14. 9. 2004

 

Ökumenische Expertengruppe

 

Soziale Grundrechte

 

Entwurf - Abänderungsvorschlag

 

 

Soziale Rechte haben ihren Ausgangspunkt und ihre Begründung in der Pflicht des Ge­meinwesens, die Menschenwürde zu achten und zu schützen. Es ist aus christlichem Ver­ständnis eine unverzichtbare Aufgabe des Staates, bei der Gewährleistung von Grund- und Menschenrechten für eine Balance von Individualität und Solidarität und für einen gerechten und wirksamen Ausgleich zwischen Freiheitsrechten und wesentlichen Lebens­bedürfnissen der Einzelnen zu sorgen. Dies erfordert eine gleichrangige Verbürgung li­beraler und sozialer Rechte auf Verfassungsebene.

 

Eine solche Ausgewogenheit des Grundrechtsschutzes entspricht auch dem europäischen Standard, wie er in den Verfassungen der meisten Mitgliedstaaten der EU sowie im Grundrechtskatalog der EU-Verfassung, die voraussichtlich in naher Zukunft Rechtsver­bindlichkeit erlangen wird, zum Ausdruck kommt.

 

Die christlichen Kirchen sind daher der Überzeugung, dass in die neue Verfassung ein Katalog sozialer Grundrechte aufgenommen werden soll, welche dem Einzelnen subjek­tive Rechte im Verfassungsrang vermitteln.

 

Diese Rechte können im konkreten Fall einen Anspruch auf bestimmte soziale Mindest­leistungen, ein Recht auf Gleichbehandlung bei der Gewährung staatlicher Leistungen oder aber auf Gewährleistung des grundrechtlich geschützten Rechts im Rahmen der formulierten Zielvorgaben durch den Staat, insbesondere durch den Gesetzgeber, ver­mitteln. Eine bloße Gewährleistungspflicht des Staates ohne entsprechende subjektive Rechtsposition des Einzelnen ist nach Auffassung der christlichen Kirchen allerdings für jene Rechte angezeigt, welche typischerweise nicht individualisierbar sind, wie z. B. ein nicht weiter spezifiziertes Recht auf „Wohnung“ oder auf „Arbeit“.

 

Ganz allgemein verkörpern ferner auch soziale Grundrechte objektive Grundsatznormen, die das Staatshandeln in allen seinen Erscheinungsformen binden. Diese Dimension so­zialer Grundrechte bietet die Grundlage für eine von den Kirchen in ihrem Sozialwort angeregten Sozialverträglichkeitsprüfung.

 

Die Gewährleistung sozialer Grundrechte erfolgt durch den einfachen Gesetzgeber  unter Beachtung der Grundsätze der Eigenverantwortung, der Nachhaltigkeit und der sozialen Gerechtigkeit. Maßgeblich sind ferner das Sachlichkeitsgebot sowie die Ein­griffsschranken allenfalls berührter Freiheitsrechte. Die erforderlichen Abwägungsvor­gänge eröffnen dem Gesetzgeber relativ weite Gestaltungsspielräume.

 

 

 

Soziale Grundrechte sind, soferne sie als subjektive öffentliche Rechte verbürgt werden, nach der gegenwärtig geltenden Rechtslage entweder mittels Bescheidbeschwerde beim Verfassungsgerichtshof oder in Angelegenheiten, deren Grundlage privatrechtliche Rechtsverhältnisse bilden, mit Klage vor den ordentlichen Gerichten durchsetzbar. Die Frage, ob dies einen ausreichenden und effizienten Rechtsschutz sicherstellt oder ob zu­sätzliche Vorsorgen im Verfahrensrecht, bei der Antragslegitimation sowie in den Kom­petenzen des Verfassungsgerichtshofs erforderlich sind, ist zu prüfen.

 

Die im Folgenden angeführten Rechte orientieren sich, was ihren Gegenstand betrifft, im Wesentlichen an jenen, die in der EU-Grundrechtscharta und dieser folgend im EU-Verfassungsentwurf enthalten sind, gehen aber auch darüber hinaus, etwa durch Auf­nahme von Minderheitenrechten. Bei der inhaltlichen Ausgestaltung der einzelnen Grundrechte wurden eigenständige, auf die Funktion sozialer Grundrechte in einer Staatsverfassung abgestellte Lösungen auch unter Berücksichtigung von bestehendem österreichischem Verfassungsrecht gesucht. Ferner wurde eine knappe Diktion ange­strebt, wie sie für Grundrechte charakteristisch ist.

