Univ.Ass. Dr. Klaus Poier Institut für
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Überlegungen zu den Bestimmungen bezüglich
Staats- und Landesgrenzen
(insb. Art. 3 B-VG)
In der Frage der Staats- und
Landesgrenzen ist – wie bei vielen anderen Problemstellungen – zwischen der „Entrümpelung“
der bestehenden Verfassungsbestimmungen einerseits und dem Ziel der
Verhinderung neuen verfassungsrechtlichen Wildwuchses in der Zukunft andererseits
zu unterscheiden.
Das B-VG begnügt sich mit
einer Aufzählung der neun österreichischen Bundesländer, legt hingegen die
Staatsgrenzen an sich – nicht anders als die meisten Verfassungen – nicht näher
fest. Inhaltlich ergeben sich diese in erster Linie aus dem Staatsvertrag von
St. Germain sowie dem Venediger Protokoll von 1921. Diese Bestimmungen stehen
nicht im Verfassungsrang. In einer Reihe weiterer Verträge wurden jedoch die
konkreten Grenzverläufe (vollständig?) verfassungsrechtlich festgelegt. Dies
erfolgte im Rahmen des Art. 3 Abs. 2 B-VG einerseits durch Staatsverträge im
Verfassungsrang (Liechtenstein) und Verfassungsbestimmungen in Staatsverträgen
im Verfassungsrang (eine ganze Reihe) sowie durch Bundesverfassungsgesetze und
Landesverfassungsgesetze.
Die Binnengrenzen ergeben
sich überwiegend aus aus der Monarchie in die Verfassungsordnung des B-VG übergeleitete
Rechtsvorschriften. Änderungen erfolgten entsprechend dem Art. 3 Abs. 2
B-VG durch Bundes- und Landesverfassungsgesetze.
Hinsichtlich dieses
Normenbestandes stellt sich die Frage, ob man im B-VG auf den derzeitigen
Grenzverlauf verweisen (etwa: „Das Bundesgebiet umfasst die Gebiete der
Bundesländer in den am x.x.xxxx bestehenden Grenzen.“) und dafür gleichzeitig
alle bisherigen Verfassungsbestimmungen „entkleiden“ könnte. Die Bestimmungen,
aus denen sich der derzeitige Grenzverlauf ergibt, könnten in den Erläuterungen
vollständig aufgezählt werden. Eine andere Möglichkeit ist, diese Bestimmungen
im Verfassungsbegleitgesetz zu verankern.
Derzeit sieht Art. 3 Abs. 2
B-VG vor, dass Änderungen des Bundesgebietes, die zugleich eine Änderung eines
Landesgebietes sind, sowie Änderungen von Landesgrenzen innerhalb des
Bundesgebietes nur durch übereinstimmende Verfassungsgesetze des Bundes und des
betroffenen Landes erfolgen können. Ausgenommen davon sind lediglich
Friedensverträge.
Diese Bestimmungen haben in
der Vergangenheit dazu geführt, dass eine Reihe von Verfassungsgesetzen erlassen
werden mussten, auch wenn nur geringfügige Grenzänderungen durchgeführt wurden
(z.B. Änderungen wegen Bachbettregulierungen) bzw. wenn Grenzen festgestellt
wurden.
Im Vergleich zu anderen
Ländern stellt dies mit Sicherheit ein Unikum dar. In der Folge seien
skizzenhaft die Bestimmungen Deutschlands und der Schweiz rechtsvergleichend
dargestellt:
a. Deutschland
Art. 32 GG [Auswärtige Beziehungen]
(1) Die
Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten ist Sache des Bundes.
(2) Vor
dem Abschlusse eines Vertrages, der die besonderen Verhältnisse eines Landes
berührt, ist das Land rechtzeitig zu hören.
(3) …
Hinsichtlich der
Außengrenzen sieht das Grundgesetz keine ausdrückliche Bestimmung vor. Dies ist
insbesondere auch aufgrund der Geschichte (vier Mächte-Regelungen) erklärbar.
