein optimaler Grad
an Dezentralisierung bestimmbar ist. "Der Föderalismus wird als Variable
gutsspezifischer Kriterien aufgefaßt, deren Variation es erlauben würde, die
vorgegebenen ökonomischen Zielsetzungen optimal zu verwirklichen. Man sieht den
Föderalismus als Instrument zur Erreichung übergeordneter Zielsetzungen,
beliebig variierbar und austauschbar." (Thöni, a.a.O., S. 15).
Aus den
theoretischen Überlegungen ergeben sich eine Reihe von Tests für die Zuordnung:
zunächst die Vorfrage, ob eine bestimmte Aufgabe tatsächlich öffentlich
wahrgenommen werden soll, oder ob sie nicht mit gleichem oder besseren
gesellschaftlichem Resultat privat wahrgenommen werden kann
(Privatisierungstest). Danach ist zu prüfen, ob die Erfüllung einer
öffentlichen Aufgabe auf der höheren Ebene wirtschaftlich effizienter erfolgt,
weil wachsende Skalenerträge vorliegen. Die niedrigeren Einheiten können zu
klein sein, so dass sie bestimmte Aufgaben nicht wirkungsvoll und kostengünstig
wahrnehmen können (Skalentest).
Weiters ist zu
fragen, ob und in welchem Umfang eine Verlagerung von Kompetenzen auf eine
andere Ebene Transaktionskosten spart (zum Beispiel Informationsbeschaffung,
Verkehrswege). Das ist regelmäßig der Fall bei dezentraler Erbringung von
direkten Leistungen an einzelne Bürger.
Nächster Schritt
einer rationalen Zuordnung ist, die positiven und negativen externen Effekte
dezentraler Autonomie zu prüfen. Positive Effekte bedeuten, dass andere
Personen als die im betreffenden Staat Ansässigen in den Genuß von öffentlichen
Diensten kommen, oder dass die anderen Teilstaaten oder der Zentralstaat von
Aktivitäten des betreffenden Teilstaates Nutzen ziehen. Negative Effekte
strahlen auf die Nachbarn oder den Gesamtstaat aus, wenn deren
Aufgabenerfüllung durch die Wahrnehmung autonomer Kompetenzen eines Teilstaates
erschwert wird.
Schließlich müßte
die Frage beantwortet werden, ob durch Zentralisierung die Kontrolle der
Bevölkerung über die Staatstätigkeit erschwert wird (principal-agent-Problem).
Es können Kosten der governance entstehen, die auf der unteren Ebene durch das
räumliche und kulturelle Naheverhältnis der Bevölkerung zur Politik oder durch
die Konkurrenz gleichrangig autonomer Teilstaaten und deren Politik vermieden
werden. (Kirchner, a.a.O., p. 80f, Joumard-Kongsrud, 2003, p. 168f.).
Die Zentralisierung
einer Aufgabe ist dann nicht nur unter Skalengesichtspunkten zu beurteilen,
wenn die regionalen Präferenzsstrukturen erhebliche Abweichungen voneinander
haben. In diesem Fall müsste die zentrale Aufgabenerfüllung regional
differenzierte Dienste leisten und würde damit wahrscheinlich Skalenerträge
einbüßen, oder die Abweichungen der einheitlichen Leistungsstandards von den
regionalen Präferenzen werden größer, die Leistungserbringung also weniger
"treffsicher" und damit unökonomischer.
Nun lassen sich an
Hand dieser Kriterien ohne weiteres große Bereiche öffentlicher Aufgaben
("Gesamtaufgabenbereiche", Thöni) feststellen, bei denen das eine
oder andere Kriterium eher für zentrale oder für dezentrale Aufgabenwahrnehmung
spricht. Große Skaleneffekte sind etwa bei der Landesverteidigung, der
Außenpolitik, der überregionalen Infrastruktur und den Kommunikationsnetzwerke
gegeben, bei welch letzteren überdies Spillovers entscheidend sind.
Skalenerträge gibt es sicher auch bei den Kosten der obersten Organe
einschließlich der Parlamente. Sie liegen auch bei hochwertigen,
spezialisierten Diensten im Unterrichts-, Kultur- und Forschungswesen
(Universitäten, Forschungsinstituten) und bei Spezialisierungen im
Gesundheitswesen (Fachabteilungen, Spezialinstrumente) auf der Hand. Die
Konzentration solcher Einrichtungen auf bestimmte Standorte bringt positive
Spillovers und verlangt daher daher in irgendeiner Form Kostenteilung der
Träger der Einrichtungen mit den nicht ansässigen Nutznießern.
Beachtliche externe
Wirkungen liegen bei höheren und spezialisierten Einrichtungen im
Unterrichtswesen und im Gesundheitsbereich (Spezialkliniken) vor. Die
Inanspruchnahme von sozialen Diensten durch persönliche Mobilität
(Wohnsitzverlagerung) wirft besondere Fragen auf. Regional unterschiedliche
Regelungen für soziale Ansprüche, Sozialhilfe, Familienpolitik,
Wohnbauförderung könnten ökonomisch sinnlose Wohnsitzverlegungen zur Folge
haben und fiskalische Ungleichgewichte zwischen einzelnen autonomen
Gebietskörperschaften noch verschärfen. Der Erwerb solcher Ansprüche kann, um
dies zu vermeiden, an eine länger
Zeit der Anwesenheit am Wohnort gebunden oder eben durch interregionale
Finanztransfers ausgeglichen werden.
Vorteile der
näheren, niedrigeren Ebene sind ebenso einsichtig bei der Gestaltung der
lokalen oder regionalen Infrastruktur, im Pflichtschulwesen, der Raumordnung,
der Freizeitgestaltung und der Pflege von Kultur und Traditionen.
Ältere
Kompetenzkataloge in staatlichen Verfassungen gingen nicht selten von der stark
vereinfachenden Annahme aus, dass sich große Aufgabenbereiche ohne Verluste an
Effizienz bestimmten Ebenen zuordnen lassen. Auch das BVG enthielt solche
undifferenzierte Kompetenzzuordnungen, nicht zuletzt in der Generalklausel des
Art. 15 (1). Neu auftretender Regelungsbedarf hat diese Generalklausel in der
Regel durch Verfassungsbestimmung zugunsten der Bundeskompetenzen eingeengt.
Die starke Zunahme
der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Mobilität und Verflechtung hat
vielfach die Homogenität der regionalen Präferenzstrukturen aufgelöst, sowie
externe Effekte und Skalenerträge durch Arbeitsteilung hervorgebracht. Auch die
Transaktionskosten sind infolge der Verbesserung und Verbilligung der Verkehrs-
und Nachrichtenverbindungen drastisch zurückgegangen. Dies spricht für
Tendenzen der Verlagerung von wichtigen Kompetenzen auf die höhere
innerstaatliche oder internationale (europäische) Ebene.
Und tatsächlich
fanden solche Vorgänge statt: der augenfälligste war die Schaffung eines
einheitlichen Wirtschafts- und Währungsraums in der EU, der gemeinschaftlichen
Regeln gehorcht und daher nahezu keinen Platz für nationale, regionale oder
kommunale Sonderrechte etwa der Währungs-, Wettbewerbs-, Markt- oder der
Berufsordnung läßt.
Andererseits haben
sich aber mit der höheren wirtschaftlichen Leistungskraft die Präferenzen der
Bevölkerung und die Anforderungen der Wirtschaft an den Standort stark
differenziert. Sie sind jedenfalls auch anspruchsvoller geworden, so dass
Einheitsstandards öffentlicher Aufgabenwahrnehmung ('one size fits all')
nicht mehr genügen und nicht mehr akzeptiert werden. Diese Ausdifferenzierung
im Lebensbereich der Bevölkerung, in ihren Freizeit- und Wohnansprüchen, in der
Standortwahl von Betrieben spricht - ähnlich massiv wie die obigen Argumente
für die Zentralisierung – für dezentrale Autonomie, für Differenzierung und
Nähe der Leistungsdefinition und Erbringung öffentlicher Dienste (Seite 92 f.)
Überblicksdarstellungen
der Zuordnung großer Aufgabenbereiche auf einzelne Ebenen insbesondere in der
Europäischen Union auf Grund der theoretischen Überlegungen der Ökonomie wurden
vor allem aus Anlass des europäischen Verfassungskonvents ausgearbeitet. (Pola,
1999, Breuss,Eller, 2003, p. 30f., Osterkamp, Eller, 2003, und EEAG, 2003, p.
76ff.)
In Wirklichkeit
lässt sich kaum mehr ein großer Aufgabenbereich finden, dessen verschiedene
Elemente nicht simultan und sinnvoll koordiniert auf allen Ebenen wahrgenommen
werden sollten, freilich mit unterschiedlichem Grad an Abstraktion und Nähe zum
konkreten Anlassfall. Auf der obersten Ebene werden daher die Prinzipien und
Grundsätze der Erfüllung eines bestimmten Aufgabenbereichs anzusiedeln sein.
Ihre Beachtung im gesamten Gebiet eines Staates oder eines Staatenbundes wäre
einheitlich und obligatorisch. Darunter (auf der nationalen und der regionalen
Ebene) werden Ausführungsbestimmungen mit nationalen oder regionalen
Konkretisierungen und – in Grenzen, die die Grundsatzbestimmungen ziehen –
nationalen oder regionalen Varianten, die aber innerhalb des Gesamtstaats (oder
der Union) wechselseitig anerkannt werden, soferne sie den Grundsätzen
entsprechen. Darunter werden regelmäßig regionale oder lokale Differenzierungen
wünschenswert sein, die die spezifischen Gegebenheiten der Region oder des
Ortes und der operationalen und organisatorischen Durchführung öffentlicher
Aufgaben berücksichtigen.
Es ist unmittelbar
einsichtig, dass sowohl die Skalenverläufe – also die Kostensenkung bei
größerer Zahl der erbrachten Leistungen – und die Spillover-Effekte (Träger und
Nutznießer einer öffentlichen Einrichtung decken sich nicht) nach
Aufgabenbereichen differieren. Skaleneffekte sind bei öffentlichen Parkanlagen,
bei Pflichtschulen, aber auch etwa bei dezentralen und lokalen
Verwaltungseinrichtungen, lokalen Verkehrswegen, Organen der öffentlichen
Sicherheit nicht sehr groß. Externalitäten dann nicht, wenn es sich um
Leistungen handelt, die ihrer Natur nach in erster Linie der ansässigen
Bevölkerung erbracht werden: abermals Pflichtschulen, Kindergärten,
Freizeiteinrichtungen, medizinische Erstversorgung u.ä.
Andere,
spezialisiertere öffentliche Aufgaben könnten beachtliche Skalenerträge
aufweisen oder müssen mit starken Externalitäten rechnen: etwa die Einrichtung
von kostspieligen Diagnose- und Therapiestationen, Universitäten,
Forschungszentren, aber auch überregionale Kultureinrichtungen. Vor allem sind
Skalenerträge bei Netzwerk-Diensten (Nachrichten, Energieversorgung,
Wasserversorgung, Kläranlagen), Entsorgung, aber auch Pflege- und
Schulungseinrichtungen für spezifische Behinderungen ausgeprägt.
Gewisse öffentliche
Dienste können ohne zentrale Kompetenz jedenfalls nicht effizient erbracht
werden: makroökonomische Wirtschafts- und Währungspolitik, Außenpolitik,
Landesverteidigung.
Aus dem Umstand,
dass es äußerst verschiedenartige Skalenverläufe und Externalitäten je nach
Aufgabengebiet, operationaler Durchführung und Finanzierung geben kann, lässt
sich erkennen, dass eine drei- oder vierstufige Hierarchie der Kompetenzen noch
nicht ausreicht, um die Kompetenzen an Hand der spezifischen Skalen- und
Externalitätenverläufe optimal zuzuordnen.
"Merging
sub-national governments is one option to exploit scale economies and
internalise spillovers. Amalgamations can also help to reduce the duplication
of tasks, in particular administrative ones, and to balance intra-regional
disparities in income levels with the needs of public services.(in particular
between city-centers and suburban areas)". (Joumard, Kongsrud, p. 179).
Wichtig ist, dass neben den Vorzügen dezentraler Autonomie auch die
Mindestgröße (die "kritische Masse") für die effiziente Erfüllung
öffentlicher Leistungen berücksichtigt wird. Diese Tendenz hat in großem Stil
zu Gemeindezusammenlegungen geführt. Weitere Zusammenlegungen, nicht unbedingt
von Gemeinden, aber von bestimmten Funktionsbereichen (Kläranlagen, Wasser- und
Fernwärmeversorgung, Feuerwehr, Katastrophenschutz, öffentliche Bauhöfe und
Strassenmeistereien, Schulen, Sport-, Sozial-, vor allem Pflegeeinrichtungen)
müssen geprüft werden, um das Wuchern kostspieliger Prestigeprojekte, das den
persönlichen Ambitionen lokaler "Kaiser" mehr als den öffentlichen
Finanzen gut tut, zu verhindern.
Verfassungsregeln
für die Einflussnahme der jeweils höheren Ebene der Gebietskörperschaft mit
allenfalls fiskalischen Sanktionen für Zuwiderhandeln, wären eine naheliegende
Lösung des Problems. B. Frey und Eichenberger entwickelten (1999) ein Modell
für die Internalisierung der Externalitäten und die effiziente Arbeitsteilung
zwischen Gebietskörperschaften, das prinzipiell auch die Verhältnisse der
direkten Demokratie in der Schweiz einbezieht. (Modell der funktionellen,
überlappenden und konkurrierenden Jurisdiktionen FOCJ). Sie gehen davon aus,
dass wenige übereinander liegende Ebenen nicht genügen, die für spezielle
Aufgaben optimale Skalengröße und die vollständige Internalisierung der Kosten
zu erreichen. Deshalb schlagen sie einen funktionalen Föderalismus vor, in
welchem sich eine Vielzahl von territorialen Zweckgemeinschaften von jeweils
unterschiedlichem Umfang etablieren. Sie unterliegen der direkt-demokratischen
Kontrolle der jeweiligen Interessenten. Die in manchen Staaten bestehenden
Zweckverbände (vor allem benachbarter Gemeinden) sind nur eine Vorstufe zu
einem umfassenderen System.
Der Vorschlag führt
die Überlegungen zur ökonomischen Funktionalität der föderalen Organisation
konsequent bis zur Grenze der Ökonomie. Nicht zu leugnen ist, dass vor allem
beim Vorliegen von starken Skaleneffekten und individuell nicht zurechenbaren
Externalitäten Ansätze in dieser Richtung organisatorisch sinnvoll sind und in
der Wirklichkeit auch funktionieren (Wasserversorgungs- und Abwasserverbände,
Schulgemeindeverbände).
Vermutlich leidet die
Realisierbarkeit jedoch darunter, dass er dort, wo die Kostenvorteile der
Kooperation oder Koordination nicht besonders ausgeprägt sind, große Probleme
der vertikalen und horizontalen Koordination und eine ungenügende Transparenz
der Vorgänge erwarten lässt, ganz besonders bei der Frage der Finanzierung.
