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1. In der deutschen Diskussion um die
bundesstaatliche Finanzverfassung spielt der Begriff der „Einheitlichkeit der
Lebensverhältnisse“ seit den 70-er Jahren eine gewisse Rolle. In Österreich
wird dieser Begriff ebenfalls mittelbar in der Finanzausgleichsdiskussion
verwendet, dieser Begriff oder der Begriff „Gleichheit der Lebensverhältnisse
war in Österreich bisher aber noch nie positivrechtlich verankert worden.
„Gleichheit der Lebensverhältnisse“ ist ein gewisser Widerspruch zur
bundesstaatlichen Idee, wonach in den einzelnen Teilordnungen des föderativen
Systems eben nicht gleiche, sondern unterschiedliche Lebensverhältnisse
herrschen sollen. Diese „klassische“ Idee des Föderalismus ist aber seit
Jahrzehnten überholt. Die Bürger eines bundesstaatlichen Systems wünschen sich
heute wenn auch nicht idente, so doch gleichartige rechtliche, soziale,
wirtschaftliche und kulturelle Standards. Dies verlangt eine gewisse
homogenisierte Struktur der öffentlichen Aufgaben und der Instrumente ihrer
Bewältigung. Hinzu kommt, dass die meisten Leistungen der Daseinsvorsorge
aufgrund von einheitlichen Planungsvorgaben, technischen Normen,
gemeinschaftsrechtlicher Vorgaben, ein gewisses Maß an Harmonisierung aufweisen
müssen. Die Gleichheit der Lebensverhältnisse ist daher schon heute in weitem Umfang
realisiert. Es geht daher nicht um die Einführung eines neuen Begriffs, sondern
vielmehr um dessen Präzisierung und um die Verdeutlichung des Inhalts, um
diesen rechtlich formulierbar und justitiabel zu gestalten.
2. Für die österreichischen Gemeinden
ist die rechtliche Verankerung oder auch nur die Ausrichtung finanzverfassungs-
und finanzausgleichsrechtlicher Maßnahmen am Prinzip der Gleichheit der Lebensverhältnisse
nicht unproblematisch. Hier tauchen nämlich Spannungsverhältnisse zwischen
finanzstarken und finanzschwachen Gemeinden, zwischen Gemeinden in
Ballungsgebieten und peripher gelegenen Gemeinden, und zwischen Gemeinden mit
verdichteter und solchen mit verstreuter Siedlungsstruktur auf. Eine echte
Gleichheit der Lebensverhältnisse im Sinne einer Identität öffentlicher
Leistungen für alle Gemeinden ist weder erstrebenswert noch realisierbar. Man
sollte daher an Stelle der „Gleichheit der Lebensverhältnisse“ besser auf den
Begriff „Homogenität der Lebensverhältnisse“ greifen.
3. Die Homogenität der
Lebensverhältnisse braucht für den Bereich der Hoheitsverwaltung nicht näher
problematisiert werden. Hier gilt umfassend der allgemeine Gleichheitsgrundsatz,
der die Bereitstellung hoheitlich zu vergebender Leistungen ohnehin sichert.
Von besonderer Bedeutung ist dieser Begriff jedoch im Bereich der
Privatwirtschaftsverwaltung, hier insbesondere im Bereich der Daseinsvorsorge.
In den Kernbereichen der Daseinsvorsorge hat die österreichische Gesetzgebung
die öffentliche Hand in vielen Fällen mit Pflichtaufgaben betraut. Ver- und
Entsorgung (Elektrizität, Gas, Wasser, Abfall, Abwässer, etc) sind gesetzlich genau
und standardisiert geregelt. Die Abfuhr des Hausmülls mag zwar in einzelnen
Gemeinden besser, in anderen schlechter organisiert sein, gleichwohl bestehen
hier zwischen dem Bodensee und dem Neusiedler See keine wirklich gravierenden
Unterschiede in der Qualität der Leistungserbringung. In all diesen Fällen
kommt der öffentlichen Hand, insbesondere den Gemeinden, eine
Gewährleistungsverantwortung zu, die es ihr ermöglicht, diese Aufgaben selbst
oder durch Private wahrnehmen zu lassen. Der öffentlichen Hand bleibt
jedenfalls die Letztverantwortung, aber auch schon vorher ein Weisungs- und
Überwachungsrecht. Unter dem Titel der Einheitlichkeit bzw Homogenität der
Lebensverhältnisse muss hier finanzverfassungs- und finanzausgleichsrechtlich
vorgesorgt werden, dass die Kommunen ausreichend finanzielle Mittel haben, um
diese Aufgaben entsprechend den gesetzlichen Vorgaben erfüllen zu können. Aus
der Sicht des Finanzverfassungsrechts ist eine solche Gewährleistung implizit
schon im § 4 F-VG enthalten. Allerdings würde eine Aufnahme der Aufgaben der
Daseinsvorsorge und der kommunalen Infrastruktur sowie ein Hinweis auf die Einheitlichkeit
bzw Homogenität der Lebensverhältnisse für die Finanzausgleichsgerechtigkeit
einen Verstärkereffekt bedeuten.