Nach herrschender Lehre fällt die Befugnis zur staatsvertraglichen Regelung der
Außengrenzen gem. Art. 32 GG allein dem Bund zu. Gemäß Art. 32 Abs. 2 GG ist
ein Land vor Abschluss eines Vertrages, der die besonderen Verhältnisse eines
Landes berührt, rechtzeitig zu hören. Dieses Anhörungsrecht besteht nach der
Literatur in diesem Sinne auch bei staatsvertraglichen Gebietsänderungen oder
Grenzberichtigungen. Stimmen in der Literatur fordern darüber hinaus, dass für
derartige Verträge eine Verfassungsänderung bzw. die Zustimmung des betroffenen
Landes erforderlich sei. Diese Meinungen sind jedoch Einzelmeinungen und fanden
in der herrschenden Lehre keine Zustimmung. Die Staatsgrenzen Deutschlands können
in diesem Sinne durch Staatsverträge geändert werden, die lediglich der
Zustimmung in Form eines einfachen Bundesgesetzes bedürfen (Art. 59 GG).
Art. 29 GG [Neugliederung des
Bundesgebietes]
(1) Das Bundesgebiet
kann neu gegliedert werden, um zu gewährleisten, dass die Länder nach Größe und
Leistungsfähigkeit die ihnen obliegenden Aufgaben wirksam erfüllen können.
Dabei sind die landsmannschaftliche Verbundenheit, die geschichtlichen und kulturellen
Zusammenhänge, die wirtschaftliche Zweckmäßigkeit sowie die Erfordernisse der
Raumordnung und der Landesplanung zu berücksichtigen.
(2) Maßnahmen
zur Neugliederung des Bundesgebietes ergehen durch Bundesgesetz, das der
Bestätigung durch Volksentscheid bedarf. Die betroffenen Länder sind zu hören.
(3) Der
Volksentscheid findet in den Ländern statt, aus deren Gebieten oder
Gebietsteilen ein neues oder neu umgrenztes Land gebildet werden soll
(betroffene Länder). Abzustimmen ist über die Frage, ob die betroffenen Länder
wie bisher bestehen bleiben sollen oder ob das neue oder neu umgrenzte Land
gebildet werden soll. Der Volksentscheid für die Bildung eines neuen oder neu
umgrenzten Landes kommt zustande, wenn in dessen künftigem Gebiet und insgesamt
in den Gebieten oder Gebietsteilen eines betroffenen Landes, deren
Landeszugehörigkeit im gleichen Sinne geändert werden soll, jeweils eine
Mehrheit der Änderung zustimmt. Er kommt nicht zustande, wenn im Gebiet eines
der betroffenen Länder eine Mehrheit die Änderung ablehnt; die Ablehnung ist
jedoch unbeachtlich, wenn in einem Gebietsteil, dessen Zugehörigkeit zu dem
betroffenen Land geändert werden soll, eine Mehrheit von zwei Dritteln der
Änderung zustimmt, es sei denn, dass im Gesamtgebiet des betroffenen Landes
eine Mehrheit von zwei Dritteln die Änderung ablehnt.
(4) Wird
in einem zusammenhängenden, abgegrenzten Siedlungs- und Wirtschaftsraum, dessen
Teile in mehreren Ländern liegen und der mindestens eine Million Einwohner hat,
von einem Zehntel der in ihm zum Bundestag Wahlberechtigten durch Volksbegehren
gefordert, dass für diesen Raum eine einheitliche Landeszugehörigkeit
herbeigeführt werde, so ist durch Bundesgesetz innerhalb von zwei Jahren
entweder zu bestimmen, ob die Landeszugehörigkeit gemäß Absatz 2 geändert wird,
oder dass in den betroffenen Ländern eine Volksbefragung stattfindet.
(5) Die
Volksbefragung ist darauf gerichtet festzustellen, ob eine in dem Gesetz
vorzuschlagende Änderung der Landeszugehörigkeit Zustimmung findet. Das Gesetz
kann verschiedene, jedoch nicht mehr als zwei Vorschläge der Volksbefragung
vorlegen. Stimmt eine Mehrheit einer vorgeschlagenen Änderung der
Landeszugehörigkeit zu, so ist durch Bundesgesetz innerhalb von zwei Jahren zu
bestimmen, ob die Landeszugehörigkeit gemäß Absatz 2 geändert wird. Findet ein
der Volksbefragung vorgelegter Vorschlag eine den Maßgaben des Absatzes 3 Satz
3 und 4 entsprechende Zustimmung, so ist innerhalb von zwei Jahren nach der
Durchführung der Volksbefragung ein Bundesgesetz zur Bildung des
vorgeschlagenen Landes zu erlassen, das der Bestätigung durch Volksentscheid
nicht mehr bedarf.
(6) Mehrheit
im Volksentscheid und in der Volksbefragung ist die Mehrheit der abgegebenen
Stimmen, wenn sie mindestens ein Viertel der zum Bundestag Wahlberechtigten
umfasst. Im übrigen wird das Nähere über Volksentscheid, Volksbegehren und
Volksbefragung durch ein Bundesgesetz geregelt; dieses kann auch vorsehen, dass
Volksbegehren innerhalb eines Zeitraumes von fünf Jahren nicht wiederholt
werden können.
