Ökumenische
Expertengruppe
zum
Österreichischen Verfassungskonvent
An das
Präsidium
des Osterreich-Konvents
Herrn
Präsident Dr. Franz Fiedler
Parlament
Dr.Karl-Renner-Ring
1010 Wien
Wien,
am 16. November 2004
Sehr
geehrter Herr Präsident!
Im
Österreich-Konvent beginnen in diesen Tagen die Abschlussarbeiten. Für die
Schlussberatungen, insbesondere im Konventspräsidium selbst, erlauben wir uns,
namens der Expertengruppe der christlichen Kirchen unter Verweis auf deren
gemeinsame Stellungnahme vor dem Plenum des Konvents am 21.11.2003 festhalten,
-
dass
ihre Anliegen im Bereich der Grundrechte weitgehend berücksichtigt wurden, vor
allem durch die Anerkennung der Menschenwürde als Grundrecht, durch die
geplanten Regelungen der individuellen und korporativen Religionsrechte, des
Rechts auf Ehe und Familie und einiger sozialer Grundrechte; dafür ist die
Expertengruppe dankbar. Zahlreichen Anregungen und Texte der „Ökumenischen
Expertengruppe“ wurden als hilfreich und zwischen den oft starren Positionen
als vermittelnd angesehen. Die Kirchen haben ja nicht so sehr ihre eigenen
Belange in den Vordergrund gerückt als vielmehr Beiträge zur Verfassungsreform
im allgemeinen zu leisten versucht.
-
Andererseits
blieben Punkte offen, die nach Ansicht der „ökumenischen Expertengruppe im
Ausschuss 4 nicht oder noch nicht ausreichend beraten und beachtet wurden.
(a) Mit Bezug auf das Grundrecht der
Menschenwürde: die unmissverständliche Ablehung der Sterbehilfe und die
öffentliche Förderung der Sterbebegleitung.
(b) Mit Bezug auf die korporativen
Religionsrechte: die Annahme einer dem Art I 52 Abs 3 des Europäischen
Verfassungsvertrages nachgebildeteten „Dialogklausel“ mit folgender Textierung
„ Die gesetzlich anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften geniessen den
Beistand des Staates. Wegen ihres besonderen Beitrages wird der Staat mit ihnen
die grundsätzlichen, ihren Wirkungsbereich betreffenden Entwicklungen
durch Gesetzgebung und Vollziehung
in regelmäßigen, offenen und transparenten Beratungsvorgängen erörtern. Näheres
bestimmen die Gesetze“.
Die “Trennung von Staat und Kirche” in politischer Dimension erfordert
andererseits aber, dass Kirchen und Religionsgesellschaften als
gleichberechtigte Partner in ihrer Verantwortung für gesamtstaatliche
Entwicklungen anerkannt werden. Sie streben damit gerade nicht politischen
Einfluss oder Macht an; denn sie stehen außerhalb der politischen Prozesse und
Taktiken und nehmen ihren eigenen, spezifischen Auftrag wahr, für eine
menschenwürdige Politik und staatliche Entwicklung im Dienste der Menschen insgesamt zu wirken. Dazu ist ein
regelmäßiger und offener und für alle Teile der Bevölkerung transparenter
Dialog mit Parlament und Regierung zu pflegen.
(c) Mit Bezug auf die sozialen
Grundrechte: die Annahme und allfällige Erweiterung des von den Sozialpartnern
erstellten Arbeitspapieres zu den sozialen Grundrechten im Bereich der Arbeit,
das die „ökumenische Expertengruppe“ unterstützt; ferner die Verankerung des
Sonntags in der Formulierung „Die Republik Oesterreich achtet die Tradition
eines arbeitsfreien Tages in der Woche, insbesondere des Sonntags“.
(d) Mit Bezug auf die
Volksgruppenrechte: Anerkennung als Staatsziele das Bekenntnis zur kulturellen, religiösen und sprachlichen
Vielfalt, deren Achtung und Förderung, ferner die gegenseitige Achtung und die
Förderung der Zusammenarbeit zwischen allen im Staatsgebiet lebenden Menschen,
ferner das freie Bekenntnis zu einer Volksgruppe, ohne dass jemandem aus diesem
Bekenntnis oder aus der Ablehung
der Zugehörigkeit ein Nachteil erwachsen darf. Aufzunehmen wäre als eine
verfassungsrechtliche Vorgabe für eine Neufassung des geltenden
Volksgruppengesetzes ein rechtstaatliches Anerkennungsverfahren mit objektiven
Kriterien.
(e) Mit Bezug auf die Bildungs-/Schulrechte:
die vorgesehene Abschaffung der Zweidrittelmehrheit für grundlegende Aspekte
des Schulwesens im gegenwärtigen Art 14 Abs 10 B-VG (dem die „ökumenische
Expertengruppe nicht entgegentritt) erfordert die Sicherung folgender
staatskirchenrechtlicher Zusicherungen durch einen ergänzenden Absatz bei den
kollektiven Religionsrechten: Religionsunterricht als Pflichtgegenstand für
konfessionell bekennende SchülerInnen; Religionspädagogik als Pflichtgegenstand
in den Ausbildungsstätten der LehrerInnen; Gestaltung der Lehrpläne und der
Unterrichtsmaterialien, die Besorgung, Leitung und unmittelbare Aufsicht über
den Religionsunterricht durch die jeweils betroffene gesetzlich anerkannte
Kirche oder Religionsgesellschaft; die Erteilung der Unterrichtsbefähigung,
auch als Kriterium der Anstellung, für ReligionslehrerInnen durch die jeweils
betroffene Kirche oder Religionsgesellschaft; die Festlegung einer Privatschule
als konfessionelle Schule; der Anspruch auf Subventionierung der
konfessionellen Privatschulen zumindest im Ausmass der Personalausstattung der
öffentlichen Schulen.
Dem Österreich-Konvent sind alle Texte zu
diesen Punkten, verbunden mit Erläuterungen, zugegangen; darauf darf verwiesen
werden.
Wenn der
Entwurf einer neuen Bundesverfassung parlamentarisch behandelt werden wird,
werden die Kirchen den Prozess wiederum begleiten.
Die Kirchen
wollen sich bei Beachtung der von ihnen vertretenen, berechtigten Anliegen
einer Verfassungsreform bemühen, zur Information der Offentlichkeit und zur
Bildung der Urteilsfähigkeit in der Zivilgesellschaft beizutragen.
Wir dürfen
Sie, sehr geehrter Herr Präsident, bitten, die oben angesprochenen Problemkreise
ins Auge zu fassen, überdies, eine Kopie dieses Schreibens allen Mitgliedern
des Präsidiums zuzuleiten.
Mit
herzlichem Dank für alle Ihre Bemühungen und freundlichen Grüßen
für die
Ökumenische Expertengruppe
Raoul Kneucker
Christine Gleixner
Walter Hagel