Vorbemerkung: Der Textvorschlag geht von der Einführung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz in der Form aus, wie sie derzeit im Ausschuss 9 akkordiert ist.
Art. 89 B-VG lautet:
Art. 89. (1) Die Prüfung der Gültigkeit gehörig kundgemachter Verordnungen, Wiederverlautbarungen, Gesetze und Staatsverträge steht den Gerichten nicht zu, soweit in diesem Artikel nicht anderes bestimmt ist.
(2) Hat ein Gericht aus dem Grund der
Gesetzwidrigkeit Bedenken gegen die Anwendung einer Verordnung, so hat es beim
Verfassungsgerichtshof einen Antrag auf Aufhebung der betroffenen
Rechtsvorschrift zu stellen. Gleiches gilt, wenn ein Gericht Bedenken gegen die
Anwendung eines Gesetzes aus dem Grund der Verfassungswidrigkeit hat.
(3) Ist die vom Gericht anzuwendende
Rechtsvorschrift bereits außer Kraft getreten, so hat der Antrag des Gerichts
an den Verfassungsgerichtshof die Feststellung zu begehren, dass die
Rechtsvorschrift gesetz- oder verfassungswidrig war.
(4) Abs. 2 erster Satz und Abs. 3 gelten
für Kundmachungen über die Wiederverlautbarung, Abs. 2 und Abs. 3 nach Maßgabe
des Art. 140a für Staatsverträge sinngemäß.
(5) Durch Bundesgesetz wird geregelt,
welche Wirkungen der Antrag des Gerichts für das bei ihm anhängige Verfahren
hat.
Anmerkungen:
Die vorgeschlagene Neufassung des Art. 89 B-VG verfolgt den Zweck, im Interesse einer Steigerung der faktischen Effizienz des Rechtsschutzes die Befugnis zur Anfechtung von Gesetzen auf alle Gerichte (auch erstinstanzliche Gerichte sowie Verwaltungsgerichte des Bundes und der Länder) auszudehnen. Ansonsten werden im Interesse einer besseren Lesbarkeit des Verfassungstextes kleinere sprachliche Änderungen vorgeschlagen, die jedoch keine Änderung des normativen Gehalts der Bestimmung bewirken.
In Art. 139 Abs. 1 B-VG wird wird
folgender dritter Satz eingefügt:
Durch Bundes- oder Landesgesetz können
weitere Fälle vorgesehen werden,
in denen der Verfassungsgerichtshof über die Gesetzwidrigkeit von
Verordnungen auf Antrag von Amtsorganen und Organisationen erkennt.
Anmerkung:
Mit diesem Text wird eine verfassungsrechtliche Ermächtigung des jeweils zuständigen Bundes- bzw Landesgesetzgebers geschaffen, den Kreis der Anfechtungsberechtigten in Art. 139 Abs. 1 B-VG zu erweitern. Seine systematische Einordnung in Art. 139 Abs 1. B‑VG (vor dem Individualantrag) soll klarstellen, dass es sich dabei um einen Fall der abstrakten Normenkontrolle handelt. Der Begriff der Amtsorgane umfasst insbesondere jene auf Gesetz beruhenden Einrichtungen, denen spezifische Rechtsschutzaufgaben übertragen sind (zB Umweltanwaltschaften, Gleichbehandlungskommissionen, etc). Mit dem Begriff der Organisationen sollen außerhalb der Verwaltung stehende Personengruppen und Institutionen erfasst werden, die öffentliche Interessen oder stellvertretend für Andere subjektive Interessen wahrnehmen.
In Art. 140 Abs. 1 B-VG wird folgender
vierter Satz eingefügt:
(1a) Durch Bundes- oder Landesgesetz können
weitere Fälle vorgesehen werden,, in denen der Verfassungsgerichtshof über die
Verfassungswidrigkeit von Gesetzen auf Antrag von Amtsorganen und
Organisationen erkennt.
Anmerkung:
Mit diesem Text wird eine verfassungsrechtliche Ermächtigung des jeweils zuständigen Bundes- bzw Landesgesetzgebers geschaffen, den Kreis der Anfechtungsberechtigten in Art. 140 Abs. 1 B-VG zu erweitern. Seine systematische Einordnung in Art. 140 Abs 1. B‑VG (vor dem Individualantrag) soll klarstellen, dass es sich dabei um einen Fall der abstrakten Normenkontrolle handelt. Der Begriff der Amtsorgane umfasst insbesondere jene auf Gesetz beruhenden Einrichtungen, denen spezifische Rechtsschutzaufgaben übertragen sind (zB Umweltanwaltschaften, Gleichbehandlungskommissionen, etc). Mit dem Begriff der Organisationen sollen außerhalb der Verwaltung stehende Personengruppen und Institutionen erfasst werden, die öffentliche Interessen oder stellvertretend für Andere subjektive Interessen wahrnehmen.
Art. 144 B-VG lautet:
Art. 144 Abs. (1) Der Verfassungsgerichtshof
erkennt über Beschwerden gegen Entscheidungen von Gerichten, soweit der
Beschwerdeführer durch die Entscheidung in einem verfassungsgesetzlich
gewährleisteten Recht oder wegen Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung,
einer gesetzwidrigen Kundmachung über die Wiederverlautbarung eines Gesetzes
(Staatsvertrages), eines verfassungswidrigen Gesetzes oder eines rechtswidrigen
Staatsvertrages in seinen Rechten verletzt zu sein behauptet. Die Beschwerde
kann erst nach Erschöpfung des Instanzenzuges erhoben werden, wobei die
Ergreifung außerordentlicher Rechtsbehelfe nicht erforderlich ist. Der
Verfassungsgerichtshof hat bei seiner Entscheidung den Inhalt der
Rechtsvorschriften zu Grunde zu legen, den das Gericht angenommen hat.