(7) Sonstige
Änderungen des Gebietsbestandes der Länder können durch Staatsverträge der
beteiligten Länder oder durch Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrates
erfolgen, wenn das Gebiet, dessen Landeszugehörigkeit geändert werden soll,
nicht mehr als 50.000 Einwohner hat. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz, das
der Zustimmung des Bundesrates und der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages
bedarf. Es muss die Anhörung der betroffenen Gemeinden und Kreise vorsehen.
(8) Die
Länder können eine Neugliederung für das jeweils von ihnen umfasste Gebiet oder
für Teilgebiete abweichend von den Vorschriften der Absätze 2 und 7 durch
Staatsvertrag regeln. Die betroffenen Gemeinden und Kreise sind zu hören. Der
Staatsvertrag bedarf der Bestätigung durch Volksentscheid in jedem beteiligten
Land. Betrifft der Staatsvertrag Teilgebiete der Länder, kann die Bestätigung
auf Volksentscheide in diesen Teilgebieten beschränkt werden; Satz 5 zweiter
Halbsatz findet keine Anwendung. Bei einem Volksentscheid entscheidet die
Mehrheit der abgegebenen Stimmen, wenn sie mindestens ein Viertel der zum
Bundestag Wahlberechtigten umfasst; das Nähere regelt ein Bundesgesetz. Der
Staatsvertrag bedarf der Zustimmung des Bundestages.
Auch hinsichtlich der
innerstaatlichen Grenzänderungen kommt dem Bund nach dem Grundgesetz in
Deutschland eine dominierende Stellung zu. Dies wird in der Literatur auch als
auffallender Unterschied zu anderen Bundesstaaten dargestellt. Der Bund kann
durch einfaches Bundesgesetz eine Neugliederung des Bundesgebietes anordnen.
Die betroffenen Länder sind lediglich zu hören. Das Gesetz bedarf allerdings
einer Bestätigung durch Volksentscheid in den betroffenen Ländern. Die Länder
können eine Neugliederung des Bundesgebietes auch durch Staatsverträge
untereinander regeln. Dieser Staatsvertrag bedarf aber wiederum eines
Volksentscheides in den betroffenen Ländern sowie der Zustimmung des
Bundestages. Art. 29 Abs. 7 GG sieht allerdings für kleinere Änderungen eine
erleichterte Verfahrensweise vor: Innerstaatliche Grenzänderungen, von denen
nicht mehr als 50.000 Einwohner betroffen sind, können durch Staatsverträge der
beteiligten Länder allein oder durch Bundesgesetz mit Zustimmung des
Bundesrates erfolgen.
b. Schweiz
Art. 55 BV
(1)
Die Kantone wirken an der Vorbereitung
aussenpolitischer Entscheide mit, die ihre Zuständigkeiten oder ihre
wesentlichen Interessen betreffen.
(2)
Der Bund informiert die Kantone
rechtzeitig und umfassend und holt ihre Stellungnahmen ein.
(3)
Den Stellungnahmen der Kantone kommt
besonderes Gewicht zu, wenn sie in ihren Zuständigkeiten betroffen sind. In
diesen Fällen wirken die Kantone in geeigneter Weise an internationalen
Verhandlungen mit.
Auch die Schweizer
Bundesverfassung sieht keine ausdrückliche Regelung für die Veränderung von
Staatsgrenzen vor. Es sind darauf die herkömmlichen Regelungen für die
Außenpolitik der Schweiz anzuwenden. Der Bund kann daher Grenzänderungen durch
Staatsverträge regeln, allerdings kommen den Kantonen weitreichende
Mitwirkungs- und Mitspracherechte zu, die je nach Intensität von
Anhörungsrechten bis quasi Zustimmungsrechten reichen.
Art. 53 BV
[Bestand und Gebiet der Kantone]
(1)
Der Bund schützt Bestand und Gebiet der
Kantone.
(2)
Änderungen im Bestand der Kantone
bedürfen der Zustimmung der betroffenen Bevölkerung, der betroffenen Kantone
sowie von Volk und Ständen.
(3)
Gebietsveränderungen zwischen den
Kantonen bedürfen der Zustimmung der betroffenen Bevölkerung und der
betroffenen Kantone sowie der Genehmigung durch die Bundesversammlung in der
Form eines Bundesbeschlusses.
