Univ.Ass. Dr. Klaus Poier

 

Institut für Öffentliches Recht, Politikwissenschaft und Verwaltungslehre

Universitätsstraße 15/C3 - 8010 Graz – Austria

Tel.: **43-316-380-3380   Fax: **43-316-380-9452  

email: klaus.poier@uni-graz.at

 

 

 

 


Überlegungen zu den Bestimmungen bezüglich
Staats- und Landesgrenzen

(insb. Art. 3 B-VG)

 

 

In der Frage der Staats- und Landesgrenzen ist – wie bei vielen anderen Problemstellungen – zwischen der „Entrümpelung“ der bestehenden Verfassungsbestimmungen einerseits und dem Ziel der Verhinderung neuen verfassungsrechtlichen Wildwuchses in der Zukunft andererseits zu unterscheiden.

 

 

I. Derzeitige Verfassungsbestimmungen

 

Das B-VG begnügt sich mit einer Aufzählung der neun österreichischen Bundesländer, legt hingegen die Staatsgrenzen an sich – nicht anders als die meisten Verfassungen – nicht näher fest. Inhaltlich ergeben sich diese in erster Linie aus dem Staatsvertrag von St. Germain sowie dem Venediger Protokoll von 1921. Diese Bestimmungen stehen nicht im Verfassungsrang. In einer Reihe weiterer Verträge wurden jedoch die konkreten Grenzverläufe (vollständig?) verfassungsrechtlich festgelegt. Dies erfolgte im Rahmen des Art. 3 Abs. 2 B-VG einerseits durch Staatsverträge im Verfassungsrang (Liechtenstein) und Verfassungsbestimmungen in Staatsverträgen im Verfassungsrang (eine ganze Reihe) sowie durch Bundesverfassungsgesetze und Landesverfassungsgesetze.

 

Die Binnengrenzen ergeben sich überwiegend aus aus der Monarchie in die Verfassungsordnung des B-VG übergeleitete Rechtsvorschriften. Änderungen erfolgten entsprechend dem Art. 3 Abs. 2 B-VG durch Bundes- und Landesverfassungsgesetze.

 

Hinsichtlich dieses Normenbestandes stellt sich die Frage, ob man im B-VG auf den derzeitigen Grenzverlauf verweisen (etwa: „Das Bundesgebiet umfasst die Gebiete der Bundesländer in den am x.x.xxxx bestehenden Grenzen.“) und dafür gleichzeitig alle bisherigen Verfassungsbestimmungen „entkleiden“ könnte. Die Bestimmungen, aus denen sich der derzeitige Grenzverlauf ergibt, könnten in den Erläuterungen vollständig aufgezählt werden. Eine andere Möglichkeit ist, diese Bestimmungen im Verfassungsbegleitgesetz zu verankern.

 

 

 

II. Zukünftige Grenzänderungen

 

Derzeit sieht Art. 3 Abs. 2 B-VG vor, dass Änderungen des Bundesgebietes, die zugleich eine Änderung eines Landesgebietes sind, sowie Änderungen von Landesgrenzen innerhalb des Bundesgebietes nur durch übereinstimmende Verfassungsgesetze des Bundes und des betroffenen Landes erfolgen können. Ausgenommen davon sind lediglich Friedensverträge.

 

Diese Bestimmungen haben in der Vergangenheit dazu geführt, dass eine Reihe von Verfassungsgesetzen erlassen werden mussten, auch wenn nur geringfügige Grenzänderungen durchgeführt wurden (z.B. Änderungen wegen Bachbettregulierungen) bzw. wenn Grenzen festgestellt wurden.

 

Im Vergleich zu anderen Ländern stellt dies mit Sicherheit ein Unikum dar. In der Folge seien skizzenhaft die Bestimmungen Deutschlands und der Schweiz rechtsvergleichend dargestellt:

 

 

a. Deutschland

 

Art. 32 GG [Auswärtige Beziehungen]

 

(1)           Die Pflege der Beziehungen zu auswärtigen Staaten ist Sache des Bundes.

(2)           Vor dem Abschlusse eines Vertrages, der die besonderen Verhältnisse eines Landes berührt, ist das Land rechtzeitig zu hören.