 

Eine allgemeine, offene und zielorientierte Formulierung sozialer Grundrechte, die auf Zukunft hin angelegt ist und neue sachadäquate Lösungen für künftige soziale Erforder­nisse zulässt, nicht blockiert, ist ein wesentliches legistisches Erfordernis. Nichts wäre dem Anliegen sozialstaatlicher Garantien in der Verfassung schädlicher als der Versuch, über entsprechend detaillierte Vorgaben die bestehende Sozialordnung und ihre Instituti­onen gleichsam zu „versteinern“ oder konkrete gesetzgeberische Maßnahmen vorzu­schreiben.

 

Die meisten der im Vorschlag enthaltenen sozialen Grundrechte sind auch im UN-Sozi­alpakt, vor allem aber in der Europäischen Sozialcharta (ESC) sowie in einzelne Schutz­bereiche betreffenden internationalen Verträgen verankert, welche Österreich völker­rechtlich binden. Die in diesem Abkommen enthaltenen Regelungen zählen jedenfalls zu den Grundlagen der Auslegung der in der österreichischen Verfassung zu verankernden respektiven sozialen Grundrechte. Zusätzliche inhaltliche Ausgestaltungen einzelner so­zialer Grundrechte stützen sich ferner auf die revidierte Fassung der ESC aus 1996 (Re­vESC), die Österreich unterzeichnet, aber noch nicht ratifiziert hat. Weitere Vorgaben finden sich im EGV, in der Gemeinschaftscharta der sozialen Grundrechte der Arbeit­nehmer vom 9. 12. 1989 (Gemeinschaftscharta) sowie in einer Reihe von Richtlinien, ins­besondere zur Gleichbehandlung von Frau und Mann.

 

Es wird angeregt, in der neuen Verfassung ausdrücklich auf die Funktion dieser Ver­bürgungen als Auslegungsmaximen hinzuweisen, um auf diese Weise eine inhaltliche Präzisierung der allgemein formulierten sozialen Rechte sicherzustellen.

 

Der nachfolgend vorgelegte Katalog fasst alle Verbürgungen zusammen, die als soziale Grundrechte betrachtet werden können und bezieht daher auch Gleichheitsrechte mit ein.

 


Soziale Grundrechte

Art 1

(1) Jeder Mensch hat das Recht auf Schutz seiner Gesundheit.

(2) Der Gesetzgeber gewährleistet ein allgemein und gleich zugängliches Gesundheitswe­sen, das Gesundheitsvorsorge und ärztliche Versorgung bietet, und bekämpft gesundheits­schädliche Umweltbedingungen.

 

Art 2

(1) Jeder Mensch hat das Recht auf soziale Sicherheit.

(2) Der Gesetzgeber gewährleistet ein System der Sicherung in den Fällen von Mutter­schaft, Krankheit, Pflegebedürftigkeit, Unfall, geminderte Erwerbsfähigkeit, Arbeitslo­sigkeit und Alter sowie die gleiche Teilhabe an diesem System.

(3) Wer in Not gerät und nicht für sich sorgen kann, hat einen durch Gesetz verbürgten An­spruch auf Hilfe, Betreuung und Unterkunft sowie auf jene Mittel, die für ein menschen­würdiges Dasein unerlässlich sind.

(4) Die öffentliche Hand arbeitet bei der Erfüllung von sozialpolitischen Aufgaben mit den nicht gewinnorientierten Trägern der freien Wohlfahrt zusammen.

 

Art 3

(1) Jeder Mensch hat das Recht auf Arbeit unter gerechten und angemessenen Bedingungen. Dieses Recht wird durch den Gesetzgeber gewährleistet.

(2) Bund, Länder und Gemeinden bekennen sich zu einer aktiven Arbeitsmarktpolitik.

 

Art 4

Die Republik Österreich achtet die Tradition eines arbeitsfreien Tages in der Woche, ins­besondere des Sonntags.

 

Art 5

(1) Jeder Mensch hat das Recht auf Wohnung zu angemessenen Bedingungen.

