der gesetzlich anerkannten
christlichen Kirchen in Österreich
An das
Präsidium des Österreich-Konvents
z.H. Herrn Präsident Dr. Franz. Fiedler
Parlament
Dr.Karl Renner-Ring 1
1010 Wien 2004-06-30
Sehr geehrte Mitglieder des Präsidums,
die Zwischenberichte der Ausschüsse des Österreich-Konvents rechtfertigen die Aussage, dass die Arbeit des Konvents insgesamt erfolgreich sein kann, vor allem auch im Bereich der Grund- und Menschenrechte.
Die Ergebnisse der Konventsarbeit wurden von den Leitungen der gesetzlich anerkannten christlichen Kirchen ausführlich beraten und im Lichte ihrer gemeinsamen Stellungnahme, vorgetragen im Hearing des Konvents am 25.11.2003, geprüft. Im Einvernehmen mit den Kirchenleitungen erklärt die Expertengruppe, dass die Kirchen in Österreich in der zweiten Phase des Konvents wieder aktiv mitarbeiten wollen; die ökumenische Expertengruppe konnte schon bisher Beiträge leisten, die oft zwischen den Fronten vermittelt und tragfähige Kompromisse eingeleitet haben.
Dankbar ist festzuhalten, dass Menschenwürde ein Grundrecht sein soll, worüber Einstimmigkeit erzielt wurde, und dass für viele der sogenannten „klassischen“ Grundrechte ein schon weitgehender Konsens hergestellt werden konnte. Als Beispiele können etwa das Verbot der Tötung auf Verlangen, die Bildungs- und die Religionsrechte gelten. In diesen Fällen wäre die Arbeit mit Nachdruck fortzusetzen.
Die Beratungen im Ausschuss 4 konnten aber in wesentlichen Punkten nicht abgeschlossen werden:
- So blieb – trotz mehrheitlicher Zustimmung – das Recht auf Sicherstellung der Voraussetzungen, gerade auch der finanziellen Voraussetzungen für Palliativmedizin und ein menschenwürdiges Sterben unformuliert.
- Beim Recht auf Bildung fehlen noch die Prinzipien, Staatsziele, die den Gesetzgeber leiten sollen, wie z.B. die Ziele von Bildung allgemein und der öffentlichen Bildungseinrichtungen im besonderen, ein nach Begabungen differenziertes Schulwesen, das Privatschulwesen und seine subsidiäre staatliche Förderung, die staatskirchenrechtliche Zusicherung des Religionsunterrichtes. In diesen wenigen Grundsatzfragen müßten bei der Beschlussfassung der Gesetze die bisherigen Mhrheitserfordernisse beibehalten werden, um den gesellschaftspolitischen Konsens zu untermauern. Im übrigen soll der einfache Gesetzgeber durchaus ohne Formalschranken die Schulgesetze jeweils neu gestalten können, um z.B. die Wettbewerbsfähigkeit der Absolventen zu sichern.
- Bei den Rechten der gesetzlich anerkannten Kirchen ist die „Dialogklausel“ unerledigt geblieben, die dem Art 51 Abs 3 des Europäischen Verfassungsvertrages nachgebildet ist und auf Wunsch des Ausschusses 4 von der ökumenischen Expertengruppe überarbeitet und präzisiert wurde.
Die gesetzlich anerkannten christlichen Kirchen in Österreich begrüßen die Fortschritte in der Arbeit des Konvents und die in Aussicht genommene Verlängerung des Mandats des Ausschusses 4.
Sie weisen für die Weiterarbeit zunächst auf die Diskussionen in verschiedenen Ausschüssen hin, wonach –ähnlich wie im Europäischen Verfassungsvertrag – Staatsziele in der neuen österreichischen Bundesverfassung enthalten sein sollen. Wie von den Kirchen wird von vielen argumentiert, dass sich die Rolle des Staates in unserer Zeit wesentlich verändert hat und dass sie daher, wie in allen menschlichen Organisationen, einer Definition bedarf, die im politischen Prozess außer Streit steht.
