A 9/5
Betrifft: Neuformulierung
des Punktes III des Ausschussberichtes
III.
Verhältnis der Höchstgerichte zueinander
Dieses Thema wurde unter
zwei - einander teilweise überlappender - Gesichtspunkte diskutiert: Zum einen
stellt sich - nach Einführung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz -
die Frage nach dem Verhältnis zwischen dem VwGH und dem VfGH, zum andern im
Hinblick auf einen allfälligen Ausbau des Grundrechtsschutzes und der
Normenkontrolle die Frage nach dem Verhältnis des VfGH zu beiden anderen Höchstgerichten,
insbesondere zum OGH. Im Einzelnen wurde vom Ausschuss erwogen:
1. Konzentration der
Verwaltungsgerichtsbarkeit
Die Entwicklung des
Verfassungsrechts in Österreich - hier die Prüfungskompetenz des
Reichsgerichtes, dort jene des VwGH - hat zu einer Doppelgleisigkeit der
Verwaltungsgerichtsbarkeit geführt, die jedenfalls den Fehler hat, kompliziert
zu sein. Dem könnte begegnet werden, indem man nach Einführung der
Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz die Sonderverwaltungsgerichtsbarkeit
des VfGH - sprich: Art. 144 Abs. 1 erster Satz B-VG - aufließe. Die
Diskussion zeigte, dass eine solche Konstruktion als Fernziel einer Reform
nicht aus dem Auge verloren werden sollte. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist aber
zum einen abzuwarten, inwieweit die Einführung der Verwaltungsgerichte erster
Instanz zu einer tatsächlichen Entlastung des VwGH führt und zum andern ist bei
dieser Variante der im Folgenden behandelte konstruktive Aufwand erheblich
größer als wenn man es mit einer Übertragung des derzeitigen Systems -
Anfechtung des Bescheids (des Urteils des Verwaltungsgerichts erster Instanz)
sowohl beim VwGH als auch beim VfGH - belässt.
2. "Umdrehung"
der Sukzessivbeschwerde
Es wäre denkmöglich, das
bisherige System des Art. 144 Abs. 1 B-VG auf die Weise zu
vereinfachen, dass die Reihenfolge der prüfenden Gerichtshöfe umgedreht wird,
die Beschwerde wäre also zunächst an den VwGH, und danach an den VfGH zu
richten. Tatsächlich führt das gegenwärtige System nicht nur zu einer
erheblichen Zahl von "sicherheitshalber" an den VfGH herangetragener
Sukzessivbeschwerden, sondern ist in seiner spezifischen Logik - quasi
"Zwischenschaltung des VfGH" zwischen Verwaltungsbehörde und VwGH -
nicht leicht vermittelbar.
Gegen diesen Vorschlag
wurde indessen eingewendet, dass diesfalls der VfGH zur letztlich
verwaltungsgerichtlichen "Überinstanz" über dem VwGH werden könnte.
Während im gegenwärtigen System der VfGH relativ "grob gestrickte"
Beschwerden prüft und - wenn es sich nicht um spezifische Grundrechtsaspekte
handelt - bei exzessiver Rechtswidrigkeit aufhebt, so würde er bei einer
Umdrehung den vom VwGH bereits aufbereiteten Fall "über"prüfen. Zwar
ist auf diesem Weg eine Verfeinerung des Rechtsschutzes nicht ausgeschlossen -
da man stets ein Gericht einem anderen nachschalten kann, um das Ergebnis zu
verbessern - der spezifische verfassungspolitische Mehrwert ist aber nicht zu
erkennen. Im Hinblick auf die geforderte Beibehaltung der Gleichrangigkeit der
Höchstgerichte blieb dieser Vorstoß daher vereinzelt.
