Mag. Terezija Stoisits 4.
Juni 2004
Arbeitsunterlage für den Ausschuss 9
Erweiterung des Kreises der
Anfechtungsbefugten
Aufgrund der im Konventshearing formulierten Anliegen, des
Prüfungsbeschlusses des Verfassungsgerichtshofes vom 27. 11. 2003 zu § 24 Abs 3
UVP-G, des Ausschussberichts 4 und darüber hinaus gehender Überlegungen wird
die Erweiterung des Kreises der Beschwerde- und Anfechtungsbefugten um
Amtsorgane und Verbände (iwS) in Art 139 und 144 B-VG, bei der
Säumnisbeschwerde nach Art 132 B-VG sowie bei neu angedachten
Rechtschutzinstrumenten wie der Urteilsbeschwerde, dem Subsidiarantrag etc
angeregt. Zweckmäßig könnte auch eine bloße Ermächtigung an den einfachen
Gesetzgeber sein, derartige Beschwerde- und Anfechtungsbefugnisse einzuräumen
(siehe schon jetzt Art 131 Abs 2 B-VG).
Die Problematik wird im folgenden anhand der Beschwerde- und
Anfechtungsbefugnisse beim Verfassungsgerichtshof in Zusammenhang mit
Amtsorganen, Verbänden bzw Bürgerinitiativen zur Wahrung des objektiven
Umweltschutzrechts dargestellt. Inwiefern vergleichbare Aussagen zu ähnlichen
Einrichtungen in anderen Verwaltungsbereichen in bezug auf das geltende Recht
zu treffen wären, bedürfte einer eigenen Untersuchung.
Anders als Art 129 a Abs 1 Zif 3 B-VG betreffend die
Unabhängigen Verwaltungssenate und Art 131 Abs 2 B-VG betreffend den Verwaltungsgerichtshof ermächtigt die
Bundesverfassung den einfachen Gesetzgeber (Bund bzw Land) nicht, den Rechtsweg
zum Verfassungsgerichtshof über die in der Verfassung genannten Fälle hinaus
noch weiteren Personen bzw Institutionen einzuräumen. Eine Bescheidbeschwerde
steht gemäß Art 144 Abs 1 dem „Beschwerdeführer“ zu, der „in seinen Rechten“
verletzt zu sein behauptet.
Gemäß Prüfbeschluss B 456, 457/03, B 462/03 vom 27. November
2003 hegt der Verfassungsgerichtshof hinsichtlich § 24 Abs 3
Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz, mit welchem ua Umweltanwaltschaften im
Feststellungsverfahren über die UVP-Pflicht von Verkehrsvorhaben Parteistellung
mit dem Recht zur Erhebung der Beschwerde an den Verfassungs- und
Verwaltungsgerichtshof eingeräumt wird, Bedenken. Diese Norm könne nicht auf
Art 144 Abs 1 B-VG gestützt werden, weil die Umweltanwaltschaft keine
„echte(n)“ subjektiven Interessen habe. Die Umweltanwaltschaft nehme nur formal
„Rechte“ wahr, inhaltlich gesehen handle es sich aber um „Kompetenzen“. Es sei
daher zu prüfen, ob eine verfassungsrechtlich unzulässige Ausweitung der
Beschwerdelegitimation gegeben sei. Bedroht ist damit auch das Beschwerderecht
der Umweltanwaltschaft an den Verfassungsgerichtshof im eigentlichen
UVP-Bescheid-Verfahren (dieses wäre zB bedeutsam für die indirekte Bekämpfung
einer präjudiziellen gesetzwidrigen Standortausweisung für eine umweltrelevante
Anlage).
