STELLUNGNAHME GERALD MADER (ÖSTERREICHISCHES
STUDIENZENTRUM FÜR FRIEDEN UND KONFLIKTLÖSUNG – ÖSFK) ZUM HEARING BEIM
ÖSTERREICH-KONVENT AM 26. JÄNNER 2004
Der
Schwerpunkt des Österreichischen Studienzentrums für Frieden und Konfliktlösung
(ÖSFK) liegt auf Friedenspolitik, Friedenserziehung, Konfliktprävention, ziviles
Krisenmanagement, zivile Konfliktbearbeitung und Konfliktvermittlung. Es sind
daher friedenspolitische Anliegen, die wir dem Konvent vortragen.
1.
OBLIGATORISCHE VOLKSABSTIMMUNG ZUR
ABSCHAFFUNG DER ÖSTERREICHISCHEN NEUTRALITÄT.
Die österreichische Neutralität ist durch
das Bundesverfassungsgesetz vom 26. Oktober 1955 über die Neutralität
verfassungsrechtlich und durch die Notifikation an die Völkerrechtssubjekte
völkerrechtlich verankert, auf welches Faktum der ehemalige und der jetzige
Präsident des Verfassungsgerichtshof mehrmals verwiesen haben. Die
österreichische Neutralität ist aber auch im Bewusstsein der österreichischen
Bevölkerung fest verankert. Nach Ansicht der meisten Verfassungsrechtler gehört
die Neutralität jedoch nicht zu den Grundprinzipien der Bundesverfassung,
weshalb die Abschaffung der Neutralität verfassungsrechtlich nicht
obligatorisch einer Volksabstimmung zu unterziehen ist. Die Vertreter aller
Parteien haben jedoch erklärt, dass sie dennoch ein diesbezügliches
Verfassungsgesetz einer Volksabstimmung unterziehen würden. Der Konvent bietet
die Möglichkeit, diesen Erklärungen Taten folgen zu lassen und das
Neutralitätsverfassungsgesetz dahingehend zu ergänzen, dass die Abschaffung
oder eine wesentliche Modifikation der Neutralität einer Volksabstimmung zu
unterziehen ist.
2.
DER INHALT DER NEUTRALITÄT HAT SICH
VERÄNDERT, ABER DIE MILITÄRISCHE KERNNEUTRALITÄT IST NICHT OBSOLET.
Der Inhalt der österreichischen Neutralität
hat sich durch den Beitritt zur UNO, die Beendigung des Kalten Krieges
(Österreich kann seine Neutralität selbst bestimmen) und durch den Beitritt zur
EU in der heutigen Fassung von Nizza verändert, der Neutralitätsbegriff ist
aber, was seine militärische Komponente betrifft, nicht obsolet geworden. Die
Neutralität bedarf daher einer neuen Interpretation, eines anderen
Neutralitätsverständnisses, wobei die GASP-Bestimmung der EU im Sinne der
Grundsätze der UNO-Charta, des Völkerrechts und des
Neutralitätsverfassungsgesetzes auszulegen sind.
3.
DIE KOMPATIBILITÄT DER ÖSTERREICHISCHEN
NEUTRALITÄT IST AM BESTEHENDEN EU-RECHT, NICHT AN FERNEN INTEGRATIONSZIELEN DER
GASP ZU BEMESSEN.
Die
österreichische Neutralität ist kein Relikt der Vergangenheit, sondern hat auch
heute noch eine friedenspolitische Bedeutung. Sie macht erst dann keinen Sinn,
wenn es zu einer integrierten Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik
kommt, die auf UNO-Charta und Völkerrecht basiert. Solange die Außen- und
Sicherheitspolitik auf intergouvernementalen Ebene wahrgenommen wird, haben die
neutralen und bündnisfreien Staaten die Möglichkeit einer "besonderen
Sicherheitspolitik", worauf auch Österreich bei seinem Beitritt zur EU
verwiesen wurde. Da mit der Integration der Außen- und Sicherheitspolitik in
absehbarer Zeit nicht zu rechnen ist, ist die österreichische Neutralität am
bestehenden EU-Recht und nicht nach den weitergehenden Integrationszielen zu
beurteilen, da niemand weiß, ob, wann und unter welchen Bedingungen es zu
dieser kommen wird.
4.
DIE ÖSTERREICHISCHE BEVÖLKERUNG HÄLT AN
DER NEUTRALITÄT FEST, DEM EINE DEMOKRATISCH LEGITIMIERTE REGIERUNG RECHNUNG ZU
TRAGEN HAT.
Gemäß
Artikel 1 BVG ist Österreich eine demokratische Republik, deren Recht vom Volke
ausgeht. Die Entscheidungen von Parlament und Regierung, die im eklatanten Widerspruch
zum politischen Willen der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung stehen, fehlt
daher die demokratische Legitimation. Aus allen Meinungsumfragen wissen wir,
dass die österreichische Bevölkerung an der österreichischen Neutralität
festhält, nicht weil die Österreicher(Innen) dumm oder Trittbrettfahrer sind,
sondern weil sie im Gegensatz zu vielen politischen Eliten eine militärische
Außenpolitik ablehnen und sich vor einer hegemonialen, nichttransparenten und
undemokratischen Machtpolitik in der EU fürchten, die Österreich in Kriege
verwickeln könnte. Wenn das österreichische Neutralitätsverfassungsgesetz
abgeschafft werden soll, bedarf es daher auch aus Gründen der demokratischen
Legitimierung einer Volksabstimmung.
5.
DIE WIDERSPRÜCHE ZWISCHEN NEUTRALITÄTSVERFASSUNGSGESETZ
UND DEM § 23 F BVG FÜHREN ZU EINER UNKLAREN RECHTSSITUATION, DIE ZU BESEITIGEN
IST.
