am 3. Mai 2004
um 10:00 Uhr
im Lokal VIII des Parlaments.
Inhalt der Workshopmappe:
Programm
Unterlagen zu den Referaten
Welche Bedingungen sollte die Verfassung gewährleisten, damit Leistungsbeziehungen des Einzelnen zum privatrechtlich handelnden Staat, zu ausgegliederten Rechtsträgern bzw zu Privaten mit übertragenen staatlichen Aufgaben entsprechenden Rechtsschutzmöglichkeiten und Rechtssicherheitsanforderungen genügen? Sind besondere Regelungen zur Sicherstellung einer flächendeckenden, qualitätsvollen und leistbaren Versorgung notwendig? Wie bleibt die demokratische Legitimation und Kontrolle derartiger Formen der „Leistungsverwaltung“ gewahrt? Welchen Spielraum hat überhaupt der nationale Verfassungsgesetzgeber und die Politik angesichts des Vorrangs des Europäischen Wirtschaftsrechts? Wie funktioniert der Konsumentenschutz jetzt und welche neue Bedeutung kommt dem Konsumentenschutz vor dem Hintergrund der Liberalisierung und Privatisierung zu?
Mit diesen Fragen soll sich der Vierte Konventworkshop beschäftigen. Nach den Referaten soll ein ausführlicher Diskussionsteil die Möglichkeit bieten, die aufgezeigten Optionen zu ergänzen und zu bewerten und sich somit allenfalls gemeinsamen Lösungen anzunähern.
Als ReferentInnen werden dankenswerterweise fungieren:
Univ.-Prof. Dr. Michael Holoubek, Institut für Österreichisches und Europäisches Öffentliches Recht, Wirtschaftsuniversität Wien
Assessor Mag. Dr. Rita-Maria Kirschbaum, Referentin im Kabinett der Generalanwältin am Europäischen Gerichtshof Dr. Christine Stix-Hackl
Stv SL, AL Dr. Maria Reiffenstein, Abt III/1, Internationale und gesundheitsbezogene Konsumentenpolitik, Bundesministerium für Soziale Sicherheit und Generationen
Ablauf:
10.00 Uhr Begrüßung
10.15 Uhr Referate
Michael Holoubek
Von der Leistungsverwaltung zum Contract Management – Rechtsstaatliche und demokratische Funktionsbedingungen einer Verfassung für die Ausgliederung staatlicher Aufgaben und für nicht hoheitliche Handlungsformen
Rita-Maria Kirschbaum
Möglichkeiten
und Grenzen nationaler Politik unter dem Vorrang
Europäischen Wirtschaftsrechts
Maria Reiffenstein
Aufgaben und Instrumente des Konsumentenschutzes auf
österreichischer und europäischer Ebene
Kurze Kaffeepause
11.45 Uhr Diskussion
ca 13.00 Uhr Ende
Workshopkonzept und Moderation: Marlies Meyer
Unterlagen zu den Referaten
I. Ausgangslage
· Staatliche Leistungsverwaltung als wesentlicher Teil der „Privatwirtschaftsverwaltung“
è Einige demokratische („Flucht ins Privatrecht“) und zahlreiche rechtsstaatliche Defizite (Fiskalgeltung der Grundrechte und ihre Durchsetzbarkeit, Rechtsstellung des Einzelnen in „Anstaltsverhältnissen“ etc)
· Grundsätzliche Wahlfreiheit zwischen staatlicher Eigenleistung und Ausgliederung / Beauftragung Privater
è Raum für politischen Konzeptionswechsel: von der „Erfüllungs- zur Gewährleistungsverantwortung“
· Motive für privatrechtliche Organisationsformen zur Gewährleistung öffentlicher Aufgaben:
- Effizienzargumente
- Budgetäre Argumente („Konvergenzkriterien“)
- Vorteile des Privatrechts à „Privatisierung“ des öffentlichen Rechts
II. „Paradigmenwechsel“
(?) von der Erfüllungs- zur Gewährleistungsverantwortung
· Zwei Kategorien staatlicher Verantwortung als Ausgangspunkt für die Charakterisierung des Verhältnisses von Staat und Markt im Bereich öffentlicher Dienstleistungen
