Matthias Germann

 

 

Mitwirkung der Länder beim Abschluss von Staatsverträgen des Bundes -

Neuregelung im Zusammenhang mit der Neufassung des Art. 9 Abs. 2 B-VG

(Unterlage für die Sitzung des Ausschusses 2 am 12. Oktober 2004)

 

 

Variante 1: Dem Art. 10 wird folgender Abs. 4 angefügt:

            „(4)  Liegt dem Bund eine einheitliche Stellungnahme der Länder zu einem Vorhaben nach Abs. 3 vor, das Angelegenheiten betrifft, in denen die Gesetzgebung Landessache ist, so ist der Bund beim Abschluss des Staatsvertrages an diese Stellungnahme gebunden. Der Bund darf davon nur aus zwingenden außenpolitischen Gründen abweichen. Der Bund hat diese Gründe den Ländern unverzüglich mitzuteilen.“

           

Variante 2: Dem Art. 10 wird folgender Abs. 4 [werden folgende Abs. 4 und 5] angefügt:

            „(4)  Liegt dem Bund eine einheitliche Stellungnahme der Länder zu einem Vorhaben nach Abs. 3 vor, mit dem Hoheitsrechte der Länder übertragen werden sollen, so ist der Bund beim Abschluss des Staatsvertrages an diese Stellungnahme gebunden. Der Bund darf davon nur aus zwingenden außenpolitischen Gründen abweichen. Der Bund hat diese Gründe den Ländern unverzüglich mitzuteilen.

            [(5) Die Wahrnehmung der Zuständigkeiten der Länder nach Abs. 4 obliegt den Landtagen. Die näheren Bestimmungen hiezu werden vom Landesverfassungsgesetzgeber getroffen.]“

 

 

 

 

Bemerkungen zu Variante 1:

 

 

I.                   Allgemeines:

 

1.      Der bisherige Art. 9 Abs. 2 B-VG sieht (u.a.) vor, dass durch einen vom Nationalrat zu genehmigenden Staatsvertrag einzelne „Hoheitsrechte des Bundes“ auf zwischenstaatliche Einrichtungen und ihre Organe übertragen werden können. Aufgrund dieser seit 1981 bestehenden Ermächtigung war es seither nicht mehr erforderlich, einen entsprechenden Staatsvertrag als verfassungsändernd zu behandeln.

 

Die bisherige Regelung des Art. 9 Abs. 2 B-VG erlaubte jedoch nicht die Übertragung von „Hoheitsrechten der Länder“. Staatsverträge, mit denen Hoheitsrechte der Länder übertragen wurden,  waren daher als verfassungsändernd zu behandeln und bedurften sowohl im Nationalrat als auch im Bundesrat erhöhter Anwesenheits- und Beschlussquoren (Art. 50 Abs. 3 iVm Art. 44 Abs. 1 und 2 B-VG).

 

Aufgrund der nunmehr vorgeschlagenen Änderung des Art. 9 Abs. 2 B-VG (s. Bericht des Ausschusses 2 vom Juli dJ und den dort angeschlossenen Textvorschlag Prof. Öhlingers) wäre es möglich, auch Hoheitsrechte der Länder mit Staatsvertrag des Bundes zu übertragen, ohne dass dieser Staatsvertrag des Verfassungsrangs bedurfte.

 

2.      Auf Grund des Art. 10 Abs. 1 Z. 2 B-VG ist der Bund zum Abschluss völkerrechtlicher Verträge (Staatsverträge) berufen. Diese Kompetenz des Bundes umfasst auch den Abschluss solcher Staatsverträge, die in inhaltlicher Hinsicht Angelegenheiten zum Gegenstand haben, die in der Gesetzgebung Landessache sind. Durch Staatsvertrag des Bundes können daher Landesgesetze geändert werden, ohne dass die Länder diesbezüglich ein inhaltliches Mitspracherecht haben. Den Bund trifft diesfalls (ebenso wie in den weiteren Fällen des Art. 10 Abs. 3 B-VG) lediglich die – auch in der Bundesstaatlichkeit begründete (s. 182 BlgNR, 13. GP, S 15) – verfassungsrechtliche Pflicht, die Länder in diesen Angelegenheiten zu hören.

 

Aufgrund der beabsichtigten Neuregelung des Art.  9 Abs. 2 B-VG wird es für den Bund in einem (relativ schmalen) Segment jener Angelegenheiten, die in der Gesetzgebung Landessache sind, leichter als bisher, diese Angelegenheiten zu regeln:  Eine Übertragung einzelner Hoheitsrechte der Länder durch Staatsvertrag bedarf in Zukunft keines Verfassungsranges und daher auch keiner qualifizierten Mehrheit von Nationalrat und Bundesrat mehr.

