1. Transparenz
der Verwaltung
Transparenz der Verwaltung ist eine wichtige
Voraussetzung für die effektive Wahrneh-mung von Bürgerrechten. Sie
stärkt die dem liberalen Rechtsstaat immanente Selbst-bestimmung des Bürgers
gegenüber der Verwaltung und ist unerlässlich für die demokra-tische Mitgestaltung
politischer Prozesse und die Kontrolle staatlicher Institutionen.
Angesichts der wachsenden Informationsmacht
des Staates durch den Einsatz moderner Informations- und
Kommunikationstechnik ist Transparenz der Verwaltung heute wichtiger denn je.
Information ist in Staat, Wirtschaft und Gesellschaft zu einem gleichermaßen
wertvollen Gut geworden. Diese befinden sich in gegenseitiger
„Informationsabhängigkeit“.
Die Entwicklung der elektronischen
Informationstechnologie macht staatliche Informationen heute andererseits auch ohne
großen Aufwand möglich. Die aktive Publikation von Dokumenten
und Registern im Weg des Internet kann darüber hinaus die Technik der
einzelfallbezogenen Auskunft ersetzen und damit Kosten sparen.
2. Geheimhaltung
und Privatheit
Eine Kultur der prinzipiellen
Geheimhaltung der öffentlichen Verwaltung spiegelt obrigkeitsstaatliches
Denken wider und steht im Spannungsverhältnis zu einem modernen,
partnerschaftlichen Staats- und Gesellschaftsverständnis.
Die Fortschritte der Informationstechnologie
erzeugen bei den Menschen aber auch Angst vor Eingriffen in ihre Privatsphäre.
Ein Recht des Individuums auf „informationelle Selbstbestimmung“ ist daher
heute elementare Funktionsbedingung jedes Gemeinwesens. Ungeachtet des
allgemeinen Transparenzbedürfnisses ist die Geheimhaltung sensibler personenbezogener
Daten zu einem zentralen öffentlichen Anliegen geworden.
Der internationale Terrorismus sowie die
notwendige internationale Zusammenarbeit staatlicher Sicherheitsbehörden und
Nachrichtendienste begründen spezifische öffentliche
Geheimhaltungsinteressen, die dem aktuellen liberalen Verständnis von
Informationsfreiheit tendenziell entgegen wirken.
In einer Gesellschaft, die von
Marktwettbewerb und Konkurrenzdenken getragen ist, müssen etwa auch staatliche Informationen
über Wirtschaftsunternehmen in gewissem Ausmaß vor Missbrauch durch
Konkurrenten geschützt werden.
Das Grundproblem einer Regelung des Zugangs
zu staatlicher Information ist jenes der Gewichtung zwischen Transparenz und
Geheimhaltung. In dieser sollte ein klares Regel-Ausnahme-Verhältnis
zum Ausdruck kommen.
Verfassungsrechtliche
Geheimhaltungstatbestände dürfen nicht zu zahlreich und zu vage um-schrieben
sein. Nur eine klare Abgrenzung zwischen Informationszugang und
Amts-verschwiegenheit gewährleistet Transparenz und wirkt einer Stärkung der
Staatsmacht unter dem Titel des Gemeinwohls, insbesondere der öffentlichen
Sicherheit, entgegen.
Unter dem aktuellen Begriff der „Informationsfreiheit“
wird Unterschiedliches verstanden. Er kann – wie in den USA – als umfassendes
Recht auf Übermittlung staatlicher Dokumente in jeder gewünschten Form, oder
aber – wie im Europäischen Gemeinschaftsrecht – als Dokumentenzugang in einer
von der Behörde bestimmten zweckmäßigen Art definiert werden.
Ein Recht auf „Auskunft“ ist weniger
als ein Recht auf „Informationszugang“ oder „Dokumentenzugang“. Es beinhaltet
kein Recht auf Akteneinsicht, auf Zusendung von Akten (zB in Schriftform oder
auf Datenträger), auf Anfertigung von Kopien oder detaillierte Bekanntgabe von
Dokumenteninhalten.
„Dokumentenzugang“ und „Akteneinsicht“ werden idR synonym verstanden. Differenziert
geregelt ist aber, ob diesbezüglich subjektive Rechte nur den Parteien eines
Verwaltungs-verfahrens oder der Allgemeinheit zukommen.