(4)
Grenzbereinigungen können Kantone unter
sich durch Vertrag vornehmen.
Hinsichtlich der
innerstaatlichen Grenzen und deren Veränderung gibt es eine ausdrückliche
Bestimmung in Art. 53 BV. Dieser unterscheidet zwischen drei Fällen:
·
Bestandsveränderungen: Soll es Änderungen im Bestand der Kantone geben, bedarf es
der Zustimmung der betroffenen Bevölkerung, der betroffenen Kantone sowie einer
obligatorischen Volksabstimmung in der gesamten Schweiz. Unter
Bestandsveränderungen werden insbesondere Kantonsfusionen, Trennung von
Kantonen und die Aufwertung von Halbkantonen zu Vollkantonen verstanden.
·
Gebietsveränderungen: Soll die Kantonszugehörigkeit eines Gebietes wechseln,
ohne dass der Bestand eines Kantones als Ganzes verändert wird, wird von
Gebietsveränderung gesprochen. Gebietsveränderungen bedürfen der Zustimmung der
betroffenen Bevölkerung, der Zustimmung der betroffenen Kantone sowie der
Genehmigung durch die Bundesversammlung in der Form eines Bundesbeschlusses.
·
Grenzbereinigungen: Bloß technische Bereinigungen der Grenze ohne politische
Bedeutung können die Kantone unter sich durch Vertrag vornehmen.
c. Schlussfolgerungen für
die österreichische Verfassungsrechtslage
(1)
Es
stellt sich die Frage, ob wirklich jede Grenzänderung im Verfassungsrang
erfolgen soll. Bei „Bestandsänderungen“ der Bundesländer (Zusammenlegung,
Neuschaffung etc.) ist sicherlich eine Änderung des B-VG notwendig. Bei weniger
radikalen Änderungen ist jedoch zu überlegen, ob nicht ein einfaches Gesetz,
das aus politischen Gründen wohl eines erhöhten Konsensquorums bedürfen sollte,
ausreichend ist. Dafür spricht auch, dass es Ziel des Konvents ist, neben dem
B-VG in Hinkunft keine Verfassungsgesetze mehr schaffen zu können.
Grenzänderungen im Detail werden sich aber nur schwer inkorporieren lassen.
(2)
Andererseits
ist zu beachten, dass der Bestand eines Bundeslandes wohl nicht allein
durch den Bundesverfassungsgesetzgeber verändert werden können soll. In diesem
Zusammenhang ist auch Art. 3 Abs. 2 B-VG zu sehen, der eine wesentliche
Grundlage für die Bundesstaatstheorie darstellt. Sollte es daher zu einem Abgehen
von den Regelungen des Art. 3 Abs. 2 B-VG oder zumindest zu einer
„Verwässerung“ dieser Bestimmungen kommen, müsste es daher wohl einen Ersatz
geben, der den Bestand der Bundesländer garantiert und jedenfalls zu einer
Gesamtänderungs-Materie macht.
(3)
Die
paktierte Gesetzgebung bei der Veränderung von Außengrenzen ist
jedenfalls auch als wesentlicher Bestandteil des bundesstaatlichen Prinzips in
Österreich anzusehen – wohl gerade, da diese Rechte in Deutschland und der
Schweiz nicht bestehen. Daran sollte daher wohl nicht gerüttelt werden. Der
Verfassungsrang der Grenzänderungsbestimmungen könnte aber im Sinne des oben
Gesagten entfallen.
(4)
Hinsichtlich
der innerstaatlichen Veränderung von Landesgrenzen könnte das Schweizer
Modell eine sinnvolle Alternative sein, das zwischen Bestandsveränderungen –
die schon behandelt wurden –, Gebietsveränderungen und Grenzbereinigungen
unterscheidet:
Bei „Gebietsveränderungen“
sowie „Grenzbereinigungen“ könnte – im Gegensatz zu Bestandsveränderungen – auf
den Verfassungsrang verzichtet werden, die Notwendigkeit eines erhöhten
Konsensquorums sollte aber bestehen bleiben.
Sofern es sich lediglich um
innerstaatliche „Grenzbereinigungen“ handelt, könnte meines Erachtens auch auf
die paktierte Gesetzgebung verzichtet werden. Diese Änderungen könnten dann
allein in die Kompetenz der betroffenen Länder fallen. Bei
Gebietsveränderungen, die über bloße Grenzbereinigungen hinausgehen, sollte
hingegen die paktierte Gesetzgebung beibehalten werden.