 

Aus Anlass dieser – im Hinblick auf das angestrebte Inkorporationsgebot sinnvollen und zur Vermeidung von Verfassungsrecht außerhalb des B-VG nötigen, die Stellung der Länder aber schwächenden – Änderung sollen die Mitwirkungsrechte der Länder beim Abschluss von Staatsverträgen, die die Interessen der Länder besonders berühren, gestärkt werden. Dies erscheint nicht nur aus Gründen der Bundesstaatlichkeit sachlich gerechtfertigt, sondern auch deshalb, weil bei Vorhaben im Rahmen der Europäischen Union entsprechende Mitwirkungsrechte schon vorgesehen sind (vgl. Art. 23d B-VG) und nicht ersichtlich ist, warum dem Bund in Angelegenheiten, die in der Gesetzgebung Landessache sind, beim Abschluss von Staatsverträgen ein größerer Gestaltungsfreiraum zukommen soll als bei Vorhaben im Rahmen der Europäischen Union.

 

3.      Aufgrund obiger Überlegungen und des ergänzenden Mandats des Präsidiums des Österreich-Konvents vom 1. September d.J. wurde daher – in Anlehnung an das Mitwirkungsrecht nach Art. 23d B-VG – der eingangs angeführte Vorschlag (Art. 10 Abs. 4 und 5 B-VG) formuliert.

 


 

II.                Zum Formulierungsvorschlag:

 

 

Zu Abs. 4: Eine „einheitliche Stellungnahme der Länder“ setzt voraus, dass alle Länder an der Willensbildung beteiligt waren. Das bedeutet aber nicht, dass die Willensbildung einstimmig erfolgen muss. Die Willensbildung der Länder muss für den Bund zweifelsfrei nachvollziehbar sein.

 

Die Frage, welche Organe auf Seite der Länder an dieser Willensbildung teilnehmen, ist den Ländern zur Regelung überlassen. Dies könnte etwa durch landesverfassungsrechtliche Vorschriften oder durch eine Vereinbarung der Länder untereinander gemäß Art. 15a B-VG erfolgen.

 

„Zwingende außenpolitische Gründe“, die ausnahmsweise die Abweichung rechtfertigen können, liegen vor, wenn dies zur Wahrnehmung wichtiger österreichischer Interessen im völkerrechtlichen Verkehr unabweisbar ist. Diese Gründe sind den Ländern unverzüglich mitzuteilen. Das liegt  im Interesse einer frühzeitigen Information.

 

 

 

 

Bemerkungen zu Variante 2:

 

 

Die Variante 2 unterscheidet sich von der Variante 1 in zwei Punkten: Erstens betrifft das beabsichtigte Mitwirkungsrecht nicht generell Angelegenheiten, „in denen die Gesetzgebung Landessache ist“, sondern lediglich jene Vorhaben, mit denen „Hoheitsrechte der Länder“ übertragen werden (Abs. 4). Zweitens soll die Willensbildung nur unter Einbindung der Landtage möglich sein (Abs. 5).

 

Zu Abs. 4: Die Anknüpfung an jene Staatsverträge, mit denen Hoheitsrechte der Länder übertragen werden, trägt dem Umstand Rechnung, dass gerade in diesem Bereich mit der beabsichtigten Neuregelung des Art. 9 Abs. 2 B-VG die Position des Bundes zu Lasten jener der Länder verbessert wird und sich insofern der Ausgleich in Form eines Mitwirkungsrechtes der Länder auf diesen Bereich beschränken könnte.

 

Sachlicher erscheint es jedoch, nicht nur in diesem Teilsegment ein Mitwirkungsrecht der Länder vorzusehen, sondern in allen Angelegenheiten, in denen die Gesetzgebung Landessache ist (s. Variante 1). Die Übertragung einzelner Hoheitsrechte dürfte in der Regel keine gravierende Belastung für ein Land als sonst die Fremdbestimmung in einer Angelegenheit, die ansonsten Sache des Landesgesetzgebers ist.

 

Zu Abs. 5: Mit dieser Bestimmung, die  lediglich als (Sub)Variante formuliert ist, wird der Spielraum der Länder in der Frage, welches Organ das Mitwirkungsrecht wahrnehmen soll, eingeschränkt. Die Willensbildung zur einheitlichen Stellungnahme bedarf demnach der Befassung der Landtage. Die näheren Bestimmungen dazu, auch z.B. zur Frage, ob die Befassung eines bestimmten Landtagsausschusses genügt, bleibt dem Landesverfassungsgesetzgeber vorbehalten.