Auszug aus den Entscheidungsgründen

 

II. 2.1

 

Im Hinblick auf den in der Äußerung der Bundesregierung enthaltenen Hinweis auf die durch das Bundesverfassungsgesetz über den umfassenden Umweltschutz bewirkte Notwendigkeit eines Ausbaus des Umweltschutzes, erscheint es dem Verfassungsgerichtshof nicht überflüssig, darauf hinzuweisen, daß das Bundesverfassungsgesetz über den umfassenden Umweltschutz keine Veränderung der verfassungsrechtlichen Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern und daher auch keine Erweiterung bestehender Bundeskompetenzen zu Lasten der Länder bewirkt hat. Gemäß §1 Abs1 des zitierten Bundesverfassungsgesetzes sind vielmehr Bund, Länder und Gemeinden jeweils im Rahmen ihrer verfassungsmäßigen Kompetenzen zum umfassenden Umweltschutz verpflichtet.
 
   Der Verfassungsgerichtshof hat daher zu prüfen, ob zu den "Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie", die dem Bund gemäß Art10 Abs1 Z8 B-VG in Gesetzgebung und Vollziehung überlassen sind, auch die Regelung und Vollziehung von Vorschriften zählen, mit denen das gewerberechtliche Betriebsanlagenrecht auf landwirtschaftliche Nebengewerbe ausgedehnt wird.

 

 

II. 2.2. (...)

Nach der als "Versteinerungstheorie" bezeichneten ständigen Rechtsprechung des Verfassungs-gerichtshofes ist der Kompetenztatbestand "Angelegenheiten des Gewerbes und der Industrie" (Art10 Abs1 Z8 erster Fall B-VG) in dem Sinn zu verstehen, der ihm nach dem Stand und der Systematik der Rechtsordnung zum Zeitpunkt seines Inkrafttretens, das war der 1. Oktober 1925, zukam. Neue Regelungen können sich daher nur insoweit auf den genannten Kompetenztatbestand stützen, als sie ihrem Inhalt nach dem betreffenden Rechtsgebiet, wie es durch die im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Kompetenzartikel bestehenden gesetzlichen Regelungen bestimmt ist, systematisch zugehören (VfSlg. 7074/1973, 10831/1986, 12996/1992 und 13237/1992, jeweils mit Hinweisen auf die Vorjudikatur).

 

II. 2.3. (...)

Die betreffenden, mit der land- und forstwirtschaftlichen Produktion zusammenhängenden und haupt-sächlich der Verarbeitung eigener Erzeugnisse dienenden Erwerbsbetätigungen wurden also nach dem Stande der Gesetzgebung vom 1. Oktober 1925 nicht als Angelegenheit des Gewerbes  angesehen. Wie der Verfassungsgerichtshof mehrfach (vgl. nur in anderem Zusammenhang VfSlg. 7074/ 1973 zur Privatzimmervermietung als häuslicher Nebenbeschäftigung und VfSlg. 13237/1992 zum Betrieb von Pflegeheimen) der Sache nach feststellte, werden Tätigkeiten, die zum Versteinerungszeitpunkt am 1. Oktober 1925 ausdrücklich von einem gewerberechtlichen Regime ausgenommen waren, auch nicht dadurch zu einer "Angelegenheit des Gewerbes" im verfassungs-rechtlichen Sinn, daß sich im Zuge der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklung die betreffenden Tätigkeiten fortentwickelten und möglicherweise eine Dimension gewonnen haben, die sie aus faktischer Sicht den "Angelegenheiten des Gewerbes" vergleichbar machen.
 
   Der Verfassungsgerichtshof bleibt bei dieser Rechtsprechung, auch soweit es sich um Regelungen betreffend gewerbliche Betriebsanlagen handelt: Dem von der Bundesregierung ins Treffen geführten Umstand, daß sich die als landwirtschaftliche Verarbeitungsnebengewerbe ausgeübten Tätigkeiten sowie die diesen Tätigkeiten dienenden Anlagen in den letzten Jahrzehnten von dem zum Versteinerungszeitpunkt gegebenen Erscheinungsbild der Verarbeitungsnebengewerbe immer mehr entfernten und dem Erscheinungsbild einschlägiger Gewerbetätigkeiten und einschlägiger Betriebsanlagen anglichen, kann keine verfassungsrechtliche Bedeutung zukommen.
(...)