Jeder dieser Zweckverbände müßte entweder eine zweckgebundene Steuer- oder
Gebührenhoheit besitzen. Die Finanzierung von Staatsaufgaben aus
zweckgebundenen Abgaben ist längst als tendenziell besonders kostentreibend
erkannt worden. Oder sie müßte sich eben doch in einem schwierigen
Verhandlungsprozess gegen eine Vielzahl konkurrierender Verbände und Interessen
durchsetzen. Davon drohen negative externe Effekte für alle anderen. Außerdem
übersieht der Vorschlag, dass politische Identifizierung mit traditionsreichen
territorialen Einheiten als Basis für politische Entscheidungen politisch
tragfähig ist, nicht unbedingt aber die Identifizierung mit einer Vielzahl
einander überlappender Zweckgemeinschaften (siehe dazu Breuss, Eller, p. 11).
"Entgegen
finanzwissenschaftlicher Logik rangieren Fragen der Finanz- vor Fragen der
Aufgabenverteilung" (Adolf, 2000, S. 231). Tatsächlich konzentriert sich
eine sehr umfangreiche wissenschaftliche Diskussion auf die Gestaltung der
Finanzverfassung eines föderalen Staatswesens. Deren Intensität wurde in
jüngster Zeit durch die Probleme der Finanzierung der Europäischen Union noch
intensiver.
Dennoch ist der
Aussage Adolf's über den logischen Vorrang der (realen) Aufgabenverteilung
nicht zuzustimmen. Es kann nicht um Vorrang der Finanzverfassung vor der
Aufgabenverteilung gehen und auch nicht umgekehrt. Auch ein Ansatz, der zuerst
die Fragen der Aufgabenverteilung lösen möchte und dann die Finanzierung
bestimmt, wäre bedenklich. Beide Aspekte stehen in einem nahezu untrennbaren
wechselseitigen Zusammenhang und müssen im Prinzip simultan gelöst werden.
In der ökonomischen
Theorie des Wettbewerbsföderalismus spielt die regionale Steuerautonomie die
zentrale Rolle. Fruchtbarer Wettbewerb zwischen regionalen Teilstaaten wird in
erster Linie über regional differenzierte Steuern bzw. Steuersätze ausgetragen.
Die Steuern sind der Preis, zu welchem der Staat ein Bündel an Leistungen
anbietet. Unterschiedliche Staaten oder Gliedstaaten bieten unterschiedliche
"Menus" staatlicher Dienste an und setzen dafür auch unterschiedliche
Preise (Steuerbelastungen) für die Bewohner fest. Diese entscheiden über diese
Angebote entweder anlässlich demokratischer Wahlen oder Referenden – in dem sie
ein anderes Menu verlangen-- oder eben durch Verlegung ihrer Interessen (Wohn-,
Betriebs- oder Kapitalanlageort) an einen Ort außerhalb der bisherigen
Jurisdiktion.
Den
"Nachfragern" sollte es dabei aber nicht allein darum gehen, den
niedrigsten Preis zu suchen. Ökonomisch rational wäre das Kriterium des
günstigsten Preis-Leistungsverhältnisses aus Sicht der individuellen
Interessen. Die Attraktivität als Wohn- oder Wirtschaftsstandort hängt nicht
allein vom Steuerniveau, sondern auch davon ab, welche Leistungen bei gegebenem
Niveau fiskalischer Lasten vom Staat quantitativ und qualitativ erbracht
werden.
Der die
Innovationen und Effizienz steigernde Standortwettbewerb wird eingeschränkt
oder ausgeschaltet, wenn die Besteuerung und/oder die staatlichen Leistungen in
einem föderalen System vereinheitlicht ("harmonisiert",
"koordiniert") werden, sei es durch Zentralisierung auf der höheren
Ebene, sei es durch faktische Kartellierung zwischen autonomen Teilstaaten.
Eine Tendenz in dieser Richtung ist ähnlich wie auf einem Gütermarkt sehr
plausibel, wenn die Bedingungen des Wettbewerbs und sein Schutz nicht
gewährleistet sind.
Ob durch einen
Kodex des steuerlichen Wohlverhaltens fairer Wettbewerb erst ermöglicht wird
oder – im Gegenteil – der Wettbewerb unerwünscht eingeschränkt wird, ist, wie
geschildert, in der theoretischen Diskussion umstritten. Das geht in erster
Linie auf unterschiedliche Staatsauffassungen zurück. Wer den Staat primär als
unersättlichen Leviathan sieht, rechtfertigt die Flucht vor dem Fiskus als
Notwehr. Wer ihn eher als dem Gemeinwohl dienend versteht, verurteilt diese
Flucht (vor allem mobiler Steuergegenstände) als Illoyalität gegenüber der
gesellschaftlichen Solidarität.
Die fiskalische
Theorie setzt sich mit einigen Hauptproblemen gliedstaatlicher Steuerautonomie
auseinander. Sie sind von den Überlegungen über die Zuordnung von
Aufgabenbereichen logisch nicht zu trennen.
Die wichtigsten
seien hier kurz diskutiert, ohne den Anspruch zu erheben, damit konkret
verwertbare Aussagen über eine Neugestaltung der österreichischen
Finanzverfassung gewinnen zu können.
Bisher wurde die
innerstaatliche Aufgabenverteilung in einem föderalen Staatswesen grob vereinfachend
"eindimensional" gesehen. In Wirklichkeit fallen die Gesetzgebungs-,
die Leistungsverantwortung des Staates und deren Finanzierung nicht automatisch
zusammen, weil den verschiedenen Staatsaufgaben auch innerhalb eines
Aufgabenbereichs keine kongruenten und zweckgebundenen Kapazitäten, Ressourcen
oder Finanzierungsquellen zugeordnet werden können.
Zum kleineren Teil
werden Staatsausgaben durch Leistungsentgelte der sie in Anspruch nehmenden
Bevölkerung finanziert, zum größeren Teil durch allgemeine Steuern. Dies trifft
umso mehr zu, wenn man sich in Erinnerung ruft, dass die großen
Staatsausgabenbereiche nur ausnahmsweise und im Sinne des
Subsidiaritätsprinzips einer Ebene vollständig zugewiesen werden können.
"Insbesondere
geht es um die Frage, in welchem Sinn das Konnexitätsprinzip auf die
Finanzierung von Aufgaben anzuwenden ist, bei denen Gesetzgebungszuständigkeit
und Durchführungsverantwortung auseinanderfallen. Versteht man das
Konnexitätsprinzip im Sinne der Ausführungskonnexität, so besagt es, dass
diejenige Gebietskörperschaft, die die verwaltungsmäßige Durchführung
übernimmt, auch die anfallenden Ausgaben zu tragen hat. Im Sinne der
Veranlassungskonnexität besagt das Prinzip hingegen, dass die gesetzgebende und
damit die veranlassende Gebietskörperschaft die Finanzierung übernehmen
soll." (Baretti et.al., 2000a, S. 155f).
Ist jedoch der
Konnex zwischen Gesetzgebungs-, Leistungs- und Finanzierungsverantwortung nicht
gegeben, so provoziert das Ungleichgewichte und suboptimale Finanzverhältnisse.
Liegt etwa die
Verfassung für die Erbringung von Unterrichtsleistungen beim Teilstaat,
verantwortlich, hingegen jene für die Finanzierung des Unterrichtswesens
beim Zentralstaat, so besteht für den Teilstaat wenig
Anlass, mit den Ressourcen dafür sparsam umzugehen. Er kann ja die Kosten
weiterwälzen, ein klassischer Fall
für das in der Ökonomie unter "principal-agent-Problem". Die in
Österreich viel diskutierte unhaltbare Praxis der Besoldung der Landeslehrer
scheint genau diesen Fehler aufzuweisen. Im österreichischen Fall wird allerdings
der Postenplan der Länder mit dem Bund akkordiert.
In Wirklichkeit
stellt sich der Fall jedoch noch komplexer dar, weil der Bund weitgehend die
Unterrichtsstandards setzt, die die Kosten wesentlich mitbestimmen. Daher sind
eigentlich vier Dimensionen der gleichen sachlichen Kompetenz zu unterscheiden:
Ähnlich wie
regionale Steuerautonomie kann auch regionale Autonomie des Zugangs zur
Kapitalmarktfinanzierung externe Effekte für den Zentralstaat, seine
politischen (vor allem makroökonomischen) Ziele und für die anderen Teilstaaten
haben, insbesondere, wenn deren Hilfestellung oder Kreditgarantie nicht
glaubhaft ausgeschlossen ist. Selbst dann könnte übermäßige Verschuldung eines
Teilstaats die anderen Gebietskörperschaften belasten, wenn diese das
Zinsniveau für die Kreditaufnahme allgemein hinauftreibt. In der Europäischen
Wirtschafts- und Währungsunion war diese Überlegung der Anlass für den
Abschluss des Stabilitäts- und Wachstumspakts, um solche negativen externen Effekte
und moral hazard zu Lasten der Partner auszuschließen.
Klarheit über das
gesamte Konglomerat dieser Grundfragen und ihrer Beantwortung ist als
Zielvorstellung für eine funktionsfähige Verfassung zu postulieren, um einen
ständigen Streitanlass bei der Finanzierung des Kompetenzkatalogs, ineffiziente
oder ungenügende Mittelbereitstellung und schließlich Blockaden wichtiger
Staatsaufgaben zu vermeiden .
Ein Mangel der
österreichischen Verfassungsordnung ist klarerweise, dass die Finanzverfassung
in keinem nachvollziehbaren Zusammenhang zur Aufgabenzuordnung des
Kompetenzkatalogs steht, so dass eine politische Dauerauseinandersetzung und
Ineffizienzen die notwendige Folge sind. Die Aufteilung der gemeinschaftlichen
Abgaben erfolgt nach Schlüsseln, die in erster Linie politische
Durchsetzungskraft und etablierte Traditionen verkörpern. Als Komplikation
kommt hinzu, dass die Gesetzgebungskompetenz für gemeinsame Abgaben
ausschließlich dem Bundesgesetzgeber zukommt, der sie für Veränderungen der
Effekte der Schlüssel zu seinen Gunsten einsetzen kann.
Dazu kommt, dass
die österreichische Verfassungswirklichkeit zwar implizit einen gewissen
Ausgleich der Lebensbedingungen annimmt – den man nicht zuletzt im Wege von
fallweisen Interpretationen des Gleichheitsgrundsatzes durch den
Verfassungsgerichtshof erkennen kann - , jedoch keinen Versuch unternimmt, den
Grad des anzustrebenden Ausgleichs auch nur einigermaßen zu determinieren.
In der Regel sind
in einem föderalen Staatswesen die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und
Ausstattung regional unterschiedlich. Ein finanzieller Ausgleich der
unterschiedlichen Ressourcenausstattung und Leistungsfähigkeit der Gliedstaaten
kann zwei Anlässe haben: einmal die gemeinsame oder zentrale Entscheidung
zugunsten einer Angleichung der regionalen und individuellen wirtschaftlichen
Situation, zum anderen aber auch externe Effekte des regional unterschiedlichen
Leistungsangebots oder der unterschiedlichen Besteuerung.
Ökonomisch gesehen
besteht ein klarer Trade-off (Wagschal, 2002, S. 20 verwendet das Wort
"Spagat") zwischen Umverteilung und Effizienz. In dem Maß, in dem das
Anspruchsniveau an die innerstaatliche Umverteilung oder an die
verteilungsorientierte Komponente des Finanzausgleichs steigt, nehmen die
Effizienzwirkungen des föderalen Wettbewerbs ab. "Im Extremfall wird
dieser Finanzausgleich mit dem Ziel 'einheitlicher Lebensverhältnisse', wie
etwa in Deutschland begründet." (Wagschal, a.a.O.)
Die effizienzmindernden
Wirkungen eines Finanzausgleichs können verringert werden, wenn die
Finanzverfassung "objektivierbare", kalkulierbare Kriterien für das
Ausmaß der Finanzausgleichsströme herstellt. "Trotzdem kann es zu einem
Trittbrettfahrerdilemma kommen, wenn die Mehrheit der finanzschwachen
Gebietskörperschaften die Minderheit der leistungsstärkeren majorisiert"
(Wagschal, a.a.O.). Immerhin versprechen verbesserte und transparente
ressourcenorientierte Kriterien (Ressourcenindizes wie im Neuen Finanzausgleich
der Schweiz) eine politisch weniger umstrittene Praxis als dies die
Einseitigkeit eines einfachen (wenn auch nach Gemeindegrößenklassen
abgestuften) Bevölkerungsschlüssels – wie derzeit in Österreich – zur Folge
haben muss.
Ein weiterer, damit
zusammenhängender Anlass für die Einrichtung von finanziellem Ausgleich ergibt
sich immer dann, wenn die Steuerautonomie der Gebietskörperschaften durch
Mobilität umgangen werden kann. Wichtigster Fall ist die Mobilität von
Steuerquellen, etwa derart, dass der Ort der wirtschaftlichen Aktivitäten oder
der Wohnsitz vom Ort der Besteuerung abweichen. Bei unterschiedlichern Regeln
und Tarifen für die Besteuerung kann dies Wanderungen auslösen. Hier gelten die
gleichen Bedenken wie bei internationalem Steuerwettbewerb. Das Plädoyer für
die vorteilhaften Effekte des Finanzföderalismus muss auch in Rechnung stellen,
dass eine staatspolitisch unerwünschte Polarisierung zwischen reichen und armen
Regionen und eine suboptimale Allokation von Ressourcen die Folge sein können.
Alltäglich ist der
Fall, dass die Bewohner eines Teilstaates bestimmte, vor allem hochwertige, an
wenigen Zentralorten konzentrierte öffentliche Dienste in einem anderen
Teilstaat in Anspruch nehmen. Wenn diese nicht im Einzelfall dem Benützer
individuell zugerechnet werden und dafür voll kostendeckernde Tarife verrechnet
werden können, entsteht ein Anlass für Finanzausgleich. Dieser macht häufig
Annahmen und Schätzungen erforderlich, wenn die individuelle Zurechenbarkeit
nicht oder nur ansatzweise möglich ist. Andernfalls könnte die für die
Leistungserbringung und Finanzierung verantwortliche Gebietskörperschaft den
Zugang zu ihren Einrichtungen für Angehörige anderer Gebietskörperschaften
beschränken, oder er könnte versucht sein, ihr Angebot quantitativ zu beschränken.
