Protokoll

über die 33. Sitzung des Ausschusses 4

am 20. Oktober 2004

im Parlament, Lokal III

 

 

Anwesende:

 

Ausschussmitglieder (Vertreter):

 

Univ.Prof. Dr. Bernd-Christian Funk                      (Vorsitzender)

 

Mag. Bernhard Achitz                                           (Vertretung für Friedrich Verzetnitsch)

Mag. Roland Dietrich                                            (Vertretung für Mag. Herbert Haupt)

Prof. Christine Gleixner

Mag. Walter Grosinger                                          (Vertretung für Dr. Ernst Strasser)

Univ.Prof. Dr. Michael Holoubek (vormittags)

Mag. Joachim Preiss                                              (Vertretung für Mag. Herbert Tumpel)

Dr. Johannes Schnizer (nachmittags)                    (Vertretung für

                                                                             Univ.Prof. Dr. Michael Holoubek)

Mag. Terezija Stoisits

Univ.Prof. Dr. Rudolf Thienel (nachmittags)

 

Weitere Teilnehmer/Teilnehmerinnen:

 

Mag. Ronald Faber                                               (Büro Dr. Peter Kostelka)

Alexandra Lucius                                                   (Büro Univ.Prof. Dr. Andreas Khol)

 

Univ.Doz. Dr. Hanspeter Hanreich (beigezogen von

                                                                             Univ.Prof. DDr. Christoph Grabenwarter)

Dr. Thomas Hofbauer                                            (beigezogen von Prof. Ing. Helmut Mader)

Mag. Gerda Marx                                                 (beigezogen von

                                                                             Univ.Prof. Dr. Bernd-Christian Funk)

Mag. Stefan Reise                                                 (beigezogen von Dr. Dieter Böhmdorfer)

Dr. Claudia Rosenmayr-Klemenz                           (beigezogen von Dr. Ernst Strasser)

Mag. Thomas Sperlich                                           (beigezogen von Mag. Terezija Stoisits)

 


Büro des Österreich-Konvents:

 

Dr. Renate Casetti                                                 (fachliche Ausschussunterstützung;

                                                                             Vertretung für Mag. Birgit Caesar)

Sladjana Marinkovic (vormittags)/                        (Ausschusssekretariat;

Valentina Ashurov (nachmittags)                          Vertretung für Monika Siller)

 

Entschuldigt:

 

Dr. Dieter Böhmdorfer                                          (stellvertretender Vorsitzender)

 

Univ.Prof. DDr. Christoph Grabenwarter

Prof. Ing. Helmut Mader

Dr. Johann Rzeszut

 

Beginn:                                  10.00 Uhr

 

Ende:                                     17.00 Uhr

 

 

Tagesordnungspunkte:

 

1.)    Begrüßung und Feststellung der Anwesenheit

2.)    Berichte

3.)    Fortsetzung der Themenbehandlung in merito: konkrete Vorschläge für einzelne Grundrechte („Soziale Grundrechte“)

4.)    Allfälliges

 

 

Tagesordnungspunkt 1: Begrüßung und Feststellung der Anwesenheit

 

Der Ausschussvorsitzende begrüßt die Mitglieder des Ausschusses 4 und die weiteren Anwesenden und stellt die Beschlussfähigkeit fest.

 

 

Tagesordnungspunkt 2: Berichte

 

Der Tagesordnungspunkt „Berichte“ entfällt.

 

 

Tagesordnungspunkt 3: Fortsetzung der Themenbehandlung in merito: konkrete Vor­schläge für einzelne Grundrechte („Soziale Grundrechte“)

 

Recht auf Vereinbarkeit von Beruf und Familie (Synopse D-33, Recht auf Vereinbarkeit von Beruf und Familie, Recht auf Schutz von Ehe und Familie)

 

Der Ausschuss erörtert mit Blick auf unterschiedliche Regelungstechniken bei leistungs­staatlichen Gewährleistungen grundsätzliche Fragen der Auslegung verfassungsrechtlicher Garantien und ihrer Umsetzung. In den vorliegenden Vorschlägen zur Gestaltung solcher Gewährleistungen gibt es zwei Grundtypen von Regelungsmustern:

 

1.   Die positive Formulierung eines subjektiven verfassungsgesetzlich gewährleisteten

Rechtes in Form einer Generalklausel („Jeder Mensch hat das Recht auf ...“) in Verbin­dung mit einer den Staat in Pflicht nehmenden, zumeist demonstrativ formulierten, die Generalklausel ausführenden Aufzählung von Einzelgarantien („Der Staat gewährleistet dieses Recht [insbesondere] durch ...“)

2.   Gewährleistung von Rechten von vornherein in gesetzesvermittelter Form („Durch Gesetz

ist zu gewährleisten ...“).                                                                                                        

 

Während bei Muster Zwei klar ist, dass subjektive Rechte nur aus der Verbindung von verfassungsrechtlichen Gewährleistungen und gesetzlichen Regelungen ableitbar sind, kann Muster Eins in unterschiedlicher Weise ausgelegt werden:

·        Eine Variante besteht darin, dass die Gewährleistungsformel in der Aufzählung im Sinne einer Mediatisierung von Ansprüchen durch Gesetz (einschließlich gesetzlicher General­klausel) oder gesetzesfunktionelle Vorschriften wie Kollektivverträge zu verstehen ist.

·        Eine andere Auslegungsmöglichkeit besteht darin, dass Variante 1 in allen Fällen als unmittelbar anwendbare Grundlage für subjektiv verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte verstanden wird, welche für alle Staatsfunktionen unmittelbar verbindlich sind und insbesondere auch im Gerichtsweg im Verhältnis zwischen Privaten unmittelbar durch­gesetzt werden können.

 

Sämtliche Modelle und deren Varianten sind in den Konsequenzen in Bezug auf die Um­setzung, den Rechtsschutz und die Normenkontrolle differenziert zu beurteilen. Eine Konver­genz ist im Verhältnis des Modells Eins in der 1. Variante und des Modells Zwei anzuneh­men.

 

Univ.Prof. Dr. Thienel weist darauf hin, dass die am heutigen Vormittag stattgefundene Diskussion über sehr allgemeine Fragen der Auslegung der sozialen Grundrechte nicht der bei der gestrigen Sitzung vereinbarten Vorgangsweise entsprochen hat. Auf ausdrücklichen Wunsch von Univ.Prof. Dr. Thienel hat der Vorsitzende anlässlich der gestrigen Beendigung der Sitzung zugesagt, dass am Vormittag der heutigen Sitzung über konkrete Grundrechte weiter beraten wird. Weder aus der Tagesordnung noch aus dieser Absichtserklärung des Vorsitzenden war erkennbar, dass am heutigen Vormittag derartige allgemeine Fragen diskutiert werden.

Univ.Prof. Dr. Thienel hält derartige allgemeine Erwägungen zu grundrechtlichen Ausle­gungsfragen nicht für zielführend und spricht sich ausdrücklich dagegen aus, diese Ausfüh­rungen in den Ausschussbericht aufzunehmen. Er hält fest, dass die in den vorstehenden Protokollabschnitten gemachten Ausführungen keinerlei Bindungswirkung für die Inter­pretation einzelner diskutierter Garantien haben können.

 

Der Vorsitzende hält dazu fest, dass die Beratung des Ausschusses zu Beginn der Sitzung die in der Synopse D-33 ausgewiesenen Vorschläge betreffend ein „Recht auf Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ zum Gegenstand hatte. Dies entsprach der bei der vergangenen Sitzung in Aussicht gestellten Vorgangsweise. Als Vorfrage zur Erörterung des „Rechts auf Vereinbar­keit von Beruf und Familie“ wurde im Ausschuss die allgemeine Thematik jener verschiede­nen Modelle für wichtig gehalten und diskutiert, denen sich der Ausschuss am Vormittag zugewandt hat.

