Klaus
Poier
Neuformulierung
der verfassungsrechtlichen Regelungen
über Bundes- und Landesgrenzen
(Fassung
1. Juli 2004)
[Österreich-Konvent,
A02, TV für 14. Sitzung 6.7.04, TO 3]
Art. 2 B-VG
(1) Österreich
ist ein Bundesstaat.
(2) Der Bundesstaat
wird gebildet aus den selbständigen Ländern: Burgenland, Kärnten,
Niederösterreich, Oberösterreich, Salzburg, Steiermark, Tirol, Vorarlberg,
Wien.
(3) Veränderungen
im Bestand der Länder oder eine Verminderung der in diesem Absatz und in Art. 3
vorgesehenen Rechte der Länder bedürfen neben der Änderung der Bundesverfassung
auch verfassungsgesetzlicher Regelungen der Länder.
Art. 3 B-VG
(1) Das
Bundesgebiet umfasst die Gebiete der Bundesländer.
(2) Völkerrechtliche
Verträge, mit denen die Bundesgrenzen geändert werden, bedürfen der Zustimmung
der betroffenen Länder.
(3) Grenzbereinigungen
innerhalb des Bundesgebietes bedürfen übereinstimmender Gesetze oder Verträge
der betroffenen Länder. Andere Grenzänderungen innerhalb des Bundesgebietes
bedürfen übereinstimmender Gesetze oder Verträge des Bundes und der betroffenen
Länder.
(4) Sofern
es sich nicht um Grenzbereinigungen handelt, bedürfen Beschlüsse des
Nationalrates bei Grenzänderungen gemäß Abs. 2 und 3 der Anwesenheit von
mindestens der Hälfte der Mitglieder und einer Mehrheit von zwei Dritteln der
abgegebenen Stimmen.
Begründung
1. Allgemeines
Der vorliegende Vorschlag basiert auf den
Überlegungen, die bereits in meiner Tischvorlage (541/AVORL-K) vom März 2004
sowie in der Tischvorlage Prof. Öhlingers (545/AVORL-K) vom April 2004
angestellt wurden. Hinsichtlich der grundsätzlichen Ziele einer Neuformulierung
von Art. 2 und 3 B-VG sowie hinsichtlich unverändert gelassener früherer
Formulierungsvorschläge sei auf diese Texte verwiesen. Festgehalten seien
nochmals die Eckpfeiler der Überlegungen:
·
Paktierte
Verfassungsgesetze des Bundes und der Länder – wie derzeit vorgesehen –
widersprechen dem Gedanken des Inkorporationsgebotes. Verfassungsrecht
außerhalb des B-VG (bzw. der Landesverfassungen) sollten daher aus
grundsätzlichen Erwägungen bei Grenzänderungen nicht vorgesehen sein (auch für
solche Fälle von Grenzänderungen, die in der Praxis unwahrscheinlich sind).
·
Den Ländern
soll ein Zustimmungsrecht in allen Fällen der Veränderung ihres
Landesterritoriums zukommen.
·
Aus
bundesstaatlicher Sicht soll abgesichert sein, dass der Bund nicht einseitig
die Rechte der Länder im Zusammenhang mit Grenzänderungen vermindern darf.
·
Die Regelungen
sollen vor allem in den Fällen, die in der Praxis relevant sind, zumindest
einfacher sein als bisher.
Die Diskussion in der letzten Ausschusssitzung hat
darüber hinaus drei weitere Prämissen ergeben:
·
Angesichts der
weit gehenden Ablehnung der zuletzt vorgeschlagenen „Neuerlassung“ des Art. 2
Abs. 2 B-VG bei Bestandsveränderungen (insbesondere im Hinblick auf den Fall,
dass sich am Wortlaut der Bestimmung nichts ändert, diese aber dennoch neu zu
erlassen wäre), soll eine ausdrückliche Bestimmung den Ländern garantieren,
dass der Bund nicht einseitig die Rechte der Länder verändern darf.
·
Die
Unterscheidung zwischen Bestandsveränderung, wesentlicher Änderung und anderen
Änderungen erwies sich als strittig, sowohl aus terminologischer und
interpretatorischer Sicht als auch aus inhaltlichen und politischen Gründen. Es
wurde daher – rechtsvergleichend dem Schweizer Modell folgend (siehe meine
Tischvorlage vom März 2004) – die Unterscheidung in Bestandsveränderung, (herkömmliche)
Grenzänderung und Grenzbereinigung aufgegriffen.
·
Bei allen
Grenzänderungen, die über Grenzbereinigungen hinausgehen, soll aus politischen
Gründen im Nationalrat (und im Bundesrat) eine qualifizierte Mehrheit
erforderlich sein.
2. Zu
Art. 2 Abs. 3 B-VG
Art. 2 Abs. 3 B-VG umfasst zwei Fälle: zum einen
Veränderungen im Bestand der Länder (Fusion, Teilung, Neuschaffung), zum
anderen Verminderungen der Rechte der Länder gemäß Art. 2 und 3 B-VG. Für diese
Fälle ist vorgesehen, dass neben der Änderung der Bundesverfassung überdies
verfassungsrechtliche Regelungen der Länder notwendig sind.
Die Notwendigkeit der Änderung der Bundesverfassung
ergibt sich von selbst, da jedenfalls auch eine Änderung des Wortlautes von
Art. 2 und/oder Art. 3 erforderlich ist. In den Erläuterungen ist klar zu
stellen, dass eine solche Änderung im Hinblick auf das bundesstaatliche Prinzip
auch eine Gesamtänderung der Bundesverfassung darstellt.