Sofern der VfGH diese Frage mit Ja beantworten sollte, würde
sich die Notwendigkeit ergeben, entweder dem einfachen Gesetzgeber generell
eine Befugnis zur Ausweitung der Beschwerdeberechtigten über den Kreis der
„echt“ subjektiv Betroffenen hinaus einzuräumen oder unmittelbar bestimmten
Amtsorganen zur Wahrung der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung diese Befugnis
einzuräumen. Andernfalls würde es zu einer Verschlechterung des
Umweltschutzstandards kommen. Eine derartige Erweiterung ist auch aufgrund der
UN-ECE Konvention von Aarhus und den Rechtsakten zur Umsetzung der
Aarhus-Konvention, welche Nichtregierungsorganisationen Parteistellung und
Beschwerdebefugnissen vor Gerichten einräumt, allenfalls erforderlich. Folgt
man nämlich der Argumentation des Verfassungsgerichtshofes, so machen auch
Umweltschutzorganisationen in Verfahren zur Genehmigung von umweltrelevanten
Anlagen allenfalls nicht „ihre“ Rechte geltend sondern nehmen öffentliche
Interessen wahr. Kann für lokale Bürgerinitiativen, denen aufgrund § 19 Abs 3
UVP-G ebenfalls die Parteistellung und das Beschwerderecht an die Gerichtshöfe
des öffentlichen Rechts zukommt, ins Treffen geführt werden, dass es sich
lediglich um eine Sammlung auch subjektiv Betroffener handelt, so ist die
Betroffenheit bei national oder international organisierten NGO wesentlich
loser und stünde die schon aufgrund der Richtlinie 2003/35/EG mit Frist 25. 6.
2005 einzuräumende Verbandsbeschwerde unter dem Fallbeil der
Verfassungswidrigkeit. Im Lichte der weiter zu erwartenden Richtlinie über den
Zugang zu Gerichten (siehe KOM (2003) 624) wird auch die Ausweitung der
Säumnisbeschwerde nach Art 132 B-VG zu erwägen sein. Der einfache Gesetzgeber
sollte jedenfalls den vollen Spielraum haben, im Geiste der Aarhuskonvention
lokale und nationale NGO zu befähigen, gegen Umweltverletzungen rechtswirksam
vorgehen zu können.
Weiters ist noch auf die Befugnis von Bürgerinitiativen,
Umweltanwaltschaften, von wasserwirtschaftlichen Planungsorganen ua einzugehen,
Verordnungen, welche aufgrund des Bundesstraßengesetzes erlassen wurden und für
die eine UVP durchgeführt wurde, beim Verfassungsgerichtshof anzufechten
(konkrete Normenkontrolle gemäß der Verfassungsbestimmung § 24 Abs 11 UVP-G).
Aufgrund der in Aussicht genommenen weitgehenden Konzentration des
Verfassungsrechts in einer Verfassungsurkunde wäre § 24 Abs 11 UVP-G in Art 139
B-VG zu integrieren. Auch hier bietet sich eine allgemeine Ermächtigung an den
einfachen Gesetzgeber an, diese Anfechtungsbefugnis Amtsorganen und Verbänden
(lokalen und anderen) einzuräumen. Im Textvorschlag für die Einführung des
Subsidiarantrags des Auschussberichts 9 werden diese bestehenden
Anfechtungsbefugnisse hingegen ausdrücklich nicht berücksichtigt (siehe auch
Positionspapier der Umweltanwälte Österreichs zum Österreich-Konvent, S 6 vom
25. Mai 2004).
Im Rahmen des Hearings im Konvent wurde auch vom
Österreichischen Frauenring zur Durchsetzung des Gleichheitsgrundsatzes und von
der Österreichischen Liga der Menschenrechte zur Durchsetzung der
Menschenrechte zugunsten benachteiligter, gefährdeter und sozial schwacher
Personengruppen eine Verbandsbeschwerde (siehe jeweils Positionspapiere unter
konvent.gv.at) gefordert. Im Bericht des Ausschusses 4 wird in Zusammenhang mit
den sozialen Grundrechten (S 51) und der Rundfunkfreiheit sowie den Rechten der
Volksgruppen (S 59) auf die Notwendigkeit kollektiver Rechtsdurchsetzung
hingewiesen. In diesen Fällen steht die stellvertretende Wahrnehmung
subjektiver Interessen respective die Wahrnehmung kollektiver/diffuser
Interessen zur Diskussion. Insgesamt betrachtet ergeben sich mehrere mögliche
Regelungsorte für derartige Beschwerde- und Anfechtungsbefugnisse: zB bei den
Grundrechten, bei den Gerichtshöfen öffentlichen Rechts und sofern
Anwaltschaften des öffentlichen Rechts oder Verbände (organisierte
Öffentlichkeit, Zivilgesellschaft) als solche in der Verfassung verankert
werden, dort.