Damit könnten volkswirtschaftliche Skalenerträge der optimalen Betriebsgröße
verloren gehen. Diese Feststellungen gelten sowohl für den horizontalen
Finanzausgleich auf der Ebene von Gemeinden oder Ländern untereinander, wie
auch für den vertikalen zwischen verschiedenen Ebenen. Die Situation ist
äußerst konfliktträchtig – Wohnsitz und Arbeitsort bzw. öffentliche
Freizeiteinrichtungen, Schul- oder Krankenhausstandort und Wohnort fallen in
aller Regel beträchtlich
auseinander. Großstädte weisen Universitäten und Kliniken auf, deren
Leistungen auch von Studenten oder Patienten aus anderen Gemeinden oder anderen
Ländern in Anspruch genommen werden, wobei keine voll kostendeckenden Gebühren
verrechnet werden. Die Äquivalenz von Leistung und Finanzierung wird dadurch
unterbrochen. Die Identität zwischen Kostenträgern (Steuerzahlern) und Nutzern
ist nicht gegeben.
Die Finanztheorie
hat dazu das Äquivalenzprinzip entwickelt. Es setzt der fiskalischen Autonomie
von Gebietskörperschaften gewisse Grenzen. Eine eigene Finanzierungs- und
Besteuerverantwortung wird nur insoweit empfohlen, als individuelle
Leistungsinanspruchnahme über kostendeckende Tarife finanziert wird
(Gebührenfinanzierung) oder aber regional immobile Steuerquellen ausschöpft,
etwa die Besteuerung von Grund und Boden.
Äquivalenzfinanzierung drängt sich umso mehr auf, je weniger ein
automatischer Ausgleich zwischen Regionen (Gemeinden) angenommen werden kann,
also die Inanspruchnahme durch Wanderungsbewegungen in beiden Richtungen sich
annähernd aufhebt.
Die Ansichten über
die Notwendigkeit, das Äquivalenzprinzip bei regionaler Steuerautonomie zu
beachten, gehen weit auseinander. Dabei kann beobachtet werden, dass
Theoretiker eher dazu neigen, eine relativ weite Autonomie der Gebietskörperschaften
anzunehmen, hingegen die Verantwortlichen für den Finanzausgleich und die
empirischen Studien weit mehr Skepsis an den Tag legen die autonome Steuergestaltung auf
Äquivalenz und auf immobile Steuerquellen beschränken würden.
"Dazu kommt,
dass im Nationalstaat die einzelnen Gebietskörperschaften entweder einheitliche
Sozialleistungen erbringen müssen, die gerade strukturschwache Regionen relativ
stärker belasten" (Deubel, 1999, S. 70f) oder dass ein problematischer Wanderungsanreiz zu den
besseren Sozialleistungen einsetzt. "Redistribution is intrinsically a
national policy" (G.Stigler, 1957, p.217).
Die Praxis lässt
erkennen, dass regional variable Steuersätze oder unterschiedliche Hebesätze
auf ansonsten einheitlich definierten Steuerquellen "häufig nicht zur
Erhöhung oder Senkung des kommunalen (oder regionalen) Leistungsangebots
verwendet werden können, sondern zur Finanzierung steigender Soziallasten
dienen müssen. Umgekehrt können sich gerade Gemeinden (Länder) mit geringeren
Sozialproblemen trotz exzellenter Infrastruktur niedrigere Hebesätze
leisten", was das wirtschaftliche Gefälle vergrößern muss. (Deubel, a.a.
O., S. 71).
"Solange diese
Konstellation besteht, muß eine stark nivellierende Verteilung der
Gesamtsteuereinnahmen erfolgen. Dabei ist es relativ belanglos, ob die
weitgehende Nivellierung durch Gemeinschaftssteuern oder in einem Trennsystem
erfolgt. ..." Die Idealkonstellation wäre, wenn Veränderungen von
Hebesätzen von ansonsten einheitlich konstruierten Steuern, "ausschießlich
der Finanzierung höherer oder geringerer kommunaler oder regionaler Angebote an
Infrastruktur und Dienstleistungen und damit zur Realisierung einer
fiskalischen Äquivalenz genutzt würden." (Deubler, a.a.O., S. 71).
Weit positivere
Beurteilung erfährt die regionale (oder kommunale) Steuerfindungsmöglichkeit
bei deutschen und schweizerischen Finanzwissenschaftlern, die etwa auch
negative Allokations- und Distributionswirkungen der unterschiedlichen Höhe der
Einkommensbesteuerung nach Kantonen geringer schätzen als die Vorteile des
Steuerwettbewerbs. B. Huber (1999, S. 60) fasst seine Überlegungen zusammen:
"Auch der entstehende Steuerwettbewerb ist keineswegs nachteilig, vielmehr
kann man sich davon sogar eine Verbesserung in der Versorgung mit regionalen öffentlichen
Gütern versprechen. Dies gilt auf jeden Fall für öffentliche Leistungen, bei
denen eine Finanzierung nach dem Äquivalenzprinzip möglich ist. Es ist nicht zu
erwarten, dass es bei einem Ländersteuerwettbewerb zu einem Race-to-the-bottom
kommt und dadurch die Besteuerungsspielräume auf eine reine
Äquivalenzbesteuerung reduziert werden." (Huber, a.a.O.).
Wenn vor dem
Hintergrund der Entwicklung des Steueraufkommens gegen die
race-to-the-bottom-Hypothese angeführt wird, dass in Europa zwar die Sätze für
die Besteuerung von Unternehmensgewinnen (Körperschaftssteuer) eine ausgeprägte
Senkung erfahren hätten, dass diese aber durch Verbreiterung der
Bemessungsgrundlagen ausgeglichen worden sei und daher der Ertrag der
Körperschaftssteuer gemessen am BIP nicht oder nicht signifikant gesunken sei,
dann muss darauf verwiesen werden, dass sehr wohl eine massive Verlagerung der
relativen Steuerlast von dieser mobilen Steuerquelle – und noch mehr von der
Steuerquelle Kapitalerträge – auf die weniger mobile Steuerquelle Arbeits- und
Unternehmereinkommen im Gang ist.
Für die Schweiz, wo
die kantonale Steuerautonomie stärker ausgestattet ist als in jedem anderen
Land Europas, ist eine Polarisierung der Einkommen und der Allokation von
öffentlicher Infrastruktur zwischen reichen Niedrigsteuerkantonen und armen
Hochsteuerkantonen erwartungsgemäß nicht auszuschließen ("Residence
decisions are fiscally induced in Switzerland". P.Feld, 2000, p.149).
Ausgeschlossen wird von Feld hingegen, dass die kantonale Steuerautonomie zu einer
Aushöhlung der Finanzierung der sozialen Einrichtungen oder gar zur Gefahr
eines Kollapses des Sozialstaates geführt hätte ("the aggregate results of
income distribution and redistribution in Switzerland since the seventies do
not in any way indicate that the welfare state has collapsed due to fiscally
induced residence choice" Feld, a.a.O. p. 152f). Als Basis dafür gibt Feld
die progressive Gestaltung der Bundeskomponente der Einkommensteuer, die
Quellensteuer auf Zinseinkünfte, die dem Bund zusteht, und den Teil der
gesetzlichen Altersvorsorge an, der durch Umlageprinzip finanziert wird. Dazu
komme die für die Schweiz charakteristische Einrichtung der
Heimatortzuständigkeit für die kommunale Sozialhilfe.
Die Theorie des
Finanzausgleichs hat eine Reihe von gut gesicherten Erkenntnissen über dessen
optimale Gestaltung geliefert. Sie betreffen die Definition der für die
Autonomie in Frage kommenden Steuerquellen, die starre, flexible (unter
Konditionalität festzulegende) Aufteilungsschlüssel für gemeinschaftliche
Abgaben, ungebundene oder zweckgebundene Finanzzuweisungen, die Gestaltung von
regional differenzierter Hebesätze und nicht zuletzt die Argumente für einen
Ausbau der Gebührenfinanzierung und des Gebührenwettbewerbs.
"Decentralization
of fiscal authority ... can impinge upon efficiency and equity in the national
economy. These adverse effects can be mitigated by appropriate fiscal
transfers, both equalizing and conditional, and suitable measures of policy
harmonization" fasst R. Boadway (a.a.O, p. 93) zusammen. Daher sei nochmals
betont, dass Fiskalautonomie der Entscheidungs- und Durchführungskompetenz
entsprechen und dass diese unterschiedlichen Kompetenzebenen ökonomisch und
politisch nicht unabhängig voneinander entschieden werden können. Diese
Kongruenz und damit die ökonomische Effizienz und die Verantwortlichkeit der
einzelnen Ebenen herzustellen, wäre eine grundlegende Herausforderung für die
österreichische Bundesstaatsreform.
An den Schluß
dieses Kapitels sei eine "Checklist für die Beurteilung der fiskalischen
Beziehungen zwischen verschiedenen Ebenen des Staates" (leicht gekürzt
gegenüber dem Original von Joumard und Kongsrud. a.a.O., p.158ff)
gestellt. Sie entspricht den
Schlüssen, die auch hier aus den Überlegungen über die Aufgabenverteilung
gewonnen werden konnten.
Die Checklist ist
ein Fragen-, nicht ein Antwortenkatalog. Sie ist für jeden Staat individuell zu
beantworten, der sich Anhaltspunkte darüber verschaffen will, ob seine
staatliche Organisation wirtschaftlich zufriedenstellend oder reformbedürftig
ist.
Dezentralisierung. Wie sind die
Aufgaben- und die Finanzierungsautonomie verschiedener Ebenen verteilt? Sind
sie einander systematisch zugeordnet? In welchen Bereichen können sub-nationale
Regierungen autonom ihr Leistungsangebot auf die die regionalen oder lokalen
Prioritäten zuschneiden? Können in solchen Bereichen die höheren (zentralen)
Instanzen qualitäts- und kostenwirksame Standards setzen? Kommt es zu
"Aufträgen" an die sub-nationalen Instanzen, die nicht von
entsprechender Finanzierung begleitet sind ("unfunded mandates")?
Größe der Gebietskörperschaften.
Was
wurde bisher unternommen um Skalenerträge auszunutzen und Externalitäten zu
internalisieren? Welche Anreize bestehen für die horizontale Zusammenarbeit
oder Zusammenlegung auf den unteren Ebenen in bestimmten Aufgabenbereichen?
Gibt es für die Kostenzurechnung der Kooperationspartner verläßliche Regeln?
Überlappende
Verantwortungen. Gibt es überlappende Ausgabenverpflichtungen in bestimmten
Aufgabenbereichen? Welche Vorkehrungen gibt es, Strategien, die Kosten der
nächsten (oberen oder unteren) Ebene zuzuschieben, zu verhindern?
Sozialtransfers und
Instrumente der Umverteilung. In welchem Ausmaß sind subnationale Regierungen für
das Bereitstellen von sozialen Diensten zuständig? Setzen sie selbst die
Bedingungen für die Inanspruchnahme? Gibt es Beobachtungen über Sozialmigration
innerhalb des Gesamtstaates? Werden regionale oder lokale soziale Dienste für
nicht Einheimische gekürzt?
Besteuerungsautonomie. Welche
Steuerfindungsvollmachen haben die subnationalen Gebietskörperschaften, vor
allem in Bezug auf die Definition der Steuerquelle und der Steuersätze? Könnten
Besteuerung auf die niedrigere Ebene verlagert werden, ohne die Stabilität der
Finanzierung dieser Ebene (weil lokale Steuern stärker volatil sind) und die
Effizienz der Einhebung und Kontrolle zu beeinträchtigen?
Gebührenfinanzierung. In welchem Ausmaß
besteht Spielraum für eine Ausweitung der Finanzierung durch Gebühren auf
individuell zurechenbare staatliche Leistungen?
Steuerwettbewerb. Spielt lokaler
oder regionaler Steuerwettbewerb eine Rolle und wurden positive und abträgliche
Effekte untersucht und gegeneinander abgewogen?
Zweckgebundene
Zuschüsse. Spielen zweckgebundene Zuschüsse an subnationale Gebietskörperschaften
eine signifikante Rolle? Wie wird der Anteil des Zentralstaates bestimmt und
gibt es einen Ausgleich für Spillovers? Werden die Zuschüsse bemessen
nach den ex-post-Kosten oder nach ex-ante-Richtwerten?
Finanzausgleich. In welcher Form
findet Finanzausgleich statt unter Einbeziehung der Wirkung der progressiven
Steuern, der Sozialbeiträge bzw. Zuschüsse an die Sozialversicherungsträger und
regionaler Förderungssysteme? Nach welchen Zielen und an Hand welcher Kriterien
wird der Finanzausgleich festgelegt (tatsächliche oder potentielle lokale oder
regionale Steuererträge, topographische und Siedlungsgegebenheiten,
sozio-demographische Faktoren, sektorale Strukturen, Gemeindegröße) und liegen
für diese Kriterien jeweils aktuelle empirische Messungen vor? Unterstützt oder
behindert der Finanzausgleich die Entwicklung zurückgebliebener Gebiete?
Innerstaatliche
makroökonomische Konsistenz. Welche Mechanismen sind in Kraft oder sollten noch
vorgesehen werden, um die Konsistenz zwischen der Finanzautonomie der
Gebietskörperschaften und den makroökonomischen wirtschaftspolitischen Zielen
sicherzustellen? Zeigen die subnationalen Haushalte signifikantes
Konjunkturverhalten auf der Einnahmen- wie auf der Ausgabenseite?
Fiskalregeln. Wie wird in den
Gebietskörperschaften eine solide Finanzlage sichergestellt? Gibt es Regeln für
die Ausgabenausweitung, Defizithöhe und Grenzen der Verschuldung? Wie werden
diese überwacht: durch Autoritäten der höheren staatlichen Ebene oder durch Peer-Rating,
allenfalls auf kooperativer Basis?
Gibt es
einheitliche oder zumindest transparente vergleichbare Buchungs- und
Berichts-Standards für die Finanzdispositionen, die Ausgaben und die Einnahmen
aller staatlichen Ebenen? Liegen diese ex ante oder erst ex post
vor? Gibt es ein Forum, in welchem subnationale Gebietskörperschaften ihre
Erfahrungen mit Budgetpolitik und –praxis austauschen können? Erschwert die
Dezentralisierung die Durchsetzung gesamtstaatlicher Regulierungen und hat sie
die Korruptionsneigung erhöht?
Die umfangreiche
theoretische Diskussion der wirtschaftlichen Wirkungen und Voraussetzungen
einer optimalen Staatsarchitektur und die ideologischen Auseinandersetzungen,
die dabei regelmäßig eine nicht geringe Rolle spielen, wären abzukürzen, wenn
empirische Beobachtungen über die wirtschaftlichen Wirkungen von mehr oder
weniger föderativer Autonomie eindeutige Ergebnisse brächten.
Tatsächlich hängen
jedoch makroökonomische Entwicklungen nicht nur von der
Verfassungskonstruktion, also dem Grad der Dezentralisierung von legislativer
Autonomie ab, sondern von vielen anderen Einflüssen. Letztlich auch von
Unwägbarkeiten, die sich einer ökonomischen Quantifizierung entziehen. Ist der
Staatsaufwand in der Schweiz deshalb geringer als in einigen anderen Ländern,
weil die Schweiz eine ausgeprägt föderalistische Verfassung praktiziert, oder
weil die handelnden Personen eben Schweizer sind, also der Wirtschaftlichkeit
und Sparsamkeit einen höheren Wert beimessen als die Angehörigen anderer
Länder?
