Theo Öhlinger
(Fassung 26. 4. 2004)
Ausschuss 2
Tischvorlage für
10. Sitzung 26.4.2004
Tischvorlage für
11. Sitzung 10.5.2004
Tischvorlage für 12. Sitzung
24.5.2004
Art 2
B-VG:
(1) … (wie bisher)
(2) … (wie bisher)
(3) Veränderungen im Bestand der
Länder oder wesentliche Änderungen
eines
Landesgebietes bedürfen einer Neuerlassung des Absatz 2 und
verfassungsgesetzlicher Regelungen der betroffenen Länder.
Art 3
B-VG:
(1) Das Bundesgebiet umfasst die Gebiete der
Bundesländer.
(2) Völkerrechtliche Verträge, mit
denen die Bundesgrenzen geändert
werden,
bedürfen der Zustimmung der betroffenen Länder.
(3) Grenzänderungen innerhalb des
Bundesgebietes bedürfen übereinstim-
mender
Gesetze oder Verträge des Bundes und der beteiligten Länder.
1.
Allgemeines
a. Der gegenständliche Vorschlag
beruht auf zwei Grundgedanken:
1. Die
geltende Fassung des Art 3 B-VG verlangt paktierte Verfassungsgesetze
des Bundes (und der Länder). Dies widerspricht einem prinzipiellen
Inkorpora-
tionsgebot,
wie es für eine künftige Bundesverfassung vorgesehen ist.
2. Eine
rechtsvergleichende Sicht macht deutlich, dass Staats- und Landesgrenzen
kein Thema des Verfassungsrechts sind. Das Verfassungsrecht
bezieht sich auf
"Gebiete",
überlässt aber regelmäßig die exakte Bestimmung der Grenzen ge-
genüber Drittstaaten völkerrechtlichen Verträgen, der Grenzen im
Staatsinneren
der einfachen Gesetzgebung.
Im Lichte
dieser Grundgedanken bedarf Art 3 B-VG einer grundlegenden Revision.
b. Der gegenständliche Vorschlag
verfolgt dabei drei Ziele:
1. eine Bestandsgarantie der Länder als
Ausdruck des bundesstaatlichen
Prinzips der
Verfassungsordnung, darüber hinaus auch eine bundesverfas-
sungsrechtliche Garantie
des Territoriums der Länder;
2. eine verfassungsrechtlich erforderliche Mitwirkung
der betroffenen
Länder bei der
Festlegung oder Änderung ihrer Grenzen gegenüber
Drittstaaten;
3. eine verfassungsrechtlich erforderliche Zustimmung
der betroffenen
Länder auch zu geringfügigen
Änderungen der Landesgrenzen.
c. Ein Vorbehalt zugunsten von
"Friedensverträgen" (Art 3 Abs 2 B-VG in der geltenden Fassung)
erscheint heute entbehrlich, ebenso ein verfassungsgesetzlicher Rahmen für
großflächige Änderungen des Bundesgebietes (eine Änderung des Bundesgebietes,
die nicht auch die Änderung eines Landesgebietes impliziert: vgl die
einleitenden Worte im geltenden Art 3 Abs 2 B-VG). Gewiss können solche
Änderungen nicht für alle Zukunft ausgeschlossen werden, sie sind aber nur in
Situationen vorstellbar, die schon aus anderen Gründen tiefgreifende
Verfassungsänderungen erfordern würden. Einen verfassungsgesetzlichen Rahmen
dafür vorzusehen, ist daher derzeit nicht notwendig und auch nicht sinnvoll.
2. Zu Art
2 Abs 3 B-VG
Diese
Bestimmung knüpft an die im geltenden Art 3 Abs 2 B-VG enthaltene Regelung an,
dass eine Änderung des Bundesgebietes und der Landesgebiete durch
übereinstimmende Bundes- und Landesverfassungsgesetze zu erfolgen habe.
Diese Regelung ist von großer bundesstaatstheoretischer Bedeutung, stellt sie
doch den Bestand und das jeweilige Territorium der Länder unter einen ganz
besonderen verfassungsrechtlichen Schutz, der auch vom "einfachen"
Bundesverfassungsgesetzgeber nicht ohne weiteres übergangen werden dürfte.
Letzteres kommt im Erfordernis eines gleichberechtigten Zusammenwirkens der
Verfassungsgesetzgebung des Bundes und der Länder zum Ausdruck, die nach
begründeter Auffassung vom Bundesverfassungsgesetzgeber, jedenfalls ohne
Volksabstimmung im Sinne des Art 44 Abs 3 B-VG, nicht einseitig aufgehoben
werden dürfte.
In
praktischer Hinsicht bedeutet diese Regelung allerdings die Notwendigkeit
spezieller bundesverfassungsrechtlicher Regelungen außerhalb des B-VG, was –
wie schon gesagt – einem prinzipiellen Inkorporationsgebot zuwiderlaufen würde.
Außerdem wird in der Praxis Art 3 Abs 2 B-VG äußerst strikt interpretiert und
auf alle Bundes- und Landesgrenzen betreffenden Regelungen – auch auf bloße
Feststellungen der gegebenen Grenzen – angewendet, was zu einer Fülle
bundesverfassungsrechtlicher Regelungen geführt hat. Diese sind überdies sehr
heterogen und umfassen Staatsverträge, Bundesverfassungsgesetze sowie
Verfassungsbestimmungen in einfachen Bundesgesetzen und Staatsverträgen. Es ist
nicht übertrieben, in diesem Zusammenhang von einem
"verfassungsrechtlichen Wildwuchs" (Poier) zu sprechen.