(2) Bund, Länder und Gemeinden bekennen sich zu einer entsprechenden Wohnungspoli­tik.

 

Art 6 (Im Ausschuss bereits behandelt und verabschiedet)

(1) Jeder Mensch hat das Recht auf Bildung mit dem Ziel der vollen Entfaltung der menschli­chen Persönlichkeit und der Stärkung der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten.

Dazu zählen insbesondere

a)      der Zugang zur beruflichen Aus- und Weiterbildung;

b)      der unentgeltliche Pflichtschulbesuch;

c)      der Zugang zum Religionsunterricht in den Schulen;

d)      der Zugang zur Erwachsenenbildung und zum lebenslangen Lernen.

(2) Bund, Länder und Gemeinden haben bei Ausübung der von ihnen auf dem Gebiet der Erzie­hung und des Unterrichts übernommenen Aufgaben das Recht der Eltern zu achten, die Er­ziehung und den Unterricht entsprechend ihren eigenen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen sicher zu stellen.

(3) Jeder Staatsbürger ist berechtigt, Privatschulen zu errichten und zu betreiben. Die Unterrichts­erteilung ist an den Nachweis der gesetzlichen Befähigung gebunden.

Der häusliche Unterricht unterliegt dieser Beschränkung nicht.

(4) Die Wissenschaft und ihre Lehre sind frei

 

Art 7

Jeder Mensch hat das Recht auf Gewährleistung des gleichen Zugangs zu Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse zu fairen Bedingungen und in angemessener Qualität durch den Gesetzgeber.

 

Art 8

(1) Ehe und Familie werden anerkannt und geschützt.

(2) Pflege und Erziehung ihrer Kinder ist Recht und Aufgabe der Eltern. Bund, Länder und Ge­meinden haben bei der Ausübung der von ihnen auf dem Gebiet der Erziehung und des Un­terrichts übernommenen Aufgaben das Recht der Eltern zu achten, die Erziehung und den Unterricht entsprechend ihren eigenen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen si­cher zu stellen.

(3) Eltern und ihre Kinder haben das Recht auf Schutz und Fürsorge sowie auf Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Aus der Eigenschaft als Mutter oder Vater darf kein Nachteil erwachsen.

Diese Rechte gewährleistet der Gesetzgeber.

 

Art 9

(1) Kinder und Jugendliche bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres haben Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge, die für ihr Wohlergehen notwendig sind, sowie auf regelmä­ßige persönliche Beziehungen und direkten Kontakt zu beiden Elternteilen, es sei denn, dies stehe seinem Wohlergehen entgegen.

Diese Rechte gewährleistet der Gesetzgeber.

(2) Bei allen Maßnahmen öffentlicher und privater Einrichtungen, die Kinder oder Jugendliche betreffen, hat deren Wohl Vorrang vor allen anderen Zielsetzungen.

(3) Kinderarbeit und jede andere Form der Ausbeutung von Kindern ist vom Gesetzgeber zu verbieten.

 

Art 10

(1) Frauen und Männer sind gleichberechtigt.

(2) Sie haben das Recht auf Gleichstellung in allen Lebensbereichen durch den Gesetzgeber.

Der Gleichberechtigung von Männern und Frauen stehen Vergünstigungen zum Ausgleich bestehender Ungleichheiten nicht entgegen.

 

Art 11

Alte Menschen haben das Recht auf ein würdiges und unabhängiges Leben, auf Teilnahme am Arbeitsleben sowie am sozialen, politischen und kulturellen Leben und auf Hilfe im Fall der Pflegebedürftigkeit.

Diese Rechte gewährleistet der Gesetzgeber.

 

Art 12

(1) Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(2) Behinderte haben ein Recht auf Zugang zu und auf Gleichstellung in allen Bereichen des tägli­chen Lebens.

      Dieses Recht gewährleistet der Gesetzgeber.

 

 

Art 13 (Formulierung wird im Ausschuss bereits diskutiert – siehe Protokoll der 21. Sit­zung)

 

(1) Alle Menschen haben das Recht auf Wahrung und Pflege ihrer Sprache und kulturellen Identi­tät.

(2) Das Bekenntnis zu einer Volksgruppe ist frei.

(3) Sprache und Kultur, Bestand und Erhaltung der Volksgruppen werden geachtet, gefördert und geschützt.

