Anwesende:
Ausschussmitglieder (Vertreter):
Univ.-Prof. Dr. Herbert Haller (Vorsitzender)
Univ.-Prof. Dr. Clemens Jabloner (stellvertretender
Vorsitzender)
Univ.-Prof. Dr. Bernd-Christian Funk
Univ.-Prof.
DDr. Christoph Grabenwarter
Dr. Gerhard Kuras (als
„Begleitperson“ von Dr. Johann Rzeszut)
DDr. Karl Lengheimer
Dr. Johann Rzeszut (ab
ca. 18.00 Uhr)
Dr. Johannes Schnizer
Dr. Kurt Stürzenbecher (als
Vertreter für Mag. Renate Brauner)
Weitere Teilnehmer:
Mag. Ronald Faber (für
Univ.-Prof. Dr. Heinz Fischer)
Mag. Gerda Marx (als
„Begleitperson“ von
Univ.-Prof. Dr. Bernd-Christian Funk)
Dr. Rosi Posnik (für
Dr. Claudia Kahr)
Mag.
Thomas Sperlich (für
Mag. Terezija Stoisits)
Büro des Österreich-Konvents:
Dr. Gert Schernthanner (fachliche
Ausschussunterstützung)
Sladjana Marinkovic (Ausschusssekretariat)
Entschuldigt:
Elisabeth
Gehrer
Univ.-Prof.
Dr. Gerhart Holzinger
Univ.-Prof.
Dr. Karl Korinek
Mag.
Terezija Stoisits
Beginn: 17.00
Uhr
Ende: 21.00
Uhr
Tagesordnungspunkte
1) Begrüßung und
Mitteilung
2) Beratung des
Themenkomplexes „Einführung der Landesverwaltungsgerichtsbarkeit“
3) Weiteres Vorgehen
Der Ausschussvorsitzende begrüßt die Mitglieder
des Arbeitskreises und stellt die Anwesenheit fest. Er stellt das heute zu
beratende Thema in seinen wesentlichen Grundzügen vor und schlägt vor, die
Diskussion auf der Grundlage des von Prof. Grabenwarter überarbeiteten
Entwurfs des Bundeskanzleramts-Verfassungsdienst aus dem Jahr 1998 zu führen.
Man kommt überein, dass Prof. Grabenwarter gebeten wird, ohne Eingehen
auf Formulierungen die relevanten Eckpunkte einer Regelung vorzustellen.
Tagesordnungspunkt 2: Beratung des Themenkomplexes „Einführung
der Landesverwaltungsgerichtsbarkeit“
Prof. Grabenwarter
erläutert eingangs der Diskussion den von ihm überarbeiteten Entwurf des Bundeskanzleramts-Verfassungsdienst
aus dem Jahr 1998 in seinen wesentlichen Grundzügen und nennt schlagwortartig
insgesamt 11 Fragen, die vom Ausschuss 9 bzw. von der eingesetzten „kleinen
Arbeitsgruppe“ zu beantworten sein werden, nämlich:
1)
Zweigliedrigkeit
der Verwaltungsgerichtsbarkeit?
2)
Einführung
des Modells „9“ („nur“ 9 Landesverwaltungsgerichte) oder des Modells „9 + 1“ (9
Landesverwaltungsgerichte und ein Bundesverwaltungs-gericht 1. Instanz)?
3)
VwGH
als reines Revisionsgericht? Ablehnungsmodell oder Zulässigkeits-modell?
4)
Zukünftiges
Schicksal der Art. 133 Z 4 B-VG-Behörden (Beibehaltung oder „Aufgehen lassen“
in zukünftigen Landesverwaltungsgerichten)?
5)
Zukünftiges
Verhältnis zwischen VfGH und VwGH?
6)
Bundesweit
einheitliches Verfahrensrecht für alle Landesverwaltungsgerichte (und das
Bundesverwaltungsgericht 1. Instanz)?
7)
Zukünftiges
Schicksal der Unabhängigen Verwaltungssenate?