Über Informationsfreiheit und Akteneinsicht
hinausgehend können Veröffentlichungspflich-ten der Behörden (zB bzgl
interner Rechtsvorschriften, Dokumentenregister, Prüfberichte) vorgesehen sein.
„Informationsfreiheit“ besteht niemals
uneingeschränkt. Ausnahmetatbestände zugunsten schutzwürdiger
Geheimhaltungsinteressen können mit dem Sammelbegriff „Amtsver-schwiegenheit“
bezeichnet werden. Sie umfassen aber unterschiedliche Tatbestände und
Regelungskomplexe (insb Amtsgeheimnis auf verfassungs- und einfachgesetzlicher
Ebene, Datenschutz, Informationssicherheit).
Geheimhaltungstatbestände können absolut formuliert sein oder – je nach dem Grad des
Geheimhaltungsbedürfnisses – bloß zu einer Interessenabwägung verpflichten.
Das prominenteste
Beispiel weitreichender Informationsfreiheit des Bürgers gegenüber der
staatlichen Verwaltung ist in den USA der Freedom of Information Act
1966 (5 USC § 552). Er sieht weitreichende Rechte der Bürger auf Zugang zu
staatlichen Informationen und Veröffentlichungspflichten des öffentlichen
Sektors vor. Ausnahmen erfassen allerdings weite Bereiche der öffentlichen
Sicherheit, Militär und Nachrichtendienste, das Beratungsgeheim-nis,
personenbezogene Daten sowie Daten von Wirtschaftsunternehmen.
Auf der Ebene der EU
hat der Vertrag von Maastricht zur Verstärkung der demokratischen Legitimität
der Union Transparenz als Verfassungsprinzip verankert (Art 1 EUV). Art 255 EG
idF des Vertrags von Amsterdam und die VO 1049/2001 normieren ein allgemeines
Recht auf Zugang zu Parlaments-, Rats- und Kommissionsdokumenten (vgl auch Art
42 der Grundrechtecharta). Einschränkungen zu Gunsten öffentlicher
Geheimhaltungsinteressen sind zwar zulässig, sind aber gegenüber dem Interesse
am Dokumentenzugang zT abwägungs-pflichtig. Die bedeutsamste
bereichsspezifische Regelung zum Informationszugangsrecht in den
Mitgliedstaaten erfolgte durch die neue UmweltinformationsRL 2003/4/EG (vgl
auch die Aarhus-Konvention 1998).
Die Rechtsordnungen
der EU-Mitgliedstaaten verwirklichen die von der EU verfolgte Tendenz in
unterschiedlichem Ausmaß. Weitgehend grundrechtsgleiche Rechte der Bürger auf
Zugang zu staatlicher Information gelten in Skandinavien und den Niederlanden
(„open government“). Weiterhin zurückhaltend sind die Regelungen noch immer in
Deutschland, Luxemburg und Österreich.
In Deutschland
gibt es – ähnlich wie in Österreich – kein bundesweites Recht auf Zugang zu
staatlichen Informationen. Dagegen gelten weitreichende Pflichten zur Wahrung
des Amts-geheimnisses. Der Entwurf eines „Informationsfreiheitsgesetzes“ (IFG)
der rot-grünen Koalition sieht auf einfachgesetzlicher Ebene ein subjektives
Recht Einzelner auf Einsicht in Verwaltungsakten vor. Er wurde jedoch nach dem
11. September 2001 grundlegend überarbeitet und ist bisher nicht realisiert
worden. Die darin vorgesehenen Geheimhaltungstat-bestände erfassen – wesentlich
großzügiger als der FOIA – Gemeinwohlinteressen wie insb die öffentliche
Sicherheit, Landesverteidigung und Staatsschutz, Verwaltungsabläufe sowie
personenbezogene Daten und Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse.
1. Inhalt
In Österreich gilt
eine verfassungsrechtliche Pflicht zur Wahrung des Amtsverschwiegenheit,
sofern bestimmte öffentliche oder private Geheimhaltungsinteressen diese
gebieten (Art 20 Abs 3 B-VG). Diese Pflicht gilt für die gesamte Staatsfunktion
Verwaltung. Sie wurde durch die B-VG-Novelle 1987 stark eingeschränkt und mit
Art 10 Abs 2 EMRK harmonisiert. Sie kann einfachgesetzlich ausgeführt, darf
dabei aber nicht ausgedehnt werden.
