Funktion des Organstreitverfahrens in Deutschland
Auszug
aus dem Urteil des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 22.
November 2001 (2 BvE 6/99)
In: Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE),
Band 104 (2001/2002), S. 151 ff.
Das gegenständliche Organstreitverfahren betrifft die
Zustimmung der Bundesregierung zum neuen Strategischen Konzept, das der auf der
Ebene der Staats- und Regierungschefs tagende Nordatlantikrat am 23./24. April
1999 beschlossen hat. Dieses Konzept befasst sich neben anderem mit den
Voraussetzungen, unter denen Militäreinsätze der NATO möglich sind, auch wenn
es sich nicht um einen Fall kollektiver Verteidigung im Sinne des Art. 5 des
NATO-Vertrags handelt. Im Streit stehen Beteiligungsrechte des Bundestags.
Zur Funktion des Organstreitverfahrens hält das
Bundesverfassungsgericht fest:
Der Organstreit zielt auf die Auslegung des Grundgesetzes
aus Anlass von Streitigkeiten über die Rechte und Pflichten von
Verfassungsorganen (Art. 93 Abs. 1 Nr. 1 GG). Das Verfahren dient insoweit
maßgeblich der gegenseitigen Abgrenzung der Kompetenzen von Verfassungsorganen
oder ihren Teilen in einem Verfassungsrechtsverhältnis, nicht der davon
losgelösten Kontrolle der objektiven Verfassungsmäßigkeit eines bestimmten
Organhandelns (vgl. BVerfGE 68, 1 <69 ff.>). Das Organstreitverfahren
eröffnet den Verfassungsorganen die Möglichkeit, für einen bestimmten Sachzusammenhang
über die Zuordnung der in Betracht kommenden Kompetenzen im System der
Gewaltenteilung zu streiten. Im Verhältnis zwischen Bundestag und
Bundesregierung sind daher vor allem die Gesetzgebungsbefugnisse und sonstigen
Mitwirkungsrechte des Bundestags rügefähig. Ein Eingriff in eine
Gesetzgebungskompetenz des Bundestags ist nicht nur bei Anmaßung der
Regelungskompetenz möglich, sondern auch bei einem rechtserheblichen Handeln
ohne gesetzliche Ermächtigung, wenn diese von Verfassungs wegen erforderlich ist.
Das Parlament kann im Wege des Organstreits eine Entscheidung über die
Verfassungsmäßigkeit eines solchen Handelns herbeiführen.