(3) …

 

Hinsichtlich der Außengrenzen sieht das Grundgesetz keine ausdrückliche Bestimmung vor. Dies ist insbesondere auch aufgrund der Geschichte (vier Mächte-Regelungen) erklärbar. Nach herrschender Lehre fällt die Befugnis zur staatsvertraglichen Regelung der Außengrenzen gem. Art. 32 GG allein dem Bund zu. Gemäß Art. 32 Abs. 2 GG ist ein Land vor Abschluss eines Vertrages, der die besonderen Verhältnisse eines Landes berührt, rechtzeitig zu hören. Dieses Anhörungsrecht besteht nach der Literatur in diesem Sinne auch bei staatsvertraglichen Gebietsänderungen oder Grenzberichtigungen. Stimmen in der Literatur fordern darüber hinaus, dass für derartige Verträge eine Verfassungsänderung bzw. die Zustimmung des betroffenen Landes erforderlich sei. Diese Meinungen sind jedoch Einzelmeinungen und fanden in der herrschenden Lehre keine Zustimmung. Die Staatsgrenzen Deutschlands können in diesem Sinne durch Staatsverträge geändert werden, die lediglich der Zustimmung in Form eines einfachen Bundesgesetzes bedürfen (Art. 59 GG).

 

 

Art. 29 GG [Neugliederung des Bundesgebietes]

 

(1)       Das Bundesgebiet kann neu gegliedert werden, um zu gewährleisten, dass die Länder nach Größe und Leistungsfähigkeit die ihnen obliegenden Aufgaben wirksam erfüllen können. Dabei sind die landsmannschaftliche Verbundenheit, die geschichtlichen und kulturellen Zusammenhänge, die wirtschaftliche Zweckmäßigkeit sowie die Erfordernisse der Raumordnung und der Landesplanung zu berücksichtigen.

(2)       Maßnahmen zur Neugliederung des Bundesgebietes ergehen durch Bundesgesetz, das der Bestätigung durch Volksentscheid bedarf. Die betroffenen Länder sind zu hören.

(3)       Der Volksentscheid findet in den Ländern statt, aus deren Gebieten oder Gebietsteilen ein neues oder neu umgrenztes Land gebildet werden soll (betroffene Länder). Abzustimmen ist über die Frage, ob die betroffenen Länder wie bisher bestehen bleiben sollen oder ob das neue oder neu umgrenzte Land gebildet werden soll. Der Volksentscheid für die Bildung eines neuen oder neu umgrenzten Landes kommt zustande, wenn in dessen künftigem Gebiet und insgesamt in den Gebieten oder Gebietsteilen eines betroffenen Landes, deren Landeszugehörigkeit im gleichen Sinne geändert werden soll, jeweils eine Mehrheit der Änderung zustimmt. Er kommt nicht zustande, wenn im Gebiet eines der betroffenen Länder eine Mehrheit die Änderung ablehnt; die Ablehnung ist jedoch unbeachtlich, wenn in einem Gebietsteil, dessen Zugehörigkeit zu dem betroffenen Land geändert werden soll, eine Mehrheit von zwei Dritteln der Änderung zustimmt, es sei denn, dass im Gesamtgebiet des betroffenen Landes eine Mehrheit von zwei Dritteln die Änderung ablehnt.

(4)       Wird in einem zusammenhängenden, abgegrenzten Siedlungs- und Wirtschaftsraum, dessen Teile in mehreren Ländern liegen und der mindestens eine Million Einwohner hat, von einem Zehntel der in ihm zum Bundestag Wahlberechtigten durch Volksbegehren gefordert, dass für diesen Raum eine einheitliche Landeszugehörigkeit herbeigeführt werde, so ist durch Bundesgesetz innerhalb von zwei Jahren entweder zu bestimmen, ob die Landeszugehörigkeit gemäß Absatz 2 geändert wird, oder dass in den betroffenen Ländern eine Volksbefragung stattfindet.

(5)       Die Volksbefragung ist darauf gerichtet festzustellen, ob eine in dem Gesetz vorzuschlagende Änderung der Landeszugehörigkeit Zustimmung findet. Das Gesetz kann verschiedene, jedoch nicht mehr als zwei Vorschläge der Volksbefragung vorlegen. Stimmt eine Mehrheit einer vorgeschlagenen Änderung der Landeszugehörigkeit zu, so ist durch Bundesgesetz innerhalb von zwei Jahren zu bestimmen, ob die Landeszugehörigkeit gemäß Absatz 2 geändert wird. Findet ein der Volksbefragung vorgelegter Vorschlag eine den Maßgaben des Absatzes 3 Satz 3 und 4 entsprechende Zustimmung, so ist innerhalb von zwei Jahren nach der Durchführung der Volksbefragung ein Bundesgesetz zur Bildung des vorgeschlagenen Landes zu erlassen, das der Bestätigung durch Volksentscheid nicht mehr bedarf.

