Ewald Wiederin
Um Bestimmungen über die Änderung der neuen Verfassung textieren zu können, muss ihr Titel bekannt sein. In weiterer Folge wird die neue Verfassung wie die derzeit geltende als „Bundes-Verfassungsgesetz“ bezeichnet und mit „B‑VG 200¾“ abgekürzt, ohne damit die auf politischer Ebene zu fällende Entscheidung präjudizieren zu wollen.
Die Wahl des Titels verfügt jedoch auch über eine verfassungsrechtliche Dimension. Auch eine neue Verfassung muss sich an den Rechtserzeugungsregeln der alten Verfassung messen lassen, wenn sie nicht auf revolutionärem Wege ergeht, sondern unter Wahrung der Rechtskontinuität in Kraft treten will. Nach Art. 44 Abs. 1 B‑VG sind Verfassungsgesetze ausdrücklich als solche zu bezeichnen. Diese Regel schließt es aus, die neue Verfassung in aller Schlichtheit als „Bundesverfassung der Republik Österreich“ zu benennen, sofern man mit der völlig herrschenden Auffassung eine formelle Deutung des Begriffs „Gesamtänderung“ in Art. 44 Abs. 3 ablehnt.
Das eben Gesagte gilt auch für das Verfassungsbegleitgesetz. Es wird in weiterer Folge in Fortführung der österreichischen Tradition als „Bundesverfassungsgesetz betreffend den Übergang zum Bundes-Verfassungsgesetz 200¾“ bezeichnet und mit „Verfassungsübergangsgesetz 200¾ – VÜG“ abgekürzt.
Die
klassische Formulierung des Inkorporationsgebots ist jene in Art. 79
Abs. 1 GG. Fügt man sie mit Art. 44 B‑VG zusammen und baut man das
Verbot von Verfassungsänderungen in Sammelnovellen in den Text ein, so ergibt
sich folgende Fassung (Varianten in eckigen Klammern):
Art. X. (1) Dieses Bundes-Verfassungsgesetz kann nur durch ein Bundesgesetz geändert werden, das seinen Text – und ausschließlich diesen [und nur seinen Text] – ausdrücklich ändert oder ergänzt.
(2) Ein solches Gesetz kann vom Nationalrat nur mit qualifizierter Mehrheit beschlossen werden. Sofern es die Zuständigkeit der Länder in Gesetzgebung oder Vollziehung einschränkt, bedarf es überdies der mit qualifizierter Mehrheit zu erteilenden Zustimmung des Bundesrates.
(3) Jede Gesamtänderung der Bundesverfassung, eine Teiländerung nur, wenn dies von einer qualifizierten Minderheit im Nationalrat oder im Bundesrat verlangt wird, ist vor ihrer Beurkundung durch den Bundespräsidenten einer Volksabstimmung zu unterziehen.
Diese Formulierung stellt einzig auf die Stammurkunde ab. Dass auch das Verfassungsbegleitgesetz und die Trabanten zur Verfassung zählen und Verfassungsänderungen auch im Wege der Textänderung von Verfassungsbegleitgesetz und Trabanten erfolgen können, wird durch folgende Bestimmung sichergestellt:
Art. Y. Folgende Gesetze gelten [in jeder Hinsicht] als Bestandteil dieses Bundes-Verfassungsgesetzes:
1. das Gesetz vom 3. April 1919, betreffend die Landesverweisung und die Übernahme des Vermögens des Hauses Habsburg-Lothringen, StGBl. Nr. 209;
2. das Gesetz vom 3. April 1919, über die Aufhebung des Adels, der weltlichen Ritter‑ und Damenorden und gewisser Titel und Würden, StGBl. Nr. 211;
3. Artikel I des Verbotsgesetzes 1947, StGBl. Nr. 13/1945 i.d.F. BGBl. Nr. 148/1992;
4. das Bundesverfassungsgesetz vom 26. Oktober 1955 über die Neutralität Österreichs, BGBl. 211;
5. das Bundesverfassungsgesetz betreffend den Übergang zum Bundes-Verfassungsgesetz 200¾ (Verfassungsübergangsgesetz 200¾ – VÜG), BGBl. I Nr. ¾.
Alternativ könnte auch bereits in Art. X Abs. 1 auf die Trabanten (unter Einschluss des Verfassungsbegleitgesetzes) Bezug genommen werden. Dazu müsste allerdings der „Bonner Eingang“ („Dieses Grundgesetz …“) durch eine neutralere Fassung ersetzt werden:
Art. X.’ (1) Änderungen der Verfassung erfolgen durch ein Gesetz, das sich darauf beschränkt, den Text dieses Bundes-Verfassungsgesetzes oder der in Art. Y genannten Gesetze ausdrücklich abzuändern oder zu ergänzen.
In Art. X Abs. 2 ist zudem vorausgesetzt, dass die Begriffe qualifizierte Mehrheit und qualifizierte Minderheit an anderer Stelle der Verfassung entsprechend definiert werden. Hiefür und für die sonstigen Quorenregelungen böten sich folgende Formulierungen an:
Art. Z. (1) Sofern nicht anders bestimmt, bedürfen Beschlüsse allgemeiner Vertretungskörper [von Kollegialorganen] der Anwesenheit von mindestens einem Drittel ihrer Mitglieder und der unbedingten Mehrheit der abgegebenen Stimmen.
