Anwesende:
Ausschussmitglieder (Vertreter):
Univ.-Prof. Dr. Herbert Haller (Vorsitzender)
Univ.-Prof. Dr. Clemens Jabloner (stellvertretender
Vorsitzender)
Mag. Heribert Donnerbauer (für
BM Elisabeth Gehrer)
Univ.-Prof. DDr. Christoph Grabenwarter
Univ.-Prof. Dr. Gerhart Holzinger
Univ.-Prof. Dr. Karl Korinek
DDr. Karl Lengheimer
Dr. Johann Rzeszut
Maga. Terezija Stoisits
Dr. Kurt Stürzenbecher (für
Maga. Renate Brauner)
Weitere Teilnehmer:
Mag. Ronald Faber (für
Univ.-Prof. Dr. Heinz Fischer)
Dr.
Gerhard Kuras (als „Begleitperson“ von Dr. Johann
Rzeszut)
Maga. Andrea Martin (als „Begleitperson“ von
Univ.-Prof.
Dr. Karl Korinek)
Dr. Marlies Meyer (für
Dr. Eva Glawischnig)
Dr. Roland Miklau (für
BM Dr. Dieter Böhmdorfer)
Gerhard Neustifter (für
Maga. Renate Brauner)
Dr. Rosi Posnik (für
Dr. Claudia Kahr)
Mag. Michael Schön (für
BM Dr. Dieter Böhmdorfer)
Mag. Thomas Sperlich (als „Begleitperson“ von Maga. Terezija Stoisits)
Büro des
Österreich-Konvents:
Dr. Gert Schernthanner (fachliche
Ausschussunterstützung)
Birgit Mayerhofer (Ausschusssekretariat)
Entschuldigt:
Maga.
Renate Brauner
Univ.-Prof.
Dr. Bernd-Christian Funk
BM Elisabeth Gehrer
Dr. Johannes Schnizer
Beginn: 10.00
Uhr
Ende: 15.00
Uhr
Tagesordnungspunkte:
1.) Begrüßung und Feststellung der Anwesenheit
2.) Ergänzende
Diskussion auf der Grundlage des Ausschussberichts über folgende noch
offenen Punkte:
a)
Punkte
III) 3) und III) 4) des Mandats (Mitwirkungsrechte der Länder bei der
Bestellung der Spitzen und bei der Zusammensetzung der Gerichtshöfe öffentlichen
Rechts; Bestellungsvorgang – Transparenz – Hearing; vgl. S. 22 des
Ausschussberichts)
b)
Anfechtungslegitimation
– Erweiterung des Kreises der Beschwerde- und Anfechtungsberechtigten vor den
Gerichtshöfen öffentlichen Rechts in Hinblick auf Verbände und Amtsorgane (vgl.
Punktation von AbgNR Maga. Terezija Stoisits vom 15.3.2004,
S. 3 f)
c)
Staatshaftung
unter Bedachtnahme auf die Letztfassung des von Hon.-Prof. Dr.
Kurt Heller zur Verfügung gestellten Beitrags zum Thema der „Haftung des
Staates für den Verstoß seiner Höchstgerichte gegen Gemeinschaftsrecht“
(vgl. S. 37 ff
des Ausschussberichts)
d)
Fragen
zur Beibehaltung der Laiengerichtsbarkeit (S. 15 des Ausschussberichts)
e)
„Durchforsten“
der Sonderbehörden (vgl. S. 32 ff des Ausschussberichts)
3.) Allfälliges
Der Ausschussvorsitzende begrüßt die Teilnehmer des Ausschusses 9 und
stellt die Anwesenheit (Umlauf der Anwesenheitsliste) fest. Es wird – über die
bereits mit der Einladung versendeten Unterlagen hinaus – eine Stellungnahme
des BMF, Abt. I/4, zum Bericht des Ausschusses 9 vom 30.4.2004 an alle
anwesenden Ausschussmitglieder verteilt.
Tagesordnungspunkt 2) a): Ergänzende Diskussion über die Punkte III) 3) und III) 4) des
Mandats (Mitwirkungsrechte der Länder bei der Bestellung der Spitzen und bei
der Zusammensetzung der Gerichtshöfe öffentlichen Rechts; Bestellungsvorgang –
Transparenz – Hearing; vgl S. 22 des Ausschussberichts)
Eingangs der Diskussion stellt der Ausschussvorsitzende in kurzen
Zügen die derzeitige Rechtslage hinsichtlich der Zusammensetzung der
Gerichtshöfe öffentlichen Rechts und hinsichtlich des Bestellungsvorgangs
seiner Mitglieder dar (Art. 134 f B-VG für den VwGH und Art. 147 B-VG für den
VfGH).
Der stellvertretende Ausschussvorsitzende führt aus, dass sich das
derzeit beim VwGH gepflogene System der Selbstrekrutierung und Zusammensetzung
der Mitglieder, das mit der B-VG-Novelle 1929 eingeführt worden sei, im
Wesentlichen bewährt habe, weshalb dieses System sowie die Art. 134 und 135
B-VG beibehalten werden sollten. Richtig sei jedoch, dass das in Art. 134 Abs.
3 B-VG normierte so genannte „Länderviertel“ (wenigstens der vierte Teil der
Mitglieder des VwGH soll aus Berufsstellungen in den Ländern, womöglich aus dem
Verwaltungsdienst der Länder, entnommen werden) schwierig zu rekrutieren sei,
weil es zu wenige Landesbeamte (insbesondere aus den westlichen Bundesländern)
gebe, die ein Interesse an einem Wechsel in den VwGH hätten; dieses Phänomen
habe einerseits seine Ursache in der mangelnden Mobilität der Betroffenen,
andererseits spielten besoldungsrechtliche Gründe eine wesentliche Rolle.