(4) Art 66 Abs 3 und 4 StV v. St. Germain, StGBl Nr. 303/1920 und Art 7 des StV v. Wien, BGBl 152/1955 sind Bestandteil der Bundesverfassung.

 

Art 14

Flüchtlinge haben das Recht auf Asyl.

Dieses Recht gewährleistet der Gesetzgeber.


Erläuterungen

 

Der vorliegende Entwurf stellt eine erweiterte Fassung des inhaltlich weitestgehend beibehaltenen Vorschlags der ökumenischen Expertengruppe für einen Katalog so­zialer Grundrechte und Gleichheitsrechte dar, der dem Konvent am 14. 4. 2004   übermittelt worden ist. Die neu hinzugekommenen Formulierungen sollen vor allem klarstellen, dass die sozialen Rechte vom einfachen Gesetzgeber zu gewährleisten und zunächst auf dem von diesem vorgesehenen Rechtsweg geltend zu machen sind. Gesetzgeber und Vollziehung stehen dabei unter der nachprüfenden Kontrolle des VfGH. Einige soziale Grundrechte wurden inhaltlich präzisiert. Fer­ner wurde klar ausgesprochen, welche Verbürgungen nach Auffassung der christli­chen Kirchen als bloße Staatsziele ohne Verleihung subjektiver Rechte normiert werden sollen.

 

Art 1

(1) Jeder Mensch hat das Recht auf Schutz seiner Gesundheit.

(2) Der Gesetzgeber gewährleistet ein allgemein und gleich zugängliches Gesundheitswe­sen, das Gesundheitsvorsorge und ärztliche Versorgung bietet, und bekämpft gesundheits­schädliche Umweltbedingungen.

 

Erläuterungen:

Mit der Präambel der WHO-Satzung geht Art 1 von einem umfassenden Begriff der Gesundheit aus, als einem Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und nicht nur des Freiseins von Krankheiten und Gebrechen. Unter dem Schutz der Gesundheit sind sowohl kurative als auch präventive Maßnahmen einschließlich der Gewährleistung einer gesunden Umwelt zu verstehen. Das Gesundheitssystem soll allgemein und ohne Diskrimi­nierung zugänglich sein.

 

Gesundheitsbezogene Schutzpflichten des Staates können auch einem Recht auf körperliche Un­versehrtheit entnommen werden, wenn ein solches in die Verfassung aufgenommen wird (vgl. Art 3 GRCh).

 

Art 1 entspricht im Wesentlichen Art II-35 Verfassungsvertrag (VerfV) und stützt sich ferner auch auf Art 11 ESC und Art 152 EGV.

 

Art 2

(1) Jeder Mensch hat das Recht auf soziale Sicherheit.

(2) Der Gesetzgeber gewährleistet ein System der Sicherung in den Fällen von Mutter­schaft, Krankheit, Pflegebedürftigkeit, Unfall, geminderte Erwerbsfähigkeit, Arbeitslo­sigkeit und Alter sowie die gleiche Teilhabe an diesem System.

(3) Wer in Not gerät und nicht für sich sorgen kann, hat einen durch Gesetz verbürgten An­spruch auf Hilfe, Betreuung und Unterkunft sowie auf jene Mittel, die für ein menschen­würdiges Dasein unerlässlich sind.

(4) Die öffentliche Hand arbeitet bei der Erfüllung von sozialpolitischen Aufgaben mit den nicht gewinnorientierten Trägern der freien Wohlfahrt zusammen.

 

Erläuterungen:

Abs 2 vermittelt das Recht auf Gewährleistung eines vom Staat verantworteten Systems der Ab­sicherung gegen typische Lebensrisken sowie das Recht, an diesem System ohne Diskriminie­rung teilzuhaben.

Hiezu Art II-34 Abs 1 VerfV, ferner wird auf Art 12 ESC sowie auf Nr. 10 der Gemeinschafts­charta hingewiesen.

 

Abs 2 gewährt einen Anspruch auf ausreichende Hilfe in Notsituationen und vermittelt ein Recht auf Gewährleistung entsprechender Sozialhilfeeinrichtungen wie sie in Art 2 aufgezählt sind.

 

Er entspricht inhaltlich Art II-34 Abs 3 VerfV, ferner wird auf Art 13 ESC verwiesen.