Eine absolute
Pflicht zur Geheimhaltung personenbezogener Daten normiert das verfassungsgesetzliche
Recht auf Datenschutz (§ 1 DatenschutzG 2000).
Einfachgesetzliche
Verschwiegenheitspflichten sind insb im Strafrecht (§
310 StGB) und in den Gesetzen des öffentlichen Dienstrechts (§§ 46 BDG, 58 RDG,
5 VBG) vorgesehen. Zur Erfüllung internationaler Verpflichtungen auf dem Gebiet
der Sicherheitszusammenarbeit normiert das InformationssicherheitsG (BGBl I
2002/23) differenzierte Verschwiegen-heitspflichten auf Basis verschiedener
Klassifikationsstufen des Geheimhaltungsinteresses.
Verfassungsrechtlich
verankert ist auch eine Auskunftspflicht der Verwaltungsorgane (Art 20
Abs 4 B-VG). Sie gilt allerdings nur mit dem Vorbehalt, dass ihr keine
gesetzlichen Verschwiegenheitspflichten entgegenstehen. Sie gewährleistet nach
der Judikatur des VfGH überdies kein subjektives Recht.
Einfachgesetzliche
Auskunftspflichten sind in den
Auskunftspflichtgesetzen von Bund und Ländern und in zahlreichen
Materiengesetzen, so zB im BundesarchivG (§ 7), im Daten-schutzG (§ 26), im
MeldeG (§ 18). Sanktionen für die rechtswidrige Nichterteilung von Auskünften
durch öffentlich Bedienstete finden sich auch in den Dienstrechtsgesetzen.
Ein Recht auf Akteneinsicht
steht grundsätzlich nur den Parteien eines Verwaltungsverfah-rens zu (§ 17
AVG). Verhandlungen in solchen Verfahren sind grundsätzlich auch nicht
volksöffentlich. Ausnahmen gelten nur für Großverfahren (vgl § § 44c AVG).
2. Defizite
Die Rechtslage
betreffend Amtsverschwiegenheit und Auskunftspflicht ist in erster Linie verworren
und unklar. Die beiden Institute stehen insbesondere in keinem
Regel-Ausnahme-Verhältnis. Ein Vorrang der Auskunftspflicht ist nicht eindeutig
erkennbar.
Die Verschwiegenheitstatbestände
sind sehr allgemein umschrieben; es besteht grundsätzlich keine
Verpflichtung, sie eng auszulegen. Die Judikatur zu den Grenzen der
Auskunftspflicht ist daher komplex und einzelfallorientiert.
Die
verfassungsrechtlichen Pflichten zur Amtsverschwiegenheit und zur
Auskunftserteilung sehen keine Sanktionen vor. In Verbindung mit
einfachgesetzlichen Sanktionen kann ihre Nichteinhaltung aber Folgen von
unklarer Tragweite haben (zB Amtshaftung).
Die
verfassungsrechtliche Normierung der Amtsverschwiegenheit sieht keine
grundsätzliche Abwägungspflicht bestimmter öffentlicher Interessen an der
Geheimhaltung mit dem Inter-esse an einer Auskunft vor. Dies erlaubt eine
Berufung auf das Amtsgeheimnis immer schon dann, wenn nur der geringste
Nachteil für ein staatliches Geheimhaltungsinteresse droht.
Die
Auskunftspflicht beinhaltet kein Recht auf Dokumentenzugang bzw
Akteneinsicht. Sie umfasst daher keine Pflicht zur Weitergabe detaillierter
Angaben, umfangreicher Ausarbei-tungen oder zur Beschaffung anderweitig
zugänglicher Informationen. Erteilte Auskünfte müssen insb auch nicht
elektronisch verfügbar gemacht werden.
Die Auskunftspflicht ist nicht als
verfassungsgesetzlich gewährleistetes subjektives Recht konzipiert.
Subjektive Rechte bestehen nur auf einfachgesetzlicher Ebene.
Die Kompetenzrechtslage auf dem Gebiet
von Auskunftsrecht und Amtsverschwiegenheit ist – in jeweils unterschiedlicher
Weise – auf Bund und Länder zersplittert.