Dieses Problem sei jedoch mit der gesetzlichen Verankerung von mehr
Ländereinfluss nicht zu lösen. Es gehe ja auch darum, die „besten Köpfe“ aus
dem Landesdienst zu bekommen, was in der Praxis jedoch nicht immer der Fall
sei. Die Durchführung von Hearings lehne er ab, weil diese letztlich nicht
wirklich aussagekräftig seien: So gebe es etwa im VwGH eine Reihe von Richtern,
die ihre Arbeit gut und ordentlich erledigen, sich jedoch seiner Einschätzung
nach bei einem Hearing nicht besonders gut nach außen „verkaufen“ würden. Auch
hinsichtlich der Bestellung der Mitglieder des VfGH halte er nichts von der
Durchführung von Hearings, da diese letztlich nur einer „Pseudo-Legitimierung“
dienten. Wichtiger wäre viel mehr, dass jene Stelle, die jemanden zum
VfGH-Richter vorschlägt (also die Bundesregierung, der Nationalrat und der
Bundesrat) klare, wenngleich unter Umständen auch politisch motivierte
Entscheidungen treffe und zu diesen Entscheidungen aber auch stehe. Freilich
könnte der große Einfluss der Bundesregierung beim Vorschlagsrecht zukünftiger
VfGH-Richter in politisch bewegten Zeiten zum Problem werden, wenn etwa eine
(unmittelbar vor Abwahl) stehende Bundesregierung noch im letzten Moment eine
Reihe von neu zu ernennenden VfGH-Richter zur Ernennung vorschlägt, bevor sie
dann kurze Zeit später abgewählt werde.
Der Präsident des VfGH führt für seinen Gerichtshof aus, dass sich
auch dort das derzeitige System der Kreation und Zusammensetzung im
Wesentlichen bewährt habe, weshalb dieses System in Zukunft beibehalten werden
solle. Für den VfGH sei die Einschaltung der demokratisch legitimierten
Politiker in den Bestellungs- bzw. Ernennungsvorgang wichtig. Richtig sei
jedoch, dass – auch vor dem Hintergrund der Rechtslage in der Bundesrepublik
Deutschland, wo gemäß Art. 94 des Bonner Grundgesetzes die Mitglieder des
Bundesverfassungsgerichts je zur Hälfte vom Bundestag und vom Bundesrat gewählt
werden – auch in Österreich diskutiert worden sei, ob die VfGH-Mitglieder nicht
besser von der Bundesversammlung gewählt werden sollten. In Deutschland sei
diesbezüglich ein permanenter Wahlausschuss eingerichtet worden. Festzuhalten
sei auch, dass Österreich eines der wenigen Länder sei, in denen keine
Politiker im VfGH säßen; dies habe auch mit den relativ strengen
Unvereinbarkeitsregelungen des Art. 147 Abs. 4 und 5 B-VG zu tun. Das in der
Diskussion häufig gebrauchte Argument, dass sich aufgrund der politischen
Einflussnahme die Kontrollierten bzw. zu Kontrollierenden ihre Kontrolleure
quasi selbst aussuchten, stimme insofern nicht, als es den Zeitfaktor
unberücksichtigt lasse. Selbst dann, wenn jemals eine politische Nahebeziehung
eines VfGH-Richters zu einer politischen Partei bestanden haben sollte, werde
sich ein VfGH-Richter aufgrund der unbefristeten Bestellung sehr rasch von
jeder politischen Einflussnahme emanzipieren. Insgesamt sehe er daher auf verfassungsrechtlicher
Stufe keinen Änderungsbedarf für den VfGH. Was den Vorwurf der mangelnden
Transparenz betreffe, sehe er ebenfalls keinen akuten Handlungsbedarf. Eine vor
ca. zwei Legislaturperioden geborene Idee der Einrichtung einer so genannten „Bewertungskommission“
für zukünftige VfGH-Mitglieder sei in letzter Zeit nicht mehr weiter verfolgt
worden. Wenn man schon unbedingt Hearings durchführen wollte, müssten es auch
die politisch verantwortlichen und letztlich entscheidenden Regierungsmitglieder
sein, die diese Hearings durchführen. Was dabei aber gefragt oder gar geprüft
werden sollte, sei ihm völlig unklar.
Die Vertreter der ordentlichen Gerichtsbarkeit weisen darauf hin,
dass am OGH derzeit 57 Richter tätig seien, wobei die Zusammensetzung nicht
besonders föderalistisch ausgeprägt sei; insbesondere aus den westlichen
Bundesländern seien OGH-Richter nur schwer zu rekrutieren. Was den VwGH
betreffe, könnte die geplante Einrichtung der Landesverwaltungsgerichte erster
Instanz langfristig auch zu einer stärker föderalistisch geprägten
Zusammensetzung des VwGH führen.
In der weiteren Diskussion wird hinsichtlich der Zusammensetzung des VfGH
und der Bestellung seiner Mitglieder einerseits die Meinung vertreten, dass
sich das bisherige System im Wesentlichen bewährt habe und deshalb daran –
jedenfalls auf verfassungsrechtlicher Ebene – festgehalten werden solle.