 

Abs 3 anerkennt den sozialen Auftrag der nicht gewinnorientierten Träger der freien Wohlfahrt und verpflichtet den Staat zur Zusammenarbeit mit diesen. Auf die von den christlichen Kirchen vorgeschlagene Aufnahme einer „Dialogklausel“ in den Ausschussentwurf zur Religionsfreiheit wird hingewiesen.

 

Art 3

(1) Jeder Mensch hat das Recht auf Arbeit unter gerechten und angemessenen Bedingungen. Dieses Recht wird durch den Gesetzgeber gewährleistet.

(2) Bund, Länder und Gemeinden bekennen sich zu einer aktiven Arbeitsmarktpolitik.

 

Erläuterungen:

Art 3 Abs 1 entspricht in seiner Formulierung im Wesentlichen Art 31 Abs 1 GRCh. Er fasst unter dem Ausdruck „gerechte und angemessene [Arbeits-]bedingungen“ jene Anforderungen an das Arbeitsrecht zusammen, die sich beispielhaft aus Art 31 Abs 2 und Art 32 GRCh, aus Art 1 Z 3 und 4 sowie aus Art 2 – 4 und Art 7 ESC, Art 26 RevESC sowie aus den einschlägigen Be­stimmungen der Gemeinschaftscharta ergeben und begründet ein Recht auf die Gewährleistung entsprechender Arbeitsbedingungen durch den Gesetzgeber. Dieser ist ferner verpflichtet, allfäl­ligen neuen Gefährdungslagen im Bereich der Arbeitsbeziehungen zu begegnen.

 

Zu dem in Art II-31 Abs 2 VerfV verbürgten Recht auf wöchentliche Ruhezeit besteht die Forde­rung nach Garantie der Sonntagsruhe in der Verfassung (siehe hiezu auch Art 2 Z 5 ESC).

 

Art 3 Abs 2 verpflichtet die Gebietskörperschaften in Form eines Staatsziels zu einer akti­ven Arbeitsmarktpolitik.

 

Art 4

Die Republik Österreich achtet die Tradition eines arbeitsfreien Tages in der Woche, ins­besondere des Sonntags.

 

Erläuterungen:

In Ergänzung des in Art 3 formulierten, vom Gesetzgeber zu gewährleistenden Rechts auf Arbeit unter gerechten und angemessenen Bedingungen verpflichtet der neu eingefügte Art 4 die Gebietskörperschaften, einen festen arbeitsfreien Tag – nach österreichischer Tradi­tion wird dies in erster Linie der Sonntag sein – zu sichern.

 

Sonn- und Feiertage stellen für alle Menschen in unserer Gesellschaft, insbesondere für Gruppierungen, die im kulturellen, religiösen, sportlichen, sozialen oder politischen Be­reich tätig sind, einen unverzichtbaren Wert dar.

 

Als Inbegriff gemeinsamer freier Zeit ist der arbeitsfreie Sonntag ein wesentlicher Teil un­seres gesellschaftlichen, religiösen, kulturellen und familiären Zusammenlebens und besitzt einen gesellschaftlichen Wert als Rhythmusgeber und gemeinsame Atempause für unser aller Lebensqualität. Gerade der gemeinsame arbeitsfreie Sonntag ist ein Zeichen dafür, dass der Mensch mehr ist als Arbeitskraft und Konsument.

 

Eine Ausweitung der Sonn- und Feiertagsarbeit in gesellschaftlich nicht notwendige Berei­che bedeutet somit einen gravierenden Einschnitt in das Gefüge der Gesellschaft und soll vermieden werden.

 

Art 5

(1) Jeder Mensch hat das Recht auf Wohnung zu angemessenen Bedingungen.

(2) Bund, Länder und Gemeinden bekennen sich zu einer entsprechenden Wohnungspoli­tik.

 

Ein Recht auf Wohnen verpflichtet den Staat zu einer geeigneten Wohnungspolitik, die für eine ausreichende Wohnversorgung zu erschwinglichen Preisen sorgt, die aber vom Einzelnen rechtlich nicht einforderbar ist. Hiezu auch Art 31 RevESC.

 

Das Recht auf Bereitstellung einer Unterkunft im Fall der Obdachlosigkeit wurde wegen des inhaltlichen Zusammenhangs in Art 2 integriert.