Simultane Einflüsse
gehen etwa von folgenden Umständen aus:
·
Größe und Einwohnerzahl
einer Nation und ihrer Gliedstaaten,
·
Prinzipien der Rechts- und Verfassungsordnung (Gleichheit, demokratische
Entscheidungen, Rechtsstaatlichkeit),
·
der schon erreichte wirtschaftliche und technologische
Entwicklungsstand,
·
Schwerpunktsetzungen der Wirtschaftspolitik im Spannungsfeld zwischen
Effizienz und wirtschaftlichem oder sozialen Ausgleich,
·
Tradition und der Effizienz von Verwaltungsabläufen, Bürokratie und
Mentalität,
·
politische Machtverteilung.
Vergleiche zwischen
Staaten in unterschiedlicher Konjunktursituation können eher diesen Umstand als
den Einfluss des Staatsaufbaus widerspiegeln. Ein Vergleich zwischen Österreich
und den Vereinigten Staaten von Amerika, die beide eine föderalistische
Verfassung aufweisen, ist wegen des Größenunterschieds weniger aufschlußreich
als ein Vergleich mit Schweden, das zentralistisch organisiert ist.
Mehrere Anlässe
haben Zahl und Aktualität von empirischen Nachprüfung des Einflusses des
Staatsaufbaus auf die wirtschaftliche Leistung vergrößert: die ehemals
kommunistischen Staaten mussten sich eine demokratische und
marktwirtschaftliche Verfassung geben, ähnliche Anlässe gab und gibt es auch in
der Dritten Welt. Ganz besonders aber haben die Arbeiten an einer Verfassung
der Europäischen Union zu einer intensiven ökonomischen Literatur über die
optimale Zuordnung von Kompetenzen auf die übereinander gelagerten Ebenen und
deren Wirkung auf die Wirtschaft Anlass gegeben.
Von diesen
historischen Prozessen abgesehen, sind wachsende Probleme der Staatsfinanzen
und die Suche nach Konsolidierung der Budgetentwicklung wohl der wichtigste
Anlass für solche, meist international vergleichende empirische Untersuchungen.
Wie in Österreich, geriet dabei auch der Effekt des mehr oder minder föderativen
Staatsaufbaus ins Visier der Überprüfungen. Er wurde unter Anderem von der OECD
im Rahmen der jährlichen Examina der Wirtschaftspolitik der Mitgliedsländer
gezielt untersucht. Darüber liegt ein umfassender Überblick vor veröffentlicht
(Joumard, Kongsrud 2003), dessen Publikation in gekürzter Form im Economic
Outlook (2003) offiziellen Charakter bekommt.
Wer auf die
theoretischen Fragen eindeutige Antworten erwartet, wird von den empirischen
Ergebnissen enttäuscht.
Da jeder Staat,
unabhängig von seinem Staatsaufbau, viele Besonderheiten aufweist, die sich im
wirtschaftlichen Ergebnis niederschlagen, ist der Einfluss des föderativen
Aufbaus schwer zu realisieren. Daher ist auch die Zahl wirklich vergleichbarer Beobachtungen
klein und lässt kaum gut gesicherte Schlußfolgerungen zu. Dazu kommt, dass sich
föderalistische oder zentralistische Staatsform überwiegend nicht direkt in der
Leistung einer Volkswirtschaft niederschlagen, sondern eher als ein indirekter
Einfluss aus der Umgebung auf die Wirtschaft und die Wirtschaftspolitik wirken.
Die Stabilität und Entscheidungsfähigkeit der Regierung kann – mit erheblichen
wirtschaftlichen Folgen – vom Staatsaufbau abhängen und ihrerseits auf das
volkswirtschaftliche Ergebnis wirken.
Die Bestätigung der
Hypothesen über die wirtschaftlichen Wirkungen föderalistischen Wettbewerbs
wird im Großen und Ganzen an Hand folgender makroökonomischer Aspekte gesucht:
·
In einer höheren gesamtwirtschaftlichen Leistung oder in dynamischerem
und preisstabileren Wachstum einer Volkswirtschaft.
·
In einem geringeren Staatsanteil, einer niedrigeren Steuerbelastung oder
geringeren Staatsverschuldung. Dabei wird oft auch ein Zusammenhang zwischen
niedrigerer Steuerbelastung und höherer Wirtschaftsdynamik vermutet.
Föderalistischer Wettbewerb wirke so indirekt über niedrigerer Steuern als
Leistungsanreiz.
·
In der Gleichmäßigkeit oder Ungleichmäßigkeit der regionalen
Wirtschaftsleistung und der persönlichen Einkommensverteilung.
Die empirische
Evidenz der genannten Hypothesen in verschiedenen Untersuchungen liefert
zwiespältige Ergebnisse und ist in nahezu allen Fällen ziemlich weich. Es sei
vorweggenommen, dass diese Feststellung keine klare empirische Bestätigung der
Hypothese wirtschaftlicher Vorzüge eines föderativ aufgebauten Staatswesens
erwarten lässt. Diese Zwiespältigkeit der vorliegenden empirischen Ergebnisse
ist teilweise auf unzulängliche Analysemodelle zurückzuführen. Vor allem
liefern "verkürzte" und zu abstrakten volkswirtschaftliche Modelle,
in welchen eine direkte Korrelation zwischen dem Grad an regionaler Autonomie
und der volkswirtschaftlichen Leistungsfähigkeit oder Dynamik gesucht wird,
kaum befriedigende Ergebnisse. "There is no formalized theory of the
relationship between fiscal decentralisation and economic growth"
(Thießen, 2000, p.5). "That could really hamper the construction of
valuable models and the delivery of satisfactory results" (Breuss, Eller,
2003, p. 19).
Befürworter des
Föderalismus dürfen es sich nicht so einfach machen zu argumentieren, dass etwa
das gegenwärtig hohe Wachstum der USA erwartungsgemäß auf die föderalistische
Struktur dieses Staates zurückzuführen wäre. Umgekehrt disqualifiziert sich
aber auch die populäre Argumentation, Föderalismus verteuere den Staat durch
vervielfachte legislative und administrative Apparate und führe so zu
verringerter wirtschaftlicher Dynamik. Diese Hypothese kann sich ebenso wenig
auf empirische Belege berufen.
Aus der Geschichte
glaubt Weingast (a.a.O., p. 6f) zu entnehmen, dass erhöhte wirtschaftliche
Dynamik regelmäßig mit föderalistischem Staatsaufbau oder zumindest mit
faktischer dezentraler Autonomie zusammen fielen und folgert daraus, dass diese
Form auch ursächlich für wirtschaftlichen Aufschwung war. Vor allem das England
des 18. Jahrhunderts nach der Glorious Revolution (1688/89), von welchem die
Industrialisierung ihren Ausgang nahm, sei de facto ein föderales System
gewesen, obwohl dieser Ausdruck und diese Sichtweise dort selbst nicht
vorkamen. Ähnliches gelte für die Vereinigten Staaten von Amerika, für die
Niederlande, etwas nach dem Beginn des Industriezeitalters in England, aber
auch für das gegenwärtige China, das durch wirtschaftliche Dezentralisierung
(Sonderwirtschaftszonen an der Küste) einen historisch einzigartigen Aufstieg
erlebe. Dabei geht es Weingast primär um die "market-preserving federal
structure", die in erster Linie mit lokaler Regelungsautonomie
zusammengebracht wird.
Dies ist freilich
nur eine der Vorbedingungen dafür, dass von Föderalismus gesprochen werden
kann. Autonome regionale und lokale Regelungen gab es auch im deutschen
Staatensystem des frühen 19. Jahrhunderts, zahllose, und gerade darauf wird von
der entgegengesetzten Hypothese das Zurückbleiben Deutschlands in dieser Phase
hinter England zurückgeführt.
Weingasts Hypothese
sieht auch von den ebenso entscheidenden außenwirtschaftlichen Verhältnissen
ab. Damit muss ein stimulierender Einfluss regionaler Autonomie nicht geleugnet
werden. Auch wenn man der historischen Korrelation Weingasts zu folgen bereit
ist, muss man aber doch bei der Anwendung auf die Jetztzeit mit ihren in vieler
Hinsicht veränderten Verhältnissen Vorsicht walten lassen.
Die moderne Theorie
des Wirtschaftswachstums, welche den technischen und organisatorischen Fortschritt
endogenisiert, führt nirgends den Grad des Föderalismus als erklärende Variable
ein. Das könnte eher ein Mangel der Wachstumstheorie als einer des Föderalismus
sein. "Growth
has only a secondary relationship to decentralisation and the nature of this
connection – growth-enhancing, growth-impeding, or growth-requiring – depends
on what one sees as the primary effects of decentralisation. These primary
effects, in turn, have much to do with the specific design of decentralisation
policy" (Breuss, Eller, a.a.O.).
"The few
empirical studies, which have directly examined the relationship between
decentralization and growth, come up with ambiguous results", fahren
Breuss und Eller resümierend fort (a.a.O., p.20). Dem ist zuzustimmen. Allerdings ist auch
beim Vergleich empirischer Untersuchungen zu beachten, dass der Begriff
'decentralization' Staatsordnungen mit umfassen kann, die dem Begriff des
"Föderalismus" nur teilweise entsprechen. Wegen der fundamental
andersartigen Entwicklungsbedingungen ist auch der internationale Vergleich von
Ländern auf sehr unterschiedlichem wirtschaftlichen Niveau, etwa in Davoodi und
Zou (1998), wenig überzeugend.
Empirische
Überprüfungen der dynamischen Wirkungen des Wettbewerbsföderalismus aus dem
Vergleich von Staaten auf hoher Entwicklungsstufe (Westeuropa, Nordamerika,
Australien) sind nicht sehr zahlreich. Die bisher vorliegenden verwendeten kaum
angemessene Modell- und Analysestrukturen und ihre Ergebnisse waren überdies
kaum sehr eindeutig. "Theoretical debate on linkages between
decentralization and economic outcomes has only borne limited empirical
fruit." (F.G.Castles, 2000, p. 178).
Lancaster, Hicks
(2000) poolten die Zeitreihen von Ländern, die auf Grund ihrer formalen
Verfassung, als föderalistisch (Australien, Österreich, Kanada, Deutschland,
Schweiz und die USA) oder zentralistisch (die restlichen 12 OECD-Länder)
anzusehen sind und berechneten den Einfluss dieses Umstands auf abhängige
makroökonomische Variable wie Wirtschaftswachstum, Investitionen, Arbeitslosigkeit
und Inflation. Zur Isolation von anderen Einflüssen wurden für diese Dummies in
die Schätzung der Gleichungen eingesetzt. Es wurden fünf mittelfristige
Zeiträume seit 1960 (bis 1994) so abgegrenzt, wodurch eine größere Zahl von
Beobachtungen entstand und konjunkturelle Einflüsse möglichst ausgeschaltet
werden konnten.
"Does
federalism matter in the area of economic performance? We found that federalism
does appear to have an influence on some fundamental areas of macro-economic
performance such as income transfers and social wage. .... Variation in
unitary-federal arrangements thus helps provide an explanation of social
transfers, investment and economic growth." (Lancaster, Hicks, a.a.O. p.
238.) Die Autoren verweisen darauf, dass diese Ergebnisse gesicherter sind,
wenn als zusätzliche erklärende Variable der Grad der korporatistischen
Entscheidungsfindung eingeführt wird. Die beiden Einflüsse wirken in der
gleichen Richtung und machen die Schätzungen "statistisch signifikant".
Die empirische Evidenz, die Lancaster, Hicks vorfanden, ist aber in ihrer
eigenen Interpretation nicht sonderlich hart.
Gegen ihre
Modellannahmen könnte man auch vorbringen, dass gerade einer korporatistischen
Wirtschaftspolitik die Beschränkung von Wettbewerb als Wachstumskraft
unterstellt wird, dem Föderalismus hingegen die Stärkung von Wettbewerb. Auch,
wer von der wirtschaftlichen Vorzügen einer föderalistischen Verfassung
überzeugt ist, wird kaum argumentieren, dass der positive Einfluss auf direktem
Wege die makroökonomische performance verbessert.
Castlles' Methode
(2000), erscheint im Vergleich wesentlich eher vertrauenserweckend. Er stellt zunächst
zwei einander widersprechende Wirkungshypothesen des Föderalismus vor:
"one is a set of propositions emanating from public choice theory, which
suggest, that, in order to contain the supposedly revenue-maximizing
proclivities of national govenments, it is necessary that there be restraints
on the capacity of the central state to take certain kinds of policy
initiative." ( a.a.O., p. 177), also die Brennan-Buchanan-Argumentation, dass
dezentrale Autonomie zu höheren Wachstumsraten, effizienterem Faktoreinsatz und
geringerer Inflation führen.
Die andere nimmt im
Gegensatz dazu an, dass die Kapazität der Zentralregierung, Nachfragemanagement
(im keynesianischen Sinn) zu betreiben, darüber entscheidet, ob die
Wachstumsraten hoch gehalten und Rezessionen vermieden werden können. Diese
Position wäre nicht überrascht, wenn dies mit einer höheren Inflationsrate
verbunden wäre. Sie wurde etwa von F. Scharpf (1991) vehement vertreten. "If the
key to economic growth and full employment is central control of a large
decentralized budget, then it will be federal states ... which are likely to
perform least well." (Castles, a.a.O., p. 178). Castles' empirische Analyse
weist die Hypothese Scharpfs zurück: ".. it would seem to suggest that
decentralization was unlikely to be prominent in the list of the reasons why Keynesian policy intervention has
failed to rein in the growth of unemployment since the mid-1970s." (a.a.O., p. 193).
Castles'
Überprüfung der beiden Hypothesen erhält ihr Gewicht durch die sorgfältige
Definition des Grades an dezentraler Autonomie in den verglichenen Staaten
Nationen an Hand einer Reihe von Indikatoren. Die formelle Verfassung, ob
föderalistisch oder nicht, entscheidet nicht allein, sondern die Wirklichkeit
der Politik gemessen an fünf Indikatoren, unter denen die föderative
Verfassungsarchitektur nur einer ist. Zunächst gelangt Castles' zu einem
dramatisch klaren Ergebnis: erklärt man die Wirtschaftsentwicklung der
OECD-Staaten über einen langen Zeitraum – die Nachkriegsepoche bis in die
frühen neunziger Jahre – so findet er "that fiscal centralization is
significantly associated with a weaker record of post-war economic growth and
with poorer inflation outcomes." (a.a.O., p. 193).