(6)       Mehrheit im Volksentscheid und in der Volksbefragung ist die Mehrheit der abgegebenen Stimmen, wenn sie mindestens ein Viertel der zum Bundestag Wahlberechtigten umfasst. Im übrigen wird das Nähere über Volksentscheid, Volksbegehren und Volksbefragung durch ein Bundesgesetz geregelt; dieses kann auch vorsehen, dass Volksbegehren innerhalb eines Zeitraumes von fünf Jahren nicht wiederholt werden können.

(7)       Sonstige Änderungen des Gebietsbestandes der Länder können durch Staatsverträge der beteiligten Länder oder durch Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrates erfolgen, wenn das Gebiet, dessen Landeszugehörigkeit geändert werden soll, nicht mehr als 50.000 Einwohner hat. Das Nähere regelt ein Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates und der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages bedarf. Es muss die Anhörung der betroffenen Gemeinden und Kreise vorsehen.

(8)       Die Länder können eine Neugliederung für das jeweils von ihnen umfasste Gebiet oder für Teilgebiete abweichend von den Vorschriften der Absätze 2 und 7 durch Staatsvertrag regeln. Die betroffenen Gemeinden und Kreise sind zu hören. Der Staatsvertrag bedarf der Bestätigung durch Volksentscheid in jedem beteiligten Land. Betrifft der Staatsvertrag Teilgebiete der Länder, kann die Bestätigung auf Volksentscheide in diesen Teilgebieten beschränkt werden; Satz 5 zweiter Halbsatz findet keine Anwendung. Bei einem Volksentscheid entscheidet die Mehrheit der abgegebenen Stimmen, wenn sie mindestens ein Viertel der zum Bundestag Wahlberechtigten umfasst; das Nähere regelt ein Bundesgesetz. Der Staatsvertrag bedarf der Zustimmung des Bundestages.

 

Auch hinsichtlich der innerstaatlichen Grenzänderungen kommt dem Bund nach dem Grundgesetz in Deutschland eine dominierende Stellung zu. Dies wird in der Literatur auch als auffallender Unterschied zu anderen Bundesstaaten dargestellt. Der Bund kann durch einfaches Bundesgesetz eine Neugliederung des Bundesgebietes anordnen. Die betroffenen Länder sind lediglich zu hören. Das Gesetz bedarf allerdings einer Bestätigung durch Volksentscheid in den betroffenen Ländern. Die Länder können eine Neugliederung des Bundesgebietes auch durch Staatsverträge untereinander regeln. Dieser Staatsvertrag bedarf aber wiederum eines Volksentscheides in den betroffenen Ländern sowie der Zustimmung des Bundestages. Art. 29 Abs. 7 GG sieht allerdings für kleinere Änderungen eine erleichterte Verfahrensweise vor: Innerstaatliche Grenzänderungen, von denen nicht mehr als 50.000 Einwohner betroffen sind, können durch Staatsverträge der beteiligten Länder allein oder durch Bundesgesetz mit Zustimmung des Bundesrates erfolgen.

 

 

b. Schweiz

 

Art. 55 BV

 

(1)                 Die Kantone wirken an der Vorbereitung aussenpolitischer Entscheide mit, die ihre Zuständigkeiten oder ihre wesentlichen Interessen betreffen.

(2)                 Der Bund informiert die Kantone rechtzeitig und umfassend und holt ihre Stellungnahmen ein.

(3)                 Den Stellungnahmen der Kantone kommt besonderes Gewicht zu, wenn sie in ihren Zuständigkeiten betroffen sind. In diesen Fällen wirken die Kantone in geeigneter Weise an internationalen Verhandlungen mit.

 

Auch die Schweizer Bundesverfassung sieht keine ausdrückliche Regelung für die Veränderung von Staatsgrenzen vor. Es sind darauf die herkömmlichen Regelungen für die Außenpolitik der Schweiz anzuwenden. Der Bund kann daher Grenzänderungen durch Staatsverträge regeln, allerdings kommen den Kantonen weitreichende Mitwirkungs- und Mitspracherechte zu, die je nach Intensität von Anhörungsrechten bis quasi Zustimmungsrechten reichen.

 

Art. 53 BV [Bestand und Gebiet der Kantone]

 

(1)                 Der Bund schützt Bestand und Gebiet der Kantone.

(2)                 Änderungen im Bestand der Kantone bedürfen der Zustimmung der betroffenen Bevölkerung, der betroffenen Kantone sowie von Volk und Ständen.

