Theo Öhlinger                                                                                                                                                                                                        

 

Neuformulierung der verfassungsrechtlichen Regelungen
über Bundes- und Landesgrenzen

(Letztfassung)

Ausschuss 2

Tischvorlage für 12. Sitzung 24.5.2004

 

Art 2 B-VG:

(1) … (wie bisher)

(2) … (wie bisher)

(3) Veränderungen im Bestand der Länder oder wesentliche Änderungen
      eines Landesgebietes bedürfen einer Neuerlassung des Absatz 2 und
      verfassungsgesetzlicher Regelungen der betroffenen Länder.

 

Art 3 B-VG:

(1) Das Bundesgebiet umfasst die Gebiete der Bundesländer.

(2) Völkerrechtliche Verträge, mit denen die Bundesgrenzen geändert
      werden, bedürfen der Zustimmung der betroffenen Länder.

(3) Grenzänderungen innerhalb des Bundesgebietes bedürfen übereinstim-
      mender Gesetze oder Verträge des Bundes und der beteiligten Länder.

 

Begründung

1. Allgemeines

a. Der gegenständliche Vorschlag beruht auf zwei Grundgedanken:

1. Die geltende Fassung des Art 3 B-VG verlangt paktierte Verfassungsgesetze
              des Bundes (und der Länder). Dies widerspricht einem prinzipiellen Inkorpora-
              tionsgebot, wie es für eine künftige Bundesverfassung vorgesehen ist.

2. Eine rechtsvergleichende Sicht macht deutlich, dass Staats- und Landesgrenzen
             kein Thema des Verfassungsrechts sind. Das Verfassungsrecht bezieht sich auf
             "Gebiete", überlässt aber regelmäßig die exakte Bestimmung der Grenzen ge-
             genüber Drittstaaten völkerrechtlichen Verträgen, der Grenzen im Staatsinneren
             der einfachen Gesetzgebung.

Im Lichte dieser Grundgedanken bedarf Art 3 B-VG einer grundlegenden Revision.

b. Der gegenständliche Vorschlag verfolgt dabei drei Ziele:

1. eine Bestandsgarantie der Länder als Ausdruck des bundesstaatlichen
    Prinzips der Verfassungsordnung, darüber hinaus auch eine bundesverfas-
    sungsrechtliche Garantie des Territoriums der Länder;

2. eine verfassungsrechtlich erforderliche Mitwirkung der betroffenen
    Länder bei der Festlegung oder Änderung ihrer Grenzen gegenüber
    Drittstaaten;

3. eine verfassungsrechtlich erforderliche Zustimmung der betroffenen
    Länder auch zu geringfügigen Änderungen der Landesgrenzen.

c. Ein Vorbehalt zugunsten von "Friedensverträgen" (Art 3 Abs 2 B-VG in der geltenden Fassung) erscheint heute entbehrlich, ebenso ein verfassungsgesetzlicher Rahmen für großflächige Änderungen des Bundesgebietes (eine Änderung des Bundesgebietes, die nicht auch die Änderung eines Landesgebietes impliziert: vgl die einleitenden Worte im geltenden Art 3 Abs 2 B-VG). Gewiss können solche Änderungen nicht für alle Zukunft ausgeschlossen werden, sie sind aber nur in Situationen vorstellbar, die schon aus anderen Gründen tiefgreifende Verfassungsänderungen erfordern würden. Einen verfassungsgesetzlichen Rahmen dafür vorzusehen, ist daher derzeit nicht notwendig und auch nicht sinnvoll.

2. Zu Art 2 Abs 3 B-VG

Diese Bestimmung knüpft an die im geltenden Art 3 Abs 2 B-VG enthaltene Regelung an, dass eine Änderung des Bundesgebietes und der Landesgebiete durch übereinstimmende Bundes- und Landesverfassungsgesetze zu erfolgen habe. Diese Regelung ist von großer bundesstaatstheoretischer Bedeutung, stellt sie doch den Bestand und das jeweilige Territorium der Länder unter einen ganz besonderen verfassungsrechtlichen Schutz, der auch vom "einfachen" Bundesverfassungsgesetzgeber nicht ohne weiteres übergangen werden dürfte. Letzteres kommt im Erfordernis eines gleichberechtigten Zusammenwirkens der Verfassungsgesetzgebung des Bundes und der Länder zum Ausdruck, die nach begründeter Auffassung vom Bundesverfassungsgesetzgeber, jedenfalls ohne Volksabstimmung im Sinne des Art 44 Abs 3 B-VG, nicht einseitig aufgehoben werden dürfte.

In praktischer Hinsicht bedeutet diese Regelung allerdings die Notwendigkeit spezieller bundesverfassungsrechtlicher Regelungen außerhalb des B-VG, was – wie schon gesagt – einem prinzipiellen Inkorporationsgebot zuwiderlaufen würde. Außerdem wird in der Praxis Art 3 Abs 2 B-VG äußerst strikt interpretiert und auf alle Bundes- und Landesgrenzen betreffenden Regelungen – auch auf bloße Feststellungen der gegebenen Grenzen – angewendet, was zu einer Fülle bundesverfassungsrechtlicher Regelungen geführt hat. Diese sind überdies sehr heterogen und umfassen Staatsverträge, Bundesverfassungsgesetze sowie Verfassungsbestimmungen in einfachen Bundesgesetzen und Staatsverträgen. Es ist nicht übertrieben, in diesem Zusammenhang von einem "verfassungsrechtlichen Wildwuchs" (Poier) zu sprechen.