Das bestätigt zwar die Hypothese des
Wettbewerbsföderalismus, ist aber insoferne überraschend, als jene zwei der
OECD-Staaten im Vergleich, die die ausgeprägteste föderalistische Verfassung
aufweisen, nämlich die Schweiz und die USA, im Beobachtungszeitraum weit
unterdurchschnittliches Wirtschaftswachstum zu verzeichnen hatten. Die
Beobachtung der anderen 19 Staaten bringt dennoch das erwartete Ergebnis
zustande, das damit aber weniger gut abgesichert ist. Castles begründet das mit
dem hohen Ausgangsniveau dieser beiden Volkswirtschaften nach dem Krieg. Das
ist plausibel, bestätigt jedoch, dass die spezifische wirtschaftliche Situation
eines Landes neben allfälligen ökonomischen Konsequenzen der Staatsform einen
gravierenden Einfluss hat.
Castles' ist so
seriös (was nicht für alle empirischen Analysen gilt, es sich mit diesem
Ergebnis nicht leicht zu machen und vor voreiligen politischen Schlüssen zu
warnen. "But,
the relevance for present-day policy-makers of our various findings will depend
on whether the story told by reading the entrails of long-term outcomes is
picking up on comtemporary effects or on ones long since dead and buried. So
why a study of long-term aggregates, if long-term aggregates offer us little
relevant in the way of immediate policy implications?"
Der wichtigste
Nutzen eines solchen Ergebnisses sei, weitere und eingehendere Forschung zu
stimulieren. (a.a.O. 193.)
Von der Antwort auf
die Frage nach Zusammenhängen zwischen dem Grad staatlicher Aktivität in einer
Volkswirtschaft und dem föderativen Aufbau des Staates wäre eher als von der
Messung des Einflusses auf makroökonomischen Ziele der Wirtschaftspolitik ein
klarer Zusammenhang zu erwarten. Die Ausgangshypothesen sind aber auch hier
widersprüchlich:
·
Auf der einen Seite steht das Argument, dass Föderalismus unmittelbar zu
einer Aufblähung (Vervielfachung) staatlicher Apparate und weiters zu
Doppelgeleisigkeiten, Koordinations- und Abstimmungproblemen und zu schwer
bewältigbaren externen Effekten führen könnte,
·
auf der anderen Seite stehen die Annahmen des Fiskalföderalismus, wonach
dezentrale Autonomie, insbesondere wenn sie sich auf autonom wahrgenommene
Steuerhoheit erstreckt, das Ausufern des Staates durch Systemwettbewerb
hintanhalte, die Steuerbelastung senke und staatliche Aktivitäten stärker auf
die Beldürfnisse der Bürger zuschneide.
Man möchte hoffen,
dass genau diese Auseinandersetzung durch empirische Analyse und internationale
Vergleiche entschieden werden kann. Leider sind die vorliegenden Untersuchungen
auch in diesem Punkt nicht eindeutig. Wieder geht es darum, welche föderalen
Systeme als vergleichbar angesehen werden, welche Indikatoren für mehr oder
weniger Föderalismus gewählt werden, in welcher Phase seiner Entwicklung und in
welcher internationalen Umgebung sich ein Land befindet.
Dazu kommt, dass in
einzelnen Verfassungen eigentliche Schranken für die Staatstätigkeit
institutionell eingebaut sind, etwa das Neuverschuldungslimit (bis zur Höhe der
staatlichen Investitionen) in Art. 115 (1) des deutschen GG. Andere beschränken
die Finanzautonomie des Bundes und/oder der Gliedstaaten durch verbindliche
Ausgabenlimits oder durch Beschränkungen der Kapitalmarktfinanzierung. Sollte
daher im internationalen Vergleich ein föderativ aufgebauter Staat eine
besonders niedrige Staatsquote (am BIP) aufweisen, so könnte das auch auf
institutionelle Schranken (Kirchgässner, 2001, p.3f) zurückgehen und nicht
notwendiger Weise auf Systemwettbewerb.
Kirchgässner, ein
überzeugter Verfechter des föderalistischen Prinzips, gelangt zu ähnlich wenig
tragfähigen Schlussfolgerungen, wie die Arbeiten über Zusammenhänge mit
makroökonomischen Leistungsdaten einer Volkswirtschaft, und resümiert (Kirchgässner, 2002a, p.
86): "Nimmt man die gesamte, derzeit zur Frage nach dem Einfluss des
fiskalischen Föderalismus auf den Staatsanteil verfügbare empirische Evidenz
zusammen, kann man den Schluß ziehen, dass es gewisse Evidenz dafür gibt, dass
fiskalischer Föderalismus – ceteris paribus – zu einem geringeren Staatsanteil
führt. Aber diese Evidenz ist bei weitem nicht überzeugend. Es spricht
andererseits empirisch kaum etwas dafür, dass ein positiver Einfluss
besteht."
Kirchgässner
betont, dass föderative Steuerautonomie nicht hinreichende Bedingung für ein
Zurückdrängen des Leviathan Staat ist, sondern dass dies nur erwartet werden
kann, wenn Föderalismus mit direkter Demokratie wie in der Schweiz einhergeht.
Die Dikussion darüber würde zu weit führen. Aus Sicht der politischen Ökonomie
könnte man dagegen einwenden, dass direkte Demokratie sehr leicht eine
Schlagseite zur ineffizienten Unterausstattung öffentlicher Aufgaben bekommen
kann, unter anderem, weil in einem Referendum die Zahl der Steuerzahler in
aller Regel größer sein wird als die Zahl der durch ein öffentliches Vorhaben
direkt Begünstigten.
Ähnlich skeptisch
die Zusammenfassung Wachendorfer-Schmidts (2000, p. 4) zur Frage: "Does
federalism matter? Is there a difference between federal and non-federal states in
policy-making and political performance, and if so, to what extent does
federalism make a difference?" Antwort: "There is considerable
evidence that there are different policy outcomes worth nothing". Sie geht dann
darauf ein, dass nicht jede föderalistische Verfassung, die sich dieses
Attribut zuschreibt, und nicht jede zentralistische Struktur staatlicher
Institutionen unterschiedliche Ergebnisse erwarten lassen. "Although it
is a common claim in federalist studies that federal systems differ
significantly from each other, comparative analyses of political institutions
have raised doubt as to whether federalism exists at all, given that on the one
hand formally federal constitutions coexist with centralized structure of
decision-making and tax-raising, while on the other hand there are states that
are both unitary and decentralized. These mixed types seem to blur the
differences between federal and unitary state organizations. It is therefore
important to define federalism before going on to inquire about the potential
effects of different models of federalism on public policy." (a.a.O. p.
4f.)
Wirtschaftspolitik
und Verfassungsreform können sich mit den widersprüchlichen Thesen der Theorie
und den agnostischen Ergebnissen der Empirie nicht zufrieden geben. Es fällt
nicht schwer sich vorzustellen, dass die tatsächlichen Wirkungen dezentraler
Autonomie aus einem viel komplexeren System von politologischen, soziologischen,
ökonomischen und anderen Interaktionen entspringen können. Einfache ökonomische
Wachstumsmodelle genügen für eine klare Antwort ebenso wenig, wie die oft von
ideologischen Grundannahmen bestimmten Aussagen der Theorie.
Es gibt eben in der
Realität wirtschaftlich effizient strukturierte Staaten mit weitgehender
zentraler Kompetenz und es gibt ebenso wirtschaftlich effiziente Staaten mit
ausgeprägt föderativer Verfassungsstruktur.
Daher ist vor
Reformüberlegungen zu warnen, die auf lupenreine fiskalische Autonomie und die
Konnexität zwischen Gesetzesanliegen, Durchführung und Finanzierung abzielen.
Wir neigen eher zur Ansicht von Joumard und Kongsrud (2003) oder von J. Adolf
(2000) vertreten wird, dass es mehr um die Reorganisation der Entscheidungsverfahren
geht als um die abstrakte Konstruktion von optimalen Modellen der public
choice. Diese Ansicht teilen in der deutschen Diskussion über Föderalismus
auch eher die Praktiker der Finanzpolitik, z.B. I. Deubel (1999, S. 70) oder K.
Lichtblau (1999, S. 111), in
auffallendem Gegensatz zur Konsensmeinung der meisten Finanztheoretiker
(im gleichen Band etwa vertreten durch C.B.Blankart (1999, S.145ff), van Suntum
(1999, S.13ff) oder überwiegend auch B. Huber, (1999, S. 55).
Ideal und
Wirklichkeit des Föderalismus können auseinander klaffen. An sich viel
versprechende Erwartungen über positive wirtschaftliche Einflüsse eines
föderativen Modells können durch institutionelle Konstruktionsfehler in der
Verfassung, im Steuer- und Finanzausgleichssystem weitgehend aufgeschaltet
werden. "Für ein stringentes Wettbewerbsmodell fehlen in Deutschland
praktisch alle Voraussetzungen". (Deubel, a.a.O., S. 70). Ohne große
Bedenken kann diesem Befund für Österreich zugestimmt werden.
Der Bedarf an
verbesserter Erkenntnis über die tatsächlichen Zusammenhänge und ihre
Gestaltbarkeit hat jüngst zu der schon zitierten Durchforstung und
Querschnittsanalyse empirischer Erfahrungen in den 30 Mitgliedsstaaten der OECD
geführt. Auf diese Arbeit stützen sich auch empirische Nachweise zu der hier
vorgelegten Studie, die in einem statistischen Anhang wiedergegeben sind. Die
Arbeit in der OECD zeichnet sich durch Pragmatismus in Bezug auf die
tatsächlichen institutionellen und politischen Gegebenheiten aus. Sie
idealisiert nicht die Ziele der einen oder anderen Auffassung, sondern schätzt
nüchtern die in der Wirklichkeit zu beobachtenden Vorzüge und Probleme ab.
Insgesamt kommen
Joumard und Kongsrud jedenfalls zu einem Ergebnis, das die geradlinige
Argumentation der Tradition des fiscal federalism nicht bestätigt. In der
Wirklichkeit gehe es nicht in erster Linie um Fragen des Prinzips, sondern um
die adäquate Gestaltung der institutionellen Regeln, etwa für die Steuerhoheit,
den Finanzausgleich und für die Abstimmung divergierender öffentlicher
Interessen. Man kann diesen Schluss als technokratisch abtun. Er lässt aber
unter der Annahme einer sorgfältigen und unvoreingenommen bedachten Gestaltung
der Kompetenzen unter anderem nach den erörterten ökonomischen Gesichtspunkten
tatsächlich bessere Ergebnisse föderativer Systeme erwarten.
Der Großteil der
Theorie des Fiskalföderalismus konzentriert sich auf Einbußen an allokativer
Effizienz, die ein zentralistisches Entscheidungssystem unter den gewählten
Annahmen haben kann. Verteilungsaspekte bleiben vergleichsweise unterbelichtet.
Allenfalls wird angenommen, dass sich die regionale Wirtschaftskraft bei
Fiskalwettbewerb polarisieren könnte. In wirtschaftlich schwächeren Regionen
werden mehr Sozialleistungen benötigt, deren Finanzierung ihrerseits wieder die
regionale Steuerbelasstung hinauftreibt. Hier ist natürlich nicht auf das
regionale Einkommensergebnis nach Umverteilung von Finanzkraft durch irgeneine
Form des Finanzausgleichs zu achten, sondern auf die Entwicklung der primären
Einkommensverteilung (bleibt die Wertschöpfung schwächerer Regionen relativ
zurück?) oder die Entwicklung der effektiven Steuerbelastung (steigt diese in
wirtschaftlich schwächeren Regionen im Vergleich zu reicheren?). Die regionale
Streuung der persönlichen Einkommen hingegen wird vom Ausmaß der horizontalen
und vertikalen Umverteilung durch Finanzausgleich mitbeeinflusst.
Empirische Evidenz
über die Auswirkungen eines ausgeprägten Fiskalföderalismus liegt hauptsächlich
aus der Schweiz und den USA vor. Namentlich Bruno S.Frey und dann Lars P. Feld
(2000, 2002) haben sich um die analytische Auswertung der Schweizer Erfahrungen
verdient gemacht. Die Untersuchungen kommen zum Ergebnis, dass der
Steuerwettbewerb auf kantonaler Ebene zwar signifikante Allokationswirkungen
mit sich gebracht hätte, dass aber die Hypothese vom finanziellen
"Ausbluten" der schwächeren Kantone (race-to-the-bottom)
verworfen werden kann, weil der Finanzausgleich entgegenwirke. Dessen
Einrichtung auf Bundesebene sei
freilich notwendige Voraussetzung, weil der notwendige Umverteilungseffekt auf
kantonaler Ebene nicht befriedigend erreichbar wäre.
Empirische Studien
zum Zusammenhang zwischen dem wirtschaftlichen Ausgangsniveau (starke oder
schwächere Region) und der relativen Wirtschaftsentwicklung seither liegen
interessanter Weise nicht vor (Feld, 2002, S. 170). Feld vermutet jedoch aus
einer einfachen Inspektion der Daten, dass "eine deutlich negative
Beziehung zwischen den Wachstumsraten und dem Ausgangsniveau des
Bruttoinlandsprodukts besteht", soferne man die drei Kantone mit
städtischer Agglomeration Zürich, Basel Stadt und Zug aus der Korrelation
ausklammert. Ob es freilich gerechtfertigt ist, gerade jene Kantone
unberücksichtigt zu lassen, die den Steuerwettbewerb am aggressivsten betreiben
können, weil weder ihr Sozial- noch ihr Infrastrukturaufwand so teuer sind wie
in peripheren Landesteilen, kann bezweifelt werden.
Kritik an den
bisher beruhigenden Auskünften der empirischen Untersuchungen zu den regionalen
Wirkungen des Steuerwettbewerbs wurde unlängst von der Schweizerischen
Studiengesellschaft für Raumordnung und Regionalpolitik (Rorep) vorgebracht
(2003). Die Autoren dieser Studie kommen zum Ergebnis, dass das heute in der
Schweiz etablierte System des interkantonalen Steuerwettbewerbs Schwächen und
Defizite aufweise, die zu grossräumigen Verwerfungen und tendenziell zu einer
Gefährdung der räumlichen Kohäsion der Schweiz führten. So wird aufgezeigt,
dass zwar in der Periode 1930 – 1970 die interkantonalen Unterschiede in der
Steuerbelastung auf Einkommen natürlicher Personen merklich abgenommen haben.
Aber seit 1970 verlaufe die Entwicklung wieder in der Gegenrichtung, wobei sich
vor allem das West-Ost-Gefälle akzentuiert habe. Es sei erstaunlich, dass ein
auf den feststellbaren regionalen Disparitäten beruhende Unmut bisher keine
grösseren politischen Reformaktivitäten nach sich gezogen habe.