8)
Möglichkeit
der Erhebung einer Säumnisbeschwerde bei Untätigkeit der
Landesverwaltungsgerichte?
9)
Einbeziehung
der Finanzgerichtsbarkeit in die zukünftige Landesverwaltungs-gerichtsbarkeit?
10)
Beibehaltung
der Sonderrolle der Bundeshauptstadt Wien (als Landeshauptstadt und
Bundesland)?
11)
Art
der Entscheidungsbefugnis der zukünftigen Landesverwaltungsgerichte: Kassation
oder Reformation?
[Anmerkung der Verfasser dieses Protokolls:
Soweit im Folgenden die Diskussion über die gerade aufgezählten Punkte
tatsächlich geführt wurde, folgt das Protokoll – aus Gründen der Klarheit und
Übersichtlichkeit – der gewählten
Nummerierung der einzelnen Diskussions-punkte.]
Der Ausschussvorsitzende nennt – zusätzlich zu
den von Prof. Grabenwarter angeführten Diskussionspunkten – als weitere
Diskussionspunkte die Stellung der Richter in den zukünftigen
Landesverwaltungsgerichten und die Frage der Beiziehung von Berufsrichtern
(etwa die Einführung eines „Richterdrittels“ nach Vorbild des VwGH?).
Prof. Funk regt an, auch die Frage des
Kreises der Anfechtungsgegenstände und des Umfangs der Entscheidungsbefugnis
der Landesverwaltungsgerichte zu diskutieren.
Der stellvertretende Ausschussvorsitzende hält
fest, dass die Frage der Einführung der Landesverwaltungsgerichtsbarkeit nur im
Zusammenhang mit der geplanten Bundesstaatsreform (insbesondere vor dem
Hintergrund des Entfalls der mittelbaren Bundesverwaltung) zu verstehen und zu
diskutieren sei.
Dr. Schnizer regt an, auch die Grundzüge
des Verfahrensrechts, insbesondere die Einführung einer Amtsbeschwerde oder
einer Verbandsklage, zu diskutieren.
Diskussionspunkt 1: Zweigliedrigkeit der
Verwaltungsgerichtsbarkeit?
In der Arbeitsgruppe herrscht weitgehend
Konsens darüber, dass es einen 2-, u.U. 3-gliedrigen Instanzenzug geben solle,
nämlich von der Verwaltungsbehörde zum Landesverwaltungsgericht (bzw. zum
Bundesverwaltungsgericht 1. Instanz) und in bestimmten Fällen weiter zum VwGH.
Eine Ausnahme könne es lediglich im Bereich der Selbstverwaltung der Gemeinden
geben. Das Institut der Berufungsvorentscheidung solle beibehalten werden.
Diskussionspunkt 2: Einführung des Modells „9“
(„nur“ 9 Landesverwaltungsgerichte) oder des Modells „9 + 1“ (9
Landesverwaltungsgerichte + 1 Bundesverwaltungsgericht 1. Instanz)?
In der Arbeitsgruppe besteht weitgehend Konsens
darüber, dass das Modell „9 + 1“ schon deshalb vorzuziehen sei, weil sowohl
bestimmte Sondermaterien (wie etwa das Fremdenrecht einschließlich der
Schubhaftprüfung) als auch bestimmte bereits jetzt bestehende „Sondergerichte“
(wie etwa der UBAS, der Bundeskommunikationssenat oder auch die
Bundesagrarsenate) die Einrichtung eines zentralen Bundesverwaltungsgerichts 1.