4. Problematischer ist die
Homogenität der Lebensverhältnisse in jenen Bereichen der Daseinsvorsorge, in
denen kein gesetzlicher Handlungszwang besteht, in denen aber der Druck der
Gemeindebewohner auf die Erbringung kommunaler Leistungen sehr hoch ist.
Hierbei ist insbesondere an Einrichtungen der Alten- und Krankenpflege, von
Sportstätten, Jugendheimen, Musikschulen, Kinderbetreuungseinrichtungen, etc zu
denken. In diesen Bereichen werden große finanzausgleichsrechtliche Probleme in
der Zukunft zu bewältigen sein. Denn eine Konzentration von Einrichtungen der
Altenpflege, von Kinderbetreuungseinrichtungen in Ballungszentren wird
zweifellos nicht den Bedürfnissen der Zukunft gerecht. Gerade an diesen beiden
Beispielen zeigt sich, dass der Begriff der Homogenität der Lebensverhältnisse
eine wichtige Bedeutung in einer künftigen Finanzverfassung spielen muss. Denn
die Bedürfnisse berufstätiger Mütter und pflegebedürftiger alter Menschen sind
in der Sache die gleichen, ob diese Dienste in urbanen oder ländlichen Gebieten
gefragt sind. Beide Beispiele zeigen, dass hier dezentrale
Versorgungseinrichtungen der Daseinsvorsorge unbedingt auch in Hinkunft nötig
sein werden. Wollen die Gemeinden weiterhin qualitativ hochwertige Leistungen
in der Daseinsvorsorge anbieten, so muss gewährleistet sein, dass solche
Aufgaben auch in finanzschwachen Gemeinden erbracht werden können. Dass dabei
Möglichkeiten interkommunaler Zusammenarbeit genutzt werden müssen, versteht
sich von selbst.
5. Um den Begriff der Gleichheit bzw
Homogenität der Lebensverhältnisse präzisieren zu können, muss zunächst ein
Katalog von Maßnahmen der Daseinsvorsorge erstellt werden, wo schon derzeit die
Einheitlichkeit bzw Homogenität hinreichend gesetzlich abgesichert ist. Ebenso
bedarf es einer Liste von Aufgaben, welche heute vom Gemeindebewohner von
seiner Gemeinde verlangt werden, die aber nicht von allen Gemeinden in gleicher
Weise erbracht werden können. Zu letzterer Gruppe zählen insbesondere soziale
und kulturelle Aufgaben. Anhand eines solchen Aufgabenkataloges kann dann
empirisch ermittelt werden, in welchen Bereichen starke Qualitätsunterschiede
in der daseinsvorsorgenden Aufgabenerfüllung der Gemeinden bestehen und
inwieweit diese auf die schwache Finanzkraft der Gemeinden zurückzuführen sind.
Diese Aufgaben müssen in Zukunft die entsprechende gesetzliche Beachtung im
Finanzausgleich finden.
6. Diese Leistungen, die die
Gemeindebewohner in ganz Österreich von ihren Kommunen in möglichst
gleichwertiger Qualität und zu möglichst gleichwertigen Preisen verlangen,
werden wohl auch in Zukunft wenigstens durch eine kommunale
Gewehrleistungsverantwortung gesichert sein müssen. Hier muss die Finanzverfassung
Akzente setzen, um eine Filetierung dieser Leistungen durch eine falsch
verstandene Liberalisierung und Privatisierung zu verhindern. Wenn nämlich
Kommunen nur mehr auf den daseinsvorsorgenden Aufgaben sitzen bleiben, welche
am Markt keinen oder nur sehr geringen Gewinne abwerfen, ja die im weiten Sinne
defizitär sind, so ist das Konzept der Homogenität der Lebensverhältnisse
potentiell bedroht. Denn soziale und kulturelle Leistungen lassen sich in
Ballungsgebieten marktwirtschaftlich gut organisieren, während dies in
peripheren Gemeinden nicht möglich ist. Hier gilt es zu verhindern, dass
marktwirtschaftliche Mechanismen die Homogenität der Lebensverhältnisse nur mehr
zwischen unterschiedlichen Ballungsgebieten vergleichbar machen. Wenn es in
diesen Bereichen zu einer Kluft zwischen Ballungsräumen und peripheren Gebieten
kommt, ist die Zukunft des ländlichen Raumes langfristig bedroht, da die
Menschen kein Verständnis dafür haben, dass gleichartige Leistungen in
unterschiedlicher Qualität und zu unterschiedlichen Preisen angeboten werden,
je nachdem, ob es sich um periphere oder zentrale Räume handelt.