Ökumenische Expertengruppe
zum österreichischen Verfassungs-Konvent
Formulierungsvorschlag für soziale Grundrechte
im Rahmen des von der
Expertengruppe zu erarbeitenden Grundrechtskatalogs
Soziale Rechte
Die
christlichen Kirchen sind der Überzeugung, dass in die neue Verfassung soziale
Grundrechte aufgenommen werden sollen.
Ein
Katalog sozialer Grundrechte wird sowohl verfassungsgesetzlich gewährleistete
subjektive Rechte des Einzelnen als auch bloße Gewährleistungspflichten des
Staates beinhalten.
Soweit
diese sozialen Grundrechte dem Einzelnen einen verfassungsrechtlich gewährleisteten
Rechtsanspruch vermitteln, sind sie im bestehenden Rechtsschutzsystem kaum
durchsetzbar. Die Verbürgung dieser sozialen Grundrechte erfordert allerdings
eine entsprechende Erweiterung der Zuständigkeit des Verfassungsgerichtshofs.
Es wird daher die Befassung des Ausschusses 9 (Rechtsschutz, Gerichtsbarkeit)
angeregt.
Soziale
Rechte können nur im Rahmen der Grundsätze und Leitbilder gewährleistet werden,
die der österreichischen staatlichen Ordnung zugrunde liegen. Die erforderlichen
Abwägungsvorgänge eröffnen relativ weite Gestaltungsspielräume, deren Einhaltung
aber vom Verfassungsgerichtshof kontrollierbar sein soll.
Die im
Folgenden angeführten Rechte orientieren sich, was ihren Gegenstand betrifft,
im Wesentlichen an jenen, die in der EU-Grundrechtscharta und dieser folgend im
EU-Verfassungsentwurf enthalten sind, gehen aber auch darüber hinaus, etwa
durch Aufnahme von Minderheitenrechten. Bei der inhaltlichen Ausgestaltung der
einzelnen Grundrechte wurden eigenständige, auf die Funktion sozialer
Grundrechte in einer Staatsverfassung abgestellte Lösungen auch unter
Berücksichtigung von bestehendem österreichischem Verfassungsrecht gesucht.
Ferner wurde eine knappe Diktion angestrebt, wie sie für Grundrechte
charakteristisch ist.
Die
meisten der im Vorschlag enthaltenen sozialen Grundrechte sind überdies im UN-Sozialpakt in der
Europäischen Sozialcharta sowie in internationalen Verträgen, die einzelne
Schutzbereiche betreffen, verankert, welche Österreich völkerrechtlich binden.
Ihre sehr ins Detail gehenden Regelungen zählen jedenfalls zu den Grundlagen
der Auslegung der in der österreichischen Verfassung zu verankernden
respektiven sozialen Grundrechte.
Weitere
Vorgaben finden sich im EU-Vertrag, in der Gemeinschaftscharta der sozialen
Grundrechte der Arbeitnehmer vom 9. 12. 1989 sowie in einer Reihe von Richtlinien
zur Gleichbehandlung von Frau und Mann.
Der nachfolgend vorgelegte Katalog fasst
alle Verbürgungen zusammen, die als soziale Grundrechte betrachtet werden
können.
Art 1
Jeder Mensch hat das Recht auf Schutz seiner
Gesundheit.
Art 2
1. Jeder Mensch hat das Recht auf
soziale Sicherheit.
2. Wer in Not gerät und nicht für sich
sorgen kann, hat Anspruch auf Hilfe und Betreuung und auf jene Mittel, die für
ein menschenwürdiges Dasein unerlässlich sind.
3. Die öffentliche Hand arbeitet bei
der Erfüllung von sozialpolitischen Aufgaben mit den nicht gewinnorientierten
Trägern der freien Wohlfahrt zusammen.
Art 3
Jeder Mensch hat das Recht auf Arbeit unter gerechten
und angemessenen Bedingungen.
Art 4
Jeder Mensch hat das Recht auf Wohnung und auf
angemessene Unterbringung im Fall der Obdachlosigkeit.