Instanz erforderlich machten. Dem entsprechend sollten die zahlreichen derzeit
bestehenden Art. 133 Z 4 B-VG-Behörden zum Teil in die neuen
Landesverwaltungsgerichte und zum Teil in das geplante Bundesverwaltungsgericht
1. Instanz eingegliedert werden. Unter Zugrundelegung der von Grabenwarter
und Holoubek (vgl dazu näher Grabenwarter/Holoubek, Demokratie,
Rechtsstaat und Kollegialbehörden mit richterlichem Einschlag, ZfV 2000/520)
entwickelten Typologie (Einteilung der Kollegialbehörden mit richterlichem Einschlag
in folgende vier Typen: Kollegialbehörden mit Kontrollfunktion,
Kollegialbehörden als „Strafbehörden“ 1. Instanz, Kollegialbehörden als
Schiedsinstanzen und Kollegialbehörden zur Verwaltungsführung) sollten die der
Rechtskontrolle dienenden und die als „Strafbehörden“ fungierenden
Kollegialbehörden jedenfalls in die neuen Landesverwaltungsgerichte
eingegliedert werden, während die primär der Verwaltungsführung dienenden
Kollegialbehörden jedenfalls „draußen bleiben“ sollten. Hinsichtlich des weiteren
Schicksals der als Schiedskommissionen fungierenden Kollegialbehörden bestehen
unterschiedliche Meinungen.
In den Landesverwaltungsgerichten sollten
einerseits Einzelrichter und andererseits 3-Richter-Senate sowie schließlich
Fachsenate (mit Laien- bzw. Expertenbeteiligung) entscheidungsbefugt sein.
Hinsichtlich der Finanzgerichtsbarkeit wird die Meinung vertreten, dass diese
jedenfalls vom „Niveau“ dem neuen System der Landesverwaltungsgerichtsbarkeit
entsprechen solle, wobei jedoch von mancher Seite Bedenken dahingehend geäußert
werden, dass dann Bundesgerichte (im funktionellen Sinn) auch über
Landesabgaben und Gemeindeabgaben entscheiden würden, was Probleme im
Zusammenhang mit der Kompetenzverteilung und der Gemeindeautonomie aufwerfen
könnte. Einhellig wird die Meinung vertreten, dass die (für die Einführung der
Landesverwaltungsgerichtsbarkeit so wichtige) Kostentragungsproblematik in
diesem Ausschuss vorläufig ausgeklammert bleiben und von dem erst zu
konstituierenden Ausschuss 10 diskutiert und gelöst werden solle.
Diskussionspunkt 3: VwGH als reines
Revisionsgericht? Ablehnungsmodell oder Zulässigkeitsmodell?
In der Arbeitsgruppe besteht im Wesentlichen
Konsens darüber, dass für den Fall der Einführung der
Landesverwaltungsgerichtsbarkeit der VwGH als Revisionsgericht für die
Entscheidung von Rechtsfragen des Verfahrensrechts und des materiellen Rechts
von erheblicher Bedeutung eingerichtet werden solle. Zur Entlastung des derzeit
stark überlasteten VwGH und im Sinne der Parteien und der rechtsuchenden
Bevölkerung überhaupt sollte – insbesondere auch zur Erreichung einer kürzeren
Verfahrensdauer – der Zugang zum VwGH beschränkt werden. Während also
hinsichtlich des Ziels grundsätzlich Konsens besteht, werden hinsichtlich der
Wege zur Erreichung dieses Ziels im Wesentlichen zwei verschiedene
„Denkschulen“ vertreten, nämlich zum einen das Zulässigkeitsmodell und zum
anderen das Ablehnungsmodell.
Für das „Zulässigkeitsmodell“ (Ausspruch über
die Zulässigkeit der Revision an den VwGH durch das Landesverwaltungsgericht
bzw. das Bundesverwaltungsgericht 1. Instanz) werden einerseits Kostengründe
ins Treffen geführt, zumal die Parteien in diesem Fall zunächst nur den
Zulässigkeitsausspruch und nicht die gesamte Entscheidung (auch ihrem
materiellen Inhalt nach) beim VwGH bekämpfen müssten. Für den Fall der
Einführung dieses Zulässigkeitsmodells wird aber zum Teil eine ausführliche
Begründungspflicht für das Landesverwaltungsgericht gefordert; außerdem sollten
die in 2. Instanz unterlegenen Parteien die Wahl haben, entweder zunächst nur
die Zulässigkeitsentscheidung allein oder aber sogleich alles
(Zulässigkeitsausspruch und Entscheidung dem Grunde nach) zu bekämpfen. Auch
für Massenverfahren (etwa in Steuersachen) eigne sich das Zulässigkeitsmodell
besser, weil dann nicht alle Verfahren gleichzeitig an den VwGH herangetragen
werden müssten, sondern bei den Landesverwaltungsgerichten sozusagen „zwischen
gelagert“ werden könnten, bis nämlich der VwGH den ersten, an ihn
herangetragenen Fall (als Präzedenzfall) entschieden hat. In diesem
Zusammenhang wird von den Vertretern der ordentlichen Gerichtsbarkeit
festgehalten, dass das im Zusammenhang mit der ZPO-Novelle 2002 auch im
arbeits- und sozialgerichtlichen Verfahren eingeführte Zulassungsmodell der ZPO
eine spürbare Entlastung des OGH als Revisionsgericht gebracht habe.