- Erfüllungsverantwortung: der Staat verantwortet die Leistungserbringung, kann sie damit aber – Verantwortung und Ingerenz bedingen einander – auch umfassend gestalten. Dem Markt kommt hier Instrumentalfunktion zu. Das Risiko eines möglichen Marktversagens trägt der Staat. („Service Public-Modell“)
- Gewährleistungsverantwortung: Der Staat verantwortet, dass bestimmte Leistungen vom Markt erbracht werden, der damit Leistungsfunktion übernimmt. Die Beziehung des Staates zum Markt ist durch das Prinzip der Wettbewerbsneutralität geprägt. Das Risiko des Marktversagens trägt letztlich der Einzelne. („Regulierungsmodell“)
· Instrumente zur Erbringung öffentlicher Dienstleistungen:
A. Erfüllungsverantwortung
· Leistungssicherung durch staatliche Eigenleistung: öffentliche Unternehmen
- Beispiel: „Grundversorgung“ mit öffentlichen Dienstleistungen (zB Rundfunk, öffentliche Krankenanstalten, …)
· Leistungssicherung durch privatrechtlichen Vertrag
- Öffentlicher Auftrag: zB Rettungsdienste
- „Dienstleistungskonzession“: zB ASFINAG – hochrangiges Straßennetz
· Hoheitliche Leistungssicherung durch Regulierung: Beleihung, verwaltungsrechtliche Konzession
B. Gewährleistungsverantwortung
· Typ 1: Wettbewerb der Leistungen – Versorgungssicherung durch Etablierung / Erhaltung der Funktionsfähigkeit des spezifischen Marktes
è Staatliche Regulierung:
o organisationsrechtliche Prinzipien: funktionelle Unabhängigkeit; Politikferne („at arms length“-Prinzip); Sachverstand durch Bürokratie
o verfahrensrechtliche Prinzipien: Transparenz, Flexibilität, Effektivität
o inhaltliche Prinzipien: Asymmetrische Regulierung; offener Netzzugang; sektorspezifische Wettbewerbsregulierung
· Typ 2: Wettbewerb um die Leistung
è Ausschreibungsverfahren:
o Versorgungssicherung durch Qualitätssicherung des privaten Leistungserbringers
o Privatrechtliche „Dienstleistungskonzession“
o Öffentlicher Auftrag
o Verwaltungsrechtliche „Konzession“ oder „Übertragungsverordnung“
· Erfüllungsverantwortung und Gewährleistungsverantwortung sind keine ausschließlichen Alternativen. Sie markieren vielmehr die beiden Pole einer Skala staatlicher Verantwortungsstufen, die fließend ineinander übergehen.
- Es gibt „Mischmodelle“ im Sinne elementer staatlicher Erfüllungsverantwortung auch in Systemen, die grundsätzlich dem Prinzip der Gewährleistungsverantwortung folgen:
o Universaldienstmodelle, Bestellung gemeinwirtschaftlicher Leistungen im regulierten Markt
- Es gibt wettbewerbliche Element in Bereichen, die grundsätzlich dem Prinzip der Erfüllungsverantwortung folgen:
o Wettbewerb um die Leistung in Kooperations- und Betreibermodellen
III. Geltende
verfassungsrechtliche Bedingungen und Konsequenzen von
A. Ausgliederungen
(Organisationsprivatisierungen / PPP)
· Weite verfassungsrechtliche Grenzen:
- Verfassungsrechtliches Effizienzgebot
o Ausgliederung und „Rückübertragung“ – VfSlg 15.733/2000
- Grundrechtliche Grenzen
o Wahrung von Dienstnehmerrechten – VfSlg 14.075/1995 (ÖBB – „Vertragspartner“; VfGH 1.12.2003, G 298/02 – ÖBB-Pensionsgesetz)
- Organisationskonzept der Bundesverfassung – Art 77 B-VG (Lehrmeinung Korinek)
· Konsequenzen:
- Keine „Verwaltung“ im Sinn des B-VG
o dennoch Grundrechtsbindung (Fiskalgeltung)
o privatrechtliches Rechtsschutzsystem (Prozessrisiko!)