 

Art 6

(1) Jeder Mensch hat das Recht auf Bildung mit dem Ziel der vollen Entfaltung der menschli­chen Persönlichkeit und der Stärkung der Achtung der Menschenrechte und Grundfreiheiten.

Dazu zählen insbesondere

e)      der Zugang zur beruflichen Aus- und Weiterbildung;

f)        der unentgeltliche Pflichtschulbesuch;

g)      der Zugang zum Religionsunterricht in den Schulen;

h)      der Zugang zur Erwachsenenbildung und zum lebenslangen Lernen.

(2) Bund, Länder und Gemeinden haben bei Ausübung der von ihnen auf dem Gebiet der Erzie­hung und des Unterrichts übernommenen Aufgaben das Recht der Eltern zu achten, die Er­ziehung und den Unterricht entsprechend ihren eigenen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen sicher zu stellen.

(3) Jeder Staatsbürger ist berechtigt, Privatschulen zu errichten und zu betreiben. Die Unterrichts­erteilung ist an den Nachweis der gesetzlichen Befähigung gebunden.

Der häusliche Unterricht unterliegt dieser Beschränkung nicht.

(4) Die Wissenschaft und ihre Lehre sind frei

 

Erläuterungen:

Ein Antrag auf Verbürgung der in Art 5 angeführten Rechte wurde bereits im Ausschuss 4 be­handelt und verabschiedet. Auf die dort gegebenen Erläuterungen wird verwiesen.

 

Art 7

Jeder Mensch hat das Recht auf Gewährleistung des gleichen Zugangs zu Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse zu fairen Bedingungen und in angemessener Qualität durch den Gesetzgeber.

 

Erläuterungen:

Art II-36 VerfV gewährt ein Recht auf Zugang zu „Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftli­chen Interesse“. Art 7 greift diese Verbürgung auf und verleiht einen Anspruch auf gleichen Zu­gang zu diesen Einrichtungen sowie ein Recht auf Gewährleistung solcher Leistungen zu fairen Bedingungen und in angemessener Qualität. Die öffentliche Hand kann diese Leistungen entwe­der selbst erbringen oder an Private übertragen. Diesfalls ist sie verpflichtet, geeignete Maßnah­men zur Sicherstellung der Anforderungen gem. Art 7 zu treffen.

 

Statt des in der ersten Fassung traditionellen Ausdrucks „öffentliche Leistungen der Daseinsvorsorge“ wird nunmehr die Bezeichnung im Verfassungsentwurf verwendet.

 

Art 8

(1) Ehe und Familie werden anerkannt und geschützt.

(2) Pflege und Erziehung ihrer Kinder ist Recht und Aufgabe der Eltern. Bund, Länder und Ge­meinden haben bei der Ausübung der von ihnen auf dem Gebiet der Erziehung und des Un­terrichts übernommenen Aufgaben das Recht der Eltern zu achten, die Erziehung und den Unterricht entsprechend ihren eigenen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen si­cher zu stellen.

(3) Eltern und ihre Kinder haben das Recht auf Schutz und Fürsorge sowie auf Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Aus der Eigenschaft als Mutter oder Vater darf kein Nachteil erwachsen.

Diese Rechte gewährleistet der Gesetzgeber.

 

Erläuterungen:

Art 8 legt soziale Grundrechte der Familie fest. Er berücksichtigt dabei Art II-33 VerfV, die Art 8 und 16 ESC sowie Art 8 und 12 EMRK und Art 2 1. ZPEMRK. Abs 1 hebt die besondere Be­deutung von Ehe und Familie ausdrücklich hervor und statuiert eine Schutzpflicht des Staates.

 

Die Begriffe von Ehe und Familie sind den Art 12 und 8 EMRK und der dazu ergangenen Judi­katur zu entnehmen: Ehe bedeutet gem. Art 12 EMRK die auf Dauer angelegte rechtsförmliche Verbindung von Mann und Frau, der Familienbegriff des Art 8 EMRK ist hingegen weit und umfasst auch die Beziehungen nicht verheirateter Eltern, Adoptiv- oder Pflegeeltern sowie von Alleinerziehenden zu ihren Kindern.