Nach dem Beschluss der Regierungschefs der Europäischen Union, den Entwurf des Europäischen Verfassungsvertrages anzunehmen, wird sich die Weiterarbeit, vor allem in den Ausschüssen 4 und 1, stärker als bisher europäisch, d.h. unionsrechtlich orientieren müssen; so vor allem bei der Behandlung der „Dialogklausel“ und der sozialen Grundrechte.
Der beschlossene Verfassungsvertrag hat – was bisher in der öffentlichen Berichterstattung wohl übersehen wurde – die religiöse Dimension verstärkt.
- In der neu formulierten Präambel wird die prägende Kraft des religiösen Erbes deutlicher als bisher unterstrichen.
- Mit der Annahme des Art 51 hat die europäische Verfassung die Rolle der „freien Kirchen in einem freien Staat“ und „in einem freien Europa“grundsätzlich und gesamteuropäisch neu bestimmt.
- Mit der angenommenen „Dialogklausel“ hat die Verfassung die Identität der gesetzlich anerkannten Kirchen und ihre besonderen gesamtstaatlichen Leistungen anerkannt; sie hat damit auch das Potential der Kirchen für die künftige Politikgestaltung in den wesentlichen Entwicklungsfragen des staatlichen Gemeinwesens unterstrichen.
Die Kirchen haben vorgeschlagen, eine dem Art 51 Abs 3 nachgebildete „Dialogklausel“ in die neue österreichische Bundesverfassung aufzunehmen, - nicht nur wegen der am Gemeinwohl orientierten Arbeit der Kirchen, sondern auch als Konsequenz ihres besonderen Auftrages und ihrer Freiheit von parteipolitischen Bindungen. Dieser Vorschlag bleibt aktuell; die Beratungen konnten noch nicht abgeschlossen werden.
Die neue europäische Verfassung enthält für den Bereich der Grundrechte und der sozialen Grundrechte gemeinsame europäische Standards, die eine neue österreichische Bundesverfassung nicht unterbieten darf, sondern zu beachten hat und, wenn möglich, ausbauen sollte. Für die Menschen in unserem Land ist entscheidend, ob und inwieweit soziale Grundrechte verbürgt sind und in essentiellen Punkten dafür ein individueller Rechtsschutz gegeben ist; ferner ob die Freiheit zu einer politischen Neugestaltung und Weiterententwicklung in den sich schnell verändernden Zeiten gewährleistet ist. Die bisherigen Positionen werden von vielen auf der einer Seite als zu wenig frei für eine künftige Neugestaltung, auf der anderen Seite aber als zu wenig individuell sicherstellend angesehen. Die Kirchen haben auf der Basis des „Sozialwortes“ des Ökumenischen Rates der Kirchen in Österreich einen eigenständigen, vermittelnden Text vorgelegt; er übersetzt die sozialen Grundrechte des Europäischen Verfassungsvertrages ins Österreichische. Ähnliches gilt für die Gleichheitsrechte, die von den Kirchen um die Volksgruppenrechte und um das Asylrecht ergänzt wurden. Da die Kirchen mithelfen wollen, zwischen den Positionen einen für alle akzeptablen Kompromiss zu finden, nehmen sie mit Freude zur Kenntnis, dass am 25.6.2004 im Plenum des Konvents erstmals alle Gruppen die Aufnahme sozialer Grundrechte in die neue Bundesverfassung gefordert haben.
In diesem Zusammenhang ist die „Allianz für den Sonntag“ zu nennen. Die Kirchen unterstützen die Forderung nach einem verfassungsrechtlichen Schutz des Sonntags als arbeitsfreien Tag.
Mit dem Wunsch, dass die Arbeit des Österreich-Kovents wie vorgesehen zu Ende des Jahres 2004 erfolgreich abgeschlossen werden kann, zeichnen für die ökumenische Expertengruppe
Christine Gleixner
Raoul Kneucker
Walter Hagel
Zur Information an:
die Vorsitzenden der Ausschüsse 1, 2, 4 und 6