(3)                 Gebietsveränderungen zwischen den Kantonen bedürfen der Zustimmung der betroffenen Bevölkerung und der betroffenen Kantone sowie der Genehmigung durch die Bundesversammlung in der Form eines Bundesbeschlusses.

(4)                 Grenzbereinigungen können Kantone unter sich durch Vertrag vornehmen.

 

 

Hinsichtlich der innerstaatlichen Grenzen und deren Veränderung gibt es eine ausdrückliche Bestimmung in Art. 53 BV. Dieser unterscheidet zwischen drei Fällen:

 

·                Bestandsveränderungen: Soll es Änderungen im Bestand der Kantone geben, bedarf es der Zustimmung der betroffenen Bevölkerung, der betroffenen Kantone sowie einer obligatorischen Volksabstimmung in der gesamten Schweiz. Unter Bestandsveränderungen werden insbesondere Kantonsfusionen, Trennung von Kantonen und die Aufwertung von Halbkantonen zu Vollkantonen verstanden.

 

·                Gebietsveränderungen: Soll die Kantonszugehörigkeit eines Gebietes wechseln, ohne dass der Bestand eines Kantones als Ganzes verändert wird, wird von Gebietsveränderung gesprochen. Gebietsveränderungen bedürfen der Zustimmung der betroffenen Bevölkerung, der Zustimmung der betroffenen Kantone sowie der Genehmigung durch die Bundesversammlung in der Form eines Bundesbeschlusses.

 

·                Grenzbereinigungen: Bloß technische Bereinigungen der Grenze ohne politische Bedeutung können die Kantone unter sich durch Vertrag vornehmen.

 

 

 

c. Schlussfolgerungen für die österreichische Verfassungsrechtslage

 

(1)          Es stellt sich die Frage, ob wirklich jede Grenzänderung im Verfassungsrang erfolgen soll. Bei „Bestandsänderungen“ der Bundesländer (Zusammenlegung, Neuschaffung etc.) ist sicherlich eine Änderung des B-VG notwendig. Bei weniger radikalen Änderungen ist jedoch zu überlegen, ob nicht ein einfaches Gesetz, das aus politischen Gründen wohl eines erhöhten Konsensquorums bedürfen sollte, ausreichend ist. Dafür spricht auch, dass es Ziel des Konvents ist, neben dem B-VG in Hinkunft keine Verfassungsgesetze mehr schaffen zu können. Grenzänderungen im Detail werden sich aber nur schwer inkorporieren lassen.

 

(2)          Andererseits ist zu beachten, dass der Bestand eines Bundeslandes wohl nicht allein durch den Bundesverfassungsgesetzgeber verändert werden können soll. In diesem Zusammenhang ist auch Art. 3 Abs. 2 B-VG zu sehen, der eine wesentliche Grundlage für die Bundesstaatstheorie darstellt. Sollte es daher zu einem Abgehen von den Regelungen des Art. 3 Abs. 2 B-VG oder zumindest zu einer „Verwässerung“ dieser Bestimmungen kommen, müsste es daher wohl einen Ersatz geben, der den Bestand der Bundesländer garantiert und jedenfalls zu einer Gesamtänderungs-Materie macht.

 

(3)          Die paktierte Gesetzgebung bei der Veränderung von Außengrenzen ist jedenfalls auch als wesentlicher Bestandteil des bundesstaatlichen Prinzips in Österreich anzusehen – wohl gerade, da diese Rechte in Deutschland und der Schweiz nicht bestehen. Daran sollte daher wohl nicht gerüttelt werden. Der Verfassungsrang der Grenzänderungsbestimmungen könnte aber im Sinne des oben Gesagten entfallen.

 

(4)          Hinsichtlich der innerstaatlichen Veränderung von Landesgrenzen könnte das Schweizer Modell eine sinnvolle Alternative sein, das zwischen Bestandsveränderungen – die schon behandelt wurden –, Gebietsveränderungen und Grenzbereinigungen unterscheidet:

                       

Bei „Gebietsveränderungen“ sowie „Grenzbereinigungen“ könnte – im Gegensatz zu Bestandsveränderungen – auf den Verfassungsrang verzichtet werden, die Notwendigkeit eines erhöhten Konsensquorums sollte aber bestehen bleiben.

 

Sofern es sich lediglich um innerstaatliche „Grenzbereinigungen“ handelt, könnte meines Erachtens auch auf die paktierte Gesetzgebung verzichtet werden. Diese Änderungen könnten dann allein in die Kompetenz der betroffenen Länder fallen. Bei Gebietsveränderungen, die über bloße Grenzbereinigungen hinausgehen, sollte hingegen die paktierte Gesetzgebung beibehalten werden.