Der Neue
Finanzausgleich (NFA, siehe R.L.Frey, C.A.Schaltegger, 2001), den die Schweiz
2002 eingeführt hat, sei zwar notwendig, jedoch nicht hinreichend, um das
Belastungsgefälle auf ein "erträgliches Mass " zu reduzieren. Die
Fronten in dieser Frage verlaufen zwischen den politischen Parteien. Während
sich die Sozialdemokratische Partei für einen Ausbau des Finanzausgleichs stark
macht, reagieren bürgerliche Stimmen mit der Warnung, nicht mit "einem
fiskalischen Einheitsbrei zu flirten".(NZZ, 3.12.03).
Die erwähnte
OECD-Studie (Joumard, Kongsrud, 2003) geht unter anderem auf einen seit
längerem zu beobachtenden Trend zur Dezentralisierung der Staatsaktivitäten
ein. "On
the basis of aggregate revenue and spending data, sub-national spending and
revenues display contrasting trends. The sub-national government share of public
spending has increased in a majority of countries. However, central governments
have increasingly countered this tendency by imposing norms and minimum quality
standards on the public goods provided locally. And on the revenue side, the
sub-national government share in general government revenues (excluding grants)
has failed to follow pace with developments on the spending side and declined
in several OECD countries" (a.a.O, p.157, 160).
Auch nach eigenen
Berechnungen des Verfassers ist der Anteil des gesamten Staatsaufwandes,
welchen die zentrale staatliche Ebene bestreitet, seit den sechziger Jahren in
der Mehrzahl der Staaten Westeuropas laufend kleiner geworden. Mitte der
sechziger Jahre bestritt die zentrale staatliche Ebene im Durchschnitt der heutigen
EU-Staaten noch rund 56 Prozent der öffentlichen Mittel für laufenden Personal-
und Sachaufwand sowie Investitionen. Im Jahr 2000 erreichte ihr Anteil nur mehr
35 Prozent. Die regionalen und kommunalen Gebietseinheiten haben ihren
Ausgabenanteil entprechend ausgeweitet.
Diese empirische
Beobachtung ist hängt unter anderem von der Definition des Staatsaufwands ab.
Im Prinzip müsste dieser den gesamten Aufwand für laufende Kosten von Personal
und Betrieb, für eigene Investitionen, für Subventionen, für Zinsen und für
Transfers, sowohl an andere Gebietskörperschaften wie auch an andere Sektoren
(Private Haushalte, Unternehmen, Ausland) umfassen. Da bei der Addition von
Finanzzuweisungen zwischen Gebietskörperschaften Doppelzählungen auftreten
würden, müssen diese bei gesamtstaatlicher Betrachtung ausgeklammert werden.
(Die Verbuchung der Transferströme ist im internationalen Vergleich mit großen statistischen Fehlern
behaftet oder kann nicht lückenlos verfolgt werden).
Eine wichtige
Beobachtung ist, dass der Aufwand des Zentralstaates für selbst erbrachte
öffentliche Dienste, also Personalaufwand, Sachkosten und Investitionen,
deutlich rascher abgenommen hat, als sein Aufwand zur Förderung oder
Kofinanzierung von Leistungen, die von anderen Sektoren erbracht werden, plus
seinem Aufwand für sozialpalpolitisch motivierte Transfers. Aber selbst unter
Einbeziehung dieser wichtigen Ausgabenkategorien ist der zentralstaatliche Anteil laufend rückläufig.
Eine zweite
Feststellung aus österreichischer Sicht: diese europäische
Dezentralisierungstendenz verlief in Österreich signifikant weniger schnell als
in nahezu allen anderen Staaten Europas, ausgenommen Großbritannien, wo sich
die Autonomie Schottlands noch nicht signifikant in den Budgetdaten
niederschlägt.
Anteil der
zentralen Ebene an den Ausgaben des Gesamtstaats
in Prozent
|
für laufende
Personal-, Sach- und Investitionskosten |
für den gesamten
Aufwand einschl. Transfers, ohne Zuweisungen an andere Gebietskörperschaften |
||
|
|
|
|
|
|
EU |
Österreich |
EU |
Österreich |
|
|
|
|
|
1965 |
55,9 |
47,5 |
- |
- |
1970 |
52,9 |
46,2 |
- |
- |
1975 |
49,4 |
37,5 |
38,6 |
- |
1980 |
46,0 |
33,6 |
36,5 |
- |
1985 |
44,3 |
38,9 |
36,5 |
- |
1990 |
39,2 |
35,5 |
- |
48,4 |
1995 |
36,5 |
37,2 |
33,9 |
- |
2000 |
34,8 |
36,5 |
- |
47,8 |
Quelle: eigene
Berechnungen auf Basis OECD National Accounts, Detailed Tables, versch. Jg.
Dieser Trend geht
auf drei gleichgerichtete Entwicklungstendenzen zurück:
Erstens, auf die
"Föderalisierung" bisher zentralstaatlicher Verfassungsordnungen. In
den letzten Jahren gilt das für Belgien, Großbritannien und Spanien.
Zweitens, auf die Zuweisung
von bisher zentral wahrgenommenen Kompetenzen und auch von Steuerautonomie auf
bestehende dezentrale Ebenen, deren Kompetenzen früher eingeschränkter waren: etwa in Frankreich und in
Italien, auch in Kanada und Mexiko.
Drittens, auf die rascher
wachsende Inanspruchnahme von staatlichen Leistungen, die von dezentralen
Institutionen wahrgenommen werden, dies auch in Staaten, die keine
ausgesprochene föderalistische Verfassungsstruktur aufweisen. Haupttriebfedern
dieser Entwicklung waren die Aufgabenbereiche Gesundheit und Unterricht. Das
relative Zurückbleiben zentralsstaatlicher Aufgabenbesorgung (auf der
Ausgabenseite) hat auch mit dem seit den neunziger Jahren gebremsten Anstieg
der Sozialleistungen und dem relativen Rückgang der Verteidigungsaufwendungen
zu tun.
Der Anteil der
subnationalen Körperschaften an den Staatseinnahmen hingegen ist überwiegend
nicht gestiegen. Die OECD-Studie unterscheidet in der Realität ihrer nun 30
Mitgliedsstaaten nicht in föderalistisch oder zentralistisch auf Grund des
verfassungsgemäßen Staatsaufbaus, sondern sie orientiert sich ähnlich wie die
Studie Castells an einem Spektrum von Übergangsformen zwischen den Idealtypen.
Es gibt föderalistisch konstituierte Staaten, die den Teilstaaten und auch den
lokalen Gebietskörperschaften prinzipiell eine weitgehende Steuerautonomie
einräumen, die jedoch nur in sehr geringem Umfang tatsächlich in Anspruch
genommen wird (etwa Deutschland, Frankreich, Belgien, Mexiko, Spanien,
Norwegen).
Österreich zählt
zur Gruppe jener Staaten, wo die faktische Autonomie der Steuerfindung auf den
unteren Ebenen am geringsten ist. Unter den OECD-Staaten ist die dezentrale
Steuerautonomie nur in Portugal, der Tschechischen Republik, Ungarn, Norwegen
und Mexiko geringer. Dieser Indikator korreliert mit dem formalen Staatsaufbau
beinahe gar nicht, denn die Spitze der subzentralen Steuerautonomie nimmt
überraschender Weise nicht die Schweiz ein, die in Europa erst an dritter
Stelle nach Schweden und Dänemark liegt. Überdurchschnittliche Steuerautonomie
im europäischen Vergleich nehmen auch die subzentralen (kommunalen)
Gebietskörperschaften in Finnland, Belgien und Island wahr.
Umgekehrt gibt es
formell unitarische Staaten, bei denen ein großer Teil der Staatsaufgaben auf
der unteren, meist kommunalen Ebene erbracht wird und für diese, soferne sie
individuell den Benützern zurechenbar sind, auch oft kostendeckende Gebühren
eingehoben werden. Diese Form herrscht etwa in Skandinavien und in den
Niederlanden vor. Dort gibt es zwar keine oder eine kaum mit Autonomie
ausgestattete Ebene zwischen dem Zentralstaat und den kommunalen Einheiten
(Provinzen in den Niederlanden), jedenfalls nicht mit Gesetzgebungskompetenz,
aber der Grad der Dezentralisierung staatlicher Aufgabenerfüllung ist
ausserordentlich hoch.
Unterschieden wird
weiters zwischen Staaten mit regionaler oder kommunaler Autonomie und nach dem
Grad der Beschränkung dieser Autonomie durch Vorgaben der zentralen oder
Bundesgesetzgebung. Das skandinavische Modell hält an der ausschließlichen
Grundsatz- oder Richtlinienkompetenz des Zentralstaats ("des Reichs")
fest, gibt aber in der Ausführung den unteren Ebene (Gemeinden,
Gemeindeverbände) viel Spielraum und Mitentscheidung in der Ausführung durch
kommunale Ratsversammlungen.
Sehr wichtig ist,
dass in einer Reihe von Staaten die gesetzlichen Qualitätsstandards
öffentlicher Leistungen vom zentralen Gesetzgeber beschlossen werden, die
unteren Gebietskörperschaften jedoch die Kompetenz für die Erbringung dieser
Leistungen und die Diensthoheit über das Personal besitzen. Dies erfordert in
aller Regel eine Berücksichtigung im vertikalen Finanzausgleich. "The effective
power of sub-national governments to manage the programmes under their
responsibility is often quite limited, with the central government increasingly
engaged in setting standards and/or micromanaging sub-national government
implementation of various sector policies." (a.a.O. p. 165). In diesem
Zusammenhang werden Österreich, Dänemark, Deutschland, Norwegen als Beispiele
genannt. "The education sector provides an illustration. Sub-national
governments are responsible for providing non-tertiary education in an
increasing number of countries. However, in many cases the central government
sets the curriculum, trains teachers and/or sets wages (Italy, Mexico, Norway).
Die faktische
Dezentralisierungstendenz seit den achtziger Jahren, welche in krassem
Gegensatz zur älteren Hypothese von der automatischen Zentralisierung (im
Gefolge von Popitz' 'Naturgesetz') und zu manchen populären Vorurteilen steht,
ist das Ergebnis von Tendenzen, die sich zwar gegenläufig entwickelten, aber
dennoch überwiegend in Richtung Dezentralisierung der Aufgabenerfüllung
wirkten.
Die Internationalisierung
und Globalisierung hat zentralisierende Wirkung gehabt (a.a.O. p. 169 f). Dies
ist vor allem das Ergebnis der epochalen Marktöffnung von Güter-,
Dienstleistungs-, Kapital- und auch Arbeitsmärkten, die jedenfalls nach
einheitlichen oder reziprok angewendeten Regeln der Liberalisierung verlangten.
Ein weiterer
Faktor, der Koordination zumindest auf nationalem, im Rahmen der EU sogar
überwiegend auf europäischem Niveau erfordert, sind die höhere Ambitionen bei
der Verfolgung makroökonomischer Ziele der Wirtschaftspolitik (Main Economic
Policy Guidelines (Art.98 und 99 EGV). Die Koordination bezieht sich in erster
Linie auf die Abstimmung der nationalen Budgetpolitik angesichts der
zentralisierten Währungspolitik, greift jedoch auch auf die Prinzipien der
Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik aus.
Trotz des Drucks,
regionale und kommunale Regulierungen von Märkten zugunsten der Öffnung zur
Weltwirtschaftsordnung oder zum europäischen Binnenmarkt aufzugeben, sind die
regionalen Disparitäten sehr ausgeprägt geblieben. Innerhalb Europas lässt sich
das daran ablesen, dass der unterschiedliche wirtschaftliche Entwicklungsstand
innerhalb der EU auf nationaler Ebene signifikant konvergiert ist, sich aber
auf der regionalen Ebene eher noch vergrößert hat. Regionen mit geringer
Bevölkerungsdichte, solche, die eine gewisse "kritische Masse" –
deren Größenordnung jeweils auch von den anderen Determinanten abhängt - nicht
erreichen, geographisch isoliert oder peripher gelegen sind oder in denen sich keine
dynamischen politischen und kulturellen Kräfte durchsetzen können, bleiben
weiter zurück. Regionen, die von sich aus aktive Entwicklungsstrategien
betreiben und sich als Partner und Standort für internationale
Wirtschaftsbeziehungen und für Innovationen anbieten, schließen zu den großen
Agglomerationen auf. Dies weist auf die Zweckmäßigkeit regionaler Strategien
und auf das Potential der Bündelung regionaler Initiativen hin.
Die verstärkten
regionalen Disparitäten haben andererseits eine stärkere Rolle zentraler
Regelungen beim Ausgleich unterschiedlicher Lebens- und Sozialbedingungen mit
sich gebracht.
Ein weiterer
historischer Faktor zugunsten der regionalen Selbstbestimmung rührt von
gesellschaftlichen und politischen Tendenzen her. "Against a background
where wider international considerations and bodies are increasingly shaping
local economic conditions, the awareness of regional, local and civic
identities has tended to grow, providing a momentum towards decentralization
.... Empowering sub-national governments with more responsibilities, by
bringing government closer to the people, is seen as strengthening the local
democratic process following a period when civic involvement in decision-making
tended to weaken or even declining." (Joumard, Kongsrud, 2003, p.
170). Dabei kommt zum Ausdruck, dass Übereinstimmung von Wertvorstellungen und
das Bewußtsein von Identität wirtschaftlich relevante Kategorien werden(
S. 98).
Schließlich ist es
andererseits eine Tatsache, dass auch die Mobilität der Menschen über die
Grenzen von Jurisdiktionen stark zugenommen hat. Dies bedeutet, dass
Spill-over-Probleme zunehmen und nach Koordinierungseinrichtungen rufen.
Föderalistische Konkurrenz und ihre vorteilhaften Impulse können nicht auf der
Linie unbeschränkten Wettbewerbs, vor allem auch steuerlichen Wettbewerbs,
gesucht werden, da dies angesichts der wachsenden Externalitäten riskante
Prozesse auslösen kann. Er muss durch ein paktiertes System der Koordinierung
von regionaler Autonomie geordnet werden. Der These, dass damit
"regionaler Einheitsbrei" angerichtet werde und der Wettbewerb seiner
eigentlichen Vorzüge beraubt werde, ist entgegenzutreten. Wettbewerb braucht,
um seine optimalen Wirkungen zu entfalten und um sich nicht selbst schrittweise
auszuschalten, allgemein anerkannte und durchsetzbare Wettbewerbsregeln
(Joumard, Kongsrud, a.a.O. p. 171).
Ist das Resümé aus
den Beiträgen der Ökonomie zum Verfassungsbau eines Staates wirklich so
widersprüchlich und daher für die politische Aufgabe so wenig hilfreich, wie
die anhaltenden Auseinandersetzungen theoretischer und ideologischer Natur
suggerieren? Haben auch die empirischen Beobachtungen keine festere
Entscheidungsgrundlage gebracht? Muss der Ökonom Reformer und Konvente auf die
politische Einschätzung von föderativen oder unitarischen Architekturen
weiterverweisen? Verbitten sich die Verfassungsjuristen ganz zu Recht die Einmischung der
Ökonomie in ihr "Geschäft" und warnen vor der Ökonomisierung der
Verfassung?
