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Positionspapier
des Österreichischen Gemeindebundes über Formulierungen und Definitionen der
„Daseinsvorsorge“ und deren Verankerung in der Finanzverfassung
1. Der von Ernst Forsthoff geprägte
Begriff der Daseinsvorsorge beinhaltet die staatliche Vorsorge für sozial
bedürftige Bürger. Etwas verallgemeinert könnte man Daseinsvorsorge auch
Zurverfügungstellung von für die moderne Industriegesellschaft
lebensnotwendigen Infrastrukturleistungen, erbracht durch die öffentliche Hand,
bezeichnen. In der Forsthoff’schen Begriffsbildung ist es nicht entscheidend,
ob der Staat diese Leistungen selbst erbringt bzw durch öffentliche Unternehmen
erbringen lässt oder ob hier Private tätig werden, die dann allerdings der
staatlichen Aufsicht unterliegen. Schon Forsthoff erkannte die dominierende
Rolle der Gemeinden in der Daseinsvorsorge. Diese Begrifflichkeit hat durch
ihre offene und flexible Textierung auch heute noch Gültigkeit. Die Erbringung
von daseinsnotwendigen Leistungen durch Verwaltungseinheiten oder
staatsabhängige Unternehmen steht auch heute noch im Zentrum des
Daseinsvorsorgebegriffs.
2. Die Daseinsvorsorge hat in der
österreichischen Kommunalpolitik eine überragende Bedeutung. In den Augen der
Bevölkerung ist die kommunale Daseinsvorsorge wohl wichtiger einzustufen als
die kommunale Hoheitsverwaltung. Denn die vielfältigen Leistungen in der Ver-
und Entsorgung, in der Sozial- Wirtschafts- Kultur- Sport- und Umweltpolitik
sind heute nicht mehr wegzudenkende Faktoren der modernen Gemeindearbeit. In
den letzten Jahrzehnten hat allerdings insoweit ein Strukturwandel
stattgefunden, als anstelle des klassischen Regiebetriebes nunmehr ausgegliederte
Unternehmen oder „echte“ Private unter der Aufsicht der Gemeinden, welche
vielfach gesellschafts- und vertragsrechtlich konstituiert wird, die Aufgaben
erfüllen. Dafür hat sich das Schlagwort der „Gewährleistungsverantwortung“
eingebürgert.
3. Die kommunale Daseinsvorsorge ist
heue unter beachtlichen Druck geraten. Dafür ist einerseits die innerstaatliche
Privatisierungsdebatte und Privatisierungsstrategie des Neo-Liberalismus
verantwortlich, andererseits kommt ein wesentlicher Teil dieses Drucks von der
EU. Durch eine Reihe von Rechtsakten wurde darauf hingearbeitet, öffentliche
und private Unternehmen gleichzustellen, staatliche Subventionen an öffentliche
Unternehmen zurückzudrängen und der Quasi-Monopolcharakter bestimmter
öffentlicher Unternehmen aufzubrechen. Mit dieser Marktöffnung erhofft sich die
EU mehr Vorteile für die Kunden und einen weiteren Schritt hin zur Vollendung
des Binnenmarktes.
4. Diese Erwartungen mögen sich in
einigen Branchen bewahrheitet haben (Telekommunikation, Rundfunk). In einer
Reihe von anderen Branchen wirft die Liberalisierung der Daseinsvorsorge jedoch
schwerwiegende Probleme für die Kommunen auf. Zunächst droht die Gefahr der
Filetierung von gesamthaft organisierten Leistungen der Daseinsvorsorge. In den
Bereichen des öffentlichen Personennahverkehrs, der Altenpflege, der
Kinderbetreuungseinrichtungen, des kommunalen Umweltschutzes, etc werden
private Unternehmer mit Vergnügen auf jene Betriebe zugreifen, welche in der
Lage sind, Gewinne zu erwirtschaften. Jene anderen Bereiche, die gleichfalls
bedient werden müssen, die aber für sich selber nicht profitabel sind und in
einem Gesamtkonzept im Wege des Querverbundes finanziert werden können, droht
hier das Aus. Hier wird zwangsläufig die Öffentliche Hand einspringen müssen,
will man daseinsnotwendige Leistungen flächendeckend anbieten. Für die
Gemeinden bedeutet dies, Gewinne zu privatisieren und Verluste zu
sozialisieren. Dass dies für die Gemeindekassen in Zukunft riesige Probleme mit
sich bringen wird, muss wohl nicht näher begründet werden. Eine weitgehende
Privatisierung der Daseinsvorsorge würde die Gemeinden ihrer wichtigsten
Aufgaben entledigen. Die Gemeinden kämpfen aber nicht um den Erhalt der
Aufgaben der Daseinsvorsorge aus Gründen des Machterhalts und der Wahrung
wichtiger politischer Spielräume, die Erhaltung der Daseinsvorsorge als
kommunale Aufgabe muss aus qualitativen Gründen gefordert werden. Zum einen sichern
die Gemeinden durch die Profitneutralität der von ihnen besorgten Aufgaben auch
die Qualität. Für die Gemeinden steht zwar selbstverständlich eine ökonomische
Zweck-Mittel-Relation im Vordergrund. Im Zentrum ihrer Verantwortung steht jedoch
die Qualität der Dienstleistungen, da die Akzeptanz dieser Qualität nicht vom
Preis, sondern vom demokratischen Votum bestimmt wird. Schließlich bleibt die
Verantwortung der Gemeinden bestehen, mag der Gesetzgeber auch auf eine
ausdrückliche Aufgabenzuweisung an die Gemeinde verzichten. Denn wenn ein
Abfallentsorgungsunternehmen oder ein Klärwerk insolvent werden, werden sich
die verantwortlichen Gemeindepolitiker kaum zurücklehnen können und der
Bevölkerung vermitteln, dies alles ginge sie nichts an. Vielmehr muss die
Gemeinde in Wahrnehmung ihrer demokratischen Grundverantwortung hier wohl oder
übel einspringen.
5. Aus der Sicht der österreichischen
Gemeinden ist der Trend zur Liberalisierung der Daseinsvorsorge abzulehnen.
Gleichwohl ist es völlig ungewiss, wohin die gemeinschaftsrechtliche und
Nationalrechtliche Zukunft der Daseinsvorsorge gehen wird. Aus derzeitiger
Sicht ist jedoch in absehbarer Zeit ein Ausklinken der Gemeinden aus der
Daseinsvorsorge nicht zu erwarten. Um aber zu verhindern, dass diese Aufgaben
mit Hinweis auf mögliche Privatisierungsstrategien finanzausgleichsrechtlich
ausgehungert werden, muss eine Verankerung in der österreichischen
Finanzverfassung unbedingt erfolgen. Dazu gibt es mehrere Möglichkeiten: Man
könnte die Aufgaben der Daseinsvorsorge im Abschnitt „Gemeindeaufgaben“ in Art
118 B-VG ausdrücklich erwähnen. Zusätzlich bedarf die Daseinsvorsorge, aber
auch die kommunale Infrastruktur, einer ausdrücklichen Regelung im F-VG. Man
könnte einen weiteren Satz der Bestimmung des § 4 F-VG anfügen: „Die
Finanzausgleichsgesetzgebung hat auf die nachhaltige Sicherung der Aufgaben der
Daseinsvorsorge durch die Gemeinde und die kommunale Infrastruktur Bedacht zu
nehmen“.