Von den Befürwortern des „Ablehnungsmodells“
wird insbesondere ins Treffen geführt, dass dieses Modell bereits geltendes
Recht sei (Art. 131 Abs. 3 B-VG iVm §§ 33a ff VwGG) und sich in der
Vergangenheit im Wesentlichen bewährt habe. Durch dieses Modell sei die
Einheitlichkeit der höchstgerichtlichen Judikatur insofern besser
gewährleistet, als der VwGH aus der Aktenlage etwas erkennen und aufgreifen
könne, was die Parteien während des gesamten Verfahrens nicht gesehen haben;
diese Möglichkeit müsse auch in Zukunft bestehen bleiben. Vereinzelt wird an
der (zu) strengen Judikatur der Höchstgerichte zu den § 41 ff VwGG Kritik geübt
und eine Erleichterung der derzeit bestehenden „Begründungslast“ der Parteien
gefordert. Dem wird von anderen entgegengehalten, dass diese strenge Judikatur
im Sinne der Vollziehbarkeit beibehalten werden solle und insbesondere der
Anwaltszwang für die Einbringung von VwGH-Beschwerden aufrecht bleiben müsse.
Diskussionspunkt 6: Bundesweit einheitliches
Verfahrensrecht für alle Landes-verwaltungsgerichte (und das
Bundesverwaltungsgericht 1. Instanz)?
Grundsätzlich herrscht in der Arbeitsgruppe
Konsens darüber, dass es ein bundeseinheitliches Verfahrensrecht für alle
Landesverwaltungsgerichte und das Bundesverwaltungsgericht 1. Instanz geben
solle. Jedoch wird die Frage, wer für die Erlassung der Regelungen im Einzelnen
zuständig sein solle (der Bundesgesetzgeber als Materiengesetzgeber oder die
Ländergesetzgeber als Organisationsgesetzgeber?), unterschiedlich beantwortet.
Auch die Frage, ob die Landesverwaltungsgerichte als Einzelrichter, als
3-Richter-Senate oder als Fachsenate entscheiden sollten, wird kontroversiell
diskutiert; Einigkeit besteht aber dahingehend, dass diese Frage nicht auf
Verfassungsebene geregelt werden müsse; der Ausschuss 9 sollte sich jedoch im
Abschlussbericht ausdrücklich zu dieser Frage äußern.
Von einigen Seiten wird darauf hingewiesen,
dass die Frage nach dem richtigen Verfahrensrecht in einem engen Zusammenhang
mit dem künftigen Verständnis des Legalitätsprinzips zu sehen sei. Von manchen
wird eine Lockerung des Legalitätsprinzips dahingehend gefordert, dass der
Ermessensspielraum für die Verwaltung erweitert werden solle und sich der
Gesetzgeber darauf beschränken solle, in materiellrechtlicher Hinsicht (z.B. im
Bereich der Abfallwirtschaft) bloße Zielbestimmungen vorzugeben und in
prozessrechtlicher Hinsicht die Verfahrensgarantien zu stärken. Die Lockerung
des Legalitätsprinzips sei nicht mit Willkür gleichzusetzen, sondern würde viel
mehr zu einer Flexibilisierung der Verwaltung führen.