Der vorliegende Entwurf belässt es beim Erfordernis übereinstimmender Verfassungsgesetze des Bundes und der Länder, schränkt diese aber auf Änderungen im Bestand (Aufteilung eines Landes auf andere Länder oder Vereinigung zweier oder mehrerer Länder) sowie auf wesentliche Änderungen des Gebietes der einzelnen Länder ein. Die entsprechende Regelung auf Bundesseite kann sich in einer Änderung des Art 2 Abs 2 B-VG erschöpfen und entspricht damit einem Inkorporationsgebot. Der Bundesverfassungsgesetzgeber müsste Art 2 Abs 2 B-VG neu, allenfalls auch unverändert, beschließen. Der Sinn dieser allenfalls auf eine wortgleiche Neuerlassung des Art 2 Abs 2 B-VG beschränkten Mitwirkung des Bundesverfassungsgesetzgebers ist es, über den Bestand hinaus auch gewissermaßen die Identität eines Landes zu garantieren.

Als "wesentliche Änderung des Landesgebietes" ist nur eine Gebietsänderung anzusehen, die mindestens das gesamte Gebiet einer Gemeinde umfasst. Kleinere Gebietsänderungen fallen unter die Regelung des hier vorgeschlagenen Art 3 Abs 2 oder Abs 3 B-VG (siehe dazu sogleich).

Anzumerken ist in diesem Zusammenhang, dass die genaue Festlegung der neuen Grenze auch auf Bundesseite eine Anpassung bestehender Vorschriften verlangt. Insofern wird im Fall einer wesentlichen Gebietsänderung neben der Neuerlassung des Art 2 Abs 2 B-VG auch eine Änderung bestehender Verträge oder Bundesgesetze erforderlich sein. Dies läuft auf eine kumulative Anwendung der Bestimmungen des Art 2 Abs 3 und Art 3 Abs 2 (bei Änderungen der Außengrenze) oder 3 (bei Änderungen der Binnengrenzen) B-VG hinaus.

Festzuhalten ist auch, dass eine Schmälerung des in dieser Bestimmung vorgesehenen Mitwirkungsrechtes der Länder – im Sinne der zuvor skizzierten Bundesstaatstheorie – als eine Gesamtänderung der Bundesverfassung anzusehen wäre.

3. Zu Art 3 B-VG

Abs 1 entspricht der geltenden Regelung.

Eine Zustimmung im Sinne des 2. Absatzes könnte auch in der Weise erfolgen, dass die Länder auf österreichischer Seite am Abschluss des Staatsvertrages als Vertragsparteien mitwirken (vgl zu solchen "trilateralen" Verträgen Jabloner, Gliedstaatsverträge in der österreichischen Rechtsordnung, ZÖR 1989, 225 [329 f]). Es kann allerdings aus außenpolitischen oder diplomatischen Gründen nicht immer möglich sein, ein Land in dieser oder auch in anderer Weise am Abschluss des völkerrechtlichen Vertrages direkt zu beteiligen. In diesem Fall hat die erforderliche Zustimmung der betroffenen Länder in anderer Weise zu erfolgen. Die Art und Weise einer solchen Zustimmung könnte landesverfassungsgesetzlich näher ausgestaltet werden: Die Länder könnten die Zustimmung an – allenfalls auch qualifizierte – parlamentarische Mehrheiten oder sogar an Volksabstimmungen binden.

Bloße Grenzänderungen zwischen zwei Ländern sollen lediglich an die Rechtsform einfacher Gesetze oder Verträge zwischen dem Bund und den beteiligten Ländern (im Sinne des geltenden Art 15a B-VG) gebunden werden (Abs 3). Das Erfordernis der Mitwirkung der Länder kann aber auch in diesem Fall – im Sinne der zuvor skizzierten Bundesstaatstheorie – als Element des bundesstaatlichen Prinzips angesehen werden. Es dürfte daher nicht durch eine einseitige bundesverfassungsgesetzliche Regelung (die gemäß dem in Aussicht genommenen Inkorporationsgebot nur in einer Abänderung des hier vorgeschlagenen Art 3 Abs 3 bestehen könnte) ersetzt werden.

Der Begriff der Änderungen der Bundesgrenzen (Abs 2) bzw Grenzänderungen innerhalb des Bundesgebietes (Abs 3) ist im Einklang mit der Praxis zum geltenden Art 3 B-VG zu verstehen und umfasst auch bloße Berichtigungen und Feststellungen.

4. Zusammenfassung

Gegenüber der geltenden Regelung des Art 3 B-VG bringt die hier vorgeschlagene Neuregelung folgende Neuerungen. Das Erfordernis paktierter Verfassungsgesetze des Bundes und der Länder wird auf die Zusammenlegung oder Teilung von Ländern oder bedeutsame Änderungen des Territoriums eines Landes beschränkt. Geringfügige Änderungen (Berichtigungen oder Feststellungen) der Bundesgrenzen gegenüber Drittstaaten können in (gesetzesrangigen) Staatsverträgen des Bundes vereinbart werden, bedürfen aber einer (landesverfassungsrechtlich ausgestaltbaren) Zustimmung der betroffenen Länder. Geringfügige Änderungen der Grenzen der Länder innerhalb des Bundesgebietes erfordern übereinstimmende Rechtsakte des Bundes und der Länder, die jedenfalls auf der Seite des Bundes keines Verfassungsranges bedürfen.

In den in der Praxis relevanten Fällen bedarf es demgemäß in Hinkunft keines
Aktes des Verfassungsgesetzgebers mehr. Obwohl die Regelung nach wie vor aufwendig erscheint, stellt sie doch gegenüber der geltenden Verfassungslage eine erhebliche Vereinfachung dar.