Andererseits gibt es auch Stimmen, die sich für eine stärkere Mitwirkung und
Einbeziehung der Länder aussprechen und das derzeitige System als wenig
föderalistisch und auch wenig demokratisch kritisieren. So solle insbesondere
die derzeit vorgesehene Bestellung der Mehrheit der Mitglieder durch die
Bundesregierung geändert werden und sollten alle VfGH-Mitglieder in Zukunft
durch die Bundesversammlung mit einer qualifizierten Mehrheit (2/3-Mehrheit)
gewählt werden. In diesem Zusammenhang wird auch auf einen entsprechenden
Vorschlag der SPÖ aus den 70er Jahren hingewiesen, wonach die VfGH-Mitglieder
durch eine 2/3-Mehrheit von der Bundesversammlung gewählt werden sollten. Es
wird auch die Meinung vertreten, dass man das föderalistische Element
insbesondere bei der Bestellung der Präsidenten und Vizepräsidenten von VfGH
und VwGH stärken könnte. Hingewiesen wird schließlich auch darauf, dass nach derzeitiger
Rechtslage (Art. 147 Abs. 2 B-VG) nur 3 Mitglieder und 2 Ersatzmitglieder ihren
ständigen Wohnsitz außerhalb der Bundeshauptstadt Wien haben müssten, was nur
einen relativ kleinen Teil der Mitglieder des Gerichtshofs betreffe. Von einer
Seite wird außerdem die Meinung vertreten, dass der Frauenanteil beim VfGH
(derzeit nur 4 Frauen) zu niedrig sei und in Zukunft unbedingt erhöht werden
sollte und dass darüber hinaus die Durchführung von Hearings insofern
zweckmäßig wäre, als dadurch die Transparenz gesteigert und letztlich eine
höhere Akzeptanz in der Öffentlichkeit erreicht werden könnte. Relativ einig
war man sich letztlich darin, dass die Vorschaltung von externen
Expertengremien (wie dies in früheren Zeiten seitens der Rechtsanwälte und
Notare vorgeschlagen worden sei) keine Qualitätssteigerung bringen würde;
letztlich seien diese zuletzt angestellten Überlegungen auch keine
verfassungsrechtlich relevanten Fragen.
Hinsichtlich des derzeitigen Systems der Bestellung von Mitgliedern des VwGH
wird überwiegend die Meinung vertreten, dass das derzeit gepflogene
Selbstrekrutierungsmodell (vgl. Art. 134 Abs. 2 B-VG) sich im Wesentlichen
bewährt habe und daher auch in Zukunft beibehalten werden solle. Das
Selbstergänzungsrecht des VwGH sei zwar in föderalistischer Hinsicht nicht ganz
unproblematisch, jedoch rechtsstaatlich äußerst wertvoll, da das
Vorschlagsrecht der Vollversammlung des VwGH am besten geeignet sei, die
fachliche Qualität der neu hinzu kommenden VwGH-Richter zu garantieren.
Der Ausschussvorsitzende versucht das Ergebnis der bisherigen
Diskussion dahin zusammenzufassen, dass sich die derzeit geltenden Regelungen
sowohl hinsichtlich des VfGH als auch hinsichtlich des VwGH im Wesentlichen
bewährt haben. Durch das System der Selbstergänzung beim VwGH und durch die
zeitlich unbefristete Ernennung der VfGH-Richter (mit der damit eng verbundenen
Möglichkeit zur Befreiung von politischer Einflussnahme) würden letztlich in
beiden Fällen zu der rechtsstaatlich so notwendigen Unabhängigkeit der Höchstrichter
führen. Am ehesten könnte überlegt werden, das derzeit bestehende weitgehende
Vorschlagsrecht der Bundesregierung für die Ernennung von VfGH-Richtern zu
Gunsten des Parlaments (der Bundesversammlung) einzuschränken.
Von einer Seite wird angeregt, auch noch über andere – die Fragen des
Bestellungsvorgangs und der Transparenz im weitesten Sinn tangierende –
Probleme, wie insbesondere jene der Dauer der Bestellung und jene der „dissenting
opinion“, zu diskutieren. Gleichzeitig wird eine Befristung der Amtsdauer
der VfGH-Richter (etwa auf 12 Jahre) und die Einführung der „dissenting
opinion“ gefordert, um die Willensbildung im VfGH transparenter und damit
nachvollziehbarer zu machen und einzelnen Mitgliedern eine gewisse Emanzipation
vom Gerichtshof zu ermöglichen. Gegen diesen Vorschlag wird von einzelnen
Mitgliedern zunächst – in formeller Hinsicht – eingewendet, dass diese Punkte
im Mandat des Ausschusses 9 gar nicht enthalten seien und dass es wohl
zweckmäßiger wäre, zuerst die inhaltliche Diskussion über die zukünftigen
Kompetenzen des VfGH abzuschließen, bevor man sich im Detail organisatorischen
Problemen zuwende; schließlich ist man im Ausschuss aber dann doch mehrheitlich
bereit, die aufgeworfenen Fragen auch inhaltlich zu diskutieren.
Der Vorschlag, die Amtsdauer der Höchstrichter (insbesondere der
VfGH-Richter) zeitlich zu befristen, wird im Ausschuss mehrheitlich abgelehnt.
Richtig sei zwar, dass im internationalen Vergleich eine relativ große
Bandbreite an unterschiedlichen Regelungen bestehe und dass es durchaus auch
Länder gebe, in denen Höchstrichter auf bestimmte Zeit ernannt werden. Eine
solche Befristung sei jedoch – so die überwiegende Meinung im Ausschuss – mit
der Unabhängigkeit der Höchstrichter letztlich nicht zu vereinbaren; die
Ernennung auf Lebenszeit sei die beste Garantie für die Unabhängigkeit.
Insbesondere für jüngere Höchstrichter wäre eine Befristung etwa auf 12 Jahre
auch insofern problematisch, als sich die Rückkehr in ihren angestammten Beruf
(etwa die Rückkehr in eine Anwaltskanzlei) schwierig gestalten könnte bzw. in
Einzelfällen sogar unmöglich wäre, was wiederum zur Folge hätte, dass man
einzelne Berufsgruppen auf diese Weise von einer Bewerbung zum VfGH de facto
ausschlösse. Hingewiesen wird darauf, dass es auch Länder gebe, die – im
Gegensatz zu Österreich – überhaupt keine Altersgrenze für ihre Höchstrichter
vorsähen (wie etwa die Richter des „Supreme Court“ in den Vereinigten Staaten
von Amerika). Mehrfach und nachdrücklich betont wird vor allem, dass die –
schon an sich abzulehnende – Befristung der Amtsdauer von Höchstrichtern vor
allem in Kombination mit der Einführung einer „dissenting opinion“
rechtsstaatlich gefährlich, ja geradezu verhängnisvoll wäre. Die unbefristete
Bestellung sollte daher beibehalten werden und auch weiterhin im B-VG geregelt
bleiben.