- Rechnungshofkontrolle, aber keine Kontrolle durch Volksanwaltschaft
- Parlamentarische Kontrolle eingeschränkt auf Tätigkeit der Organe des Bundes
- Zahlreiche verwaltungsrechtliche Konsequenzen (Stellenbesetzungsgesetz, Gewerberecht, DSG 2000, Wettbewerbsrecht – § 1 UWG, Arbeitszeitrecht, …)
B. Beleihungen
· Verfassungsrechtliche Zulässigkeit (Austro Control-Kriterien – VfSlg 14.473/1996)
- Sachlichkeitsgebot (Gleichheitsgrundsatz)
- Verfassungsrechtliches Effizienzgebot
- „vereinzelte Aufgaben“ (qualitativ oder quantitativ?)
- „beleihungsfeste“ Kernbereiche (insb Verwaltungsstrafkompetenz – dürfen auch nicht „vereinzelt“ übertragen werden)
- Weisungsbindung (Art 20 Abs 1 B-VG nicht unmittelbar anwendbar – verpflichtet den Gesetzgeber, Rechtsvorschriften zu erlassen, die einem obersten Organ eine effektive Leitungs- und Steuerungsfunktion, darunter insb ein umfassendes Weisungsrecht einräumen); „effektive Steuerungsmöglichkeit“ im Sinne des VfGH bedeutet Weisung in jedem Einzelfall an jeden Mitarbeiter/in des ausgegliederten Rechtsträgers.
o Weisungsbindung bloß des „Behördenleiters“ reicht nicht aus
o öffentlich-rechtliche Organisationsform hat diesbezüglich keinen „Mehrwert“
· Konsequenzen: weiterhin Hoheitsverwaltung
C
„Kollegialbehörden mit richterlichem Einschlag“
· Ausnahme von der Regel: Besondere sachliche Rechtfertigung erforderlich (zB „neue Verwaltungsmaterie“ / technischer Sachverstand; nicht für „Verwaltungsführung“ in herkömmlichen Bereichen der Verwaltungspolizei)
D. „Privatwirtschaftliches“
/ „nicht hoheitliches“ Verwaltungshandeln
· Wahlfreiheit der Handlungsformen
· Kein Legalitätsprinzip und stark eingeschränkte Kompetenzverteilung (Art 17 B-VG als „Kompetenzgrundlage“)
· Fiskalgeltung der Grundrechte
· Weites Verständnis von „ Amtshaftung“
IV. Rechtsstaatliche und
demokratische Funktionsbedingungen
A. Öffentliche
Unternehmen unter Marktbedingungen („Erwerbswirtschaft“)
· Demokratische Kontrolle über Kontrolle des staatlichen Eigentümerverhaltens und Haushaltsrecht (einschließlich Rechnungshofkontrolle)
· Rechtsstaatliche Bindungen durch allgemeines Unternehmens- und Wettbewerbsrecht
B. Betrauung
Privater mit Leistungen der „Daseinsvorsorge“ / Dienstleistungen von
allgemeinem wirtschaftlichen Interesse / öffentliche Dienstleistungen
· Demokratische Steuerung: Legitimation und parlamentarische Kontrolle sicherstellen durch Verantwortlichkeit der obersten Verwaltungsorgane (einschließlich zwingender angemessener Ingerenzmöglichkeiten)
· Rechtsstaatliche Anforderungen:
- Grundrechtsbindung
- Rechtswegegarantie / effektiver Rechtsschutz:
o „verwaltungsrechtlicher“ Rechtsschutz bei besonderen Machtungleichgewichten und / oder starken öffentlichen Interessen (öffentlich-rechtlicher Rechtsschutz, modifiziertes Außerstreitverfahren …)
o ergänzende Funktion von alternativen Rechtsdurchsetzungsformen: „Anwälte“, „Verbandsklagen“, …
- gesetzliche Konkretisierung der „Gewährleistungsverantwortung“ einschließlich „Auffangverantwortung“ und „Rückholoptionen“