Der Vorsitzende wendet sich gegen eine Interpretation, die darin ein Abweichen von der in Aussicht genommenen Vorgangsweise sieht. Angemerkt sei auch, dass die begonnene Bera­tung über das „Recht auf Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ zum Beginn der Nachmittags­sitzung nicht abgeschlossen war. Der Vorsitzende ist der Auffassung – und sieht sich darin durch die Tatsache der Erörterung im Ausschuss bestätigt –, dass eine Auseinandersetzung über allgemeine Struktur- und Auslegungsfragen namentlich bei sozialen Grundrechten von der Sache her geboten, im Mandat des Ausschusses eingeschlossen und zur Vereinfachung der weiteren Vorgangsweise erforderlich ist. Es ist nach Auffassung des Vorsitzenden eine Selbstverständlichkeit, dass keine der Erörterungen im Ausschuss irgendeine verbindliche Wirkung beanspruchen können. Es ist nach Auffassung des Vorsitzenden aber auch zur Kenntnis zu nehmen, dass die Themenbehandlung im Ausschuss von der Sache her bestimmt und durch das Vorgehen des Ausschusses selbst legitimiert wird.

 

Univ.Prof. Dr. Thienel zieht den Antrag einer Abstimmung darüber, den Protokollpunkt nicht in den Bericht des Ausschusses aufzunehmen, zurück.

 

 

Der Ausschuss stellt die begonnene Diskussion über das „Recht auf Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ zurück und setzt mit der Erörterung des allgemeinen Teils des Sozialpartner­vorschlages (Punkte 1 bis 4) fort:

 

 

Zu Pkt. 1 (Allgemeines) des Sozialpartnervorschlages:

Die Punkte 1 bis 4 beziehen sich auf alle Grundrechte (klassische und soziale).

Grundrechte wirken staatsgerichtet und nicht direkt zwischen Privaten – keine „unmittelbare Drittwirkung“ (Ausnahme: Grundrecht auf Datenschutz).

 

Dazu wird angemerkt, dass die Textvorschläge unter Pkt. 7, 8 und 9 für sich genommen auch im Sinne einer unmittelbaren Drittwirkung interpretiert werden könnten, dass dies aber nicht dem Konzept des Vorschlages entspräche.

 

Werden aus Grundrechten Leistungsansprüche abgeleitet, bestehen diese in angemessenem, die Wettbewerbsfähigkeit der österreichischen Wirtschaft und die Bedürfnisse der Einzelnen berücksichtigenden, Umfang.

 

In der Diskussion im Ausschuss wird darauf verwiesen, dass es sich um Abwägungsgesichts­punkte handelt, die dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprechen und mit denen diver­gente Interessen in angemessener Weise zu einem Ausgleich gebracht werden können.

Weiters wird darauf hingewiesen, dass der Bezug zur Wettbewerbsfähigkeit der österreichi­schen Wirtschaft im Sinne einer möglichen Begrenzung von Leistungsansprüchen aus Grün­den einer Beeinträchtigung von makroökonomischen Interessen zu verstehen ist.

Auch wird angemerkt, dass es sich um eine Maßstabsnorm handelt, die neben der Gesetz­gebung die Kontrolle, insbesondere auch die Normenkontrolle, sowie die Vollziehung bindet. Die darin angesprochene Berücksichtigung der Wettbewerbsfähigkeit ist nur eines von mehreren wirtschafts- und sozialpolitisch relevanten Maßstabskriterien. Solche Kriterien ergeben sich insbesondere aus Staatszielbestimmungen und aus den in den Grundrechten enthaltenen Zielvorgaben. Sollte der im Sozialpartnerpapier ausgedrückte Grundsatz in eine explizite verfassungsrechtliche Abwägungsnorm Eingang finden, so müsste die entsprechende Formulierung der Breite der Abwägungsgesichtspunkte Rechnung tragen.

Eine solche explizit formulierte Abwägungsregel könnte im Zusammenhang mit dem Grund­satz der Verhältnismäßigkeit und/oder im Rahmen eines allgemeinen Teiles leistungsbezo­gener Grundrechte kodifiziert werden.

 

Im Ausschuss besteht Konsens, dass das Anliegen unter Pkt. 1 Abs. 3 des Sozialpartner­vorschlages im Sinne der obigen Ausführungen zu berücksichtigen ist.