Auch der Vorschlag nach Einführung einer „dissenting opinion“ an
sich (also nicht in Kombination mit der Befristung der Amtsdauer) ist im
Ausschuss nicht mehrheitsfähig. Hingewiesen wird zunächst darauf, dass zu
diesem Thema bereits eine parlamentarische Enquete im Jahr 1998 abgehalten
worden sei, in der dieses Thema erschöpfend behandelt worden sei; dem Ausschuss
9 des Österreich-Konvents werde es nicht gelingen, neue Argumente zu finden.
Gegen die „dissenting opinion“ wird insbesondere ins Treffen geführt, dass der
beste Garant für die Unabhängigkeit der Höchstrichter deren unbefristete
Bestellung sei und dass sich die Richter schon auf Grund des Zeitfaktors von
jedem politischen Naheverhältnis emanzipieren würden; einer „dissenting
opinion“ bedürfe es dafür nicht; der VfGH habe seine Unabhängigkeit gerade in
den letzten Jahren, in denen es Erkenntnisse sowohl zu Gunsten als auch zu
Lasten der jeweiligen Regierung gegeben habe, hinlänglich bewiesen. Dazu komme
ein ganz praktischer Grund: Jedes Erkenntnis umfasse ja nicht eine einzige, mit
„Ja“ oder „Nein“ zu beantwortende Frage, sondern umfasse viel mehr mehrere
Fragen bzw. Teilentscheidungen; je nach dem, wie man diese Teilentscheidungen
bzw. „Weichenstellungen“ treffe, müsse man dann in die eine oder andere
Richtung weiterarbeiten bzw. weiter beraten. Wenn aber nun ein Höchstrichter
schon bei einer dieser frühen Weichenstellungen gegen die Mehrheit im
Gerichtshof argumentiere, sich aber dabei nicht durchsetzen könne, bestehe die
Gefahr, dass dieser dann gedanklich bereits „aussteige“, sich aus dem weiteren
Beratungsprozess gleichsam „ausklinke“ und in seinem Inneren bereits an der
Formulierung der „dissenting opinion“ zu arbeiten beginne. Gerade dies gelte es
aber zu verhindern, weil auch die „Abweichler“ für die anschließende Diskussion
und Beratung wichtig seien und zu einer besseren und treffsicheren
Argumentation und Begründung beitragen könnten. Wichtiger als die Einführung einer
„dissenting opinion“ sei daher eine umfassende Begründung der
VfGH-Erkenntnisse, in deren Entscheidungsgründen sich der Meinungs- und
Willensbildungsprozess widerspiegeln müsse; schon dadurch könne ein Höchstmaß
an Transparenz erzielt werden. Darüber hinaus sei der VfGH in seiner Funktion
als Höchstgericht primär für die Rechtsanwendung zuständig und solle daher
Rechtssicherheit schaffen; mit diesem Ziel wäre es unvereinbar, sozusagen
unterschiedliche Kategorien von VfGH-Erkenntnissen, nämlich „kompakte“
(einstimmig beschlossene) Erkenntnisse und „Erkenntnisse light“ (mit
„dissenting opinions“) zu schaffen.
Es gibt jedoch auch Stimmen, die sich für die Einführung einer „dissenting
opinion“ aussprechen und dies im Wesentlichen damit begründen, dass durch die
Möglichkeit eines einzelnen Richters zum Ausscheren aus der Mehrheitsmeinung
die Persönlichkeit dieses Richters und dadurch letztlich auch seine
Unabhängigkeit gestärkt werden könne. Außerdem könne die „dissenting opinion“,
mit der man in anderen Ländern gute Erfahrungen gemacht habe (vgl. etwa den
„Supreme Court“ in den Vereinigten Staaten von Amerika), für die
Rechtsentwicklung wichtig sein und Anstöße zu Judikaturänderungen geben.
Frau AbgNR Maga. Stoisits teilt mit, dass sie und ihre
Mitarbeiter hinsichtlich dieses Tagesordnungspunkts an einem detaillierteren
schriftlichen Papier arbeiteten, weshalb sie um Vertagung der Diskussion über
diesen Tagesordnungspunkt bis zur nächsten Sitzung ersucht; diesem Ersuchen
wird stattgegeben.
Tagesordnungspunkt
2) c): Staatshaftung unter Bedachtnahme auf die Letztfassung des von Hon.-Prof.
Dr. Kurt Heller zur Verfügung gestellten Beitrags zum Thema der „Haftung
des Staates für den Verstoß seiner Höchstgerichte gegen Gemeinschaftsrecht“
(vgl. S. 37 ff des Ausschussberichts)
Die Vertreter des OGH führen aus, dass sich auch nach Lektüre des
Aufsatzes von Hon.-Prof. Dr. Heller über die „Haftung des Staates für
den Verstoß seiner Höchstgerichte gegen Gemeinschaftsrecht“ die Sichtweise der
Vertreter des OGH nicht geändert habe. Dabei sei Hon.-Prof. Dr. Heller
einerseits in seiner Kritik an der Rechtsprechung des EuGH durchaus Recht zu
geben, da die Haftung von Höchstgerichten für behauptete angebliche
gemeinschaftsrechtswidrige Urteile strukturell unpassend sei. Es sei auch
anerkennenswert, wenn in diesem Beitrag versichert werde, dass der VfGH eine
Haftung etwa eines anderen Höchstgerichts ohnedies nur nach Einholung einer
Vorabentscheidung durch den EuGH bejahen würde. Das alles ändere aber nichts
daran, dass eine alleinige Entscheidungsbefugnis des VfGH eine Über- bzw.