Die
österreichischen Bundesregierungen haben dem Erfordernis der demokratischen
Legitimation insofern Rechnung getragen, als sie nie den Versuch unternommen
hatten, das Neutralitätsverfassungsgesetz zu ändern oder aufzuheben. Es wurde
jedoch sehr wohl die Bundesverfassung geändert, dessen neuer Artikel 23 f
(Amsterdamer Vertrag) als eine inhaltliche Derogation interpretiert wurde,
sodass eine unklare Rechtssituation über den Inhalt einer solchen Derogation
entstanden ist.
Eine
wichtige Aufgabe des Konvents sollte es daher sein, diese unklare Rechtslage zu
beseitigen. Hierfür gibt es grundsätzlich zwei Wege: Die Aufhebung des
Neutralitätsverfassungsgesetzes im Sinne der Neutralitätsgegner oder eine
gänzliche Aufhebung bzw. Novellierung des § 23 f BVG. Letztere Variante
entspricht einer friedenspolitischen Zielsetzung, solange das EU-Recht nicht
klare Kriterien für die Durchführung militärischer Einsätze geschaffen hat, die
über die Einteilung der sogenannten Petersberger Aufgaben hinausgehen.
6.
AUFHEBUNG ODER NOVELLIERUNG DES § 23 f
BVG.
Die
einfachere Lösung wäre die Streichung des Artikels 23 f, da die Wirksamkeit von
EU-Verträgen ja nicht davon abhängt, ob deren Wortlaut oder Inhalt in die
Bundesverfassung übernommen wird.
Zielführender
erscheint jedoch die Novellierung zu sein. Österreich könnte durch eine
Novellierung bzw. Ergänzung des Artikels 23 f ein europapolitisches Signal
setzen, wenn erstmals in einer europäischen Verfassung wörtlich festgelegt
wird, dass friedensschaffende Einsätze der EU out of area an ein Mandat des
UNO-Sicherheitsrates gebunden sind.
Die
großkoalitionäre Verfassungsklausel (Einvernehmen von Bundeskanzler und
Außenminister) sollte schon aus rechtsästhetischen Gründen gestrichen werden.
7.
VERTEIDIGUNG DER IMMERWÄHRENDEN
NEUTRALITÄT.
Der Artikel
9a BVG enthält nicht nur die heute problematische "Umfassende
Landesverteidigung", sondern auch den Bezug auf die
"Aufrechterhaltung und Verteidigung der immerwährenden Neutralität".
Sollte der Artikel 9a wegen der nicht mehr zeitgemäßen umfassenden
Landesverteidigung entfallen, sollte der Passus "Aufrechterhaltung und
Verteidigung der immerwährenden Neutralität" im Artikel 79 Absatz 1 BVG
eingefügt werden. Es soll nicht das Ziel des Konvent sein, das Wort
"Neutralität" aus der Bundesverfassung zu entfernen.
8.
BEKENNTNIS ZUR FRIEDENSPOLITIK UND ZU
EINER ZUKUNFTSORIENTIERTEN SICHERHEITSPOLITIK UND ZU EINEM MODERNEN
SICHERHEITSBEGRIFF.
Anstelle
des Bekenntnisses zu einer umfassenden Landesverteidigung sollte sich eine neue
österreichische Verfassung zur Friedenspolitik, also zu einer Politik mit
friedlichen Mitteln und zu einer Sicherheitspolitik bzw. Sicherheitsbegriff
bekennen, der nicht vorwiegend militärisch definiert ist.
Friedenspolitik:
Warum kann Österreich nicht in seiner Verfassung die Ächtung der Atomwaffen und
die De-Legitimation des Krieges als Mittel der Politik klar und deutlich
aussprechen? Österreich könnte hier ein europapolitisches Signal für eine
künftige europäische Außen- und Sicherheitspolitik setzen.
Sicherheitspolitik
(Sicherheitsbegriff): Die zivile Konfliktbearbeitung ist in der GASP verankert,
die zumindest theoretisch zivile und militärische Sicherheitspolitik
gleichberechtigt vorsieht. Warum soll Österreich nicht versuchen, sich
überproportional im nichtmilitärischen Krisenmanagement zu profilieren, wie es
von verschiedenen Seiten, den bündnisfreien und neutralen Staaten im Sinne
einer Arbeitsteilung vorgeschlagen wird? Auch hier hat Österreich die Chance,
eine europäische Vorreiterrolle zu spielen, in dem es sich zu einem
Sicherheitsbegriff bekennt, in dem die Verankerung und Stärkung ziviler
Konfliktschlichtungsstrukturen und der Aufbau der dafür notwendigen Kapazitäten
in der Verfassung festgeschrieben wird.
9.
BEGRENZUNG DES MILITÄRHAUSHALTES MIT 1 %
DES BRUTTOINLANDSPRODUKTES
Der
Konvententwurf zu einem europäischen Verfassungsvertrag verpflichtet die
Mitgliedsländer zur Aufrüstung, wobei 3 % des Bruttoinlandsproduktes gefordert
wird. Nach den Berechnungen des Militärexpertens Lutz Unterseher genügt ein 1 %
Anteil des Militärhaushaltes am Bruttoinlandsprodukt, um den militärischen
Anforderungen zu entsprechen, wenn Europa nicht weltweite militärische
Interventionen an verschiedenen Stellen gleichzeitig durchführen will. Der
Anteil des österreichischen Militärhaushaltes liegt unter 1 %, sodass eine
verfassungsrechtliche Beschränkung von 1 % der österreichischen Situation entspräche,
aber gleichzeitig ein Signal gegen die europaverfassungsrechtliche geforderte
Aufrüstung wäre.