Ökumenische
Expertengruppe
Österreich –
Konvent
Ausschuss 4
Grundrechte
Zu
„Volksgruppenrechten“
Die Pfarrgemeinden
vor allem der katholischen, der evangelischen und der orthodoxen Kirchen in
Österreich sind oftmals Zentren der Begegnung, der kulturellen und sozialen
Aktivitäten und der religiösen Gemeinschaftsbildung von Volksgruppen. Die
Erfahrungen der Kirchen mit Volksgruppen motivieren die Ökumenische
Expertengruppe, einen neuerlichen
Beitrag zur Konsensbildung im Österreich-Konvent zu Fragen der
Volksgruppenrechte zu leisten; sie will versuchen, auf der Basis der
Diskussionen im Ausschuss 4 zwischen den Positionen zu vermitteln; sie glaubt,
dass die Positionen weitgehend vereinbar sind, d.h. dass Elemente des Konsenses
den Dissens überwiegen.
Die Ökumenische
Expertengruppe lässt sich dabei von folgenden Erwägungen leiten:
-
Die
verfassungsrechtlichen Neuregelungen sollten offen für eine zukünftige
Entwicklung sein; die historischen Regelungen, die übrigens noch nicht in allen
Punkten umgesetzt sind, genügen dafür nicht mehr.
-
Neuregelungen
sollten die tatsächliche Lage, die Wirklichkeit in den einzelnen Gemeinden,
aber auch die Unterschiede in der Situation der Volksgruppen in den
Ballungszentren, insbesondere dem Wiener Raum, und in den anderen Landesteilen
beachten.
-
Neuregelungen
sollten vor allem die Veränderungen in den Lagen ethnischer Minderheiten seit
dem 2. Weltkrieg beachten: die schrittweise Auflösung der Siedlungsgebiete,
selbst für die historischen, „autochthonen“ Minderheiten, die Migrationen, die
Flüchtlingswellen, die Auswirkungen der beruflichen Mobilität, die Änderungen
der Rechtslage in Europa durch neue Konventionen und durch den Prozess der
europäischen Einigung.
Die Expertengruppe
ist der Auffassung, dass der zuletzt erarbeitete Textvorschlag des Ausschusses 4 eine geeignete Grundlage
für die weiteren Beratungen darstellt. Sie erläutert im folgenden, warum sie
diese Auffassung vertritt.
1. Zunächst sind die
beiden staatszielartigen Prinzipien beizubehalten, wonach sich Bund, Länder und
Gemeinden zur sprachlichen und kulturellen Vielfalt bekennen, die Vielfalt
achten und fördern wollen; wonach sie ferner die gegenseitige Achtung und die
Zusammenarbeit zwischen allen im Staatsgebiet lebenden Menschen fördern wollen,
ungeachtet ihrer Sprache, Kultur und Volksgruppenzugehörigkeit. Die Vielfalt
drückt sich heute nicht mehr allein in den autochthonen Minderheiten aus,
insoferne ist Art 8 B-VG überholt und wirklichkeitsfremd. Die allgemeine
Forderung nach Toleranz und Anerkennung aller Volksgruppen und der Volksgruppen
untereinander fehlt in Art 8 B-VG.
2. Der Grundsatz „das
Bekenntnis zu einer Volksgruppe ist frei“ ist trotz der Freiheitsrechte und
Diskriminierungsverbote essentiell, ebenso der Grundsatz, dass einem
Angehörigen einer Volksgruppe aus seinem Bekenntnis zur Volksgruppe oder aus
der Ablehnung seiner Zugehörigkeit zur Volksgruppe kein Nachteil erwachsen
darf; gleiches gilt für einen Wechsel dieses Bekenntnisses. Die
Gleichheitsrechte genügen nicht; sie sind mit wenigen Ausnahmen
staatsgerichtet, Nachteile und
Diskriminierungen können sich aber in vielen gesellschaftlichen Bereichen
ergeben. Feststellungsverfahren sind abzulehnen.
3. Im Zuge einer
Neufassung des Volksgruppengesetzes ist es ratsam, das rudimentäre
Anerkennungsverfahren für Volksgruppen rechtstaatlich auszubauen; damit wird
Transparenz gesichert, damit werden objektive Kriterien anwendbar und durch die
Kontrolle der Höchstgerichte nachprüfbar: wie vor allem eine signifikante Zahl
potentieller Angehöriger, deren nichtdeutsche Muttersprache, eine nachhaltige
Organisation, eigenes Brauchtum. Das zuletzt genannte Kriterium bedeutet, dass
statistische Erwägungen nicht ausreichen und namensgleiche Minderheiten nicht
über einen kulturellen Leisten geschlagen werden dürfen. Art 67 StV St.Germain
ist in den Text zu übernehmen. Anerkannte Volksgruppen sollen nicht nur den
Schutz des Staates genießen, sondern sollen Anspruch auf Förderung ihrer Kultur
haben, allerdings im Rahmen der Gesetze und der budgetären Möglichkeiten;
Förderungen bestehen übrigens nicht allein in der Form direkter Subventionen
und anderer finanzieller Zuwendungen. Indirekte Förderungen zum Anreiz privater
und eigenfinanzierter Aktivitäten sind oft wirksamer.
4. Die autochthonen
österreichischen Minderheiten sind durch Art.7 StV Wien und durch die
Ausführungsgesetze in besonderer Weise geschützt. Wenn der StV Wien in einem
vorgesehenen Nebengesetz zur neuen Bundesverfassung erhalten bliebe, bedürfte
es keiner weiteren Formulierung der Minderheitenrechte in diesem Text; wenn
nicht, sollte der Inhalt des Art 7 in den Text übernommen werden, ungefähr so
wie es der bisherige Textentwurf des Ausschusses 4 vorsieht. In diesen Text könnte oder sollte insbesondere die
Volksgruppenförderung des gegenwärtigen Volksgruppengesetzes für die
autochthonen Minderheiten aufgenommen werden.