- Gesetzliche Ausgestaltung von „Anstaltsverhältnissen“ zwingend als außenwirksame Rechtsverhältnisse
o kein „besonderes Gewaltverhältnis“ / „Anstaltsverhältnis“ als verwaltungsrechtliches Innenverhältnis
o öffentlich-rechtliches Modell: „Innenbeziehungen“ als Verwaltungsverfahren
o privatrechtliches Modell: Innenbeziehungen als „Vertragsverhältnis“ (allenfalls mit gesetzlichen Sonderregelungen)
C. Regulierungsbehörden
· Demokratische Kontrolle: unmittelbare parlamentarische Verantwortlichkeit („Agency-Konzept“) einschließlich Berichtspflichten, Kontrollinstrumente etc.
· Rechtsstaatliche Sicherungen: Zuordnung zu Hoheitsverwaltung, Verwaltungsgerichtsbarkeit, Rechtsschutz gegen „schlicht hoheitliche“ Handlungsformen
D. „Privatwirtschaftliches“
Handeln / nicht hoheitliche Handlungsformen der Verwaltung
· Rechtsstaatliche Anforderungen:
- „Vergesetzlichung“ nicht hoheitlicher Leistungsbereiche über das Verfahrensrecht einschließlich spezifischen verwaltungsbehördlichen Rechtsschutzes (Vergaberecht à Beihilfenrecht à Sozialhilferecht?)
- Erweiterung des verwaltungsrechtlichen / verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzinstrumentariums („Verpflichtungsklage“)
V. Möglichkeiten für
verfassungsrechtliche Neuregelungen
· Modelle der Leistungserbringung in der Verfassung „vertypen“ (mit notwendigem Ausgestaltungsspielraum des Gesetzgebers)
· Modelle mit
- rechtsstaatlichen Bindungen
- demokratischen Verantwortlichkeiten
- allenfalls organisationsrechtlichen Vorgaben
verknüpfen (Verfassung als „Baukasten“ für den einfachen Gesetzgeber)
Assessor Mag. Dr. Rita-Maria Kirschbaum
Rechtsrefentin
EuGH, Luxemburg
Staatliche Förderung von Gütern und Dienstleistungen im allgemeinen Interesse und Gemeinschaftsrecht
Der EuGH betont die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für gesellschaftspolitische Maßnahmen. Gleichzeitig werden zunehmend Fälle anhängig, in denen das europäische Höchstgericht direkt oder indirekt mit der Frage befasst wird, ob eine bestimmte nationale gesellschaftspolitische Maßnahme wegen Verstoß gegen das Europäische Wirtschaftsrecht rechtswidrig ist.
Europäisches Wirtschaftsrecht meint in diesem Zusammenhang im Hinblick auf die jeweiligen gesellschaftspolitischen Inhalte (Sozialpolitik, Umweltpolitik, Kulturpolitik usw.) nicht-einschlägiges Gemeinschaftsrecht. Das sind in erster Linie die Grundfreiheiten (Warenverkehrsfreiheit, Dienstleistungsfreiheit, Kapitalverkehrsfreiheit usw.) und das Wettbewerbsrecht (Kartellrecht, Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung und Beihilfenrecht).
Im nationalen Recht ist eine solche "indirekte Normenkollision" einfach zu lösen. Da es sich um denselben Gesetzgeber handelt, kann dieser aufgrund einer autonomen politischen Wertentscheidung festlegen, welche Norm die andere verdrängt. Geschieht dies nicht ausdrücklich, so gelten die allgemeinen Regeln lex specialis und lex priori.