Art 5 *)
1. Jeder Mensch hat das Recht auf
Bildung mit dem Ziel der vollen Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit und
der Stärkung der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten.
Dazu zählen insbesondere
a)
der Zugang
zur beruflichen Aus- und Weiterbildung;
b)
der
unentgeltliche Pflichtschulbesuch;
c)
der Zugang
zum Religionsunterricht in den Schulen;
d)
der Zugang
zur Erwachsenenbildung und zum lebenslangen Lernen.
2. Bund, Länder und Gemeinden haben
bei Ausübung der von ihnen auf dem Gebiet der Erziehung und des Unterrichts
übernommenen Aufgaben das Recht der Eltern zu achten, die Erziehung und den
Unterricht entsprechend ihren eigenen religiösen und weltanschaulichen
Überzeugungen sicher zu stellen.
3. Jeder Staatsbürger ist berechtigt,
Privatschulen zu errichten und zu betreiben. Die Unterrichtserteilung ist an
den Nachweis der gesetzlichen Befähigung gebunden.
Der häusliche Unterricht unterliegt dieser
Beschränkung nicht.
4. Die
Wissenschaft und ihre Lehre sind frei
*) Dem Konvent
bereits eingereicht und in Ausschuss 4 behandelt und verabschiedet.
Art 6
Jeder Mensch hat das Recht auf Zugang zu öffentlichen
Leistungen der Daseinsvorsorge zu fairen Bedingungen und in angemessener
Qualität.
Art 7
1. Ehe und Familie werden anerkannt
und geschützt.
2. Pflege und Erziehung ihrer Kinder
ist Recht und Aufgabe der Eltern. Bund, Länder und Gemeinden haben bei der
Ausübung der von ihnen auf dem Gebiet der Erziehung und des Unterrichts
übernommenen Aufgaben das Recht der Eltern zu achten, die Erziehung und den
Unterricht entsprechend ihren eigenen religiösen und weltanschaulichen
Überzeugungen sicher zu stellen.
3. Eltern und ihre Kinder haben ein
Recht auf Schutz und Fürsorge sowie auf Vereinbarkeit von Beruf und Familie.
Aus der Eigenschaft als Mutter und Vater dürfen dabei keine Nachteile
erwachsen.
Art 8
1. Kinder und Jugendliche bis zur
Vollendung des 18. Lebensjahres haben mindestens Anspruch auf alle Rechte, die
in der UN-Konvention über die Rechte des Kindes vom 20. 11. 1989 festgelegt
sind.
2. Bei allen Maßnahmen öffentlicher
und privater Einrichtungen, die Kinder oder Jugendliche betreffen, hat deren
Wohl Vorrang vor allen anderen Zielsetzungen.
Art 9
1. Frauen und Männer sind
gleichberechtigt.
2. Sie haben das Recht auf
Gleichstellung in allen Lebensbereichen.
Der Gleichberechtigung von Männern und Frauen stehen Vergünstigungen
zum Ausgleich bestehender Ungleichheiten nicht entgegen.
Art 10
Alte Menschen
haben das Recht auf ein würdiges und unabhängiges Leben, auf Teilnahme am
Arbeitsleben sowie am sozialen, politischen und kulturellen Leben und auf Hilfe
im Fall der Pflegebedürftigkeit.
Art 11
1. Niemand darf wegen seiner
Behinderung benachteiligt werden.
2. Behinderte haben ein Recht auf
Zugang zu und auf Gleichstellung in allen Bereichen des täglichen Lebens.
Art 12
1. Alle Menschen haben das Recht auf
Wahrung und Pflege ihrer Sprache und kulturellen Identität.
2. Das Bekenntnis zu einer Volksgruppe
ist frei.
3. Sprache und Kultur, Bestand und
Erhaltung der Volksgruppen werden geachtet, gefördert und geschützt.
4. Art 66 Abs 3 und 4 StV v. St. Germain,
StGBl Nr. 303/1920 und Art 7 des StV v. Wien, BGBl 152/1955 sind Bestandteil
der Bundesverfassung.
Art 13
Verfolgte haben ein Recht auf Asyl.