Clemens Jabloner
Sehr geehrter Herr
Vorsitzender!
Gerade habe ich das
Schreiben von Prof. Raschauer erhalten und ich möchte gerne sofort dazu
Stellung nehmen. Auch ich bin mit dem bisherigen Stand der Beratungen im
Ausschuss nicht glücklich. Meine Gründe sind allerdings denen von Prof.
Raschauer ziemlich diametral entgegengesetzt: Ich habe - besonders zu Anfang
der Arbeit - den Eindruck bekommen, man versuche gleichsam "mit der
Brechstange" das geltende verfassungsrechtliche System betreffend
Gesetzgebung und Verwaltung auszuhebeln. Dafür sollen einige nach meinem Dafürhalten Gemeinplätze
neuerer politischer Modelle dienen. Ich bin aber auf Grund auf meiner
methodischen Vorbildung nicht bereit, eine Auseinandersetzung zu führen, ohne
Positionen ideologiekritisch zu hinterfragen. So wie ich mich vor Jahrzehnten
der marxistischen Betrachtungsweise der Verwaltung entgegengestellt habe, so
werde ich das heute im Bezug auf neoliberale Denkweisen halten. (Wie Konrad
Paul Liessmann unlängst zutreffend festgestellt hat, gleichen beide Richtungen
einander vor allem darin, dass jedem, der sich widersetzt, die mangelnde
"Einsicht in die Notwendigkeit" in irgendwelche Gesetzmäßigkeiten
vorgeworfen wird.)
Wenn wir uns im
Ausschuss 6 weiterhin mit den entscheidenden Grundfragen von Staat und
Verwaltung befassen wollen - was eigentlich gar nicht nötig wäre -, dann müssen
die ideologische Positionen auch auf den Tisch gelegt und diskutiert
werden. Obzwar nun aber bei so
weit reichenden Änderungen die Beweislast eindeutig auf der angreifenden Seite
liegt, wurde noch kaum ein konkretes Papier vorgelegt.
Ich bin dennoch durchaus
zuversichtlich, was die weitere Arbeit im Ausschuss betrifft. So denke ich,
dass sich bei der Diskussion konkreter Punkte wichtige Fortschritte machen
werden. Das vorgelegte Papier zur Schulreform ist - wie immer man es im
Einzelnen beurteilt - genau das, was ich mir vom Ausschuss 6 erwarte. Ähnliche
Papiere sollten zu anderen Verwaltungsbereichen, soweit deren Organisation in
die Verfassungssphäre reicht, vorgelegt werden.
Zu den Punkten des
Papiers im Einzelnen:
Zum Abbau des
Weisungsrechts verweise ich auf meine bisher eingenommenen Positionen und auf
das von mir dem Ausschuss gleichzeitig vorgelegte Papier. Dieses zeigt halt,
dass die Sachen kompliziert sind und man sie seriös behandeln muss.
Zur Rechtsstaatlichkeit
denke ich, dass der Weg einer "Rechtswegegarantie" in eine falsche
Richtung führt. Ich habe schon mehrfach darauf hingewiesen, dass die Ablehnung
des Legalitätsprinzips im Verfassungskonvent aus zwei ganz unterschiedlichen
Richtungen resultiert. Manche wollen die Spielräume der Verwaltung
vergrößern, andere ein viel
rigoroseres System der gerichtlichen Überprüfung erreichen. Rechtssoziologisch
glaube ich, dass mit der "Rechtswegegarantie" die verbleibenden Ermessensräume
der Verwaltung eher noch eingeschränkt werden. Ich halte jedenfalls nichts
davon, dem Ausschuss 9 einen "Auftrag" in diese Richtung zu geben und
im Ausschuss 6 zugleich munter das Legalitätsprinzip abzumontieren.
Den
"Aufgabenabbau" halte ich für eine gute Sache, aber - wie dies auch
Raschauer erkennt - handelt es sich primär um Fragen der praktischen
Rechtspolitik. Ich glaube nicht, dass die Verfassung darüber entsprechende
Aussagen enthalten sollte. Wenn ja, müsste man diese durch "entgegenlaufende"
Staatszielbestimmungen wieder ausbalancieren. Vor allem glaube ich auch nicht,
dass derlei vom VfGH judiziert werden kann. Will man ihm das auch noch
aufbürden, würde sich dann allerdings die Frage der Zusammensetzung des VfGH -
als eines dann ganz eindeutig politischen Organs - mit aller Schärfe stellen.
Sehr geehrter Herr
Vorsitzender, ich bitte auch dieses Schreiben den Mitgliedern des Ausschusses
vorzulegen.
Mit besten Grüßen
Ihr Clemens Jabloner