Darüber hinaus müssen solchen Änderungen nach diesem
Vorschlag auch alle Länder zustimmen. Im Hinblick auf bundesstaatstheoretische
Erwägungen wird dabei gefordert, dass eine solche Zustimmung verpflichtend mit
der höchsten Rechtssatzform, somit mit Landesverfassungsrecht, zu erfolgen hat.
Wenn auch die (einzelne) Länder die Idee des Inkorporationsgebotes aufgreifen,
müsste diese Zustimmung im jeweiligen Landes-Verfassungsgesetz verankert
werden, was allerdings kein großes Problem darstellen dürfte, da die Regeln
über Grenzänderungen durchaus auch sinnvoller Bestandteil einer Landesverfassung
sind. Bei Bestandsveränderungen wäre für den Fall, das ein Land nicht
unmittelbar betroffen ist, ein bloßes Zustimmungsrecht ohne verpflichtenden
Verfassungsrang wohl einfacher handhabbar, bei einiger verfassungspolitischer
Phantasie ließe sich aber durchaus auch eine solche – freilich wohl nur
theoretische – Bestandsveränderung in eine Landesverfassung inkorporieren
(indem etwa bei einer solchen Bestandsveränderung in den Landesverfassungen die
jeweils anderen Bundesländer aufgezählt werden).
In den Erläuterungen ist auch klar zu stellen, dass
unter „Verminderung der in Art. 2 und 3 vorgesehenen Rechte der Länder“ nicht
nur Beseitigung oder Schmälerung der Rechte unmittelbar in den genannten
Bestimmungen zu verstehen sind, sondern auch eine konkrete Grenzänderung, die
in einer Umgehung der Regeln der Art. 2 und 3 B-VG durch den
Bundesverfassungsgesetzgeber an anderer Stelle erfolgen soll. Auch Letzteres
würde daher im Sinne von Art. 2 B-VG verfassungsgesetzliche Regelungen aller
Länder erfordern.
3. Zu
Art. 3 Abs. 3 B-VG
Unter Grenzbereinigung ist – im Schweizer
Rechtsvergleich – eine bloß technische Grenzänderung zu verstehen, die ohne
politische Bedeutung ist (siehe meine Tischvorlage vom März 2004). Gemeint ist
hier eine Grenzänderung mit dem Ziel eines zweckmäßigeren Grenzverlaufes (z.B.
nach einer Flusslaufveränderung), die auch in Summe keine Flächenänderung, die
nicht bloß marginal ist, mit sich bringt.
Grenzbereinigungen innerhalb des Bundesgebietes
obliegen allein den betroffenen Ländern, eine Mitwirkung des Bundes ist nicht
vorgesehen. Alle anderen – in der Praxis aber kaum zu erwartenden –
Grenzänderungen innerhalb des Bundesgebietes erfordern übereinstimmende Gesetze
oder Verträge des Bundes und der betroffenen Länder.
4. Zu
Art. 3 Abs. 4 B-VG
Bei Grenzbereinigungen, an denen der Bund mitwirkt,
ist eine einfache Mehrheit im Nationalrat ausreichend. Bei allen anderen – in
der Praxis aber kaum zu erwartenden – Grenzänderungen, an denen der Bund
mitwirkt, soll eine qualifizierte Mehrheit im Nationalrat erforderlich sein, um
einen breiten politischen Konsens zu garantieren. Derart beschlossene Gesetze
sind jedoch keine Verfassungsgesetze.
Es ist davon auszugehen, dass ebenso der Bundesrat
bei Grenzänderungen mitwirkt. In welcher Form (insb. Einspruchs- oder
Zustimmungsrecht) und mit welchen Beschlusserfordernissen diese Mitwirkung
erfolgt, hängt jedoch letztlich auch von der grundsätzlichen Ausgestaltung und
Positionierung des Bundesrates in einer neuen Bundesverfassung ab. Wenn diese
Fragen, mit denen sich andere Ausschüsse beschäftigen, geklärt sind, wird noch
zu überlegen sein, ob auch die Mitwirkungsbefugnisse des Bundesrates in Art. 3
Abs. 4 B-VG integriert werden sollen (wofür einiges spricht) oder sich diese
bloß aus den allgemeinen verfassungsrechtlichen Vorschriften über den Bundesrat
und seine Aufgaben ergeben.
5. Zusammenfassung
Die vorgeschlagene Regelung würde eine höchste
Absicherung der Länderrechte in Fragen des Landesterritoriums bedeuten (wohl in
höherem Maße als bisher).
Zugleich ermöglicht sie jedoch, dass abgesehen von
Bestandsänderungen alle Grenzänderungen in Hinkunft ohne
bundesverfassungsrechtliche Regelungen (und allenfalls ohne
landesverfassungsrechtliche Regelungen – dies zu entscheiden, fällt in die
Landesverfassungsautonomie) erfolgen können.
Das Verfahren bei den in der Praxis tatsächlich
relevanten Fällen – „Grenzbereinigungen“ – ist im vorliegenden Vorschlag stark
vereinfacht. Bei Grenzbereinigungen innerhalb des Bundesgebietes wirkt der Bund
nicht mehr mit, bei Grenzbereinigungen, die eine Änderung der Bundesgrenze
bedeuten, ist eine einfache parlamentarische Mehrheit auf Bundesebene
ausreichend.
Bei allen anderen – gravierenderen, aber in der
Praxis kaum zu erwartenden – Grenzänderungen gibt es hingegen sowohl in
Hinblick auf den Bundesstaat (übereinstimmendes Zusammenwirken von Bund und
Ländern) als auch parteipolitisch (qualifizierte Mehrheit in National- und
Bundesrat) stärkere Absicherungen.