Unterordnung der – im B-VG als gleichberechtigt angelegten – Höchstgerichte
bedeuten würde und auch das Problem des „Richters in eigener Sache“ weiterhin jedenfalls
in jenen Fällen ungelöst wäre, in denen ein Staatshaftungsanspruch mit der
Behauptung geltend gemacht werde, dass ein Erkenntnis des VfGH
gemeinschaftsrechtswidrig sei. Vor diesem Hintergrund müsse im Rahmen des Österreich-Konvents und auf
Ebene des Verfassungsrechts zumindest die Zuständigkeitsfrage geklärt werden,
wobei diesbezüglich mit Nachdruck die Bildung eines gemeinsamen Senats
gefordert werde, den es im Übrigen in anderen Ländern bereits gebe. Dass – wie
im Aufsatz von Hon.-Prof. Dr. Heller angedeutet – ein
Staatshaftungsanspruch nur nach Durchführung eines Vorabentscheidungsverfahrens
zugesprochen werden dürfe, könnte auch durchaus (verfassungs-) gesetzlich
geregelt werden.
Die Vertreter des VfGH widersprechen
diesen Ausführungen und werfen die Frage auf, ob es sich beim
Staatshaftungsproblem überhaupt um eine nationale verfassungsrechtliche
Strukturfrage handle. Schließlich sei dieses Problem im Gemeinschaftsrecht
geregelt und bestehe eine Bindung des Gemeinschaftsrechts für jedes nationale
Organ bzw. Gericht – egal, welches Gericht letztlich entscheide. Der VfGH würde
– ohne Durchführung eines Vorabentscheidungsverfahrens – niemals ein Urteil des
OGH als gemeinschaftsrechtswidrig und insofern staatshaftungsbegründend
umdeuten. Für die Zuständigkeit des VfGH sei der bestehende Art. 137 B-VG eine
durchaus taugliche Grundlage. Insofern bedürfe es nicht der Bildung des von
mancher Seite vorgeschlagenen „Austrägalsenats“, der überdies einen neuen
finanziellen und organisatorischen Aufwand bedeuten würde. Was das
Staatshaftungsrecht im materiellen Sinne betreffe, solle der nationale
Gesetzgeber – zumindest zum derzeitigen Zeitpunkt – nicht den Versuch machen,
ein derart komplexes, dynamisches und sich gerade gegenwärtig in einem raschen
Wandel befindliches Rechtsgebiet zu kodifizieren; ein solcher Versuch wäre zum
Scheitern verurteilt. Die Zuständigkeitsfrage sei in Wahrheit gar kein
Verfassungsproblem, weil es ja schon nach derzeitiger Rechtslage dem einfachen
Gesetzgeber unbenommen wäre, eine Zuständigkeit des OGH durch Aufhebung des § 2
Abs. 3 AHG vorzusehen.
Der stellvertretende Ausschussvorsitzende
widerspricht der Meinung, dass die Aufhebung des § 2 Abs. 3 AHG automatisch zur
Zuständigkeit des OGH führe, und meint, dass Art. 137 B-VG keine taugliche
Kompetenzgrundlage für den VfGH sei. Er spricht sich explizit für eine
verfassungsrechtliche Regelung der Zuständigkeitsfrage und insbesondere für die
Bildung eines gemeinsamen Senats (der aus Vertretern aller drei Höchstgerichte
gebildet werden solle) aus, wobei man sich nicht auf den Begriff des
„Austrägalsenats“ kaprizieren müsse. Ganz grundsätzlich spreche er sich gegen
jede Art von Lösung aus, die die Überstülpung eines Höchstgerichts über andere
Höchstgerichte vorsehe.
Im Zuge der weiteren Diskussion spricht sich
der Ausschuss mehrheitlich dafür aus, die Zuständigkeit des VfGH für legislatives
Unrecht grundsätzlich beizubehalten, wobei dies durchaus eine
verfassungsrechtlich relevante und auch im B-VG zu regelnde Frage sei.
Vereinzelt wird gefordert, dem VfGH auch eine Kompetenz zur Feststellung von
gesetzgeberischer Untätigkeit im innerstaatlichen Bereich einzuräumen, also
nicht nur bei Säumnis des nationalen Gesetzgebers bei der Umsetzung von
Gemeinschaftsrecht (also etwa von EU-Richtlinien), sondern auch bei der
Umsetzung von innerstaatlichem Verfassungsrecht (etwa bei der
einfachgesetzlichen Umsetzung von – derzeit im Ausschuss 4 des
Österreich-Konvents zu beratenden – sozialen Grundrechten).
Tagesordnungspunkt 2) e): „Durchforsten“ der Sonderbehörden (vgl. S. 32 ff des
Ausschussberichts) – wird vorgezogen
Der Ausschussvorsitzende weist auf das
an alle Ausschussmitglieder versendete Schreiben der fachlichen
Ausschussbetreuung vom 20.04.2004 hin, in dem sämtlichen Bundesministerien und
allen Ämtern der Landesregierungen eine Frist zur Durchsicht und Stellungnahme
bis längstens 28.05.2004 eingeräumt worden sei. Erst danach halte er eine
neuerliche Diskussion über dieses Thema für sinnvoll – eine Meinung, die im
Ausschuss auf allgemeine Zustimmung stößt.