(2) Wenn dieses Bundes-Verfassungsgesetz für Beschlüsse die qualifizierte Mehrheit verlangt, ist die Anwesenheit von mindestens der Hälfte der Mitglieder und die Mehrheit von mindestens zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen erforderlich.
(3) Eine qualifizierte Minderheit liegt vor, wenn wenigstens ein Drittel der abgegebenen Stimmen auf den Antrag entfällt.
Die
Formulierung des Grundgesetzes hat jedoch den Nachteil, dass der Begriff
„Änderung“ in ihr ambivalent verwendet wird: einmal materiell als
Verfassungsänderung, einmal formell als Änderung der Urkunde. Diese
Sinnverschiedenheit wird zwar dadurch offengelegt, dass die Änderung in der
zweiten Bedeutung neben die Ergänzung gestellt wird („Dieses Grundgesetz kann
nur durch ein Gesetz geändert werden, das den Wortlaut des Grundgesetzes
ausdrücklich ändert oder ergänzt.“); es bleibt aber eine terminologische
Unsauberkeit. Vor allem aber: Die Ersetzung des Grundgesetzes durch eine neue
deutsche Verfassung wird durch Art. 79 nicht erfasst und wäre deshalb
unzulässig, gäbe es nicht den Art. 146 GG, der einen solchen Übergang ohne
Bruch der Rechtskontinuität ausdrücklich eröffnet.
Der
folgende Vorschlag versucht, beide Probleme dadurch zu lösen, dass der Begriff
„Verfassungsänderung“ strikt materiell verwendet und bestimmten
Textmanipulationen, in deren Wege Verfassungsänderungen bei sonstigem Scheitern
des Erzeugungsversuchs ausschließlich erfolgen können, gegenübergestellt wird.
Als solche Manipulationen kommen die Ergänzung, die Streichung und der
Austausch von Text in Frage. Der Austausch wird deshalb eigens angeführt, um
den Wechsel der Urkunde – oder, um es treffender zu sagen: die Gesamtänderung –
zu ermöglichen. Denn ein solcher Wechsel lässt sich gedanklich nicht mehr in
Streichungen und Ergänzungen ein und derselben Urkunde aufspalten.
Außerdem
sieht der folgende Vorschlag in Abweichung von der geltenden Rechtslage ein
generelles Zustimmungsrecht des Bundesrates zu Verfassungsänderungen vor. Das
entspricht der politischen Realität, entschädigt die Länder für absehbare
Kompetenzeinbußen, vereinfacht den Ablauf
und enthebt alle beteiligten Organe vom Bundesrat bis zum VfGH der
Notwendigkeit, sich über die Grenzen der Zustimmungspflicht nach Art. 44
Abs. 2 B‑VG Gedanken zu machen.
Nach diesem
Vorschlag hätte Art. X (bei unveränderten Art. Y und Z)
folgendermaßen zu lauten:
Art. X. (1) Verfassungsänderungen bedürfen eines Gesetzes, dessen Inhalt sich in Ergänzungen, in Streichungen oder im Austausch des Textes dieses Bundes‑Verfassungsgesetzes erschöpft.
(2) Ein solches Gesetz kann vom Nationalrat nur mit qualifizierter Mehrheit beschlossen werden und bedarf der mit qualifizierter Mehrheit zu erteilenden Zustimmung des Bundesrates.
(3) Jede Gesamtänderung der Bundesverfassung, eine Teiländerung nur, wenn dies von einer qualifizierten Minderheit im Nationalrat oder im Bundesrat verlangt wird, ist vor ihrer Beurkundung durch den Bundespräsidenten einer Volksabstimmung zu unterziehen.
Hinsichtlich
der Verfassungsausführungsgesetze hat der Ausschuss im Bericht sowohl eine
Bezeichnungspflicht als auch eine Kennzeichnung in der Promulgationsklausel
erwogen. In der anschließenden Beratungsphase hat er eine gewisse Präferenz für
die zweiterwähnte Lösung geäußert. Damit ist freilich noch nicht entschieden,
ob eine solche Lösung auch ein Zitiergebot enthalten soll. In der Folge werden
für all diese Lösungen Formulierungen versucht.
Wenn daran
gedacht ist, nicht nur den Charakter eines Gesetzes als verfassungsausführendes
Gesetz offen zu legen, sondern auch den ausgeführten Artikel benennen zu
müssen, könnte es heißen (Promulgationslösung mit Zitiergebot):
„Art. VfAG1. Verfassungsausführende Bundesgesetze können vom Nationalrat nur mit qualifizierter Mehrheit beschlossen werden. Der ausgeführte Artikel dieses Bundes‑Verfassungsgesetzes ist in der Promulgationsklausel ausdrücklich zu bezeichnen.“
Eine korrekte Umsetzung könnte beispielsweise lauten: „Der Nationalrat hat in Ausführung des Art. 26 des Bundes-Verfassungsgesetzes beschlossen:“.