Der
vorliegende Entwurf belässt es beim Erfordernis übereinstimmender
Verfassungsgesetze des Bundes und der Länder, schränkt diese aber auf Änderungen
im Bestand (Aufteilung eines Landes auf andere Länder oder Vereinigung
zweier oder mehrerer Länder) sowie auf wesentliche Änderungen des Gebietes
der einzelnen Länder ein. Die entsprechende Regelung auf Bundesseite kann
sich in einer Änderung des Art 2 Abs 2 B-VG erschöpfen und entspricht
damit einem Inkorporationsgebot. Der Bundesverfassungsgesetzgeber müsste Art 2
Abs 2 B-VG neu, allenfalls auch unverändert, beschließen. Der Sinn dieser
allenfalls auf eine wortgleiche Neuerlassung des Art 2 Abs 2 B-VG beschränkten
Mitwirkung des Bundesverfassungsgesetzgebers ist es, über den Bestand hinaus
auch gewissermaßen die Identität eines Landes zu garantieren.
Als
"wesentliche Änderung des Landesgebietes" ist nur eine
Gebietsänderung anzusehen, die mindestens das gesamte Gebiet einer Gemeinde
umfasst. Kleinere Gebietsänderungen fallen unter die Regelung des hier
vorgeschlagenen Art 3 Abs 2 oder Abs 3 B-VG (siehe dazu sogleich).
Anzumerken
ist in diesem Zusammenhang, dass die genaue Festlegung der neuen Grenze auch
auf Bundesseite eine Anpassung bestehender Vorschriften verlangt. Insofern wird
im Fall einer wesentlichen Gebietsänderung neben der Neuerlassung des Art 2 Abs
2 B-VG auch eine Änderung bestehender Verträge oder Bundesgesetze erforderlich sein.
Dies läuft auf eine kumulative Anwendung der Bestimmungen des Art 2 Abs 3 und
Art 3 Abs 2 (bei Änderungen der Außengrenze) oder 3 (bei Änderungen der
Binnengrenzen) B-VG hinaus.
Festzuhalten
ist auch, dass eine Schmälerung des in dieser Bestimmung vorgesehenen
Mitwirkungsrechtes der Länder – im Sinne der zuvor skizzierten
Bundesstaatstheorie – als eine Gesamtänderung der Bundesverfassung anzusehen
wäre.
3. Zu Art
3 B-VG
Abs 1 entspricht der geltenden Regelung.
Eine
Zustimmung im Sinne des 2. Absatzes könnte auch in der Weise erfolgen,
dass die Länder auf österreichischer Seite am Abschluss des Staatsvertrages als
Vertragsparteien mitwirken (vgl zu solchen "trilateralen" Verträgen Jabloner,
Gliedstaatsverträge in der österreichischen Rechtsordnung, ZÖR 1989, 225 [329
f]). Es kann allerdings aus außenpolitischen oder diplomatischen Gründen nicht
immer möglich sein, ein Land in dieser oder auch in anderer Weise am Abschluss
des völkerrechtlichen Vertrages direkt zu beteiligen. In diesem Fall hat die
erforderliche Zustimmung der betroffenen Länder in anderer Weise zu erfolgen.
Die Art und Weise einer solchen Zustimmung könnte landesverfassungsgesetzlich
näher ausgestaltet werden: Die Länder könnten die Zustimmung an – allenfalls
auch qualifizierte – parlamentarische Mehrheiten oder sogar an
Volksabstimmungen binden.
Bloße
Grenzänderungen zwischen zwei Ländern sollen lediglich an die Rechtsform
einfacher Gesetze oder Verträge zwischen dem Bund und den beteiligten Ländern
(im Sinne des geltenden Art 15a B-VG) gebunden werden (Abs 3). Das
Erfordernis der Mitwirkung der Länder kann aber auch in diesem Fall – im Sinne
der zuvor skizzierten Bundesstaatstheorie – als Element des
bundesstaatlichen Prinzips angesehen werden. Es dürfte daher nicht durch
eine einseitige bundesverfassungsgesetzliche Regelung (die gemäß dem in
Aussicht genommenen Inkorporationsgebot nur in einer Abänderung des hier
vorgeschlagenen Art 3 Abs 3 bestehen könnte) ersetzt werden.
Der Begriff
der Änderungen der Bundesgrenzen (Abs 2) bzw Grenzänderungen innerhalb des
Bundesgebietes (Abs 3) ist im Einklang mit der Praxis zum geltenden Art 3
B-VG zu verstehen und umfasst auch bloße Berichtigungen und Feststellungen.
4.
Zusammenfassung
Gegenüber
der geltenden Regelung des Art 3 B-VG bringt die hier vorgeschlagene
Neuregelung folgende Neuerungen. Das Erfordernis paktierter Verfassungsgesetze
des Bundes und der Länder wird auf die Zusammenlegung oder Teilung von Ländern
oder bedeutsame Änderungen des Territoriums eines Landes beschränkt.
Geringfügige Änderungen (Berichtigungen oder Feststellungen) der Bundesgrenzen
gegenüber Drittstaaten können in (gesetzesrangigen) Staatsverträgen des Bundes
vereinbart werden, bedürfen aber einer (landesverfassungsrechtlich
ausgestaltbaren) Zustimmung der betroffenen Länder. Geringfügige Änderungen der
Grenzen der Länder innerhalb des Bundesgebietes erfordern übereinstimmende
Rechtsakte des Bundes und der Länder, die jedenfalls auf der Seite des Bundes
keines Verfassungsranges bedürfen.
In den in
der Praxis relevanten Fällen bedarf es demgemäß in Hinkunft keines
Aktes des Verfassungsgesetzgebers mehr. Obwohl die Regelung nach wie vor
aufwendig erscheint, stellt sie doch gegenüber der geltenden Verfassungslage
eine erhebliche Vereinfachung dar.