Von einer Seite wird darauf hingewiesen, dass
man sich von diesen Stellungnahmen zum derzeitigen Zeitpunkt, wo noch so viele
Detailfragen in Schwebe seien, nicht all zu viel erwarten solle; insofern wird
vor all zu großem Optimismus gewarnt. Insoweit das Bundesministerium für
Finanzen mit Schreiben vom 30.04.2004 vorgeschlagen hat, dass der Ausschuss 9
auch die Frage der Kostentragung der Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit
erster Instanz diskutieren solle, wird zum einen darauf hingewiesen, dass die
Frage, welcher Ausschuss dafür zuständig sein solle (Ausschuss 9 oder Ausschuss
10) letztlich vom Präsidium des Österreich-Konvents beantwortet werden müsse,
und zum anderen, dass es diesbezüglich bereits bei früheren Reformanläufen Untersuchungen
und Kostenberechnungen gegeben habe und darüber schriftliche Unterlagen sowohl
im Bundeskanzleramt/Verfassungsdienst als auch in der Verbindungsstelle der
österreichischen Bundesländer vorhanden sein müssten.
Tagesordnungspunkt
2) d): Fragen zur Beibehaltung der Laiengerichtsbarkeit (vgl. S. 15 des
Ausschussberichts)
Sektionschef Dr. Miklau führt zu diesem Thema einleitend
aus, dass die Laienbeteiligung grundsätzlich in Art. 91 Abs. 1 B-VG normiert
sei, wonach das Volk an der Rechtsprechung mitzuwirken habe. Die
Laienbeteiligung sei aus demokratiepolitischen Gründen ein unverzichtbares
Element der Rechtsprechung, sie diene der Kontrolle der Rechtsprechung durch
das Volk und solle insbesondere auch der Gefahr einer „Technokratisierung“ der
Rechtsprechung durch Berufsrichter entgegen wirken. Die Laienbeteiligung an der
Rechtsprechung gebe es im Übrigen – soweit überblickbar – in allen Staaten der
westlichen Welt, mit Ausnahme der Niederlande, wo es eine solche
Laienbeteiligung aus historischen Gründen nicht gebe. Art. 91 B-VG normiere
darüber hinaus zum einen, dass bei den mit schweren Strafen bedrohten
Verbrechen sowie bei allen politischen Verbrechen und Vergehen Geschworene
allein über die Schuld des Angeklagten zu entscheiden haben (Abs. 2), und zum
anderen, dass in Strafverfahren wegen anderer strafbarer Handlungen Schöffen an
der Rechtsprechung (Schuld- und Straffrage) dann teilzunehmen haben, wenn die
zu verhängende Strafe ein vom Gesetz zu bestimmendes Maß überschreitet (Abs.
3).
Während die Schöffengerichtsbarkeit
rechtspolitisch im Wesentlichen außer Streit stehe, richte sich die Kritik –
sowohl von Seiten der Lehre als auch von Seiten der Richter und Staatsanwälte
(weniger von Seiten der Rechtsanwälte) – im Wesentlichen gegen das derzeitige
System der Geschworenengerichtsbarkeit. Diese müsse vor einem
zeitgeschichtlichen Hintergrund gesehen werden; sie stehe im Zusammenhang mit
der Beseitigung und der Wiederherstellung demokratischer Verhältnisse in
Österreich, wenn gleich die Geschichte gezeigt habe, dass die
Geschworenengerichtsbarkeit kein Garant gegen Fehlurteile sei (Stichworte:
„Schattendorf“ – Prozess, Aufarbeitung der NS-Verbrechen nach Ende des zweiten
Weltkriegs). Die Gegner der Geschworenengerichtsbarkeit in ihrer derzeitigen Form
würden zum einen mit der Überforderung der rechtlich nicht geschulten
Geschworenen bei der Lösung von tendenziell immer komplexer werdenden
Rechtsproblemen argumentieren und zum anderen den so genannten „Wahrspruch“ der
Geschworenen kritisieren, der im schriftlichen Urteil nicht näher begründet zu
werden brauche, sodass das Urteil von Seiten der in erster Instanz schuldig
gesprochenen Personen (bzw. deren Verteidiger) im Rahmen eines Rechtsmittels
nur schwer angreifbar sei. Kritisiert werde auch, dass die Geschworenen im
Rahmen eines differenzierten Fragenschemas auch für die Beantwortung von oft
komplexen Rechtsfragen zuständig seien.
Auch wenn die geschilderten Vorwürfe dramatisch
klingen würden, halte er die negativen Auswirkungen der Geschworenengerichtsbarkeit
in der Praxis für relativ gering: Er glaube, dass das Ergebnis der meisten
Geschworenengerichtsverfahren kein anderes wäre, wenn nur Berufsrichter oder
Schöffengerichte zu entscheiden hätten. Die Geschworenen neigten insofern
zu einem gewissen kompensatorischen Element, als sie gelegentlich die Tat unter
einen „milderen“ Tatbestand subsumierten (z.B. Körperverletzung mit tödlichem
Ausgang anstatt Mord), sich in weiterer Folge aber innerhalb dieses „milderen“
Tatbestands eher im oberen Bereich des Strafausmaßes bewegten. Darüber hinaus
gebe es schließlich auch die Möglichkeit der Aussetzung des Wahrspruchs durch
die Berufsrichter gemäß § 334 StPO. In der Praxis würden diese Aussetzungen
fast immer Fälle betreffen, wo Geschworene – rechtsirrig – zu Gunsten der Täter
entschieden hätten.
Die vorher erwähnten Pro-Argumente für die
Geschworenengerichtsbarkeit hätten letztlich dazu geführt, diese nach dem 2.