Dem wird von mehreren anderen
Sitzungsteilnehmern entgegen gehalten, dass eine Lockerung des Legalitätsprinzips
die Gesetzesflut nicht eindämmen werde, weil der dazu notwendige Gesetzgeber
dabei nicht „mitspielen“ würde. Eine Lockerung des Legalitätsprinzips und eine
Erweiterung des Ermessensspielraums für die Verwaltung produziere lediglich
mehr Rechtsunsicherheit und verstärke die Tendenz hin zum Richterstaat. Als
Beispiel wird etwa Deutschland ins Treffen geführt, das kein so strenges
Legalitätsprinzip wie Österreich kenne, jedoch eine wesentlich höhere
Kontrolldichte durch die Judikatur des BGH aufweise. Im Übrigen wird darauf
hingewiesen, dass am Vortag (dem 20.11.2003) bereits im Ausschuss 3 eine
Diskussion über eine allfällige Lockerung des Legalitätsprinzips geführt worden
sei.
Von mehreren Sitzungsteilnehmern wird auf die
Bedeutung und die Notwendigkeit der Raschheit des durchzuführenden Verfahrens
hingewiesen; in diesem Zusammenhang wird einerseits die Forderung nach
Einführung eines einstweiligen Rechtsschutzes (einstweilige Verfügung) erhoben;
andererseits wird auch ein Fristsetzungsmodell ins Spiel gebracht, das in einer
ersten Stufe Fristsetzungsanträge beim Landesverwaltungsgericht bzw. beim
Bundesverwaltungsgericht 1. Instanz sowie später beim VwGH und in einer zweiten
Stufe ein Schadenersatzmodell (nach europäischem Vorbild) vorsehen könnte. Es müsse
jedenfalls für die jeweils betroffene Gebietskörperschaft als Rechtsträger
einen finanziell nachteiligen (und spürbaren) Effekt haben, wenn ein Verfahren
über viele Monate oder gar Jahre verzögert werde. Es wird vorgeschlagen, ein
solches neu zu schaffendes Schadenersatzmodell gemeinsam mit der ebenfalls noch
zu erörternden Staatshaftungsfrage zu diskutieren.
Es herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass
ein neues bundeseinheitliches Verfahrensrecht, das ein „mehr“ an Rechtsschutz
bringe, zwar grundsätzlich zu begrüßen sei, es dadurch jedoch nicht zu
überproportional langen Verfahrensverzögerungen kommen dürfe.
Nächster Diskussionspunkt: Stellung der Richter
Die überwiegende Mehrheit der
Sitzungsteilnehmer ist sich darin einig, dass in den neu zu schaffenden
Landesverwaltungsgerichten – neben juristisch gebildeten Verwaltungsbeamten und
Juristen mit einer gewissen (mehrjährigen) Berufserfahrung – unbedingt auch
Berufsrichter tätig sein sollten. Ob dabei – nach Vorbild des Art. 134 Abs. 3
B-VG für den VwGH – ein so genanntes „Richterdrittel“ oder aber ein anderer
Prozentsatz beschlossen werden sollte, sei dabei sekundär; wichtig sei jedoch,
dass überhaupt Berufsrichter beteiligt seien. Insbesondere von den Vertretern
der ordentlichen Gerichtsbarkeit (aber nicht nur von diesen) wird dabei betont,
dass Berufsrichter gewohnt seien, unabhängig und lediglich auf Grund der
geltenden Gesetze zu entscheiden. Die äußere Distanz der Richter zur Verwaltung
spiegle sich in ihrer inneren Einstellung und Unabhängigkeit wieder.
Nur vereinzelt wird die Meinung vertreten, dass
die Frage der Herkunft der zukünftigen Richter der Landesverwaltungsgerichte
sekundär sei. Hingewiesen wird jedoch darauf, dass die notwendige Mindestdauer
der Berufserfahrung, die derzeit etwa in Art. 134 Abs. 3 B-VG mit 10 Jahren
angesetzt sei, reduziert werden müsse. Von einer Seite wird angeregt, dass die
Beteiligung von Berufsrichtern als eine Soll-Bestimmung in den Verfassungstext
eingefügt werden solle. Demgegenüber wird von anderer Seite gefordert, dass
auch die aus der Verwaltung kommenden (zukünftigen) Richter einer richterlichen
Fortbildung unterzogen und zusätzlich ausgebildet werden sollten.