 

 

Zu Pkt. 2 und 3 (Subsidiarantrag und Staatshaftung) des Sozialpartnervorschlages:

Nach Abschluss des Verfahrens vor einem zweitinstanzlichen Gericht soll der Beschwerde­führer das Recht haben, beim VfGH einen „Subsidiarantrag“ auf Normprüfung zu stellen. In diesem Fall wird die Frist zur Einbringung eines Rechtsmittels beim OGH bis zur Entschei­dung des VfGH gehemmt. Der VfGH hat ein Ablehnungsrecht innerhalb einer Frist von ... in Fällen, die keine hinreichende Aussicht auf Erfolg haben, insbesondere weil die angefochtene Norm bereits Gegenstand einer früheren verfassungsgerichtlichen Prüfung war.

Gebietskörperschaften haften unter bestimmten Umständen auch für gesetzgeberisches Unter­lassen. Folgendes Verfahren zur Geltendmachung gesetzgeberischen Unterlassens wird vor­geschlagen: Auf Antrag eines Betroffenen hat der VfGH ein verfassungswidriges Unterlassen festzustellen und eine Frist zur Erlassung eines verfassungskonformen Gesetzes zu setzen. Wenn innerhalb dieser Frist kein verfassungskonformer Gesetzesbeschluss gefasst wird und das entsprechende Gesetz in Kraft tritt, soll ein Staatshaftungsanspruch bestehen. Für den Beschwerdeführer soll auch schon für den Anlassfall eine Art „Ergreiferprämie“ gelten. Andere Betroffene können einen Staatshaftungsanspruch erst geltend machen, wenn nach Feststellung eines verfassungswidrigen Unterlassens eines Gesetzesbeschlusses durch den VfGH die Frist zur Erlassung eines verfassungskonformen Gesetzes verstrichen ist.

 

Der Ausschuss hat den Vorschlag der Sozialpartner zu Pkt. 2 (Subsidiarantrag) und zu Pkt. 3 (Staatshaftung) zur Kenntnis genommen. Der Ausschuss ist der Auffassung, dass die Erörterung und allfällige Vorschläge in der Hauptsache in den Wirkungsbereich des Ausschusses 9 fallen.

Von Seiten der Vertreter der Sozialpartner wird darauf verwiesen, dass die diesbezüglichen Vorschläge in den Punkten 2 und 3 in einem untrennbaren Zusammenhang mit den materiellen Gewährleistungen stehen, sodass allfällige Vorschläge des Ausschusses 9 auf ihre Auswirkungen auf die materiellen Gewährleistungen überprüft werden müssen.

 

 

Zu Pkt. 4 (Verbandsklage) des Sozialpartnervorschlages:

Die WKÖ lehnt eine „Verbandsklage“ in Grundrechtsangelegenheiten ab, was von der Arbeitnehmerseite akzeptiert wird.

 

Dazu wird von den Vertretern der Sozialpartnerverbände erläuternd festgehalten, dass sich die Ablehnung der „Verbandsklage“ gegen eine allgemeine verfassungsrechtliche Institutionali­sierung der Berechtigung von Organisationen zur abstrakten Beschwerdeführung in Grund­rechtsangelegenheiten zur Wahrung objektiver Rechtmäßigkeit richtet. Über etwaige kollek­tive Rechtsdurchsetzungsmechanismen im Bereich des Volksgruppenschutzes ist damit nichts gesagt.

 

 

Tagesordnungspunkt 4: Allfälliges

 

Bei der nächsten Ausschusssitzung werden das „Recht auf Vereinbarkeit von Beruf und Familie“ und „Soziale Rechte“ weiter behandelt.

 

Die nächste Ausschusssitzung findet am

 

Donnerstag, 28. Oktober 2004, von 10.00 bis 17.00 Uhr

 

statt.

 

Der Ausschussvorsitzende dankt den Anwesenden für die konstruktive Mitarbeit und schließt die Sitzung.

 

 

Vorsitzender des Ausschusses 4:                                             Fachliche Ausschussunterstützung:

 

 

 

 

Univ.Prof. Dr. Bernd-Christian Funk e.h.                                Dr. Renate Casetti e.h.