Unter der Geltung des Gemeinschaftsrechts besteht diese Möglichkeit nicht mehr. Die indirekte Normenkollision besteht hier nämlich zwischen Normen verschiedener Gesetzgeber (Mitgliedstaat - EU), und es gibt den ausnahmslosen Grundsatz vom Vorrang des Gemeinschaftsrechts. Damit kommt es zu der Problematik, dass Europäisches Wirtschaftsrecht nationalem Recht zur Förderung von Gütern und Dienstleistungen im allgemeineren, gesellschaftspolitischen Interesse entgegensteht.
Entscheidung OB und WAS wird im allgemeinen Interesse gefördert
Es besteht weder eine allgemeine, noch eine spezielle gemeinschaftsrechtliche Verpflichtung, Güter und Dienstleistungen im allgemeinen Interesse zu fördern oder zu erhalten. Allerdings sind Überschneidungen mit wirtschaftspolitischen Interessen, die als solche vom Gemeinschaftsrecht garantiert werden, denkbar.
Die Entscheidung, welche politischen Ziele im "allgemeinen" Interesse liegen und welche davon wiederum gefördert werden, liegt ebenfalls grundsätzlich bei den Mitgliedstaaten. Allerdings kann es über den Umweg des Europäischen Wirtschaftsrechts über die Anwendung der Grundfreiheiten und des Artikel 82 Abs. 2 EG in Einzelfällen zu einer verbindlichen Definition durch den EuGH kommen.
WIE wird im allgemeinen Interesse gefördert
Die Wahl der Inhalte und Mittel einer Maßnahme zur Förderung von Gütern und Dienstleistungen im allgemeinen Interesse wird hingegen stark vom Europäischen Wirtschaftsrecht beeinflusst. Die wesentlichen Beschränkungen ergeben sich aus der Anwendung und dem Vorrang der Grundfreiheiten und des Europäischen Wettbewerbsrechts.
Grundfreiheiten des EG
Die Grundfreiheiten des EG kommen unmittelbar zur Anwendung, wenn es um die rechtliche Bewertung von staatlichen Maßnahmen zur Förderung von Gütern und Dienstleistungen im allgemeinen Interesse geht. Dabei spielt es keine Rolle, ob die Maßnahmen durch den Mitgliedstaat selbst oder durch Private in seinem Auftrag erbracht werden, weil die nationalen gesetzlichen Grundlagen Gegenstand des Gemeinschaftsrechts sind.
Der EuGH hat zum Konflikt zwischen nationalen Maßnahmen eine allgemeine Dogmatik entwickelt. Die Beschränkung der Grundfreiheiten ist - auch wenn sie weder direkt noch indirekt diskriminiert - nur möglich, wenn die nationale Maßnahme - kurz gesagt - dem Allgemeininteresse dient und es keine mildere, dh. weniger beschränkende Maßnahme gibt.
Da heutzutage praktisch keine nationale Maßnahme im allgemeinen Interesse mehr denkbar ist, die nicht geeignet wäre, z.B. die Warenverkehrsfreiheit oder die Dienstleistungsfreiheit zu beschränken, ist das Gemeinschaftsrecht stets im Auge zu behalten.
Das Gemeinschaftsrecht und seine Beschränkbarkeit kann nicht nach nationalen Wertmaßstäben bestimmt werden. Daher entscheidet im Zweifel der EuGH über den Begriff des Allgemeininteresses und über die notwendigen Mittel auf der Gemeinschaftsebene.
Wettbewerbsrecht des EG
Das Wettbewerbsrecht des EG kommt zur Anwendung, wenn die Mitgliedstaaten die Förderung von Gütern und Dienstleistungen im allgemeinen Interesse nicht unmittelbar selbst sondern durch Private erbringen. Allerdings fallen auch staatliche Maßnahmen als solche unter den Anwendungsbereich, wenn sie wettbewerbswidriges Verhalten ermöglichen oder fördern.