3. Subsidiarantrag
Ein Manko in der
Normenkontrolle wird häufig darin gesehen, dass die zur Anfechtung nach
Art. 140 Abs. 1 B-VG ermächtigten Gerichte - allenfalls auch trotz
entsprechender Anregungen seitens der Verfahrensparteien - keine
Normprüfungsanträge an den VfGH stellen, weshalb verfassungsrechtlich
bedenkliche generelle Normen lange in Geltung bleiben können. In erster Linie
betrifft diese Frage die Justiz. Für den VwGH stellt sich - im Hinblick auf
Art. 144 Abs. 1 zweiter Fall B-VG dieses Problem nicht in der selben
Schärfe, aber grundsätzlich doch auch. In die Diskussion wurde daher die
Konstruktion eines "Subsidiarantrags" eingebracht. Dieser soll es dem
Beschwerdeführer ermöglichen, nach Abschluss des Verfahrens vor einem
antragsberechtigten Gericht oder dem VwGH einen Antrag auf Normprüfung an den
VfGH zu stellen. Wenn der VfGH die Norm dann aufhebt, wäre das Verfahren vor
den Gerichten fortzusetzen. Im Ausschuss besteht die einhellige Meinung, dass
ein solches Instrument den größten Teil des vorhandenen Problempotenzials
abschöpfen könnte. Übrig blieben seltene Fälle einer "verfassungskonformen
Auslegung".
4. Einführung einer
Urteilsbeschwerde
Wenn man ein
vollständiges System anstrebt, bei dem sämtliche Verfassungsfragen letztlich
vom VfGH beantwortet werden, müsste man über den oben dargestellten
"Subsidiarantrag" weiter in die Richtung einer einheitlichen
"Urteilsbeschwerde" gehen. Bei dieser Variante hätte der Einzelne die
Möglichkeit, unmittelbar das höchstgerichtliche Urteil wegen
"Verfassungswidrigkeit" beim VfGH anzufechten. Gegen eine solche
Konstruktion besteht eine Reihe von Bedenken, insbesondere im Hinblick auf die
dann unweigerliche quasi Einführung einer vierten Instanz und damit
Verfahrensverzögerung sowie die explizite Aufgabe der Gleichrangigkeit der
Höchstgerichte.
Dazu kommt, dass die
schon mit der Einführung des Subsidiarantrags (im eingeschränkten Umfang)
verbundene, durchaus reale Gefahr, dass davon allzu exzessiv Gebrauch gemacht
und dadurch eine angemessene Verfahrensdauer nicht mehr gewährleistet werden
könnte, im Fall der Einführung einer noch weiter gehenden Urteilsbeschwerde
noch ungleich größer wäre, zumal gerade in der ordentlichen Gerichtsbarkeit
sehr oft Kernbereiche der menschlichen Existenz berührt werden und die individuelle
„Kampfbereitschaft“ dem entsprechend sehr hoch ist. Dazu kommen die – im
Vergleich zu ordentlichen Gerichtsverfahren – relativ niedrigen Kosten eines
Beschwerdeverfahrens vor dem VfGH sowie der Umstand, dass das Fehlen einer
gesicherten VfGH-Judikatur in neuen Rechtsgebieten die Erhebung solcher
Urteilsbeschwerden sehr verlockend machen würde. Schließlich muss man sich
stets vor Augen halten, dass der geforderte Ausbau des Rechtsschutzes zugunsten
der beschwerdeführenden Partei – etwa im Zivilrechtsbereich – stets auf Kosten
der anderen Verfahrenspartei ginge, die regelmäßig einen kosten- und
zeitintensiven Prozess durch drei Instanzen gewonnen hätte und dann erst recht
wieder vor der Situation stünde, eine Verlängerung des Prozesses (und damit der
Zeit der Ungewissheit) und eine weitere Verzögerung des Eintritts der
Rechtskraft und der Vollstreckbarkeit des (für sie günstigen) Urteils in Kauf
nehmen zu müssen.
5. Von einem Mitglied
des Ausschusses wurde ein "erweiterter Subsidiarantrag" zur Erwägung
gestellt, der es dem VfGH ermöglichen würde, in deklarativer Weise auch die
Verkennung der verfassungsrechtlichen Lage durch die anderen Höchstgerichte auf
individuell-konkreter Ebene festzustellen.
6. Der bisherige Punkt
bc bleibt.
Ein Konsens im Ausschuss
besteht mithin erstens über die Einführung einer Verwaltungsgerichtsbarkeit
erster Instanz und zweitens über die Einrichtung eines Subsidiarantrags. Für
diese legistischen Maßnahmen werden konkrete Normtexte vorgelegt. Weitere
Reformmaßnahmen erscheinen einzelnen Mitgliedern des Ausschusses erforderlich,
haben aber keinen Konsens gefunden und könnten daher allenfalls in einer
späteren Phase der Verfassungsentwicklung wieder diskutiert werden.
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