Nächster Diskussionspunkt:
Anfechtungsgegenstand – Umfang der Entscheidungs-befugnis
In der Arbeitsgruppe besteht insoweit Konsens,
als die zur Anrufung der neu zu schaffenden Landesverwaltungsgerichte
berechtigenden Anfechtungsgegenstände – wie schon bisher – einerseits Bescheide
und andererseits Akte unmittelbarerer verwaltungsbehördlicher Befehls- und
Zwangsgewalt (Maßnahmen) sein sollten. Darüber hinaus wird jedoch die Forderung
erhoben, diesen Katalog um die so genannten „Eingriffe“ in subjektive Rechte
von einzelnen Rechtsunterworfenen durch die Staatsgewalt zu erweitern: diese
könnten Informations-, Unterlassungs- und situative Eingriffe oder auch
faktische Verwaltungsakte und staatliche Warnungen sein. Als Beispiele seien
etwa Maßnahmen nach dem Sicherheitspolizeigesetz oder nach dem
Militärbefugnisgesetz zu nennen. Solche „Eingriffe“ könnten nach Vorbild des
„Verwaltungsakts“ nach deutschem Recht konstruiert werden. Auch unterlassene
Maßnahmen könnten als Ausdruck einer faktischen Amtsgewalt Eingriffe in die
Rechte der Bürger sein und müssten daher als solche bekämpfbar sein.
Dieser neu erhobenen Forderung wird zwar
grundsätzlich zugestimmt, es wird jedoch mehrheitlich darauf hingewiesen, dass
ein sachgerechter Einbau dieser neu zu definierenden „Eingriffe“ in das
gegenwärtige System notwendig sei und dass grundsätzlich an die bestehenden Instrumentarien
angeknüpft werden solle. Der bestehende Formenzwang sei nützlich und
erforderlich, müsse aber inhaltlich erweitert werden, etwa um „sonstige
Eingriffe in subjektive Rechte“ oder „Maßnahmen faktischer Amtsgewalt“ oder so
genannte (in letzter Zeit vermehrt abgeschlossene) „Verwaltungsverträge“ bzw.
„Verwaltungsvereinbarungen“. Wichtig sei jedenfalls, dass die neuen Formen des
Verwaltungshandelns, wie z.B. der Verwaltungsvertrag (vgl etwa den so genannten
„Integrationsvertrag“) nicht dazu genützt werden dürften, den Rechtsschutz der
davon Betroffenen zu untergraben und den Rechtsstaat langfristig auszuhöhlen.
In weiterer Folge wird die Abgrenzung zwischen
öffentlichem Recht und Privatrecht diskutiert und dabei vereinzelt die
Forderung nach einer Auflockerung dieser Abgrenzung erhoben; neue
Entscheidungsformen, wie etwa jene des – schon zitierten – Verwaltungsvertrags,
bedürften auch neuer Antworten durch den Gesetzgeber. Als Beispiel wird u.a.
das Problem der Bundesbetreuung genannt: Auch wenn der OGH dafür – über den
Umweg bzw. die Hilfskonstruktionen der Selbstbindungsgesetze und der
Fiskalgeltung der Grundrechte (auch in der Privatwirtschaftsverwaltung) – seine
Zuständigkeit beansprucht habe, sei die Bundesbetreuung doch von ihrem Wesen
her hoheitliches Handeln und müsse daher eine diesbezügliche Regelung im
öffentlichen Recht angesiedelt werden. Das Problem mit den
Selbstbindungsgesetzen bestehe auch darin, dass der Gesetzgeber ja nicht
gehalten sei und auch nicht gezwungen werde könne, solche selbst bindenden
Gesetze zu erlassen. Insbesondere von den Vertretern der ordentlichen
Gerichtsbarkeit wird jedoch darauf hingewiesen, dass das bisher verwendete Abgrenzungskriterium
zwischen dem öffentlichen Recht und dem Privatrecht, nämlich der Umstand, ob
mit oder ohne „imperium“ gehandelt wurde, ein durchaus taugliches gewesen sei
und gerade beim genannten Beispiel der Bundesbetreuung drohende
Rechtsschutzdefizite durch die Judikatur des OGH beseitigt worden seien.
