Österreich-Konvent:
Anhörung des DÖW
Stellungnahme des wissenschaftlichen Leiters des DÖW Hon.-Prof. Dr. Wolfgang
Neugebauer auf der Sitzung des Österreich-Konvents am 15. Dezember 2003
Ich bin sehr dankbar, dass Sie mir Gelegenheit geben, einige Überlegungen aus
der Sicht des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes dem
Verfassungskonvent vorzutragen. Unser Institut ist eine von ehemaligen
Widerstandskämpfern und Verfolgten des NS-Regimes aufgebaute, heute von der
Republik Österreich und der Stadt Wien getragene Stiftung, die sich die
Bewahrung der Erinnerung an die NS-Opfer und im Besonderen die
wissenschaftliche Aufarbeitung von Widerstand und Verfolgung zur Hauptaufgabe
gesetzt hat, aber auch die zeitgeschichtliche Aufklärung und die
Auseinandersetzung mit rechtsextremen, rassistischen und antisemitischen
Tendenzen zu ihren Arbeitsfeldern zählt.
Ohne den österreichischen Widerstand zu überschätzen und ohne die Mitwirkung
vieler Österreicher am Nationalsozialismus zu negieren, darf ich doch darauf
hinweisen, dass nicht wenige Österreicherinnen und Österreicher unter hohen
Risken im Widerstand für die Wiederherstellung eines freien Österreich und
einer demokratischen Verfassung eintraten und jenen "eigenen Beitrag zur
Befreiung" zu leisten versuchten, der in der Moskauer Deklaration der
Alliierten 1943 von den Österreichern gefordert wurde und auf den im Zuge der
Staatsvertragsverhandlungen österreichischerseits stets hingewiesen wurde.
Für das DÖW, für die dort noch immer mitwirkenden ehemaligen Widerstandskämpfer
und Verfolgten hat das am 8. Mai 1945 erlassene Verfassungsgesetz über das
Verbot der NSDAP daher eine besondere Bedeutung, ist es doch eine von ihnen
miterkämpfte historische Errungenschaft. Damit wurde das Gedankengut des
Nationalsozialismus kriminalisiert und jede Wiederbetätigung in diesem Geist
unter Strafe gestellt. Nicht zuletzt durch die konsequente Rechtsprechung des
Verfassungsgerichtshofs, der das Verbotsgesetz als Generalklausel der
österreichischen Rechtsordnung qualifizierte, wurde dieses Gesetz zu einem
effizienten Instrument bei der polizeilichen und gerichtlichen Bekämpfung von
Neonazismus. Insbesondere seit der Novellierung 1992 konnten neonazistische
Aktivisten sowie Leugner und Verharmloser des Holocaust in Österreich
erfolgreich in die Schranken gewiesen werden. In diesem Zusammenhang darf ich
auch auf die in Verfassungsrang stehenden Bestimmungen des österreichischen
Staatsvertrages verweisen, in denen gleichfalls nazistische und
minderheitenfeindliche Organisationen verboten und die Rechte der Minderheiten,
also der kroatischen und slowenischen Volksgruppe, festgeschrieben werden.
Aus diesen Gründen treten wir mit Nachdruck für die Beibehaltung des
Verbotsgesetzes und dessen hohen Stellenwerts in der österreichischen
Rechtsordnung ein, wiewohl wir davon ausgehen, dass seitens der
Parlamentsparteien an diesem von Prof. Heinz Mayer in einer Konventssitzung als
Staatsziel definierten Verfassungsgesetz nicht gerüttelt werden wird. Darüber
hinaus halte ich es für überlegenswert, ob die Kernsubstanz des Verbotsgesetzes
und der einschlägigen Verfassungsbestimmungen des Staatsvertrages nicht auch in
einer neu formulierten Verfassung, in der Präambel oder in einem eigenen
Passus, Platz finden sollten.
Erlauben Sie mir zum Schluss noch zwei kritische, aber keineswegs polemisch
gemeinte Anmerkungen: Im Präambelentwurf der ÖVP scheint mir die Formulierung
von der Republikgründung "nach den Schrecknissen beider Weltkriege"
ein wenig zu undifferenziert und gleichsetzend zu sein. Wünschenswert wäre eine
klare Bezugnahme auf die Auslöschung Österreichs 1938, auf die NS-Herrschaft
und auf die Befreiung 1945, die das Wiedererstehen eines freien Österreich und
die friedliche, schließlich zur Integretion führende Entwicklung in Europa
ermöglichte. In dem sozialdemokratischen Grundrechtskatalog vermisse ich die
historische Perspektive. Die Grund- und Freiheitsrechte sind nicht 2003 vom
Himmel gefallen; vielmehr haben die schmerzlichen Erfahrungen, die Österreich
und die anderen Völker Europas im 20. Jahrhundert mit totalitären Diktaturen,
Krieg und Fremdherrschaft gemacht haben, jenen Lernprozess eingeleitet, der zur
Akzeptanz und Durchsetzung von Demokratie und Menschenrechten geführt hat.