(2) Zur Beschwerdeführung vor dem
Verfassungsgerichtshof nach Abs. 1 sind auch Amtsorgane und Organisationen
berechtigt, soferne ihnen im Verwaltungs- bzw. Gerichtsverfahren Parteistellung
zugekommen ist.
(3) Der Verfassungsgerichtshof kann die
Behandlung einer Beschwerde bis zur Verhandlung durch Beschluss ablehnen, wenn
sie im Lichte der bisherigen Rechtsprechung keine hinreichende Aussicht auf
Erfolg hat. Die Ablehnung der Behandlung ist jedoch unzulässig, wenn die
erhobenen Bedenken betreffend die Anwendung einer gesetzwidrigen Verordnung,
einer gesetzwidrigen Kundmachung über die Wiederverlautbarung eines Gesetzes
(Staatsvertrages), eines verfassungswidrigen Gesetzes oder eines rechtswidrigen Staatsvertrages vom Beschwerdeführer spätestens im Verfahren vor
den Gerichten zweiter Instanz bzw.
vor den Verwaltungsgerichten des Bundes oder der Länder geltend gemacht wurden.
Anmerkungen:
Der vorgeschlagene Text geht davon aus, dass es zur Einführung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz kommt, in der sämtliche „Art 133 Z 4 B‑VG“-Behörden aufgehen.
Abs. 1 sieht vor, dass gegen die Entscheidung von Gerichten (einschließlich des Obersten Gerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes) eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof wegen Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte und wegen der Verletzung in Rechten wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm möglich sein soll. Im Sinne einer Stärkung der Effektivität des Grundrechtsschutzes wird dem Verfassungsgerichtshof damit die Zuständigkeit eingeräumt, über behauptete Grundrechtsverletzungen durch gerichtliche Entscheidungen zu urteilen. Zudem wird den Parteien eines gerichtlichen Verfahrens die Möglichkeit gegeben, ihre Bedenken ob der Rechtmäßigkeit von die Gerichtsentscheidung tragenden generellen Normen auch dann an den Verfassungsgerichtshof heranzutragen, wenn das Gericht von seinem Anfechtungsrecht keinen Gebrauch gemacht hat. Der Textvorschlag beinhaltet somit Elemente der in Diskussion stehenden „Gesetzesbeschwerde“, geht aber hinsichtlich des Rechtsschutzes in Bezug auf verfassungsgesetzlich gewährleistete Rechte darüber hinaus.
Hinsichtlich der Beschwerdelegitimation ist festzuhalten, dass die Verfassungsbeschwerde gegen jede Entscheidung der im ordentlichen Instanzenzug erreichbaren obersten Instanz zulässig ist. Eines außerordentlichen Rechtsmittels an den Obersten Gerichtshof bedarf es daher ebenso wenig wie einer Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision an den Verwaltungsgerichtshof.
Mit der vorgeschlagenen Verpflichtung des Verfassungsgerichtshofes, seiner Entscheidung jenen Inhalt der angewendeten Rechtsvorschriften zu Grunde zu legen, den das Gericht angenommen hat, soll bundesverfassungsgesetzlich klargestellt werden, dass in aller Regel dem Obersten Gerichtshof bzw. dem Verwaltungsgerichtshof – und nicht dem Verfassungsgerichtshof – die Befugnis zukommt, letzt verbindlich über den normativen Gehalt der vom Verfassungsgerichtshof zu prüfenden unterverfassungsgesetzlichen Rechtsvorschriften zu entscheiden.
Abs. 2 erweitert den Kreis der Beschwerdelegitimierten auf Amtsorganeund Organisationen, soferne ihnen in dem der Verfassungsgerichtshofbeschwerde vorausgegangenen Verwaltungs- bzw. Gerichtsverfahren Parteistellung zugekommen ist. Diese Ergänzung ist deshalb notwendig, weil ein Beschwerderecht verfassungspolitisch unabhängig davon wünschenswert erscheint, ob sie im Sinne der bisherigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs in ihren Rechten verletzt sein können.
Abs. 3 räumt dem Verfassungsgerichtshof zur Vermeidung seiner Überlastung ein Ablehnungsrecht ein. Dieses soll jedoch dann nicht greifen, wenn der Beschwerdeführer seine Bedenken ob der Rechtmäßigkeit der generellen Norm spätestens im Verfahren vor dem Gericht zweiter Instanz bzw. vor dem Landesverwaltungsgericht geltend gemacht hat. Damit soll ein Anreiz zur raschen Rüge allfälliger Normbedenken gegeben und gleichzeitig ein bewusstes Hintanhalten von Normbedenken zum Zwecke der Prozessverschleppung unattraktiv gemacht werden.
Im Textvorschlag nicht enthalten ist die nach der derzeit in Geltung stehenden Verfassungsrechtslage bestehende Möglichkeit des Verfassungsgerichtshofes, die Behandlung einer Beschwerde auch dann abzulehnen, wenn „von der Entscheidung die Klärung einer verfassungsrechtlichen Frage nicht zu erwarten ist“. Dieses Ablehnungsrecht stellte auf die unterschiedlichen Prüfungsmaßstäbe in den Verfahren vor dem Verfassungs- bzw. dem Verwaltungsgerichtshof ab, die mit der Abschaffung der Art. 144 B‑VG-Beschwerde in ihrer derzeitigen Form hinfällig ist. Nunmehr sind vom Verfassungsgerichtshof auch jene Grundrechtsverletzungen aufzugreifen, die auch eine Verletzung einfachgesetzlich gewährleisteter Rechte in sich schließen.