Insofern wird die geforderte Lockerung der Abgrenzung zwischen öffentlichem
Recht und Privatrecht mit einer gewissen Skepsis bewertet, da sie neue
Abgrenzungsprobleme schaffe.
Insgesamt besteht zumindest insoweit Konsens,
als die im geltenden Recht bestehende Typengebundenheit grundsätzlich
beibehalten, jedoch um neue Formen des Verwaltungshandelns – behutsam –
erweitert werden sollte.
Diskussionspunkt 11: Art der
Entscheidungsbefugnis der zukünftigen Landes-verwaltungsgerichte: Kassation
oder Reformation?
Auch wenn kein Konsens darüber erzielt werden
kann, ob eine rein reformatorische oder eine rein kassatorische
Entscheidungsbefugnis der neu einzuführenden Landesverwaltungsgerichte
vorgesehen werden sollte, geht die Mehrheitsmeinung doch eher in Richtung einer
im Wesentlichen reformatorischen Entscheidungsbefugnis mit gewissen
kassatorischen Abweichungen. Grundsätzlich solle das Landesverwaltungsgericht,
insbesondere dann, wenn die Beweise erhoben worden sind und der Sachverhalt
festgestellt worden ist, reformatorisch entscheiden, um überflüssige
Verfahrensverzögerungen zu vermeiden. Nur dann, wenn eine (genauere)
Durchführung oder Wiederholung des Beweisverfahrens oder einer mündlichen
Verhandlung unvermeidlich erscheint, d.h. für die Verhandlungsbehörde noch
Entscheidungsressourcen bestehen, wäre – nach Vorbild des geltenden § 66 Abs. 2
AVG – kassatorisch zu entscheiden. Ebenso solle es im Fall von
Ermessensentscheidungen der Verwaltungsbehörde bei einer kassatorischen
Entscheidungsbefugnis verbleiben. Ganz grundsätzlich dürfe diese Unterscheidung
nicht dramatisiert bzw. zur „Gretchenfrage“ hochstilisiert werden, zumal die
Unterschiede nicht so gravierend seien und es zwischen den beiden „Extrempolen“
Kassatorik und Reformatorik eine Reihe von Übergängen gebe.
Bereits die im geltenden Recht bestehende
Konstruktion, dass die belangte Behörde an die Rechtsansicht des VwGH gebunden
ist, bedeute einen Schritt in Richtung Reformation. Andererseits bedürfe es
selbstverständlich einer kassatorischen Regelung nach Vorbild des derzeitigen §
66 Abs. 2 AVG. Schließlich bliebe – selbst bei Einführung einer grundsätzlich
meritorischen Entscheidungsbefugnis der neuen Landesverwaltungsgerichte – der
Einfluss der Ämter der Landesregierungen aufgrund ihrer Aufsichts- und
Weisungsrechte jedenfalls gewahrt. Mehrheitlich wird die Meinung vertreten,
dass die Grundsatzentscheidung zwischen Reformation und Kassation nicht auf
verfassungsrechtlicher Ebene getroffen werden müsse, zumal auch nach
derzeitiger Rechtslage etwa die systematisch und praktisch so wichtige
Einschränkung des VwGH auf die Kassation bei Bescheidbeschwerden nur auf
einfachgesetzlicher Ebene – nämlich in § 42 VwGG – verankert sei.
In diesem Zusammenhang wird die Diskussion über
eine Lockerung des Legalitätsprinzips noch einmal aufgenommen, wobei letztlich
der Forderung nach einer radikalen Lockerung („Zertrümmerung“) des
Legalitätsprinzips mehrheitlich eine Absage erteilt wird.