Das Kartellverbot des Art. 81 EG findet so grundsätzlich Anwendung auf nationale Maßnahmen zur Förderung von Gütern und Dienstleistungen von allgemeinem Interesse, wenn mit ihnen Vereinbarungen der Beauftragten verbunden sind, welche etwa die Gestaltung der Bedingungen oder der Preise dieser Güter betreffen. Da der Unternehmensbegriff relativ weit ist, fallen Beauftragte unabhängig von ihrer nationalen Rechtsstellung in den Anwendungsbereich, also z.B. auch Kammern, Sozialversicherungsträger, Verbände. Neben dem EuGH unterliegt die Einhaltung des Kartellverbots auch der Kommission, die somit eine Inhaltskontrolle der nationalen Maßnahmen durchführen können.
Das Verbot des Missbrauchs einer marktbeherrschenden Stellung des Art. 82 EG ist grundsätzlich anwendbar, wenn der Mitgliedstaat die Förderung der genannten Interessen durch Private mit Monopolstellung erbringen lässt. Dann unterliegt deren Verhalten, z.B. bei der Preisgestaltung, nicht mehr nur der nationalen Kontrolle, sonder auch der des Gemeinschaftsrechts, also des EuGH und der Kommission.
Das Verbot staatlicher Beihilfen an Unternehmen des Art. 87 EG ist grundsätzlich auf jede Maßnahme eines Mitgliedstaates anwendbar, mit der einem Unternehmen Vorteile gewährt werden. Dies ist bei der Ausgestaltung von Maßnahmen zur Förderung von Gütern und Dienstleistungen im öffentlichen Interesse praktisch immer der Fall, da der Staat schließlich nur tätig wird, wenn der Markt die Zur-Verfügung-Stellung nicht oder nicht ausreichend leistet. Auch hier ist der Unternehmensbegriff relativ schnell erfüllt, nämlich stets dann, wenn Vorteile jedweder Art an Träger von Maßnahmen ergehen, die eben nicht mit dem Staat in seiner hoheitlichen Ausgestaltung identisch sind.
Weitere Probleme ergeben sich durch den Vorrang des Binnenmarkt-Rechts (Problem der Totalharmonisierung) und des Europäischen Vergaberechts (Problem der staatlichen Anreize zur Beachtung von Zielen des allgemeinen Interesses).
Im Detail ergeben sich für alle für das heutige Thema zahlreiche, sehr diffizile Probleme. Es kann nicht gesagt werden, dass der EuGH bereits zu einer abschließenden Linie gekommen ist. Es ist jedoch der Trend absehbar, die Konflikte mit Maßnahmen zur Förderung von Gütern und Dienstleistungen im allgemeinen Interesse auf dem Wege des Unternehmens-Begriffs zu lösen.
WER ist Träger der Maßnahmen im allgemeinen Interesse
Die Wahl des Trägers einer Förderung von Gütern und Dienstleistungen im allgemeinen Interesse wird vom Europäischen Wirtschaftsrecht nicht beeinflusst. Allerdings führt die Entscheidung, die Maßnahmen nicht hoheitlich, d.h. unmittelbar durch den Staat selbst durchzuführen, zwangsläufig zur Anwendung des Wettbewerbsrechts - mit den genannten Folgen.
Schlussfolgerungen
Je mehr Privat, desto mehr inhaltliche Vorgaben durch das Europäische Wirtschaftsrecht und desto weniger Spielraum für den nationalen Gesetzgeber sind die allgemeinen Folgen. Dies führt zu der merkwürdigen Situation, dass Deregulierung und Liberalisierung bei Maßnahmen zur Förderung von Gütern und Dienstleistungen im allgemeinen Interesse zu einer Zunahme von Regulierungen, nämlich durch das Gemeinschaftsrecht, führen.