1. Ist
die Regelungstechnik des Art 20 Abs 3 B-VG, die Verwaltungsorgane zur
Amtsverschwiegenheit verfassungsrechtlich zu verpflichten, im System der
geltenden Verfassungsrechtsordnung überhaupt sinnvoll? Ist sie nicht –
angesichts ihres reduzierten normativen Gehalts in Folge ihrer Harmonisierung
mit Art 10 Abs 2 EMRK durch die B-VG-Novelle 1987 – sogar überflüssig geworden?
2. Ist
die Normierung der Amtsverschwiegenheit in Art 20 Abs 3 B-VG für Organe
notwendig, die keinem Dienstrecht bzw keinen einfachgesetzlichen
Geheimhaltungspflichten unterliegen (zB oberste Organe)?
3. Wie
kann zwischen den gegenläufigen Prinzipien Auskunftspflicht und
Amtsver-schwiegenheit ein klares Regel-Ausnahme-Verhältnis hergestellt werden?
Wäre es – unter der Annahme der Notwendigkeit des Schutzes bestimmter Geheimhaltungsinteressen
– zweckmäßig, den einfachen Gesetzgeber bei der Regelung der Auskunftspflicht
zu deren Einschränkung aus bestimmten Gründen zu ermächtigen?
4. Soll
der Auskunftspflicht der Charakter eines subjektiven, beim VfGH durchsetz-baren
verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechts verliehen werden?
5. Ist
es im Hinblick auf eine Harmonisierung mit dem Recht der Europäischen Union
möglich und zweckmäßig, das bloße Recht auf „Auskunft“ zu einem allgemeinen
Recht auf Dokumentenzugang zu erweitern? Wie wäre der Gegenstand eines solchen
Rechts zu definieren? Kann dabei auch eine Pflicht zur Übermittlung in
elektronischer Form sichergestellt werden?
6. Wie
müssten die verpflichteten Rechtsträger, Behörden und Sachgebiete eines
Dokumentenzugangsrechts umschrieben werden, um die gesamte Verwaltung im
funktionellen Sinn, einschließlich der Tätigkeit aller juristischer Personen
des öffentlichen Rechts und ausgegliederter Rechtsträger, zu erfassen?
7. Wie
müsste die Kompetenzrechtslage ausgestaltet werden, um einheitliche und
überblickbare einfachgesetzliche Regelungen zu gewährleisten?
8. Sollten
die in Art 20 Abs 3 B-VG normierten Geheimhaltungstatbestände nicht
eingeschränkt, stärker differenziert oder zumindest mit Abwägungspflichten im Verhältnis
zu einem Recht auf Dokumentenzugang versehen werden?
9. Kann
dabei auch die Amtsverschwiegenheit der Mitglieder der Bundesregierung
gegenüber dem Nationalrat sowie der direkt gewählten Bürgermeister gegenüber
dem Gemeinderat aufgehoben oder gelockert werden?
10. Ist
eine Zusammenführung mit dem Recht auf Datenschutz möglich, sodass die
Verfassungsbestimmung in § 1 DSG 2000 obsolet wird?
11. Kann
das problematische Verhältnis der Amtsverschwiegenheit zur Amtshilfepflicht in
Art 22 B-VG geklärt werden?
VI. Auswahl
aktueller Literatur:
Berka, Whistleblower and
Leaks. Von den Schwierigkeiten
das Amtsgeheimnis zu wahren, in ÖJK (Hrsg), Recht und Öffentlichkeit, 66
(erscheint 2004); Batrschovsky, Wissen ist Macht – Auch im Umweltschutz,
in FS Funk, 2003, 3; Feik, Zugang zu EU-Dokumenten, 2002; Feik,
Good Governance und Transparenz im Recht der EU, in: ÖJK (Hrsg), Recht und
Öffentlichkeit, 165 (erscheint 2004); Jann, Das Recht auf Zugang zu
Dokumenten im Gemeinschaftsrecht, FS Adamovich, 2002, 241; Kucsko-Stadlmayer,
Das Disziplinarrecht der Beamten, 3. Aufl., 2003; Schoch/Kloepfer,
Informationsfreiheitsgesetz, 2002; Wieser, Art 20 Abs 3 und Art 20 Abs 4
B-VG, in: Korinek/Holoubek (Hrsg) Bundes-Verfassungsrecht. Kommentar, 4. Lfg
2001.
www.europa.eu.int/comm/secretariat_general/sgc/acc_doc/docs/compa_de.pdf