Weltkrieg im Jahr 1950 wieder einzuführen. Die Kritik an der
Geschworenengerichtsbarkeit in ihrer jetzigen Form sei jedoch niemals
verstummt: So sei einerseits vorgeschlagen worden, die Geschworenengerichte
durch so genannte „große Schöffengerichte“ zu ersetzen; andererseits sei
angeregt worden, das Verfahren etwa dadurch transparenter zu gestalten, dass
man die Geschworenen öffentlich belehrt und eine Begründungspflicht auch für
den Wahrspruch einführt. Insgesamt gebe es derzeit in der Fachöffentlichkeit
wohl eine klare Mehrheit für die Abschaffung der Geschworenengerichtsbarkeit in
ihrer geltenden Form. Auf verfassungsrechtlicher Ebene könnte man vor dem
Hintergrund des eben Gesagten eine (teilweise) Abschaffung des Art. 91 Abs. 2
B-VG ebenso überlegen wie eine flexiblere und offenere Formulierung der Abs. 2
und 3 des Art. 91 B-VG, um so dem einfachen Gesetzgeber mehr rechtspolitischen
Spielraum einzuräumen. In diesem Fall könnte allenfalls überlegt werden, für
bestimmte Fälle verstärkte Garantien für die Rolle der Laien (z.B. Mehrheit der
Schöffen gegenüber den Berufsrichtern, Recht auf zeitweise Beratung ohne
Berufsrichter o. ä.) einzubauen, doch wäre dies eher Aufgabe des einfachen
Gesetzgebers.
Der Präsident des OGH schließt sich den
Ausführungen von Schef Dr. Miklau im Wesentlichen an und betont, dass
der Strafprozess im Allgemeinen und die Laiengerichtsbarkeit im Besonderen
mehrere grundsätzliche Zwecke zu verfolgen hätten: Unschuldige müssten – rasch
– freigesprochen werden, Schuldige müssten bestraft werden und bei der
Ausmittlung des Strafausmaßes müssten vernünftige, dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit
entsprechende Sanktionen gefunden werden. Vor diesem Hintergrund sehe er –
insbesondere auf verfassungsrechtlicher Ebene – keinen „schreienden
Änderungsbedarf“ im Bereich der Laiengerichtsbarkeit, zumal in der Praxis im
Ergebnis ohnedies fast immer das Richtige herauskomme und eine 100%ige Garantie
gegen die Fällung von Fehlurteilen nie erreicht werden könne. Richtig sei
jedoch, dass Laien – und hier insbesondere Geschworene – manchmal
verantwortungsscheu agierten und in der Regel eher mildere Urteile als
Berufsrichter fällten. Dass die Laien im Rahmen der Geschworenengerichtsbarkeit
allein über die Schuldfrage entscheiden, sei auch deshalb problematisch, weil
dieser Wahrspruch über die Schuld oft sehr apodiktisch ausfalle, nicht näher
begründet werde und die Urteilsfällung insofern ohne gesichertes
Tatsachensubstrat erfolge. Auch die Erstellung des Fragenschemas im Vorfeld des
Geschworenenprozesses sei oft sehr schwierig, da man den gesamten – oft sehr
komplexen – Fall in ein Fragenschema pressen müsse, das auch für Laien
verständlich sei und das nur Fragen, die mit „Ja“ oder „Nein“ zu beantworten
seien, enthalten müsse. Zwar halte er das Kontrollbedürfnis der Öffentlichkeit
gegenüber der Justiz bzw. den Berufsrichtern heute für nicht mehr so stark
gegeben wie in früheren Zeiten, doch stelle die Beteiligung von Laien an der
Rechtsprechung auch ein „Anscheinsproblem“ dar: insofern könnten Geschworene
ihre Kompetenzen gerade im Tatsachenbereich in die Urteilsfindung einfließen
lassen und so mithelfen, die allgemeine Akzeptanz der Rechtsprechung in der
Öffentlichkeit zu erhöhen. Hingegen halte er andere Pläne im Bereich der
Laiengerichtsbarkeit, etwa jene zur Schaffung eines so genannten „kleinen
Schöffengerichts“ (1 Berufsrichter, 2 Schöffen) für gefährlich. Zusammenfassend
trete er für die prinzipielle Beibehaltung der Laienbeteiligung in der
Rechtsprechung ein, doch sehe er im Bereich der Geschworenengerichtsbarkeit
sehr wohl einen gewissen Änderungsbedarf: So könnte man überlegen, die
Berufsrichter auch in die Schuldfrage einzubeziehen und den Schuldausspruch
(bzw. Wahrspruch) in Zukunft schriftlich zu begründen.
In der sich nun anschließenden Diskussion wird
– unter Hinweis auf die Kommentare von K. Korinek (zu Art. 91 Abs. 1
B-VG) und Burgstaller (zu Art. 91 Abs. 2 und 3 B-VG), jeweils in
Korinek/Holoubek, Österreichisches Bundesverfassungsrecht, II/2 – festgehalten,
dass der Grundsatz der Laienbeteiligung nicht nur für das Strafrecht, sondern
auch für das Zivilrecht, und hier insbesondere für das Arbeits- und
Sozialrecht, gelte und dass insgesamt – zumindest auf verfassungsrechtlicher
Ebene – kein großer Änderungsbedarf geortet werde. Viel mehr werden von der
überwiegenden Mehrheit des Ausschusses grundsätzlich die Beibehaltung der
Laiengerichtsbarkeit und auch die prinzipielle Beibehaltung des Art. 91 B-VG
gefordert. Von manchen Ausschussmitgliedern werden jedoch Adaptierungen des
geltenden Rechts vorgeschlagen, etwa hinsichtlich der Auswahl und der
Ausbildung der Laien (inklusive des Rechts zu deren Ablehnung), hinsichtlich
der Transparenz und Öffentlichkeit der Belehrung und hinsichtlich der
Einführung einer schriftlichen Begründungspflicht für den Wahrspruch.