Diese Regulierungen entziehen sich inhaltlich
aber der Kontrolle des einzelnen nationalen Gesetzgebers und können daher in
manchen Fällen zu unerwünschten inhaltlichen Kollisionen führen. Das könnte die
Mitgliedstaaten wiederum dazu veranlassen, von der Deregulierung und
Liberalisierung
Abstand zu nehmen - eine Folge, die der allgemeinen Politik der Europäischen
Gemeinschaft zuwiderläuft.
Eine Lösung muss mE an zwei Seiten ansetzen:
Das Gemeinschaftsrecht kann bei der Auslegung der einzelnen Tatbestandsmerkmale seines Wirtschaftsrechts vorsichtiger sein, und die Geltung der Grundrechte wird in Zukunft eine zunehmende Rolle zu spielen haben.
Der nationale Gesetzgeber kann in Kenntnis der Probleme der indirekten Normenkollision bei der Planung und Ausgestaltung von Maßnahmen zur Förderung von Gütern und Dienstleistungen im allgemeinen Interesse vorsichtiger sein und sich damit gegen Angriffe mit Hilfe des Europäischen Wirtschaftsrechts wappnen. Hierbei ist in erster Linie eine Besinnung auf das Wesentliche, die Überprüfung bisher nicht hinterfragter Traditionen und viel Kreativität der Politik gefragt.
3.5.2004
Maria
Reiffenstein, Konsumentenschutzsektion BMSG
I. Entwicklung der Aufgabengebiete der Konsumentenpolitik seit den 70er Jahren
- Verankerung als Staatsaufgabe
- Koordinierung der Konsumentenpolitik
- vom Verwaltungsrecht zum Zivilrecht
- Impulse der EU seit 1995: Informations- statt Schutzphilosophie institutionelle Stärkung
II. Instrumente der Durchsetzung:
- individueller Rechtsschutz
- kollektiver Rechtsschutz (Verbandsklage)
- außergerichtliche Streitbeilegungsmechanismen
- Förderung der Beratung
- Verhaltenskodizes
- behördliche Rechtsdurchsetzung
- Regulierungsbehörden
III. Leistungen der Daseinsvorsorge:
- EG primärrechtliche Verankerung: Art 16, 86, 87 EGV; Art 36, 38
- Definition
- Richtlinienvorschlag Dienstleistungen im Binnenmarkt
- Horizontale Evaluierung der EK
- Erfahrungen in Österreich: aggressives Akquirieren, irreführende Werbemethoden, Transparenzprobleme iZm Vertragsgestaltung
- Sittenwidrigkeitsmaßstäbe (insb. §§ 864 a, 879 ABGB, § 6 KSchG) des Vertragsrechts nun auch anwendbar – Inhaltskontrolle durch Verbandsklage
- Bedeutung der Gemeinwohlverpflichtungen: Universaldienst, Kontinuität, Erschwinglichkeit, Qualität, Nutzer- und Verbraucherschutz (vertragliche Transparenz bzw. faire Vertragsklauseln)
- Chancen: Inhaltskontrolle, Diskussion „neuer“ Dienstleistungen von allgemeinem Interesse (zB Girokonto)
- Nachteile: Bsp. Post/Hausbrieffachanlagen
Schlussthesen:
· Die Liberalisierung hat die Rechtsstellung der KonsumentInnen gegenüber der hoheitlichen Leistungserbringung erhöht
· Die Liberalisierung hat die Bedeutung der Durchsetzung kollektiver Interessen in Form von Verbandsklagen erhöht
· Die Liberalisierung geht mit einer enormen Regulierung einher
· Die Liberalisierung erhöht die Notwendigkeit staatlicher Behörden
· Jede Liberalisierung ist sehr genau daraufhin zu prüfen, inwieweit sie für die EndverbraucherInnen wirklich von Vorteil ist und damit den enormen Regulierungsaufwand rechtfertigt
IV. Verankerung der Konsumentenpolitik in der Verfassung?