 

Die besondere Schutzpflicht des Staates gegenüber diesen Lebensformen vermittelt dem Betrof­fenen ein Recht auf entsprechende Berücksichtigung ihrer Lebenssituation. Dies bedeutet unter anderem die Pflicht des Gesetzgebers zu einer sachlichen Differenzierung zwischen Eltern und Kinderlosen mit dem Ziel einer Angleichung der Situation dieser beiden Bevölkerungsgruppen. Als Förderungsmaßnahme nennt Art 16 ESC beispielsweise Sozial- und Familienleistungen, steuerliche Maßnahmen, Förderung des Baus familiengerechter Wohnungen, Hilfe für junge Eheleute, verweist aber ausdrücklich auf andere Mittel jeglicher Art.

 

Abs 3 hebt insbesondere das Recht der Eltern aber auch der betroffenen Kinder auf Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf hervor. Damit sind nicht nur die traditionellen Maßnahmen des Mutterschutzes und des Elternurlaubs im Zusammenhang mit der Geburt eines Kindes angesprochen, sondern auch beispielsweise die Gestaltung von Arbeitsverhältnissen, Hil­fen bezüglich der Kinderbetreuung oder steuerliche Maßnahmen.

Ausdrücklich ist ferner ein Diskriminierungsverbot für Eltern festgelegt. Vgl. hiezu auch Art 27 RevESC.

 

Abs 2 garantiert den Vorrang der Eltern bei der Pflege und Erziehung der Kinder. Notwendige Eingriffe des Staates in dieses Recht im Interesse des Kindeswohls können sich auf Art 9 dieses Vorschlages stützen (verwiesen wird auch auf Art 9 der Kinderrechtskonvention).

 

Gem. Abs 2 Satz 2 haben Eltern das Recht zu verlangen, dass der Staat dabei und allgemein bei der Wahrnehmung von Aufgaben der Erziehung und des Unterrichts ihr Recht auf Erziehung und Unterricht entsprechend ihrer religiösen und weltanschaulichen Überzeugung achtet. Diese Ga­rantie enthält schon jetzt Art 2 1. ZPEMRK. Sie hat bereits Eingang in den Ausschussentwurf betreffend das Recht auf Bildung gefunden.

 

Art 9

(1) Kinder und Jugendliche bis zur Vollendung des 18. Lebensjahres haben Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge, die für ihr Wohlergehen notwendig sind, sowie auf regelmä­ßige persönliche Beziehungen und direkten Kontakt zu beiden Elternteilen, es sei denn, dies stehe seinem Wohlergehen entgegen.

Diese Rechte gewährleistet der Gesetzgeber.

(2) Bei allen Maßnahmen öffentlicher und privater Einrichtungen, die Kinder oder Jugendliche betreffen, hat deren Wohl Vorrang vor allen anderen Zielsetzungen.

(3) Kinderarbeit und jede andere Form der Ausbeutung von Kindern ist vom Gesetzgeber zu verbieten.

 

Erläuterungen:

Art 9 legt Rechte von Kindern und Jugendlichen bis zum 18. Lebensjahr auf Schutz und Für­sorge fest, wie sie vor allem aus der Kinderrechtskonvention ergeben und verpflichten den Staat dazu, entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Er wird sich dabei an der Kinderrechtskon­vention orientieren, auf einen ausdrücklichen Verweis auf diese Konvention wurde aber aus legistischen Überlegungen verzichtet.

 

Abs 2 hebt ausdrücklich den Vorrang des Kindeswohl vor allen anderen Zielsetzungen hervor (Art 3 Abs 1 Kinderrechtskonvention). Art 9 berücksichtigt Art II-24 sowie Art II-32 VerfV.

 

Abs 3 spricht ein ausdrückliches Verbot von Kinderarbeit und anderen Formen der Aus­beutung von Kindern aus.

 

Art 10

(1) Frauen und Männer sind gleichberechtigt.

(2) Sie haben das Recht auf Gleichstellung in allen Lebensbereichen durch den Gesetzgeber.

Der Gleichberechtigung von Männern und Frauen stehen Vergünstigungen zum Ausgleich be­stehender Ungleichheiten nicht entgegen.