Vereinzelt wird auch die Beiziehung von am Verfahren nicht beteiligten
Berufsrichtern als „Berater“ der Geschworenen gefordert. Von mancher Seite wird
gefordert, den Art. 91 Abs. 1 B-VG klarer zu formulieren und etwa die Wortfolge
„.. nach Maßgabe der Gesetze ..“ einzufügen. Von anderen wird die
Aufstellung einer Mindestgrenze für den Bereich der Schöffengerichtsbarkeit
vorgeschlagen. Wieder andere werfen die Frage auf, ob die Unterscheidung
zwischen Geschworenen- und Schöffengerichtsbarkeit auf Verfassungsebene
überhaupt notwendig sei oder ob man es nicht besser dabei belassen sollte, den Grundsatz
der Laiengerichtsbarkeit und deren ureigensten Sinn und Zweck
verfassungsrechtlich zu verankern, jedoch die näheren Details dem einfachen
Gesetzgeber vorzubehalten. Hingewiesen wird auch darauf, dass Art. 91 Abs. 2
und 3 B-VG den Kernbereich des gerichtlichen bzw. judiziellen Strafrechts
definiere und schon aus diesem Grund seine Beibehaltung auch in Zukunft
erforderlich sei. Es wird auch zur Diskussion gestellt, ob die Bestimmung des §
28 ÜG 1920, wonach die (im Jahr 1920) geltenden Bestimmungen über die
Zuständigkeit und Zusammensetzung der Zivil- und Strafgerichte bis auf weiteres
in Kraft bleiben, in den Art. 91 B-VG integriert werden sollte. Insoweit darauf
hingewiesen wird, dass es einen international zu beobachtenden Trend in
Richtung Einführung und Ausbau der Laiengerichtsbarkeit gebe, wird dem
entgegengehalten, dass es einen solchen Trend – mit Ausnahme von Russland, wo
derzeit die Einführung der Laiengerichtsbarkeit nach amerikanischem Vorbild in
die Wege geleitet werde – im restlichen Europa tatsächlich nicht gebe.
Von mancher Seite wird schließlich
vorgeschlagen, einerseits die Auswahl der Schöffen und Geschworenen besser und
transparenter zu gestalten und andererseits deren Ausbildung zu verbessern. Dem
wird jedoch entgegengehalten, dass das Auswahlverfahren, das nach dem
Zufallsprinzip einen möglichst repräsentativen Querschnitt der Bevölkerung
gewährleisten sollte, relativ detailliert im Geschworenen- und
Schöffengerichtsgesetz aus dem Jahr 1990 geregelt ist, worin auch Ablehnungsrechte
vorgesehen seien. Das Aufstellen höherer Hürden für die Zulassung als
Geschworener oder Schöffe sei nicht erstrebenswert, zumal dies noch mehr
Ablehnungen provozieren würde und darüber hinaus verfassungsrechtlich insofern
problematisch wäre, als Art. 91 Abs. 1 B-VG ausdrücklich vom „Volk“ spreche,
womit wohl die durchschnittliche Bevölkerung und nicht etwa nur
akademisch oder fachlich gebildete Staatsbürger gemeint seien. Auch
hinsichtlich der Forderung nach verstärkter Ausbildung der Laien stelle sich die
Frage, wer diese durchführen und finanzieren sollte und ob eine solche zeit-
und kostenintensive Ausbildung nicht dazu führen würde, dass sich noch mehr
ausgewählte Personen als ohnehin schon jetzt ihrer Aufgabe entziehen. Dazu
komme, dass einem als Schöffe oder Geschworener ausgewählten Laien schon jetzt
eine Broschüre zugesendet werde, in der er über seine wesentlichen Rechte und
Pflichten aufgeklärt werde.
Der Ausschussvorsitzende versucht das
Ergebnis der Diskussion dahingehend zusammenzufassen, dass im Ausschuss zwar
generell die Laiengerichtsbarkeit als solche nicht in Frage gestellt werde und
daher auch in Zukunft beibehalten werden sollte, dass aber eine Änderung der
Geschworenengerichtsbarkeit in ihrer derzeitigen Form in einigen Punkten (z.B. Auswahl
und Ausbildung, Erstellung des Frageschemas, Öffentlichkeit der Belehrung,
Begründungspflicht des Wahrspruchs, Einbeziehung der Berufsrichter auch in die
Entscheidung über die Schuldfrage, etc.) durchaus vorstellbar sei; diese müsste
jedoch auf einfach gesetzlicher Ebene durchgeführt werden. Vor diesem
Hintergrund sei durchaus zu überlegen, ob nicht Art. 91 B-VG, insbesondere
dessen Abs. 2, eine etwas offenere Formulierung erhalten sollte. Im Übrigen
werde die Diskussion – auf der Grundlage der an alle Ausschussmitglieder zu
versendenden Kommentare von K. Korinek und Burgstaller in
Korinek/Holoubek, Österreichisches Bundesverfassungsrecht, II/2 – noch
fortzusetzen sein.
Präsident Univ.-Prof. Dr. Korinek teilt – in seiner Eigenschaft als
Vorsitzender des Ausschusses 2 – mit, dass der Bericht des Ausschusses 2 im
Wesentlichen fertig gestellt sei und dass von den insgesamt ca. 600
untersuchten verfassungsrechtlichen Bestimmungen etwa ein Drittel an andere
Ausschüsse zur Beratung zugewiesen worden sei, wobei auch der Ausschuss 9 ca.
30 Verfassungsbestimmungen dahingehend zu prüfen haben werde, ob diese im
Verfassungsrang (in der Stammurkunde oder als „Trabanten“) beibehalten oder
aber aus dem Verfassungsrecht eliminiert werden sollten.
Der Ausschussvorsitzende bedankt sich
bei allen erschienenen Ausschussmitgliedern und Vertretern für deren rege und
konstruktive Mitarbeit und teilt mit, dass die nächste Sitzung des Ausschusses
9 am
7. Juni 2004, 09.00 Uhr bis ca. 16.00 Uhr,
Parlament, Ausschusslokal V,
stattfinden werde.
Vorsitzender des Ausschusses 9: Fachliche
Ausschussunterstützung:
Univ.-Prof. Dr. Herbert Haller e.h. Dr. Gert Schernthanner e.h.