Tatsächlich ist
unbestritten, dass die Ökonomie, wenn sie nicht aus ideologischen Gründen
überschätzt wird, die
entscheidenden Kriterien für Verfassungsreformen nicht allein formulieren kann. Das Zusammenspiel und
die Kontrolle der
verfassungsgemäßen Kräfteverteilung und die Festlegung der
Entscheidungsmechanismen sind für die Verlässlichkeit der Aufgabenerfüllung
eines Staates, seine Stabilität und für seine Reformfähigkeit vorrangig und
daher auch für die wirtschaftliche Gesamtsituation entscheidend. Sie werden am
besten von der Verfassungs- und Verwaltungswissenschaft zusammen mit der
Politik- und der Wirtschaftswissenschaft entworfen.
Sie sollten, so
viel kann die Ökonomie in der Tat leisten, an den Kriterien der politischen
Ökonomie gemessen und allenfalls nachjustiert werden. Aus wirtschaftlicher
Sicht ist dabei das Augenmerk vor allem auf die Frage der dynamischen Anpassung
der Rahmenbedingungen zu richten, ohne welche die Wirtschaft ihr Potential
nicht voll nützen kann. Eines der Kriterien aus wirtschaftlicher Sicht ist
daher die nach den in der Verfassung eingebauten Mechanismen für Reformen,
welche die Verfassung gleichzeitig verläßlich und berechenbar und dennoch auch
anpassungsfähig machen. Reformstau ist ein politisches Phänomen, welches die
Entwicklung der Wirtschaft verkümmern lässt.
Es hieße den
Beitrag der Ökonomie krass unterschätzen, wenn man schließt, hier stünden
abstrakte Modelle des (fiskalischen) Wettbewerbs staatlicher Einheiten und
Modelle der Effizienz zentraler Entscheidungen unversöhnlich und unüberbrückbar
einander gegenüber.
Diesem Schluss kann
mit guten Argumenten entgegengetreten werden. Wir werden im Folgenden
Überlegungen entwickeln, auf welche Weise sehr wohl auch ökonomische
Überlegungen eine klare Orientierung bei der Festlegung des Staatsaufbaus
bereitstellen. Es handelt sich dabei freilich um Gedanken, die bisher noch
recht wenig in den Mainstream der theoretischen Diskussion über die ökonomisch
angemessene Staatsform eingeflossen sind.
Die moderne
Wirtschaft eines hoch entwickelten Staates wird von einer früher kaum
vorstellbaren Spezialisierung und Differenzierung der Produkt- und
Dienstleistungsstrukturen geprägt, die gravierende territoriale und regionale
Konsequenzen hat. Die Steiermark wird nicht mehr von der Stahlindustrie,
Vorarlberg nicht mehr von der Textilindustrie geprägt. Standard- und
Massenprodukte werden in Niedriglohnländern gefertigt. In Europa werden hochwertige
Dienstleistungen erbracht, die mit weltweiter Fertigung und Vertrieb, mit dem
Ausbildungs- und dem Forschungssystem vernetzt sind. Sie bilden nicht selten
untereinander Cluster zur Internalisierung von externen Effekten.
Vom Staat wird
nicht mehr Strukturpolitik sondern Standortpolitik erwartet. Er hat die
überbetrieblichen Rahmenbedingungen für hochspezialisierte Unternehmen so zu
gestalten, dass der Standort attraktiv ist. Dazu zählt nicht nur die
Erschließung von Flächen und Verkehrsanbindung, sondern auch ein hoch
qualfizierendes Aus- und Weiterbildungssystem.
Attraktive
Lebensbedingungen für national und international mobile Fachkräfte zählen dazu.
Auch den Konsumenten steht eine unüberschaubare Güterpalette des Angebots zur
Verfügung.
Eine solche öffentliche
Umgebung zu schaffen, erfordert detaillierte Kenntnisse der Gegebenheiten und
Potenziale vor Ort und rasche Entscheidungen. Zentralisierten
Entscheidungsorganen und Verwaltungseinrichtungen fehlen oft die speziellen
Informationen und die Flexibilität des Eingehens auf den spezifischen Fall.
"The potential
benefits of, and issues related to, federalism may increase as economies
develop. Several factors are at play. First, income growth may spur the demand
for a more diversified basket of public goods or, put differently, the
"one-size-fits-all" approach may increasingly fail to deliver a
basket of public goods that is optimal for all citizens. Second, the rise of
human capital (in particular higher education attainment) has raised the
ability of local citizens and their representatives to manage efficiently local
affairs and participate in the nation's decision process. Third, the spread of
new information and communication technologies, together with more efficient
transport modes, may increase the mobility of citizens across jurisdictions.
Increased mobility of people may reinforce competitive pressures on
sub-national government to deliver good public services, at a low cost.
(Joumard, Kongsrud, p.171).
Föderalismus darf
nicht statisch gesehen werden. Auch Kompetenzkataloge der Bundesverfassung
müssen – in beiden Richtungen – in Frage gestellt werden. Föderalismus ist ein
evolutionärer Prozess, "weil er eine differenzierte Entscheidungsstruktur
anbietet, um dem Steuerungsbedarf der modernen komplexen Gesellschaften zu
entsprechen" (Mayntz, 1995, zitiert nach Wachendorfer-Schmidt, a.a.O., p.
2)
"Gerade dank
dem Netzcharakter vieler neuer Beziehungen, dank der Banalisierung von Raum und
Zeit durch Informations- und Transporttechniken werten sich lokale Standorte
auf. Unternehmensnahe Dienste sind dezentral erhältlich, Firmen und Individuen
können sich von überall her in die netzvermittelten Wertschöpfungsketten
einklinken." (Kappeler, 2002, p.349). Standortentwicklung und Höherqualifizierung
der menschlichen Potentiale setzen zwar eine Reihe von europäischen und
nationalen Standards voraus. Diese können aber ohne die Nähe zum Bürger und zum
Standort nicht effizient konkretisiert werden.
So fruchtbar die
Modelle des fiskalischen Föderalismus für die Erkenntnis grundsätzlicher
Optionen sind, so wenig scheinen sie in der Praxis der konkreten Politik
ergiebig oder unproblematisch zu sein. Aus ökonomischer Sicht ist ihnen eine
Vorwegabstraktion von möglichen und effizienten Formen des Wettbewerbs und die
modellmäßige Einschränkung auf das Modell des reinen Preiswettbewerbs
vorzuwerfen.
Wettbewerb zwischen
Gebietskörperschaften muss nicht auf das Steuersystem und auf Steuersätze
beschränkt bleiben. Steuerwettlauf könnte tatsächlich zu Fehlallokationen und
zur Schwächung der gesellschaftlichen Kohäsion führen. Und auch wenn diese
Gefahr nicht gegeben wäre, bliebe zweifelhaft, ob seine positiven
Wettbewerbseffekte bei noch immer begrenzter Mobilität mancher Produktionsfaktoren
wirklich so groß wäre wie ihnen der Fiskalföderalismus im Modell zumißt.
"Auch sind Steuern und Kostenaspekte nicht die entscheidenden
Standortfaktoren. Befragungen heben insbesondere die Verfügbarkeit von
Fachkräften und Spezialisten hervor." (Kappeler, a.a.O., S.349f).
Die Ökonomie kennt
neben dem klassischen Standardmodell des Preiswettbewerbs auch Modelle des
Wettbewerbs mit "Nicht-Preis-Faktoren". Typischerweise tritt diese
Form des Wettbewerbs am ehesten auf, wenn eine überschaubare Zahl von Anbietern
auf einem Markt konkurriert (Oligopole). Auch regionale Gebietskörperschaften
stehen in der Frage ihrer Attraktivität als Wohnort oder als
Wirtschaftsstandort in einem oligopolistischen Wettbewerb mit einer Gruppe
alternativer Wohn- oder Wirtschaftsstandorte. Sie konkurrieren mit diesen nicht
notwendiger Weise über den Preis (=Steuer- und Hebesätze), sondern über
Qualitätsmerkmale, die sich nicht direkt im "Preis" niederschlagen:
Dienstleistungsbewußtsein statt Obrigkeitsdenken, persönliche Zurechenbarkeit
der Leistung statt Anonymität, Innovationsanreize statt umfassende Vorsorge
durch den Staat, Bürgernähe statt "Amtweg", speditive Erledigungen,
explizite Zukunftsstrategien, Kooperationsbereitschaft sind die Faktoren, die
die Früchte des Wettbewerbs hervorbringen, nicht unbedingt die Steuerautonomie.
"The
introduction of competitive pressures across sub-national jurisdictions has
thus increasingly come to be seen as dependent on information channels. Some
countries (including Scandinavian countries) have developed high-quality
information to enable citizens to benchmark the performance of their
administration against others and to allow local governments to identify best
practices." (Joumard, Kongsrud, p.168).
Diese
Qualitätsmerkmale erleichtern auch in der Regel die Einhebung kostendeckender
Gebühren für individuell zurechenbare öffentliche Leistungen. Auf diese Weise
wird die Steuerfinanzierung zurückgedrängt. "Greater reliance on user
fees, by reinforcing market signals, could promote efficiency" (Joumard,
Kongsrud, p.162).
Natürlich sind
damit Kosten verbunden, den öffentlich Dienst anspruchsvoller zu qualifizieren,
die Innovationsbereitschaft, Kooperation und Motivation auch innerhalb des
öffentlichen Dienstes zu stärken. Aber ein anonymer bürokratischer Apparat nach
alten Obrigkeits- und Verwaltungsauffassungen kann die Steuerzahler ebenso viel
oder mehr kosten, ohne die Vorzüge einer modernen Administration, die sich dem
ettbewerb mit konkurrierenden Standorten und der Kooperationsmöglichkeit mit
Partnern bewußt ist, anbieten zu können.
Die Vertiefung und
Erweiterung der europäischen Integration hat die nationalen Binnengrenzen nicht
nur leichter überwindbar gemacht, sondern auch die nationalen und regionalen
Jurisdiktionen einander stark angeglichen und kompatibel gemacht, insbesondere
bei allen Regeln, welche wirtschaftliche Märkte betreffen. Damit sind faktisch
alte Grenzlinien, welche geographische und kulturelle Regionen trennten,
weitgehend verschwunden. Wirtschaftliche, politische und kulturelle
Potenzialen, die bisher nicht zugänglich waren, können genutzt werden. Diese
bisher ungenutzten Möglichkeiten grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehrs sind
eine Quelle jener positiven Integrationseffekte, die die ökonomische Theorie
einhellig – jedenfalls auf etwas längere Sicht, weil Anpassungen kurzfristig
auch Verlierer voraussetzt –
verspricht.
Grenzüberschreitende
Zusammenarbeit hat sich bereits rasch ausgeweitet, obwohl entgegen den Prinzipien und Absichten
der Binnenmarktspolitik hier und
da noch Restbestände eines administrativen Protektionismus festzustellen sind.
Hier geht es auch auf der politischen Ebene um das Anknüpfen von Verbindungen,
die Abstimmung von gemeinsamen Vorhaben und um die Regelung von externen
grenzüberschreitenden Effekten. In aller Regel handelt es sich dabei nicht um
Projekte und Auswirkungen von nationaler Bedeutung. Es ist daher folgerichtig,
die politischen Entscheidung und deren Durchführung – im Einklang mit europäischen
oder nationalen Richtlinien – auf die dezentrale, sach-, wirtschafts- und
bürgernähere Ebene zu verlagern.
Die zunehmende
Ineffektivität des Nationalstaates, rechtzeitig auf die wachsenden Herausforderungen
zu antworten, weil seine Jurisdiktion, nicht aber die Probleme an den
Staatsgrenzen endet, hat in vielfach ausgelöst, was Habermas
"Legitimationskrise" nannte. "To overcome such a
legitimation crisis, states decentralize some of their powers to local or
regional political institutions. ...Letting lower levels of governance take
responsibility for linking up with society by managing everyday life's issues,
so to rebuild legitimacy through decentralization." (Castells, 1997, p.
271f.).
Auch die Modelle der modernen ökonomischen
Wachstumstheorie sind ziemlich ohnmächtig bei der Erklärung konkreter
Entwicklungsphasen in vielen Ländern. Sie nehmen zwar nicht mehr an, wie ihre
neoklassischen Vorläufer in den fünfziger Jahren, dass der technische
Fortschritt "vom Himmel
falle". Er wird vielmehr durch materielle und immaterielle Investitionen
erklärt. Der vertikale Staatsaufbau kommt als erklärende Variable nicht vor.
Und auch die empirischen Schätzungen eines Einflusses dieses Faktors haben, wie
dargestellt, die Rätsel kaum verkleinert. Beim Versuch der Erklärung von
unterschiedlicher Wirtschaftsdynamik aus Menge und Qualität der Faktoren Arbeit
und Kapital sowie dem in das Kapital eingebauten technischen Fortschritt
bleiben nach wie vor bedeutende unerklärte Restgrößen.
Dennoch bietet ein
Zweig der Wachstumsforschung Ansatzpunkte für die Erklärung dynamischer
Entwicklungen. Dieser Zweig geht auf die Pionierarbeit von Sir Arthur Lewis
über die Bedingungen der Entwicklung von Staaten zurück, für die ihm 1979 der Nobelpreis für
Wirtschaftswissenschaft 1979 verliehen wurde - ohne dass das besonderen
Eindruck auf die Zunft der mathematischen Ökonomen gemacht hätte. Eher finden
sich weiterführende Gedankengänge in den Schriften von Wirtschaftshistorikern.
Diese weisen auf die Bedeutung der gesellschaftlichen Organisation und ihrer
Effizienz hin. Das betrifft soziologische, kulturelle und politische
Prioritäten und Institutionen.
Seit den Arbeiten
von Ohkawa, Rosovsky und Abramovitz trägt dieser im Mainstream der
Standard-Wachstumstheorie fehlende, unerklärte Fortschrittsfaktor die
Bezeichnung "social capability" und bezieht sich auf die
Kompetenz, Bereitschaft und Geschwindigkeit, organisatorische und technische
Verbesserungen in der Wirtschaft zu diffundieren. Diese Fähigkeit hänge, so
diese Theorie, ihrerseits vom Grad der Homogenität der Werte und
Zielvorstellungen einer territorialen Einheit ab. Dafür hat die Soziologie den
Begriff Sozialkapital eingeführt. Sozialkapital ist in der Definition von Fukuyama
(2002, S. 32) der "Bestand informeller Werte und Normen, die alle
Mitglieder einer Gruppe teilen und die Kooperation zwischen den Mitgliedern der
Gruppe ermöglichen". Das Vertrauen darin, dass innerhalb einer
Gemeinschaft die meisten anderen die gleichen Vorstellungen teilen, reduziert
’die Transaktionskosten’, wie die Ökonomen dies nennen – die Kosten, die
entstehen, wenn formelle Vereinbarungen geschlossen werden, ihre Einhaltung
überwacht, gegebenenfalls gerichtlich durchgesetzt werden müssen." (Fukuyama,
a.a.O., S. 32 und 34.).