Bei Normierung einer Bezeichnungspflicht könnte die Bestimmung folgende Fassung erhalten:
„Art. VfAG2. Verfassungsausführende Bundesgesetze können vom Nationalrat nur mit qualifizierter Mehrheit beschlossen werden; sie sind als solche („Bundesgesetz zur Ausführung des Art. … B-VG“) ausdrücklich zu bezeichnen.“
Bei Verzicht auf ein Zitiergebot könnten die Bestimmungen lauten:
„Art. VfAG3. Verfassungsausführende Bundesgesetze können vom Nationalrat nur mit qualifizierter Mehrheit beschlossen werden; sie sind in der Promulgationsklausel als solche zu bezeichnen.“
bzw. in der Variante einer Bezeichnungspflicht:
„Art. VfAG4. Verfassungsausführende Bundesgesetze können vom Nationalrat nur mit qualifizierter Mehrheit beschlossen werden; sie sind im Titel ausdrücklich als ‚Verfassungsausführungsgesetz’ zu bezeichnen.“
All diese Varianten werfen allerdings die Frage auf, ob Zitiergebot bzw. Bezeichnungspflicht auch für Novellen zu verfassungsausführenden Gesetzen Gültigkeit haben. Im Text auf diese Konstellation eigens einzugehen, hieße in Kasuistik abgleiten. In den Materialien sollte jedoch eine Klarstellung erfolgen.
In den Erläuterungen sollte außerdem erörtert werden, ob ein „Bepackungsverbot“ gilt oder ob es unschädlich ist, wenn das Verfassungsausführungsgesetz auch Regelungen enthält, die mit einfachen Mehrheiten hätten beschlossen werden können; für den Fall der Zulässigkeit einer Bepackung schließlich, ob solche nicht-verfassungsausführenden Bestimmungen mit einfachen Mehrheiten wieder aufgehoben werden können.
Ausgehend
von der Grundlinie des Ausschusses, bei der Textierung des Übergangsrechts den
Akzent nicht auf die aufzuhebenden Bestimmungen zu legen, sondern auf jene
Regelungen, die weiterhin als Verfassungsrecht (oder auch als Gesetzesrecht)
gelten sollen und deshalb einer Überleitung bedürfen, kann die Regelung des
Übergangs in aller Kürze erfolgen.
Für das
„Entkleiden“ von Verfassungsbestimmungen (F07) könnte es heißen:
„Folgende Bundesverfassungsgesetze, Verfassungsbestimmungen in Bundesgesetzen und Staatsverträge im Verfassungsrang gelten im Rang einfacher Bundesgesetze weiter:
1. ...“
Die
Rezeption von altem Verfassungsrecht in die neue Konstitution sollte im Text
des Verfassungsbegleitgesetzes unter Anführung des Wortlauts erfolgen.
Im Übrigen
könnten all jene zahlreichen Bestimmungen, die im Tabellenteil mit den Siglen
F01-F04 bezeichnet sind, mit folgender Derogationsnorm enderledigt werden:
„Alle übrigen Bundesverfassungsgesetze und Verfassungsbestimmungen in Bundesgesetzen werden aufgehoben. Die Geltung von Bestimmungen, die durch sie in Kraft gesetzt oder eingeordnet worden sind, wird hiedurch nicht berührt.“
Staatsverträge
sind in diese Formulierung bewusst nicht einbezogen, weil ihre völkerrechtliche
Geltung nicht einseitig durch innerstaatliche Anordnung beendet werden kann und
weil die innerstaatliche Geltung nicht von der völkerrechtlichen Geltung
abgekoppelt werden sollte. Ein Erforderlichkeitsvorbehalt für die
Derogationsanordnung („..., soweit sie noch in Geltung stehen“) erscheint denkbar,
er ist aber in Ermanglung einer Aufzählung entbehrlich.
Inhaltliche
Schranken für Sammelnovellen sind einfach zu formulieren:
„Art. S1. Bundesgesetze müssen die Einheit der Materie wahren.“
Eine einschneidende, wohl allzu radikale Begrenzung von Sammelnovellen brächte folgender Vorschlag mit sich:
„Art. S2. Änderungen mehrerer Bundesgesetze in einem Bundesgesetz sind unzulässig.“
Nach dieser
Formulierung könnte im Zuge der Erlassung eines neuen Stammgesetzes genau ein
Bundesgesetz novelliert oder aufgehoben werden.
Alternativ
bietet es sich an, auf den in der Anlage zu § 2 BMG geregelten
Wirkungsbereich der Ministerien abzustellen:
„Art. S3. Sammelnovellen sind unzulässig, sofern sie Bundesgesetze betreffen, deren legistische Betreuung in den Wirkungsbereich verschiedener Bundesministerien fällt.“
oder die Zuständigkeit der Nationalratsausschüsse zum Kriterium zu machen:
„Art. S4. Sammelnovellen sind lediglich zulässig, wenn zur Vorberatung der Änderung aller betroffenen Bundesgesetze derselbe Ausschuss des Nationalrates zuständig ist.“