 

Erläuterungen:

Art 10 betont ausdrücklich die schon im allgemeinen Gleichheitsgrundsatz verbürgte Gleichbe­rechtigung von Frauen und Männern und verleiht diesen ein Recht auf Gleichstellung in allen Lebensbereichen. Damit geht er über Art 7 Abs 2 B-VG hinaus, welche deren tatsächliche Gleichstellung lediglich als Staatsziel verankert. Wie Art 7 Abs 2 B-VG erklärt Art 10 Abs 2 einseitig begünstigende Maßnahmen zum Zweck des Ausgleichs bestehender Ungleichheiten ausdrücklich für zulässig.

 

Art 10 berücksichtigt Art II-23 VerfV, welcher sich seinerseits auf Art 2, Art 3 Abs 2 und Art 141 Abs 3 und 4 EGV sowie auf die Gleichbehandlungsrichtlinie 76/207 EWG beruft.

 

Art 11

Alte Menschen haben das Recht auf ein würdiges und unabhängiges Leben, auf Teilnahme am Arbeitsleben sowie am sozialen, politischen und kulturellen Leben und auf Hilfe im Fall der Pflegebedürftigkeit.

Diese Rechte gewährleistet der Gesetzgeber.

 

Erläuterungen:

Art 11 garantiert alten Menschen spezifische, auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Rechte. Sie dürfen von den genannten Lebensbereichen nicht ausgeschlossen werden. Dem steht eine Pflicht des Staats gegenüber, die Teilnahme durch entsprechende Maßnahmen zu ermöglichen.

 

Das Recht auf ein würdiges und unabhängiges Leben ist insbesondere durch die Sicherung eines angemessenen Lebensstandards im Alter und durch Hilfe bei Pflegebedürftigkeit zu sichern. In diesem Zusammenhang wird auch auf Art 2 dieses Vorschlags verwiesen. Das Recht umfasst aber z. B. auch ein Recht auf entsprechende Gestaltung der Lebensverhältnisse in Alters- und Pflegeheimen.

 

Art 11 entspricht inhaltlich weitgehend Art II-25 VerfV und stützt sich auch auf Nr. 25 und 26 der Gemeinschaftscharta. Siehe auch Art 23 RevESC.

 

Art 12

(1) Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.

(2) Behinderte haben ein Recht auf Zugang zu und auf Gleichstellung in allen Bereichen des tägli­chen Lebens.

Dieses Recht gewährleistet der Gesetzgeber.

 

Erläuterungen:

Art 12 hebt ausdrücklich das Verbot der Diskriminierung behinderter Menschen hervor. Er gibt diesen einen Anspruch auf Maßnahmen zur Integration in allen Lebensbereichen und geht damit über Art 7 Abs 1 3. Satz B-VG hinaus, der lediglich ein Staatsziel dieses Inhalts kennt. Einen Anspruch auf Integration Behinderter anerkennt auch Art II-26 VerfV. Dieser Anspruch kann sich auch auf Art 15 ESC und Nr. 26 der Gemeinschaftscharta berufen.

 

Art 13

(1) Alle Menschen haben das Recht auf Wahrung und Pflege ihrer Sprache und kulturellen Identi­tät.

(2) Das Bekenntnis zu einer Volksgruppe ist frei.

(3) Sprache und Kultur, Bestand und Erhaltung der Volksgruppen werden geachtet, gefördert und geschützt.

(4) Art 66 Abs 3 und 4 StV v. St. Germain, StGBl Nr. 303/1920 und Art 7 des StV v. Wien, BGBl 152/1955 sind Bestandteil der Bundesverfassung.

 

Erläuterungen:

Eine über diesen Vorschlag inhaltlich hinausgehende Formulierung der Volksgruppen­rechte wurde im Ausschuss bereits akzeptiert (Protokoll der 21. Sitzung).

 

Art 14

Flüchtlinge haben das Recht auf Asyl.

Dieses Recht gewährleistet der Gesetzgeber.

 

Erläuterungen:

Art 14 gewährt Flüchtlingen in Übereinstimmung mit Art 18 GRCh ein Recht auf Asyl. Damit besteht ein verfassungsgesetzlich gewährleisteter Anspruch der Betroffenen auf Gewährung von Asyl. Der Gesetzgeber wird dabei das Genfer Abkommen v. 28. 7. 1951 und das Protokoll v. 31. 1. 1967 über die Rechtsstellung der Flüchtlinge beachten, ein ausdrücklicher Verweis auf diese internationalen Vereinbarungen unterbleibt aber aus legistischen Gründen.