Nun ist es nur noch
ein kleiner Schritt zu schließen, dass kleinere regionale Einheiten eher über
die Voraussetzungen homogener Wertvorstellungen und Interessen verfügen und
daher eher in der Lage sein können, ihre Potentiale auszuschöpfen.
Vorsichtig aber
dennoch deutlich rät Wachendorfer-Schmidt, zu untersuchen, ob das Unbehagen
weiter Kreise der Bevölkerung mit der Liberalisierung und Globalisierung, die
Legitimationkrise der Politik, durch Stärkung der regionalen Identität
überwunden werden kann: "In a world marked by continuing economic and
political integration, which at the same time generates resistance in many
people who fear losing their livelihood or their identity, it is imperative to
inquire more systematically into the potential effects of the territorial
division of power on peace, freedom, democracy, economic wealth and social
security." (Wachendorfer-Schmidt, 2000, p.1).
5. Effekte der
bevorstehenden demographischen Alterung
Zum Abschluss ein
Ausblick: mit sehr großer Wahrscheinlichkeit werden nahezu alle europäischen
Staaten in etwa 10 bis 15 Jahren mit den bedenklichen Wirkungen der
demographischen Alterung zu tun bekommen. Die herkömmlichen staatlichen Netze
der sozialen Sicherheit, die völlig zu Recht eine nationale Einrichtung sind,
werden für die Größe dieser Probleme keine ausreichende Lösung bereithalten,
auch wenn sie für die Grundsicherung haltbar gemacht werden. Ein Verlust an
Wohlstand, an sozialer Wohlfahrt, an gesellschaftlichem Zusammenhalt droht.
Eine befriedigende
Lösung des epochalen Problems setzt einerseits eine höhere Erwerbsbeteiligung
(bis in höheres Alter, von Frauen, durch Immigration) voraus, andererseits auch
eine umfassende Mobilisierung der Zivilgesellschaft. Wichtigster Anlass dafür
wird die Hauskrankenpflege sein. Außerdem werden die berufliche Qualifikation
und die Leistungen von Menschen in einem Alter, in welchem sie bisher den
Ruhestand antreten konnten, weiter entwickelt werden müssen, wobei wünschenswert
ist, dass auf die individuelle Situation (Ausbildung, Gesundheit,
Familienverhältnisse) flexibel eingegangen werden kann.
Für das
Funktionieren der Zivilgesellschaft, der Eigeninitiative und der Solidarität,
für die Bildung von nahräumlichen Verbänden und zivilgesellschaftlichen
Organisationen kann der Nationalstaat bestenfalls strategische Standards und
Leitlinien vorgeben. Die tatsächliche Unterstützung solcher Initiativen (die
häufig die Form von private-public-partnerships in einem anderen als dem
finanztechnischen Sinn annehmen dürften), kann von regionalen oder kommunalen
Autoritäten wirkungsvoller erbracht werden.
1. Das BVG enthält,
auch im Zusammenhalt mit dem Staatsgrundgesetz, den Torso einer
Wirtschaftsverfassung. Wesentliche Aspekte in wirtschaftspolitischer Hinsicht
wurden allerdings vor rund zehn Jahren in Form des Rechtsbestands der EU im
österreichischen Recht rezipiert. Formell wurde damit zentralen Anforderungen
an eine moderne Verfassung aus ökonomischer Sicht Genüge getan. Die logische
Struktur dieses heterogenen Normenbündels ist jedoch recht unbefriedigend.
Mängel an Transparenz erschweren politische Entscheidungen.
2. Programmatische
Erklärungen zu den wirtschaftlichen (und sozialen) Staatszielen würden den
Staat zur Prüfung und zur Begründung der Konformität von Gesetzesvorhaben mit
diesen Staatszielen verpflichten. Angesichts der weltwirtschaftlichen Realität
und des Konkurrenzverhältnisses zwischen wirtschaftspolitischen Zielen können
sie nicht individuelle Rechtsansprüche begründen. Sie sind aber als Leitlinien
für die Politik zu empfehlen.
3. Der
Kompetenzkatalog der Staatsaufgaben sollte durch eine auf das marktwirtschaftliche
Prinzip abgestellte Norm eingeleitet werden, die dem Staat so viel Kompetenz
wie notwendig, jedoch so wenig wie möglich zuspricht. Der Kompetenzkatalog soll
nicht als Freibrief für jede Art von staatlicher Intervention in jeglichen wirtschaftlichen
Sachverhalt mißverstanden werden können.
4. Besonderes
Augenmerk sollte Erklärungen zukommen, welche
a) die Stellung
Österreichs in der EU und die Anwendung des Subsidiaritätsprinzips definieren,
b) das
programmatische Ziel eines "europäischen Gesellschaftsmodells" im
EU-Verfassungsentwurf (Art. 9/1) ausformen.
5. Die
einschlägigen Formulierungen einer reformierten österreichischen
Bundesverfassung sollten jedenfalls auf das Prinzip der Nachhaltigkeit und der
längerfristigen Verantwortung für die natürlichen Lebensgrundlagen und für den
Ausgleich der Interessen auch mit jenen kommender Generationen hinweisen.
6. Die
Verpflichtung zur Beachtung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts (derzeit
Art.13 (2) BVG) sollte so formuliert sein, dass die simultane Optimierung von
volkswirtschaftlicher Entwicklung, Teilnahme am Erwerbsleben, Stabilität des
Preisniveaus, sozialem Ausgleich und Umweltschutz unter den gegebenen
wirtschaftlichen Beschränkungen Prinzip der Politik ist.
7. Grenzen für das
Ausmaß und die Ausweitung der Staatsverschuldung sind zumindest qualitative zu ziehen. Für eine Ausformung solcher
Verfassungsbestimmungen wird es sinnvoll sein, die anstehende Revision des
Stabilitäts- und Wachstumspaktes der EU zu berücksichtigen. Das Augenmerk ist
nicht nur auf Limits für die Neuverschuldung, sondern auch auf den Bestand und
die absehbare Entwicklung der Staatsschuld zu legen. Jedenfalls sollte die
"goldene Regel" des deutschen Grundgesetzes, welches Neuverschuldung
bis zum Ausmaß der öffentlichen Investitionen zulässt, dergestalt ersetzt bzw.
erweitert werden, dass als Investitionen auch solche in geistiges Kapital
verstanden werden. Unter Verpflichtungen oder Schulden des Staates wären nicht
nur die titrierten Finanzschulden, sondern auch absehbare künftige
Finanzierungsverpflichtungen des Staates, etwa aus dem Obligo des staatlichen
Pensionssystems, zu verstehen.
8. Aus der
Erfahrung der Interpretation des Gleichheitsgrundsatzes durch den
Verfassungsgerichtshof scheinen sich einige Präzisierungen ableiten zu lassen.
Es wäre wünschenswert, diese in den Verfassungstext aufzunehmen. Zu denken ist
dabei an Aspekte wie Leistungsfähigkeit, Zumutbarkeit, Vertrauensgrundsatz im
Zusammenhang mit ökonomischen Sachzwängen und Grenzen der Finanzierbarkeit.
9. Die rasch
wechselnden Herausforderungen an die Volkswirtschaft und die Höhe der
Steuerbelastung lassen es dringend wünschenswert erscheinen, dynamische
Elemente in die Verfassung zu integrieren. Das ist dann nicht ein Widerspruch
in sich, wenn Veränderungsprozesse verfassungsmäßig geregelt sind. Verfassungen
zielen traditionell darauf ab, zu regeln, wann, wie und in welchem Umfang der
Staat sich in die Zivilgesellschaft und die Wirtschaft "einmischt".
Es wäre im Sinne der Dynamik konsequent zu prüfen, welche
"Exit-Regeln" verfassungsmäßig zu verankern wären.
10. Die optimale
Architektur eines Staates ist in der ökonomischen Theorie und in Hinblick auf
ökonomische Zielvorstellungen umstritten und empirisch gleichfalls nicht
eindeutig beantwortbar. Dies bedeutet, dass die Konstruktion auch mit anderen
als ökonomischen Argumenten – etwa mit der Teilnahme des Volkes am politischen
Prozess und mit der Sicherstellung von individueller Freiheit und Initiative -
begründet werden kann.
11. Einige
Prinzipien der Zuordnung auf übereinander gelagerte hierarische staatliche
Ebenen sind dennoch ableitbar. Grundprinzip muss sein, dass die Zuordnung von
Gesetzgebungs- und Ausführungskompetenzen mit der simultanen Berücksichtigung
der finanziellen Bedeckung und der Finanzierungsverantwortung korrelieren muss.
12. Das ökonomische
Modell des föderalistischen Steuerwettbewerbs (fiscal federalism) hat
problematische Kehrseiten. Um ökonomische Vorzüge eines föderativen
Staatsaufbaus zu nützen, muss die Steuerautonomie der Gebietskörperschaften
nicht unbedingt ausgeweitet werden.
Ein Ausbau der Autonomie von Bundesländern und Gemeinden erscheint am
ehesten in Richtung auf individuelle Leistungsäquivalente (Gebührenfinanzierung), allenfalls auch
auf immobile Steuerquellen (Grundsteuer) empfehlenswert.
13. Aus diesen
Gründen erscheint eine Stärkung des Qualitätswettbewerbs zwischen
unterschiedlichen Gebietskörperschaften der gleichen Ebene wünschenswert, für
welchen Standards (Benchmarks) transparenter und präziser festzulegen wären.
14. Die Vorzüge
regionalen Wettbewerbs in einer föderativen Staatsstruktur werden durch die
ökonomisch beachtlichen Impulse, die die Identifikation mit der naheliegenden
politischen Ebene entstehen lässt, noch verstärkt. Diese könnten die
vergleichsweise nicht sehr ins Gewicht fallenden Kosten einer mehrstufigen und
regional parallelen Staatsstruktur ohne weiteres mehr als wettmachen.
15. Es ist eher die
Ausnahme, wenn die Kompetenz für einen größeren Aufgabenbereich einer
staatlichen Ebene gänzlich und dabei effizient zugeordnet werden kann.
Insbesondere vor dem Hintergrund der EU-Mitgliedschaft und der intensiven
Wirtschaftsverflechtung, der höheren Mobilität und den übernationalen und
globalen Umweltphänomenen ergibt sich für nahezu jede öffentliche Aufgabe eine
mehrstufige Verantwortung. Prinzipien und grundsätzliche Strategien auf der
obersten, oft der europäischen Ebene, Ausformung und Präzisierung an Hand
nationaler und regionaler Besonderheiten und operationale Durchführung auf
regionaler bzw. lokaler Ebene.
16. Dies führt zum
Prinzip der Grundsatzgesetzgebung und der (wechselseitig anerkannten)
Ausführungsgesetzgebung, wie es in der EU ohnehin verankert ist. Für viele Materien sind eine
einheitliche Grundsatzregelung und die wechselseitige Anerkennung ihrer
nationalen oder subnationalen Ausformung wünschenswert. Regionalen
Besonderheiten, Präferenzen, "Kulturen", geografischen und
klimatischen Gegebenheiten ist durch regionale Ausformung Rechnung zu tragen.
Die dabei notwendige Koordination der subnationalen Ausführungsbestimmungen
muss nicht notwendiger Weise von der höheren Ebene Bundesstaat erwartet werden,
sondern kann auch durch Selbstorganisation der regionalen Ebenen zustande
gebracht werden.
17. Die Erbringung
lokaler öffentlicher Dienste durch die autonomen Gemeinden lässt wegen des
häufigen Auftretens von Skaleneffekten einen Ausbau der nahräumlichen
Gemeindeverbände zweckmäßig erscheinen. Ihre Einrichtung ist von den
Verfassungen des Bundes und der Länder zu unterstützen. Häufig verspricht die
Auslagerung der operationalen Durchführung an privatwirtschaftliche Unternehmen
und Organisationen beachtliche wirtschaftliche Vorteile. Dem möglichen
Auftreten von Lokalegoismus und der Kollusion lokaler Interessen ist nicht nur
aus ökonomischen Gründen Aufmerksamkeit zu schenken.
18. Der mittleren
Ebene des föderalen Systems, in Österreich den Bundesländern, kommt in erster
Linie die Initiative und Verantwortung für die Gestaltung und die Regelung der
täglichen Lebensbedingungen und der kulturellen Bedürfnisse der Bevölkerung,
die operationale Durchführung administrativer Aufgaben (auch solcher, für die
Bundeskompetenz gegeben ist) sowie für die Raumordnung und Ansiedlung der
Wirtschaft (Standortpolitik) zu. Diese Funktionen, die Effizienz und Qualität
ihrer Ausführung gewinnen angesichts der Differenzierung der Ansprüche und der
Spezialisierung der Wirtschaft ständig zunehmende Bedeutung.
19. In absehbarer
Zukunft werden die Anforderungen an das System der Pflege älterer Menschen
rapid ansteigen. Diese Aufgabe wird nicht allein von staatlichen Einrichtungen
bewältigt werden können, sondern erfordert eine gezielte Mobilisierung der
menschlichen Kapazitäten der Zivilgesellschaft. Die Verantwortung und
Initiative dafür kann sinnvoll nicht von einer gesamtstaatlichen Einrichtung
erwartet werden, sondern viel eher von autonomen bürgernahen
Gebietskörperschaften.
20. Angesichts der
zunehmenden Differenzierung der Ansprüche an staatliche Einrichtungen und der gleichfalls stark zunehmenden
regionalen Beziehungen über die im Binnenmarkt der EU abgebauten nationalen
Grenzen hinweg, erscheint auch aus wirtschaftlicher Sicht das regionale
Potential gestärkt. Dies umso mehr, wenn man die schleichende Entfremdung von
Bevölkerung und Politik durch Zentralisierung (und Europäisierung) als
bedenklich ansieht. Aus wirtschaftlicher Sicht ist zu bedenken, dass die
Identifizierung mit einem überschaubaren Lebensumfeld eine höhere Kapazität (capability)
für wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritt annehmen lässt.
21. Wenn das
Prinzip des Fiskalwettbewerbs durch Übertragung der Steuerhoheit für wichtige
Steuerquellen an die Länder oder Gemeinden als nicht unproblematisch angesehen
werden muss, also das Modell des Fiskalföderalismus nur eingeschränkt zu
befürworten ist, ist die Gestaltung der Einrichtungen für die Koordination von
nationalen und regionalen Gesetzgebungskompetenzen eine zentrale
verfassungsrechtliche Herausforderung. Die Regeln für die Koordination auf
parlamentarischer und administrativer Ebene sind nicht primär als Gefahr für
erwünschten Wettbewerb zu deuten. Ihre Effizienz ist freilich entscheidend und
daher verfassungsrechtlich, politologisch und ökonomisch eingehend zu prüfen.
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