Diskussionspunkt 10: Beibehaltung der Sonderrolle der
Bundeshauptstadt Wien (als Landeshauptstadt und Bundesland)?
Seitens des Vertreters der
Gemeinde Wien wird die Forderung erhoben, die Sonderstellung Wiens als
Bundesland und Ortsgemeinde ebenso beizubehalten wie die für Wien eingerichteten
„Sonderbehörden“, wie etwa die Abgabenberufungskommission und die
Bauoberbehörde (vgl Art. 111 B-VG) und den Landesvergabekontrollsenat (vgl Art.
14b Abs. 2 B-VG). Von anderen wird
die Meinung vertreten, dass die Sonderstellung Wiens nur historisch erklärbar
sei und in einer künftigen Verfassung entfallen solle. Wieder andere meinen,
dass die Frage des weiteren Schicksals der für Wien eingerichteten
Sonderbehörden von der grundsätzlichen Entscheidung über die zukünftige
Stellung Wiens (Landeshauptstadt oder Bundesland oder beides?) abhänge.
Diskussionspunkt 4: Zukünftiges Schicksal der Art. 133 Z
4 B-VG-Behörden (Beibehaltung oder „Aufgehen lassen“ in zukünftigen
Landesverwaltungsgerichten)?
Es besteht weitgehend Einigkeit
darüber, dass – nach Fixierung der Grundlagen über die zukünftige Einführung
der Landesverwaltungsgerichtsbarkeit – die bestehenden Kollegial- und
Sonderbehörden „durchforstet“ werden sollten, wobei die Sonderbehörden mit
Kontroll- oder Schiedsfunktionen und die Kontrollbehörden als Strafbehörden 1.
Instanz vom Ausschuss 9, die lediglich der Verwaltungsführung dienenden
Behörden (die so genannten „Regulatoren“) jedoch vom Ausschuss 7 zu behandeln
sein werden. Grundsätzlich solle bei jeder einzelnen vom Ausschuss 9 zu
behandelnden Behörde entschieden werden, ob diese in die neu zu schaffenden
Landesverwaltungsgerichte bzw. den Bundesgerichtshof 1. Instanz eingegliedert
werden sollte oder aber – neben diesen – weiterhin selbständig bestehen bleiben
sollte, wobei sich letztere Möglichkeit insbesondere in den Bereichen des
Dienst- und Disziplinarrechts, u.U. aber auch des Vergaberechts anbieten
könnte. Eine abschließende Entscheidung darüber sei aber erst dann sinnvoll und
zweckmäßig, wenn die Konturen der zukünftigen Landesverwaltungsgerichtsbarkeit
genauer erkennbar seien, zumal praktisch alle anderen Maßnahmen im 6.
Hauptstück des B-VG über die Garantien der Verfassung und der Verwaltung darauf
aufbauen und davon abhängen, ob und inwieweit der VwGH wirksam entlastet werden
könne.
Tagesordnungspunkt 3: Weiteres Vorgehen
Die noch offenen Punkte –
einschließlich der Nomination der Richter der zukünftigen
Landesverwaltungsgerichte – sollen in der nächsten Sitzung des Ausschusses am
15.12.2003, ab 08.00 Uhr, im Parlament besprochen werden.
Der Vertreter von Frau Abg.z.NR
Mag. Stoisits ersucht, die für 16.12.2003, 10.00 bis 16.00 Uhr, im
„Gelben Salon“ des VwGH anberaumte Sitzung des Ausschusses 9 zu Fragen der
ordentlichen Gerichtsbarkeit vom VwGH in das Parlament zu verlegen, da an
diesem Tag auch eine Plenarsitzung des Nationalrats stattfinde und Frau
Abg.z.NR Mag. Stoisits beide Termine unbedingt wahrnehmen wolle. Der
Ausschussvorsitzende teilt mit, dass diesem Wunsch nach Möglichkeit entsprochen
werden wird.
Vorsitzender des Ausschusses 9: Fachliche
Ausschussunterstützung:
Univ.-Prof. Dr. Herbert Haller e.h. Dr. Gert Schernthanner e.h.